VII. KURS CERES

Luckys Augen verengten sich zu Schlitzen. Er merkte, wie sich die Muskeln seines rechten Armes unwillkürlich zusammenzogen, so, als wolle er an die Hüfte greifen. Dort befand sich aber kein Blaster. In Wirklichkeit rührte er sich nicht von der Stelle.

Er kontrollierte seine Stimme vollständig. »Wessen Sohn?« fragte er verständnislos. »Wovon reden Sie?«

»Ich bin ganz sicher.« Der Einsiedler beugte sich vor und ergriff mit ernster Mine Luckys Handgelenk. »Ich kannte Lawrence Starr sehr gut, er hat mir einmal geholfen, als ich dringend Hilfe brauchte. Sie sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich irre mich bestimmt nicht.«

Lucky zog seine Hand zurück. »Sie reden Unsinn.«

»Hör' mal, mein Junge, es ist vielleicht wichtig für dich, deine Identität nicht preiszugeben, vielleicht traust du mir auch nicht. Geht in Ordnung, ich verlange gar nicht von dir, daß du mir traust. Ich habe mit den Piraten gemeinsame Sache gemacht und bestreite das nicht. Aber hör' mir trotzdem zu. Die Männer der Asteroiden verfügen über eine gute Organisation. Vielleicht brauchen sie Wochen dazu, aber falls Anton dich in Verdacht hat, werden sie nicht eher Ruhe geben, bis sie dich auf Herz und Nieren geprüft haben. Auf Lügenmärchen fallen die nicht rein. Sie kommen hinter deine wahre Identität. Geh' weg, ich rate dir gut, geh!«

»Wenn ich dieser Typ wäre, von dem Sie da reden, Oldtimer, würden Sie sich da nicht selbst in Schwierigkeiten bringen?« erkundigte sich Lucky. »Wenn ich Sie richtig verstehe, dann wollen Sie, daß ich Ihr Schiff nehme.«

»Ja.«

»Und was werden Sie unternehmen, wenn die Piraten zurückkommen?«

»Ich wäre nicht da. Verstehst du mich nicht? Ich will mit dir kommen.«

»Und alles das hier im Stich lassen?«

Der Alte zögerte. »Stimmt, das ist hart. Aber eine Chance wie diese wird sich mir nicht noch einmal bieten. Du bist ein einflußreicher Mann, das mußt du sein. Vielleicht bist du sogar ein Ratsmitglied. Du hast hier einen Geheimauftrag. Dir werden sie glauben. Du könntest mich beschützen, für mich bürgen. Du würdest verhindern, daß ich gerichtlich belangt werde und dafür sorgen, daß die Piraten mir nichts antun können. Für den Rat würde es sich lohnen, junger Mann. Ich würde alles, was ich über die Piraten weiß, erzählen. Ich wäre zur vollständigen Zusammenarbeit bereit.«

»Wo steht Ihr Schiff?« fragte Lucky kurz angebunden.

»Der Handel gilt also?«

*

Das Schiff war tatsächlich sehr klein. Durch einen engen Korridor gelangten sie zur Rakete. Sie mußten im Gänsemarsch gehen, und ihre Gestalten in den Raumanzügen wirkten grotesk.

»Ist Ceres nahe genug, um ihn mit einem Bordteleskop orten zu können?« wollte Lucky wissen.

»Ja, natürlich.«

»Könnten Sie ihn ohne Schwierigkeiten wiedererkennen?« »Gewiß.«

»Dann wollen wir mal an Bord gehen.«

Die Stirnseite der luftleeren Höhle, in der die Rakete stand, öffnete sich in dem Moment nach außen, als die Triebwerke eingeschaltet wurden.

»Funkgesteuert«, erklärte Hansen.

Das Schiff war aufgetankt und hatte Vorräte an Bord. Es ließ sich problemlos steuern, als es von seinem Liegeplatz abhob. Die Leichtigkeit, mit der das Schiff in den Weltraum emporschwebte, war nur unter diesen praktisch gravitationslosen Bedingungen möglich. Zum ersten Mal konnte Lucky Hansens Asteroiden vom All aus sehen. Kurz bevor es im Dunkel verschwand, erhaschte er einen Blick auf das Tal der leeren Büchsen. Es wirkte heller als das Felsgestein ringsumher.

Hansen sagte: »Jetzt können Sie es mir ja ruhig sagen, sind Sie wirklich Lawrence Starrs Sohn?«

Lucky hatte einen gutgeladenen Blaster und ein anständiges Halfter entdeckt. Als er zu sprechen anfing, schnallte er es gerade um.

