Der Verlust des Fernrohrs schmerzte Sharpe. Er sagte sich, dass es nur ein Spielzeug war, ein nützliches Kinkerlitzchen, aber es war auch das Symbol für etwas Erreichtes, nicht nur für die Rettung von Sir Arthur Wellesley, sondern auch für die Beförderung aus den Mannschaften zum Offizier. Manchmal, wenn er es kaum zu glauben wagte, ein Offizier des Königs zu sein, sah er sich das Fernrohr an und dachte an die schlimme Zeit im Waisenhaus an der Brewhouse Lane, und manchmal - obwohl er es sich nur widerwillig eingestand - bereitete es ihm Freude, eine Erklärung der Inschrift auf dem Fernrohr zu verweigern. Doch andere Männer kannten sie. Sie starrten ihn an und verstanden, dass er einst wie ein Dämon im indischen Sommer gekämpft hatte, und sie waren von ehrfürchtiger Scheu ergriffen.
Jetzt hatte der verdammte Christopher das Fernrohr.
»Sie werden es zurückbekommen, Sir«, versuchte Harper ihn zu trösten.
»Das will ich verdammt hoffen. Ich hörte, dass Williamson gestern Nacht im Dorf in einen Kampf geriet.«
»Das war kein richtiger Kampf. Ich habe ihn weggezogen.«
»Wer war beteiligt?«
»Einer von Lopes' Männern, Sir. So ein teuflischer Bastard wie Williamson.«
»Sollte ich ihn bestrafen?«
»Gott, nein, Sir. Ich habe mich darum gekümmert.«
Aber Sharpe erklärte das Dorf trotzdem für tabu. Er wusste, dass er seine Männer damit nicht erfreuen konnte. Harper sprach für sie, wies darauf hin, dass es in Vila Real de Zedes einige hübsche Mädchen gab. »Das ist ein wunder Punkt, Sir«, sagte er. »Die Jungs wollen nur abends dorthin gehen und Hallo sagen. Wenn ihnen das verboten wird, treibt ihnen das Tränen in die Augen.«
»Sie wollen nicht nur Hallo sagen, sondern sich auch amüsieren.«
»Das auch, Sir.«
»Und die Mädchen können nicht hier raufkommen?«
»Einige tun das, Sir, wie ich hörte, das stimmt.«
»Einschließlich einer Kleinen, die rote Haare hat und Ihnen Tränen in die Augen treiben kann?«
Harper beobachtete einen Bussard, der am Himmel über dem Hügel kreiste, auf dem die Festung ausgebaut worden war. »Einige von uns gehen gern in die Dorfkirche, Sir«, sagte er und vermied es, das rothaarige Mädchen namens Maria zu erwähnen.
Sharpe lächelte. Er wusste von Harpers Schatz. »Wie viele Katholiken haben wir, Pat?«
»Da bin ich, Sir, Donnelly und Carter und McNeill. Oh, und Slattery, natürlich. Die übrigen kommen alle in die Hölle.«
»Slattery!«, sagte Sharpe. »Fergus ist kein Christ.«
»Das habe ich auch nie behauptet, Sir, aber er geht zur Messe.«
Sharpe musste lachen. »Dann werde ich also die Katholiken zur Messe gehen lassen.«
Harper grinste. »Das heißt, bis Sonntag werden alle katholisch sein.«
»Dies ist die Armee«, sagte Sharpe. »Also jeder, der konvertieren will, muss meine Erlaubnis einholen. Aber Sie können die anderen vier zur Messe gehen lassen und bringen sie am Mittag zurück, und wenn ich herausfinde, dass die anderen Jungs dort unten sind, mache ich Sie dafür verantwortlich.«
»Mich?«
»Sie sind ein Sergeant, oder nicht?«
»Aber wenn die Jungs sehen, dass Leutnant Vicentes Männer ins Dorf gehen dürfen, Sir, dann werden sie nicht verstehen, dass ihnen das nicht erlaubt ist.«
»Vicentes Männer sind Portugiesen. Sie kennen die einheimischen Regeln. Wir nicht. Und früher oder später wird es Schlägereien um die Mädchen geben, und das können wir nicht gebrauchen, Pat.« Das Problem waren nicht so sehr die Mädchen, obwohl Sharpe wusste, dass es Probleme geben konnte, wenn einer seiner Schützen betrunken war, und das war das eigentliche Problem. Es gab zwei Tavernen im Dorf, und beide servierten billigen Wein aus Fässern. Und wer keine Chancen bei den Mädchen hatte, betrank sich leicht. Und es bestand die Versuchung, sich nicht an die Regeln zu halten, weil die Lage der Schützen so fremd und ungewöhnlich war.
Sie hatten keine Verbindung zur Armee, waren nicht sicher, was vorging, und hatten Langeweile, weil sie nichts zu tun hatten. Deshalb erfand Sharpe weitere Arbeit für sie. Die Festung wurde noch mehr ausgebaut, und Sharpe fand im Stall Werkzeuge, mit denen sie den Weg durch den Wald auf Vordermann bringen und Brennholz schlagen konnten, das sie dann als Bündel zum Wachturm trugen. Und als das erledigt war, führte er sie auf Patrouillen durch die Umgebung. Die Patrouillen dienten nicht der Erkundung des Feindes, sondern sollten nur die Männer müde machen, und so waren sie bei Sonnenuntergang erschöpft und schliefen bis zum Morgengrauen, und jedes Mal hielt Sharpe einen scharfen Morgenappell ab und erteilte Strafen für nicht zugeknöpfte Jacken oder einen Mangel an der Waffe. Die Männer stöhnten, aber es gab keine Probleme mit den Dorfbewohnern.
Die Weinfässer der Tavernen im Dorf waren nicht die einzige Gefahr. Der Keller des Herrenhauses war voller Portweinfässer und Regale mit Weißweinflaschen. Irgendwann schaffte Williamson es, den Schlüssel im Küchenschrank in einem Glas zu finden, und er, Sims und Gataker betranken sich hemmungslos von Savages bestem Wein, eine Sauforgie bis weit nach Mitternacht, wonach die drei Männer im Suff Steine auf die Fensterläden warfen.
Das Trio war angeblich als Posten unter Dodd eingeteilt gewesen, und Sharpe nahm sich als Ersten Dodd vor. »Warum haben Sie keine Meldung gemacht?«
»Ich wusste nicht, wo sie waren, Sir.« Dodd starrte über Sharpes Kopf an die Wand. Er log, natürlich, aber nur, weil die Männer einander schützten. Sharpe hatte sich auch so verhalten, als er in den Mannschaften gewesen war, und er erwartete nichts anderes von Matthew Dodd, wie Dodd nichts anderes als Strafe erwartete.
Sharpe blickte zu Harper. »Haben Sie Arbeit für ihn, Sergeant?«
»Der Koch hat sich beschwert, dass alle Küchentöpfe und -pfannen eine ordentliche Reinigung benötigen, Sir.«
»Dann lassen Sie ihn schwitzen«, sagte Sharpe. »Und eine Woche lang keine Weinration.« Die Männer waren zu einem Pint Rum pro Tag berechtigt. Aus Mangel an Rum hatte Sharpe Rotwein aus einem Fass verteilen lassen, das er aus dem Keller requiriert hatte. Er bestrafte Sims und Gataker, indem er sie in voller Uniform und Mänteln und mit Steinen gefüllten Rucksäcken antreten und dann den Zufahrtsweg hinauf- und hinabmarschieren ließ. Sie taten es unter Harpers Aufsicht, und als sie sich vor Erschöpfung und den Nachwirkungen des Alkohols erbrachen, mussten sie das Erbrochene mit ihren eigenen Händen vom Zufahrtsweg wischen. Dann ließ er sie weitermarschieren.
