IX. DER ASTEROID, DEN ES NICHT GAB

Lucky sah im direkt in die Augen. »Es ist schwer zu glauben, Mr. Hansen. Man sollte annehmen, daß Sie ihre Koordinaten genauso gut kennen, wie jeder Planetenbewohner seine Postanschrift weiß.«

Der Einsiedler sah auf seine Fußspitzen hinab und erwiderte sanft: »Sie haben wohl recht. Es handelt sich ja wirklich um meine Wohnadresse. Trotzdem weiß ich sie nicht.«

Conway meldete sich zu Wort. »Falls dieser Mann absichtlich.«

Lucky unterbrach ihn. »Warte mal, wir wollen uns in Geduld fassen, wenn es sein muß. Mr. Hansen muß einfach eine Erklärung dafür haben.«

Sie warteten alle darauf, daß der Einsiedler sich äußerte.

Die Koordinaten der verschiedenen Himmelskörper im Milchstraßensystem stellten das A und O der Weltraumfahrt da. Sie erfüllten die gleichen Aufgaben wie Längen- und Breitengrade auf der zweidimensionalen Oberfläche eines Planeten. Da das All aber dreidimensional ist und die Himmelskörper sich in ihm auf jede nur erdenkliche Art und Weise bewegen, sind die notwendigen Koordinaten viel komplizierter.

Grundsätzlich gibt es eine Standard-Null-Position. Im Falle des Solarsystems, war die Sonne gewöhnlich der Standard. Von diesem Standard ausgehend, sind drei Zahlen notwendig. Die erste Zahl gibt die Entfernung eines Objektes oder einer Position im Weltraum zur Sonne an. Die zweite und dritte Ziffer sind Winkelmessungen, die den Standort eines Objektes, bezogen auf eine gedachte Linie, die die Sonne mit dem Zentrum der Milchstraße verbindet, bezeichnen. Wenn nun drei solcher Koordinatensätze für drei verschiedene Zeiten, die weit genug auseinanderliegen müssen, bekannt sind, kann man die Umlaufbahn eines bewegten Körpers berechnen, und seine Position im Verhältnis zur Sonne ist jederzeit bekannt.

Schiffe konnten ihre eigenen Koordinaten zur Sonne selbst berechnen, oder falls das bequemer war, zum nächstgelegenen großen Himmelskörper, das blieb sich gleich. Bei der Lunaroute zum Beispiel, auf der Schiffe von der Erde zum Mond und wieder zurück reisten, war die Erde üblicherweise der >Nullpunkt<. Die Koordinaten der Sonne selbst konnte man berechnen, indem man sie in ein Verhältnis zum Zentrum der Milchstraße und dem galaktischen Großmeridian setzte. Aber das war nur für die Reise von Fixstern zu Fixstern von Bedeutung.

Einiges davon war dem Einsiedler möglicherweise durch den Kopf gegangen, als er nun dort mit den drei Ratsmitgliedern zusammensaß, die ihn aufmerksam musterten. Es war schwer zu sagen.

»Ja, ich kann es erklären«, sagte Hansen plötzlich.

»Wir warten«, antwortete Lucky.

»Ich habe die Koordinaten seit fünfzehn Jahren nicht mehr gebraucht. Seit zwei Jahren habe ich meinen Asteroiden überhaupt nicht verlassen, und bei den Ausflügen, die ich davor gemacht habe, einen oder zwei pro Jahr vielleicht, handelte es sich um kurze Stippvisiten auf Ceres oder Vesta, um Verpflegung zu besorgen. Dann habe ich immer Koordinaten benutzt, die ich für die betreffende Zeitspanne berechnet habe. Eine Tabelle habe ich nie erstellt, dazu bestand kein Anlaß.

