Ein böser Tausch



Eine starke, bittere Buchkrankheit durchflutet die Seele. Wie schändlich, an diese schwerfällige Masse von Papier, Gedrucktem und Gefühlen toter Männer gebunden zu sein. Wäre es nicht besser, edler und mutiger, den Müll zu belassen, wo er liegt, und hinauszuschreiten in die Welt - als freier, ungehemmter, analphabetischer Superman?

Solomon Eagle, Moving a Library



Meggie schlief nicht in ihrem Bett in dieser Nacht. Sobald Elinors Schritte verklungen waren, lief sie hinüber in Mos Zimmer.

Er hatte noch nicht ausgepackt, die Tasche stand offen neben dem Bett. Nur seine Bücher lagen schon auf dem Nachttisch und eine angebrochene Tafel Schokolade. Mo war verrückt nach Schokolade. Selbst der muffigste Schokoladenweihnachtsmann war nicht sicher vor ihm. Meggie brach ein Stück von der Tafel ab und schob es in den Mund, aber es schmeckte nach nichts. Nur nach Traurigkeit.

Mos Decke war kalt, als sie darunter kroch, und auch das Kissen roch noch nicht nach ihm, sondern nach Weichspüler und Waschmittel. Meggie schob die Hand darunter. Ja, da war es: kein Buch, sondern ein Foto. Meggie zog es hervor. Es war ein Bild ihrer Mutter, Mo hatte es immer unter seinem Kissen liegen. Als sie klein war, hatte Meggie geglaubt, dass Mo ihr irgendwann einfach eine Mutter erfunden hatte, weil er dachte, dass sie gern eine gehabt hätte. Er erzählte ihr wunderbare Geschichten über sie. »Mochte sie mich?«, fragte Meggie dann immer. »Sehr.« - »Wo ist sie?« -»Sie musste fort, als du gerade drei Jahre alt warst.« - »Warum?« -»Sie musste eben fort.« - »Weit fort?« - »Sehr weit.« - »Ist sie tot?« - »Nein, ganz bestimmt nicht.« Meggie war es gewohnt, dass Mo auf manche Fragen seltsame Antworten gab. Und mit zehn Jahren glaubte sie nicht mehr an eine Mutter, die Mo nur erfunden hatte, sondern an eine, die einfach fortgegangen war. So etwas kam vor. Und solange Mo da war, hatte sie eine Mutter auch nie sonderlich vermisst.

Aber nun war er fort.

Und sie war allein mit Elinor und ihren Kieselaugen.

Sie zog Mos Pullover aus der Tasche und presste das Gesicht hinein. Das Buch ist schuld, dachte sie immer wieder. Nur dieses Buch ist schuld. Warum hat er es Staubfinger nicht gegeben? Manchmal hilft es, wütend zu werden, wenn man vor Traurigkeit nicht ein noch aus weiß. Aber dann kamen die Tränen trotzdem wieder, und Meggie schlief mit dem salzigen Geschmack auf den Lippen ein.

Als sie aufwachte, plötzlich, mit klopfendem Herzen und schweißnassem Haar, war alles sofort wieder da: die Männer, Mos Stimme und die leere Straße. Ich geh ihn suchen, dachte Meggie. Ja, das tue ich. Draußen färbte sich der Himmel gerade rot. Nicht mehr lange und die Sonne würde aufgehen. Es war besser, wenn sie fort war, bevor es hell wurde.

