3. Nach Südamerika

Landung am Äquator. Balsaprobleme. Flug nach Quito. Kopfjäger und Bandidos. Im Jeep über die Anden. In die Dschungeltiefe. In Quevedo. Wir fällen Balsabäume. Auf dem Floß den Palenque-Fluß hinab. Der verlockende Marinehafen. Im Manneministerium in Lima. Beim Präsidenten von Peru. Bengt Danielsson. Von neuem nach Washington. Zwölf Kilo Akten. Hermanns Feuertaufe. Floßbau im Kriegshafen. Wohlmeinende Warnungen vor dem Start. Harte Argumente. Taufe der »»Kon-Tiki« im Jachtclub von Callao. Abschied von Südamerika.

Als das Flugzeug den Äquator passierte, tauchte es schräg durch die milchweiße Wolkendecke, die bisher wie eine blendende Schneefläche in der prallen Sonne unter uns gelegen hatte. Weiße Nebelschwaden zogen an den Fenstern vorbei, bis sie sich wieder auflösten und über uns als Wolken schwebten, während sich unter uns das grüne Dach des wogenden Dschungels zeigte. Wir flogen über die südamerikanische Republik Ecuador und landeten in der tropischen Hafenstadt Guayaquil. Jacke, Weste und den unzeitgemäßen Wintermantel auf dem Arm, krochen wir hinaus in die Treibhauswärme unter plappernde Südländer im Tropenanzug. Plötzlich fühlten wir das Hemd wie nasses Papier am Rücken kleben. Zollbeamte und Einwanderungsoffiziere umringten uns und trugen uns förmlich hinaus in ein Taxi, das uns zu dem besten und auch einzig möglichen Hotel der Stadt brachte, wo wir uns beide aufs rascheste in unsere Badewannen verzogen, um uns flach unter den Kaltwasserhahn zu legen.

Wir waren jetzt glücklich in dem Land, wo die Balsabäume wachsen, um hier die Stämme für unser Floß zu kaufen.

Der erste Tag verging, bis wir uns mit dem Geld auskannten und genügend Spanisch verstanden, um zum Hotel zurückzufinden. Am zweiten Tag wagten wir uns in ständig größer werdenden Kreisen von der Badewanne fort, und als Hermann endlich die Sehnsucht seiner Jugend gestillt hatte, auf eine richtige Palme zu klettern, und ich wie eine lebende Schale von Fruchtsalat herumwandelte, entschlossen wir uns, an den Balsahandel zu schreiten.

Dies war indessen leichter gesagt als getan. Balsa können wir zwar in Mengen kaufen, aber nicht in Form ganzer Bäume, wie wir sie ja brauchten. Die Tage waren längst vorbei, in denen dieses wunderbare Holz leicht erreichbar unten an der Küste gewachsen war. Auch dem hatte der letzte Krieg ein Ende gesetzt. Man hatte die Bäume zu Tausenden gefällt und in die Flugzeugwerke transportiert, weil sie so leicht und luftig waren. Die einzige Stelle, wo sie noch in Mengen wuchsen, war in den Dschungeln im Inneren des Landes, das bekamen wir überall zu hören.

»So fahren wir hin und schlagen sie uns selbst«, sagten wir.

»Unmöglich«, sagten die Zuständigen. »Die Regenzeit hat bereits eingesetzt, und alle Straßen in den Dschungel sind unpassierbar. Dafür sorgen schon die Wildbäche und der tiefe Schlamm. Brauchen Sie Balsabäume, dann kommen Sie in einem halben Jahr wieder nach Ecuador, da ist die Regenzeit vorüber, und die Straßen ins Land hinein sind wieder abgetrocknet.«

In unserer Not besuchten wir Don Gustavo von Buchwald, den Balsakönig von Ecuador, und Hermann rollte seine Skizze des Floßes auf und gab ihm die Maße der Stämme, die wir brauchten. Der kleine, zaundürre Balsakönig griff eifrig nach dem Telefon und setzte alle seine Agenten in Bewegung. Fast in jedem Sägewerk gab es Planken, leichte Bretter und vereinzelte kurze Stümpfe, aber nicht einen einzigen für uns brauchbaren Stamm. In Don Gustavos eigenem Lager befanden sich zwei große trockene Stämme, aber damit kamen wir nicht weit. Es wurde deutlich, die Jagd war umsonst. Aber Don Gustavo gab uns doch einen Hinweis.

»Ich habe einen Bruder, der eine große Balsaplantage besitzt. Er heißt Don Federico und wohnt in Quevedo, einem kleinen Dschungelnest mitten im Lande. Er kann Ihnen alles beschaffen, was Sie brauchen, sobald wir mit ihm nach der Regenzeit Verbindung bekommen. Jetzt aber ist es sinnlos wegen des Dschungelregens.«

Und wenn Don Gustavo sagte, daß es sinnlos war, so war es auch sinnlos für alle Balsakundigen in Ecuador. So standen wir in Guayaquil, ohne die Stämme für das Floß und ohne die Möglichkeit, selbst hinzufahren und die Stämme vor Ablauf vieler Monate zu schlagen, dann, wenn es bereits zu spät war.

»Die Zeit ist knapp«, sagte Hermann.

»Und Balsa müssen wir haben«, fügte ich hinzu. »Das Floß muß eine genaue Kopie sein, sonst haben wir keine Garantie, lebend aus der Sache herauszukommen.«

Im Hotel bekamen wir eine kleine Schulkarte mit grünem Dschungel, braunen Bergen und rotumringelten Orten. Sie verriet uns, daß der Urwald sich ununterbrochen vom Stillen Ozean bis an den Fuß der himmelhohen Anden erstreckte. Mir kam eine Idee. Es war sichtlich unmöglich, jetzt aus dem Küstenstrich durch den Dschungel zu den Balsabäumen zu gelangen, aber wie wäre es, wenn man von der anderen Seite, von den kahlen Flanken der Andenketten in das Innere des Dschungels hinabstieg? Hier bestand eine Möglichkeit, die einzige, die wir entdecken konnten.

Draußen am Flugplatz lag eine kleine Lastenmaschine. Man war gern bereit, uns mit nach Quito hinaufzunehmen, der Hauptstadt dieses merkwürdigen Landes, die hoch oben auf dem Andenplateau liegt, dreitausend Meter über dem Meeresspiegel. Zwischen Kisten und Möbeln durchblickend, erhaschten wir einzelne Ausschnitte von grünem Dschungel und blitzenden Wasserläufen, bevor wir in den Wolken verschwanden. Als wir daraus hervortauchten, lag das Tiefland unter einem endlosen Meer von wogenden Schwaden verborgen. Vor uns aber türmten sich kahle Hänge und nackte Bergspitzen aus dem Nebelmeer empor und ragten in einen strahlenden, tiefblauen Himmel.

Wie mit einem unsichtbaren Aufzug hob sich das Flugzeug über die Ketten. Trotz des Klimas und obwohl der Äquator in unserem Gesichtskreis war, hatten wir schließlich schimmernde Schneefelder unter uns. Geschickt glitt das Flugzeug zwischen den Gipfeln hindurch und kam über ein saftiges, frühlingsgrünes Hochgebirgsplateau, wo wir in unmittelbarer Nähe einer der eigenartigsten Hauptstädte der Welt landeten.

Von Quitos über 200 000 Einwohnern sind die allermeisten mehr oder minder reinblütige Bergindianer, denn Quito war schon lange, bevor Kolumbus Amerika erreichte, die Hauptstadt ihrer Vorväter. Uralte Klöster mit unfaßbar reichen Kunstschätzen prägen das Bild der Stadt. Sie und andere prachtvolle Bauwerke der Spanierzeit überragen weitaus die niedrigen Dächer der nach dem Gebrauch des Landes aus großen Blöcken erbauten und mit Lehm verschmierten Indianerhütten. Ein Labyrinth gewundener Gänge zieht sich zwischen ihnen hin, und hier trafen wir ein lebendiges Gewimmel von Bergindianern in rotbunten Mänteln mit großen, selbstgemachten Hüten. Viele waren mit ihren Packeseln auf dem Weg zum Markt. Andere kauerten an den Häusern und dösten in der Sonne. Mit halber Fahrt und unter ständigem Hupen gelang es manchmal primitiven Autos, in denen weißgekleidete Aristokraten spanischer Herkunft saßen, sich in den schmalen Durchgängen zwischen Kindern, Eseln und barfüßigen Indianern ihren Weg zu bahnen. Die Luft hier auf dem Hochplateau war so leuchtend kristallklar, daß die Berge ringsum unmittelbar hinter den Häusern aufzuragen schienen und dadurch noch dazu beitrugen, diese Atmosphäre des Unwirklichen und Jenseitigen zu erhöhen.

Unser Freund vom Lastenflugzeug, Jörge, mit dem Zunamen »der spinnende Pilot«, gehörte zu einem der alten spanischen Geschlechter Quitos. Er brachte uns in einem altertümlichen und gemütlichen Hotel unter, von wo er teils mit, teils ohne uns loszog, um uns eine sichere Reisemöglichkeit über die Berge in den Quevedo-Dschungel zu verschaffen. Am Abend trafen wir uns in einem alten spanischen Cafe. Jörge steckte voll schlechter Neuigkeiten. Wir sollten uns den Gedanken an Quevedo ja aus dem Kopf schlagen. Es wären weder Fahrer noch Fahrzeuge aufzutreiben, die uns über die Berge hinunter mitnehmen wollten, noch weniger aber in den Dschungel hinein, wo der Regen bereits begonnen hatte und wo sofort ein Überfall drohte, wenn man sich im Schlamm festfuhr. Erst im letzten Jahr war eine Patrouille von zehn amerikanischen Ölingenieuren, von vergifteten Pfeilen getroffen, im östlichen Teil des Landes gefunden worden. Besonders dort gab es noch genug Waldindianer, die splitternackt den Urwald durchzogen und mit vergifteten Pfeilen auf Jagd gingen.

»Es gibt noch Kopfjäger darunter!« sagte Jörge mit hohler Stimme, als er sah, daß sich Hermann unangefochten mit noch mehr Beefsteak und Rotwein versah.

