»Spinnweben«, flüsterte Hagman, »und Moos. Das wird helfen, Sir.«
»Spinnweben und Moos?«, fragte Sharpe.
»Ein Breiumschlag aus Spinnweben und Moos und ein wenig Essig. Das Ganze mit braunem Papier umwickelt und fest auf die Wunde gebunden.«
»Der Arzt hat gesagt, wir sollen nur den Verband feucht halten, Dan, nichts sonst.«
»Wir wissen es besser als der Arzt, Sir.« Hagmans krächzende Stimme war kaum hörbar. »Meine Mutter hat immer auf Spinnweben, Moos und Essig geschworen.« Er verfiel in Schweigen, und jeder seiner Atemzüge war wie ein pfeifendes Keuchen. »Und braunes Papier«, ächzte er nach einer Weile. »Und mein Vater, als er von einem Pförtner in Dunham on the Hill angeschossen wurde, wurde von Essig, Moos und Spinnweben geheilt. Sie war eine wunderbare Frau, meine Mutter.«
Sharpe, der neben dem Bett saß, fragte sich, ob er anders wäre, wenn er seine Mutter gekannt hätte, wenn er von einer Mutter aufgezogen worden wäre. Er dachte an Lady Grace, verstorben vor drei Jahren, und wie sie gesagt hatte, er sei voller Zorn, und er fragte sich, ob es das war, was Mütter tun - den Zorn wegnehmen. Dann verdrängte er die Gedanken an Grace - wie immer. Die Erinnerung war einfach zu schmerzlich. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Sie haben im Schlaf über Amy gesprochen, Dan. Ist sie Ihre Frau?«
»Amy?« Hagman blinzelte überrascht. »Amy? Ich habe seit Jahren nicht mehr an Amy gedacht. Sie war die Tochter des Rektors, Sir, und sie hat Dinge getan, von der die Tochter eines Rektors eigentlich nichts wissen sollte.« Er lachte, und es musste ihn schmerzen, denn das Lächeln verschwand, und er stöhnte stattdessen, aber Sharpe nahm an, dass er jetzt eine Chance hatte. In den ersten beiden Tagen hatte er Fieber gehabt, doch der Schweiß war versiegt. »Wie lange bleiben wir hier, Sir?«
»Solange es sein muss, Dan, aber die Wahrheit ist, dass ich es nicht weiß. Der Colonel hat mir befohlen, zu bleiben, bis er etwas anderes befiehlt.« Sharpe war durch die Lektüre von General Cradocks Brief und noch mehr durch die Tatsache, dass Christopher den General besuchte, beruhigt worden. Offensichtlich war der Colonel in wichtigen, geheimen Dingen unterwegs. Jetzt fragte sich Sharpe, ob er Captain Hogans Worte, er solle Christopher im Auge behalten, falsch gedeutet hatte. Vielleicht wollte Hogan Christopher wegen seiner wichtigen Mission geschützt wissen. Was auch immer, jetzt hatte Sharpe seine Befehle, und es beruhigte ihn zu wissen, dass der Colonel die Befugnis hatte, sie zu erteilen. Trotzdem fühlte er sich irgendwie schuldig, dass er und seine Männer in der Quinta do Zedes faul herumliegen konnten, während irgendwo im Süden und Osten ein Krieg stattfand.
Wenigstens nahm er an, dass es Kämpfe gab, denn in den nächsten paar Tagen erhielt er keine neuen Nachrichten. Ein Hausierer kam mit Knöpfen und Nadeln und Medaillons mit der Jungfrau Maria zum Landhaus und berichtete, dass die Portugiesen immer noch die Brücke bei Amarante hielten, wo sie einer großen französischen Armee gegenüberstanden. Er behauptete, die Franzosen wären südlich gen Lissabon marschiert, dann erzählte er von einem Gerücht, das besagte, Marschall Soult sei in Oporto. Ein Bettelmönch, der um etwas zu essen bat, brachte die gleiche Nachricht. »Was gut ist«, sagte Sharpe zu Harper.
»Warum, Sir?«
»Weil Soult nicht in Oporto verweilen würde, wenn die Möglichkeit bestünde, dass Lissabon fällt. Wenn Soult in Oporto ist, dann sind die Franzmänner nicht weitergekommen.«
»Aber sie sind südlich des Flusses?«
»Vielleicht ein paar verdammte Kavalleristen«, sagte Sharpe wegwerfend. Es war frustrierend, nicht zu wissen, wie die Lage war, und Sharpe stellte zu seiner Überraschung fest, dass er sich Colonel Christophers Rückkehr wünschte, damit er endlich erfuhr, wie sich die Dinge in diesem Krieg entwickelten.
Kate wünschte sich die Rückkehr ihres Mannes sogar noch mehr. In den ersten paar Tagen nach seinem Wegritt war sie Sharpe aus dem Weg gegangen, doch jetzt trafen sie sich zunehmend in dem Zimmer, in dem Daniel Hagman lag. Kate brachte dem verwundeten Schützen Essen, und dann setzte sie sich zu ihm und sprach mit ihm. Als sie sich überzeugt hatte, dass Sharpe nicht der ordinäre Schurke war, als den sie ihn eingestuft hatte, lud sie ihn auf die Terrasse ein, wo sie ihm Tee servierte. Manchmal wurde Leutnant Vicente dazu eingeladen, doch er sagte fast nichts, saß nur auf der Kante des Stuhls und starrte Kate bewundernd an. Wenn sie zu ihm sprach, wurde er rot und stammelte, und Kate blickte fort, gleichermaßen verlegen, doch sie mochte den portugiesischen Leutnant anscheinend. Sharpe spürte, dass sie einsam war. Das war sie anscheinend schon immer gewesen.
Eines Abends, als Vicente die Posten beaufsichtigte, sprach Kate davon, wie sie als Kind in Oporto aufgewachsen und nach England ins Internat geschickt worden war. »Wir waren drei Mädchen in einem Pfarrhaus«, erzählte sie ihm an einem kalten Abend, als sie an einem Kaminfeuer im Wohnzimmer saßen. »Die Frau des Pfarrers ließ uns kochen, saubermachen und nähen«, fuhr Kate fort, »und der Geistliche lehrte uns Literaturkenntnisse, ein wenig Französisch, Mathematik und Shakespeare.«
»Das ist mehr, als ich je gelernt habe«, sagte Sharpe.
»Sie sind nicht die Tochter eines wohlhabenden Weinhändlers«, erwiderte Kate mit einem Lächeln. Hinter ihr, im Schatten, strickte die Köchin. Wenn Kate mit Sharpe oder Vicente zusammen war, hatte sie stets eine Dienerin als Anstandsdame dabei, vermutlich, damit sie ihrem Ehemann keinen Grund zum Misstrauen gab. »Mein Vater war entschlossen, mich in allem auszubilden«, fuhr Kate fort und wirkte wehmütig. »Er war ein sonderbarer Mann, mein Vater. Er machte Wein, doch er trank keinen. Er sagte, Gott wolle das nicht. Der Keller ist voll mit ausgezeichnetem Wein, und er fügte jedes Jahr neuen hinzu, doch er öffnete nie eine Flasche für sich selbst.« Sie fröstelte und neigte sich zum Feuer. »Ich erinnere mich, dass es mir in England immer kalt war. Ich hasste die Kälte, doch meine Eltern wollten mich auf keine Schule in Portugal schicken.«
»Warum nicht?«
»Sie fürchteten, ich könnte vom Papismus angesteckt werden«, sagte sie und spielte mit den Troddeln ihres Umhängetuchs. »Mein Vater war ein entschiedener Gegner des Papsttums«, fuhr sie ernst fort, »deshalb hat er in seinem Testament darauf bestanden, dass ich ein Mitglied der Church of England heiraten muss, oder sonst ...«
»Sonst?«
»Sonst würde ich mein Erbe verlieren«, sagte sie.
»Es ist jetzt sicher«, sagte Sharpe.
»Ja.« Sie blickte zu ihm auf, und der Feuerschein des Kamins spiegelte sich in ihren Augen. »Ja, das ist es.«
»Ist es ein Erbe, das es wert ist, es zu behalten?«, fragte Sharpe. Er wusste, dass die Frage taktlos war, aber die Neugier hatte ihn dazu getrieben.
»Dieses Haus, die Weingärten«, sagte Kate, anscheinend nicht beleidigt, »und das Haus beim Hafen. Es wird für mich derzeit alles treuhänderisch verwaltet, obwohl meine Mutter sich natürlich über das Einkommen freut.«
»Warum ist sie nicht nach England zurückgekehrt?«
»Sie hat über zwanzig Jahre hier gelebt«, sagte Kate, »so hat sie hier jetzt ihren Freundeskreis. Aber nach dieser Woche?« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wird sie nach England zurückkehren. Sie sagt immer, sie würde heimkehren, um einen zweiten Ehemann zu finden.« Kate lächelte bei diesem Gedanken.
»Sie kann nicht hier heiraten?«, fragte Sharpe und sah vor seinem geistigen Auge die gut aussehende Frau, die vor dem Haus Beautiful in die Kutsche gestiegen war.
»Hier sind alle Papisten, Mister Sharpe«, sagte Kate in spöttischem Tadel. »Obwohl ich den Verdacht habe, dass sie vor Kurzem jemanden gefunden hat. Sie hat sich mehr Mühe mit ihrem Aussehen gegeben, mit ihrer Kleidung, ihrem Haar, aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet.« Sie schwieg einen Moment. Die Köchin strickte fleißig, und im Kamin zerbrach ein Holzscheit in einem Funkenregen. Ein Funke fiel über das Kamingitter und schwelte auf dem Teppich, bis Sharpe sich vorneigte und ihn ausdrückte. Die Tompion-Uhr in der Halle schlug neunmal. »Mein Vater«, fuhr Kate fort, »war der Meinung, dass die Frauen in seiner Familie dazu neigen, vom schmalen und geraden Pfad abzuweichen, deshalb wollte er immer, dass ein Sohn sein Erbe übernähme. Das war nicht möglich, und so band er uns in seinem Testament die Hände.«
»Sie mussten einen protestantischen Engländer heiraten?«
»Jedenfalls einen konfirmierten Anglikaner«, sagte Kate, »der bereit war, seinen Namen in Savage zu ändern.«
»Er ist also jetzt Colonel Savage?«
»Das wird er sein«, sagte Kate. »Er sagte, er würde bei einem Notar in Oporto ein Dokument unterschreiben, und dann werden wir es zu den Treuhändern in London schicken. Ich weiß nicht, wie wir jetzt Briefe heimschicken, aber James wird einen Weg finden. Er ist sehr einfallsreich.«
»Das ist er bestimmt«, sagte Sharpe. »Aber will er in Portugal bleiben und Portwein machen?«
»Oh ja«, sagte Kate.