Mos Jacke hing über dem Stuhl unter dem Fenster, als hätte er sie gerade erst ausgezogen. Meggie nahm das Portemonnaie heraus, das Geld würde sie brauchen können. Dann schlich sie zu ihrem Zimmer, um ein paar Sachen zu packen, nur das Nötigste: etwas zum Anziehen - und ein Foto von ihr und Mo, damit sie nach ihm fragen konnte. Ihre Kiste würde sie natürlich nicht mitnehmen können. Erst wollte sie sie unter dem Bett verstecken, aber dann beschloss sie, Elinor einen Zettel zu schreiben:


Liebe Elinor, schrieb sie, obwohl sie wirklich nicht fand, dass das für Elinor die passende Anrede war - und fragte sich als Nächstes, ob sie sie duzen oder weiterhin siezen sollte. Ach was, Tanten duzt man, dachte sie, außerdem ist das leichter. Ich muss meinen Vater suchen gehen, schrieb sie weiter. Mach dir keine Sorgen - die würde Elinor sich sowieso nicht machen - und sag bitte nicht der Polizei, dass ich weg bin, sonst holen sie mich bestimmt zurück. In der Kiste sind meine Lieblingsbücher. Ich kann sie leider nicht mitnehmen. Bitte pass auf sie auf, ich hole sie ab, sobald ich meinen Vater gefunden habe. Danke. Meggie.

PS: Ich weiß genau, wie viele Bücher in der Kiste sind.


Den letzten Satz strich sie wieder weg, er würde Elinor nur ärgern, und wer konnte sagen, was sie dann mit den Büchern anstellte. Womöglich verkaufte sie sie. Schließlich hatte Mo jedes von ihnen mit einem besonders schönen Einband versehen. In Leder gebunden war keines, Meggie wollte sich beim Lesen nicht vorstellen müssen, dass man für ihre Bücher einem Kalb oder Schwein die Haut abgezogen hatte. Zum Glück konnte Mo so etwas verstehen. Vor vielen hundert Jahren, hatte er Meggie mal erzählt, machte man die Einbände für besonders wertvolle Bücher aus der Haut ungeborener Kälber: Charta virginea non nata, ein wunderschön klingender Name für ein furchtbares Ding. »Und in diesen Büchern«, hatte Mo gesagt, »standen dann so viele kluge Worte über Liebe und Güte und Barmherzigkeit.«

Während Meggie ihre Tasche packte, gab sie sich alle Mühe, nicht nachzudenken, denn sie wusste, dass sie das zu der Frage führen würde, wo sie denn suchen wollte. Immer wieder schob sie den Gedanken beiseite, aber irgendwann wurden ihre Hände trotzdem langsamer, und schließlich stand sie da, neben der voll gestopften Tasche, und konnte die grausame kleine Stimme in ihrem Inneren nicht länger überhören. »Nun sag schon, wo willst du suchen, Meggie?«, wisperte sie. »Willst du die Straße links oder rechts hinuntergehen? Nicht mal das weißt du. Was glaubst du, wie weit du kommen wirst, bevor die Polizei dich aufgreift? Ein zwölfjähriges Mädchen mit einer Tasche in der Hand und einer wilden Geschichte von einem verschwundenen Vater und keiner Mutter, zu der man es zurückbringen kann?«

Meggie presste sich die Hände auf die Ohren, aber was half das gegen eine Stimme, die aus ihrem Kopf kam oder sonst woher? Eine ganze Weile stand sie so da. Dann schüttelte sie den Kopf, bis die Stimme endlich schwieg, und zerrte die gepackte Tasche auf den Flur hinaus. Sie war schwer, viel zu schwer. Meggie machte sie wieder auf und warf alles zurück in das Zimmer. Nur einen Pullover behielt sie, ein Buch (eins brauchte sie einfach, wenigstens eins), das Foto und Mos Portemonnaie. So würde sie die Tasche tragen können, so weit es sein musste.

Leise schlich sie die Treppe hinunter, in der einen Hand die Tasche, in der anderen den Zettel für Elinor. Die Morgensonne stahl sich schon durch die Ritzen der Fensterläden, aber in dem großen Haus war es so still, als schliefen selbst die Bücher in den Regalen. Nur durch die Tür von Elinors Schlafzimmer drang ein leises Schnarchen. Meggie wollte den Zettel eigentlich unter der Tür durchschieben, aber es ging nicht. Einen Moment lang zögerte sie, dann drückte sie die Klinke hinunter. In Elinors Schlafzimmer war es hell, trotz der geschlossenen Fensterläden. Die Lampe neben dem Bett brannte, offenbar war Elinor beim Lesen eingeschlafen. Sie lag auf dem Rücken und schnarchte, den Mund leicht geöffnet, die Gipsengel an, die über ihr an der Zimmerdecke hingen. An ihre Brust presste sie ein Buch. Meggie erkannte es sofort.

