KAPITEL 2

Sharpe hatte immer Glück gehabt. Vielleicht nicht in den größeren Dingen des Lebens - gewiss nicht, als ihn eine Straßenhure geboren hatte, die gestorben war, ohne ihren einzigen Sohn ein einziges Mal in den Arm zu nehmen und zu streicheln, und auch nicht in den düsteren Mauern eines Londoner Waisenhauses, das nichts für seine Kinder tat -, aber in den kleineren Dingen, in den Momenten, in denen Erfolg und Scheitern nur eine Kugellänge entfernt war, hatte er fast immer Glück gehabt. Es war großes Glück gewesen, das ihn in den Tunnel gebracht hatte, in dem Tippu Sultan in der Falle gesessen war, und ebenso großes Glück, als eine Ordonnanz bei Assaye enthauptet worden war und Richard Sharpe als ihr Ersatz hinter Sir Arthur Wellesley geritten war, als das Pferd des Generals getötet und Sir Arthur vor dem Feind abgeworfen wurde. Alles Glück, manchmal unglaubliches Glück, doch Sharpe bezweifelte sein Glück, als die Dragoner von der Barrikade flüchteten. War er tot? Träumte er? Hatte er eine Gehirnerschütterung und fantasierte? Doch dann hörte er die Triumphschreie seiner Männer und wusste, dass er nicht träumte. Der Feind hatte wirklich die Flucht ergriffen. Sharpe würde leben, und seine Männer brauchten nicht als Gefangene nach Frankreich zu marschieren.

Dann hörte er die Musketenschüsse und erkannte, dass die Dragoner von hinten angegriffen worden waren. Zwischen den Häusern am Straßenrand wallte Pulverrauch, und weitere Schüsse kamen von einer Obstplantage auf dem Hügel mit dem großen weißen Gebäude auf der Kuppe.

In diesem Moment war Sharpe bei der Barrikade und sprang auf das erste Ruderboot. Die Dragoner hatten ihm bereits den Rücken zugewandt und schossen zu den Fenstern der Häuser hinauf, doch dann drehte sich einer von ihnen um, sah Sharpe und rief eine Warnung.

Ein Offizier tauchte in der Tür des Hauses auf, und Sharpe, der vom Boot sprang, spießte den Mann an der Schulter auf und drückte ihn hart gegen die weiß getünchte Hauswand. In diesem Moment feuerte der Dragoner auf ihn, der zuvor die Warnung ausgestoßen hatte. Die Kugel schlug durch Sharpes schweren Tornister. Sharpe stieß dem Offizier das Knie in den Leib und fuhr zu dem Mann herum, der auf ihn gefeuert hatte. Der Mann wich zurück und keuchte: »Non, non!« Sharpe schlug ihm den Säbel auf den Kopf, sodass der Dragoner stürzte und von den Schützen, die über die Barrikade stürmten, niedergetrampelt wurde. Sie stießen Kriegsschreie aus und hörte nicht auf Harpers Rufen, den Dragonern eine Salve nachzuschicken.

Vielleicht drei Gewehre krachten, doch der Rest der Männer stürmte vorwärts, um mit ihren Bajonetten den Feind anzugreifen, der sich plötzlich einer Attacke von vorn und hinten ausgesetzt sah. Die Dragoner waren von Soldaten aus einem Hinterhalt angegriffen worden, die aus einem Haus etwa fünfzig Yards straßenabwärts gekommen waren, wo sie sich versteckt hatten, und jetzt wurden die Franzosen von zwei Seiten angegriffen.

Der kleine Platz zwischen den Häusern war verschleiert von Pulverrauch. Schreie gellten, das Echo von Schüssen hallte, und Sharpes Männer kämpften mit einer Wildheit, von der die Franzosen erschreckt waren. Sie waren Dragoner, ausgebildet, zu Pferde mit Schwertern zu kämpfen, und nicht auf diesen blutigen Kampf zu Fuß gegen Schützen vorbereitet, die gestählt waren in Jahren von Kämpfen in Tavernen und Kasernenstuben. Die Männer in den grünen Uniformen waren mörderisch im Nahkampf, und die Dragoner flohen auf die Grasfläche auf dem Flussufer, wo ihre Pferde angepflockt waren.

Sharpe schrie seine Männer an, weiterhin ostwärtszulaufen.

»Lasst sie laufen. Lasst sie! Weiter!«

Französische Infanterie war nahe, es gab mehr französische Kavalleristen in Oporto, und Sharpes Priorität war es jetzt, so weit wie möglich von der Stadt wegzukommen. »Sergeant!«

»Ich habe Sie gehört, Sir!«, rief Harper, ging in eine Gasse und zerrte Schütze Tongue von einem Franzosen fort. »Komm mit, Isaiah! Beweg dich!«

»Ich bring den Bastard um, Sergeant. Ich mach ihn alle!«

»Der Bastard ist bereits tot! Jetzt komm!« Karabinerkugeln flogen in die Gasse. Eine Frau schrie in einem der nahen Häuser. Ein fliehender Dragoner stolperte über einen Haufen geflochtener Weidekörbe und stürzte auf den Hof des Anwesens, wo ein anderer Franzose unter einem Stapel trocknender Wäsche lag, die er sterbend von der Leine gerissen hatte. Die weißen Laken waren rot von seinem Blut.

Gataker zielte auf einen Dragoneroffizier, der es geschafft hatte, sich auf sein Pferd zu schwingen, doch Harper zog ihn fort. »Lauf weiter! Lauf weiter!«

Dann wimmelte es plötzlich zu Sharpes Linker von blau Uniformierten. Er fuhr herum, das Schwert erhoben, und sah, dass es Portugiesen waren. »Freunde!«, rief er, um seine Männer aufmerksam zu machen. »Passt auf, es sind Portugiesen!«

Die portugiesischen Soldaten waren diejenigen, die ihn vor einer schändlichen Kapitulation bewahrt hatten, und jetzt, nachdem sie die Franzosen aus dem Hinterhalt angegriffen hatten, schlossen sie sich Sharpes Männern bei ihrer Flucht nach Osten an.

»Lauft weiter!«, bellte Harper.

Einige der Schützen rangen keuchend nach Atem und wurden langsamer, bis ein Schusshagel der überlebenden Dragoner sie wieder zur Eile antrieb. Die meisten der Schüsse lagen zu hoch. Eine Kugel knallte neben Sharpe auf die Straße, prallte ab und schlug als Querschläger in eine Pappel. Eine andere traf Tarrant in die Hüfte. Der Schütze stürzte schreiend zu Boden.

Sharpe riss ihn hoch, wuchtete ihn sich auf die Schulter und rannte mit ihm weiter. Die Straße und der Fluss beschrieben nach links eine Kurve, und es standen Bäume und Büsche am Ufer. Dieser Grüngürtel war nicht weit entfernt. Der Baum- und Gebüschstreifen war zu nahe bei der Stadt, um dort vor den Franzosen sicher zu sein, aber er würde ihnen als Deckung dienen, während Sharpe die Formation seiner Männer neu ordnete.

»Zu den Bäumen!«, rief Sharpe. »Lauft zu den Bäumen!«

Tarrant hatte Schmerzen, jammerte und hinterließ auf der Straße eine Blutspur. Sharpe setzte ihn ab und zog ihn zwischen die Bäume. Dann stellte er sich neben die Straße und befahl den Männern, eine Linie vor den Bäumen zu bilden.

»Abzählen, Sergeant!«, rief er Harper zu.

Die portugiesischen Infanteristen begannen ihre Musketen aufzuladen. Sharpe nahm sein Gewehr von der Schulter und feuerte auf einen Kavalleristen, der sein Pferd zum Flussufer trieb, bereit zur Verfolgung. Das Pferd scheute und warf seinen Reiter ab. Andere Dragoner hatten ihre Schwerter gezogen und wollten sich rachsüchtig an die Verfolgung machen, doch dann befahl ein französischer Offizier den Kavalleristen, zu bleiben, wo sie waren. Er hatte wohl begriffen, dass ein Angriff auf den Grüngürtel, in dem Infanteristen steckten, einem Selbstmord gleichkam. Er würde warten, bis seine eigene Infanterie eintraf.

Daniel Hagman hatte die Schere hervorgeholt, mit der er Sharpe die Haare geschnitten hatte, und schnitt jetzt Tarrants Hose an der verwundeten Hüfte auf. Blut spritzte aus der Wunde. Hagman schnitt eine Grimasse. »Ich nehme an, er verliert das Bein, Sir.«

»Er kann nicht mehr gehen?«

»Er wird nie wieder gehen können«, sagte Hagman.

Tarrant fluchte lästerlich. Er war einer von Sharpes Unruhestiftern, ein verdrossener Mann aus Hertfordshire, der nie eine Gelegenheit versäumte, um betrunken und bösartig zu werden. Aber wenn er nüchtern war, dann war er ein guter Schütze, der in der Schlacht die Nerven behielt.

»Es wird alles in Ordnung kommen, Ned«, sagte Hagman tröstend zu ihm. »Du wirst es überleben.«

»Trag mich«, bat Tarrant seinen Freund Williamson.

»Lass das!«, fuhr Sharpe Williamson an. »Nimm sein Gewehr, die Munition und den Säbel.«

»Sie können ihn nicht einfach hier zurücklassen«, sagte Williamson und verhinderte, dass Hagmann den Tornister seines Freundes abschnallte.

Sharpe packte Williamson an der Schulter und zerrte ihn fort. »Ich sagte, lass ihn!« Es widerstrebte ihm, doch der Verwundete würde sie verlangsamen, und die Franzosen würden Tarrant besser ärztlich versorgen, als jeder von Sharpes Männern es konnte. Der Schütze würde in ein französisches Lazarett kommen, von französischen Militärärzten behandelt werden, und wenn er nicht an Wundbrand starb, würde er vielleicht gegen einen verwundeten französischen Gefangenen ausgetauscht werden. Tarrant konnte heimkehren, als Krüppel, und würde höchstwahrscheinlich in einem Armenhaus der Gemeinde enden. Sharpe schob sich zwischen den Bäumen hindurch, um Harper zu finden. Karabinerkugeln fetzten durch die Bäume, und Blätterstückchen wirbelten durch die Lichtbahnen hinter ihnen.

»Fehlt jemand?«, fragte Sharpe Harper.

»Nein, Sir. Was ist mit Tarrant?«

»Er hat eine Kugel in der Hüfte und wird hierbleiben müssen«, sagte Sharpe.