»Mein Name«, sagte er, »ist David Starr. Die meisten nennen mich Lucky.«

*

Ceres ist ein Monster unter den Asteroiden. Er ist beinahe fünfhundert Meilen im Durchmesser, und auf seiner Oberfläche stehend wiegt ein durchschnittlicher Mann sogar ganze zwei Pfund. Er ist ziemlich rund, und jemand, der sich sehr nahe vor ihm im Weltraum befindet, könnte leicht zu dem Schluß gelangen, es handele sich bei Ceres um einen richtigen Planeten.

Trotzdem, wäre die Erde hohl, dann könnte man viertausend Körper von Ceres' Größe hineinwerfen, bis sie voll wäre.

Bigman stand auf der Oberfläche von Ceres, sein Körper war durch den Raumanzug unförmig vergrößert. Der Anzug war bis zum Geht-nicht-mehr mit Bleiplatten vollgestopft, an den Füßen trug er Pantinen, deren Sohlen aus dreißig Zentimeter dickem Blei bestanden. Das war seine eigene Idee gewesen, nützte aber so gut wie gar nichts. Er wog immer noch weniger als vier Pfund und jede seiner Bewegungen drohte ihn ins All hinaufzubefördern.

Er befand sich seit Tagen auf Ceres. Nach der schnellen Reise mit Conway und Henree vom Mond hierher wartete er eben auf diesen Augenblick, wartete darauf, daß Lucky Starr den Funkspruch absetzte, er werde in Kürze landen. Gus Henree und Hector Conway waren nervös gewesen, sie fürchteten, Lucky sei tot, machten sich deswegen Sorgen. Er, Bigman, hatte es besser gewußt. Lucky wurde mit allem fertig. Das hatte er ihnen gesagt. Als Luckys Nachricht schließlich kam, rieb er es ihnen noch einmal unter die Nase.

Aber trotzdem, wie er hier so auf dem gefrorenen Boden von Ceres mit nichts zwischen sich und den Sternen stand, gestand er sich seine Erleichterung ein.

Von seinem Standpunkt aus sah er direkt auf die Kuppel des Observatoriums, dessen entfernt liegender Ausläufer hinter den nahegelegenen Horizont verschwanden. Es war das größte Observatorium des terrestrischen Empires, und dafür gab es sehr einleuchtende Gründe.

In dem Teil des Sonnensystems, das innerhalb der Jupiterumlaufbahn lag, verfügten die Planeten Venus, Erde und Mars über Atmosphären, und dieser Umstand machte sie zu - für astronomische Beobachtungen - ungeeigneten Basen.

Die Luftschicht, selbst wenn sie nur so dünn war wie auf dem Mars, löschte alle feineren Einzelheiten. Sie ließ das Aussehen von Sternen verschwimmen und flackern und verdarb dadurch alles. Das größte atmosphärelose Objekt innerhalb der Jupiterbahn war der Merkur. Dieser Stern stand aber so nahe bei der Sonne, daß sich die Observatorien in seiner Dämmerzone auf die Beobachtung der Sonne verlegt hatten. Dazu genügten relativ kleine Teleskope.

Der zweitgrößte Himmelskörper ohne Luftschichten war der Mond. Aber auch hier diktierten die Umstände eine Spezialisierung. So hatte sich die Wettervorhersage für die Erde in eine genaue, zu langfristigen Prognosen fähige Wissenschaft entwickelt. Man konnte aus einer Entfernung von einer Viertelmillion Meilen die gesamte Erdatmosphäre überblicken.

Das drittgrößte Objekt ohne Luft war Ceres. Und es war gleichzeitig das beste von allen. Die praktisch nicht vorhandenen Gravitationsverhältnisse gestatteten es, riesige Linsen und Spiegel zu gießen, ohne daß man befürchten mußte, daß sie zu Bruch gingen, selbst das Risiko des Nachgebens unter dem eigenen Gewicht konnte außer acht gelassen werden. Die Struktur der Teleskopröhre selbst bedurfte keiner besonderen Festigkeit. Ceres war beinahe dreimal so weit von der Sonne entfernt wie der Mond und das Licht nur ein Achtel so hell. Seine schnelle Rotation sorgte dafür, daß die Temperaturverhältnisse auf Ceres nahezu konstant blieben. Kurz gesagt, zur Beobachtung der Fixsterne und der äußeren Planeten war Ceres einfach ideal.

