Der verratene Verräter



Es war eine eigene Lust, zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde. [.] er hätte am liebsten eine aufgespießte Wurst in die Feuersbrunst hineingehalten, während die Bücher mit dem Flügelschlag weißer Tauben vor dem Haus den Flammentod staiben. Während die Bücher in Funkenwirbel aufsprühten und von einem brandgeschwärzten Wind verweht wurden.

Ray Bradbury, Fahrenheit 451



Irgendwann kurz vor Tagesanbruch begann die Glühbirne, die ihnen mit ihrem blässlichen Licht durch die Nacht geholfen hatte, zu flackern. Mo und Elinor schliefen, gleich neben der verschlossenen Tür, aber Meggie lag mit offenen Augen in der Dunkelheit und spürte, wie die Angst aus den kalten Mauern kroch. Sie lauschte dem Atem von Elinor und ihrem Vater und wünschte sich nichts mehr als eine Kerze - und ein Buch, das die Angst fern hielt. Überall schien sie zu sein, ein bösartiges, körperloses Wesen, das nur darauf gewartet hatte, dass die Glühbirne verlosch, und sich nun in der Finsternis an sie heranschlich, um sie in ihre kalten Arme zu nehmen. Meggie setzte sich auf, rang nach Atem und kroch auf allen vieren zu Mo. Sie rollte sich an seiner Seite zusammen, so wie sie es früher getan hatte, als sie noch klein war, und wartete darauf, dass das Morgenlicht unter der Tür hindurchsickerte.

Mit dem Licht kamen zwei von Capricorns Männern. Mo hatte sich gerade erst müde aufgesetzt, und Elinor rieb sich schimpfend den schmerzenden Rücken, als sie die Schritte hörten.

Basta war nicht dabei. Der eine der Männer, groß wie ein Schrank, sah aus, als hätte ihm ein Riese mit seinem Daumen das Gesicht eingedrückt. Der zweite, klein und mager, mit einem Ziegenbart auf dem fliehenden Kinn, spielte ständig an seiner Flinte herum und musterte sie so feindselig, als hätte er große Lust, sie alle drei gleich und auf der Stelle zu erschießen.

»Nun kommt schon. Raus mit euch!«, fuhr er sie an, als sie blinzelnd hinaus in das helle Tageslicht stolperten. Meggie versuchte sich zu erinnern, ob sie auch diese Stimme in Elinors Bibliothek gehört hatte, aber sie war nicht sicher. Capricorn hatte viele Männer.

Es war ein warmer, schöner Morgen. Der Himmel wölbte sich wolkenlos blau über Capricorns Dorf, und in einem verwilderten Rosenbusch, der zwischen den alten Häusern wuchs, zwitscherten ein paar Finken, als gäbe es bis auf ein paar hungrige Katzen nichts Bedrohliches auf der Welt. Mo griff nach Meggies Arm, als sie nach draußen traten. Elinor musste erst noch in ihre Schuhe schlüpfen, und als der Ziegenbart sie grob ins Freie zerren wollte, weil ihm das nicht schnell genug ging, stieß sie seine Hände weg und übergoss ihn mit einer Flut von Schimpfwörtern. Die beiden Männer brachte das bloß zum Lachen, worauf Elinor die Lippen aufeinander presste und es bei feindseligen Blicken beließ.

Capricorns Männer hatten es eilig. Sie führten sie auf demselben Weg zurück, auf dem Basta sie in der vergangenen Nacht hergebracht hatte. Das Flachgesicht ging vor, der Ziegenbart hinter ihnen, die Flinte im Anschlag. Er zog das Bein nach beim Gehen, aber er trieb sie trotzdem immer wieder an, als wollte er beweisen, dass er allemal schneller zu Fuß war als sie.

