Weitere Männer kamen zum Seminar. Ein Dutzend portugiesische Zivilisten traf mit Jagdbüchsen und Beuteln Munition ein, begleitet von einem rundlichen Priester, der von den Rotröcken herzlich willkommen geheißen wurde, als er mit einer Donnerbüchse, wie sie von Postkutschenfahrern benutzt wurde, um Räuber abzuwehren, im Garten eintraf. In der Küche waren die Feuer wieder angezündet worden, und jetzt wurden große Kannen mit heißem Tee und Töpfe mit heißem Wasser aufs Dach gebracht. Der Tee reinigte die Kehlen der Soldaten, und das heiße Wasser spülte die Läufe ihrer Waffen. Zehn Kisten mit Ersatzmunition wurden ebenfalls aufs Dach gebracht.
Die Zahl der Franzosen vermehrte sich auf der ebenen Fläche im Norden. Wenn der Feind ein bisschen Verstand hat, dachte Sharpe, dann würde er Mörser auf diesem ebenen Grund einsetzen, aber bis jetzt war keiner erschienen. Vielleicht waren alle Mörser im Westen der Stadt gegen die Royal Navy gerichtet, zu weit entfernt, um schnell herangeschafft werden zu können.
Durch die Nordmauer wurden zusätzliche Schießscharten geschaffen.
Harris brachte Sharpe einen Becher Tee, dann blickte er nach links und rechts, bevor er einen kalten Hähnchenschenkel aus seiner Patronentasche hervorholte. »Ich dachte mir, das könnte Ihnen schmecken, Sir.«
»Woher haben Sie das?«
»Gefunden, Sir«, sagte Harris vage, »und ich habe auch für Sie einen, Sarge.« Harris gab Harper einen Schenkel, holte für sich ein Stück Brust hervor, rieb etwas Pulver davon ab und biss hungrig hinein.
Sharpe stellte fest, wie hungrig er war, und der Hähnchenschenkel schmeckte köstlich. »Wo kommt er her?«, fragte er noch einmal.
»Ich glaube, der war für General Pagets Abendessen, Sir«, bekannte Harris, »aber der hat vermutlich den Appetit verloren.«
»Ja, das könnte sein, und es wäre ein Jammer, diese Köstlichkeit verkommen zu lassen, wie?« Er drehte sich um, als eine Trommel schlug, und sah, dass sich die Franzosen wieder formierten, doch diesmal auf der nördlichen Seite des Seminars. »Auf eure Plätze!«, rief er und schleuderte den Hähnchenknochen weit in den Garten.
Ein paar der Franzosen trugen jetzt Leitern, vermutlich erbeutet aus den Häusern, aus denen sie durch den Beschuss der Geschütze vertrieben worden waren.
»Wenn sie kommen, dann zielt auf die Männer mit den Leitern!« Sharpe bezweifelte, dass die Franzosen selbst ohne Gewehrfeuer nahe genug an die Gartenmauer herankamen, um die Leitern anzusetzen, doch es konnte nicht schaden, sicherzugehen.
Die meisten seiner Schützen hatten die Feuerpause genutzt, um ihre frisch gereinigten Gewehre mit lederumhüllten Kugeln zu laden, was bedeutete, dass ihre ersten Schüsse tödlich genau sein würden. Später, wenn die Franzosen näher herankamen, ging Schnelligkeit vor Genauigkeit, und sie würden darauf verzichten, die Kugeln in Leder zu hüllen und zündfertig zu machen. Sharpe lud jetzt sein Gewehr in der umständlichen Prozedur, und als er den Ladestock wieder befestigt hatte, trat General Hill neben ihn.
»Ich habe nie ein Gewehr abgefeuert«, sagte Hill.
»Das ist dem Feuern einer Muskete sehr ähnlich, Sir«, sagte Sharpe, verlegen, weil ihn ein General ansprach.
»Darf ich?« Hill griff nach der Waffe, und Sharpe überließ sie ihm. »Sehr schön«, sagte Hill und strich über das Baker-Gewehr. »Nicht annähernd so klobig wie eine Muskete.«
Hill tat, als ziele er den Hügel hinab, wollte anscheinend spannen und feuern, doch dann reichte er das Gewehr plötzlich Sharpe zurück. »Ich würde des liebend gern versuchen«, sagte er, »aber wenn ich mein Ziel verfehle, würde die gesamte Armee davon erfahren, wie? Und das könnte ich nicht ertragen.« Er sprach laut, und Sharpe erkannte, dass er unfreiwilliger Komparse bei einem Theaterstück geworden war. Hill war nicht wirklich an dem Gewehr interessiert, sondern hatte die Männer von der Bedrohung unterhalb von ihnen ablenken wollen. Zuvor hatte er ihnen indirekt geschmeichelt, indem er gesagt hatte, sie könnten etwas, von dem er keine Ahnung hatte, nämlich mit einem Gewehr schießen. Und die Männer hatten gegrinst.
Sharpe dachte über Hills Schau nach. Er bewunderte Hill deswegen, aber er bewunderte auch Sir Arthur Wellesley, der nie zu einer solchen Maßnahme gegriffen hätte. Sir Arthur ignorierte die Männer, und die Männer ihrerseits kämpften wie Dämonen, um seine widerwillige Anerkennung zu erlangen.
Sharpe hatte nie Zeit damit verschwendet, sich zu fragen, warum manche Männer geborene Offiziere waren und andere nicht. Er war aus den Mannschaften zum Offizier ernannt worden und hatte die Chance ergriffen, aber das machte das System nicht weniger unfair. Doch die Unfairness der Welt zu beklagen war das Gleiche, wie zu grollen, dass die Sonne heiß ist oder dass der Wind manchmal die Richtung wechselt. Unfairness existierte, schon immer hatte es sie gegeben, und das würde immer so bleiben. Das Wunderbare daran war in Sharpes Augen, dass einige Männer wie Hill und Wellesley, obwohl sie durch unfaire Vorteile reich und privilegiert waren, trotzdem hervorragend in ihren Taten waren. Nicht alle Generäle waren gut, viele waren rundweg schlecht, aber Sharpe hatte ungewöhnliches Glück gehabt, dass er unter dem Kommando von fähigen Männern gestanden hatte. Es machte Sharpe nichts aus, dass Sir Arthur Wellesley ein Aristokratensohn war und sich seinen Weg auf der Beförderungsleiter erkauft hatte und so kalt war wie der Sinn eines Anwalts für Wohltätigkeit. Der langnasige Scheißer wusste, wie man ein Gewinner war, und das war es, was zählte.
Und jetzt zählte es, gegen die Franzosen zu gewinnen. Die Kolonne, viel größer als die erste, marschierte vorwärts, getrieben vom unablässigen Trommelspiel. Die Franzosen stießen Hochrufe aus, vielleicht um sich Mut zu machen, vielleicht auch weil sie ermuntert waren durch die Tatsache, dass die Kanoniere der britischen Geschütze auf der anderen Seite des Flusses sie nicht sehen konnten. Doch dann, begleitet von britischen Jubelschreien, explodierte ein Schrapnellgeschoss von einer Haubitze mitten in der Kolonne. Die britischen Kanoniere feuerten blindlings, zielten über das Seminar hinweg, doch ihr erster Schuss tötete Franzosen, die sich gerade noch mit ihren Hochrufen angespornt hatten.
»Schützen, bereitmachen zum Feuern!«, rief Sharpe. »Hagman? Zielen Sie auf den großen Mann mit dem Säbel!«
»Ich sehe ihn, Sir!«, rief Hagman, legte sein Gewehr an und zielte auf den Offizier, der vorausschritt, wohl um ein Vorbild zu sein. Er ging in den Tod, denn Hagman war ein Meisterschütze.
