Das Geschützfeuer kam von Westen durch das Flusstal mit den steilen Hängen, und Sharpe wusste nicht zu sagen, ob da eine Schlacht am nördlichen oder südlichen Ufer des Douro im Gange war. Er wusste auch nicht genau, ob es wirklich eine Schlacht war. Vielleicht hatten die Franzosen Batterien errichtet, um die Stadt gegen einen Angriff vom Meer zu schützen, und diese Batterien feuerten nun auf ein Schiff oder übten nur. Eines war sicher: Er würde es nie erfahren, wenn er nicht näher ans Geschehen heranging.
Er rannte zurück ins Dorf, gefolgt von Ronnie, der seine unartikulierten Laute ausstieß.
Sharpe fand Vicente. »Die Fähre ist noch hier«, sagte er. »Er hat sie mir gezeigt.« Er wies auf Ronnie.
»Aber die Geschütze ...«
»Wir werden herausfinden, was es damit auf sich hat«, sagte Sharpe, »aber bitten Sie die Dorfbewohner, die Fähre startklar zu machen. Wir könnten sie noch brauchen. Aber erst gehen wir zur Stadt.«
»Wir alle?«, fragte Vicente.
»Wir alle. Aber sagen Sie ihnen, dass das Boot noch heute Vormittag schwimmen soll.«
Ronnies Mutter, eine runzlige und gebeugte Frau in Schwarz, zog ihren Sohn von Sharpes Seite und schalt ihn mit schriller Stimme. Sharpe gab ihr das letzte Stück Käse aus Harpers Tornister, erklärte, dass Ronnie ein Held war, und führte seine Gruppe westwärts am Flussufer entlang.
Es gab viel Deckung. Obstgärten, Olivenhaine, Schuppen und Weingärten bedeckten das ebene Land am nördlichen Ufer des Douro. Die Kanonen, nur undeutlich im Schatten des großen Hügels mit dem weißen flachen Gebäude zu erahnen, feuerten sporadisch. Ihr Beschuss schwoll zur Intensität des Beschusses in einer Schlacht an und hörte dann auf. Manchmal fiel minutenlang kein Schuss oder nur ein einzelnes Geschütz feuerte, und das Donnern hallte von den südlichen Hügeln wider und rollte durch das Tal.
»Vielleicht«, schlug Vicente vor und wies zu dem großen weißen Gebäude hinauf, »sollten wir zum Seminar gehen.«
»Dort werden die Franzosen sein«, sagte Sharpe. Er duckte sich hinter eine Hecke und sprach sehr leise, um keine Posten aufmerksam zu machen. Es war seltsam, dass es keinerlei Posten gab, doch er war überzeugt, dass die Franzosen Männer in dem großen Gebäude postiert hatten, das den Fluss östlich der Stadt dominierte wie eine Festung. »Was sagten Sie, ist es?«
»Ein Seminar.« Vicente sah, dass Sharpe damit nicht viel anfangen konnte. »Eine Schule, in der Priester ausgebildet werden. Ich wollte einst Priester werden.«
»Guter Gott«, sagte Sharpe überrascht. »Sie wollten Priester werden?«
»Ich habe mit dem Gedanken gespielt. Haben Sie was gegen Priester?«
»Eigentlich nicht. Ich mag sie aber nicht besonders.«
»Dann bin ich froh, dass ich Anwalt geworden bin«, sagte Vicente mit einem Lächeln.
»Sie sind kein Anwalt, Jorge«, sagte Sharpe. »Sie sind Soldat wie wir.« Nach diesem Kompliment wandte er sich um, als die letzten seiner Männer über eine Wiese kamen und sich hinter die Hecke duckten. Wenn die Franzosen Männer im Seminar haben, dachte er, dann schlafen sie entweder tief oder - wahrscheinlicher - sie haben die blauen und grünen Uniformen gesehen und die Röcke mit ihren eigenen verwechselt. Das portugiesische Blau war dunkler als die Röcke der französischen Infanterie, und das Grün der Schützen war viel dunkler als die Röcke der Dragoner, aber aus der Ferne mussten die Farben der Uniformen verwirrend sein. Oder hielt sich niemand in dem Gebäude auf?
Sharpe nahm das kleine Fernrohr aus der Tasche und blickte lange hindurch. Das Seminar war riesig, vier Stockwerke hoch, hatte allein an der Südseite fast hundert Fenster, doch hinter keinem war Bewegung zu erkennen. Ebenso wenig auf dem Flachdach, das sicherlich die beste Aussicht der Stadt bot.
»Sollen wir dorthin gehen?«, fragte Vicente.
»Vielleicht«, antwortete Sharpe vorsichtig. Er war versucht, weil das Gebäude einen wunderbaren Blick auf die Stadt bot, aber er konnte immer noch nicht glauben, dass die Franzosen nicht dort waren. »Erst gehen wir weiter die Uferstraße entlang.«
Er führte seine Schützen. Das Grün ihrer Uniformröcke verschmolz mit dem Blätterwerk der Bäume und bot ihnen einen Vorteil, wenn voraus französische Posten beobachteten, doch sie sahen keinen. Ebenso wenig konnte Sharpe Bewegung auf dem südlichen Ufer erkennen, aber die Geschütze feuerten immer noch, und jetzt sah er über dem Hügel mit dem Seminar eine schmutzigweiße Pulverrauchwolke, die ins Flusstal trieb.
Als sie weiter westwärts gingen, gab es mehr Gebäude, viele davon Häuser, die nahe am Fluss erbaut waren, und ihre Gärten waren ein Labyrinth von Zäunen, Weinstöcken und Olivenbäumen, die Sharpe und seine Männer verbargen. Oberhalb von Sharpe, zu seiner Rechten, ragte das Seminar in den Himmel, die geschlossenen Fenster leer, und Sharpe wurde den Verdacht nicht los, dass sich in dem Koloss aus Stein und Glas eine Horde französischer Soldaten verbarg, doch jedes Mal, wenn er hinspähte, sah er keinerlei Bewegung.
Dann tauchte voraus ein einzelner französischer Soldat auf! Sharpe war um eine Ecke gebogen, und da stand der Mann auf einem gepflasterten Weg, der vom Schuppen eines Bootsbauers zum Fluss führte. Der Mann bückte sich, um mit einem jungen Hund zu spielen. Sharpe signalisierte seinen Männern hastig, zu stoppen. Der Feind war ein Infanterist, nur sieben oder acht Schritte entfernt. Völlig ahnungslos ließ er den Hund an seiner rechten Hand lecken, während sein Helm und die Muskete auf den Pflastersteinen lagen.
Wo ein französischer Soldat war, mussten mehrere sein! Sharpe spähte an dem Mann vorbei zu einer Gruppe Pappeln und dichten Büschen am fernen Wegrand. War dort eine Patrouille? Er konnte kein Anzeichen darauf entdecken, und er sah auch keine Aktivität zwischen den baufälligen Bootsschuppen.
Dann hörte der Franzose entweder das Scharren eines Stiefels oder er spürte, dass er beobachtet wurde, und wandte sich um. Dann wurde ihm klar, dass seine Muskete noch am Boden lag. Er wollte sich danach bücken, verharrte jedoch wie erstarrt, als er in Sharpes Gewehrmündung blickte.
Sharpe schüttelte den Kopf und ruckte mit dem Gewehr. Er gab mit der Hand ein Zeichen, dass sich der Mann aufrichten sollte. Der Franzose gehorchte. Er war ein junger Hüpfer, kaum älter als Pendleton oder Perkins, mit einem runden, gutmütig wirkenden Gesicht, das jetzt Angst zeigte. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als Sharpe auf ihn zusprang, ihn am Uniformrock packte und um die Ecke zerrte. Sharpe stieß ihn zu Boden, nahm das Bajonett des Franzosen aus dem Futteral und warf es in den Fluss. »Fesselt ihn«, befahl er Tongue.
»Es wäre leichter, ihm die Kehle durchzuschneiden«, sagte Tongue.
»Fesseln, habe ich gesagt! Und verpassen Sie ihm einen Knebel.« Er winkte Vicente heran. »Es war der Einzige, den ich gesehen habe.«
»Da müssen mehr sein«, meinte Vicente.
»Der Teufel weiß, wo die anderen stecken.«
Sharpe ging zur Hausecke zurück und spähte vorsichtig herum. Er sah nichts außer dem Hündchen, das jetzt versuchte, die Muskete des Franzosen am Riemen über den Asphalt zu ziehen. Sharpe befahl Harper mit einem Wink, ihm zu folgen. »Ich sehe keinen«, flüsterte er.
»Er kann nicht allein gewesen sein«, gab Harper ebenso leise zurück.
Immer noch bewegte sich nichts vor ihnen. »Ich will zwischen diese Bäume, Pat«, wisperte Sharpe und nickte zu den Pappeln am Ufer.
Die beiden hetzten über die freie Fläche und warfen sich zwischen die Bäume. Keine Muskete krachte, kein Alarmschrei ertönte, und das Hündchen, das alles für ein Spiel hielt, war ihnen gefolgt. »Geh zu deiner Mutter!«, zischte Harper. Der Hund begann zu bellen.