Vicente arrangierte, dass ein Maurer aus dem Dorf den Zugang zum Weinkeller zumauerte, und während das erledigt wurde und Dodd Kupfertöpfe mit Sand und Essig schrubbte, nahm Sharpe Williamson mit hinauf in den Wald. Er war versucht, den Mann auszupeitschen, aber er war selbst mal ausgepeitscht worden, und es widerstrebte ihm, diese Strafe anzuwenden. Stattdessen wählte er eine freie Fläche zwischen einigen Lorbeerbäumen und kratzte mit seinem Schwert zwei Linien in den Waldboden. Die Linien waren etwa einen halben Yard lang und ebenso weit voneinander entfernt. »Sie können mich nicht leiden, Williamson, oder?«
Williamson sagte nichts. Er starrte nur mit geröteten Augen auf die Linien. Er wusste, was sie zu bedeuten hatten.
»Wie lauten meine drei Regeln, Williamson?«
Williamson blickte verdrossen auf. Er war ein großer Mann mit feistem Gesicht und langen Koteletten, einer gebrochenen Nase und Pockennarben. Er stammte aus Leicester, wo er zwei Kerzenständer aus der Kirche St. Nicholas gestohlen hatte. Man hatte ihm die Chance gegeben, sich zur Armee zu melden, anstatt in den Knast zu kommen. »Du sollst nicht klauen, dich nicht betrinken und anständig kämpfen.«
»Sind Sie ein Dieb?«
»Nein, Sir.«
»Sie sind verdammt einer, Williamson. Deshalb sind Sie in der Armee. Und Sie haben sich ohne Genehmigung betrunken. Aber können Sie kämpfen?«
»Sie wissen, dass ich das kann, Sir.«
Sharpe schnallte seine Schwertscheide ab und ließ sie mitsamt dem schweren Kavalleriepallasch fallen. Dann zog er seinen grünen Rock aus und warf ihn dazu. »Sagen Sie mir, warum Sie mich nicht leiden können«, verlangte er.
Williamson starrte zu den Lorbeerbäumen.
»Nun kommen Sie schon!«, sagte Sharpe. »Sie können sagen, was Sie wollen. Sie werden nicht bestraft werden, wenn Sie diese Frage beantworten.«
Williamson schaute ihn wieder an. »Wir sollten nicht hier sein!«, platzte er heraus.
»Da haben Sie recht.«
Williamson blinzelte überrascht, fuhr jedoch fort: »Seit Captain Murrays Tod, Sir, sind wir allein gewesen. Wir sollten mit dem Bataillon zurück sein. In England, wo wir hingehören. Sie waren nie unser Offizier, Sir. Niemals!«
»Ich bin es aber jetzt.«
»Das ist nicht richtig.«
»Sie wollen also nach England zurückkehren?«
»Das Bataillon ist dort, so will ich auch dort sein, aye.«
»Aber es ist ein Krieg im Gange, Williamson. Ein verdammter Krieg. Und wir hängen mittendrin. Wir haben nicht darum gebeten, hier zu sein, wollten nicht hier sein, aber wir sind es. Und wir bleiben.«
Williamson blickte Sharpe ärgerlich an, sagte jedoch nichts.
»Aber Sie können heimkehren, Williamson«, sagte Sharpe, und Williamson hob das feiste Gesicht und blickte interessiert. »Es gibt drei Möglichkeiten für Sie, heimzukehren. Erstens, wir werden nach England befohlen. Zweitens, Sie werden so schlimm verwundet, dass man Sie heimschickt. Und drittens: Sie stellen sich auf die Linie und kämpfen gegen mich. Gewinnen oder verlieren, Williamson, ich verspreche, dass ich Sie - wenn ich verliere - mit dem ersten verdammten Schiff, das wir finden, heimschicke. Sie brauchen nur gegen mich zu kämpfen.« Sharpe ging zu einer der Linien auf dem Boden und stellte sich darauf. So kämpften die Profi-Faustkämpfer. Sie schlugen mit bloßen Fäusten aufeinander ein, bis einer blutig und zerschlagen vor Erschöpfung umfiel. »Denk daran, anständig zu kämpfen«, sagte Sharpe. »Nicht niederschlagen mit dem ersten Treffer. Beim Gegner muss Blut zu sehen sein. Schlag mir auf die Nase, das wird reichen.« Er wartete.
Williamson leckte sich über die Lippen.
»Na los!«, knurrte Sharpe. »Kämpfe!«
»Sie sind ein Offizier«, sagte Williamson.
»Jetzt nicht, jetzt bin ich keiner. Und niemand sieht zu. Es geht nur um uns beide, Williamson. Sie können mich nicht leiden, und ich gebe Ihnen die Chance, mich zu schlagen. Tun Sie es anständig, und Sie sind im Sommer daheim.«
Er wusste nicht, wie er dieses Versprechen einhalten konnte, und er bezweifelte auch, dass er es versuchen musste, denn Williamson, das wusste er, erinnerte sich an den mörderischen Kampf zwischen Harper und Sharpe, ein Kampf, bei dem beide Männer restlos fertig waren, doch Sharpe hatte gewonnen, und die Schützen hatten an diesem Tag viel über Sharpe gelernt.
Und Williamson wollte die Lektion nicht lernen. »Ich werde nicht gegen einen Offizier kämpfen«, sagte er in gespielter Würde.
Sharpe bückte sich nach seinem Rock. »Dann suchen Sie Sergeant Harper und sagen ihm, dass sie genauso bestraft werden wie Sims und Gataker.« Er richtete sich auf. »Im Schnellschritt!«
Williamson lief los. Seine Scham, den Kampf verweigert zu haben, machte ihn noch gefährlicher, doch sie würde auch seinen Einfluss auf die anderen Männer verringern. Selbst wenn sie nie erfahren würden, was im Wald geschehen war, würden sie spüren, dass Williamson gedemütigt worden war.
Sharpe schnallte seinen Gurt mit der Scheide um und kehrte langsam zum Haus zurück. Er machte sich Gedanken über seine Männer, sorgte sich, dass er ihre Loyalität verlieren könnte, und befürchtete, ein schlechter Offizier zu sein. Er erinnerte sich an Blas Vivar und wünschte, er hätte die Qualität des spanischen Offiziers, Gehorsam allein durch seine Anwesenheit zu erzwingen. Doch vielleicht kam solche mühelose Autorität mit der Erfahrung. Jedenfalls war keiner seiner Männer desertiert. Alle waren anwesend, außer Tarrant und die paar, die sich im Lazarett von Coimbra vom Fieber erholten.
Es war jetzt einen Monat her, seit Oporto gefallen war. Die Festung auf dem Hügel war fast fertig, und zu Sharpes Überraschung hatte die harte Arbeit den Männern Spaß gemacht. Daniel Hagman konnte wieder gehen, wenn auch nur langsam, doch er war von seiner Verwundung so gut genesen, dass er sogar zu leichter Arbeit tauglich war. Sharpe stellte einen Tisch in die Sonne, und Hagman reinigte, mit bloßem Oberkörper, um sich in der Frühlingssonne zu bräunen, die Gewehre seiner Kameraden.
Die aus Oporto geflohenen Flüchtlinge waren jetzt in die Stadt zurückgekehrt oder hatten sonst wo Zuflucht gefunden, doch die Franzosen sorgten für neue Flüchtlinge. Wo auch immer sie aus dem Hinterhalt von Partisanen überfallen wurden, plünderten sie die nächsten Dörfer und terrorisierten die Bewohner. Immer mehr Leute kamen nach Vila Real de Zedes, angezogen von Gerüchten, dass die Franzosen das Dorf verschonten. Keiner wusste, warum sie so etwas tun sollten, doch einige der älteren Frauen behaupteten, das ganze Tal stehe unter dem Schutz des heiligen Joseph, dessen lebensgroße Statue in der Kirche stand, und der Priester des Dorfes, Pater Josefa, ermunterte zu diesem Glauben. Er nahm sogar die Statue aus der Kirche und trug sie, behängt mit verwelkenden Narzissen und gekrönt von einem Lorbeerkranz, um das Dorf herum, um dem Heiligen das Gebiet zu zeigen, das Schutz brauchte. Vila Real de Zedes war ein Heiligtum des Krieges und von Gott gesegnet, so glaubte das Landvolk.