Selbst tagsüber sah Capricorns Dorf seltsam verlassen aus, und das lag nicht nur an den vielen leer stehenden Häusern, die im Sonnenlicht noch trauriger schienen. Kaum ein Mensch war auf den Gassen zu sehen, nur ein paar von den Schwarzjacken, wie Meggie sie insgeheim getauft hatte, oder magere Jungen, die ihnen wie junge Hunde nachliefen. Zweimal sah Meggie eine Frau vorbeihasten. Kinder entdeckte sie keine, Kinder, die spielten oder hinter ihrer Mutter herliefen, nur Katzen, schwarz, weiß, rostrot, gefleckt, getigert, auf warmen Mauersimsen, Türschwellen und Dachstürzen. Es war still zwischen den Häusern in Capricorns Dorf, und was geschah, schien im Verborgenen zu geschehen. Nur die Männer mit den Flinten verbargen sich nicht. Sie lungerten in Toreingängen und an Häuserecken, steckten die Köpfe zusammen und stützten sich verliebt auf ihre Flinten. Es gab keine Blumen vor den Häusern, wie Meggie sie in den Orten an der Küste gesehen hatte. Stattdessen gab es Häuser mit eingestürzten Dächern und blühende Büsche, die aus leeren Fensterhöhlen wuchsen. Einige dufteten so betäubend, dass Meggie schwindelig davon wurde.

Als sie den Platz vor der Kirche erreichten, dachte Meggie, die beiden Männer würden sie wieder zu Capricorns Haus bringen, aber sie ließen es links liegen und führten sie direkt auf das große Kirchenportal zu. Der Turm der Kirche sah aus, als hätten Wind und Wetter schon bedrohlich lange an seinem Mauerwerk genagt. Die Glocke hing rostig unter dem spitzen Dach, und kaum einen Meter tiefer hatte irgendein vom Wind herbeigetragenes Samenkorn einen schmächtigen Baum hervorgebracht, der sich nun dort oben an die sandfarbenen Steine krallte.

Auf das Kirchenportal waren Augen gemalt, schmale rote Augen, und zu beiden Seiten des Eingangs standen hässliche mannshohe Steinteufel, die ihre Zähne wie bissige Hunde bleckten.

»Willkommen im Haus des Teufels!«, sagte der Ziegenbart mit einer spöttischen Verbeugung, bevor er das schwere Portal öffnete.

»Lass das, Cockerell!«, fuhr das Flachgesicht ihn an und spuckte dreimal auf das staubige Pflaster zu seinen Füßen. »So was bringt Unglück.«

Der Ziegenbart lachte nur und tätschelte einem der Steinteufel den fetten Bauch. »Ach, komm, Flachnase. Du bist ja schon fast so schlimm wie Basta. Es fehlt nicht viel und du hängst dir auch eine stinkende Kaninchenpfote um den Hals.«

»Ich bin eben vorsichtig«, brummte Flachnase. »Man erzählt sich so einiges.«

»Ja, und wer hat die Geschichten erfunden? Wir, du Dummkopf.«

»Einige gab es auch schon vorher.«

»Egal, was passiert«, raunte Mo Elinor und Meggie zu, während die beiden Männer sich stritten, »überlasst mir das Reden. Eine spitze Zunge kann hier gefährlich sein, glaubt mir. Basta hat sein Messer sehr schnell zur Hand und er benutzt es auch.«

»Nicht nur Basta hat hier ein Messer, Zauberzunge!«, sagte Cockerell und stieß Mo in die dunkle Kirche. Hastig lief ihm Meggie nach.

In der Kirche war es kühl und dämmrig. Nur durch wenige Fenster hoch oben drang das Morgenlicht herein und malte blasse Flecken auf Wände und Säulen. Irgendwann waren sie vermutlich grau gewesen wie die Steinfliesen auf dem Boden, doch jetzt gab es nur noch eine Farbe in Capricorns Kirche. Die Wände, die Säulen, selbst die Decke, alles war rot, zinnoberrot wie rohes Fleisch oder getrocknetes Blut, und für einen Moment hatte Meggie das Gefühl, ins Innere eines Untiers zu treten.