»Mein Gott!«, entfuhr es Sharpe. Er sagte das nicht wegen des Hundegebells, sondern weil er Boote sehen konnte. Die Franzosen sollten jedes Boot längs des Douro zerstört oder mitgenommen haben, doch vor ihm, hinter der Biegung des Flusses, lagen drei große Weinboote am schlammigen Ufer. Drei! Er fragte sich, ob sie angeschwemmt worden waren, weil sie Löcher hatten, und während Harper den Hund beruhigte, watete er durch das seichte Wasser und den Schlamm zum nächsten Boot und zog sich hinauf. Er war für jeden auf dem Nordufer durch die dicht stehenden Bäume verborgen, was vielleicht auch der Grund war, weshalb den Franzosen die drei Boote nicht bemerkt hatten, und - besser noch - das Boot, auf dem Sharpe jetzt an Bord war, wirkte unbeschädigt. Es stand viel Wasser im Kielraum, aber es war frisches Wasser, also Regenwasser, kein salziges Meerwasser, das mit der Flut in den Douro gelangte. Sharpe platschte durch den nassen Kielraum und fand keine Anzeichen auf Zerstörung durch Äxte. Es lag sogar ein kleineres Boot ordentlich vertäut an Bord.
»Sir!«, zischte Harper vom Ufer. »Sir!« Er wies über den Fluss, und Sharpe sah jenseits des Wassers einen roten Uniformrock. Ein einzelner Reiter, offenbar ein Brite, starrte ihn an. Der Mann hatte einen Zweispitz auf dem Kopf, also war er ein Offizier, aber als Sharpe winkte, erwiderte er die Geste nicht. Sharpe nahm an, dass der Offizier von seiner grünen Uniform verwirrt war.
»Holen Sie alle her, sofort«, befahl Sharpe Harper, dann blickte er wieder zu dem Reiter. Sekundenlang fragte er sich, ob es Colonel Christopher war. Doch dieser Mann war schwergewichtiger und sein Pferd hatte - wie die meisten britischen Armeepferde - einen gestutzten Schweif, während Christopher sein Pferd unkupiert gelassen hatte. Der Mann, der unter einem Baum im Sattel verharrte, wandte sich um. Anscheinend sprach er mit jemandem, aber Sharpe konnte niemanden sonst auf dem gegenüberliegenden Ufer entdecken. Dann blickte der Mann wieder zu Sharpe und gestikulierte lebhaft zu den drei Booten hin.
Sharpe zögerte. Zweifellos war der Mann ranghöher als er, und wenn er den Fluss überquerte, würde er wieder der eisernen Disziplin der Armee unterworfen sein und musste auf die Freiheit verzichten, so zu handeln, wie er es für richtig hielt. Wenn er einen seiner Männer schickte, würde es wohl das Gleiche sein, aber dann dachte er an Luis, und er rief den ehemaligen Barbier und half ihm an Bord. »Können Sie mit einem kleinen Boot zurechtkommen?«, fragte er.
Luis blickte einem Moment erschreckt, dann nickte er. »Ja, das kann ich.«
»Dann rudern Sie über den Fluss und finden heraus, was dieser britische Offizier will. Sagen Sie ihm, dass ich das Seminar erkunde. Und melden Sie ihm, dass ein anderes Boot in Barca d'Avintas liegt.« Sharpe vermutete, dass die Briten nordwärts vorgerückt und durch den Douro gestoppt worden waren. Er nahm an, dass die Kanonade von den Geschützen stammte, die sich über den Fluss hinweg beschossen hatten, aber ohne Boote würden die Briten hilflos sein. Wo war die verdammte Navy?
Harper, Macedo und Luis hoben das kleine Boot in den Fluss. Luis nahm die Riemen und lenkte mit erstaunlichem Geschick vom Ufer fort. Er blickte über die Schulter, um seine Richtung abzuschätzen, und pullte dann heftig los. Sharpe sah einen anderen Reiter hinter dem Offizier auftauchen. Der zweite Mann trug ebenfalls einen roten Uniformrock, und Sharpe hatte das Gefühl, dass die Armee ihn in ihre Schlinge zog, und so sprang er vom großen Weinboot und watete durch den Schlamm ans Ufer. »Sie bleiben hier«, befahl er Vicente. »Ich sehe mich oben auf dem Hügel um.«
Einen Moment hatte es den Anschein, als würde Vicente etwas einwenden, doch dann akzeptierte er Sharpes Anweisung, und Sharpe forderte seine Schützen mit einer Geste auf, ihm zu folgen. Als sie zwischen den Bäumen waren, blickte Sharpe zurück und sah, das Luis fast am anderen Ufer war, dann schob sich Sharpe durch eine Buschgruppe und sah die Straße vor sich. Dies war die Straße, auf der er aus Oporto entkommen war. Zu seiner Linken konnte er die Häuser erkennen, wo Vicente ihn gerettet hatte. Er sah keinen Franzosen und starrte wieder zum Seminar hoch, doch nichts bewegte sich dort. Zur Hölle damit, dachte er, geh einfach weiter.
Er führte seine Männer den Hügel hinauf. Es gab wenig Deckung. Ein paar verkrüppelte Bäume und eine verfallene Hütte standen auf halbem Weg, aber sonst war es wie eine Todesfalle, wenn es Franzosen in dem großen Gebäude gab. Sharpe wusste, dass er nicht vorsichtig genug war, doch niemand feuerte aus den Fenstern, niemand schlug Alarm, und er beschleunigte seine Schritte und spürte seine Beine, denn der Hang war steil.
Dann erreichte er den Fuß des Seminars. Das Erdgeschoss hatte acht schmale, verriegelte Fenster und sieben Türen. Sharpe versuchte, eine Tür zu öffnen, und fand sie verschlossen und so solide, dass er sich wehtat, als er sie auftreten wollte. Er duckte sich und wartete auf die Nachzügler seiner Männer. Er konnte westwärts durch ein Tal sehen, das zwischen dem Seminar und der Stadt lag, und erkannte, dass die französischen Geschütze von Oportos Hügel über den Fluss hinwegfeuerten, doch ihr Ziel war verdeckt von einer kleinen Erhebung auf dem südlichen Ufer. Ein riesiges Kloster stand auf der Erhebung, das gleiche, erinnerte sich Sharpe, wo sich die portugiesischen Geschütze mit den Franzosen an dem Tag duelliert hatten, als die Stadt eingenommen worden war.
»Alle hier«, meldete Harper.
Sharpe folgte der Mauer des Seminars, die aus massiven Blocksteinen errichtet war, westwärts zur Stadt hin. Er wäre lieber in die andere Richtung gegangen, doch er vermutete, dass der Haupteingang des Gebäudes zur Stadt blickte. Jede Tür, die er passierte, war verschlossen. Warum, zum Teufel, waren keine Franzosen hier? Er konnte keinen sehen, nicht einmal eine halbe Meile entfernt am Stadtrand. Und dann endete die Mauer, und er wandte sich nach rechts. Er sah eine Treppe, die zu einer mit Ornamenten verzierten Tür hinaufführte. Keine Posten bewachten diese Tür, doch jetzt konnte er Franzosen sehen. Auf einer Straße, die ins Tal nördlich des Seminars führte, stand ein Konvoi von Wagen. Die Wagen, von Ochsen gezogen, wurden von Dragonern eskortiert.
Sharpe benutzte Christophers kleines Fernrohr und erkannte, dass sie mit Verwundeten gefüllt waren. Schickte Soult die Verwundeten zurück nach Frankreich? Oder leerte er seine Lazarette, bevor er in eine andere Schlacht zog? Er dachte sicherlich nicht daran, gen Lissabon zu marschieren, denn die Briten waren von Süden bis an den Douro gekommen, und das ließ Sharpe daran denken, dass Sir Arthur Wellesley in Portugal eingetroffen sein musste, um die britischen Streitkräfte schlagartig aktiv werden zu lassen.
Der Eingang des Seminars war von einer reich verzierten Fassade umgeben, die von einem steinernen Kreuz gekrönt war, das von Musketenfeuer beschädigt war. Die Haupttür, deren Holz mit Nägeln beschlagen war und zu der eine Treppe führte, hatte einen Griff aus Schmiedeeisen, und als Sharpe ihn drehte, stellte er überrascht fest, dass sie sich öffnen ließ. Er stieß die Tür mit der Mündung seines Gewehrs weit auf und sah eine geflieste leere Halle mit grün angestrichenen Wänden. Das Porträt eines halb verhungerten Heiligen hing schief an einer Wand, und der Körper des Heiligen war mit Kugeleinschüssen übersät.
Sharpe ging durch die Halle, und seine Schritte hallten von den Wänden.
»Jesus, Maria und Joseph«, sagte Harper und bekreuzigte sich. »Ich habe noch nie einen so großen Bau gesehen. Wie viele verdammte Priester braucht ein Land?«
»Das kommt darauf an, wie viele Sünder es dort gibt«, sagte Sharpe. »Und jetzt durchsuchen wir den Bau.«
Er ließ sechs Männer als Posten in der Eingangshalle zurück und ging nach unten, um eine der Türen zu öffnen, die auf den Fluss blickten. Diese Tür würde sein Fluchtweg sein, wenn die Franzosen zum Seminar kamen, und vor dem Rückzug wollte er erst die Schlafsäle, Küchen, das Refektorium und die Bibliothek des großen Gebäudes durchsuchen. Möbeltrümmer lagen in jedem Raum, und in der Bibliothek lagen die Bücher zerrissen auf dem Boden verstreut, aber es hielt sich niemand darin auf. Die Kapelle war beschädigt, der Altar zu Brennholz zerschlagen, und der Chorraum war als Toilette benutzt worden.