Der Mai begann mit Regen und Wind. Die letzten Blüten wurden von den Bäumen geweht und bildeten pinkfarbene und weiße Streifen im Gras. Die Franzosen kamen immer noch nicht, und Manuel Lopes nahm an, dass sie einfach zu beschäftigt waren, sich um Vila Real de Zedes zu kümmern.
»Wir bekommen keine Probleme«, sagte er glücklich. »Silveira macht ihnen bei Amarante zu schaffen, und die Straße nach Vigo ist von Partisanen geschlossen worden. Die Franzosen sind abgeschnitten! Sie werden uns hier keine Schwierigkeiten machen.«
Lopes ritt häufig zu den nächsten Dörfern, wo er sich als Hausierer ausgab, der religiöse Schmuckgegenstände verkaufte, und er brachte stets Nachrichten von den französischen Truppen. »Sie patrouillieren die Straßen, sie betrinken sich des Abends und wünschen, wieder in der Heimat zu sein.«
»Und sie suchen nach Proviant«, sagte Sharpe.
»Das tun sie auch«, pflichtete Lopes bei.
»Und eines Tages«, sagte Sharpe, »wenn sie hungrig sind, werden sie herkommen.«
»Colonel Christopher wird das nicht zulassen«, sagte Lopes. Er schlenderte mit Sharpe über den Zufahrtsweg, beobachtet von Harris und Cooper, die auf Wache beim Tor standen. Regen drohte. Graue Wolken trieben über die nördlichen Hügel, und Sharpe hatte zweimal Donnergrollen gehört, das nicht von den Geschützen von Amarante stammen konnte, weil es zu laut war.
»Ich werde bald fortreiten«, kündigte Lopes an.
»Zurück nach Braganza?«
»Amarante. Meine Männer haben sich erholt. Es ist an der Zeit, wieder zu kämpfen.«
»Sie könnten noch eines erledigen, bevor Sie aufbrechen«, sagte Sharpe. »Sprechen Sie mit den Flüchtlingen, damit sie aus dem Dorf verschwinden. Sie sollen heimkehren. Sagen Sie ihnen, der heilige Joseph ist überarbeitet und wird sie nicht schützen, wenn die Franzosen kommen.«
Lopes schüttelte den Kopf. »Die Franzosen werden nicht kommen.«
»Aber wenn doch, dann kann ich das Dorf nicht verteidigen. Ich habe nicht genug Männer.«
Lopes blickte angewidert drein. »Sie werden nur die Quinta verteidigen, weil sie einer englischen Familie gehört«, sagte er.
»Die Quinta juckt mich kein bisschen«, sagte Sharpe ärgerlich. »Ich werde oben auf dieser Hügelkuppe sein und versuchen, am Leben zu bleiben. Um Himmels willen, wir sind weniger als sechzig Mann, und die Franzosen werden fünfzehnhundert Mann schicken!«
»Sie werden nicht kommen«, sagte Lopes. Er griff hinauf und pflückte eine verwelkte weiße Blüte von einem Baum. »Ich habe nie dem Portwein der Savages getraut«, sagte er.
»Wieso nicht?«
»Ein Holunderbaum«, sagte Lopes und zeigte Sharpe die Blüten. »Die schlechten Portweinwinzer geben Holundersaft in den Wein, damit er schöner aussieht.« Er warf die Blüte weg, und Sharpe erinnerte sich plötzlich an jenen Tag in Oporto, an dem die Flüchtlinge ertrunken waren und die Franzosen die Stadt eingenommen hatten. Christopher hatte ihm den Befehl, sich südlich des Douro zu halten, aufschreiben wollen, als eine Kanonenkugel in einen Baumwipfel geschlagen war und rosafarbene Blütenblätter herabgefallen waren, die der Colonel für die Blüten eines Kirschbaums gehalten hatte. Sharpe erinnerte sich an den plötzlich veränderten Gesichtsausdruck von Christopher, als er die Erwähnung des Namens Judas gehört hatte.
»Mein Gott«, stieß er hervor.
»Was?« Lopes erschrak bei Sharpes Ausbruch.
»Er ist ein verdammter Verräter«, sagte Sharpe.
»Wer?«
»Der Colonel.« Es war nur ein Gefühl, das ihn so plötzlich überzeugt hatte, dass Christopher sein Land verriet, die Erinnerung an den Zorn im Blick des Colonels, als er gesagt hatte, die Blüten stammten von einem Judasbaum. Seither hatte Sharpe einen vagen Verdacht gehabt, dass er an irgendeinem geheimnisvollen diplomatischen Spiel beteiligt war, aber jetzt hatte die Erinnerung an die Veränderung von Christophers Miene Sharpes Verdacht bestätigt. Christophers Miene hatte sich zu plötzlich verändert, und er hatte sowohl Furcht als auch Zorn in seinem Blick gesehen. Christopher war nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Verräter. »Sie haben recht«, sagte er dem verwunderten Lopes. »Es ist an der Zeit zu kämpfen. Harris!«, rief er zum Tor hin.
»Sir?«
»Suchen Sie Sergeant Harper und schicken Sie ihn zu mir. Und Leutnant Vicente.«
Vicente kam als Erster, und Sharpe konnte ihm nicht erklären, weshalb er so sicher war, dass Christopher ein Verräter war. Aber Vicente hatte ohnehin keine Lust, über diesen Punkt zu debattieren. Er hasste Christopher, weil der Kate geheiratet hatte, und das Gammelleben auf der Quinta langweilte ihn ebenso wie Sharpe.
»Besorgen Sie Proviant«, sagte Sharpe. »Gehen Sie zum Dorf, bitten Sie den Bäcker, Brot zu backen, und kaufen Sie so viel gesalzenes und geräuchertes Fleisch, wie Sie bekommen können. Ich will, dass jeder Mann bis zum Abend fünf Tagesrationen bekommt.«
»Ich dachte, Sie haben Befehle, Sir«, sagte Harper.
»Die habe ich, Pat, von General Cradock.«
»Mein Gott, Sir, Sie werden doch nicht die Befehle eines Generals missachten!«
»Und wer hat diese Befehle geholt?«, fragte Sharpe. »Christopher. Er hat also Cradock genauso belogen wie jeden sonst.« Dessen konnte er nicht sicher sein, aber er sah keinen Sinn darin, untätig auf der Quinta zu bleiben. Er würde nach Süden marschieren und darauf vertrauen, dass Captain Hogan ihn vor General Cradocks Zorn schützte. »Wir werden heute Abend abmarschieren«, sagte er zu Harper. »Ich will, dass Sie die Ausrüstung und Munition von jedem Mann überprüfen.«
Harper blickte zum Himmel und schnüffelte. »Wir werden Regen bekommen, Sir. Starken Regen.«
»Deshalb hat der liebe Gott unsere Haut wasserfest gemacht«, sagte Sharpe.
»Ich dachte, es wäre besser, bis nach Mitternacht zu warten, Sir. Bis der Regen abgezogen ist.«
Sharpe schüttelte den Kopf. »Ich will von hier verschwinden, Pat. Plötzlich habe ich ein mieses Gefühl. Wir werden nach Süden marschieren. Zum Fluss.«
»Ich dachte, die Franzmänner haben alle Boote zerstört?«
»Ich will nicht nach Osten gehen ...«, Sharpe nickte gen Amarante, wo eine Schlacht tobte, wie die Gerüchte besagten, »... und im Westen wimmelt es von Franzosen.« Im Norden war Gebirge, aber im Süden war der Fluss, und er wusste, dass irgendwo jenseits des Douro britische Streitkräfte waren. Die Franzosen konnten nicht jedes Boot längs des langen, felsigen Ufers zerstört haben. »Wir werden ein Boot finden«, versprach er Harper.