In einer Ecke neben dem Eingang stand die Figur eines Engels, ein Flügel war abgebrochen und über den anderen hatte einer von Capricorns Männern seine schwarze Jacke gehängt. Teufelshörner saßen auf dem Kopf des Engels, wie Kinder sie sich zum Karneval aufs Haar klemmen, zwischen ihnen schwebte noch der Heiligenschein. Wahrscheinlich hatte der Engel irgendwann einmal auf dem Steinsockel vor der ersten Säule gestanden, doch er hatte einer anderen Figur Platz machen müssen. Gelangweilt blickte sein hageres, wachsbleiches Gesicht auf Meggie herab. Der Schöpfer der Figur verstand nicht viel von seinem Handwerk, das Gesicht war bemalt wie das einer Plastikpuppe, mit seltsam roten Lippen und blauen Augen, die nichts von dem Schrecken der farblosen Augen besaßen, mit denen der echte Capricorn die Welt musterte. Doch dafür war die Statue mindestens doppelt so groß wie ihr Vorbild, und jeder, der an ihr vorbeiging, musste den Kopf in den Nacken legen, um ihr in das blasse Gesicht zu sehen.

»Darf man das, Mo?«, fragte Meggie leise. »Sich selbst in einer Kirche aufstellen?«

»Oh, das ist eine ganz alte Sitte!«, flüsterte Elinor ihr zu. »Statuen, die in Kirchen stehen, sind selten die von Heiligen. Die meisten Heiligen konnten nämlich keine Bildhauer bezahlen. In der Kathedrale von ...«

Cockerell gab ihr einen so unsanften Stoß in den Rücken, dass sie nach vorn stolperte. »Weiter!«, knurrte er. »Und das nächste Mal verbeugt ihr euch, wenn ihr an ihm vorbeigeht, verstanden?«

»Verbeugen?« Elinor wollte stehen bleiben, doch Mo zog sie rasch weiter.

»Aber so ein Schmierentheater kann man doch nicht ernst nehmen!«, schimpfte Elinor.

»Wenn du nicht bald still bist«, flüsterte Mo zurück, »wirst du zu spüren bekommen, wie ernst das hier alles gemeint ist, verstanden?«

Elinor musterte die Schramme auf seiner Stirn und schwieg.

Es gab keine Bänke in Capricorns Kirche, wie Meggie es aus anderen Kirchen kannte, nur zwei lange hölzerne Tische mit Sitzbänken zu beiden Seiten des Mittelgangs. Schmutzige Teller standen darauf, kaffeeverschmierte Becher, Holzbretter mit Käseresten, Messer, Würste, leere Brotkörbe. Mehrere Frauen waren gerade damit beschäftigt, alles fortzuräumen, sie blickten nur kurz auf, als Cockerell und Flachnase mit ihren drei Gefangenen vorbeigingen, dann beugten sie sich wieder über ihre Arbeit. Wie Vögel kamen sie Meggie vor, die ihre Köpfe zwischen die Schultern zogen, damit man sie ihnen nicht abschlug.

Nicht nur die Bänke fehlten in Capricorns Kirche, auch der Altar war verschwunden. Man konnte noch erkennen, wo er gestanden hatte. Stattdessen stand nun ein Stuhl am Ende der Treppe, die früher zum Altar hinaufgeführt hatte, ein wuchtiges Teil, rot gepolstert, mit wulstigen Schnitzereien an Beinen und Armlehnen. Vier flache Stufen waren es, die zu ihm hinaufführten, Meggie wusste selbst nicht, warum sie sie zählte. Ein schwarzer Teppich bedeckte sie - und auf der obersten Stufe, nur wenige Schritte von dem Stuhl entfernt, hockte Staubfinger, das rotblonde Haar zerzaust wie immer, und ließ Gwin gedankenverloren an seinem ausgestreckten Arm hinauflaufen.