»Bastarde«, sagte Harper leise.
Gataker, dessen Abzugsbügel des Gewehrs an einer letzten Schraube baumelte, starrte auf ein primitives Gemälde zweier Frauen, die sich mit drei französischen Dragonern vergnügten. Das Bild hing an einer weiß getünchten Wand, wo einst ein großes Triptychon der Heiligen Geburt über dem Altar gehangen hatte. »Das ist gut«, sagte er in einem so respektvollen Tonfall, als sei er auf einer Sommerausstellung der Royal Academy.
»Ich mag die Weiber ein wenig fülliger«, meinte Slattery.
»Kommt weiter«, blaffte Sharpe. Seine dringendste Aufgabe war jetzt, den Weinkeller des Seminars zu finden - er war überzeugt, dass es einen gab -, aber als er ihn schließlich entdeckte, stellte er mit Erleichterung fest, dass die Franzosen ihn bereits gefunden und nichts als zerbrochene Flaschen und leere Fässer zurückgelassen hatten. »Dreimal verdammte Bastarde!«, sagte Harper. Sharpe hätte die Flaschen und Fässer ebenfalls zerstört, um zu verhindern, dass sich seine Männer besinnungslos tranken. Und dieser Gedanke ließ ihn unbewusst entscheiden, so lange in dem großen Gebäude zu bleiben, wie er konnte. Die Franzosen wollten zweifellos Oporto halten, aber wer hielt das Seminar, das die östliche Flanke der Stadt beherrschte?
Die lange Fassade mit ihren unzähligen Fenstern gegenüber des Flusses war trügerisch, denn das Gebäude war sehr schmal. Gerade ein Dutzend Fenster wies geradeaus gen Oporto, und vom hinteren Teil des Seminars, am weitesten von der Stadt entfernt, ragte ein langer Flügel nach Norden. Im Winkel zwischen den beiden Flügeln gab es einen Garten. Die Apfelbäume darin waren als Brennholz gefällt worden. Die beiden Seiten des Gartens, die nicht von dem Gebäude begrenzt waren, wurden von einer hohen Steinmauer mit zwei Eisentoren geschützt, die sich zur Stadt hin öffneten.
In einem Schuppen, verborgen unter einem Netzwerk, das einst benutzt worden war, um Vögel von den Obstbäumen abzuhalten, fand Sharpe eine alte Spitzhacke, die er Cooper gab. »Fang an, Schießscharten zu machen«, sagte er und wies auf die lange Mauer. »Patrick! Suchen Sie noch mehr Werkzeuge. Teilen Sie sechs Mann als Helfer für Cooper ein, und der Rest der Männer soll aufs Dach gehen, sich aber nicht sehen lassen, verstanden? Sie sollen unsichtbar bleiben.«
Sharpe ging in einen großen Raum, der wohl das Büro des Direktors des Seminars gewesen war. Er hatte eine Bücherei gehabt, doch die Regale waren geplündert worden wie der Rest des Gebäudes. Zerrissene und zertrampelte Bücher lagen auf den Bodendielen, ein großer Tisch war gegen eine Wand geschleudert worden, und ein aufgeschlitztes Ölgemälde, das einen andächtigen Priester zeigte, lag halb verbrannt im großen Kamin. Das einzige unbeschädigte Objekt war ein Kruzifix, das rußgeschwärzt hoch an der Wand über dem Kaminsims hing.
Sharpe öffnete das Fenster direkt über der Haupttür des Seminars und benutzte das kleine Fernrohr, um die Stadt zu betrachten, die so verlockend nahe jenseits des Tals lag. Dann, seinen eigenen Befehl missachtend, dass jeder verborgen bleiben sollte, lehnte er sich über das Fensterbrett hinaus, um zu sehen, was sich am südlichen Ufer des Flusses tat, doch er konnte nichts von Bedeutung entdecken. Während er sich noch den Hals verrenkte, dröhnte die Stimme eines Fremden hinter ihm.
»Sie müssen Lieutenant Sharpe sein. Ich bin Waters, Lieutenant Colonel Waters, und gut gemacht, Sharpe, verdammt gut.«
Sharpe zog sich vom Fenster zurück und drehte sich um. Er sah einen rot berockten Offizier durch das Durcheinander weggeworfener Bücher und Papiere treten und nahm Haltung an.
»Ich bin Sharpe, Sir«, stellte er sich vor.
»Die verdammten Franzosen dösen«, sagte Waters. Er war ein stämmiger Mann mit O-Beinen von zu häufigem Reiten und wettergegerbtem Gesicht. Sharpe schätzte ihn auf gerade vierzig, doch er wirkte älter, weil sein Haar ergraut war. »Sie sollten hier ein Bataillon und ein paar Batterien Geschütze haben, nicht wahr? Unsere Feinde dösen, diese Schlafmützen.«
»Sie sind der Mann, den ich am anderen Flussufer gesehen habe?«, fragte Sharpe.
»Genau der bin ich. Ihr portugiesischer Freund kam rüber. Smarter Mann! Er ruderte mich zurück, und jetzt lassen wir diese verdammten Boote schwimmen. Das ist eine starke Entlastung für meine Jungs, und wenn wir mit den Booten zurechtkommen, dann werden wir die ›Ochsen‹ zuerst und dann den Rest der Ersten Brigade hier haben. Sollte interessant werden, wenn Marschall Soult erfährt, dass wir uns durch seine Hintertür geschlichen haben. Ist noch was zum Saufen in diesem Gebäude?«
»Alles weg, Sir.«
»Guter Mann«, sagte Waters, der irrtümlich annahm, dass Sharpe die Versuchung für seine Rotröcke bereits beseitigt hatte. Dann trat er zum Fenster, nahm ein großes Fernrohr aus seiner Schultertasche und schaute hindurch auf Oporto.
»Was tut sich, Sir?«, fragte Sharpe.
»Was sich tut? Wir werfen die Franzosen aus Portugal raus. Hopp, hopp, auf Nimmerwiedersehen, ihr Lahmärsche. Sehen Sie sich das an!« Waters wies auf die Stadt. »Sie haben nicht die geringste Ahnung, dass wir hier sind. Ihr portugiesischer Freund sagte, dass Sie abgeschnitten wurden. Ist das wahr?«
»Seit Ende März.«
»Guter Gott, da haben Sie ja überhaupt keinen Kontakt mehr!« Der Colonel wandte sich vom Fenster ab und erzählte Sharpe, dass Sir Arthur Wellesley tatsächlich in Portugal eingetroffen war. »Er kam vor knapp drei Wochen«, sagte Waters. »Und er brachte einigen Schwung in die Truppen! Cradock ist zwar ein anständiger Kerl, aber er hat keinen Mumm. So sind wir auf dem Marsch, Sharpe, links, rechts, links, rechts, und der Teufel hole die Letzten. Die britische Armee ist dort drüben.« Er wies durch das Fenster zu dem verborgenen Terrain jenseits des Klosters auf der Erhebung am Südufer. »Diese verdammten Franzmänner denken, wir kommen von der See her, und so sind all ihre Männer entweder in der Stadt oder bewachen den Fluss zwischen der Stadt und der See.«
Sharpe verspürte ein leichtes Schuldgefühl, weil er der Frau in Barca d'Avintas nicht geglaubt hatte, die ihm das Gleiche gesagt hatte.
»Sir Arthur will über den Fluss«, fuhr Waters fort. »Sie haben diese drei Boote beschafft, und Sie sagen, es gibt ein viertes?«
»Drei Meilen stromaufwärts, Sir.«
»Da haben Sie gute Arbeit geleistet, Sharpe«, sagte Waters mit einem freundlichen Lächeln. »Wir müssen nur beten ...«
»Dass die Franzosen uns hier nicht entdecken?«
»Genau. Am besten verschwindet der rote Rock aus dem Fenster, wie?« Waters lachte und durchquerte den Raum. »Beten Sie, dass sie weiterpennen, denn wenn sie aus ihren süßen Träumen aufwachen, wird es verdammt heiß sein. Wie viele Personen können diese drei Boote pro Fahrt mitnehmen? Dreißig? Und Gott allein weiß, wie lange jede Überquerung dauern wird. Genauso gut könnten wir unsere Köpfe ins Maul des Tigers schieben, Sharpe.«
Sharpe verkniff sich, zu sagen, dass sein Kopf in den letzten Wochen ständig im Maul des Tigers gesteckt hatte. Stattdessen starrte er durch das Tal, versuchte sich vorzustellen, wie die Franzosen sich nähern würden, wenn sie angriffen. Er nahm an, dass sie geradewegs von der Stadt durch das Tal den Hang heraufkommen würden, der praktisch kahl und ohne jede Deckung war. Die nördliche Flanke des Seminars blickte zur Straße im Tal, und dieser Hang war ebenso kahl außer einem einzelnen Baum auf halber Strecke des Aufstiegs. Jemand, der das Seminar angriff, würde vermutlich versuchen, durch das Gartentor oder die große Eingangstür zu kommen, und das würde bedeuten, eine breite Terrasse zu überqueren, wo Kutschen mit Besuchern des Seminars wenden konnten und wo angreifende Infanteristen von Musketen- und Gewehrfeuer aus den Fenstern oder vom Dach gestoppt werden konnten.