»Ich werde ihn nicht vermissen«, sagte Harper. Bevor Sharpe den Iren zum Sergeant gemacht hatte, war er ein Kumpan des Unruhestifters gewesen, der einer der Rädelsführer gewesen war. Jetzt war Harper eine Geißel für die Unruhestifter. Es ist sonderbar, was drei Streifen bewirken können, dachte Sharpe.

Sharpe lud sein Gewehr, kniete sich bei einem Lorbeerbaum nieder, spannte die Waffe und spähte zu den Franzosen. Die meisten der Dragoner saßen auf den Pferden, doch ein paar Männer waren zu Fuß und versuchten ihr Glück mit ihren Karabinern, obwohl die Distanz zu groß war. Sharpe schätzte, dass in ein, zwei Minuten an die hundert Infanteristen als Verstärkung da sein würden. Es war höchste Zeit, zu verschwinden.

»Senhor.« Ein sehr junger portugiesischer Offizier trat zu Sharpe und verneigte sich.

»Später!« Sharpe wollte nicht so brüsk sein, doch die Zeit drängte und er wollte sie nicht mit Höflichkeiten verschwenden. Er schob sich an dem portugiesischen Offizier vorbei und rief nach Hagman. »Haben Sie Tarrants Sachen?«

»Hier, Sir.« Hagman trug das Gewehr des Verwundeten über der Schulter, und seine Patronentasche baumelte vom Gürtel. Es hätte Sharpe gewurmt, wenn die Franzosen ein Baker-Gewehr erbeutet hätten. Sie machten schon Ärger genug, ohne dass man die beste je ausgegebene Waffe einem feindlichen Plänkler überließ.

»Hier entlang!«, befahl Sharpe und marschierte nach Norden vom Fluss fort.

Er verließ absichtlich die Straße. Sie folgte dem Fluss, und die Wiesen auf dem Ufer des Douro boten wenig Hindernisse für verfolgende Kavallerie. Ein schmalerer Weg wand sich nach Norden durch die Bäume, und Sharpe schlug ihn ein, nutzte das Waldstück als Deckung auf der Flucht. Als das Terrain höher wurde und sich die Bäume lichteten, gingen sie in Korkeichen über, die kultiviert waren, denn sie lieferten die Korken für Oportos Wein.

Sharpe schlug ein zermürbendes Tempo an und ließ erst nach einer halben Stunde halten, als sie an den Rand der Korkeichenplantage gelangten und ein großes Tal mit Weingärten erblickten. Die Stadt war noch in Sicht im Westen, und der Rauch von ihren vielen Feuern trieb über die Eichen und Reben. Die Männer rasteten. Sharpe hatte mit Verfolgern gerechnet, doch die Franzosen wollten offenbar Oportos Häuser plündern und schöne Frauen finden und hatten kein Interesse daran, eine Hand voll Soldaten zu verfolgen, die in die Hügel flüchteten.

Die portugiesischen Soldaten hatten mit Sharpes Männern Schritt gehalten, und ihr Offizier, der zuvor versucht hatte, mit Sharpe zu sprechen, näherte sich ihm jetzt wieder. Er war sehr jung und schlank und trug eine brandneue Uniform. Sein Offizierssäbel hing von einer weißen Schulterschärpe mit silberner Paspelierung herab, und an seinem Koppel hing in einem Holster eine Pistole, die so sauber aussah, als wäre sie noch nie abgefeuert worden. Der Offizier sah gut aus mit seinem schwarzen Schnurrbart, den Sharpe etwas zu dünn fand, und etwas an seinem Auftreten ließ darauf schließen, dass er ein Gentleman war. Seine schwarzen und intelligent blickenden Augen wirkten sonderbar melancholisch, aber das war vielleicht keine Überraschung, denn er hatte soeben erlebt, dass Oporto in die Hände der Invasoren gefallen war. Er verneigte sich vor Sharpe. »Senhor?«

»Ich spreche kein Portugiesisch«, sagte Sharpe.

»Ich bin Leutnant Vicente«, sagte der Offizier in gutem Englisch. Seine dunkelblaue Uniform war an den Seiten weiß paspeliert und hatte Silberknöpfe und rote Manschetten und einen hohen roten Kragen. Er trug eine barretina, einen Tschako mit falscher Front, der seiner bereits beachtlichen Größe über vier Inch hinzufügte. Die Zahl 18 schmückte die Frontplatte der barretina. Er war außer Atem, und Schweiß glänzte auf seinem Gesicht, aber er war entschlossen, gute Manieren zu wahren. »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Tapferkeit, senhor.«

»Ich war nicht tapfer«, sagte Sharpe, »sondern einfach blöde.«

»Sie waren tapfer«, beharrte Vicente. »Und wir beglückwünschen Sie.« Er wirkte einen Moment, als wolle er den Säbel ziehen und förmlich salutieren, doch Sharpe schaffte es, Vicentes Überschwang mit einer Frage nach der Zahl seiner Männer zu bremsen. »Es sind sechsunddreißig, senhor«, antwortete der junge Portugiese ernst. »Und wir sind vom achtzehnten Regiment, das zweite in Oporto.« Das Regiment, sagte er, hatte die provisorischen Palisaden am Nordrand der Stadt verteidigt und sich dann zur Brücke zurückgezogen, wo es sich in Panik aufgelöst hatte. Vicente war mit diesen sechsunddreißig Männern, von denen nur zehn von seiner eigenen Kompanie waren, ostwärtsmarschiert. »Es gibt noch mehr von uns«, sagte er, »viel mehr, aber die meisten sind auf der Flucht. Einer meiner Unteroffiziere sagte, ich sei ein Narr, wenn ich versuchte, Sie zu retten, und ich musste ihn erschießen, um die Moral aufrechtzuerhalten, damit sich keine Verzweiflung breitmacht. Dann führte ich diese Freiwilligen zu Ihrer Unterstützung.«

Ein paar Sekunden starrte Sharpe den portugiesischen Leutnant nur an. »Was haben Sie getan?«, fragte er schließlich.

»Ich führte diese Männer zurück, um Ihnen zu helfen. Ich bin der einzige Offizier in meiner Kompanie geblieben, also wer sonst konnte die Entscheidung treffen? Hauptmann Rocha fiel durch eine Kanonenkugel hinter der Schanze - und die anderen? Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist.«

»Nein«, sagte Sharpe. »Was haben Sie zuvor getan? Sie haben Ihren Sergeant erschossen?«

Vicente nickte. »Ich werde natürlich vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Ich werde auf Notstand plädieren.« Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Aber der Feldwebel sagte, Sie wären alle so gut wie tot und wir seien geschlagen. Er bedrängte die Männer, ihre Uniformen auszuziehen und zu desertieren.«

»Sie haben das Richtige getan«, sagte Sharpe anerkennend.

Vicente verneigte sich wieder. »Sie schmeicheln mir, senhor.«

»Und hören Sie auf, mich senhor zu nennen«, sagte Sharpe. »Ich bin ein Leutnant wie Sie.«

Vicente wich einen Schritt zurück, konnte seine Überraschung nicht verbergen. »Sie sind ein ...?«, begann er, dann wurde ihm klar, dass sich die Frage nicht schickte. Sharpe war älter als er, vielleicht zehn Jahre, und wenn Sharpe immer noch Leutnant war, dann war er vermutlich kein guter Soldat, denn ein guter Soldat im Alter von dreißig musste befördert worden sein. »Aber ich bin mir sicher, senhor«, fuhr Vicente fort, »dass Sie ranghöher als ich sind.«

»Das bezweifle ich«, sagte Sharpe.

»Ich bin seit zwei Wochen Leutnant«, sagte Vicente.

Jetzt war Sharpe überrascht. »Seit zwei Wochen!«

»Zuvor hatte ich natürlich etwas Ausbildung«, sagte Vicente. »Und während meines Studiums habe ich über die Taten der großen Offiziere gelesen.«

»Welches Studium?«

»Ich bin ein Anwalt, senhor.«

»Ein Anwalt!« Sharpe konnte seine instinktive Abneigung nicht verbergen. Er kam aus der Gosse von England, und jeder, der in der Gosse geboren und aufgewachsen war, wusste, dass er bei vielen Anwälten gegen Vorurteile und Schikanen ankämpfen musste. Anwälte waren für Sharpe und die anderen Unterprivilegierten die Diener des Teufels gewesen, die Männer und Frauen an den Galgen brachten, mit ihren Fallstricken aus juristischen Spitzfindigkeiten durch ihre Opfer reich und dann Politiker wurden, damit sie noch mehr Gesetze verabschieden konnten, die ihren Reichtum vermehrten. »Ich hasse verdammte Anwälte«, grollte Sharpe angewidert, denn er erinnerte sich an Lady Grace und das, was nach ihrem Tod geschehen war, und wie er durch die Anwälte jeden Penny losgeworden war, den er besessen hatte, und die Erinnerung an Grace und ihr totes Baby brachte all das alte Elend zurück. »Ich hasse Anwälte«, sagte er aufgewühlt.

Vicente war verblüfft und sprachlos nach Sharpes feindseligen Worten, dass er einen Moment brauchte, um die Fassung wiederzugewinnen. »Ich war Anwalt, bevor ich das Schwert meines Landes nahm. Ich arbeitete für die Real Companhia Velha, die für die juristische Beratung des Handels mit Portwein verantwortlich ist.«

»Wenn ein Kind von mir Anwalt werden wollte, dann würde ich es mit meinen eigenen Händen erwürgen und auf sein Grab pissen«, sagte Sharpe.

»Sie sind also verheiratet, senhor?«, fragte Vicente höflich.

»Nein, ich bin verdammt nicht verheiratet.«

»Dann habe ich das missverstanden«, sagte Vicente. Dann wies er auf seine müden Soldaten. »Wir sind also hier, senhor, und ich dachte, wir könnten uns Ihnen anschließen.«

»Vielleicht«, sagte Sharpe widerwillig, »aber lassen Sie uns eines klarstellen, Mister Anwalt. Wenn Ihre Beförderung zum Leutnant erst zwei Wochen alt ist, bin ich ranghöher. Ich habe das Kommando. Kein verdammter Anwalt schleicht da mit juristischen Spitzfindigkeiten um mich herum.«

»Selbstverständlich, senhor«, sagte Vicente und runzelte die Stirn, als sei er beleidigt.

