Bei den Spezialisten. Der springende Punkt. Im norwegischen Seemannsheim. Letzter Ausweg. Der »»Explorers Club«. Die neue Ausrüstung. Der erste Gefolgsmann. Ein Triumvirat. Ein Maler und zwei Kriegskameraden. Nach Washington. Konferenz im Kriegsdepartment. Mit der Wunschliste beim Generalquartiermeister. Schwierige Finanzprobleme. Bei den Diplomaten der UN. Flug nach Ecuador.
So hatte es also angefangen, am Strande einer Südseeinsel, wo uns ein alter Eingeborener die Sagen und Erzählungen seines Geschlechts berichtete. Viele Jahre später saß ich mit einem anderen Alten beisammen, diesmal aber in dem finsteren Büro in den oberen Stockwerken eines großen New Yorker Museums.
Rund um uns herum lagen in wohlgeordneten Glasschränken die toten Hüllen einer vergangenen Wirklichkeit, die in die graue Vorzeit zurückwiesen. Im übrigen waren die Wände mit Büchern bedeckt. Manche davon hatte ein Mensch geschrieben, und kaum zehn andere auf der Welt hatten sie gelesen. Der alte Mann, der alle diese Bücher gelesen und eine ganze Reihe davon auch selbst geschrieben hatte, saß, weißhaarig und gütig, hinter seinem Schreibtisch. Aber ich mußte ihm doch zu nahe getreten sein, denn unwillig umklammerte er die Armlehne seines Stuhls. Er sah gerade so aus, als hätte ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
»Nein«, sagte er, »niemals!«
Im „Explorers Club" in New York wird der Reiseplan vor dem Start besprochen. Von rechts nach links: Der Grönlandfahrer Peter Freuchen, der Verfasser, Hermann Watzinger und der „Häuptling vom Clannfhearghius".
Genauso hätte wohl der Weihnachtsmann dreingeschaut, wenn jemand ihm hätte beweisen wollen, daß nächstes Jahr Heiligabend auf den Johannistag fallen würde.
»Sie haben unrecht, vollkommen unrecht«, fing er wieder an und schüttelte indigniert den Kopf, wie um einen unangenehmen Gedanken loszuwerden.
»Aber Sie haben ja meine Argumente noch gar nicht gelesen!« unternahm ich noch einen schwachen Versuch und deutete hoffnungsvoll auf das Manuskript, das auf dem Tisch lag.
»Argumente!« sagte er unwillig. »Sie dürfen ethnographische Probleme nicht wie ein Detektiv angehen!«
»Warum nicht?« entgegnete ich. »Ich habe alle Schlußfolgerungen aus eigenen Beobachtungen und aus den Tatsachen gezogen, die mir die Wissenschaft auf den Tisch gelegt hat.«
»Die Aufgabe der Wissenschaft ist reine Forschung und nicht, etwas Vorgefaßtes zu beweisen«, lächelte er. Vorsichtig legte er das ungeöffnete Manuskript zur Seite und beugte sich über den Tisch vor:
»Es ist zwar völlig richtig, daß in Südamerika eine der merkwürdigsten Kulturen der Weltgeschichte zu Hause war und daß wir weder wissen, wer ihre Träger waren, noch wo sie geblieben sind, als die Inkas an die Macht kamen Aber eines wissen wir jedenfalls mit Sicherheit: daß nämlich keines von den Völkern Südamerikas zu den Inseln im Stillen Ozean übergesiedelt ist.«
Er sah mich forschend an und fuhr fort:
»Wissen Sie auch warum? Die Antwort ist einfach genug - sie konnten diese Inseln niemals erreichen. Sie hatten keine Schiffe!«
»Sie kannten Flöße«, versuchte ich zögernd einzuwenden, »sie kannten Flöße aus Balsaholz.«
Der Alte lächelte wiederum:
»Ja. Sie können ja einmal versuchen, mit einem Balsafloß von Peru nach den Südseeinseln zu reisen.«
Ich blieb die Antwort schuldig. Es war spät geworden. Wir erhoben uns. Der alte Gelehrte schlug mir wohlwollend auf die Schulter, als er mich zur Tür begleitete, und versicherte mir, wenn ich Hilfe brauchte, sollte ich nur zu ihm kommen. Er gäbe mir aber den guten Rat, mich entweder auf Polynesien oder auf Südamerika zu spezialisieren und nicht zwei verschiedene Erdteile durcheinanderzubringen. Er wandte sich zum Tisch zurück.
»Sie haben das bestimmt vergessen«, sagte er und gab mir das Manuskript zurück. Ich sah auf den Titel: »Polynesien und Amerika. Das Problem ihrer Kulturverwandtschaft.« Ich klemmte also mein Manuskript unter den Arm und rauschte die Treppen hinunter, hinaus in den Trubel der Straßen.
An diesem Abend ging ich aus und klopfte an die Tür einer alten Behausung in einem versteckten Winkel von Greenwich Village. Hier suchte ich immer Zuflucht mit den kleinen Problemen meiner Existenz.
Ein schmächtiges Männchen mit langer Nase musterte mich vorsichtig, bevor es mir mit breitem Lächeln die Tür öffnete und mich einließ Er zog mich hinein bis in die kleine Küche, wo er mich Teller und Gabeln aufdecken ließ, wahrend er selbst die Dose mit den unbestimmbaren, aber wohlriechenden eingemachten Früchten öffnete, die er über dem Gas gewärmt hatte.
»Nett, daß du gekommen bist«, sagte er, »wie geht's?«
»Schlecht«, erwiderte ich, »kein Mensch ist auf mein Manuskript neugierig «
Er füllte die Teller, und wir beschäftigten uns mit ihrem Inhalt
»Die Sache ist die«, sagte er, »daß alle, die du aufgesucht hast, nur glauben, du hattest eine beiläufige Idee. Du weißt, wieviel Leute mit merkwürdigen Ideen hier in Amerika auftauchen «.
»Und noch etwas!« sagte ich.
»Ja«, sprach er weiter, »die Beweisführung. Sie alle sind Spezialisten und glauben deshalb nicht an eine solche Arbeitsmethode, die in alle Fachgebiete - von der Botanik bis zur Archäologie - hineingreift. Sie begrenzen sich selbst im Umfang ihrer Forschungstätigkeit, um desto konzentrierter in der Tiefe schürfen zu können, um Details zu finden. Die Wissenschaft der Gegenwart fordert, daß jedes Fachgebiet seinen eigenen Boden umgräbt. Man ist es gar nicht mehr gewohnt, daß einer die vielen Teilergebnisse durchsieht, die aus den verschiedenen Gebieten erwachsen, um sie zu einem großen Bild zusammenzusetzen.«
Er griff nach einem umfangreichen Manuskript.
»Schau her«, sagte er, »mein letztes Werk über das Vogelmuster in der chinesischen Bauernstickerei. Es hat mich geschlagene sieben Jahre gekostet, aber jetzt wurde es sofort zum Druck angenommen. Die Zeit fordert Detailstudien.«
Karl hatte recht. Aber Probleme des Stillen Ozeans zu lösen, ohne sie von allen möglichen Seiten zu beleuchten, bedeutet meiner Meinung nach dasselbe, wie ein Puzzlespiel nur mit Hilfe der Teile, die die gleiche Farbe haben, zusammensetzen zu wollen.