»Achtet auf die Leitern!«, erinnerte Sharpe die anderen Schützen. Er ging zur Brüstung und nahm das Gewehr an die Schulter. Er zielte auf einen Leiterträger, visierte den Kopf des Mannes an, in der Erwartung, dass er den Unterleib oder die Beine treffen würde. Der Wind blies in sein Gesicht und würde den Schuss nicht seitlich beeinflussen. Er drückte ab und war sofort in Rauch gehüllt. Hagman feuerte als Nächster, dann krachten die anderen Gewehre.
Sharpe ging etwas nach links, um an dem Pulverrauch vorbeizuspähen, und sah, dass der Offizier mit dem Säbel verschwunden war wie jeder andere Mann, der von einer Kugel getroffen worden war. Sie waren von der vorrückenden Kolonne aufgesogen worden, die über die Gefallenen hinweg und an ihnen vorbeimarschiert war.
Dann sah Sharpe eine Leiter wieder auftauchen, die ein Kamerad einem Gefallenen entriss. Er begann sein Gewehr aufzuladen. Dabei sah er nicht auf die Waffe. Er tat einfach fast automatisch, was er gelernt hatte, und in diesem Augenblick krachten die ersten Musketenschüsse von der Gartenmauer, gefolgt von den Musketen aus den Fenstern und vom Dach, und das Seminar war abermals von Rauch und Lärm erfüllt.
Gewehr- und Musketenkugeln fetzten in die französischen Reihen. Fast tausend Männer befanden sich jetzt im Seminar, und sie wurden von steinernen Wänden geschützt und hatten selbst ein großes, offenes Ziel. Sharpe feuerte einen weiteren Schuss den Hügel hinab, dann ging er hinter seinen Männern auf und ab und beobachtete sie.
Slattery brauchte einen neuen Feuerstein, und Sharpe gab ihm einen, dann brach Dodds Hauptfeder, und Sharpe ersetzte die Waffe durch Williamsons altes Gewehr, das Harper seit ihrem Verlassen von Vila Real de Zedes aufbewahrt hatte.
Die Trommeln des Feindes klangen jetzt näher. Sharpe lud sein eigenes Gewehr, als die ersten französischen Musketenkugeln gegen die Wände des Seminars schlugen.
»Sie feuern blindlings«, sagte Sharpe seinen Männern. »Vergeudet nicht eure Munition. Sucht nach Zielen.« Das war schwer wegen des Rauchs, der über dem Hang hing, doch Launen des Windes lichteten manchmal den Nebel, sodass blaue Uniformen zu erkennen waren, und die Franzosen waren nahe genug, sodass Sharpe ihre Gesichter sehen konnte. Er zielte auf einen Mann mit einem gewaltigen Schnurrbart, feuerte und verlor die Sicht auf den Mann, als Rauch vor der Gewehrmündung aufwallte.
Der Lärm war schrecklich. Musketen krachten unablässig, die dumpfen Trommelschläge hämmerten, Schrapnellgeschosse explodierten, und immer wieder waren die Schreie Verwundeter und Sterbender zu hören. Ein Rotrock brach neben Harper zusammen, und Blut bildete eine Pfütze neben seinem Kopf, bis ein Sergeant den Mann fortschleifte und eine rote Spur auf dem Dach hinterließ.
In der Ferne - es musste am Südufer des Flusses sein - spielte eine Kapelle »Der Trommel-Major«, und Sharpe schlug im Takt mit dem Lied gegen den Kolben seines Gewehrs. Ein französischer Ladestock wirbelte durch die Luft und knallte gegen die Seminarwand, offenbar hatte ein Wehrpflichtiger in Panik seinen Abzug betätigt, bevor er den Ladestock aus dem Lauf entfernt hatte. Eine Musketenkugel peitschte dicht an seinem Kopf vorbei, eine andere traf die Brüstung und zerschmetterte einen Ziegel. Unten im Garten zielten Vicentes Männer und die Rotröcke nicht mit ihren Musketen, sondern schoben die Mündungen nur in die Schießscharten, drückten ab und machten für die Ablösung Platz. Es waren jetzt auch einige Grünröcke im Garten. Sharpe nahm an, dass sie zu einer Kompanie der 60th Royal American Rifles gehören mussten, die Hills Brigade angeschlossen war, und jetzt in den Kampf eingriffen.
Es wäre besser, wenn sie aufs Dach kletterten, als ihre Baker durch die Schießscharten abzufeuern, dachte Sharpe. Der einzige Baum auf dem nördlichen Hügel schwankte wie in einem Orkan, und es war kaum noch ein Blatt an seinen zersplitterten Zweigen übrig geblieben. Rauch trieb zwischen den kahlen Zweigen, die ständig unter Kugeleinschlägen erbebten.
Sharpe legte sein Gewehr an, hielt nach einem Ziel Ausschau, sah eine Ansammlung blauer Uniformen nahe bei der Gartenmauer und feuerte. Verdammt, dachte er, warum ziehen sich die Bastarde nicht zurück? Von Kugeln umschwirrt sind sie entweder tapfer oder lebensmüde.
Eine verwegene Gruppe Franzosen versuchte an der westlichen Mauer des Seminars entlangzurennen, um das große Eingangstor zu erreichen, doch die britischen Kanoniere beim Kloster sahen sie und feuerten. In all diesem Inferno von Krachen, Rauch, Schreien und Blutvergießen sah Sharpe eine Horde französischer Infanterie aus der Stadt heranströmen.
Zwei Männer in Hemdsärmeln trugen Kisten mit Munition auf dem Dach herum. »Wer kann frisches Blei gebrauchen? Frisches Blei! Neues Pulver!« Einer von General Hills Adjutanten trug Feldflaschen mit Wasser zur Brüstung, während Hill, rotgesichtig und besorgt, nahe bei den Rotröcken stand, um zu zeigen, dass er die Gefahr mit ihnen teilte. Er fing Sharpes Blick auf und schnitt eine Grimasse, wie um zu sagen, dass dies härtere Arbeit war, als er erwartet hatte.
Weitere Soldaten kamen aufs Dach, Männer mit frischen Musketen und vollen Munitionsschachteln, und bei ihnen waren die Schützen der 60th Rifles, deren Offizier erkannt haben musste, dass er am falschen Platz gewesen war. Er sah Sharpe freundlich an, dann befahl er seine Männer zur Brüstung.
Immer noch versuchten die Franzosen, das Seminar zu erstürmen, die Mauern zu überwinden und sich den Weg freizuschießen. Zwei Soldaten schafften es, die Gartenmauer über eine Leiter zu ersteigen, doch oben zögerten sie, wurden gepackt, über die Mauerkrone gezerrt und mit Schlägen der Musketenkolben in den Garten hinabgezogen, wo sie totgeschlagen wurden. Sieben tote Rotröcke wurden im Garten auf einen Kiesweg gelegt, doch die meisten der britischen Gefallenen lagen auf den Korridoren des Seminars, weggezogen von den großen Fenstern, wo sie die besten Ziele für die frustrierten Franzosen gewesen waren.
Eine ganze neue Kolonne erkletterte jetzt den Hang, um die dezimierten Reihen der ersten aufzufüllen, doch obwohl die belagerten Männer im Seminar es noch nicht wissen konnten, waren diese Neuankömmlinge das Symbol der französischen Niederlage.
Marschall Soult, verzweifelt bemüht, mit frischen Soldaten das Seminar anzugreifen, hatte alle Infanterie aus der Stadt abgezogen, und die Bürger von Oporto, zum ersten Mal unbewacht seit Ende März, strömten zum Fluss hinab und zogen ihre Boote aus Lagerhäusern, Läden und Hinterhöfen, wo sie von den Besetzern bewacht worden waren. Eine Schar dieser kleinen Streitmacht ruderte jetzt an den Trümmern der Pontonbrücke vorbei über den Fluss zu den Kais von Vila Nova de Gaia, wo die Engländer warteten. Ein Offizier spähte nervös über den Douro, um sich zu vergewissern, dass die Franzosen nicht im Hinterhalt am gegenüberliegenden Kai lauerten, dann rief er seinen Männern zu, an Bord zu gehen. Die Boote wurden zurück zur Stadt gerudert, und immer mehr Boote tauchten auf, und mehr und mehr Rotröcke setzten über. Soult wusste es nicht, doch seine Stadt füllte sich mit dem Feind.