»Und Sie?«
»Aber natürlich! Ich liebe Portugal, und ich weiß, dass James bleiben will. Das erklärte er, kurz nachdem er in unserem Haus in Oporto eintraf.« Sie sagte, dass Christopher nach Neujahr zum Haus Beautiful gekommen war und dort für eine Weile gewohnt hatte. Die meiste Zeit hatte er jedoch mit Ritten nach Norden verbracht. Sie wusste nicht, was er dort getan hatte. »Es ging mich nichts an«, sagte sie.
»Und was macht er jetzt im Süden? Geht Sie das auch nichts an?«
»Erst, wenn er mir davon erzählt«, erwiderte sie. Dann runzelte sie die Stirn. »Sie mögen ihn nicht, wie?«
Sharpe war verlegen und wusste nicht, was er antworten sollte. »Seine Zähne sind makellos«, sagte er schließlich.
Bei dieser widerwilligen Antwort nahm Kates Miene einen schmerzlichen Zug an. »Hörte ich die Uhr schlagen?«, fragte sie.
Sharpe verstand den Wink. »Zeit, die Posten zu überprüfen«, sagte er, erhob sich und ging zur Tür. Er blickte zurück zu Kate und bemerkte, nicht zum ersten Mal, wie zierlich sie war und wie ihre Haut im Feuerschein zu glühen schien, doch dann verdrängte er die Gedanken an sie und begann seinen Rundgang zu den Posten.
In den nächsten Tagen drillte Sharpe die Schützen hart, ließ sie auf dem Anwesen patrouillieren, auf dem Zufahrtsweg so lange exerzieren, bis die wenige verbliebene Energie nur noch zum Murren reichte. Sharpe wusste, wie gefährlich ihre Situation war. Christopher hatte ihm befohlen, zu bleiben und Kate zu bewachen, doch das Landhaus konnte selbst gegen eine kleine französische Streitmacht nicht verteidigt werden. Das Haus stand hoch in einem bewaldeten Gebiet, der Hügel dahinter erhob sich sogar noch höher, und es gab dichte Wälder auf dem höheren Terrain, die ein Infanteriekorps aufnehmen konnten, das bei einem Angriff noch den Vorteil der Deckung hatte, die ihm die Bäume gaben. Noch höher, dort, wo die Bäume endeten und sich der Hügel zu einem felsigen Gipfel erhob, stand ein alter, windschiefer Wachturm, und dort verbrachte Sharpe Stunden damit, die Landschaft zu beobachten.
Er sah jeden Tag französische Soldaten. Da war ein Tal nördlich von Vila Real de Zedes, durch das sich eine Straße wand, die ostwärts nach Amarante führte und die jeden Tag von feindlicher Artillerie, Infanterie und Nachschubwagen benutzt wurde. Um sie zu sichern, patrouillierten große Trupps Dragoner durch dieses Tal. Manchmal gab es Feuergefechte in der Ferne, schwach, kaum zu hören, und Sharpe nahm an, dass die Landbevölkerung die Invasoren aus dem Hinterhalt beschoss. Er versuchte durch das Fernrohr festzustellen, wo die Aktionen stattfanden, aber er konnte die Partisanen nie sehen, und keiner von ihnen kam näher, ebenso wenig die Franzosen, die längst wissen mussten, dass sich eine gestrandete Gruppe britischer Schützen bei Vila Real de Zedes aufhalten musste. Einmal sah er einige Dragoner eine Meile an dem Landhaus vorbeitraben, und zwei ihrer Offiziere betrachteten das elegante Haus durch Fernrohre, näherten sich jedoch nicht. Hatte Christopher dies arrangiert?
Neun Tage, nachdem Christopher weggeritten war, kam der Dorfvorsteher zu Vicente und brachte ihm eine Zeitung aus Oporto. Es war ein schlecht gedrucktes Blatt, und Vicente war verwirrt davon. »Ich habe nie vom Diario do Oporto gehört«, sagte er zu Sharpe, »und es ist dummes Zeug.«
»Dummes Zeug?«
»Darin steht, dass Soult sich zum König von Nord-Lusitania erklären soll! Es heißt, dass es viele Portugiesen gibt, die das unterstützen. Wer? Und warum sollten sie das?«
»Die Franzosen haben die Zeitung drucken lassen«, vermutete Sharpe, dem es ein Rätsel war, weshalb die Franzosen ihn in Frieden ließen.
Der Arzt, der vorbeikam, um nach Hagman zu sehen, vermutete, dass Marschall Soult seine Truppen in Bereitschaft sammelte, um im Süden zuzuschlagen, und er keine Männer in kleinen Scharmützeln in den nördlichen Bergen aufs Spiel setzen wollte. »Wenn er ganz Portugal unterworfen hat«, sagte der Arzt, »dann wird er euch rauswerfen.« Er rümpfte die Nase, als er den stinkenden Verband von Hagmans Brust anhob, doch dann schüttelte er erstaunt den Kopf, denn die Wunde war sauber. Hagman atmete leichter, er konnte sich jetzt im Bett aufsetzen und aß besser.
Vicente verließ das Landhaus der Savages am nächsten Tag. Der Arzt hatte die Nachricht gebracht, dass General Silveiras Armee in Amarante die Brücke über den Tamega tapfer verteidigte, und er hielt es für seine Pflicht, bei dieser Verteidigung zu helfen. Doch drei Tage später kehrte er zurück, weil zu viele Dragoner im Gebiet zwischen Vila Real de Zedes und Amarante patrouillierten. Sein Scheitern deprimierte ihn. »Ich habe nur meine Zeit verschwendet«, bekannte er Sharpe.
»Wie gut sind Ihre Männer?«, fragte Sharpe.
Die Frage verwirrte Vicente. »Gut? So gut wie jede, nehme ich an.«
»Sind sie das wirklich?«, fragte Sharpe.
An diesem Nachmittag ließ er jeden Mann, britische Schützen und Portugiesen, drei Patronen pro Minute von den portugiesischen Musketen abfeuern. Er tat es vor dem Haus und stimmte die Schüsse zeitlich mit der großen Standuhr ab.
Feldwebel Maredo war der einzige Mann außer Sharpe, der seine drei Schüsse in fünfundvierzig Sekunden feuerte. Fünfzehn der Schützen und zwölf der Portugiesen schafften einen Schuss alle zwanzig Sekunden, aber der Rest war langsamer, und so ließen Sharpe und Vicente die Männer üben. Williamson, einer der Schützen, die gescheitert waren, grollte, dass es blöde sei, ihn als Schütze üben zu lassen, mit einer Muskete mit glattem Lauf zu feuern. Er sagte es so laut, dass alle es hören konnten, wohl in der Erwartung, dass Sharpe es ignorieren würde, dann ärgerte er sich, als Sharpe ihn aus dem Glied wegtreten ließ.
»Sie haben eine Beschwerde?«, fragte Sharpe scharf.
»Nein, Sir.« Williamson blickte mit mürrischer Miene an Sharpe vorbei.
»Sehen Sie mich an«, sagte Sharpe. Williamson gehorchte verdrossen. »Der Grund, weshalb Sie lernen, eine Muskete wie ein richtiger Soldat abzufeuern, ist folgender: Ich will nicht, dass die Portugiesen sich für minderwertiger halten und denken, wir sehen auf sie hinab.« Williamson wirkte immer noch verdrossen. »Und außerdem«, fuhr Sharpe fort, »sind wir Meilen hinter den feindlichen Linien gestrandet, und was geschieht, wenn Ihr Gewehr bricht? Und es gibt noch einen Grund.«
»Welchen, Sir?«, fragte Williamson.
»Wenn Sie es nicht verdammt tun«, sagte Sharpe, »dann lasse ich Sie üben und üben, bis Sie den Strafdienst satthaben und nur noch wünschen, mich zu erschießen, um mich loszuwerden.«
Williamson starrte Sharpe an, und seine Miene verriet, dass er nichts lieber täte, als auf ihn zu schießen, aber Sharpe sah ihm in die Augen, bis Williamson dem Blick nicht mehr standhalten konnte und wegsah. »Uns wird die Munition ausgehen«, sagte er mürrisch, und damit hatte er vermutlich sogar recht, doch Sharpe löste das Problem, indem er Kate Savage bat, die Waffenkammer ihres Vaters aufzuschließen. Er fand ein Fass Pulver und eine Kugelgussform, und so konnte er seine Männer mit Seiten von Gebetbüchern aus der Bibliothek neue Patronen herstellen lassen. Die Kugeln waren zu klein, aber gut genug zum Üben, und drei Tage lang feuerten die Männer mit Musketen und Gewehren über den Zufahrtsweg. Die Franzosen mussten das Knallen in den Hügeln hören und den Pulverrauch über Vila Real de Zedes sehen, doch sie kamen nicht. Ebenso wenig ließ sich Christopher blicken.
»Aber die Franzosen werden kommen«, sagte Sharpe eines Nachmittags zu Harper, als sie den Hügel hinter dem Haus erkletterten.
»Wahrscheinlich«, meinte der große Ire.
»Und sie werden uns in Scheiben schneiden«, sagte Sharpe.