»Sie glauben wohl, ich übertreibe«, setzte er geheimnisvoll hinzu, »aber trotz aller strengen Verbote gibt es noch genug Leute, die davon leben, eingeschrumpfte Menschenköpfe zu verkaufen. Es ist leider nicht möglich, das zu kontrollieren. So kommt es fast täglich vor, daß die Waldindianer ihren Feinden unter den anderen umherziehenden Stämmen den Kopf abschneiden. Sie zertrümmern und entfernen die Schädelknochen und füllen die leere Haut mit glühheißem Sand, so daß der Zeitgenosse einschrumpft, ohne dabei seine Form und seine Gesichtszüge zu verlieren, bis er nur mehr die Größe eines Katzenkopfes hat. Solche eingeschrumpfte Feindesköpfe waren einmal kostbare Trophäen, jetzt sind sie eine seltene Schmugglerware. Zwischenmänner unter den Halbblutindianern sorgen dafür, daß sie bei den Aufkäufern unten an der Küste landen, die sie den Touristen zu schwindelnden Preisen verkaufen.«

Jörge sah uns triumphierend an. Wenn er jetzt noch gewußt hätte, daß Hermann und ich am selben Tag in ein Vorhaus gezogen worden waren, wo man uns zwei solcher Köpfe um 1000 Sucres das Stück angeboten hatte! Heutzutage sind solche Schädel oft Fälschungen, die aus Affenköpfen hergestellt werden. Aber die beiden angebotenen waren sicher echte Köpfe von Vollblutindianern und so naturgetreu, daß jeder einzelne kleine Zug bewahrt schien. Es waren die Schädel eines Mannes und einer Frau, beide so groß wie Apfelsinen. Den ihren konnte man sogar schön nennen, wenn auch nur die Augenwimpern und das lange schwarze Haar ihre natürlichen Maße bewahrt hatten. Mir graute jetzt noch, wenn ich daran dachte, aber laut äußerte ich meinen Zweifel, daß es Kopfjäger im Westen der Berge gäbe.

»Kann man nie wissen«, sagte Jörge düster. »Was würden Sie sagen, wenn ein guter Freund von Ihnen verschwunden wäre, und sein Kopf käme in Miniatur auf den Markt? Das geschah mir einmal mit einem meiner Freunde«, fügte er hinzu und blickte mich starr an.

»Erzählen Sie doch«, sagte Hermann und kaute langsam und ohne besonderen Appetit an seinem Beefsteak.

Ich legte die Gabel vorsichtig zur Seite, als Jörge begann: Er lebte einmal mit seiner Frau auf einem entlegenen Posten im Dschungel, wo er Gold wusch und den Gewinn der anderen Goldwäscher aufkaufte. Die Familie hatte damals einen eingeborenen Freund, der regelmäßig mit seinem Gold kam, um es gegen Handelsware einzutauschen. Eines schönen Tages wurde der Freund im Dschungel umgebracht. Jörge spürte den Mörder auf und wollte ihn zur Strafe erschießen. Nun war aber der Mörder einer von denen, die im Verdacht standen, eingeschrumpfte Menschenköpfe zu verkaufen. So versprach Jörge ihm das Leben, wenn er ihm augenblicklich den Schädel auslieferte. Sofort kam der Indianer mit dem Kopf von Jörges Freund, der allerdings nur noch faustgroß war. Jörge war sehr gerührt, seinen Freund so wiederzusehen, denn er war ganz unverändert, natürlich davon abgesehen, daß er etwas kleiner geworden war. Bewegt nahm er das winzige Haupt entgegen und brachte es seiner Frau nach Hause. Die fiel in Ohnmacht als sie es sah, so daß Jörge seinen Freund in einen Koffer verschwinden lassen mußte. Nun war es jedoch im Dschungel so feucht, daß ganze Bärte von grünem Schimmel auf dem Schädel wuchsen, und so mußte Jörge ihn ab und zu hervorholen und an der Sonne trocknen. Hier hing er dann für eine Weile und pendelte an seinen langen Haaren. Seiner Gattin wurde es jedesmal übel, wenn sie ihn zu sehen bekam. Eines schönen Tages allerdings fraß sich eine Maus in den Koffer und richtete den armen Freund übel her. Das war nun ein großer Schmerz für Jörge, der ihn alsdann mit allem erforderlichen Zeremoniell in einem winzig kleinen Loch am Flugplatz feierlich begrub. »Denn er war ja schließlich doch einmal ein menschliches Wesen«, schloß Jörge.

»Gesegnete Mahlzeit!« sagte ich.

Als wir im Nachtdunkel nach Hause gingen, plagte mich die unbehagliche Vorstellung, daß Hermanns Hut ihm furchtbar weit über die Ohren hinge. Aber vielleicht hatte er ihn nur wegen des kühlen Nachtwindes, der von den Anden herabwehte, so weit herabgezogen.

Am nächsten Tag saßen wir bei unserem Generalkonsul Bryhn und seiner Frau unter den Eukalyptusbäumen draußen auf deren großer Hazienda vor der Stadt. Bryhn glaubte zwar kaum, daß wir auf unserer geplanten Dschungeltour nach Quevedo zu einer so drastischen Veränderung unserer Hutnummer genötigt würden, aber man konnte schließlich nie wissen! Es gab genug Räuber in den Gegenden, wohin wir zu fahren gedachten. Der Generalkonsul hatte aus den Lokalblättern Mitteilungen ausgeschnitten, die verkündeten, daß in der Trockenzeit Soldaten ausgeschickt werden sollten, um die Bandidos auszurotten, die sich in der Gegend um Quevedo aufhielten. Dorthin zu reisen, wäre der reinste Wahnsinn, meinte er, und wir würden auch niemals Führer und Unterstützung für die Tour bekommen. Im Verlauf des Gesprächs sahen wir aber einen Jeep von der amerikanischen Militärdelegation draußen auf der Straße vorbeijagen, und im selben Augenblick hatten wir auch schon einen Plan gefaßt. Lebhaft vom Generalkonsul bedauert, begaben wir uns auf die amerikanische Gesandtschaft, wo es uns gelang, zum Militärattache persönlich vorzudringen. Der war ein schlanker, geschmeidiger junger Mann in Khaki und Reitstiefeln, der uns lachend fragte, wie wir uns in die Gipfel der Anden verirrt hätten, während die Lokalblätter von uns behaupteten, wir wollten mit einem Floß in See stechen.

Wir erklärten ihm nun, unser Floß stecke vorläufig noch mit seinen Wurzeln im Quevedo-Dschungel, und wir säßen nun hier auf dem Dach des Kontinents und könnten es nicht erreichen. Wir forderten daher den Militärattache auf, uns unverzüglich entweder ein Flugzeug und zwei Fallschirme oder einen Jeep und einen Chauffeur mit Ortskenntnissen zu borgen. Der Militärattache war zuerst ganz verdutzt über unsere Frechheit, dann ließ er sich die Geschichte durch den Kopf gehen und sagte mit einem Lächeln: »All right!« Nachdem wir ihm keine dritte Alternative geben wollten, zöge er es vor, die zweite zu wählen.

Ein Viertel über fünf am nächsten Morgen rollte ein Jeep vor unseren Hoteleingang, und ein ecuadorischer Ingenieurkapitän sprang heraus ins Dunkel und meldete sich zu Diensten. Er hatte - Schlamm hin, Schlamm her - den Befehl, uns nach Quevedo zu fahren. Der Jeep war mit Benzinkannen vollgestopft, denn es gab kaum Radspuren, geschweige denn Tankstellen längs des ganzen Weges, den wir fahren wollten. Auf Grund der Meldungen über die Bandidos war unser neuer Freund, der Kapitän Agurto Alexis Alvarez, bis zu den Zähnen mit Dolchen und Schießeisen bewaffnet. Nun waren wir jedoch ganz friedfertig ins Land gekommen, in Jacke und Schlips, um für gutes Geld unten an der Küste Stämme zu kaufen, so daß unsere ganze Ausrüstung an Bord des Jeeps nur aus einem wasserdichten Kleidersack bestand, abgesehen davon, daß wir in aller Eile uns noch eine gebrauchte Kamera und jeder die unumgängliche Khakihose beschafft hatten. Darüber hinaus hatte uns dann der Generalkonsul noch seine schweren Parabellum Revolver angehängt samt reichlicher Munition, um alles auszurotten, was unseren Weg kreuzen sollte.

So sauste denn der Jeep los durch die menschenleeren, engen und winkligen Durchgänge, und das Mondlicht leuchtete spukhaft auf den weißgekalkten Adobewänden. Schließlich kamen wir aufs offene Land hinaus, wo wir in rasender Fahrt einen guten Sandweg nach Süden auf die Bergketten zu verfolgten.

Der Weg blieb gut über den ganzen Höhenzug bis zu dem Bergdorf Latakunga, wo sich auf einer mit Palmen bestandenen Ebene fensterlose Indianerhäuser wie blind um eine weißgekalkte Kirche scharten. Hier bogen wir in einen Saumpfad ein, der sich mit vielen Windungen nach Westen über Berg und Tal in die Andenketten hineinschlängelte. Wir kamen in eine Welt, die zu erleben wir uns nie hätten träumen lassen. Es war die ureigenste Welt der Bergindiander, ein Märchenland jenseits von Zeit und Raum. Auf der ganzen Fahrt sahen wir weder Wagen noch Rad. Bloßfüßige Hirten, die, in farbenreiche Ponchos gehüllt, verwirrte Herden von steifbeinigen, würdigen Lamas vor sich hertrieben, stellten den ganzen Verkehr dar. Manchmal kamen auch Indianer familienweise die Straße entlang. Der Mann ritt meist selbstherrlich auf einem Maultier voraus, während seine kleine Frau mit ihrer ganzen Sammlung von Hüten auf dem Kopf und dem Jüngsten der Familie auf dem Rücken hinterhertrippelte und dabei unterm Gehen noch mit flinken Fingern Wolle spann. Hinterdrein trotteten bedächtig Esel und Maultiere, beladen mit Flechtwerk, Binsen und Töpferwaren.

Je länger wir fuhren, desto weniger Indianer verstanden Spanisch, und bald waren Agurtos Sprachkenntnisse ebenso nutzlos wie unsere eigenen. Hie und da lag eine Schar von Hütten oben auf den Bergen. Nur noch selten waren sie aus Lehm gebaut und häufig und immer häufiger aus Büscheln von getrocknetem Gras zusammengesetzt. Es schien, als seien sowohl die Hütten als auch das braungebrannte, zerknitterte Volk, das sie bewohnte, derselben Erde entwachsen, dem kargen Andenboden, auf dem die Bergsonne glühte. Sie gehörten zu Erde und Fels, so natürlich wie die Pflanzen selbst. Arm an irdischen Gütern und klein von Wuchs, haben die Bergindianer die zähe Gesundheit des Wildes und den wachen Kindersinn der Naturmenschen. Je weniger sie mit uns sprechen konnten, desto fröhlicher lachten sie uns an. Strahlende Augen und schneeweiße Zähne leuchteten uns aus allen Gesichtern, die wir sahen, entgegen. Nichts erinnerte daran, daß ein weißer Mann in diesen Gegenden je Geld verloren oder verdient hatte. Hier gab es weder Reklameschilder noch Wegweiser, und wenn wir eine Blechbüchse oder einen Fetzen Papier an den Straßenrand warfen, so wurden sie gleich als brauchbares Hausgerät aufgesammelt.