Mit ein paar Schritten war sie neben dem Bett.

»Wo hast du das her?«, schrie sie und zerrte Elinor das Buch aus den schlafschweren Armen. »Das gehört meinem Vater!«

Elinor fuhr aus dem Schlaf, als hätte Meggie ihr heißes Wasser ins Gesicht geschüttet.

»Du hast es gestohlen!«, schrie Meggie, außer sich vor Wut. »Und du hast diese Männer geholt, ja, genau. Du und dieser Capricorn, ihr steckt unter einer Decke! Du hast meinen Vater verschleppen lassen und wer weiß, was du mit dem armen Staubfinger gemacht hast! Du wolltest das Buch haben, von Anfang an! Ich hab gesehen, wie du es angesehen hast - als wär es was Lebendiges! Wahrscheinlich ist es eine Million wert oder zwei oder drei ...«

Elinor saß in ihrem Bett, starrte die Blumen auf ihrem Nachthemd an und sagte kein Wort. Erst als Meggie nach Atem rang, regte sie sich.

»Bist du fertig?«, fragte sie. »Oder willst du hier herumschreien, bis du tot umfällst?« Ihre Stimme klang barsch wie immer, aber es klang noch etwas anderes heraus - ein schlechtes Gewissen.

»Ich werd es der Polizei sagen!«, stieß Meggie hervor. »Ich werd ihnen sagen, dass du das Buch gestohlen hast und dass sie dich fragen sollen, wo mein Vater ist.«

»Ich - habe - dich - und - dieses - Buch - gerettet!«

Elinor schwang die Beine aus dem Bett, ging zum Fenster und stieß die Fensterläden auf.

»Ach ja? Und was ist mit Mo?« Meggies Stimme wurde wieder laut. »Was passiert, wenn sie merken, dass er ihnen das falsche Buch gegeben hat? Du bist schuld, wenn sie ihm etwas antun. Staubfinger hat es gesagt: Capricorn wird ihn töten, wenn er ihm das Buch nicht gibt. Er wird ihn töten!«

Elinor streckte den Kopf aus dem Fenster und holte tief Luft. Dann drehte sie sich wieder um. »Das ist doch Unsinn!«, sagte sie ärgerlich. »Du gibst viel zu viel auf das, was dieser Streichholzfresser erzählt. Und du hast eindeutig zu viele schlechte Abenteuergeschichten gelesen. Deinen Vater töten, Himmel, er ist kein Geheimagent oder sonst etwas Gefährliches! Er restauriert alte Bücher! Das ist nicht unbedingt ein Beruf, der mit Lebensgefahr verbunden ist! Ich wollte mir das Buch doch nur in Ruhe ansehen. Nur deshalb habe ich es ausgetauscht. Konnte ich ahnen, dass hier mitten in der Nacht diese dunklen Gestalten auftauchen, um deinen Vater samt dem Buch mitzunehmen? Mir hatte er doch nur erzählt, dass ihn irgendein verrückter Sammler seit Jahren wegen des Buches bedrängt. Woher sollte ich wissen, dass dieser Sammler selbst vor Einbruch und Menschenraub nicht zurückschreckt? Nicht einmal ich würde auf solche Ideen kommen. Außer vielleicht für ein, zwei Bücher auf der Welt.«