Harper zuckte bei dieser pessimistischen Meinung mit den Schultern. Dann runzelte er die Stirn. »Wie weit klettern wir noch?«
»Bis zur Kuppe«, sagte Sharpe. Er hatte Harper zwischen den Bäumen hindurchgeführt, und jetzt waren sie auf dem felsigen Hang, der zu dem alten Wachturm auf dem Gipfel führte. »Du warst noch nie hier oben, nicht wahr?«
»Ich bin in Donegal aufgewachsen«, sagte Harper, »und da haben wir eines gelernt: Geh nie auf einen Berggipfel.«
»Warum nicht?«
»Weil alles Wertvolle längst runtergerollt ist, Sir, und man außer Atem ist und feststellt, dass dort nichts zu holen ist. Mein Gott, man kann von hier aus fast bis in den Himmel hinaufsehen.«
Der Weg wurde immer steiler, bis nur eine Ziege auf dem trügerischen Geröll auf dem Pfad bis zum alten Wachturm richtig Halt gefunden hätte. »Wir werden hier oben eine Festung errichten«, sagte Sharpe begeistert.
»Gott bewahre uns!«, sagte Harper.
»Wir werden faul, Pat, weich, müßig. Das ist nicht gut.«
»Aber warum sollen wir hier eine Festung errichten?«, fragte Harper. »Es ist bereits eine. Der Teufel selbst könnte diesen Hügel nicht einnehmen, wenn er verteidigt wird.«
»Es führen zwei Wege hier rauf«, sagte Sharpe. »Der Pfad, auf dem wir heraufgeklettert sind, und ein anderer auf der Südseite. Ich will Wälle auf jedem Pfad haben, Steinwälle, Pat, hoch genug, sodass ein Mann dahinterstehen und hinüberfeuern kann. Es gibt hier oben genügend Steine für die Wälle.«
Sharpe führte Harper durch den gewölbten Torweg des halb eingefallenen Turms und zeigte ihm, dass das alte Gemäuer in einer natürlichen Vertiefung auf dem Gipfel des Hügels errichtet worden war und wie der nach und nach zusamengefallene Turm die Vertiefung mit Steinen gefüllt hatte.
Harper spähte in das Loch hinab. »Sie wollen, dass wir mit all diesen Trümmerstücken Wälle bauen?« Die Frage klang entsetzt.
»Ich habe mit Kate Savage über die Ruine dieses Turms gesprochen«, sagte Sharpe. »Dieser alte Turm wurde vor Hunderten von Jahren errichtet, Pat, als die Mauren noch hier waren. Sie töteten damals Christen, und der König ließ den Wachturm bauen, damit die Wächter das Nahen der Mauren rechtzeitig melden konnten.«
»Das war vernünftig«, sagte Harper.
»Und Kate hat gesagt, dass die Leute in den Tälern ihre Wertsachen hier raufgebracht haben. Münzen, Schmuck, Gold. Alles hier rauf, Pat, damit die heidnischen Bastarde es sich nicht unter den Nagel reißen konnten. Und dann gab es ein Erdbeben, und der Turm stürzte ein. Die Einheimischen sind davon überzeugt, dass noch heute die Schätze unter diesen Steintrümmern liegen.«
Harper blickte skeptisch drein. »Und warum hat man sie nicht geborgen, Sir? Die Dorfbewohner kommen mir nicht wie Vollidioten vor. Maria und Joseph, wenn ich wüsste, dass ein Schatz auf einem Hügel nur auf das Ausgraben wartet, würde ich meine Zeit nicht mit Pflug und Egge verplempern.«
»Da hast du recht«, sagte Sharpe. Er hatte die Geschichte auf dem Weg herauf erfunden und angestrengt nach einer Antwort auf Harpers zu erwartende Zweifel gesucht. »Weißt du, da ist ein Kind mit dem Gold verschüttet worden, und die Legende sagt, dass das Kind das Haus eines jeden verfluchen wird, der seine Gebeine ausgräbt. Natürlich nur die Häuser der Einheimischen«, fügte er hastig hinzu.
Harper rümpfte die Nase über diese Legende, dann blickte er den Pfad hinunter. »Sie wollen hier also eine Festung bauen?«
»Und wir brauchen Fässer mit Wasser hier oben«, sagte Sharpe. Das war eine Schwachstelle des Gipfels - kein Wasser. Wenn die Franzosen kamen und er sich auf die Hügelkuppe zurückziehen musste, wollte er nicht vor Durst kapitulieren müssen. »Miss Savage ...«, sie war immer noch nicht Mrs Christopher für ihn, »... wird Fässer für uns haben.«
»Hier raufschaffen? In die Sonne? Das Wasser wird ungenießbar werden«, gab Harper zu bedenken.
»Ein Spritzer Brandy in jedes Fass«, sagte Sharpe und erinnerte sich an seine Reise nach Indien und zurück. Da hatte das Wasser schwach nach Rum geschmeckt. »Ich werde den Brandy auftreiben.«
»Und Sie erwarten wirklich von mir, dass ich glaube, es gibt Gold unter diesen Steinen, Sir?«
»Nein«, gab Sharpe zu, »aber ich möchte, dass mindestens die Hälfte der Männer es glaubt. Es wird harte Arbeit, hier Wälle zu errichten, Pat, und Träume von einem Schatz können nicht schaden.«
So errichteten sie die Festung und fanden nie Gold, doch im Sonnenschein des Frühlings bauten sie die Hügelkuppe zu einer Schanze aus, hinter der eine Hand voll Infanteristen bei einer Belagerung alt werden konnte. Die alten Erbauer hatten nicht nur den höchsten Punkt in meilenweitem Umkreis für ihren Wachturm ausgewählt, der Platz war auch leicht zu verteidigen. Angreifer konnten sich nur von Norden oder Süden nähern, und in beiden Fällen würden sie ihren Weg über schmale Pfade wählen müssen. Sharpe, der eines Tages den südlichen Pfad erkundete, fand eine verrostete Speerspitze unter einem Stein, und er nahm sie mit auf den Gipfel und zeigte sie Kate. Sie hielt die Speerspitze in den Schatten unter ihrem breiten Strohhut und drehte sie hin und her. »Sie ist vermutlich nicht sehr alt«, sagte sie.
»Ich hatte gedacht, sie könnte einen Mauren verwundet haben.«
»Man benutzte zur Zeit meines Großvaters immer noch Pfeil und Bogen«, sagte sie.
»Da war Ihre schon Familie hier?«
»Die Geschichte der Savages begann in Portugal im Jahre 1711«, sagte sie stolz. Sie hatte nach Nordwesten, in Richtung Oporto geschaut, und Sharpe wusste, dass sie in der Hoffnung, einen Reiter zu sehen, die Straße beobachtet hatte. Die vergangenen Tage hatten weder ein Anzeichen auf ihren Mann noch einen Brief von ihm gebracht. Die Franzosen waren ebenfalls nicht aufgetaucht, doch Sharpe wusste, dass sie seine Männer auf dem Gipfel gesehen hatten, als sie Steine für die Wälle aufeinandergeschichtet und Wasserfässer über den Pfad hinaufgeschleppt und in der leer geräumten Vertiefung unter dem Wachturm verstaut hatten. Die Männer grollten, weil sie das Gefühl hatten, zu Maultieren degradiert worden zu sein. Einige, ermuntert durch Williamson, beschwerten sich, dass sie ihre Zeit vergeudeten, dass sie lieber diesen gottverdammten Hügel mit seiner Turmruine verlassen und einen Weg nach Süden zur Armee gesucht hätten, und Sharpe nahm an, dass sie vermutlich recht hatten, aber er hatte seine Befehle, und so blieb er.
»Ich sage euch«, hetzte Williamson bei seinen Kameraden, »es geht ihm um das verdammte Weib. Wir schuften mit den Steinen, und Sharpe pimpert die Frau des Colonels.« Und wenn Sharpe diese Meinung gehört hätte, dann hätte er ihr vielleicht ebenfalls zugestimmt, auch wenn er Kate nicht »pimperte«. Er erfreute sich ihrer Gesellschaft und war entschlossen - Befehl oder nicht - sie vor den Franzosen zu beschützen.
Doch die Franzosen kamen nicht, und Colonel Christopher ließ sich ebenfalls nicht blicken. Stattdessen kam Manuel Lopes.
Er traf auf einem Rappen ein, galoppierte den Zufahrtsweg hinauf und zügelte den Hengst dann so schnell, dass selbst ein erfahrener Reiter hätte abgeworfen werden können, doch er blieb im Sattel und behielt die Kontrolle. Er beruhigte den scheuenden Hengst und grinste Sharpe an.
»Sie sind der Engländer«, sagte er auf Englisch, »und ich hasse die Engländer, aber nicht so sehr, wie ich die Spanier hasse, und ich hasse die Spanier weniger als die Franzosen.« Er glitt aus dem Sattel und streckte Sharpe die Hand hin. »Ich bin Manuel Lopes.«
»Sharpe.«
Lopes blickte zum Haus wie ein Mann, der es zum Plündern abschätzte. Er war etwas kleiner als Sharpe, wirkte jedoch größer. Er war ein massiger Mann, jedoch nicht fett, mit markantem Gesicht, lebhaften Augen und einem scharfen Lächeln. Er führte die Partisanen an, die den Franzosen das Leben so schwer machten. »Wenn ich ein Spanier wäre, und ich danke dem Allmächtigen jeden Tag, dass ich keiner bin, würde ich mir einen dramatischen Namen geben, vielleicht ›Manuel der Schlächter‹ oder ›Schweinekiller‹ oder ›Prinz des Todes‹, aber ich bin ein demütiger Bürger Portugals, und so ist mein Spitzname ›Der Schullehrer‹.«
»Der Schullehrer«, wiederholte Sharpe.
»Weil ich genau das war«, sagte Lopes. »Ich leitete eine Schule in Braganza, wo ich undankbaren kleinen Hüpfern Englisch, Latein, Griechisch, Algebra, Rhetorik und Reitkunst beibrachte. Ich lehrte sie auch, Gott zu lieben, den König zu ehren und allen Spaniern ins Gesicht zu furzen. Und jetzt, anstatt meinen Atem zu verschwenden, töte ich Franzosen.« Er machte eine übertriebene Verbeugung. »Ich bin berühmt dafür.«
»Ich habe noch nie von Ihnen gehört«, sagte Sharpe.