»Es wird in der Nacht dunkel sein, Sir. Da können wir froh sein, wenn wir überhaupt den Weg finden.«
»Um Himmels willen«, sagte Sharpe, gereizt wegen Harpers Pessimismus, »wir haben hier einen verdammten Monat lang patrouilliert! Wir können unseren Weg nach Süden finden.«
Am Abend hatten sie zwei Säcke mit Brot, einiges geräuchertes Ziegenfleisch, zwei Käselaibe und einen Beutel mit Bohnen. Sharpe verteilte alles unter den Männern. Dann hatte er eine Idee und ging in die Küche, wo er zwei große Dosen Tee stahl. Er hielt es für an der Zeit, dass Kate etwas für ihr Land tat, und welch feinere Geste gab es, als guten Tee Schützen zu spenden? Er gab eine Dose Harper und verstaute die andere in seinem Tornister. Es hatte zu regnen begonnen, die Tropfen prasselten auf das Dach des Stalles, und ein wahrer Sturzbach ergoss sich in den Hof.
Daniel Hagman beobachtete den Regen vom Stalltor aus.
»Ich fühle mich prima, Sir«, versicherte er Sharpe.
»Wir können eine Trage machen, Dan, wenn du dich schlechter fühlst.«
»Himmel, nein! Ich bin putzmunter.«
Niemand wollte in diesem Platzregen aufbrechen, doch Sharpe war entschlossen, jede Stunde der Dunkelheit zu nutzen, um zum Douro zu gelangen. Es bestand die Möglichkeit, ihn morgen Mittag zu erreichen, erst dann würde er den Männern eine Rast gönnen, während er am Fluss eine Möglichkeit zum Überqueren erkundete.
»Tornister aufschnallen!«, befahl er. Er beobachtete Williamson und suchte nach Anzeichen für Widerwillen, doch der Mann machte sich ebenso wie die anderen bereit, ohne zu murren. Vicente hatte Weinkorken verteilt, und die Männer schoben sie in die Mündungen ihrer ungeladenen Gewehre oder Musketen. Es gab einiges Murren, als Sharpe die Männer aus dem Stall und den Abmarsch befahl, aber sie folgten ihm in den Wind und strömenden Regen.
Sharpe war schon nach ein paar Hundert Yards bis auf die Haut durchnässt, doch er tröstete sich mit dem Gedanken, dass keine Franzosen in diesem Sauwetter unterwegs sein würden. Das letzte Licht des Abends verblasste schnell, und die Wolken, die sich jetzt schwarz über der Ruine des Wachturms ballten, verschmolzen mit der Schwärze ringsum. Sharpe folgte einem Pfad, der um die westliche Seite des Hügels herumführte, und blickte zu dem alten Mauerwerk empor. Er dachte an all die Arbeit, die er und seine Männer dort geleistet hatten.
Er rief zum Halten, damit die Letzten in der langen Linie aufschließen konnten. Daniel Hagman hielt sich offensichtlich gut. Harper, an dessen Koppel zwei Ziegenkeulen hingen, kletterte zu Sharpe auf den Felsvorsprung und beobachtete mit ihm das Eintreffen der Männer. »Verdammter Regen«, maulte der Sergeant.
»Er wird bald aufhören.«
»Sagte der Optimist zum Pessimisten«, bemerkte Harper.
In diesem Augenblick sah Sharpe das Schimmern von Licht in den Weingärten. Es war kein Blitz, es war zu schwach, zu klein und zu nahe am Boden, aber er wusste, dass er sich den Lichtschimmer nicht eingebildet hatte, und er verfluchte Christopher, der ihm sein Fernrohr gestohlen hatte. Er starrte auf die Stelle, an der er den Lichtschein kurz gesehen hatte, doch da war jetzt nichts mehr zu erkennen.
»Was ist?«, fragte Vicente, der sich zu ihnen gesellt hatte.
»Ich glaube, ein Licht gesehen zu haben«, sagte Sharpe.
»Das war wohl nur der Regen«, meinte Harper.
»Vielleicht war es ein Stück zerbrochenes Glas«, sagte Vicente. »Ich habe mal romanische Scherben auf einem Feld bei Entre-dos-Rios gefunden. Da lagen zwei zerbrochene Vasen und einige Münzen von Septimius Severus.«
Sharpe hörte nicht hin. Er beobachtete die Reihen der Reben.
»Die Münzen habe ich dem Seminar in Oporto gegeben«, fuhr Vicente fort und hob die Stimme, um im Rauschen des Regens gehört zu werden, »denn die Pater unterhalten dort ein kleines Museum.«
»Bei Dunkelheit scheint keine Sonne, und es kann nichts im Regen reflektieren«, sagte Sharpe. Aber da hatte etwas reflektiert, und er hatte etwas schimmern gesehen. Er suchte die Hecke zwischen den Reihen der Reben ab, und da sah er es wieder. Er fluchte.
»Was ist es?«, fragte Vicente.
»Dragoner«, sagte Sharpe, »Dutzende von den Bastarden zu Fuß, die uns beobachten.« Der Lichtschimmer - von einer Fackel? - war von einem Messinghelm reflektiert worden. Es musste einen Riss in der Stoffummantelung des Helms sein, und der Mann hatte wie ein Leuchtsignal gewirkt, als er an der Hecke entlanggeschlichen war. Aber jetzt, nachdem Sharpe die erste grüne Uniform zwischen den Reben entdeckt hatte, glaubte er Dutzend weitere zu erkennen.
Widerwillig empfand er Bewunderung für einen Feind, der sich bei Dunkelheit und Regen anschlich. Er reimte sich zusammen, dass sich die Dragoner Vila Real de Zedes im Laufe des Tages genähert hatten und ihm das entgangen war. Ihnen war nicht die Bedeutung der Arbeit auf der Hügelkuppe entgangen, und sie mussten wissen, dass der Hügel seine Zuflucht war.
»Sergeant!«, befahl er Harper. »Den Hügel rauf! Sofort! Schnell!«
Und er betete, dass es nicht zu spät war.
Colonel Christopher mochte die Regeln neu bestimmt haben, aber die Schachfiguren konnten sich nur auf die bekannte Weise bewegen. Sein Wissen um die Züge erlaubte ihm jedoch, vorauszuschauen, und das konnte er besser als die meisten.
Es gab zwei mögliche Ergebnisse der Invasion in Portugal. Entweder würden die Franzosen siegen, oder - weit unwahrscheinlicher - die Portugiesen mit ihren britischen Verbündeten würden irgendwie mit Soults Streitkräften fertig werden.
Wenn die Franzosen siegten, dann würde Christopher der Eigentümer von Savages Häusern, ein vertrauenswürdiger Verbündeter der neuen Herren des Landes und unglaublich reich sein.
Wenn die Portugiesen und ihre britischen Verbündeten gewannen, dann würde er Argentons pathetische Verschwörung nutzen, um zu erklären, weshalb er in feindlichem Gebiet geblieben war, und den Zusammenbruch der geplanten Meuterei als Ausrede für das Scheitern seiner Pläne nutzen. Und dann brauchte er in dem Schachspiel nur ein paar seiner Bauern zu opfern, um Savages Besitz zu behalten, der ihn unglaublich reich machen würde.