»Aber Staubfinger hat es gesagt. Er hat gesagt, dass er ihn töten würde!« Meggie hielt das Buch fest umklammert, als könnte sie nur so verhindern, dass noch mehr Unglück herauskroch. Es kam ihr vor, als hätte sie Staubfingers Stimme plötzlich wieder im Ohr. »Und das Schreien und Zappeln des kleinen Dinges«, flüsterte sie, »würde ihm schmecken wie Honig.«

»Was? Von wem redest du jetzt schon wieder?« Elinor setzte sich auf die Bettkante und zog Meggie an ihre Seite. »Du erzählst mir jetzt alles, was du über die Sache weißt. Na los.«

Meggie schlug das Buch auf. Sie blätterte in den Seiten, bis sie das große K wiederfand, auf dem das Tier saß, das Gwin so ähnelte.

»Meggie! He, ich rede mit dir!« Elinor rüttelte sie unsanft an den Schultern. »Von wem hast du gerade gesprochen?«

»Capricorn.« Meggie flüsterte den Namen nur. Es schien Gefahr daran zu kleben, an jedem einzelnen Buchstaben.

»Capricorn. Und weiter? Den Namen habe ich jetzt schon ein paar Mal von dir gehört. Aber wer, zum Henker, soll das sein?«

Meggie klappte das Buch zu, strich über den Einband und betrachtete es von allen Seiten. »Der Titel steht nicht drauf«, murmelte sie.

»Nein, weder auf dem Einband noch innen.« Elinor stand auf und ging zum Kleiderschrank. »Es gibt viele Bücher, bei denen du den Titel nicht gleich erfährst. Schließlich ist es eine relativ neumodische Sitte, ihn auf den Einband zu schreiben. Als man Bücher noch so band, dass sich der Rücken nach innen wölbte, stand der Titel höchstens außen auf dem Seitenschnitt, in den meisten Fällen erfuhr man ihn sogar nur, wenn man das Buch aufschlug. Erst als die Buchbinder lernten, runde Rücken zu machen, wanderte der Titel dorthin.«

»Ja, ich weiß!«, sagte Meggie ungeduldig. »Aber das ist kein altes Buch. Ich weiß, wie alte Bücher aussehen.«

Elinor warf ihr einen spöttischen Blick zu. »O entschuldige! Ich vergaß, dass du ja eine richtige Expertin bist. Aber du hast Recht: Dieses Buch ist nicht sehr alt. Es ist vor fast genau achtunddreißig Jahren erschienen. Ein wahrhaft lächerliches Alter für ein Buch!« Sie verschwand hinter der geöffneten Schranktür. »Einen Titel hat es natürlich trotzdem: Es heißt Tintenherz. Ich vermute, dein Vater hat es mit Absicht so gebunden, dass man dem Einband nicht ansieht, um welches Buch es sich handelt. Nicht mal innen auf der ersten Seite findest du den Titel, und wenn du genau hinsiehst, wirst du erkennen, dass er die Seite herausgetrennt hat.«

Elinors Nachthemd landete auf dem Teppich, und Meggie sah, wie ihre nackten Beine umständlich in eine Strumpfhose schlüpften.

»Wir müssen noch mal zur Polizei gehen«, sagte sie.

»Wozu?« Elinor warf einen Pullover über die Schranktür. »Was willst du denen erzählen? Hast du nicht gesehen, wie diese beiden uns gestern gemustert haben?« Elinor verstellte die Stimme: »Ah ja, wie war das noch mal, Frau Loredan? Jemand ist in Ihr Haus eingebrochen, nachdem Sie vorher freundlicherweise die Alarmanlage ausgeschaltet hatten. Dann haben diese ach so geschickten Einbrecher nur ein einziges Buch gestohlen, obwohl in Ihrer Bibliothek Bücher im Wert von vielen Millionen stehen, und den Vater dieses Mädchens mitgenommen, nachdem er ihnen ohnehin angeboten hatte, sie zu begleiten! Ah ja. Sehr interessant. Und gearbeitet haben diese Männer vermutlich für einen Mann, der sich Capricorn nennt. Bedeutet das nicht >Steinbock

»Du ziehst dich an wie eine Großmutter«, sagte Meggie.