Wir hoben die Tafel auf, und ich half ihm beim Abwaschen.
»Was Neues von der Universität in Chicago?«
»Nein.«
»Na, und was sagte heute dein alter Freund vom Museum?«
Darauf ging ich ein:
»Er war überhaupt nicht interessiert. Er sagte, solange die Indianer nur offene Flöße hatten, könnte man unmöglich damit rechnen, daß sie die Inseln des Stillen Ozeans je erreicht hätten.«
Der kleine Mann begann plötzlich aufgeregt an seinem Teller zu reiben.» Ja«, sagte er, »also das war der springende Punkt! Tatsächlich, das ist auch für mich das Hindernis, an die Haltbarkeit deiner Theorie zu glauben.«
Ich blickte finster auf den kleinen Ethnologen, den ich bisher für einen verschworenen Bundesgenossen gehalten hatte.
»Aber mißverstehe mich nicht«, beeilte er sich hinzuzusetzten, »einerseits glaube ich, daß du recht hast, aber andererseits leuchtet es so wenig ein. Meine Vogelarbeit stützt ja deine Theorie.«
»Karl«, sagte ich, »ich bin so sicher, daß die Indianer den Stillen Ozean auf ihren Flößen überquert haben, daß ich bereit bin, ein solches Floß selbst zu bauen und über den Ozean zu fahren, nur um die Möglichkeit zu beweisen.«
»Ach, du bist ja verrückt!« Mein Freund nahm das als schlechten Scherz und lachte halb erschreckt allein bei der Vorstellung.
»Du glaubst also nicht, daß es möglich ist?«
»Ach, du bist wirklich verrückt! Mit einem Floß?!«
Er wußte nicht, was er erwidern sollte, und starrte mich nur an, als warte er auf das Lächeln, das den Spuk in nichts auflösen würde.
Er fand es nicht. Ich sah nun ein, daß praktisch keiner meine Theorie gutheißen würde, weil eine scheinbar endlose Meereswüste zwischen Peru und Polynesien lag, die ich nur mit Hilfe eines urzeitlichen Floßes überbrücken wollte.
»Hör zu«, Karl sah mich unsicher an, »gehen wir aus und heben wir einen!«
Das taten wir und ließen es nicht bei einem bewenden.
Diese Woche lief meine Miete ab. Gleichzeitig teilte mir ein Brief der norwegischen Staatsbank mit, daß ich keine Dollars mehr zu gewärtigen hätte. Valutaeinschränkungen. Ich packte die Koffer und stieg in die Untergrundbahn nach Brooklyn. Hier kam ich im norwegischen Seemansheim unter, wo es eine kräftige und reichliche Kost gab und die Preise meiner Brieftasche angemessen waren. Ich bekam einen kleinen Raum unterm Dach und aß mit all den Matrosen drunten in einem großen Speisesaal.
Das seefahrende Volk flutete herein und hinaus. Sie waren unterschiedlich in ihren Typen, Dimensionen und Nüchternheitsgraden, aber eines hatten sie alle gemeinsam: sie wußten genau, was sie redeten, wenn sie von der See sprachen.
Ich lernte dabei, daß sich Wogen und Brecher nicht mit der Tiefe der See oder dem Abstand vom Lande verstärkten, ganz im Gegenteil, oft war eine Bö vor der Küste weit tückischer als auf offener See. Untiefen, die Brandung längs einer Küste oder Meeresströmungen, die sich am Lande entlangpreßten, konnten weit höhere Wellen emporwälzen, als sie draußen auf See üblich waren. Ein Fahrzeug, das sich an einer offenen Küste durchsetzen konnte, konnte sich auch weiter draußen halten. Mir wurde klar: eine grobe See konnte bei großen Schiffen Bug und Achterdeck in die Wassermassen tauchen, viele Tonnen Seewasser über Deck ergießen und Stahlrohre wie Zündhölzer knicken; daneben konnte ein kleines Boot in derselben See gut bestehen, solange es Platz genug zwischen den Wellenkämmen hatte, um frei darüber zu tanzen wie eine Möwe. Unter den Leuten war einer, der sich in einem Rettungsboot hatte bergen können, nachdem die Wogen das Schiff zum Sinken gebracht hatten.
Aber sie hatten nur eine geringe Erfahrung mit Flößen. Ein Floß, das war ja für sie auch kein Fahrzeug, das hatte weder Kiel noch Reling, es war nur eben etwas Schwimmendes, um sich in äußerster Not zu retten, bis man von irgendeinem Schiff aufgenommen wurde. Aber einer hatte doch großen Respekt vor Flößen auf schwerer See, denn er war drei Wochen auf einem solchen getrieben, nachdem ein deutscher Torpedo sein Schiff mitten auf dem Atlantik versenkt hatte.
»Aber auf einem Floß kann man nicht steuern«, setzte er hinzu, »es treibt hin und her, je nachdem der Wind geht.«
In der Bibliothek grub ich die Aufzeichnungen der ersten Europäer aus, die die Küste des Stillen Ozeans in Südamerika erreichten. Es mangelte weder an Skizzen noch Beschreibungen der großen Balsaflöße der Indianer. Sie hatten Rahsegel, Schwerter und achtern ein langes Steuerruder, also konnte man auch manövrieren.
Wochen vergingen im Seemannsheim. Keine Antwort, weder von Chicago noch aus irgendeiner anderen Stadt, wohin ich Kopien meiner Theorien geschickt hatte. Niemand hatte sie gelesen.
So raffte ich mich eines Samstags auf und marschierte zu einem Schiffshändler unten an der Water Street, wo ich höflich als Kapitän angeredet wurde, als ich eine Pilotenkarte über den Stillen Ozean kaufte. Mit der Kartenrolle unter dem Arm nahm ich die Vorortbahn hinaus nach Ossining, wo ich ein gern gesehener Weekendgast bei einem jungen norwegischen Ehepaar auf einem hübschen Landsitz war. Er war früher Kapitän gewesen und jetzt Kontorchef bei der Fred Olsen Line in New York.
Nach einem erfrischenden Sprung ins Schwimmbassin war das Großstadtleben für den Rest des Wochenendes vergessen, und als Ambjörg mit dem Cocktailtablett kam, setzten wir uns im Sonnenschein auf die Wiese. Ich konnte jetzt nicht mehr länger an mich halten, sondern rollte die Karte auf und überfiel Wilhelm mit der Frage, ob er daran glaube, daß ein Floß Menschen lebendig von Peru zu den Südseeinseln transportieren könne.
Halb verblüfft, sah er mehr auf mich als auf die Karte, aber plötzlich gab er eine bejahende Antwort. Ich fühlte mich so leicht, als ob ich plötzlich Flügel bekommen hätte, denn ich wußte, alles, was mit Seefahrt zusammenhing, war für Wilhelm Beruf wie Leidenschaft. Rasch wurde er in meine Pläne eingeweiht. Zu meiner Entrüstung stellte er nur fest, daß dies der reine Wahnwitz sei.