Ebenso wenig wussten das die Männer, die das Seminar angriffen, bis die Rotröcke am östlichen Rand der Stadt auftauchten. Inzwischen war die zweite gewaltige Kolonne in den Todeshagel aus Kugeln vom Dach und den Fenstern des Seminars marschiert. Der Geräuschpegel ähnelte dem bei der Schlacht von Trafalgar, wo Sharpe vom Donnern der großen Schiffskanonen wie betäubt gewesen war, doch dieses Geräusch klang höher durch das Musketenfeuer, das sich zum Stakkato gesteigert hatte. Der Hang vom Seminarhügel war mit Blut getränkt, und die überlebenden Franzosen benutzten die Leichen ihrer Kameraden als Schutzschild. Ein paar Trommler versuchten noch die aufgelösten Kolonnen anzutreiben, doch dann ertönte ein Alarmschrei von einem französischen Unteroffizier, und der Ruf breitete sich aus. Der Rauch löste sich auf, und der Hang leerte sich, als sie die Rotröcke sahen, die das Tal durchquerten.
Die Franzosen flüchteten. Sie hatten tapfer gekämpft, mit Musketen gegen Steinmauern, aber jetzt gerieten sie in Panik, und alle Disziplin war vergessen, als sie zur Straße rannten, die ostwärts nach Amarante verlief. Andere französische Einheiten, Kavallerie und Artillerie darunter, eilten vom höheren Teil der Stadt fort, flüchteten vor der Flut der Rotröcke, die über den Douro setzten, flüchteten vor der Rache der Bürger, die in den Gassen und Straßen nach verwundeten Franzosen suchten, die sie mit Fischmessern angriffen oder mit Knüppeln erschlugen.
Da war ein Schreien und Heulen auf Oportos Straßen, dagegen jedoch eine sonderbare Stille im von Kugeleinschlägen übersäten Seminar. Dann rief General Hill: »Folgt ihnen! Ich will eine Verfolgung!«
»Schützen zu mir!«, befahl Sharpe. Er hielt seine Männer von der Verfolgung zurück. Sie hatten bereits genug durchlitten, nahm er an, und es war an der Zeit, dass er ihnen eine Ruhepause gönnte. »Reinigt eure Waffen«, befahl er, und so blieben sie, während sich die Rotröcke und Schützen der Ersten Brigade außerhalb des Seminars formierten und dann ostwärts davonmarschierten.
Ein Dutzend Gefallener wurde auf dem Dach zurückgelassen. Lange Streifen von Blut zeigten, wo sie von der Brüstung fortgezogen worden waren. Der Rauch im Gebäude lichtete sich und zog ab, bis die Luft wieder sauber war. Auf den Hängen unter dem Seminar lagen verstreut französische Tornister und Gefallene und Verwundete. Ein Verwundeter kroch zwischen blutbefleckten Ambrosiapflanzen davon. Ein Hund schnüffelte an einer Leiche. Frauen und Kinder kamen aus den Häusern im Tal, um zu plündern. Die kleinen Feuer, die von der brennenden Watte entstanden waren, rauchten zwischen den Leichen, wo der rundliche portugiesische Priester, die Donnerbüchse noch in einer Hand, das Kreuzzeichen über den Franzosen machte, bei deren Tod er geholfen hatte.
Die Stadt Oporto war zurückerobert.
Der Brief, adressiert an Richard Sharpe, wartete auf dem Kaminsims im Salon des Hauses Beautiful, und es war ein Wunder, dass er noch unversehrt war, denn an diesem Nachmittag hatte ein Dutzend Kanoniere der Royal Artillery das Haus zu ihrem Quartier gemacht, und als Erstes hatten sie die Möbel des Salons zu Brennholz zerschlagen, um ein Feuer zu machen. Der Brief wäre ein idealer Fidibus gewesen, doch dann traf Captain Hogan ein, bevor das Feuer angezündet werden konnte, und nahm den Brief an sich. Er war gekommen, um Sharpe zu suchen, und er hatte die Kanoniere gefragt, ob irgendwelche Botschaften im Haus zurückgelassen worden waren, denn er dachte, dass Sharpe vielleicht etwas für ihn hinterlassen hätte.
»Englische Leute wohnen hier, Jungs«, sagte er zu den Kanonieren. »Also tretet euch die Füße ab und räumt hinter euch auf.« Er las die kurze Botschaft und dachte eine Weile nach. »Ich nehme an, keiner von euch hat einen großen Schützenoffizier vom 95th gesehen? Nein? Nun, wenn er auftaucht, schickt ihn zum Palacio das Carrancas.«
»Zum - was, Sir?«, fragte ein Kanonier.
»Großes Gebäude unten am Hügel«, erklärte Hogan. »Hauptquartier.«
Hogan wusste, dass Sharpe lebte, denn Colonel Waters hatte es ihm an diesem Morgen gesagt, doch obwohl Hogan die Straßen abgesucht hatte, war Sharpe nicht gefunden worden, und so hatte Hogan zwei Ordonnanzen in die Stadt auf die Suche nach dem verlorenen Schützen geschickt.
Eine neue Pontonbrücke schwamm bereits auf dem Douro. Die Stadt war wieder frei und feierte das mit Flaggen, Wein und Musik. Hunderte französischer Gefangener wurden in einem Lagerhaus bewacht, und eine lange Reihe französischer Geschütze parkte auf dem Kai am Fluss. Und wo die britischen Handelsschiffe beschlagnahmt worden waren, als die Stadt fiel, flatterten jetzt wieder ihre eigenen Flaggen. Marschall Soult und seine Armee waren nach Osten zur Brücke nach Amarante davonmarschiert, die von den Franzosen erst vor Kurzem eingenommen worden war, und sie hatten zum Glück keine Ahnung, dass General Beresford, der neue Kommandeur der portugiesischen Armee, die Brücke zurückerobert hatte und auf sie wartete.
»Wenn sie den Fluss nicht bei Amarante überqueren können«, fragte Wellesley an diesem Abend, »wohin werden sie dann marschieren?« Die Frage wurde im blauen Empfangsraum des Palacio das Carrancas gestellt, wo Wellesley und sein Stab eine Mahlzeit zu sich genommen hatten, die offenbar für Marschall Soult gekocht worden war und noch heiß in den Öfen geschmort hatte. Die Mahlzeit bestand aus Lammfleisch, das Sir Arthur gern aß, der Sud bestand jedoch aus zu viel Zwiebeln, Pilzen und Schinken, dass der Geschmack fast verdorben für ihn war. »Ich dachte, die Franzosen lieben die Kochkunst«, hatte er gemurrt und dann verlangt, dass die Ordonnanz ihm eine Flasche Essig aus der Küche holte. Dann hatte er das Lammfleisch mit Essig getränkt, die Pilze und Zwiebeln weggekratzt und den Geschmack viel besser gefunden.
Jetzt, nachdem das Geschirr abgeräumt worden war, versammelten sich die Offiziere um eine von Hand erstellte Landkarte, die Captain Hogan auf dem Tisch ausgebreitet hatte. »Sie werden natürlich nach Spanien zurückkehren wollen«, sagte Wellesley, »aber wie?«
Er hatte erwartet, dass Colonel Waters, der Dienstälteste der Erkundungsoffiziere, die Frage beantwortete, doch Waters war nicht anwesend, und so nickte Wellesley Captain Hogan zu, dem jüngsten im Salon anwesenden Offizier.