Verdammter Anwalt, dachte Sharpe. Er wusste, dass er sich ungehobelt verhalten hatte, besonders weil dieser anständige junge Anwalt den Mut besessen hatte, einen Sergeant zu töten, um die Moral aufrechtzuerhalten und seine Männer zu seiner, Sharpes, Rettung zu führen. Er wusste, dass er nicht alle Anwälte über einen Kamm scheren und sich für seine Vorurteile entschuldigen sollte. Stattdessen starrte er nach Süden und Westen, hielt nach Verfolgern Ausschau und versuchte, sich die Landschaft einzuprägen. Er nahm sein feines Fernrohr, das ein Geschenk von Sir Arthur Wellesley war, und richtete es auf den Weg, auf dem sie gekommen waren. Er spähte über die Bäume hinweg und sah schließlich, was er zu sehen erwartet hatte: Staub. Viel Staub, der von Pferdehufen, Stiefeln oder Rädern aufgewirbelt wurde. Sharpe konnte nicht erkennen, ob der Staub von Flüchtlingen aufgewirbelt wurde, die ostwärts strömten, oder von den Franzosen.

»Werden Sie versuchen, südlich des Douro zu gelangen?«, fragte Vicente.

»Ja, das werde ich. Aber es gibt keine Brücken auf diesem Teil des Flusses, stimmt das?«

»Ja, bis Amarante gibt es keine Brücke, und das ist am Fluss Tamega. Es ist ein - wie sagt man? - ein Nebenfluss?«

Sharpe nickte.

»Es ist ein Nebenfluss des Douro, aber jenseits des Tamega gibt es eine Brücke über den Douro bei Peso da Régua.« »Und sind die Franzmänner auf der fernen Seite des Tamega?«

Vicente schüttelte den Kopf. »Man hat uns gesagt, dass dort General Silveira ist.«

Wenn man sagt, dass ein portugiesischer General jenseits eines Flusses wartet, ist es nicht das Gleiche, als es zu wissen, dachte Sharpe. »Und es gibt dort eine Fähre über den Douro, nicht weit von hier?«, fragte er.

Vicente nickte. »Bei Barca d'Avintas.«

»Wie nahe ist das?«

Vicente dachte kurz nach. »Vielleicht ein Marsch von einer halben Stunde. Vielleicht sogar weniger.«

»So nahe?« Doch wenn die Fähre so nahe bei Oporto war, dann konnten die Franzosen bereits dort sein. »Und wie weit ist Amarante entfernt?«

»Wir könnten morgen dort sein.«

»Morgen«, wiederholte Sharpe und spähte durch das Fernrohr. Wurde dieser Staub von den Franzosen aufgewirbelt? Waren sie auf dem Weg nach Barca d'Avintas?

Er wollte die Fähre benutzen, weil es viel näher war. Aber es war auch riskanter. Würden die Franzosen damit rechnen, dass die Flüchtlinge die Fähre benutzten? Es gab nur eine Möglichkeit, dies herauszufinden.

»Wie kommen wir nach Barca d'Avintas?«, fragte er Vicente und wies auf den Weg, der zwischen den Korkeichen hindurchführte. »Auf dem gleichen Weg, auf dem wir hergekommen sind?«

»Es gibt einen schnelleren Weg«, sagte Vicente.

Einige der Männer waren eingedöst, und Harper weckte sie mit einem Tritt. Alle folgten dann Vicente in ein sanftes Tal hinab, wo Wein in gepflegten Reihen angebaut war. Von dort aus stiegen sie auf einen anderen Hügel und gingen über Wiesen, die mit kleinen Heumieten übersät war. Blumen blühten im Gras, in dem kein Pfad zu erkennen war, doch Vicente führte die Männer, als kenne er sich gut aus.

»Sie wissen, wohin wir gehen?«, fragte Sharpe nach einer Weile misstrauisch.

»Ich kenne diese Gegend sehr genau«, versicherte Vicente.

»Sie sind hier aufgewachsen?«

Vicente schüttelte den Kopf. »Ich bin in Coimbra groß geworden. Das ist weiter im Süden, senhor, aber ich kenne diese Gegend, weil ich einem Verein angehöre ...«, er korrigierte sich, »... angehörte, der hier Wandertage durchführt.«

»Ein Verein, der auf dem Land wandert?«, fragte Sharpe amüsiert.

Vicente errötete. »Wir sind Philosophen und Poeten, senhor.«

Sharpe war erstaunt. »Sie sind - was?«

»Philosophen und Poeten, senhor.«

»Mein Gott!«, entfuhr es Sharpe.

»Wir glauben, senhor«, fuhr Vicente fort, »dass es auf dem Land Inspiration gibt. Das Land ist die Natur, während Städte von Menschen gemacht sind und so all die Bosheiten der Menschheit verkörpern. Wenn wir das natürliche Gute in uns entdecken wollen, dann müssen wir es auf dem Land suchen.« Er hatte Mühe, die richtigen Vokabeln zu finden, um auszudrücken, was er meinte. »Es gibt, glaube ich, eine natürliche Gutheit in der Welt, und wir suchen sie.«

»Sie suchen hier die Inspiration?«

»Ja, so ist es.« Vicente nickte eifrig.

Einem Anwalt Inspiration zu geben, das ist, als ob man eine Ratte mit feinem Brandy tränkt, dachte Sharpe. »Und lassen Sie mich raten«, sagte er und konnte kaum seinen Hohn verbergen, »die Mitglieder Ihres Vereins von reimenden Philosophen sind allesamt männlich. Keine Frau dabei, wie?«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Vicente erstaunt.

»Es war geraten, das hatte ich Ihnen doch gesagt.«

Vicente nickte. »Es ist natürlich nicht so, dass wir keine Frauen mögen. Sie müssen nicht denken, wir hätten etwas gegen ihre Gesellschaft, aber es widerstrebt ihnen, sich an unseren Diskussionen zu beteiligen. Sie wären natürlich äußerst willkommen, aber ...« Seine Stimme erstarb.

»Frauen sind so«, sagte Sharpe. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Frauen die Gesellschaft von Schurken den Freuden der Konversation mit nüchternen und ernsten jungen Männern wie Leutnant Vicente, der romantischen Träumen über die Welt nachhing, vorzogen. »Sagen Sie mir eines, Leutnant, welche ...«, bat er.

»Jorge«, unterbrach Vicente. »Mein Name ist Jorge.«

»Jorge, Sie sagten, Sie hatten eine Ausbildung als Soldat. Welche Ausbildung war das?«

»Wir hatten Vorlesungen in Oporto.«

»Vorlesungen?«

»Über die Geschichte der Kriegführung. Über Hannibal, Alexander den Großen und Caesar.«

»Ihr habt aus Büchern gelernt?«, fragte Sharpe und konnte seinen Spott nicht ganz verbergen.

»Ja, aus Büchern«, sagte Vicente. »Das ist für einen Anwalt normal, besonders für einen, der Ihnen das Leben gerettet hat.«

Sharpe stieß einen Grunzlaut aus. Er wusste, dass er diesen Tadel verdient hatte. »Was ist dort geschehen, als Sie mich gerettet haben?«, fragte er. »Ich weiß, dass Sie Ihren Sergeant erschossen haben, aber warum haben die Franzosen das nicht gehört?«

»Ah!« Vicente dachte kurz nach, bevor er weitersprach. »Ich will ehrlich sein, Lieutenant, und Ihnen erzählen, dass nicht alles so war, wie es scheint. Ich hatte den Feldwebel erschossen, bevor ich Sie sah. Er forderte die Männer auf, ihre Uniformen auszuziehen und die Flucht zu ergreifen. Einige taten es, und die anderen wollten mir nicht zuhören, und so erschoss ich ihn. Es war sehr traurig. Und die meisten der Männer waren in der Taverne am Fluss, nahe der Stelle, an der die Franzosen ihre Barrikade errichteten.« Sharpe hatte keine Taverne gesehen. Er war so entschlossen gewesen, einen Ausweg aus der tödlichen Falle zu finden, dass er keine Ausschau nach einer Kneipe gehalten hatte. »Und da habe ich Sie gesehen. Feldwebel Macedo ...«, Vicente wies auf einen stämmigen, dunkelhäutigen Mann, der hinter ihnen herstapfte, »... sollte in der Taverne versteckt bleiben, und ich sagte den Männern, dass es an der Zeit wäre, für Portugal zu kämpfen. Die meisten von ihnen schienen nicht zuzuhören, und so zog ich meine Pistole und ging auf die Straße. Ich dachte, ich würde sterben, aber ich musste meinen Männern ein Beispiel geben.«

»Und Ihre Männer folgten Ihnen?«

»So war es«, sagte Vicente mit leuchtenden Augen. »Und Feldwebel Macedo kämpfte sehr tapfer.«

»Ich glaube«, sagte Sharpe, »dass Sie nicht nur ein verdammter Anwalt, sondern auch ein bemerkenswert verdammter Soldat sind.«

»Wirklich?« Der junge Portugiese wirkte erstaunt, aber Sharpe wusste, dass er der geborene Führer sein musste, wenn es ihm gelang, Männer aus einer Taverne zu holen, um einen Trupp Dragoner anzugreifen.

»Es sind also all Ihre Philosophen und Poeten zur Armee gegangen?«

Vicente wirkte verlegen. »Einige haben sich leider den Franzosen angeschlossen.«

»Den Franzosen!«

Der Leutnant zuckte mit den Schultern. »Es gibt einen Glauben, dass die Zukunft der Menschheit in französischen Gedanken und Ideen vorausgesagt ist. In Portugal sind wir altmodisch, und viele von uns lassen sich von den französischen Philosophen inspirieren. Die lehnen die Kirche und die Monarchie ab und verabscheuen unverdiente Privilegien. Ihre Vorstellungen sind sehr aufregend. Sie haben sie gelesen?«

»Nein.«

»Aber ich liebe mein Land mehr als Monsieur Rousseau«, sagte Vicente, »so werde ich eher ein Soldat sein als ein Poet.«

»Ganz richtig«, sagte Sharpe. »Am besten fängt man etwas Nützliches mit seinem Leben an.« Sie überquerten eine kleine Bodenerhebung, und Sharpe sah voraus den Fluss und ein Dorf. »Ist das Barca d'Avintas?«

»Ja, das ist es«, bestätigte Vicente.

Sharpe fluchte, denn die Franzosen waren bereits dort.

Sharpe sah zwischen sich und dem Fluss Wiesen und Weingärten, das kleine Dorf, einen Wasserlauf, der in den Fluss mündete, und die gottverdammten Franzosen. Dragoner. Die Kavalleristen mit den grünen Röcken waren abgesessen und schlenderten entspannt durch das Dorf.

Sharpe ließ sich hinter einige Stechginsterbüsche fallen und gab seinen Männern Zeichen, ebenfalls in Deckung zu gehen. »Sergeant! Plänklerformation entlang der Hügelkuppe!« Er ließ Harper den Befehl an die Schützen weitergeben, nahm sein Fernrohr und beobachtete den Feind.

»Was soll ich tun?«, fragte Vicente.