Wir fuhren über sonnenverbrannte Hänge ohne Busch oder Baum und wieder hinunter in Täler mit Wüstensand und Kakteen, bis wir noch höher kletterten und schließlich den obersten Kamm erreichten. Schneefelder umgaben uns, und der Wind war so beißend kalt, daß wir, wollten wir nicht zu Eiszapfen erstarren, die Fahrt verlangsamen mußten. So saßen wir frierend in unseren Hemden und sehnten uns nach der Dschungelwärme. Aber wir mußten noch lange Strecken fahren, an den Kämmen entlang, über Steilhänge und Grasflecken, und immer wieder nach der nächsten Wegspur suchen. Als wir dann den Westabfall erreichten, wo die Andenkette unvermittelt hinab ins Tiefland stürzt, da war ein schmaler Saumpfad entlang der Abhänge in den brüchigen, lockeren Fels hineingeschlagen, und Schluchten und Abgründe umgaben uns allerorten. Wir setzten unser ganzes Vertrauen auf unseren Freund Agurto, der aussah, als würde er jeden Augenblick über dem Steuerrad einnicken. An allen Abgründen nahm er grundsätzlich die äußere Bahn. Plötzlich fuhr uns ein mächtiger Windstoß entgegen. Wir hatten den äußersten Höhenzug des Andenrückens erreicht, an dem der Fels in steilen Wänden abbricht, senkrecht hinunter in die Dschungeltiefe, die wir in einem bodenlosen Abgrund, viertausend Meter unter uns, ahnten. Aber wir wurden um den schwindelnden Ausblick über das Dschungelmeer betrogen, denn als wir den Abgrund erreichten, wälzten sich eben dicke Wolkenbänke herauf wie Dampf aus einem Hexenkessel. Dafür ging es nun ungehindert hinunter in die Tiefe, ständig bergab in steilen Kurven, an Schneiden und Graten entlang. Dabei wurde die Luft feuchter und wärmer und sättigte sich immer mehr mit dem schweren und erschlaffenden Treibhausdunst aus der Dschungelwelt da unten.

Dann begann der Regen, zuerst langsam, aber bald stürzte er nur so herunter und schlug mit Trommelschlagen auf den Jeep. Das Schokoladewasser rann bald rund um uns auf allen Seiten den Abhang hinunter. Wir flossen förmlich mit hinab. Von den trockenen und kahlen Bergflanken hinter uns kamen wir in eine andere Welt, wo Stock und Stein und Lehmwände überquollen von Moos und grünen Pflanzen. Blätter schossen nur so in die Luft. Bald wurden sie zu mächtigen Riesenfächern, die wie grüne Regenschirme tropfnaß über den Berg hinaushingen. Dann kamen die ersten gebrechlichen Vorposten des Dschungels, behängt mit schweren Moosfransen, Bärten und Schlingpflanzen. Und über alles gluckste und rauschte es dahin. Wegspuren waren kaum noch zu sehen. Eine Armee von grünen Riesengewächsen wälzte sich uns entgegen und verschluckte den winzigen Jeep, der nur mehr langsam auf dem schlammerfüllten Weg weiterplatschte. Jetzt waren wir im Dschungel, und die Luft war beklemmend und gesättigt mit Pflanzenduft.

Als die Dunkelheit einbrach, erreichten wir eine Gruppe von palmengedeckten Hütten. Klatschnaß vom warmen Wasser, versorgten wir den Jeep unter einem trockenen Dach. Was unsere armen Körper in der Nacht an stechenden Schmarotzern sammelten, ertrank erfreulicher weise am nächsten Tag wieder im Regen. Den Jeep mit Bananen und Südfrüchten beladen, ging es weiter durch den Dschungel, tiefer und tiefer hinunter, unserer Meinung zum Trotz, daß wir schon längst am Grunde der Tiefe sein mußten. Der Schlamm wurde immer arger, aber das bekümmerte uns nicht, und die Räuber hielten sich in unbekanntem Abstand.

Erst als der Weg durch einen breiten Fluß versperrt war, der sein lehmiges Wasser durch den Dschungel walzte, mußte der Jeep kapitulieren. Hier saßen wir nun fest und konnten nach keiner Richtung am Strombett entlangfahren. Auf einer Rodung fanden wir schließlich eine Hütte, an deren Sonnenseite soeben einige Halbblutindianer ein Jaguarfell ausspannten. Daneben taten sich Hunde und Hühner an Kakaobohnen gütlich, die zum Trocknen ausgebreitet waren. Als der Jeep herankroch, kam Leben ins Bild. Alles lief zusammen, und ein paar Leute, die Spanisch sprachen, erklärten uns, daß wir am Palenque-Fluß standen, und daß Quevedo gleich auf der anderen Seite lag. Es gab keine Brücke hier, und der Wasserlauf war reißend und tief. Die Indianer aber waren gerne bereit, uns und den Jeep auf einem Floß überzusetzen. Am Ufer drunten lag das Weltwunder. Armdicke Stämme waren mit Bambus und Pflanzenfasern zu einer Art Floß zusammengebunden, doppelt so lang und so breit wie unser Jeep. Eine Planke unter jedem Rad, und mit angehaltenem Atem fuhren wir den Jeep hinaus auf das Balkenwerk. Wenngleich die meisten Balken im Schlammwasser untertauchten, so trugen sie dennoch den Jeep und uns und noch vier halbnackte Schokoladenmänner, die uns mit langen Stangen hinausstakten.

»Balsa?« fragten Hermann und ich wie aus einem Munde.


Die „Kon-Tiki" klar zum Start im Hafen von Callao. Als getreue Kopie der historischen Indianerfahrzeuge, die den Stillen Ozean vor der Küste von Peru und Ecuador befahren haben, ist das Floß mit einer offenen Bambushütte am Achterdeck und einem Raasegel zwischen zwei zusammengebundenen Masten ausgestattet. Wir tauften es zu Ehren des Sonnengottes auf den Namen „Kon-Tiki".

Mit vollen Segeln auf schwerer See. Wir haben eine bittere Lehrzeit draußen im Humboldtstrom. Die letzten Meister im Floßsegeln, die es uns hätten lehren können, sind ja schon seit vielen hundert Jahren tot.

»Balsa«, nickte einer von den Kerlen und gab den Stämmen respektlos einen Fußtritt.

Die Strömung ergriff uns und wirbelte uns den Fluß hinunter, während die Leute an den richtigen Stellen stakten und so das Floß in Kurs hielten, schräg über den Strom hinüber und in das stillere Wasser auf der anderen Seite hinein. Das war unsere erste Begegnung mit dem Balsaholz und unsere erste Fahrt auf einem Balsafloß.

Am anderen Ufer zogen wir das Floß an Land und fuhren triumphierend in Quevedo ein. Zwei Reihen von geteerten Holzhäusern mit bewegungslosen Geiern auf den Palmendächern bildeten eine Art Straße, die die ganze Ortschaft ausmachte. Die Bevölkerung ließ alles, was sie in Händen hatte, liegen und stehen, und Schwarze und Braune, Junge und Alte quollen förmlich aus Türen und Fenstern. Wie ein reißender Strom von tausend plappernden Zungen wälzten sie sich dem Jeep entgegen und hängten sich wie die Kletten auf allen Seiten an ihn. Während wir verzweifelt unser irdisches Eigentum zusammenhielten und Aguarto heroisch um das Steuer kämpfte, ging unserem Jeep die Luft aus, und er sank pfeifend in die Knie. Wir waren in Quevedo angekommen und mußten die Empfangsumarmung aushalten.

Don Federicos Plantage lag noch ein Stück weiter den Fluß hinunter. Als der Jeep mit Agurto, Hermann und mir entlang einem Wege zwischen Mangobäumen in den Hof hineingehumpelt kam, lief uns der kleine, zaundürre Dschungelbewohner mit seinem Neffen Angel schon in raschen Sprüngen entgegen. Angel war noch ein Bub und hauste mit dem Alten zusammen hier in der Einsamkeit. Wir überbrachten Grüße von Don Gustavo, und bald stand der Jeep allein auf dem Hofplatz, während ein neuer Tropenregenschauer über den Dschungel niederprasselte. Für uns aber gab es ein Fest im Bungalow Don Federicos, bei dem Spanferkel und junge Hühner über dem offenen Feuer brieten, während wir um überquellende Schalen mit Südfrüchten saßen und unser Anliegen vorbrachten. Der Dschungelregen, der draußen niederging, sandte eine warme, süße Mischung von Blumenduft und Moder durch die Fensteröffnung herein.

Don Federico war lebhaft wie ein kleiner Bub. Ja, Balsaflöße habe er schon seit seinen ersten Hosen gekannt, sagte er. Vor fünfzig Jahren, als er unten am Meere wohnte, kamen die Indianer von Peru noch immer auf großen Balsaflößen die Küste heraufgesegelt, um in Guayaquil Fische zu verkaufen. Sie konnten ein paar Tonnen getrockneten Fisch in einer Bambushütte mitten auf dem Floß mitbringen, oder sie hatten Frauen und Kinder, Hunde und Hühner an Bord. So große Balsabäume, wie sie damals zu den Flößen verwendet hatten, würden jetzt allerdings im Regen nur schwer zu finden sein. Schlamm und Überschwemmung hatten bereits die Balsaplantage oben in den Bergen selbst zu Pferde unzugänglich gemacht. Aber Don Federico würde sein Bestes tun. Vielleicht wuchsen noch einzelne Bäume wild im Wald, näher am Bungalow. Wir brauchten ja nicht viele.