»Eine Todesfalle!«, sagte Colonel Waters.
Sharpe teilte seine Ansicht, denn er hatte den gleichen Gedanken gehabt. »Ich möchte nicht auf diesem Hang sein und angreifen«, pflichtete er ihm bei.
»Und ich habe keinen Zweifel, dass wir einige Kanonen auf das andere Ufer herüberbringen, um alles noch ein bisschen gefährlicher zu machen«, sagte Waters heiter.
Sharpe hoffte, das dies stimmte. Er fragte sich weiterhin, warum keine britischen Geschütze auf der breiten Terrasse des Klosters waren, auf der Terrasse, wo die Portugiesen ihre Batterien im März gehabt hatten. Das war eine nahe liegende Position, doch Sir Arthur Wellesley hatte sich entschieden, seine Artillerie unten zwischen den Hütten am Hafen in Stellung zu bringen, wo sie außer Sicht des Seminars waren.
»Wie spät haben wir?«, fragte Waters, dann beantwortete er seine eigene Frage, indem er seine Taschenuhr zog und den Deckel aufschnappen ließ. »Fast elf!«
»Sind Sie beim Stab, Sir?«, fragte Sharpe, weil Waters' roter Uniformrock zwar mit vielen goldenen Tressen geschmückt war, jedoch keine Regimentsaufschläge hatte.
»Ich bin einer von Sir Arthurs Erkundungsoffizieren«, sagte Waters heiter. »Wir reiten voraus, um das Terrain zu erkunden, wie diese Typen in der Bibel, die Josua vorausgeschickt hat, um Jericho auszuspionieren, erinnern Sie sich an diese Geschichte? Und eine Frau namens Rahab gab ihnen Unterschlupf. Das war das Glück der Juden. Das erwählte Volk wurde von einer Prostituierten willkommen geheißen und ich von einem Schützen. Ich nehme an, das ist besser als ein feuchter Kuss von einem verdammten französischen Dragoner.«
Sharpe lächelte. »Kennen Sie Captain Hogan, Sir?«
»Den Kartografie-Typen? Natürlich kenne ich Hogan. Ein famoser Kerl, wirklich ein großartiger Typ.« Waters schwieg plötzlich und sah Sharpe nachdenklich an. »Mein Gott, natürlich! Sie sind sein verlorener Schütze, nicht wahr? Ah, jetzt weiß ich Bescheid. Er sagte, Sie würden überleben. Gut gemacht, Sharpe. Ah, hier kommen die Ersten der tapferen ›Ochsen‹.«
Vicente und seine Männer hatten dreißig Rotröcke den Hügel hinaufeskortiert, aber anstatt die unverschlossene Tür, die Sharpe für den Fluchtweg vorgesehen hatte, zu öffnen, waren sie um die Frontseite marschiert und schauten nun zu Waters und Sharpe hoch, die vom Fenster auf sie hinabblickten. Die Neuankömmlinge trugen die Aufschläge des Dritten Infanterie-Regiments aus Kent, und sie schwitzten nach ihrem Aufstieg unter der heißen Sonne. Ein dünner Lieutenant führte sie, der Colonel Waters versicherte, dass zwei weitere Bootsladungen Männer bereits an Land gingen. Dann blickte er neugierig auf Sharpe. »Was, um alles in der Welt, machen die Schützen hier?«
»Als Erster auf dem Feld, als Letzter wieder daheim«, zitierte Sharpe einen der Sprüche seiner Männer.
»Als Erster? Sie müssen über den verdammten Fluss geflogen sein.« Der Lieutenant wischte sich Schweiß von der Stirn. »Habt ihr hier Wasser?«
»Ein Fass voll hinter der Haupttür«, sagte Sharpe. »Mit freundlicher Genehmigung der 95th Rifles.«
Weitere Männer trafen ein. Die Boote fuhren hin und her auf dem Fluss, und alle zwanzig Minuten mühten sich weitere achtzig oder neunzig Männer den Hügel herauf. Eine Gruppe traf mit einem General ein, Sir Edward Paget, der das Kommando über die wachsende Garnison von Waters übernahm. Paget war Ende dreißig, energiegeladen und ehrgeizig, der seinen hohen Rang dem Reichtum seiner adligen Familie verdankte, jedoch sehr beliebt bei seinen Soldaten war. Er stieg auf das Dach des Seminars, auf dem Sharpes Männer positioniert waren, und als er sah, dass Sharpe das kleine Fernrohr benutzte, bat er ihn, es ihm zu leihen. »Hab mein eigenes verloren«, erklärte er, »es ist irgendwo in Lissabon beim Gepäck.«
»Sie sind mit Sir Arthur hergekommen, Sir?«, fragte Sharpe.
»Vor drei Wochen«, sagte Paget und starrte auf die Stadt.
»Sir Edward ist Stellvertreter von Sir Arthur«, erklärte Waters.
»Was nicht viel heißt«, sagte Sir Edward, »weil er mir nie irgendwas erzählt. Was ist mit diesem verdammten Fernrohr los?«
»Die Linse verrutscht, wenn man die Fassung nicht festhält, Sir«, sagte Sharpe.
»Nehmen Sie meines.« Waters hielt Paget das bessere Instrument hin.
Sir Edward betrachtete die Stadt, dann runzelte er die Stirn. »Was tun die verdammten Franzosen?«, fragte er verwirrt.
»Sie schlafen«, antwortete Waters.
»Na, das wird ihnen nicht gefallen, wenn sie aufwachen, oder?«, bemerkte Paget. Er gab Waters des Fernrohr zurück und nickte Sharpe zu. »Es freut mich verdammt, einige Schützen hier zu haben, Lieutenant. Ich wage zu sagen, dass wir eine Schießübung haben werden, bevor der Tag zu Ende ist.«
Eine weitere Gruppe von Männern kam den Hügel herauf. Jedes Fenster an der kurzen westlichen Fassade des Seminars war inzwischen mit einer Gruppe Rotröcke besetzt, und ein Viertel der Fenster an der langen nördlichen Wand war ebenfalls bemannt. Die Mauer zum Garten hatte Schießscharten bekommen. Dort waren Vicentes Portugiesen und Waters' Grenadier-Kompanie auf Posten. Die Franzosen, die sich in Oporto sicher wähnten, beobachteten den Fluss zwischen der Stadt und dem Meer, während sich hinter ihrem Rücken, auf dem hohen östlichen Hügel, die Rotröcke versammelten.
Was bedeutete, dass die Götter des Krieges die Spannung zum Höhepunkt trieben.
Zwei Offiziere waren in der Eingangshalle des Palacio das Carrancas postiert, um sicherzustellen, dass alle Besucher ihre Stiefel auszogen. »Seine Majestät schläft«, erklärten sie und bezogen sich auf Marschall Nicolas Soult, Herzog von Dalmatien, dessen Spitzname jetzt König Nicolas war.
Die Halle war höhlenartig, hoch und gewölbt, und Stiefeltritte hallten die Treppe hinauf bis ins Schlafgemach von König Nicolas. Früh an diesem Morgen war ein Husar eilig in den Palast gekommen, seine Sporen hatten sich in dem Läufer am Fuß der Treppe verfangen, er war gestürzt, und das Poltern und Klirren von Säbel und Scheide hatte den Marschall geweckt. Daraufhin hatte er den Posten befohlen, dafür zu sorgen, dass niemand seine Ruhe störte. Die beiden Wachtposten konnten nicht verhindern, dass die britische Artillerie über den Fluss hinwegfeuerte, aber vielleicht war der Marschall nicht so empfindlich gegenüber Geschützfeuer wie gegen das laute Widerhallen von Schritten.
Der Marschall hatte ein Dutzend Gäste zum Frühstück eingeladen, und alle waren vor neun an diesem Morgen eingetroffen. Alle hatten in einem der großen Empfangssalons auf der Westseite des Palastes warten müssen, wo hohe Glastüren zu einer Terrasse führten, die mit Topfblumen und Lorbeerbüschen geschmückt war. Die Gäste, bis auf einen männlich, und alle bis auf zwei französisch, schlenderten ständig auf die Terrasse, die von der südlichen Balustrade einen Blick über den Fluss und auf die Geschütze bot, die über den Douro hinwegfeuerten.
In Wirklichkeit war nicht viel zu sehen, weil die britischen Kanonen in Vila Nova de Gaias Straßen in Stellung gebracht worden waren, und so konnten die Gäste selbst durch Fernrohre nur schmutziggraue Rauchwolken beim Abschuss sehen und das Krachen der Kanonenkugeln hören, die in den Gebäuden gegenüber von Oportos Kais einschlugen. Der einzige andere sehenswerte Anblick waren die Überreste der Pontonbrücke, die von den Franzosen Anfang April repariert, jetzt jedoch bei Sir Arthur Wellesleys Nahen gesprengt worden war. Drei ausgebrannte Pontons waren noch verankert, doch der Rest, zusammen mit der Fahrbahn, war in tausend Stücke gesprengt und von der Strömung ins nahe Meer gespült worden.