»Nur warten«, sagte Sharpe. Er stellte das Fernglas scharf ein und staunte über die Klarheit des vergrößerten Bildes. Er konnte die Schnallen an den Bauchgurten der Pferde der Dragoner sehen. Die Tiere waren auf einem kleinen Feld westlich des Dorfes angepflockt. Er zählte sie. Sechsundvierzig, vielleicht ein, zwei mehr. Es war schwer, sie genau zu zählen, denn einige Tiere standen dicht nebeneinander. Sagen wir fünfzig Mann, dachte Sharpe. Er richtete das Fernrohr ein wenig nach links und sah jenseits des Dorfes Rauch aufsteigen, vielleicht vom Flussufer. Eine kleine Steinbrücke überspannte den Fluss, der von Norden heranströmte. Er konnte keine Dorfbewohner sehen. Waren sie geflüchtet? Er spähte nach Westen, zu der Straße, die nach Oporto führte, und er konnte keine weiteren Franzosen sehen, was darauf schließen ließ, dass die Dragoner eine Patrouille waren, die Flüchtlinge abfangen sollte.

»Pat!«

»Sir?« Harper kam und duckte sich neben ihn.

»Wir können uns diese Bastarde vornehmen.«

Harper lieh sich Sharpes Fernrohr und spähte lange hindurch nach Süden. »Es sind vierzig bis fünfzig.«

»So ungefähr. Sorgen Sie dafür, dass unsere Jungs geladen haben.« Sharpe ließ das Fernrohr bei Harper und kroch von der Kuppe zurück, um Vicente zu finden. »Rufen Sie Ihre Männer her. Ich möchte mit ihnen sprechen. Sie, Leutnant, werden übersetzen.«

Sharpe wartete, bis die sechsunddreißig Portugiesen versammelt waren. Die meisten blickten unbehaglich drein, fragten sich vermutlich, warum sie von einem Ausländer befehligt wurden.

»Mein Name ist Sharpe«, stellte er sich den Soldaten in blauer Uniform vor. »Lieutenant Sharpe, und ich bin seit sechzehn Jahren Offizier.« Er wartete, bis Vicente übersetzt hatte. Dann wies er auf den Portugiesen, der am jüngsten aussah. Der Junge konnte kaum älter als siebzehn sein, und es war gut möglich, dass er noch drei Jahre jünger war. »Ich habe eine Muskete getragen, bevor Sie geboren wurden. Und ich meine das ernst. Ich habe eine Muskete getragen, weil ich ein Soldat wie ihr war. Ich marschierte in den Mannschaften.«

Während Vicente übersetzte, blickte er Sharpe überrascht an.

Der Lieutenant ignorierte es. »Ich habe in Flandern gekämpft«, fuhr Sharpe fort, »in Indien, in Spanien und Portugal, und ich habe nie einen Kampf verloren. Niemals.« Die Portugiesen hatten gerade erst die große nördliche Schanze vor Oporto aufgegeben, und diese Niederlage machte ihnen noch zu schaffen, doch hier war ein Mann, der ihnen sagte, er sei unbesiegbar. Einige der Männer blickten auf die Narbe in seinem Gesicht und sahen die Härte in seinen Augen, und sie glaubten ihm. »Jetzt werdet ihr mit mir zusammen kämpfen«, fuhr Sharpe fort, »und das bedeutet, dass wir gewinnen werden. Wir werden die verdammten Franzosen aus Portugal vertreiben!« Einige der Männer lächelten bei diesen Worten. »Denkt nicht mehr daran, was heute geschah. Das war nicht eure Schuld. Ihr wurdet von einem Bischof geführt! Von welchem Nutzen ist ein verdammter Bischof für euch? Ihr könntet genauso gut mit einem Anwalt in die Schlacht gehen.« Vicente bedachte Sharpe mit einem schnellen, tadelnden Blick, bevor er den letzten Satz übersetzte, doch er musste ihn korrekt übersetzt haben, denn die Männer grinsten Sharpe an. »Wir werden die Bastarde nach Frankreich zurücktreiben«, schloss Sharpe, »und für jeden Portugiesen und Briten, den sie umbringen, werden wir ein Dutzend töten.« Einige der Portugiesen klopften mit ihren Musketenkolben auf den Boden, um Beifall zu spenden. »Aber bevor wir kämpfen«, sprach Sharpe weiter, »solltet ihr wissen, dass bei mir drei Regeln einzuhalten sind, und ihr solltet euch diese drei Regeln merken. Denn wenn ihr diese Regeln brecht, dann, Gott helfe mir, werde ich euch brechen.« Vicente klang nervös, als er das übersetzte.

Sharpe wartete, dann hob er einen Finger. »Ihr besauft euch nicht ohne meine Erlaubnis.« Ein zweiter Finger. »Ihr beklaut niemanden, es sei denn, ihr seid am Verhungern. Und ich betrachte es nicht als Diebstahl, wenn ihr dem Feind Dinge wegnehmt.« Das brachte ihm ein Lächeln ein. Er hob den dritten Finger. »Und ihr kämpft, als wärt ihr der Teufel persönlich. Das war es. Ihr besauft euch nicht, ihr klaut nicht, und ihr kämpft wie Dämonen. Habt ihr das verstanden?«

Sie nickten, nachdem Vicente übersetzt hatte.

»Und jetzt«, fuhr Sharpe dann fort, »werdet ihr anfangen zu kämpfen. Ihr bildet drei Reihen und feuert eine Salve auf die französische Kavallerie.« Er hätte zwei Reihen vorgezogen, doch nur die Briten kämpften in dieser Formation. Jede andere Armee benutzte drei, und so würde er das jetzt auch tun, auch wenn siebenunddreißig Männer in drei Reihen eine sehr kleine Frontbreite boten. »Und ihr werdet erst abdrücken, wenn Leutnant Vicente euch das befiehlt. Ihr könnt ihm vertrauen! Er ist ein guter Soldat, euer Leutnant!«

Vicente wurde rot und wählte vielleicht einige bescheidenere Formulierungen bei seiner Übersetzung, doch das Grinsen seiner Männer verriet, dass er den Sinn von Sharpes Worten schon wiedergegeben hatte.

»Stellen Sie sicher, dass die Musketen geladen sind«, sagte Sharpe, »aber nicht gespannt. Ich will nicht, dass der Feind weiß, dass wir hier sind, weil die Muskete eines Blödmanns irrtümlich losgeht. Und jetzt bereitet euch darauf vor, die Bastarde zu besiegen.«

Er verließ die Männer und kehrte zu Harper zurück.

»Tun sie irgendwas?«, fragte er und nickte zu den Dragonern hin.

»Sie betrinken sich«, sagte Harper. »Sie haben mit den Jungs gesprochen? Besauft euch nicht, klaut nicht und kämpft wie Dämonen, Mister Sharpes üblicher Sermon?«

Sharpe lächelte. Dann nahm er das Fernrohr vom Sergeant entgegen und richtete es auf das Dorf, wo ein Dutzend Dragoner, die grünen Röcke aufgeknöpft, aus Weinschläuchen trank. Andere durchsuchten die kleinen Häuser. Aus einem Haus lief eine Frau mit zerrissenem schwarzen Kleid, wurde von einem Kavalleristen gepackt und wieder hineingezerrt. »Ich dachte, die Dorfbewohner sind geflüchtet«, sagte Sharpe.

»Ich habe ein paar Frauen gesehen«, sagte Harper, »und zweifellos gibt es viel mehr, die wir nicht sehen können. Was werden wir mit den Dragonern machen?«

»Wir werden ihnen auf die Nase pinkeln, und wenn sie uns allemachen wollen, müssen wir ihnen zuvorkommen.« Er schob das Fernrohr zusammen und erzählte Harper genau, was er plante, um die Dragoner zu besiegen.

Die Weingärten gaben Sharpe die Gelegenheit. Die Reben wuchsen in dichten Reihen vom Fluss bis zu einem Waldstück im Westen, und sie waren nur von einem Fußweg unterbrochen, der den Arbeitern Zugang zu den Pflanzen gewährte und Sharpes Männern gute Deckung bot, als sie näher an Barca d'Avintas herankrochen. Zwei sorglose französische Wachtposten beobachteten vom Rand des Dorfes aus, doch keiner sah irgendetwas Bedrohliches in der Frühlingslandschaft. Einer von ihnen legte sogar seinen Karabiner ab, um eine Pfeife mit Tabak zu stopfen.

Sharpe führte Vicentes Männer nahe an den Fußweg heran und schickte seine Schützen nach Westen, sodass sie näher an der Koppel waren, in der sich die Pferde der Dragoner befanden. Dann spannte er sein Gewehr, legte sich hin, schob den Lauf zwischen zwei knorrige Weinwurzeln und zielte auf den nächsten Posten.

Er feuerte, und der Knall hallte noch von den Häusern des Dorfes wider, als seine Schützen das Feuer auf die Pferde eröffneten. Ihre erste Salve traf sechs oder sieben der Tiere und sorgte für Panik bei den anderen angepflockten Pferden. Zwei von ihnen schafften es, ihre Pflöcke aus dem Boden zu reißen, und sprangen über den Zaun, doch dann preschten sie zurück zu ihren Artgenossen, als die Schützen nachgeladen hatten und von Neuem feuerten. Weitere Pferde wieherten schrill und fielen. Ein halbes Dutzend der Schützen beobachtete das Dorf, und als die ersten Dragoner auf die Koppel zurannten, eröffneten sie das Feuer auf sie. Vicentes Infanterie blieb verborgen, duckte sich zwischen die Rebstöcke.

Sharpe sah, dass der Posten, den er niedergeschossen hatte, zur Straße kroch und eine blutige Spur hinterließ. Sharpe feuerte wieder, diesmal auf einen Offizier, der zur Pferdekoppel rannte. Weitere Dragoner, die befürchteten, ihre Pferde zu verlieren, rannten zur Koppel, um sie loszubinden, und die Kugeln töteten sie ebenso wie die Pferde. Eine verletzte Stute wieherte schmerzlich, dann erkannte der befehlshabende Offizier der Dragoner, dass die Pferde nicht gerettet werden konnten und er die Männer, die sie erschossen, zu Fuß bekämpfen musste, und er befahl seinen Kavalleristen, zum Weingarten vorzurücken und die Angreifer zu vertreiben.