Gestern erst hatte Bigman den Saturn durch ein zweitausendfünfhundert Zentimeter Reflektionsteleskop beobachtet. Das Schleifen des riesigen Spiegels hatte zwanzig Jahre peinlichst genauer und unaufhörlicher Arbeit gekostet.

»Wodurch sehe ich da?« hatte er gefragt.

Sie hatten ihn ausgelacht. »Sie sehen durch gar nichts.«

Vorsichtig hatten sie mit drei Mann die Steuerungseinrichtungen bedient, jeder einzelne tat etwas, das auf die Bewegungen der beiden anderen genau abgestimmt war. Schließlich waren sie mit ihrer Arbeit zufrieden gewesen. Die schwachen roten Lichter wurden noch schwächer, und in der nachtschwarzen Grube, um die sie herumsaßen, erwachte plötzlich ein weißer Lichtfleck zum Leben. Ein Griff und die Scharfeinstellung war da.

Bigman pfiff überrascht durch die Zähne. Der Saturn!

Es war der Saturn, neunzig Zentimeter im Durchmesser, genau wie er ihn schon ein halbes Dutzend mal im All gesehen hatte. Hell leuchteten die Drillingsringe, und er konnte drei murmelähnliche Monde erkennen. Dahinter befanden sich mehrere Sternnebel. Bigman hatte das Bedürfnis umherzugehen und wollte sehen, wie das Ganze aussah, wenn der Nachtschatten mitten hindurch schnitt, aber das Bild veränderte sich nicht, als er seine Position veränderte.

»Es handelt sich um ein Scheinbild«, hatte man ihm gesagt, »das Ganze ist nur Einbildung. Egal, wo Sie sich hinstellen, Sie werden immer das Gleiche sehen.«

Hier auf der Asteroidenoberfläche konnte Bigman den Saturn mit dem bloßen Auge erkennen. Er war nur ein weißer Punkt, aber heller als die anderen weißen Punkte, die Fixsterne darstellten. Von hier erschien er doppelt so hell wie von der Erde aus, aber schließlich war der Abstand von Ceres aus auch 300 Millionen Kilometer geringer. Die Erde lag auf der anderen Seite von Ceres in der Nähe der erbsengroßen Sonne. Mutter Erde bot keinen sehr eindrucksvollen Anblick, da die Sonne sie unweigerlich zwergenhaft erscheinen ließ.

Der Anruf flutete durch seinen auf Empfang gestellten Kopfhörer, und Bigmans Helm dröhnte, so laut kam der Ton durch.

»He, Winzling, mach' dich auf die Socken. Es kommt gerade ein Schiff an.«

Bigman schreckte auf, und mit zappelnden Gliedern hob es ihn in die Höhe. »Wen nennst du da Winzling?« schrie er zornig.

Der andere lachte nur. »Sag' mal, was berechnest du für Flugstunden, Däumling?«

»Ich geb' dir gleich Däumling«, fauchte Bigman aufgebracht. Er hatte den Scheitelpunkt seiner Flugbahn überschritten und kam nun zögernd und langsam wieder herunter. »Wie heißt du, Schlaumeier? Spuck den Namen aus, und ich schlag' dir die Nase ein, sobald ich aus dem Anzug bin.«

»Glaubst du, du kommst an meine Nase ran?« kam die spöttische Retourkutsche. Bigman wäre bestimmt in winzige Teile explodiert, hätte er nicht in diesem Augenblick das über den Horizont huschende Schiff erkannt.

In langen, unbeholfenen Sprüngen setzte er quer über die eingegebene Quadratmeile, die als Raumfahrthafen diente, dabei versuchte er genau abzuschätzen, wo das Schiff landen würde.

Mit zischenden Jets sank es wie eine Feder zur Oberfläche, und als sich die Schleuse öffnete und Luckys große Gestalt in dem Schutzanzug zum Vorschein kam, machte Bigman vor Freude einen langen Satz, und dann waren sie wieder zusammen.

Conway und Henree waren in ihrer Begrüßung weniger stürmisch, aber nicht weniger erfreut. Alle beiden schüttelten feste Luckys Hand, so, als ob sie durch einfache körperliche Berührung feststellen wollten, ob es mit Lucky in Lebensgröße auch seine Richtigkeit habe.