Hogan hatte die Wochen vor Soults Invasion damit verbracht, die Trás dos Montes, die wilden nördlichen Berge, wo die Straßen gewunden waren, die Bäche schnell flossen und die wenigen Brücken schmal waren, zu kartografieren. Portugiesische Soldaten waren jetzt losmarschiert, um den Franzosen den Weg abzuschneiden, damit sie nicht auf die Straßen gelangten, die sie zurück zu ihren Festungen in Spanien führen würden, und Hogan tippte jetzt auf die freie Fläche auf der Landkarte nördlich der Straße von Oporto nach Amarante.
»Wenn Amarante eingenommen ist und unsere Freunde morgen Braga einnehmen ...«, Hogan verstummte kurz und blickte Sir Arthur an, der gereizt nickte, »... dann sitzt Soult in der Patsche, und zwar ganz schön. Er wird die Serra de Santa Catalina durchqueren müssen, und es gibt keine befahrbaren Straßen in diesen Bergen.«
»Was ist dann dort?«, fragte Wellesley und starrte auf die leere Stelle der Landkarte.
»Ziegenpfade«, sagte Hogan. »Fußpfade, Schluchten, Wölfe und sehr fremdenfeindliche Bauern. Wenn er erst hierhin gelangt, Sir ...«, er tippte auf der Karte auf einen Punkt nördlich der Serra de Santa Catalina, »... kann er auf einer passablen Straße heimmarschieren, aber um sie zu erreichen, muss er seine Wagen, Geschütze und Kutschen aufgeben, praktisch alles, was kein Mann oder Maultier tragen kann.«
Donner grollte über der Stadt. Es begann zu regnen. Dann wurde der Regen stärker, prasselte auf die Terrasse und peitschte gegen die hohen Fenster. »Verdammtes Sauwetter«, grollte Wellesley. Das Gewitter würde die Verfolgung der geschlagenen Franzosen verlangsamen.
»Für die Ungöttlichen regnet es ebenso, Sir«, bemerkte Hogan.
»Dann noch mal verdammt«, sagte Wellesley gereizt. Er war sich nicht sicher, ob er Hogan, den er von Cradock übernommen hatte, gut leiden konnte. Der Mann war Ire, was Wellesley daran erinnerte, dass er selbst in Irland geboren worden war, eine Tatsache, auf die er nicht besonders stolz war. Und außerdem war Hogan nicht hochgeboren, und Sir Arthur mochte es, wenn seine Adjutanten aus guten Familien kamen. Er wusste jedoch, dass Vorurteile unvernünftig waren, und er begann den ruhigen Hogan für ziemlich kompetent zu halten, weil auch Colonel Waters, den Wellesley akzeptierte, sehr herzlich über den Iren sprach.
»Also«, fasste Wellesley die Lage zusammen, »sie sind auf der Straße zwischen hier und Amarante, und sie können nicht zurückkommen, ohne gegen uns zu kämpfen, und sie können nicht flüchten, ohne auf Beresford zu stoßen, also müssen sie nach Norden in die Hügel. Und wohin gehen sie danach?«
»Zu dieser Straße hier, Sir«, antwortete Hogan und wies mit einem Bleistift auf die Landkarte. »Sie führt von Braga nach Chaves, Sir, und wenn er es schafft, an Ponte Nova vorbeizukommen und Ruivaens zu erreichen, das ist ein Ort hier ...«, er legte eine Pause ein, um eine Stelle auf der Landkarte zu markieren, »... dann gibt es dort einen Weg, der ihn nach Norden durch die Hügel nach Montalegre bringt, und das ist nur einen Steinwurf weit von der Grenze entfernt.«
Sir Arthurs Adjutanten drängten sich an dem Tisch und blickten auf die Landkarte. Nur ein dünner und blasser Mann in eleganter Zivilkleidung zeigte keinerlei Interesse, sondern streckte behaglich in einem Lehnstuhl die Beine aus und versäumte es, seine Langeweile über das Gerede von Landkarten, Straßen, Hügel und Brücken zu verbergen.
»Und diese Straße, Sir«, sagte Hogan weiter und fuhr mit dem Bleistift von Ponte Nova nach Montalegre, »ist wahrhaft teuflisch, Sir. Eine Tortur. Man muss fünf Meilen gehen, um eine halbe Meile voranzukommen. Und - besser noch - Sir, man muss ein paar Bäche überqueren, zwar kleine, doch mit reißendem Wasser und in tiefen Schluchten, und das bedeutet, dass die Brücken sehr hoch sind. Wenn die Portugiesen den Weg zu diesen Brücken abschneiden, ist Soult verloren, Sir. Er sitzt dann in der Falle. Er kann seine Männer nur durch die Berge führen, und sie werden auf dem ganzen Weg den Teufel im Nacken haben.«
»Gott sei mit den Portugiesen«, sagte Wellesley und schnitt eine Grimasse, weil der Regen prasselte, denn der General wusste, dass dies seinen Verbündeten bei dem Versuch, den Franzosen den Weg abzuschneiden, bevor sie Spanien erreichen konnten, verlangsamen würde. Sie hatten ihnen bereits den Weg nach Amarante abgeschnitten, aber jetzt würden sie weiter nördlich marschieren, während Wellesleys Armee, noch euphorisch von ihrem Triumph bei Oporto, die Franzosen jagen musste. Bei der Jagd waren die Briten die Treiber, die ihr Wild auf die portugiesischen Geschütze zutrieben. Wellesley starrte auf die Landkarte. »Sie haben das gezeichnet, Hogan?«
»Ja, das habe ich, Sir.«
»Und ist es zuverlässig?«
»Das ist es, Sir.«
Sir Arthur stieß einen Grunzlaut aus. Wenn nicht dieses Sauwetter wäre, dann würde er Soult und all seine Männer zur Strecke bringen, aber der Regen machte es verdammt schwer. Was hieß, je früher es in Angriff genommen wurde, desto besser. So erhielten die Adjutanten den Befehl, die britische Armee auf den Abmarsch im Morgengrauen vorzubereiten.
Als Sir Arthur den Befehl erteilt hatte, gähnte er. Er brauchte bis zum Morgen unbedingt etwas Schlaf, und er wollte sich gerade zur Nachtruhe zurückziehen, als die großen Türflügel aufgerissen wurden und ein sehr nasser, ungepflegter und unrasierter Schütze eintrat. Er sah General Wellesley, blickte überrascht und stand instinktiv still.
»Guter Gott«, sagte Wellesley säuerlich.
»Ich glaube, Sie kennen Lieutenant ...«, begann Hogan.
»Selbstverständlich kenne ich Lieutenant Sharpe«, blaffte Wellesley, »aber ich möchte wissen, was, zum Teufel, er hier treibt. Die 95th Rifles sind nicht bei uns.«
Hogan entfernte den Kerzenständer von der Ecke der Landkarte und ließ sie sich aufrollen. »Das ist meine Schuld, Sir Arthur«, sagte er ruhig. »Ich fand Lieutenant Sharpe und seine Männer herumirren wie verlorene Schafe und nahm sie in meine Obhut, und seither hat er mich bei meinen Ausflügen zur Grenze begleitet. Ich wäre nicht allein mit den französischen Patrouillen zurechtgekommen, Sir Arthur. Mister Sharpe war mir eine große Hilfe.«
Während Hogans Worten starrte Wellesley Sharpe an. »Sie hatten sich verirrt?«, fragte er kalt.
»Ich war abgeschnitten«, sagte Sharpe.
»Während des Rückzugs aus La Coruña?« »Jawohl, Sir«, sagte Sharpe. In Wirklichkeit hatte sich seine Einheit nach Vigo zurückgezogen, doch der Unterschied war nicht wichtig, und Sharpe hatte längst gelernt, ranghöheren Offizieren so kurz wie möglich zu antworten.
»Und wo, zum Teufel, sind Sie in diesen letzten paar Wochen gewesen?«, fragte Wellesley scharf. »Haben Sie sich verdrückt?«
»Jawohl, Sir«, sagte Sharpe, und die Stabsoffiziere versteiften sich bei dem Hauch von Frechheit bei dieser Antwort.