Als Meggie mit Mo und Elinor den Mittelgang herunterkam, hob er kurz den Kopf. Gwin kletterte ihm auf die Schulter und entblößte seine kleinen, glassplitterscharfen Zähne, als hätte er bemerkt, mit welchem Abscheu Meggie seinen Herrn musterte. Nun wusste sie, warum der Marder Hörner hatte und sein Zwilling sich auf einer Buchseite spreizte. Alles wusste sie nun: warum Staubfinger diese Welt zu schnell und laut fand, warum er nichts von Autos verstand und oft so dreinblickte, als wäre er ganz woanders. Doch sie empfand kein Mitleid mit ihm, wie Mo es tat. Sein narbiges Gesicht erinnerte sie nur daran, dass er sie belogen hatte, mit sich gelockt wie der Rattenfänger im Märchen. Wie mit seinem Feuer hatte er mit ihr gespielt, wie mit seinen kleinen bunten Bällen: Komm mit, Meggie, hier entlang, Meggie, vertrau mir, Meggie. Am liebsten wäre sie die Stufen hinaufgesprungen und hätte ihm auf den Mund geschlagen, auf seinen verlogenen Mund.

Staubfinger schien ihre Gedanken zu erraten. Er wich ihrem Blick aus, auch Mo und Elinor sah er nicht an. Stattdessen griff er in die Hosentasche und holte ein Päckchen Streichhölzer hervor. Abwesend zog er ein Hölzchen aus der Schachtel, zündete es an, betrachtete gedankenversunken die Flamme und strich mit dem Finger hindurch, fast liebkosend, bis sie ihm die Fingerkuppen versengte.

Meggie wandte den Blick ab. Sie wollte ihn nicht sehen, sie wollte vergessen, dass er da war. Links von ihr, am Fuß der Treppe, standen zwei Eisentonnen, rostig braun, Holz war darin aufgeschichtet, helle, frisch geschlagene Scheite, einer über dem anderen. Meggie fragte sich gerade, wozu sie wohl bestimmt sein mochten, als erneut Schritte durch die Kirche hallten. Basta kam den Mittelgang herunter, mit einem Benzinkanister in der Hand. Cockerell und Flachnase machten mürrisch Platz, als er sich an ihnen vorbeischob.

»Ach, spielt der Schmutzfinger wieder mit seinem besten Freund?«, fragte er, während er die flachen Stufen hinaufstieg. Staubfinger ließ das Streichholz sinken und richtete sich auf. »Hier«, sagte Basta und stellte ihm den Benzinkanister vor die Füße. »Noch etwas zum Spielen. Mach uns Feuer. Das tust du doch am liebsten.«

Staubfinger warf das abgebrannte Streichholz, das er in der Hand hielt, fort und zündete ein neues an. »Und du?«, fragte er leise, während er Basta das brennende Hölzchen vors Gesicht hielt. »Du hast immer noch Angst davor, stimmt's?«

Basta schlug ihm das Streichholz aus der Hand.

»Oh, so etwas solltest du nicht tun!«, sagte Staubfinger. »Das bringt Unglück. Du weißt doch, wie schnell Feuer beleidigt ist.«

Für einen Augenblick dachte Meggie, Basta würde ihn schlagen, und offenbar war sie nicht die Einzige, die das dachte. Alle Augen waren auf die beiden gerichtet. Doch irgendetwas schien Staubfinger zu schützen. Vielleicht war es wirklich das Feuer.

»Du hast Glück, dass ich mein Messer gerade erst geputzt habe!«, zischte Basta. »Aber noch so ein Spiel und ich ritze dir ein paar nette neue Muster in dein hässliches Gesicht. Und aus deinem Marder lass ich mir einen Pelzkragen machen.«

Gwin ließ ein leises, drohendes Keckem hören und schmiegte sich an Staubfingers Nacken. Staubfinger bückte sich, hob die abgebrannten Streichhölzer auf und schob sie zurück in die Schachtel. »Ja, das würde dir sicher Spaß machen«, sagte er, immer noch ohne Basta anzusehen. »Wozu soll ich Feuer machen?«

»Wozu? Tu es einfach. Ums Füttern kümmern wir uns dann. Aber sorg dafür, dass es groß und gefräßig wird, nicht so zahm wie die Feuer, mit denen du gern spielst.«

Staubfinger hob den Kanister hoch und stieg langsam damit die Stufen hinunter. Er stand gerade vor den rostigen Tonnen, als das Kirchenportal sich ein zweites Mal öffnete.