»Schießt weiter auf die Pferde!«, rief Sharpe. Es war kein angenehmer Job. Die Schreie der verwundeten Tiere und der Anblick eines verletzten Wallachs, der sich nur auf der Vorderhand weiterschleppte, waren herzzerreißend, doch Sharpe ließ seine Männer feuern. Die Dragoner, noch vom Gewehrfeuer verschont, rannten zum Weingarten. Sie waren in dem festen Glauben, es nur mit einer Hand voll Partisanen zu tun zu haben. Die Dragoner waren mit Karabinern, kurzläufigen Musketen, ausgerüstet, mit denen sie zu Fuß kämpfen konnten, und einige trugen die Karabiner, während andere es vorzogen, mit ihren langen Schwertern zu kämpfen, aber alle rannten instinktiv auf den Weg zu, der zwischen den Weinreihen anstieg. Sharpe hatte vermutet, dass sie dem Weg folgen würden, anstatt über die Reben zu klettern, und deshalb hatte er Vicente und seine Männer nahe bei diesem Pfad postiert. Die Dragoner drängten sich zusammen, als sie in den Weingarten stürmten, und Sharpe wollte schon zu den Portugiesen rennen und das Kommando über sie übernehmen, doch in diesem Augenblick befahl Vicente seinen Männern, anzugreifen.

Die portugiesischen Soldaten tauchten wie durch Zauberei vor den desorganisierten Dragonern auf. Sharpe beobachtete beifällig, wie Vicente seine Männer niederknien ließ und den Feuerbefehl gab. Die Franzosen versuchten, zur Seite hin auszuweichen, doch die Reben behinderten sie und Vicentes Salve hämmerte in den Pulk der Kavalleristen. Harper, auf der rechten Flanke, ließ die Schützen ebenfalls eine Salve feuern, und so waren die Dragoner von beiden Seiten einem tödlichen Feuerhagel ausgesetzt. Pulverrauch trieb über die Rebstöcke.

»Schwerter aufpflanzen!«, rief Sharpe. Ein Dutzend Dragoner war tot, und die hinteren ergriffen bereits die Flucht. Sie waren überzeugt gewesen, gegen undisziplinierte Bauern zu kämpfen, und sahen sich nun gegen richtige Soldaten in der Unterzahl. Das Zentrum ihrer provisorischen Linie war zerstört, die Hälfte ihrer Pferde war verendet, und jetzt kam die Infanterie mit aufgepflanzten Bajonetten durch den Rauch auf sie zu. Die Portugiesen traten über die toten und verwundeten Dragoner hinweg. Einer der Franzosen, mit einem Hüftschuss verwundet, wollte mit einer Pistole schießen, doch Vicente schlug sie ihm mit dem Säbel fort und trat die Waffe dann in den Fluss. Die unversehrten Dragoner rannten auf die Pferde zu.

Sharpe befahl seinen Schützen, sie mit ihren Kugeln zu vertreiben, anstatt mit den Klingen. »Versetzt sie in Panik! Leutnant!« Sein Blick suchte Vicente. »Führen Sie Ihre Männer ins Dorf! Cooper! Tongue! Slattery! Sichert diese Bastarde!« Er wusste, dass er die Franzosen vor sich in Bewegung halten musste, doch er wagte es nicht, irgendwelche leicht verwundeten Dragoner hinter sich zu lassen, und so befahl er den drei Schützen, die von Vicentes Salve verwundeten Kavalleristen zu entwaffnen. Die Portugiesen waren jetzt im Dorf, hämmerten gegen Haustüren und näherten sich einer kleinen Kirche, die in der Nähe der Brücke stand, die sich über den schmalen Fluss spannte.

Sharpe rannte zu dem Feld, auf dem die Pferde tot, verletzt oder verängstigt waren. Ein paar Dragoner hatten versucht, ihre Pferde loszubinden, doch das Gewehrfeuer hatte sie vertrieben. So war Sharpe jetzt der Besitzer von einem Dutzend Pferden.

»Dan!«, rief er nach Hagman. »Erlöse die verwundeten Pferde von ihren Qualen! Pendleton! Harris! Cresacre! Hier rüber!« Er wies zur westlichen Seite der Koppel. Die Dragoner waren in diese Richtung geflüchtet, und er nahm an, dass sie Zuflucht zwischen einigen Bäumen gesucht hatten, die dicht beieinander nur hundert Yards entfernt standen. Drei Posten reichten nicht, um selbst mit einem halbherzigen Gegenangriff der Franzosen fertig zu werden, und so wusste Sharpe, dass er diese Posten schnell verstärken musste. Zuerst wollte er jedoch sicherstellen, dass keine Dragoner in den Häusern, Gärten und Obstplantagen des Dorfes lauerten.

Barca d'Avintas war eine kleine Ansiedlung, ein paar Häuser an der Straße, die am Fluss entlangführte, mit einer kleinen Anlegestelle für die Fähre, doch etwas von dem Rauch, den Sharpe gesehen hatte, kam von einem flachen Boot mit stumpfem Bug und einem Dutzend Ruderdollen. Jetzt lag es rauchend im Wasser, die oberen Aufbauten bis zur Wasserlinie abgebrannt und der Rumpf gelöchert und gesunken. Sharpe starrte auf das nutzlose Boot, schaute über den Fluss, der über hundert Yards breit war, und fluchte.

Harper erschien neben ihm, das Gewehr über die Schulter geschlungen. »Mein Gott«, sagte er und sah auf die Fähre. »Das taugt nicht für Mann oder Tier, oder?«

»Ist irgendeiner deiner Jungs verwundet?«

»Kein Einziger. Niemand hat auch nur einen Kratzer. Bei den Portugiesen ist es das Gleiche, sie haben sich gut gehalten, nicht wahr?« Er blickte wieder auf das verbrannte Boot. »Mein Gott, war das die Fähre?«

»Es war die verdammte Arche Noah«, blaffte Sharpe. »Was hast du denn gedacht?« Er war ärgerlich, denn er hatte gehofft, mit der Fähre seine Männer über den Douro bringen zu können, aber jetzt hatte sich die Hoffnung zerschlagen. Er ging fort und blickte sich gerade noch rechtzeitig um, um zu sehen, dass Harper ihm eine Grimasse schnitt. »Hast du die Tavernen gefunden?«, fragte er und ignorierte die Grimasse.

»Noch nicht, Sir«, sagte Harper.

»Dann finde sie, stell eine Wache bei ihnen auf und schick ein Dutzend weitere Männer auf die andere Seite der Koppel.«

»Jawohl, Sir.«

Die Franzosen hatten weitere Feuer bei den Schuppen am Flussufer gelegt, und Sharpe duckte sich jetzt unter dem Rauch und trat halb verbrannte Türen auf. In einem Schuppen schwelte ein Haufen geteerter Netze. Im nächsten befand sich ein schwarz angestrichenes Ruderboot. Der Schuppen war angezündet worden, doch die Flammen hatten das Boot noch nicht erreicht. Sharpe konnte es durch die Tür ziehen, bevor Leutnant Vicente eintraf und ihm half, es endgültig vor dem Feuer zu retten. Die anderen Schuppen brannten lichterloh, aber wenigstens dieses Boot war gerettet. Sharpe nahm an, dass es sicher ein halbes Dutzend Personen aufnehmen konnte, was bedeutete, dass es den Rest des Tages dauern würde, bis alle über den Fluss transportiert waren. Sharpe wollte gerade Vicente bitten, nach Rudern oder Paddeln Ausschau zu halten, als er sah, dass das Gesicht des jungen Mannes weiß und erschüttert aussah. Der Leutnant wirkte den Tränen nahe.

»Was ist?«, fragte Sharpe.

Vicente gab keine direkte Antwort, sondern wies nur zurück zum Dorf.

»Die Franzosen haben ihren Spaß mit den Frauen, wie?«, fragte Sharpe und ging auf die Häuser zu.

»Ich würde es nicht Spaß nennen«, sagte Vicente bitter. »Und da ist ein Gefangener.«

»Nur einer?«

»Da sind auch noch zwei andere«, sagte Vicente, »aber dieser eine ist ein Leutnant. Er hatte keine Hosen an, deshalb war er zum Fliehen zu langsam.«

Sharpe fragte nicht, weshalb der gefangen genommene Dragoner keine Hosen angehabt hatte. Das konnte er sich denken. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«

»Er muss vor Gericht kommen«, sagte Vicente.

Sharpe blieb stehen und starrte den Leutnant an. »Er muss was?«, fragte er erstaunt. »Vor Gericht?«

»Natürlich.«

»In meinem Land wird ein Vergewaltiger gehängt.«

»Nicht ohne Prozess«, protestierte Vicente, und Sharpe vermutete, dass die portugiesischen Soldaten den Gefangenen auf der Stelle hatten umbringen wollen und Vicente das verhindert hatte, weil er die Gerichtsverhandlung für nötig hielt.

»Verdammt, Sie sind jetzt Soldat, kein Anwalt. Sie geben dem Feind keine Gerichtsverhandlung.«

Die meisten der Bewohner von Barca d'Avintas waren vor den Dragonern geflüchtet, doch einige waren geblieben. Die meisten davon waren jetzt bei einem Haus versammelt, das von einem halben Dutzend von Vicentes Männern bewacht wurde. Ein toter Dragoner ohne Hemd, Rock, Stiefel und Reithose lag mit dem Gesicht nach unten vor der Kirche. Er musste an der Kirchenwand gelehnt haben, als er erschossen worden war, denn er hatte eine Blutspur auf den weiß getünchten Steinen hinterlassen. Ein Hund schnüffelte an seinen Zehen.

Die Soldaten und Dorfbewohner bildeten eine Gasse, um Sharpe und Vicente ins Haus zu lassen, wo der junge Dragoneroffizier, blond, hager und mit verdrossener Miene, von Feldwebel Macedo und einem anderen portugiesischen Soldaten bewacht wurde. Der Leutnant hatte es noch geschafft, seine Reithose anzuziehen, hatte jedoch keine Zeit gehabt, sie zuzuknöpfen, und hielt sie jetzt bei den Hüften zu. Als er Sharpe sah, begann er Französisch zu brabbeln.

»Sprechen Sie Französisch?«, fragte er Vicente.

»Selbstverständlich«, sagte Vicente.

Aber Vicente, dachte Sharpe, will diesem blonden Franzosen einen Prozess machen, und wenn er den Mann verhört hat, wird er nicht die Wahrheit erfahren haben, nur die Ausreden. So ging Sharpe zur Tür und rief: »Harper!« Er wartete, bis der Sergeant auftauchte. »Holen Sie mir Tongue oder Harris her«, befahl er.

»Ich will zu dem Mann sprechen«, protestierte Vicente.