»Ich habe dem Lieutenant befohlen, eine junge englische Frau zu suchen, die vermisst wurde, Sir«, beeilte sich Hogan zu erklären. »Genauer gesagt, ich befahl ihm, Colonel Christopher zu begleiten.«
Die Erwähnung dieses Namens war wie ein Peitschenknall. Alle schwiegen, und der junge Zivilist, der so gewirkt hatte, als schliefe er in dem Lehnstuhl fast ein und überrascht die Augen aufgerissen hatte, als der Name »Sharpe« zum ersten Mal gefallen war, lauschte jetzt mit großer Aufmerksamkeit. Er war ein zu dünner junger Mann mit blassem Teint, der die Sonne fürchtete, und da war etwas Katzenhaftes, fast Feminines an seiner zerbrechlichen Erscheinung. Seine Kleidung war so elegant, dass sie gut in ein Londoner Modehaus oder einen Pariser Salon gepasst hätte, doch hier, mitten unter den ungewaschenen Uniformen der sonnengebräunten Offiziere wirkte er wie ein verwöhnter Schoßhund unter Straßenkötern. Er saß jetzt gerade aufgerichtet da und starrte Sharpe aufmerksam an.
»Colonel Christopher.« Wellesley brach das Schweigen. »Sie waren also mit ihm zusammen?«, fragte er Sharpe.
»General Cradock befahl mir, bei ihm zu bleiben, Sir«, sagte Sharpe und nahm den Befehl des Generals aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.
Wellesley warf nicht mal einen Blick darauf. »Was, zum Teufel, hat Cradock gemacht?«, blaffte er. »Christopher ist nicht mal ein durch Patent bestallter Offizier, er ist ein verdammter Speichellecker vom Auswärtigen Amt!« Diese letzten Worte galten dem blassen jungen Mann, der nichts sagte, sondern eine leicht wegwerfende Geste mit den feingliedrigen Fingern seiner rechten Hand machte. Er fing Sharpes Blick auf und änderte die Geste mit einem kleinen Winken, als heiße er ihn willkommen, und Sharpe erkannte jetzt überrascht, dass es Lord Pumphrey war, den er in Kopenhagen kennengelernt hatte. Seine Lordschaft, die geheimnisvoll prominent im Auswärtigen Amt war, wie Sharpe wusste, gab keine Erklärung für seine Anwesenheit in Oporto, als Wellesley General Cradocks schriftlichen Befehl nahm, ihn las und dann auf den Tisch zurücklegte. »Und was hat Ihnen Christopher befohlen?«, fragte er Sharpe.
»In einem Dorf namens Vila Real de Zedes zu bleiben, Sir.«
»Und was dort zu tun, bitte?«
»Getötet zu werden, Sir.«
»Getötet zu werden?«, fragte Sir Arthur in gefährlichem Tonfall. Er wusste, dass Sharpe unbesonnen war, und obwohl der Schütze ihm einst das Leben gerettet hatte, war Sir Arthur bereit, ihn zur Sau zu machen.
»Er brachte eine französische Streitmacht zum Dorf, Sir. Sie griff uns an.«
»Anscheinend nicht sehr wirkungsvoll«, sagte Wellesley sarkastisch.
»Nicht sehr, nein, Sir«, stimmte Sharpe zu, »aber es waren zwölfhundert Mann, und wir waren nur sechzig.« Er schwieg, und es herrschte Stille in dem großen Raum, als einige der Offiziere das Verhältnis ausrechneten. Zwanzig zu eins. Ein weiterer Donner grollte, und ein Blitzstrahl erhellte den Himmel im Westen.
»Zwölfhundert, Richard?«, fragte Hogan, und seine Stimme verriet, dass Sharpe die Zahl nicht übertreiben sollte.
»Es waren vermutlich mehr, Sir«, sagte Sharpe stoisch. »Das 31. Leger griff uns an, aber es wurde von mindestens einem Regiment Dragoner und einer Haubitze unterstützt. Jedoch nur einer, Sir, und wir sahen sie früh genug.« Er legte wieder eine Pause ein, und von Neuem herrschte Stille. Sharpe fiel ein, dass er seinen Verbündeten vergessen hatte, und er wandte sich wieder Wellesley zu. »Ich hatte Lieutenant Vicente bei mir, vom 18. portugiesischen Regiment, und er und seine ungefähr dreißig Jungs halfen uns sehr, aber ich muss leider sagen, dass er ein paar Mann verlor, und ich ebenfalls. Und einer meiner Männer ist desertiert, Sir. Das tut mir leid.«
Wieder herrschte Stille, diesmal viel länger. Die Offiziere starrten ihn an, und er versuchte die Kerzen auf dem großen Tisch zu zählen. Dann brach Lord Pumphrey das Schweigen. »Sie sagen uns, Lieutenant, dass Mister Christopher diese Soldaten brachte, um Sie anzugreifen?«
»Jawohl, Sir.«
Pumphrey lächelte. »Hat er sie gebracht? Oder wurde er von ihnen gebracht?«
»Er brachte sie«, sagte Sharpe, »und dann hatte er den Nerv, auf den Hügel zu kommen und mir zu sagen, dass der Krieg vorüber sei und wir ins Dorf in die Obhut der Franzosen spazieren sollten.«
»Danke, Lieutenant«, sagte Pumphrey mit übertriebener Höflichkeit.
Es folgte weiteres Schweigen, dann räusperte sich Colonel Waters. »Sie werden sich erinnern, Sir«, sagte er leise, »dass es Lieutenant Sharpe war, der uns heute Morgen die Boote besorgte.« Mit anderen Worten sagte er Sir Arthur Wellesley, dass er ein wenig dankbar sein konnte. Doch Sir Arthur war nicht in der Stimmung, Dankbarkeit zu zeigen. Er starrte Sharpe nur an.
Dann erinnerte sich Hogan an den Brief, den er aus dem Haus Beautiful gerettet hatte, und er zog ihn aus der Tasche. »Der ist für Sie, Lieutenant«, sagte er und hielt Sharpe den Brief hin. »Er war nicht versiegelt, und so nahm ich mir die Freiheit, ihn zu lesen.«
Sharpe entfaltete das Papier. »Er geht mit den Franzosen«, las er, »und zwingt mich, ihn zu begleiten, aber ich will das nicht.« Es war mit »Kate« unterzeichnet und offensichtlich in größter Eile geschrieben.
»Ich nehme an, mit ›er‹ ist Christopher gemeint?« Hogan blickte Sharpe fragend an.
»Jawohl, Sir.«
»Der Grund, weshalb die junge Dame im März von zu Hause fortlief, war also Colonel Christopher?«
»Jawohl, Sir.«
»Ist sie verliebt in ihn?«
»Sie ist mit ihm verheiratet«, sagte Sharpe und wusste nicht, warum Lord Pumphrey ihn überrascht ansah.
»Vor ein paar Wochen ...«, Hogan sprach jetzt zu Wellesley, »... hat Colonel Christopher Miss Savages Mutter den Hof gemacht.«
»Hilft uns irgendetwas von diesem albernen Gerede zu erkennen, was Christopher macht?«, fragte Sir Arthur schroff.