Beim Knarren der schweren Holztüren drehte Meggie sich um und sah Capricorn zwischen den roten Säulen auftauchen. Er warf seinem Abbild im Vorbeigehen einen kurzen Blick zu, dann kam er mit schnellen Schritten den Gang herunter. Er trug einen roten Anzug, rot wie die Wände der Kirche, nur das Hemd darunter war schwarz und die Feder, die ihm am Revers steckte. Gut ein halbes Dutzend seiner Männer folgte ihm, wie Krähen einem Papagei. Bis zur Decke hinauf schienen ihre Schritte zu hallen.

Meggie griff nach Mos Hand.

»Ah, unsere Gäste sind auch schon da«, sagte Capricorn, als er vor ihnen stehen blieb. »Gut geschlafen, Zauberzunge?« Er hatte seltsam weich geschwungene Lippen, fast wie die einer Frau, beim Sprechen strich er ab und zu mit dem kleinen Finger darüber, als müsse er sie nachziehen. Sie waren ebenso farblos wie der Rest seines Gesichtes. »War es nicht nett von mir, dir deine Kleine schon gestern Abend bringen zu lassen? Zunächst wollte ich sie dir heute als Überraschung präsentieren, doch dann dachte ich mir: Capricorn, eigentlich bist du dem Mädchen etwas schuldig, wo sie dir doch ganz freiwillig gebracht hat, wonach du schon so lange suchst.«

Er hielt Tintenherz in der Hand. Meggie sah, wie Mos Blick daran haften blieb. Capricorn war groß, aber Mo überragte ihn noch um einige Zentimeter. Capricorn gefiel das ganz offensichtlich nicht. Er hielt sich kerzengerade, als könnte er den Unterschied so wettmachen.

»Lass Elinor mit meiner Tochter nach Hause fahren«, sagte Mo.

»Lass sie fahren, und ich lese dir alles vor, was du willst, aber zuerst lass die beiden gehen.«

Was redete er da? Meggie sah ihn entgeistert an. »Nein!«, sagte sie. »Nein, Mo, ich will nicht weg!« Aber niemand beachtete sie.

»Gehen lassen?« Capricorn drehte sich zu seinen Männern um. »Habt ihr das gehört? Warum sollte ich so etwas Verrücktes tun, jetzt, wo sie schon mal hier sind?« Die Männer lachten, Capricorn aber wandte sich wieder Mo zu. »Du weißt genauso gut wie ich, dass du von nun an alles tun wirst, was ich verlange«, sagte er. »Jetzt, wo sie da ist, wirst du sicherlich nicht mehr so starrköpfig sein und uns eine Demonstration deiner Kunst verweigern.«

Mo drückte Meggies Hand so fest, dass ihr die Finger schmerzten.

»Und was dieses Buch betrifft« - Capricorn betrachtete Tintenherz so missbilligend, als habe es ihn in die blassen Finger gebissen - »dieses überaus lästige, alberne und so maßlos geschwätzige Buch, so kann ich dir versichern, dass ich nicht die Absicht habe, mich je wieder von seiner Geschichte fesseln zu lassen. All diese überflüssigen Wesen, diese Flatterfeen mit ihren zirpenden Stimmen, überall kribbelte und krabbelte es, stank nach Fell und Mist, auf dem Marktplatz stolperte man über die krummbeinigen Kobolde und auf der Jagd vertrieben einem die Riesen mit ihren plumpen Füßen das Wild. Flüsternde Bäume, wispernde Teiche ... gab es eigentlich irgendetwas, das nicht reden konnte? Und dann die endlosen schlammigen Wege bis zur nächsten Stadt, wenn man das eine Stadt nennen konnte ... das wohlgeborene, fein gekleidete Fürstenpack auf seinen Burgen, die stinkenden Bauern, so arm, dass nichts bei ihnen zu holen war, die Rumtreiber und Bettler, denen das Ungeziefer aus den Haaren fiel - was war ich sie alle leid.«

Capricorn winkte und einer seiner Männer brachte einen großen Pappkarton. An der Art, wie er ihn trug, sah man, dass der Karton sehr schwer sein musste. Mit einem erleichterten Seufzer stellte er ihn vor Capricorn auf die grauen Fliesen. Capricorn reichte Cockerell, der neben ihm stand, das Buch, das Mo so lange vor ihm verborgen hatte, und öffnete den Karton. Er war bis an den Rand mit Büchern gefüllt.