Er konnte also nicht verlieren, solange die Bauern taten, was sie tun sollten, und einer dieser Bauern war Major Henri Dulong, der stellvertretende Kommandeur der 31. Leger, ein Regiment der erstklassigen französischen Leichten Infanterie in Portugal. Die 31. wusste, dass sie gut war, aber keiner der Soldaten war Dulong ebenbürtig, der in der gesamten Armee berühmt war. Er war hart, wagemutig und ruhelos, und an diesem windigen und regnerischen Maiabend war es seine Aufgabe, mit seinen voltigeurs den südlichen Pfad hinaufzumarschieren, der zum Wachturm auf dem Hügel oberhalb der Quinta führte. Nehmen Sie diese Höhe ein, hatte Brigadier General Vuillard erklärt, und die zusammengestoppelte Horde in Vila de Zedes kann nirgendwo mehr hin. Während die Dragoner das Dorf und das Haus von Savage umzingelten, würde Major Dulong den Hügel einnehmen.
Es war Brigadier General Vuillards Idee gewesen, bei Einbruch der Dunkelheit anzugreifen. Die meisten Soldaten würden einen Angriff im Morgengrauen erwarten, aber es war Vuillards Überzeugung, dass die Männer spät am Tag weniger aufmerksam sein würden. »Sie freuen sich auf Wein, Weiber und eine warme Mahlzeit«, hatte er Christopher erklärt und dann die Zeit für den Angriff auf Viertel vor acht am Abend festgelegt. Die Sonne würde ein paar Minuten zuvor untergehen, doch das Zwielicht würde bis halb neun herrschen. Aber die Wolken hatten sich als so dicht erwiesen, dass Vuillard ein nennenswertes Zwielicht bezweifelte. Nicht, dass es etwas ausmachte, Dulong hatte sich eine gute Breguet-Uhr geliehen und versprochen, dass seine Männer um Viertel vor acht auf dem Wachturm sein würden, genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Dragoner sich dem Dorf und der Quinta näherten. Die verbleibenden Kompanien der 31. Leger würden zuerst durch den Wald aufsteigen und dann von Süden auf die Quinta hinabstoßen. »Ich bezweifle, dass Dulong auf irgendwelchen Widerstand stoßen wird«, sagte Vuillard zu Christopher, »und darüber wird er unglücklich sein. Er ist ein blutrünstiger Hundesohn.«
»Sie haben ihm gewiss die gefährlichste Aufgabe zugeteilt?«
»Aber nur, wenn der Feind oben auf dem Hügel ist«, sagte der Brigadier General. »Ich hoffe sie zu überraschen, Colonel.«
Und für Christopher hatte es den Anschein, dass Vuillards Hoffnungen berechtigt waren, denn um Viertel vor acht fielen die Dragoner in Vila de Zedes ein und stießen fast auf keinen Widerstand. Ein Donnerschlag begleitete den Angriff, ein Blitz zuckte über den Himmel, und die langen Schwerter der Dragoner glänzten silbern. Eine Hand voll Männer feuerte mit Musketen aus der Taverne neben der Kirche, und Vuillard erfuhr später bei den Verhören der Überlebenden, dass sich eine Partisanenbande im Dorf erholt hatte. Eine Hand voll davon entkam, acht wurden getötet, und ein Dutzend, einschließlich ihres Anführers, der sich selbst »Der Schullehrer« nannte, wurde gefangen genommen. Zwei von Vuillards Dragonern wurden verwundet.
Hundert weitere Dragoner ritten zu Savages Haus. Sie wurden von einem Hauptmann befehligt, der sich mit der Infanterie treffen würde, die durch den Wald herunterkam, und der Hauptmann hatte versprochen, dafür zu sorgen, dass die Quinta nicht geplündert wurde.
»Wollen Sie nicht mit ihnen reiten?«, fragte Vuillard.
»Nein.« Christopher beobachtete die Mädchen des Dorfes, die zur größten Taverne getrieben wurden.
»Das kann ich Ihnen nicht verdenken«, sagte Vuillard angesichts der Mädchen, »der Spaß findet hier statt.«
Und Vuillards »Spaß« begann. Die Dorfbewohner hassten die Franzosen, und die Franzosen hassten die Dorfbewohner. Die Dragoner hatten Partisanen in den Häusern entdeckt, und sie alle wussten, wie man mit solchem Ungeziefer im Krieg umging. Manuel Lopes und seine gefangen genommenen Partisanen wurden in die Kirche gebracht, wo sie gezwungen wurden, den Altar, die Bänke und Bildnisse zu zerstören, und dann mussten sie die Trümmer im Mittelschiff aufschichten. Pater Josefa protestierte über den Vandalismus, und die Dragoner fetzten ihm die Soutane vom Leib und zerrissen sie in Streifen, mit denen sie den Priester an das große Kreuz banden, das über dem Hauptaltar hing. »Die Priester sind die Schlimmsten«, sagte Vuillard zu Christopher, »sie ermuntern ihre Schafe, gegen uns zu kämpfen. Ich schwöre, dass wir jeden Pfaffen in Portugal töten werden.«
Andere Gefangene wurden zur Kirche gebracht. Jeder Dorfbewohner, in dessen Haus es eine Feuerwaffe gab oder der sich den Dragonern widersetzt hatte, war gefangen genommen worden. Ein Mann, der seine dreizehnjährige Tochter hatte schützen wollen, wurde in die Kirche geschleift, und ein Dragoner brach ihm mit einem Holzhammer, den er aus der Schmiede erbeutet hatte, Arme und Beine. »Das ist viel besser, als sie aufzuhängen«, sagte Vuillard.
Christopher zuckte bei diesen menschenverachtenden Worten und beim Brechen der Knochen zusammen. Einige Männer wimmerten, ein paar schrien, aber die meisten blieben hartnäckig stumm. Pater Josefa betete für die Sterbenden, bis der Schwerthieb eines Dragoners ihn zum Verstummen brachte.
Inzwischen war es dunkel. Der Regen prasselte immer noch auf das Kirchendach, jedoch nicht mehr so heftig. Blitze erhellten die Kirchenfenster, als Vuillard zu den Trümmern eines Seitenaltars ging und eine Kerze aufhob, die brennend auf den Boden gefallen war. Er ging damit zu dem Haufen von Holztrümmern, auf die Pulver aus der Karabinermunition der Dragoner geschüttet worden war. Er stellte die brennende Kerze tief in den Haufen und trat zurück. Einen Moment flackerte die Kerze, klein und unbedeutend, dann ertönte ein Zischen, und Flammen schossen aus der Mitte des Haufens. Die verwundeten Männer schrien laut, als Rauch zu den Dachbalken emporkräuselte und Vuillard und die Dragoner sich zur Tür zurückzogen.
»Sie werden braten wie Fische.« Der Brigadier General sprach von den Männern, die zum Feuer krochen, in der verzweifelten Hoffnung, das Feuer löschen zu können. Vuillard lachte. »Der Regen wird die Dinge verlangsamen«, sagte er zu Christopher, »aber nicht viel.« Das Feuer prasselte jetzt, und dichter Rauch quoll hervor. »Erst wenn das Dach Feuer fängt, werden sie sterben«, sagte Vuillard, »und das dauert eine Weile. Am besten verschwinden wir.«
Die Dragoner verließen die Kirche und schlossen sie ab. Ein Dutzend Männer blieb draußen im Regen, um sicherzustellen, dass das Feuer nicht ausging oder - was unwahrscheinlich war - dass keiner den Flammen entkam, während Vuillard Christopher und ein halbes Dutzend Offiziere zur größten Taverne des Dorfes führte, die von Dutzenden Kerzen und Lampen erhellt war.
»Die Infanterie wird uns hier Meldung machen«, sagte Vuillard. »Und so können wir uns bis dahin die Zeit vertreiben, nicht wahr?«
»In der Tat.« Christopher nahm seinen Zweispitz ab und hängte ihn an den Haken an der Tavernentür.