»Es ist zumindest amüsant«, sagte Pumphrey. Er stand auf, schnippte ein Staubkorn von seiner Manschette und lächelte Sharpe an. »Haben Sie wirklich gesagt, dass Christopher dieses Mädchen geheiratet hat?«
»Ja, das hat er.«
»Dann ist er ein böser Bube«, sagte Lord Pumphrey heiter, »denn er ist bereits verheiratet.« Seine Lordschaft genoss sichtlich seine Enthüllung. »Er heiratete vor zehn Jahren Pearce Courtnells Tochter in dem Glauben, dass sie achttausend Pfund pro Jahr wert sei, und dann stellte sich heraus, dass sie kaum einen Sixpence wert ist. Es ist, wie ich hörte, keine glückliche Ehe, und kann ich davon ausgehen, Sir Arthur, dass Lieutenant Sharpes Neuigkeiten unsere Fragen über Colonel Christophers wahre Loyalität beantworten?«
»Tun sie das?«
»Christopher kann nicht hoffen, eine Bigamie-Ehe zu überleben, wenn er seine Zukunft in Britannien oder in einem freien Portugal sieht«, bemerkte Lord Pumphrey. »Aber in Frankreich? Oder in einem Portugal, das von Frankreich regiert wird? Den Franzosen wird es gleichgültig sein, wie viele Frauen er in London verlassen hat.«
»Aber Sie sagten, er wolle zurückkehren.«
»Ich tendierte zu der Einschätzung, dass er eine Rückkehr wünschen würde«, korrigierte Lord Pumphrey den General. »Er hat schließlich auf beiden Seiten des Tisches gespielt, und wenn er denkt, wir gewinnen, dann wird er zweifellos zurückkehren wollen, und zweifellos wird er dann abstreiten, Miss Savage jemals geheiratet zu haben.«
»Sie könnte da anderer Meinung sein«, bemerkte Wellesley trocken.
»Wenn sie lebt, um das zu äußern, was ich bezweifle«, sagte Pumphrey. »Nein, Sir, man kann ihm nicht vertrauen, und ich wage zu sagen, dass meine Chefs in London enorm dankbar sein würden, wenn Sie ihn von seiner Stellung entfernen.«
»Ist es das, was Sie wollen?«
»Es ist nicht das, was ich will«, widersprach Pumphrey Wellesley, »es ist das, was London wünschen würde.«
»Sind Sie sich dessen sicher?«, fragte Wellesley, dem Pumphreys Anspielungen nicht passten.
»Er hat Wissen, das Sie in Verlegenheit bringen könnte«, gab Pumphrey zu, »einschließlich der Codes des Außenministeriums.«
Wellesley lachte wiehernd. »Die hat er vermutlich bereits den Franzosen gegeben.«
»Das bezweifle ich, Sir«, sagte Pumphrey und betrachtete mit leichtem Stirnrunzeln seine Fingernägel. »Man behält für gewöhnlich seine besten Karten bis zum Schluss. Und am Ende wird Christopher verhandeln wollen, entweder mit uns oder mit den Franzosen, und ich muss sagen, dass die Regierung seiner Majestät keine der beiden Möglichkeiten wünscht.«
»Dann überlasse ich sein Schicksal Ihnen, Mylord«, sagte Wellesley mit sichtlichem Widerwillen, »und da es zweifellos schmutzige Arbeit bedeutet, überlasse ich Ihnen besser die Dienste von Captain Hogan und Lieutenant Sharpe. Was mich anbetrifft, so gehe ich jetzt zu Bett.« Er nickte kurz allen Versammelten am Tisch zu und verließ den Raum, gefolgt von seinen Adjutanten.
Lord Pumphrey nahm eine Karaffe vinho verde vom Tisch und setzte sich mit einem übertriebenen Seufzen in seinen Lehnsessel zurück. »Sir Arthur lässt mich schwach in den Knien werden«, sagte er und gab vor, die geschockte Reaktion auf Sharpes und Hogans Gesichtern nicht zu bemerken. »Haben Sie ihm in Indien wirklich das Leben gerettet, Richard?«
Sharpe sagte nichts, und Hogan antwortete für ihn. »Deshalb behandelt er Sharpe so schlecht«, sagte der Ire. »Die große Nase kann es nicht ertragen, dankbar sein zu müssen, und besonders kann er es nicht ertragen, einem ausgebufften Schlitzohr wie Sharpe zu Dank verpflichtet zu sein.«
Pumphrey verzog das Gesicht. »Wissen Sie, was wir im Auswärtigen Amt am wenigsten von allem mögen? Zu auswärtigen Orten reisen. Das ist so unbehaglich. Aber hier bin ich, und ich nehme an, wir müssen uns um unsere Pflichten kümmern.«
Sharpe war zu einem der hohen Fenster gegangen und starrte in die feuchte Dunkelheit hinaus. »Was sind meine Pflichten?«, fragte er.
Lord Pumphrey schenkte sich großzügig Wein in sein Glas. »Um es nicht so fein auf den Punkt zu bringen, Richard, Ihre Pflicht ist es, Mister Christopher zu finden und dann ...« Er beendete den Satz nicht, sondern fuhr sich mit einem Finger über die Kehle, eine Geste des Kehledurchschneidens, die Sharpe im dunklen Fenster gespiegelt sah.
»Wer ist Christopher überhaupt?«, wollte Sharpe wissen.
»Er ist ein Ellbogenmensch«, sagte Pumphrey, und seine Stimme verriet Abscheu, »ein ziemlich karrieregeiler Typ im Außenministerium. Man hat ihm eine prächtige Zukunft zugetraut, wenn er nur seine Neigung zu komplizierten Affären in den Griff bekäme. Er liebt Intrigen und Liebschaften. Das Außenministerium hat zwangsläufig mit geheimen Dingen zu tun, und er hält sich nur widerwillig daran. Im letzten Jahr wurde er mit der Aufgabe der Einschätzung des Charakters der Portugiesen ins Ausland geschickt. Es gab Gerüchte, glücklicherweise unbegründet, dass eine große Anzahl Leute, besonders im Norden, mit den Franzosen sympathisieren, und Christopher sollte nur einschätzen, wie groß diese Sympathie ist.«
»Konnte das die Botschaft nicht?«, fragte Hogan.
»Nicht unbemerkt«, sagte Pumphrey, »und nicht ohne eine Nation zu beleidigen, die schließlich unser ältester Verbündeter ist. Und ich nehme an, wenn man jemanden von der Botschaft befragt, wird er nur die Antworten geben, die man seiner Meinung nach von ihm hören will. Nein, Christopher sollte als englischer Gentleman durch Nordportugal reisen, und die Gelegenheit stieg ihm zu Kopf. Cradock war schwachsinnig genug, ihm den Titularrang zu verleihen, und so begann Christopher seine Pläne auszuhecken.«
Lord Pumphrey schaute zur Decke empor, die mit feiernden Gottheiten und tanzenden Nymphen bemalt war.
»Ich vermute, dass Mister Christopher Wetten auf jedes Pferd im Rennen gesetzt hat. Wir wissen, dass er zu einer Meuterei ermuntert hat, aber ich habe den Verdacht, dass er die Meuterer verraten hat. Die Ermunterung diente dazu, uns zu versichern, dass er für unsere Interessen arbeitet, und der Verrat macht ihn lieb Kind bei den Franzosen. Er ist entschlossen, auf der Seite des Gewinners zu sein, wie gesagt. Doch die Hauptintrige war, sich auf Kosten der Savage-Damen zu bereichern.« Pumphrey machte eine Pause und lächelte verzückt. »Ich habe Bigamisten immer ziemlich bewundert. Schon eine einzige Frau wäre für mich zu viel, aber ein richtiger Mann nimmt mindestens zwei!«
»Haben Sie gesagt, er will zurückkommen?«, fragte Sharpe.
»Ich nehme es an. James Christopher ist kein Mann, der seine Brücken hinter sich abbricht, wenn er keine Alternative hat. Oh ja, ich bin sicher, er wird eine Möglichkeit finden, nach London zurückzukehren, wenn er sich nicht mit den Franzosen arrangieren kann.«
»Jetzt nehme ich an, dass ich den Bastard erschießen muss«, sagte Sharpe.
»Das ist nicht genau die Art, wie wir im Außenministerium die Sache ausdrücken würden«, sagte Lord Pumphrey, »aber es trifft den Kern. Gehen Sie und erschießen Sie ihn, Richard, und Gott segne Ihr Gewehr.«
»Und was tun Sie hier?«, fragte Sharpe.