Abends hörte der Regen einen Augenblick auf, und wir machten einen kleinen Ausflug unter die nächsten Mangobäume. Hier hatte Don Federico die verschiedensten wilden Orchideen von den Ästen niederhängen, in halbe Kokosschalen wie in Blumentöpfen gepflanzt. Im Gegensatz zu den kultivierten Orchideen kam ein wunderbarer Duft von diesen seltenen Pflanzen, und Hermann beugte sich herunter, um sein Nase in eine hineinzustecken, als etwas Langes, Dünnes und Glitzerndes sich aus dem Laubwerk über ihm herauswand. Wie ein Blitz fuhr ein Peitschenschlag Angels dazwischen, und eine Schlange fiel zuckend zu Boden. Im nächsten Augenblick war sie mit einer Astgabel über den Nacken an die Erde geheftet und ihr der Kopf zerschlagen.

»Tödlich«, sagte Angel und entblößte die krummen Giftzähne, um zu zeigen, was er meinte.

Nun sahen wir allerorten Giftschlangen im Laubwerk lauern. Angels Trophäe leblos über einen Stecken gehängt, traten wir den Rückzug ins Haus an. Hermann begann das grüne Scheusal abzuhäuten, und Don Federico erzählte reine Gespenstergeschichten von Giftschlangen und Riesenschlangen, so dick wie Suppentöpfe. Plötzlich erblickten wir an der Wand die Schatten zweier enormer Skorpione, die sich dort wie richtiggehende Hummer ausnahmen. Sie stürzten sich aufeinander und trugen mit ihren Scheren einen tödlichen Kampf aus, während sie den krummen Giftstachel am Ende des Unterleibes zum Todesstoß erhoben. Es war ein unsympathischer Anblick, und erst als wir die Paraffinlampe hoben, sahen wir, daß zwei gewöhnliche Skorpione diese übernatürlichen Riesenschatten hervorgerufen hatten, die auf der Kante der Kommode im Kampf lagen.

»Laßt sie nur in Ruhe«, lachte Don Federico, »der eine bringt schon den anderen um, und den überlebenden dulden wir im Haus. Er muß uns die Kakerlaken vom Hals halten. Aber schließt ja das Moskitonetz dicht um das Bett und schüttelt die Kleider aus, bevor ihr sie anzieht, dann seid ihr sicher. Ich wurde schon viele Male von Skorpionen gestochen und bin noch immer nicht tot.«

So schlief ich dann auch gut und erwachte nur dann und wann mit dem Gedanken an giftige Stiche, wenn Vierbeiner oder Fledermäuse allzu beunruhigend an meinem Kopfende zirpten und kratzten.

Am nächsten Morgen standen wir zeitig auf, um auf die Jagd nach Balsabäumen zu gehen.

»Es ist von Vorteil, die Kleider auszuschütteln«, sagte Agurto, gleichzeitig fiel ein Skorpion aus seinem Hemdärmel und verschwand in einer Bodenritze.

Kurz nach Sonnenaufgang sandte Don Federico seine Männer hoch zu Roß in alle Richtungen, um nach zugänglichen Balsabäumen entlang der Wege zu suchen. Unsere eigene Patrouille bestand aus Don Federico, Hermann und mir. Wir fanden auch bald auf einer offenen Stelle einen alten Riesenbaum, der Don Federico bekannt war. Der reichte weit über alle Bäume im Umkreis hinaus und maß seine drei Fuß im Querschnitt. Nach gut polynesischer Sitte tauften wir den Baum, bevor wir Hand an ihn legten. Wir gaben ihm den Namen »Ku« nach einer polynesischen Gottheit amerikanischer Herkunft. Dann schwangen wir das Beil und trieben es in den Stamm, daß es durch den Urwald hallte. Aber einen saftstrotzenden Balsabaum zu fällen, war eine Hundearbeit. Das Holz federte, als würde man mit einem stumpfen Beil auf Kork schlagen. Die Axt prellte förmlich zurück, und ich hatte noch nicht allzuviel Hiebe getan, als Hermann mich schon ablösen mußte. So wanderte das Beil zwischen uns hin und her, während die Splitter flogen und der Schweiß in der Dschungelhitze nur so floß. »Ku« stand hinaus in die Luft wie ein Hahn auf einem Bein und zitterte unter den Schlägen. Bald schwankte er und brach schwer über den Wald herein, während in weitem Umkreis große Äste und kleine Bäume in den Fall des Riesen mit hineingezogen wurden. Wir entästeten den Stamm und begannen die Rinde Zickzack auf Indianermanier zu entfernen, als Hermann plötzlich das Beil fahren ließ und in die Luft sprang wie in einem polynesischen Kriegstanz, die Hand auf seinen Schenkel gedrückt. Aus dem Hosenbein fiel ein glänzendes Insekt, groß wie ein Skorpion mit einem langen Giftstachel am Ende. Das Biest mußte eine Schale wie ein Hummer haben, denn es war fast unmöglich, es am Boden zu zertreten.

»Ein Kongo«, erklärte Don Federico bedauernd, »das kleine Schwein ist schlimmer als ein Skorpion, aber nicht gefährlich für einen gesunden Mann.«

Hermann war einige Tage lang mürb und steif. Aber er konnte doch mit uns auf Jagd nach weiteren Balsariesen zu Pferd die Dschungelwege entlanggaloppieren. Ab und zu hörten wir Knacken und Brechen, ein dumpfes Dröhnen weiter drinnen im Urwald. Don Federico nickte zufrieden. Das waren seine Halbblutindianer, die einen neuen Balsariesen für das Floß gefällt hatten. Und in einer Woche waren »Ku« die Bäume »Kane«, »Kama«, »Ilo«, »Mauri«, »Ra«, »Rangi«, »Papa«, »Taranga«, »Kura«, »Kukara« und »Hiti« nachgefolgt, zusammen zwölf mächtige Balsariesen, alle getauft zu Ehren der polynesischen Sagenfiguren, deren Namen einmal mit Tiki von Peru übers Meer gebracht worden waren. Saftglänzend wurden die Stämme durch den Dschungel gezogen, zuerst von Pferden und das letzte Stück von Don Gustavos Traktor, der sie bis an die Uferböschung vor dem Bungalow brachte.

So voller Saft waren die Stämme keineswegs leicht wie Kork. Jeder wog sicher eine Tonne, und wir erwarteten mit großer Spannung, wie sie im Wasser schwimmen würden. Wir rollten sie einzeln an die Kante der Böschung, wo wir Seile aus zähen Schlingpflanzen an ihre Ende banden, damit sie uns nicht mit dem Strom davontrieben, wenn wir sie hinunterkippten. Einen nach dem anderen rollten wir sie dann über die Böschung hinab und in den Fluß hinein, so daß große Schlammfontänen in die Höhe schössen. Sie wälzten sich herum. Als sie sich beruhigt hatten, lagen sie etwa zur Hälfte über der Wasserfläche und rührten sich auch nicht mehr, als wir hinausbalancierten. Mit zähen Lianen, wie sie von den Kronen der Dschungelbäume herabhingen, banden wir die Stämme zu zwei mittelgroßen Flößen zusammen, so daß das eine im Schlepp hinter dem anderen hing. Wir beluden sie mit dem, was wir später an Bambus und Lianen brauchen würden, und dann gingen Hermann und ich an Bord, zusammen mit zwei Männern einer geheimnisvollen Mischrasse, mit denen wir leider keinerlei Sprache gemeinsam hatten.

Als wir die Vertäuungen kappten, wurden wir von den wirbelnden Wassermassen erfaßt und zogen in rascher Fahrt den Fluß hinunter. Das letzte, was wir im Duschregen sahen, bevor wir die erste Kurve rundeten, waren unsere prächtigen Freunde, die noch weit draußen auf der Landzunge vor dem Bungalow standen. Dann krochen wir unter ein kleines Regendach von frischen Bananenblättern und überließen die Probleme der Steuerung unseren braunen Experten, deren einer sich vorne, der andere hinten aufgebaut hatte. Mit ihren gewaltigen Rudern beherrschten sie das Floß mit spielender Leichtigkeit, auch in der reißendsten Strömung. So tanzten wir zwischen versunkenen Bäumen und Sandbänken in eleganten Kurven hinunter.

Wie eine geschlossene Mauer stand der Dschungel auf beiden Seiten die Ufer entlang, und Papageien und farbenreiche Vögel schreckten aus dem dichten Laubwerk auf, wenn wir vorbeizogen. Ein paarmal warf sich ein Alligator in den Fluß und verschwand im Schlammwasser. Aber bald bekamen wir noch ein viel merkwürdigeres Ungetüm zu Gesicht. Es war dies eine Rieseneidechse, eine Iguana, groß wie ein Krokodil, mit schwerem Kehlsack und ausgezacktem Rücken. Es lag und döste auf der Schlammbank, als hätte es sich aus prähistorischer Zeit verschlafen, und rührte sich nicht, als wir vorbeiglitten. Die Ruderer machten uns Zeichen, nicht zu schießen. Kurz darauf sahen wir ein kleineres Exemplar, immer noch meterlang. Es kroch einen dicken Ast entlang, der über den Fluß hinaushing. Dort droben lag es in Sicherheit, glänzend blau und grün, und fixierte uns mit kalten Schlangenaugen, als wir vorbeitrieben. Später kamen wir an einem dicht mit Farnkraut überwachsenen Felsen vorüber, und auf der Spitze lag das größte von allen. Wie die Silhouette eines zackigen chinesischen Drachen, phantastisch in Stein gehauen, Brust und Schädel erhoben, zeichnete es sich unbeweglich gegen den Himmel ab. Es bewegte nicht einmal den Kopf, während wir den Felsen rundeten und wieder im Dschungel verschwanden.

Später rochen wir Rauch und glitten an mehreren strohgedeckten Hütten vorüber, die in den Rodungen längs des Flusses lagen. Wir auf dem Floß waren der Gegenstand intensiver Aufmerksamkeit seitens der verdächtigen Individuen an Land, einer ganz unangenehmen Mischung von Indianern, Negern und Spaniern. Ihre Fahrzeuge waren Einbäume, die hochgezogen am trockenen Strand lagen.

Zu den Mahlzeiten lösten wir unsere Freunde am Steuerruder ab. Über einem kleinen Feuer, von nassem Lehm gebändigt, brieten sie Fisch und Brotfrucht. Gebratenes Huhn, Eier und Südfrüchte waren ein anderer Teil des Menüs an Bord.

Und unablässig trugen die Stämme sich und uns in einem rasenden Tempo durch den Dschungel stromab auf dem Weg zum Meer. Was schadeten uns Schlamm und Überschwemmung, je höher der Fluß, desto rascher die Fahrt!