»Aber du hast ja gerade gesagt, daß du es für möglich hältst«, unterbrach ich ihn.
»Ganz richtig«, gab er zu, »aber es besteht genau dieselbe Chance, daß es schiefgeht. Du hast ja noch nie in deinem Leben auf einem Balsafloß gestanden, und so stellst du dir plötzlich vor, du könntest mit einem solchen den Pazifik überqueren. Vielleicht geht es, vielleicht aber auch nicht. Die alten Indianer in Peru hatten wohl im Floßbau die Erfahrung von Generationen. Vielleicht gingen immer zehn Flöße kaputt, ehe eines die Überfahrt bestand, oder vielleicht gar Hunderte im Laufe der Jahrhunderte. Wie du bereits gesagt hast, manövrierten die Inkas auf offener See mit ganzen Flottillen von Balsaflößen. Da konnten sie auch vom Nachbarfloß gerettet werden, wenn etwas passiert war. Aber wer soll dich aus dem Wasser ziehen, mitten auf offenem Meer? Selbst wenn du Radio für den Notfall mitnimmst, so wird es wohl ziemlich schwer sein, zwischen den Wellenbergen tausend Meilen vom Land weg ein kleines Floß zu finden. Im Sturm kann man ja vom Floß hinuntergespült werden und schon längst ertrunken sein, bevor jemand zu Hilfe eilen kann. Es ist wohl besser, du wartest ruhig, bis einer Zeit gefunden hat, dein Manuskript zu lesen. Schreib weiter und laß den Leuten keine Ruhe, alles andere ist sinnlos.«
»Ich kann nicht länger warten. Ich habe bald keinen Knopf Geld mehr in der Tasche.«
»Dann kannst du zu uns übersiedeln. Wie kannst du übrigens ohne Geld daran denken, eine Expedition von Südamerika aus in Gang zu setzen?«
»Es ist viel leichter, für eine Expedition Interesse zu wecken als für ein ungelesenes Manuskript.«
»Aber was kannst du damit erreichen?«
»Das wichtigste Gegenargument gegen die Theorie zu Fall zu bringen, ganz abgesehen davon, daß die Wissenschaft auf die Angelegenheit aufmerksam wird.«
»Und wenn es schiefgeht?«
»Dann ist eben der Beweis noch nicht erbracht.«
»Da würdest du ja deine eigene Theorie in den Augen aller bloßstellen.«
»Vielleicht. Aber trotzdem hätte ja einer von zehn Erfolg haben können, wie du früher gesagt hast.«
Die Kinder des Hauses kamen, um Krocket zu spielen, und so sprachen wir an diesem Tag nicht mehr davon.
Am nächsten Wochenende stellte ich mich wieder in Ossining ein, abermals mit der Kartenrolle unter dem Arm, und als ich ging, führte ein langer Bleistiftstrich von der peruanischen Küste nach den Tuamo-tu-Inseln im Stillen Ozean. Mein Freund, der Kapitän, hatte die Hoffnung aufgegeben, mir meine Idee auszureden, und so hatten wir stundenlang beisammengesessen und hatten die voraussichtliche Trift des Floßes berechnet.
»Siebenundneunzig Tage«, sagt Wilhelm, »aber leider nur unter theoretisch idealen Verhältnissen mit chronischem Rückenwind und vorausgesetzt, daß das Floß wirklich so segeln kann, wie du glaubst. Du mußt absolut mit mindestens vier Monaten Fahrzeit rechnen, aber auf mehr vorbereitet sein.«
»All right«, sagte ich zufrieden, »dann rechnen wir eben mit vier Monaten, machen es aber in Siebenundneunzig Tagen.«
Der winzige Raum im Seemannsheim schien mir doppelt anheimelnd, als ich an diesem Abend zurückkam und mich mit der Karte auf die Bettkante setzte. Ich schritt den Fußboden ab, soweit es mir das Bett und die Kommode gestatteten, mich durchzuwinden.
Gott sei Dank, das Floß würde größer werden als dieser Raum. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, um einen Blick auf den fast vergessenen Sternenhimmel der Großstadt zu werfen, von dem nur ein kleiner Ausschnitt zwischen den hohen Hinterhofmauern sichtbar war. Und wenn auch wenig Platz auf dem Floß sein würde, es würde doch genug Raum für einen ganzen Sternenhimmel über uns sein.
Im Westen, 42. Straße, am Zentralpark, liegt einer der exklusivsten Klubs von New York. Nur ein kleines Messingschild »Explorers Club« verrät dem Vorbeigehenden, daß hinter der Tür etwas Ungewöhnliches zu erwarten ist. Tritt man aber erst ein, so ist es, als sei man nach einem Sprung mit dem Fallschirm mitten in einer fremden Welt gelandet, Tausende Meilen weit von den Automobilreihen New Yorks, über denen sich die Wolkenkratzer erheben. Wenn sich die Türe nach New York hinter einem geschlossen hat, wird man von einer Atmosphäre von Löwenjagden, Bergbesteigungen und Polarleben verschlungen, die sich merkwürdig mit dem Gefühl mischt, im Salon einer komfortablen Jacht zu sitzen, die sich gerade auf Weltreise befindet. Trophäen von Nilpferd und Hirsch, mächtige Geweihe, Stoßzähne, Kriegstrommeln und Spieße, Indianerteppiche, Götterbilder und Schiffsmodelle, Flaggen, Fotografien und Karten umgeben die Mitglieder des Klubs von allen Seiten, wenn sie sich hier zum Fest oder zum Vortrag über ferne Länder vereinigen.
Seit meiner Reise nach den Marquesas-Inseln war ich zum aktiven Mitglied des Klubs gewählt worden, und als Fuchs versäumte ich selten eine Versammlung, wenn ich in der Stadt war. Als ich deshalb an einem regenschweren Novemberabend den Klub betrat, war ich trotzdem erstaunt, das Lokal in einer ganz anderen Verfassung als gewöhnlich vorzufinden. Mitten auf dem Boden lag ein aufgeblasenes Gummifloß mit Rettungsbootrationen und Zubehör, während Fallschirm, Gummikleidung, Rettungswesten und Polarausrüstungen Wände und Tische bedeckten. Daneben lagen Wasserdestillationsapparate und andere bemerkenswerte Erfindungen. Ein neugewähltes Mitglied des Klubs, Oberst Huskin vom Ausrüstungskommando der Luftwaffe, wollte einen Vortrag mit Vorführungen über eine ganze Reihe von neuen militärischen Erfindungen halten, die seiner Meinung nach in Zukunft auch für wissenschaftliche Expeditionen in der Arktis wie in den Tropen von Nutzen sein konnten.