Ich war ja höchstens einen oder zwei Tage weg, drei, wenn es hochkam, und in der kurzen Zeit würde mein Felsen nicht weit abtreiben. Er schwimmt im Strom mit, wenn er weit von der Sonne entfernt ist, bewegt er sich etwas langsamer als Ceres und Vesta, wenn die Sonne nähersteht, ein wenig schneller. Kehrte ich dann zu der berechneten Position zurück, so war mein Felsen vielleicht zehntausend oder vielleicht sogar hunderttausend Meilen von seinem ursprünglichen Standort weggetrieben, aber das ist immer noch nahe genug, um ihn mit dem Schiffsteleskop orten zu können. Dann konnte ich den Kurs nach Augenmaß korrigieren. Solar-Standardkoordinaten habe ich einfach nie benutzt, es bestand keine Veranlassung dazu, das ist alles.«

»Sie behaupten also«, konstatierte Lucky, »daß Sie nicht in der Lage sind, jetzt sofort den Weg zu Ihrem Brocken zu finden. Oder haben Sie die Standkoordinaten vor dem Abflug berechnet?«

»Daran habe ich nicht einen Augenblick lang gedacht«, meinte der Einsiedler traurig. »Es ist schon so lange her, seit ich ihn zum letzten Mal verlassen habe, daß ich der Angelegenheit keine Beachtung geschenkt habe. Jedenfalls nicht solange, bis Sie mich hierher zitiert haben.«

Aus Dr. Henrees Ecke kam es: »Halt, halt.« Er hatte sich eine neue Pfeife gestopft und zog kräftig daran.

»Ich könnte mich irren, Mr. Hansen, aber als Sie damals Ihr Besitzrecht an dem Asteroiden geltend gemacht haben, mußten Sie Ihren Anspruch doch beim Terrestrischen Amt für die Außenwelt schriftlich niederlegen, ist das richtig?«

»Ja, aber das war eine reine Formalität.«

»Das mag schon sein, will ich gar nicht bestreiten. Aber dennoch wären die Koordinaten Ihres Asteroiden in den Akten vermerkt.«

Hansen dachte einen Augenblick lang nach, dann schüttelte er den Kopf. »Ich fürchte nicht, Dr. Henree. Man hat nur die Standardkoordinate für den ersten Januar des betreffenden Jahres genommen. Das geschah nur, um den Asteroiden wie mit einer Codenummer zu versehen, für den Fall, daß die Eigentumsrechte umstritten sind. Darüber hinaus hatten sie keinerlei Interesse an der Sache, und mit nur einer Zahlenkombination kann man keine Umlaufbahn berechnen.«

»Aber Sie selbst mußten doch Umlaufwerte gehabt haben. Lucky hier hat uns erzählt, Sie hätten den Asteroiden anfangs als Aufenthaltsort für Ihren Jahresurlaub benutzt. Deshalb müssen Sie doch in der Lage gewesen sein, ihn Jahr für Jahr wiederzufinden.«

»Das war vor fünfzehn Jahren, Dr. Henree. Ich hatte die Werte, ja, und diese Werte befinden sich nun in meinen Unterlagen auf dem Felsen, im Kopf habe ich sie nicht.«

Luckys braune Augen waren noch dunkler geworden. »Das wäre im Augenblick alles, Mr. Hansen. Die Wache wird Sie in Ihr Zimmer zurückbringen und wir werden Sie wissen lassen, wann wir Sie wieder brauchen. Und, Mr. Hansen«, fügte er hinzu, als der Einsiedler im Begriff stand sich zu erheben, »falls Ihnen die Koordinaten zufällig einfallen sollten, dann geben Sie uns bitte Bescheid.«

»Darauf gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, Mr. Starr«, antwortete Hansen ernst.

Die drei waren wieder allein. Luckys Hand zuckte in Richtung des Kommunikators. »Stellen Sie mir eine Verbindung her«, befahl er.

Die Stimme des Mannes in der Zentralvermittlung antwortete ihm. »War die Nachricht eben für Sie, Sir? Ich konnte sie nicht entschlüsseln, deswegen dachte ich.«

»Gut gemacht. Leitung bitte.«

Lucky stellte den Zerhacker an und benutzte Bigmans Koordinaten um den Sub-Ätherstrahl ins Ziel zu lenken.