Als die Dunkelheit hereinbrach, begann ein beunruhigendes Konzert an den Ufern. Kröten und Frösche, Zikaden, Sirissen und Moskitos quakten, pfiffen und summten in einem anhaltenden und vielstimmigen Chor. Manchmal schnitt der Schrei einer Wildkatze durch das Dunkel, oft kreischten Vögel, die die nächtlichen Räuber des Dschungels aufgescheucht hatten. Seltener sahen wir den Feuerschein aus einer Eingeborenenhütte und hörten Geschrei und Hundegebell, während wir im nächtlichen Dunkel vorbeiglitten. Meist aber saßen wir allein mit dem Dschungelorchester unter den Sternen, bis uns Schlaf und Regen in die Blätterhütte trieben, wo wir einschliefen, die Pistolen griffbereit.

Je weiter wir den Fluß hinabkamen, desto dichter wurden die Hütten und Plantagen der Eingeborenen. Bald säumten ganze Dörfer das Ufer. Der Verkehr wurde auch hier von Einbäumen besorgt, die man mit langen Stangen vorwärtstrieb. Hie und da trafen wir ein kleines Balsafloß, beladen mit Bergen grüner Bananen.

Wo der Palenque-Fluß in den Rio Guayas mündet, war der Wasserstand so hoch geworden, daß eine lebhafte Schiffsverbindung mit Raddampfern zwischen Vinces und Guayaquil unten an der Küste bestand. Um Zeit zu sparen, verlegten Hermann und ich unsere Hängematte auf das Schiff, und so dampften wir durch das dicht besiedelte Tiefland an die Küste. Unsere braunen Freunde trieben allein mit dem Floß hinterher.

In Guayaquil mußten wir uns trennen. Hermann blieb an der Mündung des Guaya-Flusses zurück, um die Balsastämme in Empfang zu nehmen. Von hier sollte er sie mit dem Küstenschiff weiter nach Peru verfrachten und dort den Bau des Floßes leiten, das eine getreue Kopie von den alten Fahrzeugen der Indianer werden mußte. Ich selbst nahm das Postflugzeug nach Süden, Richtung Lima, der Hauptstadt von Peru, um einen passenden Bauplatz für das Floß ausfindig zu machen.

Der Flug führte mich in großer Höhe an der Küste des Stillen Ozeans entlang. Auf der einen Seite hatte ich die Felswüsten Perus, auf der anderen das blinkende Weltmeer. Von hier aus sollten wir mit dem Floß starten. Das Meer war schier endlos, wenn man es vom Flugzeug betrachtete. Längs einer unbestimmbaren Kontur verschmolzen Himmel und Meer weit drunten im Westen. Ich konnte mich nicht von dem Gedanken frei machen, daß selbst hinter dem Horizont noch Hunderte solcher Meeresflächen sich ausdehnten über ein Fünftel der Erdfläche hinweg, bis es wieder Land gab - in Polynesien. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wir in wenigen Wochen auf der winzigen Fläche eines Floßes geradewegs in das Blau da drunten hineintreiben würden.

Aber rasch schlug ich mir den Gedanken aus dem Kopf. Ich hatte dasselbe unangenehme Gefühl im Magen, das einen ergreift, der bereit sitzt, im Fallschirm auszusteigen.

Von Lima brachte mich der Zug nach Callao hinüber, der Hafenstadt, in der wir das Floß zu bauen gedachten. Man sah auf den ersten Blick, daß der ganze Hafen mit Schiffen, Kränen, Warenschuppen, Zollbuden und Hafenkontoren und allem, was sonst drum und dran hängt, vollgestopft war. Weiter draußen aber, am offenen Strand, wimmelte es von Badeleben. Wir hätten dem Floß und der Ausrüstung nicht einmal den Rücken zuwenden können, da hätten uns die Neugierigen schon Stück für Stück davongetragen. Die Zeiten hatten sich in Peru für Floßbaumeister noch stärker als in Ecuador verändert. Callao ist heute der wichtigste Hafen in einem Land mit sieben Millionen weißer und brauner Landeskinder. So sah ich nur eine einzige Möglichkeit vor mir: hinter die himmelhohen Betonmauern des Marinehafens zu gelangen, wo Seesoldaten an den Eisentoren Wache hielten und mit beängstigendem Mißtrauen mich wie jeden anderen Unwillkommenen beäugten, der außen an den Mauern vorbeistrolchte. Konnte man da hineingelangen, dann war man endlich in einem sicheren Hafen.

Ich hatte den Marineattache von Peru in Washington getroffen und von ihm einen Empfehlungsbrief erhalten. Diesen Brief in der Hand, ging ich am nächsten Morgen ins Marineministerium und suchte um Audienz bei dem Marineminister Manuel Nieto nach. Er empfing mich am nächsten Vormittag in dem eleganten Empiresaal des Ministeriums, der von Vergoldungen und Spiegeln prangte. Nach einem Augenblick des Wartens erschien der Marineminister in voller Uniform, ein kurzer, breitgebauter Offizier, stramm wie Napoleon, mit einer scharfen und präzisen Redeweise. Es gab ein Warum von ihm und eine Erklärung von mir. Ich bat ihn, ein Floß in der Marinewerft bauen zu dürfen.

»Junger Mann«, sagte der Minister und trommelte ungeduldig mit den Fingern, »Sie sind leider durchs Fenster statt durch die Türe gekommen. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber dafür brauche ich eine Order vom Außenminister, ich kann keinesfalls ohne weiteres einen Ausländer in das Sperrgebiet der Marine hineinlassen und ihn über die Werft verfügen lassen. Aber ich wünsche Ihnen viel Glück zu einem schriftlichen Ansuchen beim Auswärtigen Amt.«

Ich dachte mit Schrecken an Gesuche, die so lange weitergereicht wurden, bis sie ins Blaue verschwanden. Glücklicher waren Kon-Tikis rauhe Zeiten, als Eingaben noch unbekannt waren.

Eine Audienz beim Außenminister zu erreichen, war wesentlich schwieriger. Norwegen hatte keine Delegation in Peru, und unser hilfsbereiter Generalkonsul Bahr konnte mich daher nur in die subalternen Referate mitnehmen.

Ich fürchtete bereits, es würde alles im Sande verlaufen. Vielleicht konnte mir Dr. Cohens Brief an den Präsidenten der Republik von Nutzen sein. So ersuchte ich durch die Adjutantur um eine Audienz bei Seiner Exzellenz Don Jose Bustamante Rivero, dem Präsidenten von Peru. Einige Tage später bekam ich Bescheid, mich mit Schlag zwölf im Palaste einzufinden.

Lima ist eine moderne Stadt mit einer halben Million Einwohner und liegt auf einer grünen Ebene am Fuße der Bergwüsten. Sie ist in ihrer Architektur und vor allem in ihren öffentlichen Gärten und Anlagen eine der schönsten Hauptstädte der Welt, ein Stück moderner Riviera oder Kalifornien, mit einem Schuß altspanischer Architektur versetzt. Der Palast des Präsidenten liegt mitten in der Stadt und wird von bewaffneten Paradeposten in farbenprächtigen Kostümen gründlich bewacht. Eine Audienz in Peru ist eine ernste Angelegenheit, und die meisten Bürger kennen den Präsidenten nur aus der Wochenschau. Soldaten mit leuchtenden Schärpen führten mich die Treppe hinauf bis an das Ende eines langen Korridors, wo ich von drei Zivilisten registriert wurde, ehe ich durch eine kolossale Eichentür in einen Saal hineinschlüpfen durfte. Hier wurde ich an einem großen Tisch mit langen Stuhlreihen von einem Weißgekleideten empfangen, der mich einlud, Platz zu nehmen, während er selbst verschwand. Einen Augenblick später ging eine große Tür vor mir auf, und ich wurde in einen erheblich eleganteren Saal geführt, wo eine stattliche Gestalt in tadelloser Uniform mir entgegenkam. Der Präsident, dachte ich und riß mich zusammen. Aber keineswegs! Der Mann in der goldbetreßten Uniform bot mir einen altertümlichen Stuhl mit vornehm-steifer Rückenlehne an und verschwand. Einen Augenblick saß ich verloren auf der Sesselkante, als wieder eine Tür aufging und ein Diener mich in ein großes, vergoldetes Zimmer mit prachtvollen Möbeln von höchster Eleganz hineinkomplimentierte. Der Führer verschwand wieder so rasch, wie er gekommen war, und so saß ich denn wieder mutterseelenallein auf einem antiken Sofa und sah durch eine Flucht leerer Säle, deren Türen weit offenstanden. Es war so still, daß ich jemand mehrere Säle weiter husten hören konnte. Dann kamen wieder taktfeste Schritte. Ich sprang auf und grüßte zögernd einen stattlichen Herrn in Uniform. Aber nein, das war er natürlich auch nicht. Aber soweit ich ihn verstehen konnte, teilte er mir mit, daß mir der Präsident seine Grüße sende und gleich nach einem Ministerrat zu meiner Verfügung stehen würde.

Nach zehn Minuten gegenseitigen Schweigens wurden wir durch neuerliche, taktfeste Schritte unterbrochen, und auftauchte ein Mann mit Gold, Schnüren und Epauletten. Ich sprang rasch vom Sofa und legte eine tiefe Verbeugung hin. Mein Gegenüber verbeugte sich aber noch tiefer und führte mich durch mehrere Säle und schließlich über eine Treppe, belegt mit schweren Teppichen. Dann verließ er mich in einem winzigen Raum, in dem nur einige moderne Ledersessel und ein Sofa standen. Eintrat ein kleiner Mann, einmal wieder im weißen Anzug. Aufgeregt lauerte ich, wohin der mich zu führen gedächte. Aber diesmal führte er mich nirgends hin, grüßte nur freundlich und blieb stehen. Es war der Präsident Bustamante Rivero.