Lopes lächelte. »Die Franzosen haben von mir gehört, senhor, und ich habe von Ihnen gehört. Wer ist der Engländer, der in Sicherheit nördlich des Douro lebt? Warum lassen ihn die Franzosen in Frieden? Wo ist der portugiesische Offizier, der in seinem Schatten lebt? Warum sind sie hier? Warum errichten sie eine Spielzeugfestung auf dem Wachturm-Hügel? Warum kämpfen sie nicht?«
»Gute Fragen«, sagte Sharpe trocken.
Lopes blickte wieder zum Haus. »Überall sonst in Portugal, wo die Franzosen ihren Mist hinterlassen haben, waren Orte wie dieser zerstört. Sie haben die Gemälde geklaut, die Möbel zerschlagen und die Weinkeller leer gesoffen. Doch der Krieg ist nicht zu diesem Haus gekommen.« Er drehte sich und starrte den Zufahrtsweg hinab, wo zwanzig oder dreißig Mann aufgetaucht waren. »Meine Schüler«, erklärte er. »Sie brauchen eine Rast.«
Die »Schüler« waren seine Männer, die Partisanen-Bande, mit der Lopes die französischen Kolonnen aus dem Hinterhalt überfallen hatte, die Munition zu den Kanonieren brachten, die gegen die Portugiesen kämpften, die immer noch die Brücke von Amarante hielten. Der Schullehrer hatte einige gute Männer in den Kämpfen verloren und gab zu, dass ihn seine frühen Erfolge zu selbstsicher gemacht hatten, sodass französische Dragoner vor zwei Tagen seine Männer in offenem Terrain überrascht hatten.
»Ich hasse diese grünen Bastarde«, grollte Lopes, »hasse sie und ihre großen Schwerter.« Fast die Hälfte seiner Männer war getötet worden. Der Rest hatte Glück gehabt und war entkommen. »So habe ich sie hergebracht«, sagte Lopes, »damit sie sich erholen, und weil die Quinta do Zedes anscheinend ein sicherer Hafen ist.«
Kate rebellierte, als sie hörte, dass Lopes und seine Männer im Haus bleiben wollten. »Sagen Sie ihm, er soll seine Männer ins Dorf bringen«, bat sie Sharpe.
Lopes lachte. »Ihr Vater war ebenfalls ein großkotziger Bastard«, sagte er.
»Sie kannten ihn?«
»Ja, ich kannte ihn. Er machte Portwein, trank ihn jedoch nicht wegen seines blöden Glaubens, und er nahm den Hut nicht ab, wenn die Sakramente vorbeigetragen wurden. Was ist das nur für ein Mann? Selbst ein Spanier ehrt die heiligen Sakramente.« Lopes zuckte mit den Schultern. »Meine Männer werden im Dorf glücklich sein. Wir werden ohnehin nur so lange bleiben, bis die schlimmsten Wunden verheilt sind. Dann werden wir wieder kämpfen.«
»Wir auch.«
»Sie?« Der Schullehrer war belustigt. »Sie haben doch bis jetzt nicht gekämpft.«
»Colonel Christopher hat mir befohlen, hierzubleiben.«
»Colonel Christopher?«
»Dies ist das Haus seiner Frau«, sagte Sharpe.
»Ich wusste nicht, dass er verheiratet ist.«
»Sie kennen ihn?«
»Er besuchte mich in Braganza. Zu diesem Zeitpunkt besaß ich noch die Schule und hatte den Ruf eines Mannes mit Einfluss. Bei seinem Besuch wollte er wissen, was die Leute davon halten, gegen die Franzosen zu kämpfen. Ich sagte ihm, dass die Leute die Franzosen lieber in ihrer eigenen Pisse ersäufen würden, aber wenn das nicht geht, würden sie stattdessen kämpfen. Also tun wir das.« Lopes legte eine Pause ein. »Ich hörte auch, dass der Colonel jedem Geld gibt, der bereit ist, gegen die Franzosen zu kämpfen, doch wir haben nie welches gesehen.« Er blickte wieder zum Haus. »Und die Quinta gehört seiner Frau? Und für die Franzosen ist dieses Haus tabu?«
»Colonel Christopher«, sagte Sharpe, »spricht mit den Franzosen, und im Augenblick ist er südlich des Douro und hat einen Franzosen mitgenommen, um mit dem britischen General zu sprechen.«
Lopes starrte Sharpe einen Moment an. »Warum würde ein französischer Offizier mit einem Briten sprechen?«, fragte er, wartete auf Sharpes Antwort und gab sie sich selbst, als der Schütze schwieg. »Nur aus einem Grund: um Frieden zu schließen. Britannien wird sich davonmachen und uns leiden lassen.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Sharpe.
»Wir werden sie schlagen, mit euch oder ohne euch«, sagte Lopes ärgerlich und schritt hinunter zum Zufahrtsweg. Er befahl seinen Männern, ihm sein Pferd zu bringen, das Gepäck aufzunehmen und ihm ins Dorf zu folgen.
Nach dem Gespräch mit Lopes fühlte sich Sharpe noch schuldiger. Andere Männer kämpften, während er und seine Männer herumgammelten.
An diesem Abend, nach dem Abendessen, bat er Kate um ein Gespräch. Es war spät, und Kate hatte die Diener in die Küche zurückgeschickt. Sharpe wartete darauf, dass sie die Köchin zurückrief, damit sie als Anstandsdame fungierte, doch stattdessen führte sie ihn in den Salon. Es war dunkel, denn keine Kerzen waren angezündet. Kate ging zu einem der Fenster und zog den Vorhang zurück, um den blassen Mondschein hereinzulassen. Silbernes Licht fiel auf die Glyzinen. Die Stiefelschritte eines Postens knirschten auf dem Zufahrtsweg.
»Ich weiß, was Sie mir sagen werden«, sagte Kate. »Sie halten es für an der Zeit, zu gehen.«
»Ja«, sagte Sharpe, »und ich meine, Sie sollten mit uns kommen.«
»Ich muss auf James warten«, sagte Kate. Sie ging zu einem Anrichtetisch und schenkte im Schein des Mondes Portwein in ein Glas. »Für Sie«, sagte sie.
»Was hat der Colonel gesagt, wie lange er wegbleiben würde?«, fragte Sharpe.
»Eine Woche, höchstens zehn Tage.«
»Er ist jetzt über zwei Wochen weg, fast drei«, sagte Sharpe.
»Er hat Ihnen befohlen, hierzubleiben und auf seine Rückkehr zu warten.«
»Nicht bis in alle Ewigkeit«, erwiderte Sharpe. Er ging zum Anrichtetisch und nahm den Portwein, den besten der Savages.
»Sie können mich nicht hier zurücklassen«, sagte Kate.
»Das habe ich auch nicht vor.« Der Mondschein zauberte Schatten auf ihr schönes Gesicht und glänzte in ihren Augen. Er verspürte Eifersucht auf Colonel Christopher. »Ich finde, Sie sollten mitkommen.«
»Nein«, sagte Kate mit einer Spur Gereiztheit und sah ihn bittend an. »Sie können mich nicht hier allein lassen!«
»Ich bin Soldat«, sagte Sharpe, »und ich habe lange genug gewartet. Es soll in diesem Land ein Krieg im Gange sein, und ich sitze hier nur herum wie ein Tagedieb.«
Kate hatte auf einmal Tränen in den Augen. »Was mag ihm passiert sein?«
»Vielleicht hat er neue Befehle in Lissabon erhalten.«
»Warum schreibt er dann nicht?«
»Weil wir jetzt in feindlichem Gebiet sind, Ma'am«, sagte Sharpe, »und er vielleicht keine Botschaft zu uns schicken kann.« Das ist unwahrscheinlich, dachte Sharpe, denn Christopher hat anscheinend viele Freunde unter den Franzosen. Vielleicht war der Colonel in Lissabon gefangen genommen worden. Oder er war möglicherweise von Partisanen getötet worden. »Vermutlich wartet er darauf, dass Sie ihm nach Süden folgen«, sagte er, anstatt seine Gedanken auszusprechen.
»Dann würde er eine Botschaft schicken«, wandte Kate ein. »Sicherlich ist er auf dem Rückweg.«
»Sind Sie sich dessen sicher?«
Sie setzte sich auf einen Stuhl beim Fenster und starrte hinaus. »Er muss zurückkommen«, sagte sie leise, und ihr Tonfall verriet, dass sie in Wirklichkeit die Hoffnung schon aufgegeben hatte.
»Wenn Sie glauben, dass er zurückkommt, dann müssen Sie auf ihn warten«, sagte er. »Aber ich marschiere mit meinen Männern nach Süden. Wir marschieren in der Dunkelheit südwärts bis zum Fluss und suchen an seinem Ufer nach einem Boot, ganz gleich, welches. Sogar ein Baumstamm würde reichen, alles, was schwimmen und meine Männer über den Douro tragen kann.«
»Wissen Sie, weshalb ich ihn geheiratet habe?«, fragte Kate plötzlich.
Sharpe war so erstaunt von der Frage, dass er keine Antwort gab. Er starrte sie nur an.
»Ich habe ihn geheiratet«, sagte Kate, »weil das Leben in Oporto so langweilig ist. Meine Mutter und ich leben in dem großen Haus auf dem Hügel, und die Anwälte sagen uns, was in den Weingärten und dem Sommerhaus geschieht. Die anderen Damen kommen zum Tee, und an den Sonntagen gehen wir in die englische Kirche, das ist alles, was jemals geschieht.«
Sharpe hatte immer noch nichts gesagt. Er war verlegen.
»Sie denken, er hat mich wegen des Geldes geheiratet, nicht wahr?«, fragte Kate.
»Meinen Sie das nicht auch?«
Sie starrte ihn schweigend an, und er glaubte fast, dass sie ärgerlich war, doch stattdessen schüttelte sie den Kopf und seufzte. »Das wage ich nicht zu glauben«, sagte sie. »Obwohl ich glaube, dass die Ehe ein Spiel ist, bei dem wir nicht wissen, was daraus wird, aber wir hoffen einfach. Wir heiraten hoffend, Mister Sharpe, und manchmal haben wir Glück. Finden Sie das nicht auch?«
»Ich habe nie geheiratet«, wich Sharpe der Antwort aus.