»Bigman«, sagte er, als das Gesicht des anderen erschien, »schlag' noch einmal das Logbuch auf.«

»Hast du die Koordinaten, Lucky?«

»Noch nicht. Hast du das Log vor dir liegen?«

»Ja.«

»Kannst du irgendwo einen Schmierzettel entdecken? Ein loses Blatt, auf dem Berechnungen stehen?«

»Warte mal. Ja, hier ist es.«

»Halte den Zettel vor den Bildschirm, ich will ihn mir einmal ansehen.«

Lucky zog ein leeres Blatt zu sich herüber und schrieb die Zahlen nieder. »In Ordnung, Bigman, nimm's wieder weg. Bleib', wo du bist, hörst du. Hast du mich verstanden? Bleib' wo du bist, bis du wieder von mir hörst, ganz gleich, was auch passiert. Ende.«

Er wandte sich den beiden älteren Männern zu. »Ich habe das Schiff nach Augenmaß vom Felsen des Einsiedlers bis zum Ceres geführt. Drei oder viermal habe ich Kurskorrekturen vorgenommen, dabei habe ich das Schiffsteleskop und die Noniuseinrichtungen zur Beobachtung und für die Berechnungen benutzt. Hier sind sie.«

Conway nickte. »Ich nehme an, du willst jetzt zurückrechnen, um die Koordinaten des Asteroiden herauszubekommen.«

»Das geht ganz leicht, besonders wenn wir das Ceresobservatorium zu Hilfe nehmen.«

Conway erhob sich schwerfällig. »Ich kann mir nicht helfen, du machst für meinen Geschmack zu viel davon her, aber ich will deiner Spürnase noch eine Weile folgen. Los, gehen wir ins Observatorium.«

*

Über Korridore und mit Hilfe von Fahrstühlen gelangten sie in die Nähe der Ceresoberfläche, eine halbe Meile über den Büros des Wissenschaftsrates auf diesem Asteroiden. Es war kühl hier, aber schließlich gaben sich die Leute vom Observatorium alle erdenkliche Mühe, die Temperatur so konstant wie möglich zu halten und der Oberflächentemperatur soweit anzugleichen, wie dem menschlichen Körper gerade noch zuzumuten war.

Langsam und mit Bedacht entschlüsselte ein blutjunger Techniker Luckys Berechnungen, indem er sie in einen Computer einspeiste und den Vorgang dabei die ganze Zeit über kontrollierte.

Dr. Henree saß auf einem nicht sonderlich bequemen Stuhl, sein dürrer Körper war in sich zusammengekauert. Er schien Wärme aus seiner Pfeife beziehen zu wollen, denn seine großknochigen Hände schwebten nahe über dem Pfeifenkopf.

»Ich hoffe, daß etwas dabei herausschaut«, ließ er sich vernehmen.

»Das will ich stark hoffen«, antwortete Lucky. Er lehnte sich in seinen Sessel zurück und hielt den Blick gedankenverloren auf die gegenüberliegende Wand gerichtet. »Sieh' mal, Onkel Hector, vorhin hast du etwas über meine >Spürnase< gesagt. Mit Spürnase hat das nichts zu tun, inzwischen nicht mehr. Diese Piratenvorkommnisse unterscheiden sich gänzlich von denen vor fünfundzwanzig Jahren.«

»Ihre Schiffe sind nicht mehr so leicht abzufangen oder aufzuhalten, wenn du das meinst«, bemerkte Conway.

»Stimmt, aber deswegen ist es doch um so merkwürdiger, daß sie ihre Aktivitäten auf den Asteroidengürtel beschränken, oder etwa nicht?« gab Lucky zurück. »Der Handelsverkehr wird nur hier zwischen den Asteroiden unterbrochen.«

»Sie sind einfach nur vorsichtig. Vor fünfundzwanzig Jahren, als ihre Schiffe bis zur Venus vorgestoßen sind, waren wir gezwungen, eine Offensive zu starten und sie zu vernichten. Jetzt halten sie sich an die Asteroiden, und die Regierung überlegt es sich dreimal, bevor sie zu kostspieligen Maßnahmen greift.«