Der Präsident konnte gerade noch einmal soviel Englisch, wie ich Spanisch konnte, und so war nach der Begrüßung und nachdem er mir bedeutet hatte, Platz zu nehmen, unser gemeinsamer Wortvorrat aufgebraucht. Man kann zwar Verschiedenes mit Zeichen und Gebärden klarmachen, aber man kann auf diese Art nicht um Zugang in den Marinehafen von Peru bitten. Das einzige, was ich begriff, war, daß der Präsident nicht verstand, was ich sagte. Und das begriff er sichtlich noch rascher als ich selbst, denn nach kurzem Verlauf verschwand er und kam mit dem Luftfahrtminister wieder. Der Luftfahrtminister, General Reveredo, war ein fescher und sportlicher Mann in Fliegeruniform, Schwingen auf der Brust. Er sprach ein glänzendes Englisch mit amerikanischem Akzent. Ich entschuldigte mich für das Mißverständnis, ich hätte mich nicht um einen Flughafen, sondern um einen Floßhafen bemüht. Der General erklärte lächelnd, er sei nur als Dolmetsch beigezogen worden. Stück um Stück wurde unsere Theorie dem Präsidenten übersetzt, der interessiert zuhörte und mich einem gründlichen Verhör unterzog. Schließlich sagte er:

»Sicher ist es möglich, daß die Südseeinseln zuerst von Peru entdeckt wurden, damit ist die Expedition auch von Interesse für Peru. Können wir etwas für Sie tun, so geben Sie uns Bescheid.«

Ich bat nun, einen Platz zum Bau des Floßes innerhalb der Mauern der Kriegsmarine angewiesen zu bekommen. Ich bat ferner um Lagerplätze und Zugang zu den Werkstätten der Marine, um Erleichterungen bei der Einfuhr der Ausrüstung, um Erlaubnis, das Trockendock verwenden zu dürfen, um die Hilfe des Marinepersonals bei der Arbeit, schließlich um ein Fahrzeug, das uns beim Start von der Küste wegschleppen könnte.

»Worum hat er gebeten?« fragte der Präsident so gespannt, daß selbst ich es verstehen konnte.

»Bagatellen!« antwortete Reveredo mit einem Wort. Der Präsident nickte zufrieden sein Ja.

Bevor die Audienz aufgehoben wurde, versprach Reveredo, der Außenminister werde noch am selben Tag den eigenhändigen Befehl des Präsidenten erhalten, und Nieto bekäme freie Hand, uns in allem zu helfen, um was wir gebeten hatten.

»Gott beschütze Sie alle!« lachte der General und nickte mit dem Kopf. Der Adjutant begleitete mich bis zu dem wartenden Posten.

Die Zeitungen von Lima brachten an demselben Tag die Neuigkeit von der norwegischen Floßexpedition, die von Peru starten sollte, an dem sie auch schrieben, daß eine schwedisch-finnische wissenschaftliche Expedition ihre Studien unter den Dschungelindianern in der Amazonasgegend abgeschlossen hatte. Zwei von den schwedischen Teilnehmern dieser Expedition waren im Kanu den Amazonas hinauf nach Peru gefahren und waren so schließlich nach Lima gekommen. Der eine davon war Bengt Danielsson von der Universität Upsala, der jetzt die Bergindianer in Peru studieren wollte. Ich hatte die Notiz ausgeschnitten und saß im Hotel über einem Brief an Hermann betreffs des Bauplatzes, da wurde ich durch ein Klopfen an der Tür unterbrochen. Eintrat ein langer, sonnenverbrannter Mann im Tropenanzug, und als er den weißen Helm vom Kopf nahm, sah es so aus, als hätte der flammend rote Bart ihn im Gesicht verbrannt und ihm das Haar bis auf den blanken Kopf abgesengt. Der Kerl kam aus der Wildnis, aber zu Hause gehörte er in einen Lehrsaal.

Bengt Danielsson, dachte ich.

»Bengt Danielsson«, sagte der Mann und hatte sich damit vorgestellt.

Er hat wohl von unserem Floß gehört, dachte ich und bat ihn Platz zu nehmen.

»Ich habe gerade von Ihren Reiseplänen gehört«, sagte der Schwede.

Und jetzt kommt er als Fachethnologe daher, um meine Theorie niederzusäbeln, dachte ich. Aber da sagte der Schwede ganz friedlich: »Und jetzt komme ich, Sie zu fragen, ob Sie mich mitnehmen wollen. Ich bin an der Wanderungstheorie interessiert.«

Ich wußte nicht mehr von dem Mann, als daß er Wissenschaftler war und daß er direkt aus dem finsteren Dschungel daherkam. Aber wenn ein einzelner Schwede mutig genug war, sich mit fünf Nordleuten auf ein Floß zu begeben, so konnte er nicht von Pappe sein. Und selbst der imponierende Bart konnte das friedliche Wesen und den guten Humor des Mannes nicht verbergen.

Bengt wurde der sechste im Bunde, denn der Platz stand ja noch offen. Und er war der einzige von uns, der Spanisch sprach.

Als der Postflieger ein paar Tage später die Küste nach Norden brummte, sah ich von neuem respektvoll hinunter auf das endlose blaue Meer. Es sah aus, als würde es geradewegs in den Himmelsraum fließen. Dort unten, wo es so viel Wasser gab, daß es aussah, als wollte es über den Horizont überlaufen, würden wir demnächst zu sechst wie Mikroben auf einem Punkt vereinigt sein. Eine ganze, öde Welt würde uns umgeben, ohne daß wir uns auch nur ein paar Schritte voneinander entfernen konnten. Vorläufig hatten wir jedoch noch Spielraum genug. Hermann saß in Ecuador und wartete auf die Bäume. Knut Haugland und Torstein Raaby waren soeben im Flugzeug in New York gelandet. Erich Hesselberg saß auf einem Schiff von Oslo mit Kurs auf Panama. Ich selbst war mit dem Flugzeug unterwegs nach Washington, und Bengt saß im Hotel in Lima bereit und wartete auf die anderen.

Keine zwei von den Burschen hatten einander früher gesehen, und alle waren in ihrem Typ restlos verschieden. Auf diese Art konnten nämlich einige Wochen auf dem Floß vergehen, bevor sie ihrer gegenseitigen Geschichten müde wurden. Keine Sturmwolke mit Tiefdruck und Unwetter lag drohender vor uns als die Gefahr eines psychischen Schiffbruchs, wenn sechs Mann monatelang auf ein treibendes Floß beschränkt waren. Hier war ein guter Witz oft ebenso wichtig wie eine Schwimmweste.

In Washington gab es weiterhin beißende Winterkälte und hohen Schnee. Es war Februar, als ich zurückkam. Björn war auf das Radioproblem losgegangen und hatte mit Erfolg die amerikanischen Amateure interessiert, Rapporte und Meldungen des Floßes abzuhören. Knut und Torstein waren gerade dabei, die Verständigung vorzubereiten, die teils mit speziellen Kurzwellensendern vor sich gehen sollte, teils auch mit den Geheimsendern, wie sie die Sabotagekommandos während des Krieges gebrauchten. Tausend kleine und größere Dinge mußten bedacht werden, wenn wir das ausrichten wollten, was wir planten.

Der Papierberg im Archiv wuchs. Militärische und zivile Schreiben auf weiß, gelb und blau, auf englisch, spanisch, französisch und norwegisch. In unserem praktischen Zeitalter kann selbst eine Floßreise die Papierindustrie eine halbe Fichte kosten. Gesetze und Verfügungen banden uns an allen Ecken und Enden, und Knoten um Knoten mußte der Reihe nach gelöst werden.

»Möchte schwören, daß die Korrespondenz zehn Kilo wiegt«, sagte Knut ergeben eines Tages, als er wieder an der Schreibmaschine hing.

»Zwölf«, sagte Torstein trocken, »ich hab' sie gewogen.«

Meine Mutter muß eine klare Vorstellung von den Verhältnissen in diesen dramatischen Vorbereitungstagen gehabt haben, als sie schrieb: ».

. . und ich wünsche jetzt nur, ich wüßte, daß ihr alle sechs sicher an Bord des Floßes beisammen seid!«

Da kam ein Eiltelegramm von Lima. Hermann war von der Brandung an Land geschleudert worden und lag häßlich zusammengerichtet mit ausgerenktem Hals im Krankenhaus Lima in Behandlung.

Torstein Raaby wurde mit Gerd Vold, unserer populären Sportsekretärin aus den Londoner Kriegstagen, die uns jetzt in Washington half, rasch im Flugzeug hinuntergeschickt. Sie fanden ihn bereits gebessert, nachdem er dreißig Minuten mit dem Kopf in einer Schlinge aufgehängt worden war, so daß die Ärzte den Atlaswirbel wieder hatten einrenken können. Das Röntgenbild zeigte, daß dieser oberste freie Halswirbel gesprungen war und völlig quergestanden hatte.

Hermanns Bärengesundheit hatte ihm das Leben gerettet, und blau und grün, steif und rheumatisch war er bald wieder zurück im Marinearsenal, wo er jetzt endlich die Balsastämme beisammen hatte und die Arbeit begann. Er brauchte weiterhin ärztliche Behandlung durch viele Wochen, und es war zweifelhaft, ob er die Fahrt mitmachen konnte. Selbst zweifelte er nicht einen Augenblick daran, trotz seines Denkzettels beim ersten Zusammenstoß mit dem Pazifik.

Dann kamen Erich im Flugzeug von Panama, Knut und ich von Washington, und damit waren wir alle in der Startgruppe in Lima vereinigt.

Drunten im Marinearsenal lagen die großen Balsastämme aus dem Quevedo-Urwald. Es war geradezu ein rührender Anblick. Roh zugeschlagene Rundstämme, gelber Bambus, Binsen und grüne Bananenblätter lagen zuhauf als Baumaterialien mitten zwischen den Reihen dräuender, grauer U-Boote und Zerstörer. Sechs hellhäutige Nordländer und zwanzig braune Marinesoldaten mit Inkablut in den Adern schwangen Beile und lange Machetenmesser und spannten und knoteten an langen Tauen. Geschniegelte Marineoffiziere in Gelb und Blau schlenderten vorbei und betrachteten verständnislos diese bleichen Fremden und ihre vegetabilischen Materialien, die plötzlich ausgerechnet mitten unter sie ins Arsenal hereingeschlüpft waren.

Zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren war ein Balsafloß wieder in der Callao-Bucht im Bau. Dort, wo die Sage erzählt, daß die Küstenindianer zuerst solche Flöße von dem verschwundenen Geschlecht Kon-Tikis bauen lernten, dort weiß die Geschichte zu berichten, daß die Küstenindianer später von unserem Geschlecht davon abgebracht wurden, solche Flöße zu verwenden. Ein primitives und zerbrechliches Floß kann Menschen das Leben kosten. Die Verwandten der Inkas sind mit der Zeit gegangen, sie haben Bügelfalten in den Hosen und tragen steife Kragen. Bambus und Balsa sind Vergangenheit. Auch hier geht es vorwärts zu Panzer und Stahl!