»Wir werden köstlich speisen«, sagte Brigadier General Vuillard, »und vom Wein dieses Landes trinken.« Er blieb im Hauptraum stehen, wo die Mädchen des Dorfes an einer Wand aufgereiht waren. »Was meinen Sie, kommen wir bei diesem Nachtisch auf unsere Kosten?«
»Verlockend«, sagte Christopher.
»In der Tat.« Vuillard traute Christopher immer noch nicht ganz. Der Engländer war zu zurückhaltend, aber jetzt würde er die Hemmungen verlieren. »Wählen Sie aus«, sagte er und wies auf die Mädchen. Ihre Bewacher grinsten. Die Mädchen weinten leise.
Christopher machte einen Schritt auf die Gefangenen zu. Wenn der Engländer zimperlich ist, dachte Vuillard, verrät er Skrupel oder sogar Sympathie für die Portugiesen. Es gab sogar einige in der französischen Armee, die solche Sympathien zeigten, Offiziere, die meinten, dass ihre eigenen Probleme nur größer wurden, wenn sie die portugiesische Armee schlecht behandelten, aber Vuillard glaubte wie die meisten Franzosen, dass die Portugiesen so streng bestraft werden mussten, damit keiner es wagen würde, jemals wieder einen Finger gegen die Franzosen zu erheben. Vergewaltigung, Diebstahl und Zügellosigkeit waren nach Vuillards Meinung defensive Taktiken, und jetzt wollte er sehen, dass der reservierte Christopher mit ihm zusammen einen Akt des Krieges vollzog.
»Seien Sie schnell bei der Auswahl«, sagte Vuillard, »ich habe meinen Männern versprochen, dass sie diejenigen haben können, die wir nicht wollen.«
»Ich nehme die kleine Rothaarige«, sagte Christopher.
Sie schrie, aber es gab viele Schreie in dieser Nacht in Vila Real de Zedes.
Wie auf dem Hügel im Süden.
Sharpe rannte. Er schrie seinen Männern zu, so schnell wie möglich auf den Hügel zu gelangen, dann hetzte er selbst den Hang hinauf. Nach etwa hundert Yards wurde er ruhiger und erkannte, dass es falsch war, was er tat. »Schützen!«, brüllte er. »Tornister abnehmen!«
Er befahl seinen Männern, sich bis auf ihre Waffen, Proviantbeutel und Patronentaschen von ihrer Last zu befreien. Leutnant Vicente befahl seinen Männern das Gleiche. Sechs Portugiesen und die gleiche Anzahl Schützen würden bei den abgelegten Tornistern und Mänteln und Stücken Räucherfleisch Wache halten, während der Rest Sharpe und Vicente den Hang hinauffolgte. Sie kamen jetzt viel schneller voran. »Haben Sie dort oben irgendwelche Bastarde gesehen?«, keuchte Harper.
»Nein«, sagte Sharpe. Doch er wusste, dass die Franzosen die Festung einnehmen wollten, weil sie in weitem Umkreis der höchste Punkt war, und das bedeutete, dass sie vermutlich eine Kompanie oder mehr im Bogen von Süden aus auf den Hügel geschickt hatten. Es war also ein Wettrennen. Sharpe hatte keinen Beweis, dass die Franzosen mit im Rennen waren, aber er unterschätzte sie nicht. Sie würden kommen, und er konnte nur beten, dass sie nicht bereits vor ihm dort waren.
Der Regen fiel stärker. Kein Geschütz würde bei diesem Wetter feuern. Dies würde ein Kampf von nassem Stahl werden, von Fäusten und Gewehrkolben.
Sharpe glitt auf Matsch und nassem, felsigen Boden aus. Außer Atem erreichte er den Pfad, der zum nördlichen Grat des Hügels führte. Seine Männer hatten den Pfad verbreitert und befestigt und an den steilsten Stellen Stufen angelegt. Es war erfundene Arbeit gewesen, um sie beschäftigt zu halten, doch sie war es wert gewesen, denn jetzt kamen sie dadurch viel schneller voran.
Sharpe war immer noch an der Spitze, dicht gefolgt von einem Dutzend Schützen. Er entschied sich, die Reihe nicht zu schließen, bevor sie den Gipfel erreichten. Dies war eine Kletterei, bei der wirklich die hintersten Männer vom Teufel geholt wurden, und so war es das Wichtigste, den Gipfel zu erreichen.
Sharpe blickte durch den Regen und konnte nichts außer nacktem Fels und einem Blitz sehen, der von einer steinernen Fläche widergespiegelt wurde. Er dachte an das Dorf und wusste, dass es zum Sterben verdammt war. Er wünschte, er könnte etwas dagegen tun, aber er hatte nicht genügend Männer, um das Dorf zu verteidigen, und er hatte versucht, es zu warnen.
Der Wind trieb ihm den Regen ins Gesicht und nahm ihm die Sicht. Er spürte Seitenstechen, seine Beine brannten, und sein Atem rasselte. Das Gewehr hüpfte am Schulterriemen auf und ab, und der Kolben schlug auf seinen Oberschenkel, als er versuchte, das schwere Kavallerieschwert zu ziehen, doch dann ließ er den Griff los, um sich an einem Felsen abzustützten, weil er ausrutschte.
Harper war zwanzig Schritte zurück und rang um Atem. Vicente holte auf, als Sharpe sein Schwert aus der Scheide riss, sich vom Felsen abstieß und sich zwang, weiterzulaufen. Ein Blitz zuckte im Osten über den Himmel, vor dem sich als Umriss die Hügel schwarz abhoben. Donner krachte, und Sharpe hatte das Gefühl, in den Kern des Gewitters zu den Göttern des Krieges zu klettern. Der Wind heulte und stöhnte, wurde vom Donner und vom Rauschen des Regens übertönt, und Sharpe dachte schon, er würde nie auf die Hügelkuppe gelangen, doch plötzlich war er neben dem ersten Wall, an der Stelle, wo der Pfad zwischen zwei der kleinen Schanzen verlief, die seine Männer errichtet hatten, und ein Blitzstrahl stach wie ein Dolch in die nasse Dunkelheit zu seiner Rechten. Sekundenlang glaubte er, die Hügelkuppe sei leer, doch dann sah er das Blitzen einer Klinge, die das weiße Feuer des Unwetters reflektierte, und erkannte schlagartig, dass die Franzosen bereits da waren.
Dulongs Männer waren nur Sekunden zuvor eingetroffen und hatten den Wachturm eingenommen, doch sie hatten keine Zeit gehabt, die Schanzen zu besetzen, wo Sharpes Männer jetzt auftauchten. »Werft sie runter!«, brüllte Dulong seinen Männern zu.
»Tötet die Bastarde!«, rief Sharpe, und seine Klinge klirrte gegen ein Bajonett und streifte die Mündung der Muskete. Er warf sich vorwärts, trieb den Mann zurück und rammte die Stirn gegen seine Nase. Die Ersten seiner Schützen tauchten hinter ihm auf. Sharpe schlug dem Franzosen den Griff des Schwerts ins Gesicht, entriss ihm die Muskete und warf sie fort. Dann sprang er weiter zu einer Gruppe Franzosen, die sich darauf vorbereitete, den Gipfel zu verteidigen. Sie zielten mit ihren Musketen auf ihn, und Sharpe hoffte bei Gott, dass keine Steinschlosswaffe bei dieser Nässe feuern konnte. Zwei Männer kämpften zu seiner Linken, und Sharpe stieß sein Schwert in einen blauen Rock, und drehte es zwischen den Rippen. Der Franzose warf sich zur Seite, um der Klinge seines Gegners zu entkommen. Sharpe sah, dass es Harper war, der mit dem Franzosen gekämpft hatte und ihn jetzt mit dem Gewehrkolben niederschlug.
»Gott schütze Irland«, sagte Harper und spähte mit wildem Blick auf die Franzosen, die den Wachturm bewachten.