»Außer mich unbehaglich zu fühlen? Ich wurde geschickt, um Christopher zu beaufsichtigen. Er trat an General Cradock mit der Neuigkeit einer vorgeschlagenen Meuterei heran. Cradock meldete das nach London, und London wurde nervös bei dem Gedanken, Bonapartes Armee in Portugal und Spanien anzustiften, hatte jedoch das Gefühl, dass jemand mit Klugheit und gutem Einschätzungsvermögen gebraucht wurde, um den Plan voranzutreiben, und so brachte man mich ins Spiel.«
»Und jetzt können wir den Plan vergessen«, bemerkte Hogan.
»Das können wir in der Tat«, stimmte Pumphrey zu. »Christopher brachte einen Hauptmann Argenton dazu, mit General Cradock zu reden«, erklärte er Sharpe, »und als Cradock ersetzt wurde, bahnte sich Argenton seinen eigenen Weg durch die Linien, um mit Sir Arthur zu konferieren. Er wollte Versprechungen, dass unsere Streitkräfte bei einer französischen Meuterei nicht eingreifen würden, aber Sir Arthur wollte nichts von seinen Verschwörungsplänen hören und riet ihm, den Schwanz einzuziehen und sich in die Finsternis der Hölle zurückzuziehen, aus der er kam. Also keine Verschwörungspläne, keine geheimnisvollen Boten mit Mantel und Degen, nur altmodisches Soldatentum. Anscheinend bin ich überflüssig bei diesen Anforderungen, und Mister Christopher - wenn man dem Brief Ihrer Freundin glauben kann - ist nach Frankreich gereist, was bedeuten muss, wie ich meine, dass er immer noch glaubt, die Franzosen werden diesen Krieg gewinnen.«
Hogan hatte das Fenster geöffnet, um den Regen zu riechen, doch jetzt wandte er sich zu Sharpe um. »Wir müssen gehen, Richard. Wir haben einiges zu planen.«
»Jawohl, Sir.« Sharpe nahm seinen zerschrammten Tschako, doch dann wollte er noch eine Frage stellen. »Mylord?«
»Richard?«, erwiderte Lord Pumphrey ernst. »Erinnern Sie sich an Astrid?«, fragte Sharpe verlegen.
»Natürlich erinnere ich mich an die schöne Astrid«, antwortete Pumphrey glatt. »Ole Skovgaards nette Tochter.«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie Neuigkeiten von ihr haben, Mylord«, sagte Sharpe, und das Blut schoss ihm in die Wangen.
Lord Pumphrey hatte Neuigkeiten von ihr, aber keine, die er Sharpe sagen wollte, denn die Wahrheit war, dass Astrid und ihr Vater in ihren Gräbern lagen, die Kehlen durchgeschnitten auf Pumphreys Befehl hin. »Ich hörte«, sagte Seine Lordschaft freundlich, »dass es in Kopenhagen eine ansteckende Krankheit gab. Malaria, vielleicht. Oder war es Cholera? Leider, Richard.« Er breitete die Hände aus. »Ist sie tot?«
»Das befürchte ich.«
»Oh.« Sharpe blinzelte. Bis vor Kurzem hatte er noch gedacht, die Armee zu verlassen und ein neues Leben mit Astrid im sauberen, anständigen Dänemark anzufangen. »Das tut mir leid«, entfuhr es ihm.
»Mir ebenso«, sagte Lord Pumphrey leichthin. »So sehr leid. Aber sagen Sie mir, Richard, kann man Miss Savage auch als schön bezeichnen?«
»Ja«, sagte Sharpe, »das ist sie.«
»Das dachte ich mir«, sagte Lord Pumphrey resigniert.
»Und sie wird sterben«, blaffte Hogan Sharpe an, »wenn wir uns nicht beeilen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Sharpe und beeilte sich.
Hogan und Sharpe gingen bergauf durch den nächtlichen Regen zu einem Schulgebäude, das Sharpe als Quartier für seine Männer beschlagnahmt hatte. »Wissen Sie, dass Lord Pumphrey ein Bandit ist?«, fragte Hogan ärgerlich.
»Natürlich weiß ich das.«
»Dafür kann er aufgehängt werden«, meinte Hogan ärgerlich. »Ich mag ihn trotzdem«, sagte Sharpe.
»Er ist eine Schlange. Wie fast alle Diplomaten. Schlimmer als Anwälte.«
»Er ist immerhin nicht hochnäsig«, wandte Sharpe ein.
»Es gibt nichts, das Lord Pumphrey mehr sein möchte als hochnäsig zu Ihnen, Richard.« Er lachte. Seine Stimmung hatte sich offenbar gebessert. »Und wie, zur Hölle, sollen wir dieses arme Mädchen, diese zickige Kate, und ihren verkommenen Ehemann finden?«
»Wir?«, fragte Sharpe. »Sie kommen mit?«
»Dies ist viel zu wichtig, als es einem popeligen englischen Lieutenant zu überlassen«, sagte Hogan. »Dies ist eine Sache, die von der Klugheit eines Iren erledigt werden muss.«
Einmal im Schulhaus, ließen sich Sharpe und Hogan in der Küche nieder, wo die französischen Besatzer der Stadt einen unbeschädigten Tisch zurückgelassen hatten, und weil Hogan seine gute Landkarte im Generalhauptquartier zurückgelassen hatte, benutzte er ein Stück Kreide, um eine gröbere Version der Karte auf die geschrubbte Tischplatte zu zeichnen.
Aus dem Hauptraum der Schule, dort wo Sharpes Männer ihre Decken ausgebreitet hatten, ertönte Frauengelächter. Meine Männer, dachte Sharpe, sind kaum einen Tag in der Stadt, doch sie haben bereits ein Dutzend Mädchen gefunden.
»Die beste Möglichkeit, die Sprache zu lernen, Sir«, hatte Harper ihm versichert, »und es mangelt uns allen an Bildung, Sir, wie Sie zweifellos wissen.«
»In Ordnung!« Hogan trat die Küchentür zu. »Sehen Sie sich die Karte an, Richard.« Er zeigte, wie die Briten von der Küste Portugals heraufgekommen waren und die Franzosen aus Oporto vertrieben hatten und wie gleichzeitig die portugiesische Armee im Osten angegriffen hatte. »Sie haben Amarante wieder eingenommen, was gut ist, denn es bedeutet, dass Soult die Brücke nicht überqueren kann. Er kann nicht mehr weiter, und so bleibt ihm keine Wahl. Er muss durch die Hügel im Norden, um ein Sträßchen hier hinauf zu finden ...«, die Kreide kratzte, als er eine gewundene Linie auf die Tischplatte zeichnete, »... und es ist eine höllisch miese Straße. Wenn die Portugiesen in diesem gottverdammten Wetter gut marschieren, können sie die Straße hier ...«, er markierte mit der Kreide ein Kreuz, »... abschneiden. Dort ist eine Brücke namens Ponte Nova. Erinnern Sie sich daran?«
Sharpe schüttelte den Kopf. Er hatte mit Hogan so viele Brücken gesehen, dass er sich nicht mehr an jede einzelne erinnern konnte.
»Die Ponte Nova«, sagte Hogan, »das heißt die Neue Brücke, und natürlich ist sie fast so alt wie die Hügel, und nur ein Fass Pulver wird sie zusammenkrachen und in die Schlucht stürzen lassen, und dann, Richard, ist Soult erledigt. Aber das ist er nur, wenn die Portugiesen früh dorthin gelangen können.« Er blickte finster drein, denn das Wetter war alles andere als günstig für einen schnellen Marsch durch die Berge. »Und wenn sie Soult nicht an der Ponte Nova stoppen können, dann besteht noch eine halbe Chance, dass sie ihn an der Saltador erwischen. An diese Brücke erinnern Sie sich doch bestimmt?«
»Ja, ich erinnere mich«, bestätigte Sharpe.