»So weit, so gut«, sagte Lucky, »aber wie versorgen sie sich? Man ist immer davon ausgegangen, daß Piraten Überfälle nicht aus Spaß an der Freude unternehmen, sondern um an Schiffe, Lebensmittel, Wasser und Versorgungsgüter zu kommen. Man sollte annehmen, daß sie heutzutage mehr denn je darauf angewiesen sein müßten. Captain Anton hat sich mir gegenüber mit Hunderten von Schiffen und Tausenden von Welten gebrüstet. Vielleicht war das nur eine Lüge, um mich zu beeindrucken, aber er hat sich für das Stoßpistolenduell Zeit gelassen. Wir sind stundenlang im offenen Raum getrieben, als hätte er überhaupt keine Angst, daß von Regierungsseite eingegriffen werden könnte. Und Hansen hat gesagt, daß die Piraten sich der verschiedenen Einsiedlerwelten versichert haben und sie als Zwischenstationen benutzen. Wenn die Piraten mit allen oder wenigstens mit einem Großteil der Einsiedler Kontakt haben, setzt das eine große Organisation voraus.

Wo bekommen sie also die Vorräte her, um eine große Organisation zu unterhalten, und gleichzeitig begehen sie trotzdem weniger Überfälle als ihre Vorgänger vor fünfundzwanzig Jahren? Und ein Mitglied der Piratenmannschaft, dieser Martin Maniu, hat mir etwas über Ehefrauen und Familien erzählt. Er habe mit Zuchtkesseln zu tun, sagte er. Wahrscheinlich baut er Hefe an. Hansen hatte auf seinem Asteroiden Hefenahrung, und die stammte nicht von der Venus, den Geschmack kenne ich.

Wir wollen doch mal eins und eins zusammenzählen: Sie bauen ihren Nahrungsbedarf auf kleinen, in Asteroidenhöhlen verteilten Hefefarmen an. Kohlendioxyd gewinnen sie direkt aus Kalksteinfelsen, Wasser und Sauerstoff holen sie sich von den Jupitermonden. Maschinen und Antriebsaggregate werden vielleicht vom Sirius importiert oder bei gelegentlichen Überfällen erbeutet. Durch die Überfälle kommen sie an neue Rekruten, Männer wie Frauen.

Es läuft darauf hinaus, daß der Sirius hier eine von uns unabhängige Staatsmacht aufbaut. Man bedient sich unzufriedener Menschen, um eine weitverzweigte Gesellschaft aufzubauen, die wir nur schwer oder überhaupt nicht überwältigen können, falls wir zu lange damit zögern. Die Anführer, die Captain Antons, sind vor allem auf Macht aus und wären es durchaus zufrieden, den Siriern eine Hälfte des terrestrischen Imperiums zu überlassen, solange sie nur die andere behalten könnten.«

Conway schüttelte zweifelnd den Kopf. »Für die wenigen Informationen, die wir haben, ist das ein verdammt großes Sittengemälde. Ob wir die Regierung davon überzeugen können, möchte ich stark bezweifeln. Der Wissenschaftsrat kann nur bis zu einem gewissen Punkt selbständig handeln, weißt du. Leider verfügen wir nicht über eine eigene Flotte.«

»Das ist mir bekannt. Und genau deswegen brauchen wir mehr Informationen. Was wäre, wenn wir, während das Spiel gerade erst begonnen hat, ihre Hauptbasen aufspüren, ihre Anführer gefangennehmen, ihre Verbindungen zum Sirius aufdecken.«

»Nun, was dann?«

»Also, ich bin der Überzeugung, daß die Organisation dann erledigt wäre. Ich bin überzeugt, daß der durchschnittliche >Mann von den Asteroiden<, um mal ihre eigene Bezeichnung zu verwenden, keinen Schimmer davon hat, daß er zu einer Siriusmarionette gemacht werden soll. Wahrscheinlich hat er nur etwas gegen die Erde. Vielleicht ist er davon überzeugt, daß er schlechte Karten hatte, vielleicht ist er sauer, weil er keinen Job oder nicht die entsprechende Beförderung bekommen hat, kurzum, er ist möglicherweise zu der Ansicht gelangt, daß er nicht so gut vorangekommen ist, wie er sollte. Möglicherweise ist er von dem, was er für ein aufregendes Leben gehalten hat, angezogen worden. Vielleicht kommt das alles zusammen. Und dennoch kann man daraus nicht schließen, daß so ein Mann bereit wäre, sich auf die Seite der ärgsten Feinde der Erde zu schlagen. Wenn er dahinterkommt, daß seine Anführer ihn genau dazu mißbrauchen, wird sich die Piratenbedrohung in Luft auflösen.«

Lucky unterbrach sein eindringliches Flüstern, als der Techniker näherkam. Der Mann hielt ein durchsichtiges Band in der Hand, auf dem der Computerschlüssel eingestanzt war.