Nach dem Vortrag gab es eine lebhafte und rege Diskussion. Dänemarks allbekannter Polarforscher Peter Freuchen erhob sich, groß und breit, und fuhr sich skeptisch durch den mächtigen Bart. Er hatte kein Zutrauen zu solchen neumodischen Patenten. Er hatte selbst einmal Eskimokajak und Schneehütte mit Gummiboot und Taschenzelt auf einer seiner Grönlandexpeditionen vertauscht, aber das hätte ihm auch um ein Haar das Leben gekostet. Zuerst wäre er fast in einem Schneesturm erfroren, weil der Gleitverschluß des Zeltes so stark vereist war, daß es unmöglich war, hineinzukommen, und später war er auf Fischfang gewesen, als der Haken sich in dem aufgeblasenen Gummiboot verfing, so daß dieses ein Loch bekam und ihm wie ein Stein unter den Füßen wegsackte. Kaum konnte er sich und seinen Eskimofreund in ein Kajak hinüberretten, das ihm zu Hilfe eilte. Seitdem war er davon überzeugt, daß kein noch so phantasievoller moderner Erfinder durch Laboratoriumsversuche etwas Besseres austüfteln könnte, als die Erfahrung von Jahrtausenden die Eskimos gelehrt hatte, in der ihnen vertrauten Umgebung zu verwenden.
Die Debatte endete mit einem überraschenden Angebot Oberst Huskins: aktive Mitglieder des Klubs konnten für ihre nächste Expedition alles, was sie sich nur wünschten, von den neuen Erfindungen, die er gerade demonstriert hatte, aussuchen unter einer einzigen Bedingung, nämlich dem Laboratorium ihre Erfahrungen mitzuteilen, wenn sie zurückkehrten.
Und dabei blieb es.
Ich war der letzte, der an diesem Abend die Klubräume verließ. Ich mußte jedes kleinste Detail in der glänzenden neuen Ausrüstung studieren, die plötzlich in meine Hände gelegt war und mir zur Verfügung stand, wenn ich nur den Wunsch äußerte, sie zu verwenden. Es war genau das, was ich suchte: eine Ausrüstung für den Versuch, das Leben zu retten, wenn sich das Floß wider alle Erwartungen auflösen sollte und wir keine anderen Flöße in der Nähe hätten.
Am nächsten Morgen beim Frühstückstisch im Seemannsheim beschäftigte diese ganze Ausrüstung noch immer meine Gedanken, als ein gutgekleideter, athletisch gebauter junger Mann sich mit seinem Frühstückstablett zu mir setzte. Wir kamen ins Gespräch, und es zeigte sich, daß er genauso wenig Seeman war wie ich, sondern ein Diplomingenieur aus Trondheim, der hier in Amerika Maschinenteile kaufen und Erfahrung in Kältetechnik erwerben wollte. Er wohnte in der Nähe und aß oft im Seemannsheim, dessen gute norwegische Küche er schätzte. Er fragte mich, was ich treibe, und ich berichtete ihm in kurzen Zügen meine Pläne. Ich erwähnte, daß ich, wenn ich bis Ende dieser Woche keine posititive Antwort in bezug auf mein Manuskript bekäme, alles daransetzen würde, um die Floßexpedition in Gang zu bringen.
Darauf sagte mein Gegenüber nicht viel, aber er hörte interessiert zu.
Vier Tage später stießen wir wieder im Speisesaal zusammen.
»Hast du dich schon entschlossen, ob du die Tour unternimmst oder nicht?« fragte er.
»Ja«, sagte ich, »es geht los.«
»Wann?«
»So bald als möglich. Wenn ich mir Zeit lasse, dann kommen die Stürme herauf über die Südsee, und die Zeit der Orkane um die Inseln ist da. Man muß also Peru in wenigen Monaten verlassen, aber vorher heißt es, Geld besorgen und die ganze Angelegenheit organisieren.«
»Wieviel Leute sollen es werden?«
»Ich habe an insgesamt sechs Mann gedacht. Das gibt einige Abwechslung im Zusammenleben auf dem Floß und reicht gerade aus, um vierstündige Steuerwachen im Tag einzurichten.«
Einen Augenblick stand er in Gedanken versunken, dann kam es aber mit aller Entschiedenheit:
»Weiß Gott, ich hätte Lust, dabei mitzumachen. Ich könnte technische Messungen und Versuche anstellen. Du hast ja selbst gesagt, daß du das Experiment mit entsprechenden Messungen von Wind und Strom und Wellen unterbauen wolltest. Denk daran, du willst durch enorme Meeresgebiete treiben, die fast unbekannt sind, weil sie außerhalb jedes
Schiffsverkehrs liegen. Hier kann eine solche Expedition interessante hydrographische und meteorologische Untersuchungen anstellen, und ich bekäme einmal eine gute Verwendung für meine Thermodynamik.«
Ich wußte nicht mehr von dem Mann, als ein offenes Gesicht verrät. Manchmal genügt das.
»All right!« stimmte ich zu. »Fahren wir miteinander.«
Der Mann hieß Hermann Watzinger, er war genauso eine Landratte wie ich.
Wenige Tage später nahm ich Hermann als Gast mit in den »Explorers Club«. Hier trafen wir glücklicherweise gerade auf den Polarforscher Peter Freuchen. Freuchen hat die gesegnete Eigenschaft, niemals in der Menge unterzugehen. Groß wie ein Scheunentor, mit wallendem Bart, sieht er aus wie ein Bote der offenen Tundra. Er verbreitet eine Atmosphäre um sich, als führe er einen grauen Bären an der Leine.
Wir schleppten ihn an eine mächtige Landkarte und unterbreiteten ihm unseren Plan, mit einem Indianerfloß über den Stillen Ozean zu fahren. Beim Zuhören wurden seine blauen Jungenaugen groß wie Zinnteller, und vor Erstaunen strich er sich fortwährend den Bart. Dann stieß er das Holzbein gegen den Boden und zog sich den Hosenriemen einige Löcher fester.
»Ha, das ist ein Plan!« sagte er. »Weiß der Teufel, da sollte man dabeisein!«
Der alte Grönlandfahrer füllte unsere Biergläser und begann, sich über sein Vertrauen zu den Fahrkünsten der Naturvölker zu verbreiten. Er sprach von ihrer Geschicklichkeit, sich an die Natur zu Lande und auf dem Wasser anzupassen und sich auf diese Weise durchzusetzen. Er selbst war auf Flößen die großen Ströme Sibiriens hinuntergefahren und hatte Eingeborene auf Flößen und Booten längs der Küste des Polarmeeres geschleppt. Und dabei hörte er nicht auf, sich den Bart zu streichen und uns zu versichern, daß wir einer wunderbaren Zeit entgegengingen.
Durch Freuchens Eifer, unseren Plan zu unterstützen, geriet alles ins Rollen, und so fanden wir uns plötzlich in den Spalten der skandinavischen Presse wieder.
Schon am nächsten Morgen klopfte es mit aller Gewalt an meine Türe im Seemannsheim. Man rief mich ans Telefon drunten im Gang. Das Ergebnis des Gesprächs war, daß Hermann und ich am selben Abend an der Tür einer fashionablen Wohnung im vornehmsten Teil der Stadt läuteten. Wir wurden von einem gepflegten jungen Herrn in Lackpantoffeln empfangen, der einen seidenen Schlafrock über seinem blauen Schlafanzug trug. Er machte einen ziemlich verweichlichten Eindruck. Ein parfümiertes Taschentuch unter der Nase, bat er um Entschuldigung, er sei schwer erkältet. Trotzdem wußten wir, daß dieser Mann sich in Amerika durch seinen erfolgreichen Einsatz als Flieger während des Krieges einen Namen gemacht hatte. Außer unserem sichtlich bettlägerigen Wirt waren zwei energische junge Presseleute zur Stelle, die förmlich strotzten von Ideen und Entschlußkraft. In dem einen erkannten wir einen angesehenen Korrespondenten wieder.