»Hätten Sie es denn gewollt?«, fragte Kate.
»Ja«, sagte Sharpe und dachte an Grace.
»Was hat es verhindert?«
»Sie war Witwe«, sagte Sharpe, »und die Anwälte schlugen Kapital aus dem Testament ihres Ehemanns, und wir dachten, wenn wir heiraten, würde das die Dinge nur komplizieren. Das sagten ihre Anwälte. Ich hasse Anwälte.« Er hörte mit dem Reden auf, denn die Erinnerungen schmerzten ihn wie immer. Er trank den Portwein aus, um seine Gefühle zu verbergen, dann trat er ans Fenster und blickte auf den vom Mondschein erhellten Weg, der zu den nördlichen Hügeln führte, über denen der Rauch der Feuer des Dorfes zu den Sternen emporstieg. »Und dann starb sie«, endete er abrupt.
»Das tut mir leid«, sagte Kate leise.
»Und ich hoffe, es wird gut für Sie ausgehen«, sagte Sharpe.
»Wirklich?«
»Natürlich.« Er wandte sich ihr zu, und er war ihr so nahe, dass sie den Kopf zurücklegen musste, um ihm in die Augen zu sehen. »Was ich wirklich hoffe, ist dies«, sagte er und neigte sich vor, um sie sanft auf die Lippen zu küssen. Für einen Moment versteifte sie sich, doch dann ließ sie sich küssen, und als er den Kuss beendete, senkte sie den Kopf, und er wusste, dass sie weinte. »Ich hoffe, du wirst glücklich«, sagte er.
Kate schaute nicht auf. »Ich muss das Haus verschließen«, sagte sie, und Sharpe wusste, dass er verabschiedet war.
Am nächsten Tag ließ er seine Männer alles für den Abmarsch vorbereiten. Es waren Stiefel zu reparieren und Tornister und Brotbeutel mit Proviant zu bestücken. Sharpe vergewisserte sich, dass alle Waffen gereinigt wurden, dass die Feuersteine neu und die Patronentaschen gefüllt waren. Harper erschoss zwei der erbeuteten Dragoner-Pferde und zerteilte sie in Fleischportionen, die getragen werden konnten. Dann setzte er Hagman auf ein anderes der Pferde und sorgte dafür, dass er in der Lage sein würde, ohne zu viele Schmerzen darauf zu reiten. Sharpe sagte Kate, dass sie ein anderes Pferd reiten musste, und sie protestierte, sagte, sie könne nicht ohne Anstandsdame reisen. Sharpe stellte sie vor die Wahl: »Entweder bleiben oder reiten, Ma'am, aber wir marschieren heute Abend los.«
»Sie können mich nicht verlassen«, sagte Kate ärgerlich, als hätte er sie nicht geküsst und sie hätte es nicht zugelassen.
»Ich bin Soldat, Ma'am«, sagte Sharpe, »und ich gehe heute Abend weg.«
Und dann ging er doch nicht, weil in der Abenddämmerung Colonel Christopher zurückkehrte. Der Colonel saß auf einem Rappen und war ganz in Schwarz gekleidet. Dodd und Pendleton waren die Posten auf dem Zufahrtsweg zur Quinta und als sie vor Christopher salutierten, berührte er nur knapp mit seiner Reitgerte den Rand seines Zweispitzes und trieb sein Pferd weiter. Luis, der Diener, folgte ihm, und der Staub ihrer Pferde verwehte über den Glyzinen zu beiden Seiten des Weges.
»Sieht aus wie Lavendel, nicht wahr?«, sagte Christopher zu Sharpe. »Sie sollten versuchen, hier Lavendel anzupflanzen«, fuhr er fort, als er vom Rappen glitt. »Das würde gut aussehen, meinen Sie nicht auch?« Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern lief die Treppe zum Haus hoch und breitete die Arme für Kate aus. »Meine Süße!«
Sharpe, auf der Terrasse zurückgelassen, schaute Luis an. Der Diener hob eine Augenbraue, als sei ihm das Gehabe seines Herrn peinlich, dann führte er die Pferde zum Stall. Sharpe blickte über die dunkler werdenden Felder. Jetzt beim Sonnenuntergang war es schneidend kalt geworden. »Sharpe!«, ertönte die Stimme des Colonels aus dem Haus. »Sharpe!«
»Sir?« Sharpe schob sich durch die halb offene Tür ins Haus.
Christopher stand vor dem Feuer in der Halle, die Schöße seines Rocks zur Hitze hin angehoben. »Kate sagt mir, dass Sie sich anständig benommen haben. Dafür vielen Dank.« Er sah Sharpes finstere Miene. »War ein Scherz, Mann, nur ein Scherz. Haben Sie keinen Humor? Kate, Liebstes, ein Glas anständiger Portwein wäre mir äußerst willkommen, ich bin am Verdursten. Na, Sharpe, keine französischen Aktivitäten?«
»Sie kamen nahe«, sagte Sharpe, »aber nicht nahe genug.«
»Nicht nahe genug? Da hatten Sie Glück, finde ich. Kate sagte mir, Sie wollten aufbrechen?«
»Heute Abend, Sir.«
»Nein, das werden Sie nicht.« Christopher nahm das Glas Portwein von Kate entgegen und leerte es auf einen Zug. »Köstlich«, sagte er und schaute auf das leere Glas. »Einer von euren?«
»Unser bester.«
»Nicht zu süß. Das ist das Besondere an erlesenen Portweinen, finden Sie nicht auch, Sharpe? Und ich muss sagen, ich war überrascht von dem weißen Portwein. Mehr als trinkbar! Ich dachte immer, das Zeug wäre abscheulich, allenfalls etwas für Frauen, aber der Savage-Weiße ist wirklich sehr gut. Wir müssen mehr davon in Friedenszeiten machen, meinst du nicht auch, Liebste?«
»Wenn du es sagst.« Kate lächelte ihren Ehemann an.
»Sie blicken so ernst drein, Sharpe. Warum lächeln Sie nicht mal?« Christopher wartete anscheinend auf eine Antwort, als aber keine kam, verfinsterte sich seine Miene. »Sie werden hierbleiben, Lieutenant.«
»Warum, Sir?«
Die Frage überraschte Christopher. Er hatte eine mürrische, protestierende Antwort erwartet und war nicht auf eine sanfte Frage vorbereitet. Er überlegte, welche Worte er daraufhin wählen sollte. »Ich erwarte gewisse Entwicklungen, Sharpe«, sagte er schließlich.
»Entwicklungen, Sir?«
»Es ist keinesfalls sicher, dass der Krieg andauern wird«, fuhr Christopher fort. »Wir könnten sozusagen kurz vor dem Frieden stehen.«
»Das ist gut, Sir«, sagte Sharpe in ruhigem Tonfall. »Und deshalb sollen wir hierbleiben?«
»Sie bleiben hier, Sharpe.« Jetzt klang Christophers Stimme scharf, denn er ahnte, dass Sharpes gleichmütiger Tonfall sarkastisch gewesen war. »Und das schließt Sie ein, Leutnant.« Er sagte dies zu Vicente, der mit einer kleinen Verneigung vor Kate hinzugekommen war. »Die Dinge sind heikel«, fuhr der Colonel fort. »Wenn die Franzosen britische Soldaten nördlich des Douro herummarschieren sehen, werden sie denken, wir brechen unser Wort.«
»Meine Soldaten sind nicht britisch«, bemerkte Vicente ruhig.
»Das ist im Prinzip das Gleiche!«, blaffte Christopher. »Wir gefährden nicht wochenlange Verhandlungen. Wenn die Sache nicht ohne weiteres Blutvergießen gelöst werden kann, dann müssen wir alles tun, um das Klima zu entspannen, und unser Beitrag besteht darin, hierzubleiben. Und wer, zum Teufel, sind diese Schurken unten im Dorf?«
»Schurken?«, fragte Sharpe.
»Eine Hand voll Männer, bewaffnet bis an die Zähne, hat mich angestarrt, als ich durchs Dorf ritt. Also wer, zum Teufel, ist das?«
»Das sind Partisanen«, sagte Sharpe. »Auch bekannt als unsere Verbündeten.«
Sharpes spöttischer Tonfall missfiel Christopher. »Idioten sind sie, bereit, all unsere Pläne über den Haufen zu werfen.«
»Und Sie kennen ihren Anführer«, fuhr Sharpe fort, »Manuel Lopes.«
»Lopes? Lopes?« Christopher runzelte die Stirn und kramte in seiner Erinnerung. »Oh ja. Der Typ, der eine Schule für die Söhne der Oberschicht in Braganza betrieb. Ein Großmaul. Ich werde am Morgen mit ihm sprechen und ihm sagen, dass er keinen Wirbel machen soll. Und das Gleiche gilt für Sie beide. Und das ...«, er blickte von Sharpe zu Vicente, »... ist ein Befehl!«
Sharpe sagte nichts dazu. »Haben Sie eine Antwort auf meinen Brief von Captain Hogan mitgebracht?«, fragte er stattdessen.
»Ich habe Hogan nicht gesehen. Habe Ihren Brief in Cradocks Hauptquartier gelassen.«
»Und General Wellesley ist nicht dort?«, fragte Sharpe.