»Wir greifen die Bastarde an!«, rief Sharpe den Schützen zu.
»Gott schütze Irland!«
»Tirez!«, rief ein französischer Offizier. Feuersteine fielen auf Stahl, Funken sprühten und erloschen im Regen.
»Jetzt tötet sie!«, brüllte Sharpe. Er war wütend, weil die Franzosen auf seiner Hügelkuppe, auf seinem Gebiet waren. Er rannte den Hügel hinauf und sah, wie sich die Musketen mit ihren Bajonetten senkten. Sharpe erinnerte sich, wie er in der steilen Bresche von Gawilgarh gekämpft hatte, und tat jetzt, was er damals in Indien getan hatte. Er griff unter das Bajonett, packte den Knöchel des Feindes und zog ihn vom Hügel herab. Der Franzose schrie, als er in die Bajonette dreier Schützen fiel, und dann schleuderten Vicentes Portugiesen, die erkannten, dass sie nicht auf die Franzosen schießen konnten, Steine. Einige trafen.
Sharpe befahl seinen Männern Nahkampf. Er schwang das Schwert und fegte ein Bajonett beiseite, zog mit der linken Hand an einer vorgereckten Muskete und zerrte den Mann auf Harpers Schwertbajonett zu. Harris drosch mit einer Axt um sich, die sie benutzt hatten, um den Pfad durch die Birken, Lorbeerbäume und Eichen zu verbreitern, und die Franzosen wichen vor der schrecklichen Waffe zurück. Immer noch flogen Steine, und Sharpes Schützen kämpften sich aufwärts.
Ein Mann trat Sharpe ins Gesicht. Cooper packte das Bein und stieß sein Bajonett oberhalb des Stiefels hinein. Harper benutzte sein Gewehr als Keule und schlug einen Gegner nieder. Ein Schütze stürzte. Blut schoss aus seinem Hals und wurde sofort vom Regen abgewaschen. Ein portugiesischer Soldat nahm seine Stelle ein, stach mit dem Bajonett zu und schrie Beleidigungen.
Sharpe stieß sein Schwert in die Masse der Feinde hinein, zog es heraus und stieß wieder zu. Ein anderer Portugiese kämpfte neben ihm mit dem Bajonett, tötete einen Franzosen mit dem Säbel. Die Klinge wurde rot, wurde zurückgezogen, wurde vom Regen abgespült und wurde beim Zustoßen wieder rot.
Die Franzosen wichen zurück auf die Steinterrasse vor der Wachturmruine. Ein Offizier brüllte sie ärgerlich an, und dann trat der Offizier mit vorgestrecktem Säbel auf Sharpe zu. Sharpe stellte sich dem Duell und sah Erstaunen auf dem Gesicht des Gegners. Der Franzose versuchte, Sharpe zu treten und mit der linken Hand in die Augen zu stoßen, doch Sharpe wich gedankenschnell aus und schwang zugleich sein Schwert. Dann schien der Offizier plötzlich zu verschwinden, als zwei Männer ihn packten und fortzerrten.
Ein großer Franzose sprang auf Sharpe zu und holte mit einer Muskete zum Schlag aus. Sharpe wich geschickt aus, der angriffslustige Franzose konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen, lief förmlich in die Klinge des Sergeants hinein und brach im blutigen Regen zusammen.
Vicente wich entsetzt zurück. Seine Männer stürmten schreiend an ihm vorbei über die südlichen Schanzen, wo sie wie Berserker mit ihren Bajonetten wüteten. Feldwebel Macedo hatte sein Messer in die Brust eines Franzosen gestoßen und dort gelassen. Stattdessen benutzte er eine erbeutete französische Muskete als Keule. Ein voltigeur versuchte, ihm die Waffe zu entreißen, und verstand die Welt nicht mehr, als der Feind sie ihm einfach überließ und ihm stattdessen einen Tritt in den Bauch verpasste, sodass er vom Hügel stürzte. Er schrie, als er fiel, dann gab es einen dumpfen Aufschlag auf Steinen und Geröll weit unten. Die Muskete landete polternd auf Gestein, und in diesem Augenblick übertönte ein Donnerschlag alle Geräusche.
Ein Blitz zuckte über den dunklen Himmel. Sharpe, von dessen Schwertklinge Blut, vermischt mit Regen, tropfte, schrie seinen Männern zu, jede Schanze zu überprüfen. »Und durchsucht den Turm!«
Ein anderer Blitzstrahl erhellte einen großen Trupp von Franzosen, der auf halbem Weg auf dem südlichen Pfad heraufkletterte. Sharpe nahm an, dass ein kleinerer Trupp dem anderen vorausgeeilt war, und es waren diese Männer, die er und seine Jungs niedergekämpft hatten. Der größere Trupp, der leicht den Gipfel gegen Sharpe und Vicentes Gegenangriff hätte verteidigen können, war zu spät gekommen, und Vicente befahl jetzt seine Männer hinter die unteren Schanzen. Ein Schütze lag tot beim Wachturm.
»Es ist Sean Donnelly«, meldete Harper.
»Ein Jammer«, sagte Sharpe, »er war ein guter Mann.«
»Er war ein teuflischer kleiner Bastard aus Derry«, meinte Harper. »Er schuldete mir vier Schilling.«
»Er war ein erstklassiger Schütze.«
»Wenn er nicht besoffen war«, gab Harper zu.
Pendleton, der Jüngste der Schützen, brachte Sharpe den Tschako, den er in der Hektik des Kampfes verloren hatte. »Habe ich auf dem Hang gefunden, Sir.«
»Was haben Sie auf dem Hang gemacht, anstatt zu kämpfen?«, fragte Sharpe.
Pendleton wirkte verwirrt. »Er muss wohl runtergerollt sein, und ich hab ihn da liegen sehen, Sir.«
»Haben Sie einen Feind besiegt?«, wollte Harper wissen.
»Nein, Sergeant.«
»Dann haben Sie sich heute Ihren verdammten Schilling nicht verdient! Pendleton! Williamson! Dodd! Sims!« Harper organisierte einen Trupp, der den Hügel hinabgehen und die Tornister mit dem Proviant holen sollte. Sharpe ließ zwei andere Männer die Toten und Verwundeten durchsuchen und ihre Waffen und Munition sicherstellen.
Vicente hatte sich auf der südlichen Seite der Festung verschanzt, und der Anblick dieser Männer reichte, um die Franzosen von einem zweiten Angriff abzuschrecken. Der portugiesische Leutnant kam jetzt zu Sharpe neben den Wachturm, wo der Wind um das alte Gemäuer heulte. Der Regen hatte nachgelassen, doch der stärker gewordene Wind peitschte immer noch Tropfen gegen die Wände der Ruine. »Was unternehmen wir wegen des Dorfs?«, wollte Vicente wissen.
»Es gibt nichts, was wir tun können.«
»Aber es sind Frauen dort! Und Kinder!«
»Ich weiß.«
»Wir können sie nicht einfach im Stich lassen.«
»Was sollen wir Ihrer Meinung nach denn tun?«, fragte Sharpe. »Dort runtergehen und sie retten? Und während wir dort sind, was geschieht dann hier? Diese Bastarde werden den Hügel einnehmen.« Er wies auf die französischen voltigeurs, die immer noch auf halbem Weg auf dem Hügel waren, unentschlossen, ob sie weiterklettern oder den Versuch aufgeben sollten. »Und wenn Sie dort runtergehen«, fuhr Sharpe fort, »was erwartet Sie dann? Dragoner. Hunderte verdammte Dragoner. Und wenn der Letzte Ihrer Männer tot ist, haben Sie die Genugtuung, versucht zu haben, das Dorf zu retten. Es gibt nichts, was Sie tun können.«
»Wir müssen es versuchen«, beharrte Vicente stur.