»Ich brauche Sie, um mit jemand anderem zu sprechen«, sagte Sharpe. Dann ging er ins Nebenzimmer, wo ein Mädchen - es konnte nicht älter als vierzehn sein - schluchzte und weinte. Sein Gesicht war rot, die Augen waren geschwollen. Es atmete keuchend, und immer wieder schluchzte es verzweifelt. Es war in eine Wolldecke gehüllt, und auf seiner linken Wange sah Sharpe einen blauen Fleck. Eine ältere Frau, ganz in Schwarz gekleidet, versuchte das Mädchen zu trösten, doch in dem Moment, in dem es Sharpe sah, begann es noch lauter zu weinen, und er wich verlegen aus dem Zimmer zurück.

»Finden Sie heraus, was ihr widerfahren ist«, sagte er zu Vicente. Dann wandte er sich um, als Harris eintrat. Harris und Tongue waren die beiden gebildetsten von Sharpes Männern. Tongue hatte wegen seiner Trunksucht den Job verloren und war zur Armee gegangen, während der rothaarige, stets fröhliche Harris behauptete, aus Abenteuerlust Soldat geworden zu sein. Abenteuer erlebt er jetzt viele, dachte Sharpe. »Dieses Stück Scheiße«, sagte Sharpe zu Harris und nickte zu dem blonden Franzosen hin, »wurde mit heruntergelassenen Hosen und einem Mädchen unter sich erwischt. Finden Sie heraus, wie er sich herausreden will, bevor wir den Bastard töten.«

Er ging auf die Straße hinaus und trank ausgiebig aus der Feldflasche. Das Wasser war warm und abgestanden. Harper wartete bei einem Pferd in der Mitte der Straße, und Sharpe gesellte sich zu ihm. »Alles in Ordnung?«

»Dort drinnen sind zwei weitere Franzmänner.« Harper wies mit dem Daumen hinter sich auf die Kirche. Die Kirchentür wurde von vier von Vicentes Männern bewacht.

»Was tun sie dort?«, fragte Sharpe. »Beten?«

Der Mann aus Ulster zuckte mit den Schultern. »Sie suchen heiligen Beistand, nehme ich an.«

»Wir können die Bastarde nicht mitnehmen«, sagte Sharpe. »Warum erschießen wir sie nicht einfach?«

»Weil Mister Vicente sagt, das dürfen wir nicht«, erwiderte Harper. »Mister Vicente ist sehr menschenfreundlich, was Gefangene angeht, nicht wahr?«

»Für einen Anwalt scheint er halbwegs anständig zu sein«, stimmte Sharpe widerwillig zu.

»Die besten Anwälte sehen sich die Radieschen von unten an«, sagte Harper, »und dieser lässt nicht zu, dass ich diese beiden Bastarde erschieße. Er sagt, dass sie nur Trunkenbolde sind. Und das stimmt ja auch.«

»Wir können uns nicht mit Gefangenen belasten«, beharrte Sharpe und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Holen Sie Tongue«, schlug er vor, »und stellen Sie fest, ob wir herausfinden können, was diese beiden angestellt haben. Wenn sie sich nur mit Kommunionswein betrunken haben, dann nehmen wir ihnen alles Wertvolle ab und schicken sie dorthin zurück, woher sie gekommen sind. Aber wenn sie jemanden vergewaltigt haben ...«

»Ich weiß, was ich tun muss, Sir«, sagte Harper grimmig.

»Dann tun Sie es«, sagte Sharpe. Er nickte Harper zu und ging an der Kirche vorbei zu der Stelle, wo der Nebenfluss in den Douro mündete. Die Straße führte über die schmale Steinbrücke westwärts durch einen Weingarten an einem umzäunten Friedhof vorbei und wand sich dann durch Weideland neben dem Douro. Es war alles offenes Land, und wenn mehr Franzosen kamen und er sich aus dem Dorf zurückziehen musste, dann konnte er es nicht wagen, die Straße zu benutzen. Er hoffte bei Gott, dass er Zeit genug hatte, um seine Männer über den Douro zu transportieren, und dieser Gedanke veranlasste ihn, zurück zur Straße zu gehen und sich auf die Suche nach Ruderstangen zu machen. Oder vielleicht konnte er ein Seil finden. Wenn das Seil lang genug war, konnte er es über den Fluss spannen und das Boot hin- und herziehen, das würde sicherlich schneller gehen als das Rudern.

Er fragte sich, ob es in der kleinen Kirche Glockenseile gab, die lang genug waren, als Harris aus dem Haus kam und sagte, dass der Gefangene Leutnant Olivier von den 18. Dragonern war. Obwohl man ihn mit heruntergelassener Hose gefangen genommen hatte, leugnete er, das Mädchen vergewaltigt zu haben. »Er sagte, so würden sich keine französischen Offiziere benehmen«, berichtete Harris, »doch Leutnant Vicente sagt, das Mädchen schwört, dass er es getan hat.«

»Hat er oder hat er nicht?«, fragte Sharpe gereizt.

»Natürlich hat er, Sir. Er gab es sozusagen zu, nachdem ich ihm Prügel angedroht hatte«, sagte Harris fröhlich, »aber er bestand immer noch darauf, dass sie es auch wollte. Er sagte, er wollte sie trösten, nachdem ein Feldwebel sie vergewaltigt hatte.«

»Er wollte sie trösten?«, sagte Sharpe. »Er war also der Zweite in der Reihe?«

»Der Fünfte in der Reihe«, korrigierte Harris mit tonloser Stimme, »das sagt jedenfalls das Mädchen.«

Sharpe fluchte. »Warum schlagen wir den Dreckskerl nicht erst blau und hängen ihn dann auf?« Er ging zum Haus, wo die Zivilisten den Franzosen anschrien und er sie mit einem Hochmut ansah, der auf einem Schlachtfeld bewundernswert gewesen wäre. Vicente hatte den Dragoner geschützt und appellierte jetzt an Sharpe, zu helfen, Leutnant Olivier in Sicherheit zu eskortieren. »Er muss einen Prozess bekommen«, beharrte er.

»Er hatte soeben einen Prozess«, sagte Sharpe, »und ich habe ihn schuldig befunden. Deshalb werde ich ihn jetzt verprügeln und dann aufhängen.«

Vicente wirkte nervös, doch er machte keinen Rückzieher. »Wir können uns nicht auf ihr Niveau der Barbarei begeben«, mahnte er.

»Ich habe das Mädchen nicht vergewaltigt«, sagte Sharpe, »also werfen Sie mich nicht in einen Topf mit ihm.«

»Wir kämpfen für eine bessere Welt«, erklärte Vicente.

Sharpe starrte den jungen portugiesischen Offizier an und mochte kaum glauben, was er gehört hatte. »Und was geschieht mit ihm, wenn wir ihn hier zurücklassen?«

»Das können wir nicht tun!«, sagte Vicente, der wusste, dass die Rache der Dorfbewohner weitaus schlimmer sein würde als ein schneller Tod.

»Und wir können keine Gefangenen mitnehmen!«, beharrte Sharpe.

»Wir können ihn nicht töten, und wir können ihn nicht hierlassen. Es wäre Mord.« Vicente errötete vor Empörung.

»Oh, um Himmels willen«, sagte Sharpe wütend.

Leutnant Olivier sprach kein Englisch, aber er schien zu verstehen, dass sein Schicksal auf dem Spiel stand, denn er beobachtete Sharpe und Vicente wie ein Falke.

»Und wer soll der Richter und die Jury sein?«, fragte Sharpe, doch Vicente erhielt keine Gelegenheit zu antworten, denn in diesem Augenblick krachte ein Musketenschuss am westlichen Rand des Dorfes, dann ein anderer, und dann setzte heftiges Musketenfeuer ein.

Die Franzosen waren zurückgekommen.


Colonel James Christopher liebte es, die Husarenuniform zu tragen. Er fand sich darin chic, und er verbrachte viel Zeit damit, sich im Spiegel des größten Schlafzimmers im Bauernhaus zu betrachten und über das Gefühl der Macht zu staunen, das von der Uniform auszugehen schien. Er sagte sich, dass es von den hohen, mit Troddeln versehenen Stiefeln und dem hohen, steifen Kragen kam, wodurch man zu sehr aufrechter Haltung gezwungen wurde. Der Uniformrock war so eng, dass Christopher, der schlank und fit war, den Bauch einziehen musste, um die Haken zu schließen, die Augen auf die mit Silbertresse besetzte Brust gerichtet. Die Uniform gab ihm das Gefühl, Autorität auszustrahlen, und die Eleganz der Uniform wurde erhöht durch die pelzbesetzte Pelisse, die auf der linken Schulter bis zur silberbeschlagenen Säbelscheide hinabhing, die klirrte, als er die Treppe hinunterging auf die Terrasse, wo er auf und ab schlendernd seinen Gast erwartete.

Er schob einen Zahnstocher in den Mund und bearbeitete mit ihm seine Zähne, als er zum fernen Rauch starrte, der anzeigte, wo Gebäude der eingenommenen Stadt brannten. Eine Hand voll Flüchtlinge war zum Bauernhof gekommen und bettelte um Nahrungsmittel, und Luis hatte mit ihnen geredet und Christopher gesagt, dass Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Leuten ertrunken wären, als die Pontonbrücke gebrochen war. Die Flüchtlinge behaupteten, die Franzosen hätten die Brücke mit Kanonenfeuer zerstört, und Luis, dessen Hass auf den Feind von den Gerüchten genährt wurde, hatte seinen Herrn mit sonderbarer Miene angeschaut, bis Christopher schließlich die Geduld verloren hatte. »Es ist nur eine Uniform, Luis! Kein Anzeichen darauf, dass ich die Seiten gewechselt hätte!«

»Eine französische Uniform«, hatte sich Luis beklagt.

»Du wünschst, dass Portugal von Frankreich befreit wird?«, hatte Christopher geblafft. »Dann verhalte dich respektvoll und vergiss diese Uniform.«

Jetzt ging Christopher auf der Terrasse auf und ab, stocherte zwischen seinen Zähnen und beobachtete ständig die Straße, die durch die Hügel führte. Die Uhr in dem eleganten Salon des Bauernhauses schlug dreimal, und der letzte Ton war noch nicht ganz verklungen, als ein großer Trupp Kavalleristen auf der fernen Hügelkuppe auftauchte. Es waren Dragoner, und sie eskortierten den Offizier, mit dem sich Christopher treffen würde.

Die Dragoner, alle vom 18. Regiment, bogen in die Felder unterhalb des Bauernhauses ab, wo ein Bach Wasser für ihre Pferde bot. Die sonst rosafarbenen Brustseiten der grünen Röcke waren jetzt staubbedeckt. Einige sahen Christopher in seiner französischen Husarenuniform und salutierten hastig, doch die meisten ignorierten ihn und führten ihre Pferde zum Bach, während der Engländer zu seinem Besucher schritt, um ihn zu begrüßen.