Kate war die einzige Frau, die zum Frühstück des Marschalls eingeladen war, und ihr Mann hatte eisern darauf bestanden, dass sie die Husarenuniform trug. Seine Unnachgiebigkeit wurde belohnt durch die bewundernden Blicke, welche die anderen Gäste auf die langen Beine seiner Frau warfen. Christopher selbst trug Zivilkleidung, während die anderen zehn Männer, allesamt Offiziere, Uniform trugen und - weil eine Frau anwesend war - ihr Bestes taten, um sich unbekümmert wegen der britischen Kanonade zu zeigen.
»Was sie tun, ist lachhaft«, sagte ein Dragoner-Major mit Achselschnüren und goldenen Tressen. »Sie schießen Sechspfünder auf unsere Posten. Sie könnten genauso gut mit Knüppeln auf Fliegen schlagen.« Er zündete sich eine Zigarre an, inhalierte tief und bedachte Kate mit einem langen, anerkennenden Blick. »Mit einem solchen Hintern«, sagte er leise zu seinem Freund, »sollte sie eine Französin sein.«
»Sie sollte auf dem Rücken liegen.«
»So geht es natürlich auch.«
Kate hielt sich von den französischen Offizieren weiterhin abgewandt. Sie schämte sich der Husarenuniform, die sie für unanständig hielt und - schlimmer noch - aus der man schließen musste, dass sie mit den Franzosen sympathisierte.
»Du könntest dir mehr Mühe geben«, raunte ihr Christopher zu.
»Ich gebe mir Mühe«, antwortete sie ihm bitter. »Die Mühe, nicht bei jedem britischen Schuss zu jubeln.«
»Du bist lächerlich.«
»So, bin ich das?«
»Dies ist nur eine Demonstration«, erklärte Christopher. »Wellesley hat seine Männer hermarschieren lassen und kann nicht weiter. Er hängt fest. Es gibt keine Boote, und die Navy ist nicht blöde genug zu versuchen, in den Fluss zu den Festungen zu segeln. So schießt er ein paar Kanonenkugeln in die Stadt, dann macht er kehrt und marschiert nach Coimbra oder Lissabon zurück. Beim Schach, meine Liebe, würde das als Patt bezeichnet werden. Soult kann nicht nach Süden marschieren, weil seine Verstärkung nicht eingetroffen ist, und Wellesley kann nicht weiter nördlich vorstoßen, weil er keine Boote hat. Und wenn das Militär keine Entscheidung erzwingen kann, dann werden die Diplomaten die Sachen regeln müssen. Aus diesem Grund bin ich hier, wie ich dir ja dauernd zu sagen versuche.«
»Du bist hier, weil du mit den Franzosen sympathisierst«, sagte Kate.
»Das ist eine beleidigende Bemerkung«, sagte Christopher. »Ich bin hier, weil vernünftige Leute tun müssen, was sie können, damit der Krieg nicht weitergeht, und um mit dem Feind zu reden. Aber das kann ich nicht, wenn ich auf der falschen Seite des Flusses bin.«
Kate gab keine Antwort. Sie glaubte die komplizierten Erklärungen ihres Mannes nicht mehr, warum er so freundlich zu den Franzosen war, und sie hielt auch nichts von seinem Gerede, dass die neuen Ideen das Schicksal Europas bestimmten. Sie klammerte sich stattdessen an die simple Idee, eine Patriotin zu sein, und sie wollte nur den Fluss überqueren und sich den Männern auf der anderen Seite anschließen. Aber es gab keine Boote, keine Brücke mehr und keinen Fluchtweg, um zu entkommen.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und Christopher, der verabscheute, dass sie sich so trübselig zeigte, wandte sich ab. Er stocherte mit einem Zahnstocher aus Elfenbein zwischen seinen Zähnen herum und staunte, dass eine so schöne Frau so dumm sein konnte, ihn nicht zu verstehen.
Kate wischte ihre Tränen fort und ging zu dem Gärtner, der bedächtig die Lorbeerbüsche beschnitt. »Wie komme ich über den Fluss?«, fragte sie auf Portugiesisch.
Der Mann blickte nicht auf, weiter in seine Tätigkeit vertieft. »Sie können nicht rüber.«
»Aber ich muss!«
»Dann erschießt man Sie, wenn Sie es versuchen.« Er schaute sie an, sah die Husarenuniform und wandte sich ab. »Man erschießt Sie ohnehin.«
Eine Uhr in der Halle des Palastes schlug elf, als Marschall Soult die Treppe herunterkam. Er trug einen seidenen Morgenmantel über Hose und Hemd.
»Ist das Frühstück bereit?«, fragte er.
»Im blauen Empfangsraum, Sir«, antwortete sein Adjutant, »und Ihre Gäste sind da.«
»Gut, gut!« Er wartete, bis die Türen für ihn geöffnet wurden, dann begrüßte er die Besucher mit einem breiten Lächeln. »Nehmen Sie bitte Platz. Ah, ich sehe, wir sind zwanglos.« Letzteres galt dem Frühstücksbüfett, das auf einem langen Beistelltisch auf Platten, zum Teil auf Wärmeplatten, aufgereiht war. Der Marschall ging an der Reihe entlang und hob Deckel an. »Schinken! Hervorragend. Geschmorte Nieren, ausgezeichnet! Rindfleisch! Und etwas Zunge, gut, gut. Und Leber. Das sieht köstlich aus. Guten Morgen, Colonel.« Die Begrüßung galt Christopher, der sich vor dem Marschall verneigte. »Wie gut von Ihnen, herzukommen«, fuhr Soult fort. »Und haben Sie Ihre hübsche Gattin mitgebracht? Ah, ich sehe sie. Gut, gut. Sie werden hier sitzen, Colonel.« Er wies auf einen Stuhl neben seinem. Soult mochte den Engländer, der die Verschwörer verraten hatte, die geplant hatten, gegen ihn zu meutern, wenn er sich selbst zum König ernannt hätte. Der Marschall hatte diese Ambition immer noch, aber er wusste, dass er erst die britische und portugiesische Armee zurückschlagen musste, die es gewagt hatten, von Coimbra vorzurücken, bevor er Krone und Zepter annehmen konnte.
Soult war durch Sir Arthur Wellesleys Vorrücken überrascht worden, aber er war nicht alarmiert. Der Fluss wurde bewacht, und man hatte dem Marschall versichert, dass es keine Boote mehr auf dem anderen Ufer gab, und so konnten die Briten auf dem Südufer des Douro ewig festsitzen und Däumchen drehen.
In den hohen Fenstern klirrten die Scheiben im Takt des Beschusses. Der Marschall wandte sich vom Frühstücksbüfett ab. »Unsere Kanoniere sind heute Morgen ein bisschen lebhaft, nicht wahr?«
»Das sind meistens britische Geschütze, Sir«, antwortete ein Adjutant.
»Und was machen die?«
»Sie feuern auf unsere Posten am Kai«, sagte der Adjutant. »Sie erschlagen praktisch Fliegen mit Sechspfünderkugeln.«
Soult lachte. »So viel zu dem berühmten Wellesley, wie?« Er lächelte Kate an und forderte sie mit einer Geste auf, auf dem Ehrenplatz zu seiner Rechten Platz zu nehmen. »Sehr angenehm, eine so hübsche Frau als Gesellschaft beim Frühstück zu haben.«
»Besser, eine vor dem Frühstück zu haben«, bemerkte ein Infanterie-Colonel, und Kate, die besser Französisch sprach als die meisten der männlichen Gäste, errötete.
Soult häufte Leber und Schinken auf seinen Teller und setzte sich dann an den Tisch. »Sie erschlagen also Posten«, sagte er, »und was tun wir?«
»Batterie-Gegenfeuer, Sir«, antwortete der Adjutant. »Sie haben keine Nieren auf dem Teller? Soll ich Ihnen welche mitbringen?«
»Oh, seien Sie so nett, Cailloux. Ich liebe Nieren. Irgendwelche Neuigkeiten vom Castelo?« Das Castelo de Sâo lag am Nordufer des Douro, wo der Fluss ins Meer mündete, und war verstärkt worden, um einen britischen, von der See geführten Angriff zurückzuschlagen.
»Sie melden zwei Fregatten gerade außer Schussweite, Sir, aber kein anderes Schiff in Sicht.«
»Er kann sich nicht entscheiden, nicht wahr?«, sagte Soult mit Genugtuung. »Dieser Wellesley ist ein Zauderer. Bedienen Sie sich mit Kaffee, Colonel«, sagte er zu Christopher. »Und wenn Sie so nett wären, für mich ebenfalls eine Tasse. Vielen Dank.« Soult nahm sich eine Scheibe Brot und etwas Butter. »Ich sprach gestern Abend mit Vuillard. Er hatte Ausreden, Hunderte Ausreden!«
»Noch einen Tag, Sir«, sagte Christopher, »und wir hätten diesen Hügel einnehmen können.«
Kate, die Augen gerötet, schaute auf ihren leeren Teller hinab. »Wir«, hatte ihr Mann gesagt.