Bei einer Flasche gutem Whisky erklärte unser Wirt, daß er an unserer Expedition interessiert sei. Er erbot sich, uns das notwendige Kapital zur Verfügung zu stellen, wenn wir damit einverstanden wären, uns für Artikelserien und Vortragstourneen nach der Heimkehr zu verpflichten. Wir wurden schließlich einig und stießen auf eine glückliche Zusammenarbeit zwischen »Geldgeber« und Expeditionsteilnehmern an. Von nun an sollten unsere ökonomischen Probleme gelöst sein. Sie wurden von Presseleuten übernommen und brauchten uns nicht mehr zu bekümmern. Unverzüglich sollten Hermann und ich beginnen, Mannschaft und Ausrüstung zu besorgen, das Floß zu bauen, um vor Beginn der Stürme abzufahren.
Am nächsten Tag kündigte Hermann seinen Posten, und wir gingen ernstlich an unsere Aufgabe. Ich hatte bereits die Zusage vom Versuchslaboratorium der Luftwaffe bekommen, eine solche Expedition sei außerordentlich geeignet, ihr Ausrüstung zu erproben. Sie wollten mir alles und noch mehr durch den »Explorers Club« zur Verfügung stellen, worum ich gebeten hatte. Unsere wichtigsten Aufgaben waren weiterhin, vier brauchbare Männer zu finden, die bereit waren, mit uns auf das Floß zu gehen, und Proviant für die Reise anzuschaffen.
Eine Gruppe von Menschen, die miteinander auf einem Floß über den Ozean treiben sollen, muß sehr sorgfältig ausgesucht werden, sonst gibt es Krach und Meuterei nach wenigen Wochen Isolierung auf dem Meer. Ich wollte das Floß nicht mit Seeleuten bemannen. Einmal verstanden sie kaum mehr von der Floßschifferei als wir selber, und außerdem wollte ich später nicht das Argument gegen mich haben, daß wir unser Gelingen dem Umstände verdankten, daß wir bessere Seeleute als die alten Flößebauer in Peru waren. Trotzdem brauchten wir einen Mann an Bord, der auf alle Fälle mit einem Sextanten umgehen und unsere Fahrt über das Meer als Unterlage für alle wissenschaftlichen Berichte auf der Karte festhalten konnte.
»Ich kenne einen netten Kunstmaler«, sagt ich zu Hermann, »einen Mordskerl. Er spielt Gitarre und ist voller Übermut. Er machte die Steuermannschule und fuhr schon ein paarmal um die Welt, bevor er sich zu Hause mit Pinsel und Palette niederließ. Ich kenne ihn noch von den Kindertagen her und habe ein paarmal mit ihm zu Hause Wanderungen in die Berge gemacht. Wenn ich ihm schreibe und ihn frage, so ist er sicher
dabei.«
»Das klingt annehmbar«, stimmte Hermann zu, »und dann brauchen wir einen, der das Radio übernehmen kann.«
»Radio?!« fragte ich entsetzt. »Was, zum Teufel, sollen wir damit? Das gehört ja gewiß nicht auf ein vorgeschichtliches Floß!«
»Sag das nicht, es ist eine Sicherheitsmaßnahme, die keinerlei Einwirkung auf deine Theorie hat, solange wir nicht SOS aussenden. Und dann brauchen wir Funk, um Wetterbeobachtungen und andere Meldungen weiterzugeben. Sturmwarnungen würden uns ja doch nichts nützen, einmal weil es keine Meldungen für diese Meeresstriche gibt, und selbst wenn es welche gäbe, was würden sie uns auf unserem Floß helfen?«
Seine Argumente erstickten allmählich alle meine Proteste, die vermutlich einer mangelnden Liebe zu Steckkontakten und Drehknöpfen entsprangen.
»Merkwürdig genug«, gab ich zu, »wenn es galt, Verständigung über große Abstände mit winzigen Apparaten zu bekommen, dann habe ich immer die besten Verbindungen gehabt. Ich landete in einer solchen Radioabteilung während des Krieges. Du kennst ja das militärische Prinzip: Jeder Mann auf den Platz, auf den er gehört! Aber ich werde am besten wohl einige Worte an Knut Haugland und Torstein Raaby schreiben.«
»Kennst du sie?«
»Ja. Knut traf ich das erstemal in England 1944. Damals war er bereits vom britischen König ausgezeichnet worden, weil er als Radiotelegrafist beim Sabotageunternehmen gegen die Fabrik des >schweren Wasssers< bei Rjukan mit war. Als ich ihn traf, war er gerade zurückgekommen, nachdem er einen Auftrag in Norwegen erfüllt hatte. Dabei war er von der Gestapo überrascht worden, während er mit einer geheimen Radiostation im Rauchfang der Frauenklinik in Oslo saß. Die Nazis hatten ihn angepeilt, und das ganze Gebäude wurde von deutschen Soldaten umringt. Maschinengewehrposten standen vor jeder Tür. Der Gestapochef Fehmer stand persönlich auf dem Hof und wartete, daß man ihm Knut herunterbringen sollte, aber es waren die eigenen Leute des Gestapochefs, die man herunterbrachte. Knut schoß sich nämlich mit seiner Pistole durch, vom Dachboden herunter bis in den Keller, von dort in den Hinterhof, wo er über die Krankenhausmauer verschwand, einen ganzen Kugelregen hinter sich her. Ich traf ihn auf einer Geheimstation in einem englischen Schloß, wohin er zurückgekommen war, um das unterirdische Zusammenspiel von über hundert Sendestationen innerhalb des deutschbesetzten Norwegen zu organisieren.
Damals war ich gerade erst zum Fallschirmspringer bestimmt worden, und wir planten, miteinander in Nordmarken niederzugehen. Aber gerade damals marschierten die Russen in der Kirkenesgegend ein, und eine kleine norwegische Abteilung wurde von Schottland nach Finnmarken geschickt, hier gleichsam die Operationen vom ganzen russischen Heer zu übernehmen. Dorthin wurde nun ich geschickt. Und dort traf ich Torstein.
In diesen Gegenden oben war der reine Polarwinter, und das Nordlicht züngelte in den Sternenhimmel empor, der sich pechschwarz über uns wölbte, den ganzen Tag lang. Als wir blaugefroren und pelzvermummt in die verkohlte Brandwüstenei nach Finnmarken kamen, da kroch aus einer kleinen Hütte droben in den Bergen ein munterer blauäugiger Riese mit buschigem blondem Haar. Das war Torstein Raaby. Der war zuerst nach England gekommen und auf Kurs gegangen, und darauf war er nach Norwegen in der Tromsögegend hineingeschmuggelt worden. Dort hatte er mit einem kleinen Sender in unmittelbarer Nähe des Kriegsschiffes >Tirpitz< verborgen gelegen, und zehn Monate lang hatte er täglich Berichte über alles, was an Bord vor sich ging, nach England gefunkt. Er sendete seine Meldungen mit Hilfe der Empfängerantenne eines deutschen Offiziers, in die er sich während der Nacht einschaltete. Es waren seine regelmäßigen Berichte, die die britischen Bomber dirigierten, die schließlich der >Tirpitz< den Garaus machten.