»Nein, das ist er nicht«, sagte Christopher, »aber General Cradock hat das Kommando, und er stimmt mit meiner Entscheidung überein, dass Sie hierbleiben.« Der Colonel sah Sharpes finstere Miene, öffnete einen Beutel an seinem Gurt und entnahm ihm ein Schriftstück, das er Sharpe überreichte. »Da, Lieutenant, falls Sie Zweifel haben.«
Sharpe entfaltete das Papier, das sich als ein Befehl von General Cradock erwies und an Lieutenant Sharpe adressiert war und ihn Colonel Christophers Kommando unterstellte. Christopher hatte Cradock den Befehl praktisch abgeluchst, denn der General hatte geglaubt, dass der Colonel Schutz brauchte, doch in Wirklichkeit amüsierte es Christopher, Sharpe unter seinem Kommando zu haben. Der Befehl endete mit den Worten »pro tem«, womit Sharpe nichts anfangen konnte. »Pro tem, Sir?«
»Sie haben nie Latein gelernt, Sharpe?«
»Nein, Sir.«
»Guter Gott, wo sind Sie zur Schule gegangen? Es bedeutet ›bis auf Weiteres‹. Bis ich Sie nicht mehr brauche. Stimmen Sie zu, dass Sie jetzt unter meinem Befehl stehen?«
»Selbstverständlich, Sir.«
»Behalten Sie das Papier, Sharpe«, sagte Christopher gereizt, als Sharpe es ihm zurückgeben wollte. »Es ist an Sie adressiert, und wenn Sie es dann und wann lesen, wird es Sie an Ihre Pflicht erinnern. Was zum Beispiel heißt, meine Befehle zu befolgen und hierzubleiben. Wenn es einen Waffenstillstand gibt, dann wird es unserer Verhandlungsposition nicht schaden, wenn wir Soldaten nördlich des Douro stationieren, also bleiben Sie vorerst hier und halten Sie sich bedeckt. Und jetzt entschuldigen Sie mich, Gentlemen, ich möchte etwas Zeit mit meiner Frau verbringen.«
Vicente verneigte sich wieder und ging, doch Sharpe regte sich nicht. »Werden Sie hier bei uns bleiben, Sir?«
»Nein.« Bei der Frage fühlte sich Christopher sichtlich unbehaglich, aber er zwang sich zu einem Lächeln. Er wandte sich Kate zu. »Du und ich, meine Liebste, wir werden zum Haus Beautiful zurückkehren.«
»Sie gehen nach Oporto?« Sharpe war erstaunt.
»Ich habe Ihnen gesagt, Sharpe, dass sich die Dinge verändern. Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Sie sich vorstellen können. Also, gute Nacht, Lieutenant.«
Sharpe verließ das Haus und ging zum Zufahrtsweg, wo Vicente an der niedrigen Mauer mit Blick auf das Tal stand. Der portugiesische Leutnant starrte zum fast dunklen Himmel empor, der von den ersten Sternen gesprenkelt war. Er bot Sharpe eine Zigarre an und gab ihm dann mit seiner eigenen Feuer.
»Ich habe mit Luis gesprochen«, sagte er.
»Und?« Sharpe rauchte selten, und der scharfe Rauch ließ ihn husten.
»Christopher ist fünf Tage nördlich des Douro gewesen. Er war in Oporto und hat mit den Franzosen gesprochen.«
»Aber er ritt auch nach Süden?«
Vicente nickte. »Sie ritten nach Coimbra, trafen General Cradock und kehrten dann um. Hauptmann Argenton kehrte mit ihm nach Oporto zurück.«
»Was, zum Teufel, geht da vor?«
Vicente blies Rauch zum Mond. »Vielleicht schließen sie Frieden. Luis weiß nicht, worüber sie gesprochen haben.«
Vielleicht war es um Frieden gegangen. Nach den Schlachten bei Rolica und Vimeiro und nachdem die besiegten Franzosen britische Schiffe erbeutet hatten, war ein solcher Vertrag geschlossen worden. War nun ein neuer Vertrag ausgehandelt worden? Sharpe wusste jetzt jedenfalls mit Sicherheit, dass Christopher Cradock gesehen hatte, und jetzt hatte er definitiv Befehle, die ihm viel von seiner Unsicherheit nahmen.
Der Colonel brach kurz nach Sonnenaufgang auf. In der Morgendämmerung hatte irgendwo im Norden Musketenfeuer gekracht, und Christopher hatte sich zu Sharpe auf den Zufahrtsweg gesellt und in den Nebel des Tals gestarrt. Sharpe konnte mit seinem Fernrohr nichts erkennen, aber Christopher war beeindruckt von dem Glas. »Wer ist AW?«, fragte er, als er die Inschrift gelesen hatte.
»Jemand, den ich gekannt hatte, Sir.«
»Doch nicht Arthur Wellesley?« Christopher klang belustigt.
»Nur jemand, den ich kannte«, wiederholte Sharpe stur.
»Der Typ muss Sie gemocht haben«, sagte Christopher, »weil es ein verdammt großzügiges Geschenk ist. Haben Sie was dagegen, wenn ich es auf das Dach mitnehme? Von dort könnte ich mehr sehen. Mein eigenes Fernrohr ist ein höllisch kleines Ding.«
Sharpe verlieh das Fernrohr nur ungern, doch Christopher gab ihm keine Möglichkeit, es ihm zu verweigern, sondern ging einfach damit weg. Der Colonel sah offensichtlich nichts, was ihn beunruhigte, und so befahl er Luis, die Kutsche abfahrbereit zu machen und die übrigen Kavalleriepferde, die Sharpe in Barca d'Avintas erbeutet hatte, zu sammeln. »Sie sollten nicht mit der Versorgung von Pferden belastet sein, Sharpe«, sagte er, »so werde ich sie Ihnen abnehmen. Sagen Sie mir, was werden Ihre Männer während des Tages tun?«
»Es gibt nicht viel zu tun«, sagte Sharpe. »Wir trainieren Vicentes Männer.«
»Haben sie es nötig?«
»Sie könnten schneller mit ihren Musketen sein, Sir.«
Christopher holte eine Tasse Kaffee aus dem Haus und blies darauf, um ihn abzukühlen. »Wenn Frieden ist«, sagte Christopher, »können sie wieder Flickschuster sein oder was auch immer sie vor ihrer Soldatenzeit waren, und brauchen nicht in schlecht passenden Uniformen herumlaufen.« Er nippte an seinem Kaffee. »Da wir gerade davon sprechen, Sharpe, es ist an der Zeit, dass auch Sie eine neue Uniform bekommen.«
»Ich werde mit meinem Schneider sprechen«, sagte Sharpe, und dann, bevor Christopher auf seinen spöttischen Tonfall reagieren konnte, stellte er eine ernsthafte Frage. »Meinen Sie, dass es Frieden geben wird, Sir?«
»Einige Franzosen denken, dass Bonaparte mehr abgebissen hat, als er schlucken kann«, sagte Christopher leichthin, »und Spanien ist gewiss ein wenig unverdaulich.«
»Portugal nicht?«
»Portugal ist ein Schlamassel«, sagte Christopher abfällig, »aber Frankreich kann Portugal nicht halten, wenn es Spanien verliert.« Er drehte sich um und beobachtete, wie Luis den Einspänner aus dem Stall führte. »Ich glaube, es liegt die Aussicht auf einen radikalen Wechsel in der Luft«, sagte er. »Und Sie, Sharpe, werden das nicht gefährden. Halten Sie hier eine Woche oder so durch, und ich werde Ihnen mitteilen, wann Sie Ihre Männer nach Süden führen können. Mit etwas Glück werden Sie im Juni daheim sein.«
»Sie meinen zurück bei der Armee?«
»Mit daheim meine ich natürlich England«, sagte Christopher, »Richtiges Ale, Sharpe, Kricket auf dem Artillery Ground, Kirchenglocken, fette Schafe, fromme Pfaffen und sündige Weiber. England eben. Etwas, auf das man sich freuen kann, nicht wahr, Sharpe?«
»Jawohl, Sir«, sagte Sharpe und fragte sich, warum er Christopher am meisten misstraute, wenn der Colonel versuchte, nett zu sein.
»Und es hat ohnehin keinen Sinn, zu versuchen, von hier wegzukommen«, sagte Christopher, »denn die Franzosen haben alle Brücken über den Douro in weitem Umkreis verbrannt, also halten Sie Ihre Jungs aus Schwierigkeiten heraus, und wir werden uns in ein, zwei Wochen wiedersehen ...«, Christopher schüttete den Rest seines Kaffees weg, »... und wenn ich nicht kommen kann, schicke ich eine Botschaft. Ihr Fernrohr habe ich übrigens auf dem Tisch in der Halle abgelegt. Sie haben einen Schlüssel zum Haus, nicht wahr? Halten Sie Ihre Männer aus dem Haus raus, die können ja ins Dorf gehen. Machen Sie's gut, Sharpe.«
»Und Sie auch«, sagte Sharpe. Nachdem er dem Colonel zum Abschied die Hand gegeben hatte, wischte er seine eigene an der Hose ab. Luis schloss das Haus ab, Kate lächelte Sharpe scheu zu, und der Colonel nahm die Zügel des Einspänners. Luis trieb die Dragonerpferde zusammen und folgte dann damit dem Einspänner auf dem Weg nach Vila Real de Zedes.
Harper schlenderte zu Sharpe.
»Wir müssen hierbleiben, während sie Frieden schließen?« Der Ire hatte offenbar gelauscht.
»Das hat der Colonel gesagt.«
»Und denken Sie das auch?«
Sharpe starrte nach Osten, Richtung Spanien. Der Himmel war dort weiß, wolkenlos, aber flimmernd vor Hitze, und dort, fern im Osten, donnerte es wie ein unregelmäßiger Herzschlag, so weit entfernt, dass es kaum zu hören war. Es war Kanonenfeuer, der Beweis, dass Franzosen und Portugiesen immer noch an der Brücke bei Amarante kämpften. »Es riecht nicht nach Frieden für mich, Pat.«
»Die Leute hier hassen die Franzosen, Sir. Und auch die Dons hassen sie.«
»Das heißt aber nicht, dass die Politiker keinen Frieden schließen können«, sagte Sharpe.
»Diese schleimigen Bastarde werden alles tun, um sich reich zu machen«, stimmte Harper zu.
»Aber Captain Hogan hat niemals den Frieden im Wind gerochen«, sagte Sharpe.
»Daran hat er nicht mal gedacht«, meinte Harper.
»Aber wir haben Befehle«, sagte Sharpe, »direkt von General Cradock.«
Harper schnitt eine Grimasse. »Sie sind gut im Befolgen von Befehlen, Sir.«
»Und der General will, dass wir hierbleiben. Gott weiß, warum. Da ist etwas Seltsames im Wind, Pat. Vielleicht ist es Frieden. Gott weiß, was Sie und ich dann tun werden.« Er zuckte mit den Schultern und ging ins Haus, um sein Fernrohr zu holen. Doch auf dem Tisch in der Halle lag nichts außer einem silbernen Brieföffner.