Elinor blickte an sich herunter. »Vielen Dank«, sagte sie. »Aber Kommentare über mein Äußeres sind nicht erwünscht. Außerdem könnte ich deine Großmutter sein. Mit etwas Mühe.«

»Warst du schon mal verheiratet?«

»Nein. Ich wüsste nicht, wozu. Und könntest du jetzt bitte aufhören, mir persönliche Fragen zu stellen? Hat dein Vater dir nicht beigebracht, dass man so etwas nicht tut?«

Meggie schwieg. Sie wusste selbst nicht, warum sie die Fragen gestellt hatte. »Es ist sehr wertvoll, oder?«, fragte sie.

»Tintenherz?« Elinor nahm Meggie das Buch aus der Hand, strich über den Einband und gab es ihr zurück. »Ja, ich denke schon. Obwohl du in keinem der Kataloge und Verzeichnisse, die es von wertvollen Büchern gibt, auch nur ein Exemplar finden wirst. Ich habe inzwischen einiges über dieses Buch herausgefunden. So mancher Sammler würde deinem Vater sehr, sehr viel Geld bieten, wenn sich herumspräche, dass er das vielleicht einzige Exemplar besitzt. Schließlich soll es nicht nur ein seltenes, sondern auch ein gutes Buch sein. Ich kann dazu nichts sagen, ich habe gestern Nacht kaum ein Dutzend Seiten geschafft. Als die erste Fee auftauchte, bin ich eingeschlafen. Mit Geschichten, in denen Feen, Zwerge und was sonst noch alles vorkommt, konnte ich noch nie viel anfangen. Obwohl ich nichts dagegen hätte, ein paar davon in meinem Garten zu haben.«

Elinor trat noch einmal hinter die Kleiderschranktür, offenbar musterte sie sich in einem Spiegel. Meggies Bemerkung über ihre Kleidung schien sie doch zu beschäftigen. »Ja, ich denke, es ist sehr wertvoll«, wiederholte sie mit nachdenklicher Stimme. »Obwohl es inzwischen fast vergessen ist. Kaum einer scheint noch zu wissen, wovon es handelt, kaum einer scheint es gelesen zu ha-ben. Selbst in Bibliotheken findet man es nicht. Aber ab und zu hört man immer noch diese Geschichten darüber: dass es nur deshalb keines mehr gibt, weil alle noch existierenden Exemplare gestohlen wurden. Vermutlich ist das Unsinn. Nicht nur Tiere und Pflanzen verschwinden, Bücher tun es auch. Leider kommt das nicht einmal selten vor. Man könnte sicherlich hundert Häuser wie dieses bis zum Dach mit all den Büchern füllen, die für immer verschwunden sind.« Elinor schlug die Schranktür wieder zu und steckte sich mit fahrigen Fingern das Haar hoch. »Der Autor lebt noch, soweit ich weiß, aber offenbar hat er nie etwas unternommen, damit sein Buch neu aufgelegt wird - was ich seltsam finde, schließlich schreibt man eine Geschichte doch, damit sie gelesen wird, oder? Nun, vielleicht gefällt ihm seine Geschichte nicht mehr, oder sie verkaufte sich einfach so schlecht, dass sich kein Verlag fand, der sie noch einmal drucken wollte. Was weiß ich?«

»Ich glaub trotzdem nicht, dass sie es nur gestohlen haben, weil es wertvoll ist«, murmelte Meggie.