Torstein flüchtete nach Schweden und ging von dort nach England zurück und sprang im Fallschirm mit einer neuen Radiostation hinter den deutschen Linien oben in der Gegend von Finnmarken wieder ab. Als die Deutschen sich zurückzogen, fand er sich plötzlich hinter unseren eigenen Linien und kam aus seinem Versteck, um uns mit seinem winzigen Apparat zu helfen, als unsere Hauptstation durch eine Mine kaputtgegangen war. Ich wage zu schwören, daß Knut und Torstein nicht viel Freude daran haben, zu Hause herumzusitzen. Aber bestimmt hätten sie größte Lust zu einer Floßreise.«
»Na schreib und frag«, schlug Hermann vor.
So schrieb ich eben einen kurzen Brief ohne lange hinterhältige Überredungskünste an Erich, Knut und Torstein:
»Reise demnächst auf Floß quer über Pazifik, um meine Theorie zu unterbauen, daß Südseeinseln von Peru aus bevölkert. Kommt ihr mit? Garantiere nichts außer freier Reise nach Peru und Südseeinseln und zurück, und daß eure technischen Kenntnisse dringendst benötigt. Bitte um sofortige Antwort.«
Folgendes Telegramm lief umgehend ein:
»Bin dabei. Torstein.«
Die anderen sagten ebenfalls zu.
Als sechsten Mann setzten wir einen um den anderen auf die Liste, aber immer kam etwas dazwischen. Währenddessen mußten Hermann und ich an das Proviantproblem herangehen. Wir hatten keinerlei Absicht, unterwegs altes Lamafleisch oder getrocknete Kumarakartoffeln zu schlucken, wir hatten ja auch nicht die Absicht zu beweisen, daß wir selbst einmal Indianer waren. Der Sinn unserer Fahrt war, die Qualität des Inkafloßes zu erproben, seine Seetüchtigkeit und Tragfähigkeit, und ob die Elemente es wirklich quer über das Meer nach Polynesien schaukeln würden und dabei Menschen an Bord ließen. Unsere eingeborenen Vorgänger konnten leicht von trockenem Fleisch und Fisch und von gedörrten Kumaras an Bord gelebt haben, da sie sich ja im wesentlichen von denselben Dingen auch an Land ernährten. Während der Reise selbst wollten wir weiterhin untersuchen, ob sie sich frischen Fisch und Regenwasser unterwegs auf dem Meer beschaffen konnten. Als eigene Diät hatte ich mir einfache Feldrationen gedacht, so wie sie uns vom Krieg her nur zu gut bekannt waren.
In diesen Tagen bekam unser Militärattache in Washington einen neuen Herrn zugewiesen. Ich hatte als nächster Untergebener in seiner Kompanie in Finnmarken Dienst gemacht und wußte, daß er ein Feuerkopf war, der mit unbändiger Energie alle Probleme zu Ende führte, die er sich gesetzt hatte. Björn Rörholt gehörte zu jenem vitalen Typ, der sich fehl am Platze fühlt, wenn er sich durch etwas durchgebissen hat und nicht sofort eine neue Aufgabe vor sich sieht, auf die er sich stürzen kann.
Brieflich weihte ich ihn in die Situation ein und bat ihn, all seinen Spürsinn einzusetzen, um einen Verbindungsmann zum Proviantverwalter der amerikanischen Armee ausfindig zu machen. Unsere Chance war, daß das Laboratorium mit einer neuen Feldverpflegung experimentierte, die wir vielleicht auf dieselbe Weise als Versuchskaninchen erproben konnten wie das neue Rettungsgerät der Luftwaffe.
Zwei Tage später rief uns Björn von Washington an. Er hatte Kontakt mit der »Auswärtigen Abteilung« des amerikanischen Kriegsdepartments bekommen. Dort wollte man gern Näheres wissen. Mit dem ersten Zug fuhren Hermann und ich nach Washington. Wir trafen Björn in seinem Zimmer in der Militärdelegation.
»Ich glaube, daß es gehen wird«, sagte er, »wenn wir bloß von unserem Oberst einen entsprechenden Brief bekommen, werden wir morgen im >Auswärtigen< empfangen.«
Der Oberst war Otto Munthe-Kaas, der norwegische Militärattache. Er war uns günstig gesinnt und gerne bereit, uns ein passendes Empfehlungsschreiben mitzugeben, als er hörte, worum es ging.
Als wir am nächsten Morgen uns den Brief abholen kamen, stand er plötzlich auf und meinte, am besten ginge er gleich selbst mit. In seinem
Auto fuhren wir hinaus zum Pentagon-Gebäude, dem größten Block der Welt, in dem das Kriegsdepartment seine Verwaltungsräume hat. Vorne saßen der Oberst und Björn in voller militärischer Gala, und dahinter saßen Hermann und ich. Wir sahen durch die Scheibe auf das mächtige Pentagonhaus, das vor uns aus dem Boden zu gigantischer Höhe emporschoß. Dieser Riesenbau mit dreißigtausend Angestellten und über fünfundzwanzig Kilometern Korridoren sollte den Rahmen für unsere bevorstehende Floßkonferenz mit den Militarchefs abgeben. Ich mußte mich selbst an der Nase zupfen. Niemals vorher noch nachher war mir und Hermann das winzige Floß so rettungslos nichtig erschienen. Nach endlosen Wanderungen in Korridoren und Seitenkorridoren kamen wir an die Tür der »Auswärtigen Abteilung«, und bald saßen wir, umgeben von glänzenden Uniformen, rund um einen großen Mahagonitisch, an dem der Abteilungschef selbst präsidierte.
Der wohlgebaute und kurz angebundene Offizier, dem man die Militärakademie Westpoint von weitem ansah, hatte zuerst gewisse Schwierigkeiten, den Zusammenhang zwischen dem Kriegsdepartment der USA und unserem Floß richtig zu begreifen, aber die wohlgesetzten Worte unseres Obersten und der günstige Ausfall der Erkundigen der Offiziere rund um uns (die sich wie ein Sturzbach über mich ergossen) brachten ihn langsam auf unsere Seite, und so las er mit wachsendem Interesse den Brief von der Versuchsstation der Luftwaffe. Dann erhob er sich, gab seinem Stab freie Hand, uns durch die richtigen Kanäle Hilfe zukommen zu lassen, und verließ, indem er uns für den weiteren Verlauf Glück wünschte, gewichtigen Schrittes den Raum.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, raunte mir ein junger Stabskapitän ins Ohr:
»Ich möchte schwören, Sie kriegen alles, was Sie wollen. Ein bißchen erinnert es doch an eine kleine militärische Operation. Sie glauben nicht, wie wir uns in dem täglichen Bürobetrieb seit dem Frieden nach einer kleinen Abwechslung sehnen! Und außerdem ist es ja wirklich eine prima Gelegenheit, die Ausrüstung planmäßig zu überprüfen.«
Die »Auswärtige Abteilung« arrangierte unverzüglich eine Audienz bei Oberst Lewis in der Versuchsstation des Generalquartiermeisteramtes, und Hermann und ich wurden gleich im Auto hinübergeschickt.