»Noch einen Tag?«, erwiderte Soult zornig. »Er hätte ihn in ein paar Minuten am ersten Tag seiner Ankunft einnehmen müssen!« Soult hatte sich an Vuillard und seine Männer von Vila Real de Zedes in dem Moment erinnert, als er erfahren hatte, dass die Briten und Portugiesen von Coimbra aus vorrückten, und er war ärgerlich gewesen, dass so viele Männer mit so wenigen Gegnern nicht fertig geworden waren. Nicht, dass es jetzt etwas ausmachte. Jetzt zählte nur, dass Wellesley eine Lektion erteilt werden musste.
Soult glaubte nicht, dass sich dies als schwierig erweisen würde. Er wusste, dass Wellesley nur eine kleine Armee und eine schwache Artillerie hatte. Er wusste das, weil Hauptmann Argenton vor fünf Tagen festgenommen worden war und jetzt all sein Wissen, das von seinem zweiten Treffen mit den Briten stammte, während des Verhörs preisgegeben hatte. Argenton hatte sich sogar mit Wellesley persönlich getroffen und die Vorbereitungen für das alliierte Vorrücken gesehen, und Argentons Aussagen hatten es den französischen Regimentern südlich des Flusses ermöglicht, der britischen Streitmacht rechtzeitig auszuweichen. Jetzt saß Wellesley auf der falschen Seite des Douro fest und hatte keinerlei Boote, um ihn zu überqueren, abgesehen vielleicht von ein paar Beibooten der britischen Marine, doch diese Gefahr bestand überhaupt nicht. Zwei Fregatten dümpelten auf See herum, weil Wellesley sich nicht entscheiden konnte!
Argenton, dem man sein Leben für Informationen versprochen hatte, war dank Christophers Enthüllungen gefangen genommen worden, und dadurch fühlte sich Soult in der Schuld des Engländers. Christopher hatte auch die Namen der anderen Verschwörer preisgegeben, Donadieu vom 47., die Brüder Lafitte vom 18. Dragonerregiment und noch einige andere Offiziere, und Soult hatte sich entschieden, nichts gegen sie zu unternehmen. Argentons Festnahme würde eine Warnung für sie sein. Sie alle waren beliebte Offiziere, und es war nicht gut für die Moral der Truppe, sie vor ein Erschießungskommando zu stellen. Er würde die Offiziere wissen lassen, dass er wusste, wer sie waren, und dann andeuten, dass ihr Leben von ihrem zukünftigen Verhalten abhing. Besser, solche Männer in der Tasche als im Grab zu haben.
Kate weinte lautlos. Die Tränen rannen über ihre Wangen, und sie rieb sie fort und versuchte, ihre Gefühle zu verbergen, doch Soult hatte es bemerkt.
»Sie hat Angst, Sir«, sagte Christopher.
»Angst?«, fragte Soult.
Christopher wies zu den Fenstern, die immer noch unter dem Donnern der Kanonen bebten. »Frauen und Schlachten, Sir, passen nicht zusammen.«
»Nur zwischen den Laken«, sagte Soult lächelnd. »Sagen Sie ihr, dass sie nichts zu fürchten braucht. Die Briten können den Fluss nicht überqueren, und wenn sie es versuchen, werden sie zurückgeschlagen. In ein paar Wochen werden wir verstärkt.« Er wartete, bis das übersetzt worden war, und hoffte, dass Verstärkungen wirklich bald eintreffen würden, denn sonst wusste er nicht, wie die Invasion Portugals fortgesetzt werden konnte. »Dann werden wir nach Süden marschieren, um die Freuden Lissabons zu genießen. Sagen Sie ihr, dass wir im August Frieden haben werden. Ah! Der Koch!«
Ein rundlicher Franzose mit üppigem Schnurrbart hatte den Raum betreten. Er trug eine blutbefleckte Schürze, und ein Tranchiermesser hing an seinem Gürtel. »Sie haben mich kommen lassen ...«, er klang widerwillig, »... Monsieur?«
»Ah!« Soult erhob sich und klatschte in die Hände. »Wir müssen das Essen planen, Deron. Ich habe vor, um sechzehn Uhr hier zu dinieren. Was schlagen Sie vor?«
»Ich habe Aale.«
»Aale«, wiederholte Soult begeistert. »Mit Pilzen, in Rotwein geschwenkt? Ausgezeichnet.«
»Ich werde ihn mit Petersilie als Filet braten und mit Rotweinsauce servieren. Für ein Entree habe ich Lamm. Sehr gutes Lamm.«
»Gut! Ich liebe Lamm. Können Sie eine Kapernsoße machen?«
»Eine Kapernsoße!« Deron blickte angewidert drein. »Der Essig wird den Geschmack vom Lamm verfälschen. Es ist gutes Lammfleisch, zart und fett.«
»Dann vielleicht eine sehr feine, nicht ganz so pikante Kapernsoße?«, schlug Soult vor.
Der Geschützdonner wurde plötzlich so stark, dass nicht nur die Fensterscheiben erzitterten, sondern auch die beiden Kristalllüster über dem langen Tisch klirrten, doch sowohl der Marschall als auch der Koch ignorierten es. »Ich werde das Lamm mit etwas Gänsefett braten«, sagte Deron mit einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.
»Gut, gut«, sagte Soult.
»Und mit Zwiebeln, Schinken und ein paar Steinpilzen garnieren.«
Ein Offizier, schwitzend und rotgesichtig von der Hitze des Tages, kam in den Raum. »Sire!«
»Einen Moment«, sagte Soult, dann sah er wieder Deron an. »Zwiebeln, Schinken und einige Steinpilze?«, wiederholte er.
»Ich werde es mit ein wenig gehacktem Schinken garnieren«, sagte Deron stoisch, »einigen kleinen Zwiebeln und ein paar Steinpilzen.«
Soult gab auf. »Ich weiß, es wird vorzüglich schmecken. Ausgezeichnet. Und, Deron, danke für dieses Frühstück, danke.«
»Es wäre noch besser gewesen, wenn ich es hätte kochen können«, sagte Deron und zog sich dann zurück.
Soult blickte dem Koch strahlend nach, dann blickte er den Offizier, der ihn unterbrochen hatte, finster an. »Sie sind Hauptmann Brossard, nicht wahr? Möchten Sie frühstücken?« Der Marschall wies mit seinem Buttermesser zum Ende des Tisches. »Wie geht es General Foy?«
Brossard war ein Adjutant von Foy, und er hatte weder Zeit für ein Frühstück noch wollte er über General Foys Gesundheit berichten. Er brachte Nachrichten, und sekundenlang wollten sie aus ihm heraussprudeln und waren kaum verständlich, doch dann brachte er sich unter Kontrolle und wies nach Osten. »Die Briten, Sire, sind im Seminar.«
Soult starrte ihn fassungslos an. »Sie sind - was?«
»Die Briten sind im Seminar.«
»Aber Quesnel hat mir versichert, dass es keine Boote mehr gibt!« Quesnel war der französische Kommandant der Stadt.
»Keines auf den Ufern, Sire.« Alle Boote in der Stadt waren aus dem Wasser gezogen und auf dem Kai aufgestapelt worden, wo sie für die Franzosen verfügbar waren, jedoch keinem nutzen konnten, der aus dem Süden kam. »Aber sie haben den Fluss trotzdem überquert«, sagte Brossard. »Sie sind bereits auf dem Hügel.«
Soult stockte der Atem. Das Seminar befand sich auf einem Hügel, der die Straße nach Amarante beherrschte, und diese Straße war sein Fluchtweg zurück zu den Depots in Spanien und ebenfalls die Verbindung zwischen der Garnison in Oporto und General Loisons Männern auf dem Tamega. Wenn die Briten diese Straße abschnitten, dann konnten sie die französische Armee Stück für Stück wegputzen, und Soults Ruf würde bei seinen Männern zerstört sein. »Sagen Sie dem General, er soll sie zurück in den Fluss werfen!«, donnerte er. »Sofort! Gehen Sie! Werft sie in den Fluss!«
Die Männer eilten aus dem Raum und ließen Kate und Christopher allein. Kate sah Panik im Gesicht ihres Mannes und empfand deswegen wilde Freude. Die Fensterscheiben klirrten, die Kronleuchter erzitterten, und die Briten kamen.
»Na gut, wir haben Schützen unter uns! Wir sind gesegnet. Ich wusste nicht, dass jemand von den 95th Rifles zur Ersten Brigade gehört.« Der Sprecher war ein stämmiger, rotgesichtiger, fast glatzköpfiger Mann. Wenn er keine Uniform getragen hätte, dann hätte er wie ein freundlicher Bauer gewirkt, und Sharpe konnte sich ihn in einer englischen Marktstadt bei einer Viehauktion vorstellen. »Sie sind äußerst willkommen«, sagte er zu Sharpe.
»Das ist Daddy Hill«, flüsterte Harris Pendleton zu.
»Moment mal, junger Mann«, sagte General Hill dröhnend, »Sie sollten nicht den Spitznamen eines Offiziers in Hörweite benutzen. Dafür könnten Sie bestraft werden!«
»Verzeihung, Sir.« Harris hatte nicht so laut flüstern wollen.