»Ach nein?« Elinor lachte auf. »Du meine Güte, du bist wirklich die Tochter deines Vaters. Mortimer konnte sich auch nie vorstellen, dass Menschen irgendetwas Verwerfliches für Geld tun, weil es ihm selbst nicht sonderlich viel bedeutet. Hast du eine Vorstellung, was ein Buch wert sein kann?«

Meggie sah sie ärgerlich an. »Ja, hab ich. Aber ich glaube trotzdem nicht, dass das der Grund ist.«

»Nun, ich schon. Und Sherlock Holmes würde dasselbe denken. Hast du die Bücher mal gelesen? Wunderbar. Besonders an Regentagen.« Elinor schlüpfte in ihre Schuhe. Sie hatte seltsam kleine Füße für eine so stämmige Frau.

»Vielleicht steckt irgendein Geheimnis darin«, murmelte Meggie. Nachdenklich strich sie über die dicht bedruckten Seiten.

»Ach, du meinst so etwas wie unsichtbare Botschaften, mit Zitronensaft geschrieben, oder eine Schatzkarte, die sich in einem der Bilder verbirgt.« Elinors Stimme klang so spöttisch, dass Meggie ihr am liebsten den kurzen Hals umgedreht hätte.

»Warum nicht?« Sie klappte das Buch wieder zu und klemmte es sich unter den Arm. »Warum hätten sie sonst Mo mitgenommen? Das Buch hätte doch gereicht.«

Elinor zuckte die Schultern.

Natürlich, sie kann nicht zugeben, dass sie daran nicht gedacht hat, dachte Meggie voll Verachtung. Sie muss einfach immer Recht haben.

Elinor sah sie an, als hätte sie ihre Gedanken gehört. »Weißt du was? Lies es doch einfach«, sagte sie. »Vielleicht findest du ja irgendetwas, das deiner Meinung nach nicht in die Geschichte gehört. Ein paar überflüssige Wörter hier, ein paar unnütze Buchstaben dort ... und schon hast du sie, die geheime Botschaft. Den Wegweiser zum Schatz. Wer weiß, wie lange es dauern wird, bis dein Vater zurückkommt, und mit irgendetwas musst du hier ja schließlich die Zeit totschlagen.«

Bevor Meggie darauf antworten konnte, bückte Elinor sich nach einem Zettel, der neben ihrem Bett auf dem Teppich lag. Es war Meggies Abschiedsbrief, sie musste ihn fallen gelassen haben, als sie das Buch in Elinors Armen entdeckt hatte.

»Was soll das nun wieder?«, fragte Elinor, nachdem sie ihn mit gerunzelter Stirn gelesen hatte. »Du wolltest deinen Vater suchen gehen? Wo, um Himmels willen? Du bist verrückter, als ich dachte.«

Meggie presste Tintenherz an sich. »Wer soll ihn denn sonst suchen?«, sagte sie. Ihre Lippen begannen zu zittern, sie konnte nichts dagegen tun.

»Na, wenn, dann werden wir ihn zusammen suchen!«, erwiderte Elinor unwirsch. »Aber erst mal geben wir ihm Gelegenheit zurückzukommen. Oder glaubst du, es würde ihm gefallen, wenn er bei seiner Rückkehr feststellt, dass du verschwunden bist, um ihn irgendwo in der großen, weiten Welt zu suchen?«

Meggie schüttelte den Kopf. Elinors Teppich verschwamm vor ihren Augen und eine Träne lief ihr den Nasenrücken hinunter.

»Na, dann ist das ja geklärt«, brummte Elinor, während sie ihr ein Stofftaschentuch hinhielt. »Putz dir die Nase, und dann frühstücken wir erst mal.«

Sie ließ Meggie nicht aus dem Haus, bevor sie ein Brot und ein Glas Milch hinuntergewürgt hatte. »Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit am Tag«, verkündete sie, während sie sich die dritte Scheibe Brot schmierte. »Und außerdem will ich nicht riskieren, dass du deinem Vater bei seiner Rückkehr erzählst, ich hätte dich verhungern lassen. Du weißt schon, so wie diese Ziege im Märchen.«

Meggie schluckte die Antwort, die ihr auf der Zunge lag, mitsamt dem letzten Bissen Brot hinunter, und lief mit dem Buch nach draußen.

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