Oberst Lewis war ein gemütlicher Riese von einem Offizier, ein Sportsmann vom Scheitel bis zur Sohle. Unverzüglich rief er die Versuchsleiter der verschiedenen Abteilungen zusammen. Augenblicklich schlugen sie eine Menge von Ausrüstungsgegenständen vor, von denen sie gerne wollten, daß sie ausprobiert würden. Es überstieg unsere kühnsten Hoffnungen, was sie uns hier an irgend Denkbarem aufzählten, von Verpflegungsrationen bis zu Sonnencreme und wasserdichten Schlafsäcken. Sie schleppten uns gleich mit, damit wir einen Blick auf die Sachen tun könnten. Wir kosteten Spezialrationen in handlichen Packungen. Wir probierten Zündhölzer aus, die noch besser brannten, wenn man sie ins Wasser hielt, neumodische Primuskocher und Wassertanks, Gummisäcke und Spezialschuhe, Küchengerät und Klappmesser, kurz alles, was eine Expedition sich nur wünschen konnte.
Oben: Die Teilnehmer der „Kon-Tiki"-Expedition. Von links nach rechts: Knut Haug-land, Bengt Danielsson, der Verfasser, Erik Hesselberg, Torstein Raaby und Hermann Watzinger.
Unten: Die „Kon-Tiki" wird in Peru gebaut. Die Balsastämme werden mit Hanttauen zusammengebunden. Nicht ein Stück Metall wird dabei verwendet.
Ich warf Hermann einen Blick zu. Er sah so erwartungsvoll aus wie ein lieber kleiner Junge, der mit seiner reichen Tante durch ein Schokoladengeschäft geht. Der lange Oberst ging voran und zeigte die verschiedenen Herrlichkeiten, und als wir endlich durch waren, hatte das Stabspersonal bereits alles in Frage Kommende samt der benötigten Menge notiert. Ich hielt also die Schlacht bereits für glücklich gewonnen und verspürte in mir bloß den Drang, möglichst rasch das Hotel zu gewinnen, um mich dort lang zu machen, damit ich endlich in Frieden und Ruhe über den Stand der Dinge nachdenken konnte. Da sagte plötzlich der lange, freundliche Oberst:
»So, und jetzt müssen Sie zum Chef und mit ihm reden, denn er muß uns erlauben, daß wir Ihnen das alles ausfolgen können.«
Das Herz begann mir in die Hosen zu rutschen. Jetzt konnte ich also meinen Sermon wieder von vorn beginnen, und der Himmel allein mochte wissen, von welchem Typ der hiesige Boß war.
Wir fanden, daß der »Boß« ein kleiner, grabesernster Offizier war, der hinter seinem Schreibtisch saß und uns mit scharfen blauen Augen durchbohrte, als wir in sein Büro traten. Er bot uns Sitze an.
»Well, und was wünschen die Herren? « fragte er kurz Oberst Lewis, ohne den Blick aus dem meinen zu lösen.
»Ach, nur eine Kleinigkeit«, beeilte sich Lewis zu versichern und berichtete von unserem Anliegen in kurzen Zügen, während der Chef geduldig und ohne uns aus dem Auge zu lassen zuhörte.
»Und was können Sie dabei für uns leisten?« fragte der Chef gänzlich unbeeindruckt.
»Well«, sagte Lewis zuvorkommend, »wir hoffen, daß uns die Expedition über den neuen Proviant berichten kann und daß wir erfahren, wie sich die Ausrüstung unter den schwierigen Verhältnissen bewährt, in die sie vermutlich kommt.«
Der grabesernste Offizier lehnte sich in seinem Sessel, noch immer völlig unberührt zurück, ohne seinen Blick von mir zu lassen, und ich fühlte mich meinerseits in den tiefen Ledersessel zurücksinken, als ich seine kühle Antwort hörte:
»Ich sehe in keiner Weise, daß Sie etwas Entsprechendes für uns tun können . . .«
Im Raum wurde es totenstill. Oberst Lewis biß sich auf die Lippe, und keiner von uns sagte ein Wort.
». . . aber«, sagte der Eiskalte plötzlich mit scharfer Betonung, und es kam ein Blitzen in seine Augen, »Mut und Forscherdrang zählen auch. Oberst Lewis, folgen Sie aus!«
Noch saß ich halb benommen im Taxi auf der Rückfahrt zum Hotel, als Hermann neben mir plötzlich zu murmeln und in sich hineinzukichern begann.
»Fehlt dir was?« fragte ich besorgt.
»Nein«, lachte er übermütig heraus, »aber siehst du, ich habe inzwischen ausgerechnet, daß in dem Proviant, den wir bekommen haben, sechshundertvierundachtzig Büchsen mit Ananas sind, und dafür lebe und sterbe ich!«
Tausend Dinge müssen getan werden und alle auf einmal, wenn man sechs Mann mit einem Floß und seiner ganzen Ausrüstung an der peruanischen Küste versammeln will. Wir hatten nur drei Monate Zeit, und leider stand Aladins Wunderlampe nicht zu unserer Verfügung. Mit einer Empfehlung der »Auswärtigen Abteilung« flogen wir nach New York und suchten Professor Behre von der Columbia-Universität auf, der dem Komitee des Kriegsdepartments für Geographische Forschung vorstand. Er drückte auf alle Knöpfe, und im Handumdrehen hatte Hermann all die kostbaren Instrumente und Apparate, die er für seine wissenschaftlichen Messungen brauchte.
Wir flogen nach Washington, um Admiral Glover vom Hydrographischen Institut der Marine aufzusuchen. Der gutgelaunte alte Seelöwe versammelte seine Offiziere, zeigte auf seine große Wandkarte des Pazifiks und stellte Hermann und mich mit den Worten vor:
»Diese jungen Herren beabsichtigen, unsere Seekarten zu korrigieren. Helfen Sie ihnen!«
Im weiteren Verlauf berief Oberst Lumsden auch bei den Engländern eine Zusammenkunft in der britischen Militärkommission in Washington ein, um die Probleme, die uns erwarteten, und die Chancen für einen günstigen Erfolg zu diskutieren. Hier bekamen wir vor allem gute Ratschläge, aber auch eine Auswahl von britischem Gerät, das man von England brachte, damit es auf der Floßfahrt ausprobiert würde. Der britische Sanitätschef war ein eifriger Fürsprecher für ein mysteriöses Haipulver. Wir sollten davon einige Krümel ins Wasser streuen, wenn die Haie zudringlich würden, dann würden sie alle in weitem Umkreis verduften.