Christopher hatte sein Fernrohr gestohlen. Dieser Bastard!
»Der Name hat mir nie gefallen«, sagte Colonel Christopher. »Es ist nicht mal ein schönes Haus!«
»Mein Vater hat es so benannt«, sagte Kate. »Er fand es schön.«
»Mein Gott, über Geschmack kann man trefflich streiten!« Sie waren wieder in Oporto, wo Colonel Christopher die vernachlässigten Weinkeller des Hauses Beautiful geöffnet und staubige Flaschen von altem Portwein und einige vinho verde - einen fast goldfarbenen Weißwein - entdeckt hatte. Er trank jetzt davon, als er durch den Garten schlenderte. Die Blumen waren erblüht, der Rasen war kürzlich gemäht worden, und das Einzige, was diesen Tag störte, war der Gestank von niedergebrannten Häusern. Es war fast einen Monat her, seit die Stadt gefallen war, und immer noch stieg Gestank aus einigen der Ruinen in der Unterstadt, wo unter der Asche Leichen verwesten. Es gab Geschichten, dass dann und wann die Leichen von Ertrunkenen im Fluss auftauchten.
Colonel Christopher saß unter einer Zypresse und betrachtete Kate. Er fand sie erregend schön. An diesem Morgen hatte er einen französischen Schneider bestellt, Marschall Soults persönlichen Schneider, und, zu Kates Verlegenheit, hatte er bei ihr Maß nehmen lassen für eine französische Husarenuniform. »Warum sollte ich solch ein Ding tragen?«, hatte Kate gefragt, und Christopher hatte ihr verschwiegen, dass er eine Französin in solch einer Uniform gesehen hatte, die Reithose hauteng, der Rock nur bis eben über die Taille, sodass der knackige Po betont war. Und Kates Beine waren länger und gerader, und Christopher, der sich reich fühlte, weil General Cradock die Gelder freigegeben hatte, die Christopher für notwendig hielt, um Argentons Meuterer zu ermuntern, hatte dem Schneider einen ungeheuren Preis versprochen, wenn er die Uniform schnell lieferte.
»Warum diese Uniform tragen?«, erwiderte er auf ihre Frage. »Weil du feststellen wirst, dass es leicht sein wird, mit Hose ein Pferd zu reiten, weil dir die Uniform reizend steht und weil es unsere französischen Feinde überzeugt, dass du kein Feind bist, und das Beste von allem, meine Liebste, weil mich der Anblick erregt.« Er wechselte das Thema. »Gefällt dir der Name ›Haus Beautiful‹ wirklich?«
»Ich habe mich daran gewöhnt.«
»Aber du hängst nicht daran? Es ist keine Sache des Glaubens für dich?«
»Glauben?« Kate, in einem weißen Leinenkleid, blickte nachdenklich drein. »Ich betrachte mich als Christin.«
»Eine protestantische Christin«, sagte ihr Mann. »Aber ist der Name des Hauses nicht etwas protzig in einer römisch-katholischen Gesellschaft?«
»Das bezweifle ich. Mein Vater hat den Namen in einem Buch von Bunyan gelesen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand Bunyan kennt.«
»Jemand könnte ihn kennen«, widersprach Christopher, »und man könnte sich beleidigt fühlen.« Er lächelte sie an. »Vergiss nicht, dass ich ein Diplomat bin. Es ist mein Job, das Krumme gerade zu biegen und das Unebene zu glätten.«
»Ist es das, was du hier tust?«, fragte Kate und wies auf die Stadt unter ihnen, wo die Franzosen Häuser plünderten und Leute verbitterten.
»Oh, Kate«, sagte Christoph traurig. »Dies ist Fortschritt.«
»Fortschritt?«
Christopher erhob sich, um auf und ab zu schlendern und zu überlegen, wie er ihr erklären sollte, dass sich die Welt um sie herum schnell veränderte. »Es gibt mehr zwischen Himmel und Erde, als du dir in deiner Fantasie erträumen kannst«, sagte er, und Kate, der er das mehr als einmal in ihrer kurzen Ehe gesagt hatte, unterdrückte ihren aufkommenden Ärger und hörte ihrem Ehemann zu. »Könige sind entthront worden, Kate, ganze Länder kommen jetzt ohne sie zurecht. Das hielt man früher für undenkbar! Es wäre fast einem Widerstand gegen Gottes Plan für die Welt gleichgekommen, aber wir erleben eine neue Offenbarung. Es ist eine Neuordnung der Welt. Was sieht das einfache Volk hier? Krieg! Nichts als Krieg, aber welcher Krieg zwischen wem? Zwischen Frankreich und Britannien? Frankreich und Portugal? Nein! Es ist ein Krieg zwischen dem Althergebrachten und dem neuen Weg. Der Aberglaube bröckelt. Ich verteidige nicht Bonaparte. Guter Gott, nein! Er ist ein Aufschneider, ein Großprotz und Abenteurer, aber er ist auch ein Instrument. Er brennt aus, was in den alten Regimen schlecht ist, und schafft Platz für die neuen Ideen, die kommen werden. Vernunft! Das ist es, was die neuen Regime in Schwung bringt, Kate, Vernunft!«
»Ich dachte, das wäre Freiheit«, sagte Kate.
»Freiheit! Man hat keine Freiheit außer der, Regeln zu befolgen, doch wer stellt die Regeln auf? Mit Glück, Kate, sind es vernünftige Männer, die vernünftige Regeln aufstellen. Kluge, schlaue Männer. Letzten Endes ist es eine Clique kluger Intellektueller, welche die Regeln bestimmen wird, doch sie werden sie erstellen nach den Lehren der Vernunft. Es gibt einige von uns in Britannien, ein paar, die verstehen, dass es zu dieser Anschauung kommen wird. Wir müssen auch dabei helfen. Aber wenn wir es bekämpfen, dann wird sich die Welt ohne uns erneuern und wir werden vom Verstand besiegt werden. Deshalb müssen wir daran arbeiten.«
»Mit Bonaparte?«, fragte Kate, und es klang angewidert.
»Mit all den Ländern von Europa«, sagte Christopher begeistert. »Mit Portugal und Spanien, mit Preußen und Österreich, mit Holland und, ja, mit Frankreich. Wir haben mehr Gemeinsames, als uns teilt, doch wir bekämpfen uns! Welchen Sinn hat das? Es kann keinen Fortschritt ohne Frieden geben, Kate, keinen! Willst du Frieden, meine Liebste?«
»Unbedingt.«
»Dann vertrau mir, dass ich weiß, was ich tue.«
Und sie vertraute ihm, denn sie war jung, und ihr Ehemann war so viel älter, und sie wusste, dass er vertraut mit Meinungen war, die weitaus klüger als ihre Gefühle waren.
Doch am folgenden Abend wurde dieses Vertrauen auf die Probe gestellt, als vier französische Offiziere und ihre Frauen zum Abendessen ins Haus Beautiful kamen. Die Gruppe wurde von Brigadier General Henri Vuillard angeführt, einem eleganten, gut aussehenden Mann, der Kate galant die Hand küsste und ihr Komplimente über das Haus und den Garten machte. Vuillards Diener brachte eine Kiste Wein als Geschenk mit, was kaum taktvoll war, denn der Wein war Savages bester, erbeutet von einem der britischen Schiffe, die bei der Windflaute an Oportos Kais gelegen hatten, als die Franzosen die Stadt eingenommen hatten.
Nach dem Abendessen unterhielten die drei Offiziere in Begleitung des Generals die Damen im Salon, während Christopher und Vuillard im Garten promenierten und ihr Zigarrenrauch zu den schwarzen Zypressen aufstieg.
»Soult ist besorgt«, sagte Vuillard.
»Wegen Cradock?«
»Cradock ist ein altes Weib«, sagte Vuillard verächtlich. »Es ist doch wahr, dass er sich schon im letzten Jahr zurückziehen wollte? Aber was ist mit Wellesley?«
»Der ist härter«, gab Christopher zu, »aber es ist keineswegs sicher, dass er herkommen wird. Er hat Feinde in London.«
»Politische Feinde, könnte ich mir denken«, sagte Vuillard.
»So ist es.«
»Die gefährlichsten Feinde eines Soldaten«, sagte Vuillard. Er war in Christophers Alter und ein Favorit von Marschall Soult. »Nein, Soult ist besorgt, weil wir Soldaten vergeuden, um unsere Nachschublinien zu schützen. Wenn wir zwei Bauern mit Luntenschlossmusketen töten, springen zehnmal so viele aus ihrer Deckung, und die haben keine Luntenschlossmusketen mehr, sondern gute britische Musketen, die von Ihrem verdammten Land geliefert wurden.«
»Nehmen Sie Lissabon ein«, sagte Christopher, »und jeden anderen Hafen, und die Versorgung mit Waffen wird gestoppt.«
»Zu gegebener Zeit werden wir das tun«, versprach Vuillard, »aber wir können es nicht ohne weitere fünfzehntausend Mann schaffen.«
Christopher blieb am Rand des Gartens stehen und blickte einen Augenblick über den Douro. Die Stadt lag unter ihm, und der Rauch aus Tausenden Küchen stieg in den dunklen Himmel. »Wird sich Soult zum König machen?«
»Wissen Sie, welchen Spitznamen er jetzt hat?«, fragte Vuillard belustigt. »König Nicolas! Nein, er wird die Erklärung nicht abgeben, nicht, wenn er einen Funken Verstand hat, und er hat wohl gerade ein Fünkchen, das reicht. Die Einheimischen würden nicht hinter ihm stehen, die Armee würde ihn nicht unterstützen, und der Kaiser würde ihm dafür die Eier rösten.«
Christopher lächelte. »Aber er ist in Versuchung.«
»Ja, er ist in Versuchung, aber für gewöhnlich zügelt er sich, bevor er zu weit geht. Für gewöhnlich.« Vuillard war offenbar auf der Hut vor Soult. Erst vor einem Tag hatte er einen Brief an alle Generäle in seiner Armee verschickt und vorgeschlagen, die Portugiesen zu ermuntern, seine Ambitionen, König zu werden, zu unterstützen. Es war verrückt, wie Vuillard fand, aber Soult war besessen von der Vorstellung, König zu werden. »Ich habe ihm gesagt, dass er eine Meuterei provozieren wird, wenn er sich nicht zügelt.«
»Das wird er«, sagte Christopher, »und Sie müssen wissen, dass Argenton in Coimbra war. Er hat Cradock getroffen.«
»Argenton ist ein Narr«, schnaubte Vuillard.