Lucky mußte lachen. »Aua, nun laßt es gut sein. Ich muß auch mal atmen. Was ist eigentlich los? Habt ihr denn nicht daran geglaubt, daß ich wiederkomme?« »Hör mal zu«, fing Conway an, »das nächste Mal ziehst du uns besser zu Rate, bevor du einfach aus so einer verrückten Laune heraus losziehst.«

»Na gut, aber nur, wenn es nicht zu verrückt ist, sonst laßt ihr mich ja doch nicht weg.«

»Das laß' mal unsere Sorge sein. Ich könnte dich dafür vom Weltraumdienst suspendieren. Ich könnte dich jetzt sofort unter Arrest stellen. Sogar aus dem Rat könnte ich dich schmeißen«, sagte Conway.

»Und was wirst du bei der großen Auswahl nun tun?«

»Nichts werde ich tun, du Riesendummkopf. Aber vielleicht schlage ich dir doch noch eines Tages den Schädel ein.«

Lucky wandte sich Augustus Henree zu. »Du wirst ihn doch davon abhalten, oder?«

»Ehrlich gesagt, ich werde ihm dabei helfen.«

»Dann muß ich wohl klein beigeben. Aber hier ist ein Herr, den ihr kennenlernen solltet.«

Bislang hatte Hansen sich im Hintergrund gehalten und sich augenscheinlich über den Austausch von unsinnigen Bemerkungen amüsiert. Die beiden älteren Ratsmitglieder hatten ihre Aufmerksamkeit so sehr auf Lucky konzentriert, daß sie den anderen überhaupt nicht bemerkten.

»Dr. Conway«, sagte Lucky, »Dr. Henree, dies hier ist Mr. Joseph P. Hansen, der Mann, dessen Schiff ich benutzt habe, um hierher zu gelangen. Seine Unterstützung war mir sehr wertvoll.«

Der alte Einsiedler schüttelte den beiden Wissenschaftlern die Hand.

»Ich nehme nicht an, daß Sie Dr. Conway und Dr. Henree schon einmal getroffen haben«, sagte Lucky, und der Einsiedler schüttelte den Kopf.

»Also«, fuhr er fort, »beide sind wichtige Leute im Wissenschaftsrat. Wenn Sie gegessen und sich etwas ausgeruht haben, werden sie sich mit Ihnen unterhalten und Ihnen auch behilflich sein, dessen bin ich sicher.«

*

Eine Stunde später saßen die beiden Ratsmitglieder mit ernsten Gesichtern Lucky gegenüber. Dr. Henree drückte den Tabak in seiner Pfeife mit dem kleinen Finger fest und begann, während er Luckys Bericht über seine Abenteuer mit den Piraten lauschte, mit ruhigen Zügen zu rauchen.

»Hast du das Bigman schon alles erzählt?« fragte er.

»Ich habe gerade eine Zeitlang mit ihm geredet«, räumte Lucky ein.

»Und er ist nicht über dich hergefallen, weil du ihn nicht mitgenommen hast?«

»Begeistert war er nicht«, gab Lucky zu.

Conway hingegen machte sich ernsthaftere Gedanken. »Ein Schiff, wie die Sirier es bauen, was?« sagte er gedankenverloren.

»Daran besteht nicht der geringste Zweifel«, antwortete Lucky. »Soviel wissen wir wenigstens.«

»Die Information war das Risiko nicht wert«, stellte Conway trocken fest. »Eine andere Tatsache macht mir viel mehr Kopfzerbrechen. Es ist offensichtlich, daß die Sirier Kontakte im Wissenschaftsrat haben.«

Henree nickte ernst. »Das sehe ich auch so. Schlimme Sache.«

»Wie kommt ihr denn darauf?« wollte Lucky wissen.

»Heilige Milchstraße, Junge, das ist doch sonnenklar«, knurrte Conway. »Ich gebe zu, wir haben eine große Mannschaft an der Rakete eingesetzt, und selbst bei bestem Willen sind Unvorsichtigkeiten bei der Weitergabe von Informationen möglich. Fest steht aber, daß die Höllenmaschine und besonders die Art und Weise, wie der Zündmechanismus konstruiert war, nur Ratsmitgliedern bekannt war. Und zwar nur sehr wenigen Ratsmitgliedern. Irgendwo in dieser kleinen Gruppe befindet sich ein Spion, und ich hätte Stein und Bein geschworen, daß auf alle Verlaß ist.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«

»Das brauchst du auch nicht«, meinte Lucky.

»Ach? Und warum nicht?«

»Die undichte Stelle zu den Siriern war zeitlich begrenzt. Die sirische Botschaft hat ihre Informationen von mir bekommen.«

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