»Sie sind ein Schütze, also wird Ihnen verziehen. Und ein sehr schmutziger Schütze dazu, muss ich sagen! Was wird nur aus der Armee, wenn wir uns nicht für die Schlacht fein kleiden?« Er strahlte Harris an, fischte in seinen Taschen und zog eine Hand voll Mandeln heraus. »Etwas, um Ihre Zunge zu beschäftigen, junger Mann.«
»Danke, Sir.«
Es waren jetzt zwei Generäle auf dem Dach des Seminars. General Hill, Kommandeur der Ersten Brigade, dessen Soldaten den Fluss überquerten und der wegen seiner freundlichen Art den Spitznamen »Daddy« trug, hatte sich zu Sir Edward Paget gesellt, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, dass drei französische Bataillone aus den östlichen Vororten der Stadt gekommen waren und sich zu zwei Kolonnen formiert hatten, die den Seminarhügel erstürmen wollten.
Die drei Bataillone waren im Tal, und die Männer wurden von ihren Unteroffizieren in die Reihen geschoben. Eine Kolonne würde geradewegs zur Fassade des Seminars hochstürmen, während sich die andere nahe der Straße nach Amarante formierte, um die nördliche Flanke anzugreifen. Doch die Franzosen wussten, dass ständig britische Verstärkungen beim Seminar eintrafen, und so hatten sie eine Batterie Geschütze zum Flussufer geschickt, mit dem Befehl, die drei Boote zu versenken. Die Kolonnen warteten darauf, dass die Kanoniere das Feuer eröffneten, hofften vermutlich, dass sie ihre Geschütze auf das Seminar richten würden, wenn erst die Boote versenkt waren.
Und Sharpe, der sich gewundert hatte, warum Sir Arthur Wellesley seine Geschütze nicht beim Kloster jenseits des Flusses in Stellung gebracht hatte, sah, dass seine Sorgen unbegründet gewesen waren, denn als die französischen Batterien erschienen, rollte ein Dutzend britische Kanonen, die außer Sicht hinter der Klosterterrasse geparkt gewesen waren, vorwärts.
»Das ist die richtige Medizin für die Franzosen!«, erklärte General Hill, als die Reihe der Geschütze erschien.
Das erste Geschütz, das feuerte, war eine Fünfeinhalb-Zoll-Haubitze, das britische Äquivalent des Geschützes, das Sharpe auf dem Wachturmhügel bombardiert hatte. Es war geladen mit kugelförmigem Schrapnell, Munition, die nur Britannien herstellte. Die Munition war von Lieutenant Colonel Shrapnel erfunden worden, und die Art ihrer Funktion war ein streng gehütetes Geheimnis. Das Geschoss, das mit Musketenkugeln um eine zentrale Pulverladung gefüllt war, ließ diese Kugeln und die Splitter der Hülle auf die feindlichen Soldaten herunterfallen, doch um richtig zu wirken, musste es kurz vor dem Ziel explodieren, sodass der Vorwärtsschwung das tödliche Geschoss auf den Feind zutrug, und diese Präzision erforderte, dass die Kanoniere ihre Lunten mit außergewöhnlicher Geschicklichkeit schnitten.
Der Kanonier der Haubitze hatte diese Geschicklichkeit. Die Haubitze donnerte und ruckte auf der Lafette zurück, das Geschoss flog im Bogen über den Fluss, ließ die Spur der brennenden Lunte hinter sich und explodierte zwanzig Yards vor und zwanzig Fuß über dem französischen Geschütz, das gerade abgeprotzt wurde.
Die Explosion zerriss die Luft rot und weiß. Die Kugeln und die Fragmente der zerschmetterten Hülle fielen kreischend herab, und jedes Pferd in dem französischen Gespann verendete, und jeder Mann der französischen Geschützmannschaft, insgesamt vierzehn, wurde entweder getötet oder verwundet, während das Geschütz selbst von der Lafette geworfen wurde.
»Ach du meine Güte«, sagte Hill und vergaß die blutrünstige Willkommensfreude beim Anblick der britischen Batterie. »Diese armen Teufel!«
Die Hochrufe der britischen Soldaten im Seminar wurden übertönt vom gewaltigen Donnern der anderen britischen Geschütze. Mit ihrer Stellung am südlichen Flussufer beherrschten sie die französische Stellung. Gewöhnliche Granaten und Kanonenkugeln fegten die französischen Geschütze mit schrecklicher Wirkung fort. Die französischen Kanoniere verließen ihre Geschütze, verließen ihre qualvoll wiehernden und verendenden Pferde und flüchteten, und dann eröffneten die britischen Geschütze das Feuer in die Reihen der nächsten französischen Kolonne. Sie bestrichen sie von der Flanke mit Feuer, schickten Kanonenkugeln durch die dicht gedrängten Reihen, ließen Schrapnellfeuer über ihren Köpfen explodieren und töteten mit schrecklicher Leichtigkeit.
Die französischen Offiziere sahen in Panik ihre zerstörte Artillerie und befahlen die Infanterie den Hang hinauf. Trommler zwischen den beiden Kolonnen begannen mit ihrem unaufhörlichen Rhythmus, und die vordere Reihe schreckte zusammen, als eine weitere Kanonenkugel eine rote Furche in die blauen Uniformen riss. Männer schrien und starben, doch immer noch wurden die Trommeln geschlagen, und Männer stießen ihren Kriegsschrei aus: »Vive l'Empereur!«
Sharpe hatte schon zuvor Kolonnen gesehen und fand sie rätselhaft. Die britische Armee kämpfte gegen andere Infanteristen in zwei Reihen formiert, und jeder Mann konnte seine Muskete benutzen. Und wenn Kavallerie drohte, formierten sie sich zu einem Karree aus vier Reihen, und immer noch konnte jeder mit seiner Muskete schießen. Doch die Soldaten im Herzen der zwei französischen Kolonnen konnte nicht feuern, ohne die vorderen Männer zu treffen.
Diese Kolonnen hatten beide etwa vierzig Männer in einer Linie und zwanzig in jeder Reihe. Die Franzosen benutzten eine solche Formation, weil es einfacher war, Wehrpflichtige zu überreden, in dieser Formation vorzurücken und weil - gegen schlecht ausgebildete Soldaten - allein der Anblick einer solch großen Menschenmasse einschüchternd war. Aber gegen Rotröcke war es der reinste Selbstmord.
»Gott schütze unseren guten King George«, sang General Hill mit überraschend feiner Tenorstimme. »Lang lebe unser nobler George, schießt nicht zu hoch.« Er sang die letzten vier Worte, und die Männer auf dem Dach grinsten.
Hagman visierte einen französischen Offizier an, der mit einem Säbel in der Hand den Hang hinaufrannte. Sharpes Schützen befanden sich auf dem nördlichen Flügel des Seminars, sahen sich der Kolonne gegenüber, die nicht von den britischen Geschützen auf der Klosterterrasse gerupft worden war. Eine neue Batterie wurde gerade auf dem Südufer des Flusses eingesetzt, und sie fügte ihren Beschuss dem der beiden Batterien auf dem Klosterhügel zu, der allein mit Gewehr- und Musketenfeuer erwidert wurde.
Vicentes Portugiesen bemannten die Schießscharten an der nördlichen Gartenmauer. Und inzwischen waren so viele Männer im Seminar, dass jede Schießscharte mit drei oder vier Mann besetzt werden konnte, sodass jeder feuern, zurücktreten und laden und von einem anderen ersetzt werden konnte.
Sharpe sah, dass einige der Rotröcke grüne Aufschläge und Manschetten hatten. Die Berkshires, die den Spitznamen »Ochsen« trugen, dachte er, was bedeutete, dass die gesamten »Ochsen« jetzt im Gebäude waren und neue Bataillone eintrafen.
»Zielt auf die Offiziere!«, rief Sharpe seinen Schützen zu. »Musketen - nicht feuern! Dieser Befehl gilt nur für die Gewehre!« Er machte den Unterschied, weil ein Musketenschuss auf diese Distanz eine Vergeudung war, aber seine Schützen würden tödlich treffen. Er wartete eine Sekunde, atmete tief durch und rief: »Feuer!«
Der Offizier, auf den Hagman gezielt hatte, ruckte zurück, warf beide Arme in die Luft, und sein Säbel flog im Bogen über die Kolonne. Ein anderer Offizier sank auf die Knie und umklammerte seinen Bauch, und ein Dritter hielt seine Schulter.
Die Front der Kolonne trat über den toten Offizier hinweg, und die blau berockte Linie schien zu erschauern, als weitere Kugeln in sie hineinschlugen. Und dann feuerten die langen französischen Reihen, in Panik, weil ihnen die Kugeln der Gewehrschützen um die Ohren flogen, hinauf zum Seminar. Die Salve war ohrenbetäubend, der Rauch wallte auf dem Hang wie Seenebel, und die Musketenkugeln klatschten gegen die Seminarmauern und zerschmetterten das Glas der Fenster. Die Salve diente dazu, die Franzosen für ein paar Yards zu verbergen, doch dann waren sie wieder zu sehen, weitere Gewehre feuerten, und ein anderer Offizier brach zusammen. Die Kolonne teilte sich, um den einsamen Baum zu passieren, dann vereinigten sich die langen Reihen wieder.
Die Männer im Garten begannen zu feuern. An den Seminarfenstern drängten sich die Rotröcke, und zusammen mit Sharpes Männern auf dem Dach drückten sie ab. Musketen krachten, Rauch verdichtete sich, die Kugeln trafen Männer in den vorderen Reihen der Kolonne, und die vorrückenden Männer dahinter verloren ihren Zusammenhalt, als sie versuchten, nicht auf ihre gefallenen oder verwundeten Kameraden zu treten.