Sein Name war Argenton. Er war ein Hauptmann und der Adjutant des 18. Dragonerregiments, und sein Lächeln verriet, dass er Colonel Christopher kannte und mochte. »Die Uniform steht Ihnen«, sagte Argenton.

»Ich habe sie in Oporto gefunden«, sagte Christopher. »Sie gehörte einem armen Kerl, der im Gefängnis an Fieber starb, und ein Schneider änderte sie passend für meine Figur.«

»Das hat er gut gemacht«, sagte Argenton bewundernd. »Jetzt brauchen Sie nur noch die cadenettes.«

»Die cadenettes?«

»Die Zöpfe«, erklärte Argenton und berührt seine Schläfen, wo die französischen Husaren ihr Haar lang wachsen ließen, um anzuzeigen, dass sie Elite-Kavalleristen waren. »Einige Männer werden kahl und lassen von Perückenmachern falsche cadenettes anfertigen, die sie an ihren Helmen befestigen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich Zöpfe haben will«, sagte Christopher belustigt, »aber vielleicht kann ich eine Frau mit schwarzem Haar finden und ihr die Zöpfe abschneiden.«

»Eine gute Idee«, meinte Argenton. Er beobachtete anerkennend, wie seine Eskorte Posten aufstellte. Dann lächelte er einem sehr verdrossen aussehenden Luis zu, der ihm und Christopher Gläser mit vinho verde füllte, dem goldenen Weißwein aus dem Douro-Tal. Argenton nippte an dem Wein und war überrascht vom guten Geschmack. Er war ein schlanker Mann mit freundlichem, offenem Gesicht und roten Haaren, die feucht vom Schweiß waren. Er lächelte oft, ein Zeichen auf seine vertrauensvolle Natur. Christopher neigte dazu, den Franzosen zu verabscheuen, doch er wusste, wie nützlich er sein würde.

Argenton trank seinen Wein aus. »Haben Sie von dem Brückeneinsturz in Oporto gehört, bei dem viele Menschen ertrunken sind?«, fragte er.

»Mein Diener sagt, Sie hätten die Brücke zerstört.«

»Das sagt man wohl.« Argenton blickte bedauernd drein. »Die Brücke stürzte unter dem Gewicht der Flüchtlinge ein. Es war ein Unfall. Ein trauriger Unfall, aber wenn die Leute zu Hause geblieben wären und unseren Männern ein anständiges Willkommen bereitet hätten, dann hätte es keine Panik auf der Brücke gegeben. Alle würden noch leben. So gibt man uns die Schuld, aber es hatte nichts mit uns zu tun. Die Brücke war nicht stark genug, und wer hat sie gebaut? Die Portugiesen.«

»Ein trauriger Unfall, wie Sie meinen«, sagte Christopher, »aber trotzdem muss ich Ihnen zur schnellen Einnahme von Oporto gratulieren. Es war eine bemerkenswerte Großtat Ihrer Soldaten.«

»Sie wäre noch viel bemerkenswerter gewesen«, bemerkte Argenton, »wenn die Gegner bessere Soldaten gewesen wären.«

»Kann ich daraus entnehmen, dass Ihre Verluste nicht übermäßig gewesen sind?«

»Eine Hand voll«, sagte Argenton und zuckte mit den Schultern, »aber die Hälfte unseres Regiments ist nach Osten geschickt worden, und es verlor einige Männer bei einem Hinterhalt am Fluss. Ein Hinterhalt ...«, er blickte Christopher anklagend an, »... an dem einige britische Schützen teilnahmen. Ich hatte nicht gedacht, dass noch irgendwelche britischen Soldaten in Oporto sind.«

»Das sollten sie auch nicht sein«, sagte Christopher. »Sie sollten südlich des Flusses sein, wie ich befohlen habe.«

»Dann haben sie Ihnen nicht gehorcht«, sagte Argenton.

»Sind irgendwelche Schützen gefallen?«, fragte Christopher und hoffte zu hören, dass Sharpe tot war.

»Ich war nicht dort. Ich bin in Oporto stationiert, wo ich mich um Quartiere und Verpflegung kümmere und die Botengänge des Krieges erledige.«

»Was Sie bewundernswert tun«, sagte Christopher schmeichlerisch. Dann führte er seinen Gast in das Bauernhaus, wo Argenton die Fliesen am Kamin und den einfachen Kronleuchter bewunderte, der über dem Tisch hing. Die Mahlzeit war alltäglich: Hühnchen, Bohnen, Brot, Käse und ein guter Landrotwein. Hauptmann Argenton lobte sie dennoch.

»Wir haben knappe Rationen gehabt«, sagte er, »aber das sollte sich jetzt ändern. Wir haben viele Nahrungsmittel in Oporto gefunden und ein Lagerhaus, das bis obenhin mit gutem britischen Pulver und Munition vollgestopft ist.«

»Sind Sie daran auch knapp?«, fragte Christopher.

»Wir haben reichlich«, sagte Argenton, »doch das britische Pulver ist besser als unseres. Wir haben keine Vorkommen an Salpeter außer dem, was wir aus Senkgruben kratzen.«

Christopher schnitt eine Grimasse bei dem Gedanken. Der beste Salpeter, ein wesentlicher Bestandteil von Schießpulver, kam aus Indien, und er hätte nie gedacht, dass in Frankreich Mangel daran herrschen würde. »Ich nehme an, dass das Pulver der Briten ein Geschenk an die Portugiesen war.«

»Die es nun uns geschenkt haben«, sagte Argenton. »Sehr zur Freude von Marschall Soult.«

»Dann ist es vielleicht an der Zeit, dass wir dem Marschall die Freude nehmen«, sagte Christopher.

»In der Tat«, pflichtete Argenton bei, und dann verfielen sie in Schweigen, als sie das Ziel ihres Treffens erreicht hatten.

Es war ein sonderbares Ziel, aber ein aufregendes. Die beiden Männer planten Meuterei. Oder Rebellion. Oder einen Coup gegen Marschall Soults Armee. Aber wie auch immer man es beschreiben wollte, es war eine List, mit der man den Krieg beenden konnte.

Es gab, wie Argenton jetzt erklärte, starke Unzufriedenheit in Marschall Soults Armee. Christopher hatte all dies von seinem Gast schon gehört, doch er unterbrach Argenton nicht, als er die Argumente wiederholte, die seine Untreue rechtfertigen sollten. Er beschrieb, dass einige Offiziere, alle fromme Katholiken, zu Tode beschämt vom Verhalten ihrer Armee in Spanien und Portugal waren. Kirchen waren geschändet und Nonnen vergewaltigt worden. »Selbst die heiligen Sakramente sind befleckt worden«, sagte Argenton in entsetztem Tonfall.

»Kaum zu glauben«, sagte Christopher.

Andere Offiziere, wenige, waren einfach nur gegen Bonaparte. Argenton war ein katholischer Monarchist, doch er war bereit, gemeinsame Sache mit den Jakobinern zu machen, und glaubte, dass Bonaparte die Revolution verraten hätte. »Man kann ihnen natürlich nicht trauen«, sagte Argenton, »nicht auf lange Sicht, aber sie werden sich uns im Widerstand gegen Bonapartes Tyrannei anschließen.«

»Das hoffe ich«, sagte Christopher. Die britische Regierung hatte schon lange gewusst, dass im Untergrund einige französische Offiziere Bonaparte Widerstand leisteten. Sie nannten sich selbst »Philadelphes«, und London hatte Agenten auf die schwer fassbare Bruderschaft angesetzt, war jedoch zu dem Schluss gelangt, dass ihre Zahl zu gering war, ihre Ideale und ihre Unterstützer zu ideologisch zerstritten waren, sodass zu bezweifeln war, dass sie jemals Erfolg haben würden.

Hier, im entfernten nördlichen Portugal, hatten die verschiedenen Gegner Bonapartes jedoch eine gemeinsame Basis gefunden. Christopher hatte zuerst Wind von dieser Sache bekommen, als er mit einem französischen Offizier gesprochen hatte, der in Braga lebte und als Gefangener an Portugals nördlicher Grenze gewesen war. Als ihm Hafturlaub gewährt wurde, war seine einzige Beschränkung gewesen, zu seinem eigenen Schutz in der Kaserne zu bleiben. Christopher hatte mit dem unglücklichen Offizier getrunken und eine Geschichte der französischen Unzufriedenheit gehört, die ihre Wurzel in den absurden Ambitionen eines einzigen Mannes hatte.

Nicolas Jean de Dieu Soult, Herzog von Dalmatien, Marschall von Frankreich und Befehlshaber der Armee, die jetzt in Portugal einfiel, hatte andere Männer erlebt, die dem Kaiser dienten, um Prinzen und sogar König zu werden, und er nahm an, dass sein Herzogtum eine dürftige Belohnung für eine Karriere war, die all die anderen Marschälle in den Schatten stellte. Soult war seit vierundzwanzig Jahren Soldat, General seit fünfzehn und Marschall seit fünf. Bei Austerlitz, dem größten aller bisherigen Siege des Kaisers, hatte Marschall Soult Ruhm errungen und Marschall Bernadotte bei Weitem übertroffen, der jetzt trotzdem Prinz von Ponte Corvo war. Jerome Bonaparte, der jüngste Bruder des Kaisers, war ein müßiger, extravaganter Tunichtgut, doch er war König von Westfalen, während Marschall Murat, ein hitzköpfiger Prahlhans, König von Neapel war. Luis Napoleon, ein weiterer Bruder des Kaisers, war König von Holland, und all diese Männer waren unbedeutende Nichtskönner, während Soult, der seinen hohen Wert kannte, nur Herzog war. Das war nicht genug.

Aber jetzt war der alte Thron von Portugal unbesetzt. Die königliche Familie war aus Furcht vor der französischen Invasion nach Brasilien geflüchtet, und Soult wollte den leeren Thron einnehmen. Zu Beginn hatte Colonel Christopher die Geschichte nicht geglaubt, doch der Gefangene hatte geschworen, dass sie wahr sei. Christopher hatte mit einigen der Gefangenen, die an der nördlichen Grenze Portugals gefangen genommen worden waren, gesprochen, und alle hatten behauptet, sie hätten die gleiche Geschichte gehört. Es sei kein Geheimnis, hatten sie gesagt, dass Soult König werden wollte, doch sie hatten Christopher auch erzählt, dass die Offiziere wegen der Ambitionen des Marschalls sauer waren, denn es gefiel ihnen nicht, so weit von zu Hause zu kämpfen und zu leiden, nur damit Nicolas Soult einen leeren Thron besteigen konnten. Es gab Gerede von Meuterei, und Christopher hatte sich gefragt, ob er feststellen könnte, wie viel von dem Gerede ernst war, bevor Hauptmann Argenton ihn darauf ansprach.