»Es hat wirklich sehr viel Mühe gekostet, sie alle zu finden«, erklärte Capricorn, während er in den Karton griff und zwei Bücher herausnahm. »Sie sehen verschieden aus, doch der Inhalt ist derselbe. Dass die Geschichte in mehreren Sprachen niedergeschrieben wurde, hat die Suche noch zusätzlich erschwert - eine sehr unnütze Eigenart dieser Welt, all diese verschiedenen Sprachen. Das war in unserer Welt einfacher, stimmt's, Staubfinger?«

Staubfinger antwortete nicht. Er stand da, mit dem Benzinkanister in der Hand, und starrte den Karton an. Capricorn schlen-derte auf ihn zu und warf die beiden Bücher in eine der Tonnen.

»Was tut ihr da?« Staubfinger griff nach den Büchern, aber Basta stieß ihn zurück. »Die bleiben, wo sie sind«, sagte er.

Staubfinger wich zurück und verbarg den Kanister hinter dem Rücken, doch Basta riss ihn ihm aus den Händen. »Es sieht fast so aus, als wollte unser Feuerspucker das Feuermachen heute anderen überlassen«, spottete er.

Staubfinger warf ihm einen hasserfüllten Blick zu. Mit starrem Gesicht beobachtete er, wie Capricorns Männer immer mehr Bücher in die Tonnen warfen. Mehr als zwei Dutzend Exemplare von Tintenherz lagen schließlich auf dem aufgeschichteten Holz, die Seiten verknickt, die Einbände von sich gestreckt wie gebrochene Flügel.

»Weißt du, was mich in unserer alten Welt auch stets aufs Neue in den Wahnsinn getrieben hat, Staubfinger?«, fragte Capricorn, während er Basta den Benzinkanister aus der Hand nahm. »Wie mühsam es war, Feuer zu machen. Für dich natürlich nicht, du konntest ja sogar mit ihm sprechen, wahrscheinlich hat es dir irgendeiner dieser grunzenden Kobolde beigebracht, aber für unsereins war es ein mühsames Geschäft. Ständig war das Holz feucht oder der Wind drückte auf den Kamin. Ich weiß, du verzehrst dich vor Sehnsucht nach den guten alten Zeiten und vermisst all deine zirpenden, flatternden Freunde, aber ich weine alldem keine Träne nach. Diese Welt ist unendlich viel besser eingerichtet als die, mit der wir uns jahrelang begnügen mussten.«

Staubfinger schien kein Wort von dem zu hören, was Capricorn zu ihm sagte. Er starrte nur auf das Benzin, das sich stinkend über die Bücher ergoss. Die Seiten saugten es so gierig auf, als hießen sie ihr eigenes Ende willkommen. »Wo kommen die alle her?«, stammelte er. »Du hast mir immer gesagt, es gäbe nur noch ein Exemplar, das von Zauberzunge.«

»Ja, ja, ich habe dir so einiges erzählt.« Capricorn schob die Hand in die Hosentasche. »Du bist so ein leichtgläubiger Bursche, Staubfinger. Es macht Spaß, dir Lügen zu erzählen. Deine Ahnungslosigkeit hat mich immer wieder verblüfft, schließlich lügst du doch selbst mit großem Geschick. Aber du glaubst einfach zu gern, was du glauben möchtest, das ist es. Nun, jetzt kannst du mir glauben: Dies hier« - er tippte mit dem Finger auf den benzingetränkten Bücherstapel - »sind tatsächlich die letzten Exemplare unserer tintenschwarzen Heimat. Basta und all die anderen haben Jahre gebraucht, um sie in schäbigen Leihbibliotheken und Antiquariaten aufzustöbern.«

Staubfinger starrte die Bücher an wie ein Verdurstender das letzte Glas Wasser. »Aber du kannst sie nicht verbrennen!«, stammelte er. »Du hast mir versprochen, dass du mich zurückbringst, wenn ich dir Zauberzunges Buch beschaffe. Dafür habe ich dir gesagt, wo er steckt, dafür habe ich dir seine Tochter gebracht ...«

Capricorn zuckte nur die Schultern und nahm Cockerell das Buch aus der Hand - das Buch mit dem mattgrünen Einband, das Meggie und Elinor ihm so bereitwillig gebracht hatten, für das er Mo hatte herschleppen lassen und für das Staubfinger sie alle verraten hatte.