»Sie wollen Männer auf Patrouille mitnehmen? Dann tun Sie das, aber der Rest von uns bleibt hier. Diese Festung ist unsere einzige Chance, zu überleben.«
Vicente erschauerte. »Sie wollen nicht mehr nach Süden marschieren?«
»Wenn wir von diesem Hügel runtergehen«, sagte Sharpe, »werden uns die verdammten Dragoner mit ihren Säbeln einen Haarschnitt verpassen. Wir sind in der Falle, Leutnant, in der Todesfalle.«
»Und Sie erlauben, dass ich eine Patrouille runter ins Dorf führe?«
»Drei Männer«, sagte Sharpe. Es widerstrebte ihm, selbst auf nur drei Männer zu verzichten, doch er konnte verstehen, dass sich der portugiesische Leutnant um seine Landsleute sorgte. »Bleiben Sie in Deckung, Leutnant«, mahnte Sharpe. »Halten Sie sich zwischen den Bäumen. Und seien Sie sehr vorsichtig.«
Drei Stunden später kehrte Vicente zurück. Es waren einfach zu viele Dragoner und Infanteristen rings um Vila de Zedes, und er war nicht ins Dorf hineingekommen. »Aber ich habe Schreie gehört«, berichtete er.
Unter Sharpe, jenseits der Quinta, brannten die Reste der Dorfkirche in der Dunkelheit aus. Es war das einzige Licht, das er sehen konnte. Er sah kein Funkeln von Sternen, keinen Lichtschein von Kerzen oder Lampen, nur das rötliche Glühen der brennenden Kirche.
Und morgen, das wusste Sharpe, würden die Franzosen von Neuem angreifen.
Am Morgen frühstückten die französischen Offiziere auf der Terrasse der Taverne unter einer Pergola. Das Dorf war voller Proviant gewesen, und es gab frisch gebackenes Brot, Schinken, Eier und Kaffee zum Frühstück.
Der Regen hatte aufgehört, und es war nur noch der Hauch von Luftfeuchtigkeit im Wind. Das Versprechen warmen Sonnenscheins lag in der Luft. Der Rauch der ausgebrannten Kirche trieb nordwärts und nahm den Geruch verbrannten Fleisches mit.
Maria, das rothaarige Mädchen, servierte Colonel Christopher Kaffee. Der Colonel pulte mit einem Zahnstocher aus Elfenbein zwischen den Zähnen. Er nahm ihn aus dem Mund, um sich bei ihr zu bedanken. »Obrigado, Maria«, sagte er freundlich. Maria erschauerte, nahm es trotzdem mit einem hastigen Nicken zur Kenntnis und zog sich zurück.
»Sie ersetzt Ihren Diener?«, fragte Brigadier General Vuillard.
»Der verdammte Kerl ist verschwunden«, sagte Christopher.
»Ein guter Tausch«, sagte Vuillard und beobachtete Maria. »Die ist viel hübscher als der Diener.«
»Sie war hübsch«, sagte Christopher. Maria hatte jetzt überall blaue Flecken, und ihr Gesicht war geschwollen. Von ihrer Schönheit war nicht mehr viel zu sehen. »Und sie wird wieder hübsch sein«, fuhr Christopher fort.
»Sie haben sie geschlagen und hart rangenommen«, sagte Vuillard mit leichtem Tadel.
Christopher nippte an seinem Kaffee. »Bei den Engländern gibt es ein Sprichwort über einen Spaniel, eine Frau und einen Walnussbaum: Je härter man sie schlägt, desto besser werden sie.«
»Ein Walnussbaum?«
»Es heißt, wenn der Stamm gut geschlagen wird, steigert das die Anzahl der Nüsse. Ich habe keine Ahnung, ob das stimmt, aber ich weiß, dass eine Frau gebrochen werden muss wie ein Hund oder Pferd.«
»Gebrochen«, wiederholte Vuillard, und es klang fast ehrfürchtig bewundernd.
»Das rothaarige Mädchen wollte nicht so wie ich«, erklärte Christopher. »Sie kämpfte dagegen an, und da habe ich ihr gezeigt, wer der Herr ist. Jede Frau muss das lernen.«
»Selbst eine Ehefrau?«
»Besonders eine Ehefrau«, bekräftigte Christopher, »obwohl es da etwas länger dauert. Sie brechen eine gute Stute nicht schnell ein, sondern nehmen sich Zeit. Aber dieser ...«, er nickte zu Maria hin, »... musste ich es schnell hart besorgen. Mir macht es nichts aus, wenn sie ärgerlich ist, aber man will keine Frau, die einem mit ihrem Ärger die Freude verdirbt und sich zu sehr ziert.«
Maria war nicht die Einzige mit blauen Flecken und verquollenem Gesicht. Major Dulong hatte eine dunkle Schwellung auf dem Nasenrücken und blickte finster drein. Der Major war vor den britischen und portugiesischen Soldaten beim Wachturm gewesen, jedoch mit einem kleineren Trupp von Männern, und dann war er von der Wildheit überrascht worden, mit der Sharpe ihn angegriffen hatte. »Lassen Sie mich dorthin zurückkehren, mon général«, sagte er flehend zu Vuillard.
»Natürlich, Dulong, natürlich.« Vuillard gab dem Offizier der voltigeurs keine Schuld am einzigen Scheitern in der Nacht. Es hatte den Anschein, dass die britischen und portugiesischen Soldaten, die jeder im Stall der Quinta gewähnt hatte, nach Süden marschiert und deshalb auf halbem Weg zum Wachturm gewesen waren, als der Angriff begonnen hatte. Aber Major Dulong war nicht an Scheitern gewöhnt, und deshalb nagte es an seinem Stolz, zurückgeschlagen worden zu sein. »Selbstverständlich können Sie sich revanchieren«, versicherte ihm der Brigadier General, »aber nicht sofort. Ich denke, wir sollten den belle filles den Vortritt lassen, ja?«
»Den belle filles?«, fragte Christopher und fragte sich, warum um alles in der Welt Vuillard »schöne Mädchen« zum Wachturm schicken würde.
»Der Name des Kaisers für seine Kanonen«, erklärte Vuillard, »Les belles filles. Da ist eine Batterie in Valengo, und sie muss ein paar Haubitzen haben. Bestimmt werden uns die Kanoniere ihre Spielzeuge leihen, und diese Idioten auf dem Hügel werden so gebrochen wie die Rothaarige, der Sie es besorgt haben.« Der Brigadier General betrachtete die Mädchen, als sie das Essen brachten. »Nach dem Essen werde ich mich davon überzeugen, was sie von Ihnen gelernt haben. Vielleicht sind Sie so nett, mir Ihr Fernrohr zu leihen?«
»Selbstverständlich.« Christopher schob das Glas über den Tisch. »Aber ich bitte Sie, behutsam damit umzugehen, mein lieber Vuillard. Es bedeutet mir sehr viel.«
Vuillard las die Inschrift, und er kannte genügend Englisch, um die Bedeutung zu entziffern. »Wer ist dieser AW?«
»Sir Arthur Wellesley natürlich.«
»Und warum wollte er Ihnen dankbar sein?«
»Sie erwarten doch nicht von einem Gentleman, eine solche Frage zu beantworten, mein lieber Vuillard. Die Bescheidenheit verbietet mir, prahlerisch zu sein. Es reicht zu sagen, dass ich ihm nicht nur die Stiefel geputzt habe.« Christopher lächelte bescheiden und nahm sich Rühreier und Brot.
Zweihundert Dragoner ritten am Vormittag nach Valengo. Sie eskortierten einen Offizier, der ein paar Haubitzen besorgen wollte, und der Offizier und die Dragoner kehrten am selben Tag zurück.
Mit einer einzigen Haubitze. Aber die würde reichen, davon war Vuillard überzeugt. Die Schützen waren zum Untergang verdammt.