Argenton, mit großem Wagemut, war durch das nördliche Portugal in Zivilkleidung gereist und hatte sich als Weinhändler ausgegeben. Wenn er geschnappt worden wäre, hätte man ihn als Spion erschossen, denn Argenton erkundete nicht das Land vor den französischen Armeen, sondern versuchte, portugiesische Aristokraten zu finden, die Soult bei seinen Ambitionen ermuntern würden, denn wenn sich der Marschall selbst zum König von Portugal ernannte oder, bescheidener, zum König von Nord-Lusitania, dann musste er als Erstes überzeugt sein, dass es Männer von Einfluss in Portugal gab, die seine Machtergreifung unterstützen würden. Argenton hatte mit solchen Männern geredet und zu seiner Überraschung festgestellt, dass es viele Aristokraten, Geistliche und Gelehrte im nördlichen Portugal gab, die ihre Monarchie hassten und glaubten, dass ein ausländischer König aus dem aufgeklärten Frankreich eine Bereicherung ihres Landes sein würde. So wurden Briefe gesammelt, die Soult ermuntern würden, sich zum König zu machen.

Und wenn das geschah, würde die Armee meutern, das hatte Argenton Christopher prophezeit. Der Krieg musste gestoppt werden, hatte Argenton gesagt, oder sonst würde er wie ein Großbrand ganz Europa verschlingen. Es war Wahnsinn, hatte er gesagt, ein Wahnsinn des Kaisers, der entschlossen zu sein schien, die ganze Welt zu erobern. »Er glaubt, er wäre Alexander der Große«, hatte der Franzose düster gesagt, »und wenn er nicht gestoppt wird, dann wird nichts von Frankreich übrig bleiben. Gegen wen sollen wir kämpfen? Gegen jeden? Österreich? Preußen? Britannien? Spanien? Portugal? Russland?«

»Niemals gegen Russland«, sagte Christopher, »selbst Bonaparte ist nicht so verrückt.«

»Er ist wahnsinnig«, beharrte Argenton, »und wir müssen Frankreich von ihm befreien.« Und das würde durch die Meuterei gelingen, dachte er, die sicherlich ausbrechen würde, wenn sich Soult zum König machte.

»Eure Armee ist unglücklich«, sagte Christopher, »aber wird sie euch bei der Meuterei folgen?«

»Die werde ich nicht führen«, sagte Argenton. »Es gibt aber viele, die das tun werden. Diese Männer wollen die Armee nach Frankreich zurückholen, und ich versichere Ihnen, dass dies auch die Soldaten wünschen. Sie werden folgen.«

»Und wer sind die Führer?«, wollte Christopher wissen.

Argenton zögerte mit der Antwort. Jede Meuterei war eine gefährliche Sache, und wenn die Identität der Führer bekannt wurde, würden sie vors Erschießungskommando kommen.

Christopher bemerkte Argentons Zögern. »Wenn wir die britische Regierung überzeugen wollen, dass Ihre Pläne es wert sind, sie zu unterstützen, dann müssen wir ihr Namen nennen. Das geht nicht anders. Und Sie müssen uns vertrauen, mein Freund.« Christopher legte eine Hand auf seine Brust in Höhe des Herzens. »Ich schwöre bei meiner Ehre, dass ich diese Namen niemals verraten werde. Niemals!«

Argenton, beruhigt, zählte die Männer auf, welche die Revolte gegen Soult anführen würden. Da waren ein Oberst Lafitte, der befehlshabende Offizier seines eigenen Regiments und der Bruder des Obersten, und sie wurden unterstützt von Oberst Donadieu vom 47. Regiment. Sie sind respektiert«, sagte Argenton ernst, »und die Männer werden ihnen folgen.« Er nannte noch mehr Namen, die Christopher in seinem Notizbuch notierte. Er bemerkte, dass keiner der Meuterer über dem Rang eines Obersten war.

»Eine beeindruckende Liste«, log Christopher. Dann lächelte er. »Geben Sie mir jetzt einen anderen Namen. Sagen Sie mir, wer in Ihrer Armee Ihr gefährlichster Gegner sein würde.«

»Unser gefährlichster Gegner?« Argenton war von der Frage verwirrt.

»Natürlich ein anderer als Marschall Soult«, sagte Christopher. »Ich möchte wissen, wen wir beobachten sollten.«

»Ah.« Jetzt verstand Argenton. Er dachte kurz nach. »Vielleicht Brigadier General Vuillard«, sagte er dann.

»Von dem habe ich noch nie gehört.«

»Ein Bonaparte-Anhänger durch und durch«, sagte Argenton missbilligend.

»Buchstabieren Sie mir bitte seinen Namen«, bat Christopher. Dann schrieb er ihn nieder: Brigadier General Henri Vuillard. »Ich nehme an, er weiß nichts von unserem Plan?«

»Natürlich nicht!«, sagte Argenton. »Aber es ist ein Plan, der ohne britische Unterstützung nicht klappen wird. Steht General Cradock der Sache wohlwollend gegenüber oder nicht?«

»Cradock steht auf unserer Seite«, sagte Christopher zuversichtlich. Er hatte dem britischen General von seinen früheren Unterhaltungen berichtet, und Cradock hatte in der vorgeschlagenen Meuterei eine Alternative zur Fortsetzung des Kampfes gegen Frankreich gesehen und Christopher ermuntert, die Sache zu verfolgen. »Aber leider«, fuhr Christopher fort, »gibt es Gerüchte, dass er bald abgelöst werden wird.«

»Und der neue Mann?«, fragte Argenton.

»Wellesley«, sagte Christopher. »Sir Arthur Wellesley.«

»Ist das ein guter General?«

Christopher zuckte mit den Schultern. »Er hat gute Beziehungen. Der jüngere Sohn eines Earl. Eton, natürlich. Man hielt ihn nicht für clever genug, etwas außerhalb der Armee zu bewältigen, aber die meisten Leute meinen, dass er im letzten Jahr bei Lissabon seine Sache gut gemacht hätte.«

»Gegen Laborde und Junot!«, sagte Argenton ätzend.

»Und er hatte zuvor einige Erfolge in Indien«, fügte Christopher hinzu.

»Oh, in Indien!« Argenton lächelte. »Ein guter Ruf in Indien hält selten einer Salve in Europa stand. Aber wird dieser Wellesley gegen Soult kämpfen wollen?«

Christopher dachte über diese Frage nach. »Ich finde, dass er es vorziehen würde, nicht zu verlieren«, sagte er schließlich. »Ich glaube, dass er kooperieren wird, wenn er von der Stärke Ihrer Gefühle weiß.« Christopher war nicht annähernd so überzeugt, wie er klang. Er hatte gehört, dass General Wellesley ein kalter Mann war, der wohl kaum bei einer Eskapade mitmachen würde, deren Erfolg von so vielen Vermutungen abhing, doch Christopher hatte Wichtigeres zu tun, als sich jetzt darüber Gedanken zu machen. Er bezweifelte, dass die Meuterei jemals Erfolg haben konnte, und es war ihm ziemlich gleichgültig, was Cradock oder Wellesley darüber dachten. Aber er wusste, dass sein Wissen darüber von großem Nutzen sein konnte, und im Moment war es wichtig, dass Argenton in Christopher einen Verbündeten sah. »Sagen Sie mir, was Sie genau von uns wollen«, sagte er zu dem Franzosen.

»Britanniens Einfluss«, sagte Argenton. »Wir wollen, dass Britannien die portugiesischen Führer überredet, Soult als ihren König zu akzeptieren.«

»Ich dachte, Sie haben bereits genug Unterstützung gefunden«, sagte Christopher.

»Ich habe Unterstützung gefunden«, bestätigte Argenton, »aber die meisten Leute werden sich aus Furcht vor der Rachsucht des Mobs nicht erklären. Aber wenn Britannien sie ermuntert, dann werden sie Mut schöpfen. Sie brauchen Ihre Unterstützung nicht mal öffentlich zu machen, sondern nur Briefe an Soult zu schreiben. Und dann sind da die Intellektuellen ...«, Argenton schnaubte höhnisch beim letzten Wort, »... von denen würde jede andere als die eigene Regierung unterstützt werden, doch auch sie brauchen Ermunterung, bevor sie den Mut finden, ihre Unterstützung für Marschall Soult auszusprechen.«

»Ich bin sicher, wir würden gern Ermunterung gewähren«, sagte Christopher, obwohl er sich dessen überhaupt nicht sicher war.

»Und wir brauchen eine Versicherung, dass die Briten, wenn wir eine Rebellion machen, das nicht ausnutzen, indem sie uns angreifen. Ich müsste das Wort Ihres Generals darauf haben.«

Christopher nickte. »Ich glaube, er wird sein Wort geben, doch bevor er zu einem solchen Versprechen bereit ist, wird er immer abschätzen wollen, wie wahrscheinlich Ihr Erfolg sein wird, und das bedeutet, dass er es von Ihnen direkt hören will.« Christopher schwieg kurz und schenkte Wein ein. »Und ich denke, Sie müssen seine persönlichen Versicherungen hören. Sie müssen nach Süden reisen, um sich mit ihm zu treffen.«

Argenton war überrascht von diesem Vorschlag. Er dachte einen Moment darüber nach und nickte dann. »Können Sie mir einen Passierschein geben, der mich sicher durch die britischen Linien bringen wird?«

»Ich werde Besseres tun, mein Freund. Ich werde mit Ihnen kommen, sofern Sie mir einen Passagierschein für die französischen Linien geben.«

»Dann sollten wir reiten«, sagte Argenton froh. »Mein Oberst wird mir die Erlaubnis geben, wenn er erst versteht, was wir tun wollen. Aber wann? Bald, nehme ich an, finden Sie nicht auch? Morgen?«

»Übermorgen«, sagte Christopher fest. »Ich habe morgen etwas zu erledigen, das sich nicht verschieben lässt, aber wenn Sie mir morgen Nachmittag nach Vila Real de Zedes folgen, können wir am nächsten Tag aufbrechen. Wird Ihnen das passen?«

Argenton nickte. »Sie müssen mir beschreiben, wie ich nach Vila Real de Zedes finde.«

»Sie bekommen eine Wegbeschreibung«, sagte Christopher. Dann hob er sein Weinglas. »Ich trinke auf den Erfolg unserer Bemühungen.«

»Amen darauf«, sagte Argenton und hob sein Glas, um Christopher zuzuprosten.

Und Colonel Christopher lächelte, weil er es war, der die Regeln bestimmte.


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