»Sir«, fragte ich höflich und besorgt, »können wir uns auch auf dieses Pulver verlassen?«
»Well«, erwiderte der Engländer mit entgegenkommendem Lächeln, »genau das wollen wir ja dabei sehen!«
Wenn die Zeit knapp ist und das Flugzeug den Zug ersetzen muß, das Auto die Füße, dann schrumpft die Brieftasche ein wie ein vertrocknetes Herbarium. Mein Retourbillet nach Norwegen war längst zu Bargeld geworden. Deshalb klopften wir bei unseren Freunden, den Geldgebern in spe, in New York an, um unsere Finanzen zu sanieren. Hier trafen wir auf ungeahnte und finstere Probleme. Der Finanzchef war krank und lag mit Fieber im Bett. Seine zwei Kollegen waren machtlos, bis er wieder in Aktion treten konnte. Sie hielten wohl an unserer finanziellen Abmachung fest, aber vorläufig konnten sie nichts unternehmen. Sie baten uns, die Sache aufzuschieben, eine Bitte, die für uns völlig sinnlos war. Wir konnten gar nicht mehr die zahlreichen Räder anhalten, die wir gerade in Bewegung gesetzt hatten. Wir wurden auf jeden Fall mitgerissen, es war zu spät, stehenzubleiben oder zu bremsen. Unsere Freunde, die Geldgeber, verstanden sich schließlich dazu, die ganze Koalition aufzulösen, damit wir freie Hand bekamen, um rasch und selbständig ohne sie handeln zu können.
So standen wir wieder auf der Straße, die Fäuste in den Hosentaschen.
»Dezember, Januar, Februar«, sagte Hermann.
»Und zur Not auch März«, ergänzte ich, »aber dann müssen wir starten.«
Wenn auch alles schlimm aussah, eines war weiterhin für uns klar: Unsere Fahrt hatte ihren guten Sinn, und wir wünschten uns nicht mit Akrobaten auf eine Stufe zu stellen, die sich in einem hohlen Faß den Niagara hinunterrollen lassen oder auf einer Flaggenstange siebzehn Tage als Säulenheilige hocken bleiben.
»Also keine Hilfe von Kaugummi- und Coca-Cola-Konzernen«, sagte Hermann, und darin waren wir uns zutiefst einig. Norwegische Kronen konnten wir beschaffen, aber damit waren die Probleme auf unserer Seite des Atlantiks nicht zu lösen. Wir konnten uns um einen Mäzen umschauen, aber es mochte wohl keiner seinen Namen unter eine so umstrittene Theorie setzen. Deshalb wollten wir ja schließlich unsere Floßfahrt unternehmen. Wir fanden bald, daß weder die Presse noch private Spender es wagten, Bargeld in eine Sache zu stecken, die sie selbst im Verein mit allen Versicherungsgesellschaften für eine Selbstmörderpartie ansahen. Aber kamen wir mit heilen Knochen zurück, so war das natürlich eine andere Sache . . .
Es sah wirklich ziemlich finster aus, und viele Tage sichteten wir kein Land. Da tauchte Oberst Munthe-Kaas wieder auf der Bildfläche auf.
»Ja, ja, die jungen Leute haben es nicht leicht! Hier ist ein Scheck, damit ihr einmal anfangen könnt. Ihr könnt mir das Geld ja wiedergeben, wenn ihr von den Südseeinseln heimkommt.«
Der Oberst zog andere mit, und bald hatten wir von privater Seite genug erhalten, um uns weiterzuhelfen, ohne Agenten und ähnliches Volk zu brauchen. Es war Zeit, nach Südamerika zu fliegen und mit dem Floßbau zu beginnen.
Die alten Flöße in Peru sind aus Balsastämmen zusammengesetzt, die in trockenem Zustand leichter als Kork sind. Der Balsabaum wächst auch in Peru, aber nur hinter den Andenketten, so daß die Seefahrer der Inkazeit entlang der Küste nach Ecuador zogen, wo sie ihre enormen Balsastämme ganz unten an der Küste des Stillen Ozeans schlugen. Wir hatten die fromme Absicht, dasselbe zu tun.
Die Reiseprobleme der Gegenwart sind etwas anders als die der Inkazeit. Es ist der Menschheit geglückt, Auto, Flugzeug und Reisebüro zu schaffen, aber um die Sache nicht allzuleicht zu gestalten, haben wir uns auch Dinge angeschafft, die man Landesgrenzen nennt, mit messingbeknöpften Zerberussen, die das Alibi des harmlos Reisenden bezweifeln, sein Gepäck mißhandeln und auch den noch mit gestempelten Formularen ins Knie zwingen, der sonst glücklich hineingeschlüpft wäre. Die Furcht vor diesen Messingbeknöpften bewirkte, daß wir es gar nicht wagten, in Südamerika mit Kisten und Koffern voll merkwürdiger Gegenstände aufzutauchen, den Hut zu lüpfen und höflich in gebrochenem Spanisch um Einlaß zu bitten, um mit einem Floß wieder abzuhauen. Wir wären sicher hinter Schloß und Riegel gelandet.
»Nein«, sagte Hermann, »wir brauchen eine offizielle Einführung.«
Einer unserer Freunde aus dem aufgelösten Finanztriumvirat war Korrespondent bei den UN und nahm uns im Auto dorthin mit. Wir waren mächtig beeindruckt, als wir in den großen Versammlungssaal kamen, wo Männer aller Nationen nebeneinandergeschichtet saßen und in andächtigem Schweigen dem Redestrom eines schwarzhaarigen Russen lauschten, der vor der gigantischen Weltkarte, die die Rückwand schmückte, gestikulierte.
Unserem Freund, dem Korrespondenten, gelang es in einer kleinen Pause, eines der Delegierten von Peru habhaft zu werden, knapp darauf brachte er auch einen Repräsentanten von Ecuador herbei. In einem tiefen Ledersofa draußen in einem Vorraum lauschten sie interessiert unserem Plan, über das Meer zu fahren, um die Theorie zu stützen, daß ein altes Kulturvolk aus ihrem eigenen Heimatland zuerst die Südseeinseln entdeckt hätte. Beide versprachen, ihre Regierungen zu verständigen, und garantierten uns beste Unterstützung, wenn wir in ihre Heimat kämen.
Trygve Lie, der die Vorhalle passierte, besuchte uns, als er hörte, daß wir Landsleute wären, und jemand schlug vor, er solle uns auf dem Floß begleiten, aber er hatte genug mit den Stürmen an Land zu tun. Der Vizesekretär der UN, Dr. Benjamin Cohen aus Chile, war selbst ein bekannter Amateurarchäologe und gab uns einen Brief an den Präsidenten von Peru mit, der sein persönlicher Freund war.
Im Saal trafen wir auch den Gesandten Norwegens, Wilhelm Morgenstierne, der von da an der Expedition unschätzbare Dienste leistete.
Dann kauften wir zwei Flugkarten und flogen nach Südamerika. Als die vier schweren Motoren einer nach dem anderen zu dröhnen begannen, sanken wir erschöpft in die tiefen Lederpolster zurück. Wir hatten das unsäglich erleichternde Gefühl, daß die erste Phase des Programms überstanden war. Jetzt ging es geradewegs ins Abenteuer.