Eine einzigartige Unterstützung bekamen wir durch das hypermoderne Arsenal. Mit Bengt als Dolmetscher und Hermann als Bauleiter verfügten wir über die Tischler- und Segelmacherwerkstätten sowie über das halbe Depot zur Lagerung unserer Ausrüstung und über einen kleinen Schwimmkran, der das Holz bei Baubeginn aufs Wasser hinaus hievte.

Neun der dicksten Stämme bildeten die Grundlage. Tiefe Kerben wurden in das Holz geschlagen, um den Tauen Widerlager zu geben, die sie und damit das ganze Floß zusammenhalten sollten. Nicht eine einzige Spieke, kein Nagel und keine Stahlseilzurrung wurde bei der ganzen Konstruktion benützt. Die neun großen Stämme wurden zuerst lose Seite an Seite ins Wasser gelegt, damit sie sich frei in ihre natürliche Schwimmstellung einspielen konnten, bevor sie endgültig zusammengezurrt wurden. Der größte Stamm, vierzehn Meter lang, wurde in der Mitte eingebaut und stand lang auf beiden Enden heraus. Daneben folgten symmetrisch immer kürzere Stämme, so daß die Seiten des Floßes zehn Meter lang wurden und der Bug wie ein stumpfer Pflug vorstand. Achtern war das Floß quer abgeschnitten, nur daß die drei mittelsten Stämme herausragten und die Unterlage für einen kurzen und dicken Balsaklotz bildeten, der quer lag und die Widerlager für das lange Steuerruder hielt. Als die neun Balsastämme solide mit verschiedenen Rollen von fünfviertelzolligen Hanftauen zusammengebunden waren, wurden die dünneren Balsastämme quer darüber festgebunden mit ungefähr einem Meter Zwischenraum. Damit war das Floß selbst fertig, mühsam zusammengezurrt mit fast dreihundert verschiedenen Taustücken, jedes mit einem soliden Knoten versehen. Ein Deck aus gespaltenem Bambus wurde darübergelegt, in Form von offenen Gittern festgebunden und mit losen Matten aus geflochtenem Bambusstroh belegt. Mitten auf dem Floß, aber naher dem Heck, bauten wir eine kleine offene Hütte aus Bambusrohr mit Wänden aus geflochtenem Bambusstroh und einem Dach aus Bambusstreben, gedeckt mit lederartigen Bananenblättern, die ziegelförmig übereinandergelegt wurden. Vor der Hütte pflanzten wir zwei Masten Seite an Seite. Sie waren aus eisenhartem Mangleholz und lehnten schräg gegeneinander. An der Spitze waren sie übers Kreuz zusammengebunden. Zwei Bambusstangen wurden sorgfältig zu einer Rah verbunden, die so das ganze vierkantige Segel mit doppelter Kraft tragen konnten.

Die neun großen Riesenstämme, die uns übers Meer tragen sollten, wurden vorher sorgfältig geglättet, damit sie das Wasser leicht durchschnitten. Niedrige Wellenbrecher befestigten wir über der Wasserfläche am Bug. An verschiedenen Stellen, wo große Zwischenräume zwischen den Stämmen waren, steckten wir insgesamt fünf solide Kiefernbretter durch, die senkrecht ins Wasser tauchten. Sie standen rundherum ohne System verteilt und reichten anderthalb Meter unter das Floß hinunter Sie waren einen Zoll dick und maßen ein paar Fuß in der Länge. Tauwerk und Keile hielten sie an ihrem Platz fest. Sie dienten als kleine parallele Kiele oder Schwerter. Solche Senkkiele wurden auf allen Balsaflößen der Inkazeit langst vor der Entdeckung benutzt und sollten verhindern, daß die flachen Flöße mit Wind und Wetter quertrieben. Wir machten weder Reling noch Gurten rund um das Floß, nur ein langer Balsastamm lag als Halt für die Füße an jeder Längsseite. Die ganze Konstruktion war eine getreue Kopie der alten Fahrzeuge in Peru und Ecuador mit Ausnahme der Wellenbrecher am Bug, die sich in der Folge auch als völlig überflüssig erwiesen. Abgesehen davon, stand es uns selbstverständlich frei, die Details an Bord nach unserem Geschmack zu arrangieren, solange das keinen Einfluß auf das Fahrzeug hatte. Wir wußten, daß dieses Floß in der Zeit, die vor uns lag, unsere ganze kleine Welt werden wurde und daß infolgedessen jede kleinste Kleinigkeit an Bord im Verlauf der Wochen an Dimension und Wichtigkeit wachsen wurde.

Deshalb gaben wir dem kleinen Verdeck so viel Abwechslung wie nur möglich. Der Bambus durfte nicht das ganze Floß bedecken, sondern bildete nur einen Fußboden vor und an Steuerbord der Hütte, da, wo die Wand frei blieb. Die Backbordseite der Hütte wurde als Hinterhof für Kisten und Ausrüstungsgegenstände verwendet, die hier festgebunden wurden. Darüber bauten wir einen schmalen Gehweg. Am Bug und achtern der Hütte lagen die neun Riesenstämme völlig unbedeckt. Wenn wir uns also rund um die Bambushütte bewegten, so stiegen wir vom gelben Bambus und Flechtwerk herunter auf die grauen Stämme am Achterdeck und wieder hinauf auf den Lastenstapel auf der anderen Seite. Das waren nicht viele Schritte, aber der psychologische Effekt der Unregelmäßigkeit gab uns Abwechslung und glich die so begrenzte Bewegungsfreiheit aus. Selbst oben in der Mastspitze brachten wir ein Holzbrett an, nicht so sehr, um einen Ausguckposten zu haben, wenn wir auf der anderen Seite des Meeres wieder an Land kamen, sondern um unterwegs emporklettern zu können und das Meer unter einem anderen Winkel zu sehen.


Oben: Kurs auf Polynesien. Selbst an den ruhigsten Tagen haben wir den Passat im Rücken und die Strömung mit uns. Sie treiben uns mit einem Tagesdurchschnitt von 79 km unaufhaltsam nach Westen.

Unten: Zwischen den Querbalken unter dem Bambusdeck liegt unser Proviant verstaut. Erwartungsvoll sitzt der Papagei auf dem Korb mit den Kokosnüssen.


Als das Floß Form anzunehmen begann und golden und frisch von reifem Bambus und grünen Blättern zwischen den Kriegsschiffen dalag, kam der Marineminister selbst zur Inspektion. Wir waren furchtbar stolz auf unser Fahrzeug, das wie ein frisches kleines Apropos aus der Inkazeit zwischen den großen, unheimlichen Marinefahrzeugen wirkte. Aber der Marineminister war über das, was er zu sehen bekam, entrüstet bis auf den Grund seiner Seele. Ich wurde ins Marineamt beordert, um einen Schrieb zu unterzeichnen, der die Marine von jeder Verantwortung für das, was wir in ihrem Hafen gebaut hatten, befreite. Anschließend wurde ich ins Marinegericht zitiert. Hier mußte ich unterschreiben, daß, wenn ich schon mit Menschen und Lasten an Bord in See stach, das vollständig auf eigene Verantwortung und eigenes Risiko geschah.

Später bekam eine ganze Reihe von ausländischen Marinefachleuten und Diplomaten Zugang zum Arsenal, um das Floß zu besichtigen. Das verlief auch nicht ermutigender, und ein paar Tage später wurde ich zu dem Gesandten einer Großmacht berufen.

»Leben Ihre Eltern?« fragte er, und da er eine bejahende Antwort erhielt, sah er mir tief in die Augen und sprach mit hohler und unheilverkündender Stimme:

»Ihre Mutter und Ihr Vater werden es sehr schwer nehmen, wenn sie die Nachricht von Ihrem Tod bekommen.«

Als Privatmann stellte er mir dann nochmals anheim, die Fahrt aufzugeben, solange es noch Zeit war. Ein Admiral, der das Floß besichtigt hatte, hatte ihm erzählt, daß wir niemals lebend hinüberkommen würden. Zum ersten hatte das Floß blödsinnige Dimensionen, es war klein genug, um in einem hohen Brecher zu kentern, aber andererseits war es genau lang genug, um gleichzeitig von zwei Wogenkämmen emporgehoben zu werden, und beladen mit Lasten und Menschen würden die spröden Balsastämme unter dem Druck brechen. Und was noch schlimmer war, des Landes größter Balsaexporteur hatte ihn aufgeklärt, daß die porösen Balsastämme nur den vierten Teil der Entfernung über das Meer schwimmen könnten. Völlig mit Wasser durchtränkt, müßten sie uns unter den Beinen wegsinken.

Das hörte sich schlimm an, aber da wir bei unserem Standpunkt blieben, bekamen wir eine Bibel verehrt, die wir mit auf die Fahrt nehmen sollten. Es war tatsächlich wenig Ermutigendes von den Fachleuten zu hören, die das Floß gesehen hatten. Sturm und vielleicht sogar Orkan würden uns über Bord waschen und dem niedrigen und offenen Fahrzeug ein Ende bereiten. Hilflos würde es von Wind und Wetter auf dem offenen Ozean herumgetrieben werden. Selbst ganz gewöhnlich daherplätschernde Wellen würden schon bewirken, daß wir dauernd von Salzwasser durchnäßt würden, was Haut und Knochen aufzehren und alles an Bord zerstören sollten. Wenn wir alles zusammentrugen, was die verschiedenen Fachleute jeder für sich als wesentlichen Fehler der Grundkonstruktion bezeichneten, so blieb nicht ein Tauende, ein Knoten, ein Maß oder ein Holzstück auf dem ganzen Floß, das nicht entscheidend zu unserem Untergang auf See führen sollte.

Das Wettfieber ging hoch, wie viele Tage unser Floß wohl halten würde, und ein leichtsinniger Marineattache verwettete allen Whisky, den die Mitglieder der Expedition für den Rest ihres Lebens trinken konnten, wenn sie lebend eine Südseeinsel erreichten.

Am schlimmsten wurde es, als ein norwegisches Schiff im Hafen einlief und wir den Kapitän und ein paar von seinen erfahrensten Seebären mit ins Arsenal nehmen konnten. Wir waren auf ihre praktische Reaktion sehr gespannt, und die Enttäuschung war groß, als sich alle einig waren, daß das dicke und plumpe Fahrzeug niemals das Segel ausnützen könnte. Der Kapitän behauptete gar, daß das Floß, wenn wir fahren würden, ein oder zwei Jahre brauchte, um mit dem Humboldtstrom überzusetzen. Der Bootsmann sah auf die Zurrungen und schüttelte den Kopf. Wir brauchten uns keine Sorgen zu machen, das Floß würde nicht vierzehn Tage halten, bis jedes einzelne Tau zerrissen war, weil die schweren Baumstämme sich ständig auf und nieder bewegten und im Wogengang gegeneinander rieben. Wenn wir nicht Stahlseil und Kette brauchen wollten, dann könnten wir glatt zusammenpacken.