»Ein nützlicher Narr. Lassen Sie ihn ruhig mit den Briten sprechen. Sie werden nichts tun. Warum sollten sich die Briten anstrengen, wenn sich Ihre Armee selbst durch Meuterei zerstören wird?«
»Aber wird sie das?«, fragte Vuillard. »Für wie viele Offiziere spricht Argenton?«
»Für genug«, sagte Christopher, »und ich habe ihre Namen.«
Vuillard lachte leise. »Ich könnte Sie festnehmen lassen, Engländer, und ein paar Dragonern übergeben, die diese Namen in zwei Minuten aus Ihnen herausprügeln.«
»Sie werden die Namen bekommen«, sagte Christopher. »Zu gegebener Zeit. Doch im Moment, General, gebe ich Ihnen dies stattdessen.« Er überreichte Vuillard ein Kuvert.
»Was ist das?« Es war zu dunkel im Garten, um irgendetwas lesen zu können.
»Cradocks Schlachtordnung«, sagte Christopher. »Einige seiner Truppen sind in Coimbra, aber die meisten sind in Lissabon. Kurz gesagt, er hat sechzehntausend britische Bajonette und siebentausend Portugiesen. Die Einzelheiten stehen allesamt da drin, und Sie werden feststellen, dass es ihnen besonders an Artillerie mangelt.«
»Wie besonders?«
»Sie haben drei Batterien Sechspfünder«, sagte Christopher. »Und eine von Dreipfündern. Es gibt Gerüchte, dass mehr Geschütze, schwerere, kommen sollen, doch solche Gerüchte haben sich in der Vergangenheit stets als falsch erwiesen.«
»Dreipfünder!« Vuillard lachte. »Da könnten sie uns ja genauso gut mit Steinen bewerfen.« Der Brigadier General klopfte auf das Kuvert. »Was wollen Sie also von uns?«
Christopher ging ein paar Schritte in Schweigen versunken, dann zuckte er mit den Schultern. »Es hat für mich den Anschein, dass Europa von Paris aus regiert werden wird, nicht von London. Ihr werdet hier Euren eigenen König einsetzen.«
»Richtig«, sagte Vuillard, »und es könnte sogar König Nicolas sein, wenn er Lissabon schnell genug einnimmt, doch der Kaiser hat einen Stall voller müßiger Brüder. Einer davon wird vermutlich Portugal bekommen.«
»Aber wer das auch immer sein wird«, sagte Christopher, »ich kann nützlich für ihn sein.«
»Indem Sie uns dies geben ...«, Vuillard schwenkte das Kuvert, »... und ein paar Namen, die ich aus Argenton rausquetschen kann, wann immer ich will?«
»Wenn Sie erst ganz Portugal erobert haben, General, dann werden Sie es befrieden müssen«, sagte Christopher glatt. »Ich weiß, wem Sie hier vertrauen können, wer mit Ihnen kooperiert und wer ein heimlicher Feind ist. Ich weiß, welche Männer eines sagen und das andere tun. Ich gebe Ihnen all diese Kenntnisse des Auswärtigen Amts. Ich weiß, wer für Britannien spioniert und wer sein Zahlmeister ist. Ich weiß, welche Codes sie benutzen und welche Nachrichtenwege sie haben. Mir ist bekannt, wer für Sie und gegen Sie arbeiten wird. Ich weiß, wer Sie belügen oder Ihnen die Wahrheit sagen wird. Kurz gesagt, General, ich kann Ihnen tausend Tode ersparen, vorausgesetzt natürlich, Sie würden lieber Ihre Soldaten gegen Bauern in die Hügel schicken.«
Vuillard lachte. »Und was ist, wenn ich Portugal nicht erobere? Was geschieht mit Ihnen, wenn ich mich zurückziehe?«
»Dann werde ich den Besitz der Savages haben«, sagte Christopher ruhig, »und meine Vorgesetzten daheim werden denken, dass ich mit der Ermunterung zur Meuterei in Ihren Reihen gescheitert bin. Aber ich bezweifle, dass Sie verlieren werden. Was hat den Kaiser bis jetzt gestoppt?«
»La Manche«, sagte Vuillard trocken und meinte den Englischen Kanal. Er zog an seiner Zigarre. »Sie kamen zu mir«, sagte er, »mit Neuigkeiten von Meuterei, aber Sie haben mir nie gesagt, was Sie als Gegenleistung haben wollen. Also sagen Sie es mir jetzt, Engländer.«
»Ich will den Portweinhandel.«
Die Antwort verblüffte Vuillard, und er blieb stehen. »Den Portweinhandel?«
»Alles davon. Croft, Taylor Fladgate, Burmester, Smith Woodhouse, Dow's, Savages, Gould, Kopke, Sandeman, all die Kellereien. Ich will sie nicht besitzen, ich habe bereits Savages oder werde sie haben. Ich will der einzige Verschiffer sein.«
Vuillard brauchte einen Moment, um die Tragweite der Forderung zu verstehen. »Sie würden die Hälfte des Exporthandels von Portugal kontrollieren!«, sagte er. »Damit werden Sie reicher sein als der Kaiser!«
»Nicht ganz«, sagte Christopher, »denn der Kaiser wird mich besteuern, und ich kann keine Steuer von ihm verlangen. Der Mann, der unermesslich reich wird, General, ist derjenige, der die Steuer erhebt, nicht der, der sie bezahlt.«
»Sie würden trotzdem reich werden.«
»Und das, General, ist es, was ich will.«
Vuillard starrte auf den dunklen Rasen. Jemand spielte im Haus Beautiful Cembalo, und Frauengelächter war zu hören. Frieden wird vielleicht kommen, dachte der General, und möglicherweise kann mir dieser clevere Engländer helfen, ihn herbeizuführen.
»Sie haben mir noch nicht die Namen genannt, die ich haben will«, sagte er, »und Sie müssen mir eine Liste der britischen Kräfte geben. Aber woher soll ich wissen, dass Sie mich nicht betrügen?«
»Das wissen Sie nicht.«
»Ich will mehr als Listen«, sagte Vuillard hart. »Ich muss wissen, ob Sie bereit sind, mir etwas Handfestes zu geben, als Beweis dafür, dass Sie auf unserer Seite sind.«
»Sie wollen Blut«, sagte Christopher milde. Er hatte die Forderung erwartet.
»Blut wird reichen, aber kein portugiesisches. Britisches Blut.«
Christopher lächelte. »Da ist ein Dorf namens Vila Real de Zedes«, sagte er, »wo die Savages einige Weingärten haben. Es war seltsam unbehelligt während der Einnahme.« Das stimmte, denn Christopher hatte es mit Argentons Obersten und Mitbeschwörern arrangiert, deren Dragoner auf diesem Gebiet patrouillierten. »Wenn Sie einen kleinen Trupp dorthin schicken«, fuhr Christopher fort, »werden Sie eine versprengte Einheit von britischen Schützen dort finden. Es sind nicht viele, aber sie haben portugiesische Freiwillige und ein paar Rebellen dabei. Sagen wir hundert Mann insgesamt. Sie gehören Ihnen, aber als Gegenleistung bitte ich Sie um etwas.«
»Worum?«
»Schonen Sie die Quinta. Das Haus gehört der Familie meiner Frau.«
Das Grollen von Donner ertönte im Norden, und die Zypressen zeichneten sich als Umrisse scharf vor dem fernem Lichtschein ab. »Vila Real de Zedes?«, fragte Vuillard.
»Ein Dorf an der Straße nach Amarante«, sagte Christopher. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen als Beweis meiner Aufrichtigkeit etwas mehr bieten. Die Soldaten werden Ihnen keine besonderen Schwierigkeiten machen. Sie werden von einem britischen Lieutenant angeführt, der mir nicht besonders helle vorkommt. Der Mann muss um die dreißig sein und kann nicht viel taugen, wenn er immer noch Lieutenant ist.«
Ein weiterer Donner ließ Vuillard besorgt zum nördlichen Himmel blicken. »Wir müssen zurück ins Quartier, bevor das Gewitter hier ist«, sagte er. »Es macht Ihnen nichts aus, Ihre Landsleute zu verraten?«
»Ich verrate nichts«, sagte Christopher, und dann sprach er tatsächlich mal ehrlich. »Wenn Portugal erobert und von Franzosen regiert wird, General, dann wird Europa Sie nur als Abenteurer und Ausbeuter betrachten, aber wenn Sie Ihre Macht teilen, wenn jede Nation in Europa zur Regierung jeder anderen Nation beiträgt, dann haben wir die Gelobte Welt voller Vernunft und Frieden. Ist es nicht das, was Ihr Kaiser wünscht? Ein europäisches System, dies waren seine Worte, europäische Gesetze, europäische Gerichtsbarkeit und eine einzige Nation in Europa: Europäer. Wie kann ich meinen eigenen Kontinent verraten?«
Vuillard schnitt eine Grimasse. »Unser Kaiser redet viel, Engländer. Er ist ein Korse und hat wilde Träume. Sind Sie das? Ein Träumer?«
»Ich bin Realist«, sagte Christopher. Er hatte seine Kenntnis von der Meuterei genutzt, um sich bei den Franzosen einzuschmeicheln, und jetzt würde er sich ihr Vertrauen sichern, indem er eine Hand voll britischer Soldaten opferte.
So mussten Sharpe und seine Männer sterben, damit Europas glorreiche Zukunft beginnen konnte.