»Feuert tief!«, rief ein Sergeant der Ochsenbrigade seinen Männern zu. »Verschwendet nicht die Munition Seiner Majestät!«
Colonel Waters verteilte Feldflaschen auf dem Dach für die Männer, die vom Aufbeißen der Patronen wie ausgedörrt waren. Der Salpeter im Schießpulver trocknete schnell den Mund aus, und die Männer schluckten gierig das Wasser zwischen den Schüssen.
Die Kolonne, die das Seminar an der westlichen Fassade angriff, war bereits von Gewehr- und Musketenfeuer dezimiert, doch die Kanonade vom Südufer des Douro war weitaus schlimmer. Kanoniere hatten selten so ein leichtes Ziel gefunden, und sie arbeiteten wie Dämonen. Schrapnellgeschosse explodierten in der Luft, Kanonenkugeln hämmerten durch die Reihen, und Granaten explodierten inmitten der Kolonne. Drei Trommler wurden durch Schrapnell getroffen, dann erschlug eine Kanonenkugel einen anderen Trommlerjungen, und als das Trommelspiel verstummte, verließ die Infanteristen der Mut und sie wichen zurück.
Musketenfeuer spuckte von den drei oberen Etagen des Seminars, das jetzt aussah, als brenne es, denn der Pulverrauch quoll aus jedem Fenster. Aus den Schießscharten blitzten Mündungsflammen, die Kugeln schlugen in wankende Reihen. Dann begannen sich die Franzosen in der westlichen Kolonne schneller zurückzuziehen, und die Rückwärtsbewegung wurde zur Panik, und sie hatte keinen Zusammenhalt mehr.
Einige der Franzosen rannten anstatt in die Deckung der Häuser an der fernen Seite des Tals zum nördlichen Angriff, der durch das Seminar vom Kanonenfeuer abgeschirmt war. Diese nördliche Kolonne rückte weiter vor. Es war eine schreckliche Strafe, denn es war praktisch ein Aufsaugen der Gewehr- und Musketenkugeln, und die Feldwebel und Offiziere schoben ständig Männer in die Lücken, um die Gefallenen und Verwundeten zu ersetzen. Die Kolonne kam schwerfällig den Hügel hinauf, aber keiner in den französischen Reihen hatte sich überlegt, was sie tun würden, wenn sie es schaffen würden und sie die Hügelkuppe erreichten. Sie fanden keine Tür, durch die sie ins Seminar eindringen konnten. Sie mussten das Gebäude umrunden und versuchen, durch die großen Tore zu gelangen, die in den Garten führten.
Als die ersten Männer sahen, dass sie nicht weiterkamen, stoppten sie und begannen zu schießen. Eine Kugel zupfte an Sharpes Ärmel. Ein kürzlich eingetroffener Lieutenant vom Northamptonshire-Regiment fiel mit einem Seufzen zurück, eine Kugel in der Stirn. Er war schon tot, bevor er auf den Rücken prallte, und sah sonderbar friedlich aus.
Die Rotröcke hatten ihre Patronen und Ladestöcke auf die Brüstung gelegt, damit das Laden schneller ging, aber jetzt waren so viele auf dem Dach, dass sie sich dabei anrempelten und behinderten, als sie in die Masse der Franzosen feuerten, die in ihren eigenen Rauch eingehüllt war. Ein Franzose rannte mutig auf die Mauer zu, um durch die Schießscharte zu feuern, doch er wurde getroffen, bevor er die Mauer erreichte. Sharpe hatte den Soldaten gestoppt, dann beobachtete er nur noch seine Männer. Pendleton und Perkins, die Jüngsten, grinsten, als sie feuerten. Cooper und Tongue luden für Hagman auf, denn sie wussten, dass er ein besserer Schütze war, und der ehemalige Wilddieb schoss ruhig einen Franzosen nach dem anderen ab.
Eine Kanonenkugel flog über das Seminar, und Sharpe fuhr herum, um zu sehen, dass die Franzosen eine Batterie auf dem Hügel im Westen am Stadtrand einsetzten. Da war eine kleine Kapelle mit einem Glockenturm, und Sharpe sah den Glockenturm in Rauch verschwinden und zusammenfallen, als die britischen Batterien beim Kloster die neu eingetroffenen französischen Geschütze beharkten. Ein Berkshire-Mann drehte sich um, um zu beobachten, und eine Kugel peitschte durch seinen Mund, traf Zunge und Zähne, und er spuckte einen Schwall Blut aus.
»Beobachtet nicht die Stadt!«, brüllte Sharpe. »Schießt weiter! Schießt!«
Hunderte Franzosen feuerten mit ihren Musketen hügelaufwärts. Die Mehrheit der Schüsse war gegen die Mauern verschwendet, doch einige fanden Ziele. Dodd hatte eine Fleischwunde am linken Arm, doch er feuerte weiter. Ein Rotrock wurde in den Hals getroffen und war sofort tot. In den einsamen Baum auf dem westlichen Hang schlugen Kugeln, und zerfetzte Blätter trieben mit dem Pulverrauch davon. Ein Sergeant brach mit einer Kugel in den Rippen zusammen, und dann schickte Sir Edward Paget, der gesehen hatte, dass die Kolonne bereits besiegt war, Männer von der Westseite des Daches zur Nordseite, um das Feuer dort zu verstärken. Die Musketen blitzten und krachten, der Rauch verdichtete sich, und Sir Edward grinste Daddy Hill an. »Brave Bastarde!« Sir Edward musste gegen den Krach von Musketen und Gewehren anschreien.
»Sie werden nicht standhalten, Ned!«, schrie Hill zurück. »Sie sind fast am Ende!«
Hill hatte recht. Die ersten Franzosen zogen sich bereits den Hügel hinab zurück, weil sie erkannt hatten, dass es sinnlos war, auf Steinwände zu schießen. Sir Edward, frohlockend über diesen leichten Sieg, ging zur Brüstung und beobachtete den Rückzug des Feindes. Er stand dort stolz auf dem Dach, seine goldenen Tressen spiegelten die Sonne durch den Pulverrauch wider, und betrachtete, wie sich die feindliche Kolonne auflöste und davonrannte, doch ein paar verbissene Franzosen feuerten immer noch, und plötzlich schrie Sir Edward erstickt auf und presste eine Hand auf seinen Ellbogen. Sharpe sah, dass sein eleganter Uniformrock zerrissen war und ein Stück Knochen durch den Stoff und die blutige Wunde ragte.
Paget fluchte. Er hatte schreckliche Schmerzen. Die Kugel hatte seinen Ellbogen zerschmettert, war vom Knochen abgeprallt und durch den Bizeps geschlagen. Er krümmte sich in seiner Qual und sah totenbleich aus.
»Bringt ihn zu den Sanis«, befahl Hill. »Sie werden wieder in Ordnung kommen, Ned.«
Paget zwang sich, sich aufzurichten. Ein Adjutant hatte sein Halstuch genommen und versuchte die Wunde seines Generals zu verbinden, doch Paget schüttelte ihn ab. »Sie haben das Kommando«, sagte er zu Hill zwischen zusammengepressten Zähnen.
»Feuert weiter!«, rief Sharpe seinen Männern zu. Es machte nichts, dass die Gewehrläufe fast zu heiß zum Berühren waren, es zählte jetzt, dass die verbliebenen Franzosen den Hügel hinabgetrieben wurden.
Weitere Verstärkung war beim Seminar eingetroffen, denn die Franzosen hatten noch keine Möglichkeit gefunden, den Verkehr über den Fluss zu stoppen. Die britische Artillerie, die Könige auf diesem Schlachtfeld, hämmerte jeden Kanonier nieder, der es wagte, sein Gesicht zu zeigen. Alle paar Minuten rannte eine tapfere französische Mannschaft zu den verlassenen Geschützen auf dem Kai in der Hoffnung, eine Kanonenkugel in eines der Boote zu schießen, doch jedes Mal wurden sie von Schrapnell oder Kartätschen getroffen, denn die neue britische Batterie unten am Flussufer war nahe genug, um die tödliche Munition über den Fluss zu schießen. Die Geschosse explodierten und töteten sechs oder sieben Männer gleichzeitig, und nach einer Weile gaben die französischen Kanoniere ihre Bemühungen auf und brachten sich in den Häusern hinter dem Kai in Sicherheit.
Und dann, ganz plötzlich, feuerte kein Franzose mehr auf dem nördlichen Hang. Das Gras bot einen grauenvollen Anblick mit Toten und Verwundeten und herumliegenden Musketen und kleinen Feuern, wo die Watte es in Brand gesetzt hatte. Die Überlebenden waren über die Straße nach Amarante ins Tal geflohen. Der einzelne Baum sah aus, als wäre er von Heuschrecken attackiert worden. Eine Trommel rollte den Hügel hinab. Sharpe sah durch den Rauch eine französische Flagge, konnte jedoch nicht erkennen, ob es einen Adler auf dem Stab gab.
»Feuer einstellen!«, rief Hill.
»Reinigt eure Läufe!«, befahl Sharpe. »Überprüft eure Feuersteine!«
Denn die Franzosen würden wiederkommen, davon war er überzeugt.