»Hören Sie mal, sind Sie sicher, daß die Zahlen, die Sie mir gegeben haben, auch richtig sind?«

»Ganz sicher, warum?« erwiderte Lucky.

Der Techniker schüttelte den Kopf. »Etwas stimmt da nicht. Die Schlußkoordinaten befördern Ihren Brocken in die verbotene Zone, die richtige Flugbahn schon eingerechnet. Es ist unmöglich, verstehen Sie.«

Luckys Augenbrauen fuhren in die Höhe. Was die verbotene Zone anging, so hatte der Mann sicher recht. Dort befand sich bestimmt kein Asteroid. Diese Zonen stellten Teile des Asteroidengürtels dar, in den Asteroiden, falls es sie gegeben hätte, Sonnenumlaufzeiten hätten, die einem geraden Bruchteil von Jupiters zwölfjähriger Umlaufbahn entsprachen. Das hätte zur Folge, daß Jupiter und der betreffende Asteroid sich alle paar Jahre um den gleichen Bruchteil im All nähergekommen wären. Die Anziehungskraft des Jupiters würde den Asteroiden langsam aber sicher aus der Zone herausholen. Im Verlaufe der zwei Milliarden Jahre, die seit der Entstehung des Planeten vergangen waren, hatte Jupiter alle Asteroiden aus den verbotenen Zonen gezogen.

»Sind Sie sicher, daß Ihre Berechnungen stimmen?« wollte Lucky wissen.

Der Techniker zuckte die Achseln, als wolle er sagen: »Ich verstehe mein Handwerk.« Und meinte nur: »Wir können es mit dem Teleskop nachprüfen. Das Zweitausendfünfhunderter ist gerade besetzt, aber es eignet sich für Nahbetrachtungen sowieso nicht. Wir nehmen eins der kleineren. Würden Sie bitte mit kommen?«

Das eigentliche Observatorium war wie ein Heiligtum, in dem die Teleskope als Altäre fungierten. Männer waren in ihre Arbeit vertieft und unterbrachen ihre Tätigkeit auch nicht für einen Moment, als der Techniker und die drei Ratsmitglieder eintraten.

Der Techniker führte sie zu einem der Flügel, in die der riesige höhlenartige Raum unterteilt war.

»Charlie«, sagte er, an einen früh kahl werdenden jungen Mann gewandt, »kannst du mal eben Bertha anwerfen?«

»Wozu denn?« Charlie schaute von einer Reihe sternenübersäter Photos auf, über die er bisher gebeugt gewesen war.

»Ich will eine Stelle mit diesen Koordinaten hier überprüfen.« Er hielt das Computerband hoch.

Charlie betrachtete den Streifen flüchtig und runzelte die Stirn. »Wozu denn? Das liegt in den verbotenen Zonen.«

»Würdest du das Teleskop bitte trotzdem einmal darauf einstellen?« erkundigte sich der Techniker. »Es handelt sich um eine Angelegenheit des Wissenschaftsrats.«

»Ach? Ja, natürlich, sofort.« Plötzlich war er bedeutend zuvorkommender. »Es dauert nicht lange.«

Er legte einen Schalter um, und eine flexible Membran hoch oben wölbte sich nach innen und schloß sich saugend um »Berthas« Zylinder. Es handelte sich um ein DreihundertZentimeter-Teleskop, wie es für Nahbeobachtungen benutzt wurde. Die Membran bildete einen luftdichten Abschluß, und darüber konnte Lucky das sanfte Schnurren der sich öffnenden Außenschleuse vernehmen. Fest mit der Membran verbunden, zeigte Berthas großes Auge, nun mehr dem Firmament ausgesetzt, nach oben.