Die Saltador war hoch oben in den Bergen eine Steinbrücke, die eine tiefe und schmale Schlucht überspannte, und dieser spektakuläre Bogen hatte ihr den Spitznamen »Der Springer«, portugiesisch Saltador, gegeben. Sharpe erinnerte sich, dass Hogan sie kartografiert hatte, sah vor seinem geistigen Auge ein kleines Dorf aus niedrigen Steinhäusern, aber hauptsächlich war ihm der reißende Gebirgsfluss in Erinnerung geblieben, der unter der erhabenen Brücke hinabstürzte.
»Wenn sie es bis zur Saltador schaffen und sie überqueren«, sagte Hogan, »dann können wir ihnen zum Abschied nur noch nachwinken und sie verfluchen. Dann sind sie entkommen.« Er zuckte zusammen, als Gewitterdonner ihn an das Wetter erinnerte. Seufzend sagte er: »Wir können nicht mehr als unser Bestes tun.«
»Und was genau werden wir tun?«, wollte Sharpe wissen.
»Das, Richard, ist eine gute Frage«, sagte Hogan. Er bediente sich mit einer Prise Schnupftabak und nieste dann heftig. »Gott helfe mir, aber die Ärzte sagen, es klärt die Atemwege, welche Wege sie auch immer damit meinen. Nun, meiner Meinung nach kann zweierlei passieren.« Er markierte mit der Kreide die Ponte Nova. »Wenn die Franzosen bei dieser Brücke gestoppt werden, dann werden die meisten kapitulieren, denn sie haben keine Wahl. Einige werden in die Hügel entkommen, aber sie werden überall auf bewaffnete Bauern stoßen, die nach Kehlen oder sonstigen Körperteilen suchen, die sie durchschneiden können. So werden wir entweder Mister Christopher bei der Armee finden, wenn sie kapituliert, oder - wahrscheinlicher - er wird flüchten und behaupten, ein entkommener englischer Gefangener zu sein. In diesem Fall reiten wir in die Berge, finden ihn und stellen ihn gegen eine Wand.«
»Wirklich?«
»Macht Ihnen das Sorgen?«
»Ich würde ihn lieber aufhängen.«
»Wir können die Methode diskutieren, wenn es so weit ist. Aber lassen Sie uns jetzt über den zweiten Punkt reden, der passieren kann. Das ist die Möglichkeit, dass die Franzosen nicht vor der Ponte Nova gestoppt werden. In diesem Fall müssen wir die Saltador erreichen.«
»Warum?«
»Denken Sie daran, wie es war, Richard«, sagte Hogan. »Eine tiefe Schlucht, steile Hänge überall, die Art Ort, wo Schützen sehr wirkungsvoll sein können. Und wenn die Franzosen die Brücke überqueren, werden wir ihn sehen, und Ihre Baker-Gewehre werden erledigen, was nötig ist.«
»Können wir nahe genug herankommen?«, fragte Sharpe und versuchte sich an das Terrain um die Brücke zu erinnern.
»Es gibt steile Abhänge und hohe Felsvorsprünge. Ich schätze, dass Sie bis auf zweihundert Schritte an die Brücke herankommen können.«
»Das reicht«, sagte Sharpe grimmig.
»Wir müssen ihn auf die eine oder andere Weise erledigen«, sagte Hogan und lehnte sich zurück. »Er ist ein Verräter, Richard, vielleicht nicht so gefährlich, wie er denkt, aber wenn er nach Paris kommt, werden Verhörspezialisten schon einige Dinge aus ihm herauskitzeln, die sie besser nicht wüssten. Und wenn er nach London zurückkommt, ist er gerissen genug, diese Narren zu überzeugen, dass er stets für ihre Interessen gearbeitet hat. Also alles in allem bedacht, Richard, würde ich sagen, dass er besser tot ist.«
»Und Kate?«
»Wir werden sie nicht erschießen«, sagte Hogan.
»Im März haben Sie mir befohlen, sie zu retten. Ist dieser Befehl noch gültig?«
Hogan starrte zur Decke. »In der kurzen Zeit, die ich Sie kenne, Richard, habe ich bei Ihnen die bedauerliche Neigung bemerkt, eine glänzende Ritterrüstung anzuziehen und nach Ladys Ausschau zu halten, die Sie retten müssen. König Arthur, er ruhe in Frieden, hätte Sie geliebt. Er würde Sie gegen jeden teuflischen Ritter im Wald kämpfen lassen. Ist es wichtig, Kate Savage zu retten? Eigentlich nicht. Die Hauptsache ist, Mister Christopher zu bestrafen, und ich befürchte, dass Miss Kate selbst für ihr Glück sorgen muss.«
Sharpe blickte auf die Kreide-Landkarte. »Wie kommen wir zur Ponte Nova?«
»Zu Fuß, Richard. Wir durchqueren die Berge. Die Pfade dort sind nicht für Pferde geeignet. Man müsste sie die Hälfte der Zeit führen, sich Sorgen um ihr Futter machen, nach ihren Hufen sehen und wünschen, man hätte diesen Ballast gar nicht. Jetzt könnten wir Maultiere gebrauchen, aber wo werden wir heute Nacht Mulis finden? Entweder Mulis oder Schusters Rappen, aber so oder so können wir nur ein paar Männer mitnehmen, Ihre besten und verlässlichsten, und wir müssen vor dem Morgengrauen aufbrechen.«
»Und was mache ich mit meinen restlichen Männern?«
Hogan dachte darüber nach. »Major Potter könnte sie gebrauchen, um hier zu helfen, die Gefangenen zu bewachen.«
»Ich möchte sie nicht wieder an Shorncliffe verlieren«, sagte Sharpe. Er befürchtete, dass das Zweite Bataillon Nachforschungen über seine verlorenen Schützen anstellen würde. Es mochte nichts ausmachen, wenn Lieutenant Sharpe vermisst wurde, doch die Abwesenheit von einigen erstklassigen Scharfschützen würde bestimmt bedauert werden.
»Mein lieber Richard«, sagte Hogan, »wenn Sie denken, Sir Arthur wird auch nur ein paar gute Schützen verlieren wollen, dann kennen Sie ihn nur halb so gut, wie Sie meinen. Er wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie hier zu halten. Und wir müssen uns jetzt höllisch beeilen, noch vor den Franzosen zur Ponte Nova zu kommen.«
Sharpe verzog das Gesicht. »Sie haben einen Tag Vorsprung vor uns.«
»Nein, haben sie nicht. Die Blödmänner marschierten nach Amarante, was bedeutet, sie wissen nicht, dass die Portugiesen die Stadt zurückerobert haben. Inzwischen müssen sie ihre missliche Lage erkannt haben, aber ich bezweifle, dass sie vor dem Morgengrauen nach Norden starten. Wenn wir uns beeilen, schlagen wir sie.« Er runzelte die Stirn und blickte auf die Landkarte. »Es gibt nur ein wirkliches Problem, das ich sehen kann, ein anderes, als Mister Christopher zu finden, wenn wir dort sind.«
»Welches Problem?«
»Ich kann den Weg zur Ponte Nova von Braga aus finden«, sagte Hogan, »aber was ist, wenn die Franzosen bereits auf der Straße nach Braga sind? Wir werden uns in die Hügel schlagen müssen, und das ist ein wildes Gebiet, Richard, da kann man sich leicht verirren. Wir brauchen einen Führer, und wir müssen ihn schnell finden.«
Sharpe grinste. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit einem portugiesischen Offizier zu marschieren, der sich für einen Philosophen und Poeten hält, dann glaube ich, den richtigen Mann für uns zu haben.«
»Ich bin Ire«, sagte Hogan, »und es gibt nichts, was wir mehr lieben als Philosophen und Poeten.«
»Er ist auch Anwalt.«
»Wenn er uns zur Ponte Nova bringt«, sagte Hogan, »dann wird Gott ihm das zweifellos verzeihen.«
Das Gelächter der Frauen war laut, aber es war an der Zeit, die Party zu beenden. Ein Dutzend von Sharpes besten Männern musste seine Stiefel anziehen und die Patronentaschen füllen.
Die Zeit der Abrechnung war gekommen.