Das waren harte Argumente, gegen die wir taub bleiben mußten. Es hätte genügt, daß eines zutraf, damit uns keine Chancen blieben. Ich fürchte, daß ich mich selbst oft gefragt habe, ob wir wußten, was wir taten. Ich konnte selbst nicht den einzelnen Warnungen begegnen, weil ich kein Seemann war, aber im Hintergrund hatte ich jenen einzigen Trumpf, auf den die ganze Reise aufgebaut war. Mir stand jedoch die ganze Zeit vor Augen, daß eine prähistorische Kultur von Peru hinüber zu den Inseln in einer Zeit verbreitet wurde, als solche Flöße die einzigen Fahrzeuge an dieser Küste waren. Ich schloß daher ganz allgemein, wenn das Balsaholz im Jahre 500 n. Chr. für Kon-Tiki geschwommen war und die Zurrungen gehalten hatten, daß sie dasselbe auch für uns machen würden, wenn wir nur blindlings das Floß ähnlich genug herstellten. Bengt und Hermann hatten sich gründlich in die Theorie eingearbeitet, und während sich die Experten Sorgen machten, nahmen es alle unsere Jungens mit größter Seelenruhe und unterhielten sich königlich in Lima. Nur ein einziges Mal nahm mich Torstein besorgt zur Seite: ob ich auch ganz sicher wäre, daß die Meeresströmung den richtigen Weg einhielt. Wir waren nämlich im Kino gewesen und hatten Dorothy Lamour im Strohröckchen unter Palmen und Hula-Mädchen auf einer entzückenden Südseeinsel herumtanzen gesehen.

»Dort wollen wir hin!« sagt Torstein, »Gnade dir, wenn die Strömung nicht so läuft, wie du gesagt hast!«

Als sich der Tag der Abreise näherte, begaben wir uns zu der üblichen Paßkontrolle, um die Ausreiseerlaubnis zu bekommen. Bengt als Dolmetscher stand als erster in der Schlange.

»Wie heißen Sie?« fragte ein kleiner, eifriger Beamter und schielte mißtrauisch über die Brillengläser auf Bengts mächtigen Bart.

»Bengt Emmerich Danielsson«, antwortete Bengt andächtig.

Der Mann spannte ein langes Formular in die Schreibmaschine.

»Mit welchem Schiff kamen Sie nach Peru?«

»Ja, sehen Sie«, sagte Bengt erklärend und beugte sich über den kleinen, erschreckten Mann, »ich kam nicht im Schiff, ich kam in einem Kanu nach Peru.«

Der Mann sah stumm vor Verwunderung auf Bengt und klapperte »Kanu« in eine der offenen Rubriken.

»Und mit welchem Schiff wollen Sie Peru verlassen?«

»Ja, sehen Sie mal«, sagte Bengt höflich, »ich möchte Peru nicht mit einem Schiff verlassen, sondern mit einem Floß.«

»Was denn nicht noch alles!« rief der Beamte erbost und riß das Papier aus der Maschine. »Ich muß schon sehr bitten um eine anständige Antwort auf meine Frage!«

Ein paar Tage vor der Abreise wurden Proviant, Wasser und unsere gesamte Ausrüstung an Bord des Floßes verstaut. Wir nahmen ausreichend Proviant für sechs Mann und vier Monate, und zwar in Form von kleinen soliden Pappkartons mit Militärrationen. Hermann hatte die Idee, Asphalt zu kochen und in einer gleichmäßigen Lage rund um jede einzelne Schachtel zu gießen. Dann streuten wir Sand darauf, daß die Kartons nicht aneinanderkleben konnten, und verstauten sie unter dem Bambusdeck, wo sie den Zwischenraum zwischen den neun niedrigen Querstämmen, die das Deck trugen, ausfüllten.

In einer kristallklaren Quelle hoch oben auf dem Berg füllten wir 56 kleine Wasserkannen mit zusammen 1100 Litern Trinkwasser, die wir auch zwischen den Querstämmen festzurrten, so daß die See sie ständig umspülen konnte. Auf dem Bambusdeck banden wir den Rest unserer Ausrüstung fest. Hier standen ebenfalls große, geflochtene Körbe voll von Obst und Kokosnüssen.

In der Bambushütte bekamen Knut und Torstein eine Ecke zugewiesen, um hier das Radiogerät zu montieren, und unten zwischen den Querstämmen banden wir acht Holzkisten fest. Zwei wurden für wissenschaftliche Instrumente und Filme beschlagnahmt, die übrigen sechs wurden verteilt, eine für jeden Mann, mit dem Bescheid, daß jeder so viel von seinen privaten Besitztümern mitnehmen konnte, als er in seiner eigenen Kiste unterbringen würde. Da Erich einige Rollen Zeichenpapier und eine Gitarre mitbrachte, wurde seine Kiste so voll, daß er seine Strümpfe nebenan bei Torstein einquartieren mußte. Dann kamen vier Marinesoldaten, die Bengts Kiste schleppten. Er hatte keine anderen Besitztümer als Bücher. Aber es war ihm geglückt, dreiundsiebzig soziologische und ethnologische Werke zu verstauen. Über die Kisten legten wir geflochtene Binsenmatten und jeder seinen Strohsack, und damit waren wir klar zum Start.

Das Floß wurde zuerst aus dem Marinegelände gezogen und ein wenig im Hafen herumgerudert, damit man sah, ob die Last gleichmäßig verteilt war. Dann wurde es zum Jachtclub von Callao hinübergeschleppt, wo geladene Gäste und andere Interessenten am Tag vor der Abreise der Taufe des Floßes beiwohnen durften.

Am 27. April wurde die norwegische Flagge gehißt, und längs einer Rah in der Mastspitze wehten die Flaggen der fremden Länder, die der Expedition tatkräftige Unterstützung erwiesen hatten. Der Kai wurde schwarz von Menschen, die die Taufe des wunderlichen Fahrzeugs sehen wollten. Gesichtsfarbe und -form brachten in Erinnerung, daß viele von denen, die da standen, Nachkommen derer waren, die einst hier die Küste auf Balsaflößen entlanggesegelt waren, aber es gab auch Abkömmlinge der alten Spanier, vor allem unter den Repräsentanten der Marine und der hohen Regierungsstellen. Außerdem waren erschienen: die Gesandten der Vereinigten Staaten, Großbritanniens, Frankreichs, Chinas, Argentiniens und Cubas, der Exgouverneur der britischen Pazifikkolonien, die Vertreter von Schweden und Belgien und unsere Freunde von der kleinen norwegischen Kolonie mit ihrem Generalkonsul Bahr. Es wimmelte von Presseleuten, die Filmkameras schnurrten, und es fehlten nur Hörnerklang und Trommelwirbel.

Eines war uns Beteiligten allen klar: Wenn das Floß sich vor der Bucht in seine Bestandteile auflöste, so wollten wir lieber jeder auf seinem Balken nach Polynesien paddeln, bevor wir hierher zurückkehrten!

Gerd Vold, Sekretärin der Expedition und Verbindungsglied zum Festland, sollte das Floß mit der Milch einer Kokosnuß taufen, teils um im Stile der Steinzeit zu verbleiben, teils aber auch, weil der Champagner durch ein Mißverständis am Boden von Torsteins Privatkiste gelandet war. Nachdem unsere Freunde auf englisch und spanisch zu wissen bekommen hatten, daß das Floß seinen Namen zur Erinnerung an den mächtigen Vorgänger der Inkas erhielt, jenen Sonnenkönig, der vor eineinhalb Jahrtausenden von Peru über das Meer nach Westen entschwand und in Polynesien wieder auftauchte, wurde das Floß von Gerd Vold »Kon-Tiki« getauft. Sie klatschte die (angespaltene) Kokosnuß so hart gegen den Stamm am Bug, daß die Milch und die Nußkerne allen in die Haare spritzten, die andächtig rundherum standen.

Dann wurde die Bambusrah gehißt, und das Segel entfaltete sich. Mitten darauf prangte groß und rot Kon-Tikis bärtiges Antlitz, eine Schöpfung von Kunstmaler Erich. Es war eine getreue Kopie vom Kopf des Sonnenkönigs, der in rotem Stein in einen Pfeiler oben in der Ruinenstadt Tiahuanaco eingemeißelt war.

»Ah, Senor Danielsson!« rief unser Vorarbeiter überwältigt, als er die bärtige Figur auf dem Segel sah.

Zwei Monate lang hatte er Bengt mit »Senor Kon-Tiki« tituliert, nachdem wir ihm das bärtige Gesicht auf einem Blatt Papier gezeigt hatten. Aber jetzt war ihm endlich eingegangen, daß »Danielsson« Bengts richtiger Name war.

Bevor wir fuhren, waren wir alle in Abschiedsaudienz beim Präsidenten. Dann machten wir noch einen Ausflug weit hinauf in den schwarzen Fels, um uns an Steinen und Abhängen zu sättigen, ehe wir unsere Reise hinaus auf den Ozean begannen. Solange wir am Floß unten an der Küste gearbeitet hatten, wohnten wir in einer Pension in einem Palmenhain vor Lima und fuhren von da hin und zurück im Auto des Luftfahrtministeriums mit einem Privatchauffeur, den Gerd für die Expedition glücklich »geliehen« bekommen hatte.

Nun baten wir den Chauffeur, uns an die Felsen heranzufahren und so weit hinein in die Berge zu bringen, als er in einem Tag schaffen konnte. So fuhren wir die Wüstenstraßen empor, an den alten Bewässerungskanälen der Inkazeit entlang, bis wir in die schwindelnde Höhe von 4000 Metern über dem Mast des Floßes kamen. Hier verzehrten wir förmlich Stein und Bergformen und grünes Gras mit den Augen und versuchten, uns an dem schönen Bergmassiv, in der Andenkette, das vor uns lag, zu überessen. Wir bildeten uns ein, daß wir des Steins und festen Grundes überdrüssig waren, so wollten wir denn hinaus und das Meer kennenlernen.

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