»In der Hauptsache«, erklärte Charlie, »verwenden wir Bertha für Fotografien. Für vernünftige direkte Beobachtungen dreht sich Ceres zu schnell. Wir haben Glück, der Punkt, für den Sie sich interessieren, befindet sich über der Kimm.«

Er nahm seinen Platz in der Nähe des Okulars ein, wobei er auf dem Teleskopschaft ritt, als handele es sich um den steifen Rüssel eines riesigen Elefanten. Das Teleskop stand in einem niedrigen. Winkel, den der junge Astronom nun beträchtlich erhöhte. Sorgfältig justierte er die Schärfeneinstellung.

Man sah nur schwarze Leere.

Er hievte sich aus seinem Hochsitz und kletterte die Sprossenleiter herab. Auf seinen Fingerdruck hin öffnete sich eine Trennwand direkt unterhalb des Teleskops, die den Blick auf eine schwarz gesäumte Grube freigab. Dorthinein konnte man eine Reihe von Spiegeln von Linsen richten, die das teleskopische Abbild scharfstellten und vergrößerten.

Man sah nur schwarzen Himmel.

»Das wär's«, sagte Charlie. Er benutzte eine Meßlatte als Zeigestock. »Der kleine Fleck da ist Metis, ein ziemlich großer Brocken. Der Durchmesser beträgt ungefähr 40 Kilometer, er ist aber Millionen von Kilometern entfernt. Hier können Sie einige Fleckchen sehen, die sich weniger als eine Million Kilometer von der Stelle entfernt befinden, an der Sie interessiert sind, aber sie liegen alle auf der gleichen Seite, jenseits der verbotenen Zonen. Die Sterne haben wir mittels Phasenpolarisation abgedeckt, sie würden sonst nur Verwirrung stiften.«

»Ich danke Ihnen«, sagte Lucky. Er schien betroffen.

»Nichts zu danken. Stehe Ihnen immer gerne zur Verfügung.«

Sie befanden sich bereits wieder im Fahrstuhl nach unten, als Lucky wieder etwas sagte. »Das kann einfach nicht wahr sein«, meinte er wie abwesend.

»Warum nicht?« antwortete Henree. »Deine Zahlen waren falsch.«

»Wie sollten sie? Ich bin doch auf Ceres gelandet.«

»Es könnte sein, daß du eine Zahl gemeint und aus Versehen eine andere geschrieben und dann die Kurskorrektur nach Augenmaß vorgenommen hast, ohne es auf dem Blatt zu verbessern.«

Lucky schüttelte den Kopf. »Das wäre mir nie passiert. Ich kann es. wartet mal. Heilige Milchstraße!« Er sah ihnen mit funkelnden Augen ins Gesicht.

»Was ist los, Lucky?«

»Es paßt zusammen! Beim All, es paßt genau! Wißt ihr, ich habe mich tatsächlich geirrt. Das Spiel hat nicht erst eben begonnen, es ist schon verdammt lange in Gang. Vielleicht ist es schon zu spät. Ich habe sie schon wieder unterschätzt.«

Der Fahrstuhl war im richtigen Stockwerk zum Halten gekommen. Die Schiebetür öffnete sich, und Lucky war mit schnellen Schritten draußen.

Conway eilte ihm hinterher, bekam seinen Ellenbogen zu fassen und wirbelte ihn herum. »Wovon redest du da eigentlich?«

»Ich fliege los. Denk' erst gar nicht daran, mich aufhalten zu wollen. Und falls ich nicht wiederkomme, zwing' die Regierung um der Erde willen dazu, großangelegte Sicherheitsvorkehrungen in die Wege zu leiten. Andernfalls könnten die Piraten innerhalb eines Jahres das gesamte Sonnensystem in ihrer Gewalt haben. Vielleicht sogar noch früher.«

»Warum?« fragte Conway aufgebracht. »Etwa weil du einen Asteroiden nicht hast lokalisieren können?«

»Genau.«

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