»Ich hätte dir auch versprochen, dir den Mond vom Himmel zu holen, wenn es mir genutzt hätte«, sagte Capricorn, während er Tintenherz mit gelangweilter Miene auf den Stapel seiner Artgenossen warf. »Ich gebe gern Versprechen, vor allem solche, die ich nicht halten kann.« Dann zog er ein Feuerzeug aus der Hosentasche. Staubfinger wollte auf ihn zuspringen, es ihm aus der Hand schlagen, doch Capricorn gab Flachnase ein Zeichen.

Flachnase war so groß und breit, dass Staubfinger neben ihm fast wie ein Kind aussah, und genau so packte er ihn sich - wie ein ungezogenes Kind. Mit gesträubtem Fell sprang Gwin von Staubfingers Schulter, einer von Capricorns Männern trat nach ihm, als er ihm zwischen den Beinen durchhuschte, aber der Marder entkam und verschwand hinter einer der roten Säulen. Die übrigen Männer standen da und lachten über Staubfingers verzweifelte Versuche, sich aus Flachnases eisernem Griff zu befreien. Flachnase hatte großen Spaß daran, ihn gerade so nah an die benzingetränkten Bücher heranzulassen, dass er die obersten mit den Fingern streifte.

Meggie wurde ganz schlecht von so viel Bosheit, und Mo machte einen Schritt vor, als wollte er Staubfinger zu Hilfe kommen, doch Basta trat ihm in den Weg. Plötzlich hielt er sein Messer in der Hand. Die Klinge war schmal und blank und sah entsetzlich scharf aus, als er sie Mo an den Hals hielt.

Elinor schrie auf und übergoss Basta mit einer Flut von Schimpfwörtern, die Meggie noch nie gehört hatte, sie selbst konnte sich nicht rühren. Sie stand nur da und starrte auf die Klinge an Mos nacktem Hals.

»Gib mir eins, Capricorn, nur eins!«, stieß ihr Vater hervor, und erst da begriff Meggie, dass er nicht Staubfinger hatte helfen wollen, sondern dass es ihm um das Buch ging. »Ich verspreche dir, ich werde nicht einen Satz daraus in den Mund nehmen, in dem dein Name vorkommt.«

»Dir? Bist du des Teufels? Du bist der Letzte, dem ich eins geben würde«, antwortete Capricorn. »Womöglich kannst du eines Tages deine Zunge doch nicht zügeln und ich lande wieder in dieser lächerlichen Geschichte! Nein, danke.«

»Unsinn!«, rief Mo. »Ich könnte dich nicht zurücklesen, selbst wenn ich es wollte, wie oft soll ich das noch sagen? Frag Staubfinger, tausendmal habe ich es ihm erklärt. Ich versteh selbst nicht, wie und wann es passiert, glaubt mir das doch endlich!«

Capricorns Antwort war nur ein Lächeln. »Es tut mir Leid, Zauberzunge, ich glaube grundsätzlich niemandem, das solltest du doch inzwischen wissen. Wir sind alle Lügner, wenn es uns nützt.« Und mit diesen Worten ließ er das Feuerzeug aufflammen und hielt es an eins der Bücher. Fast durchsichtig waren die Seiten durch das Benzin geworden, wie Pergament sahen sie aus, und sie fingen auf der Stelle Feuer. Selbst der Einband, fest und stoffumhüllt, brannte sofort. Das Leinen färbte sich schwarz unter den leckenden Flammen.

Als das dritte Buch Feuer fing, trat Staubfinger Flachnase so heftig gegen die Kniescheibe, dass er ihn mit einem Schmerzensschrei losließ. Flink wie sein Marder entschlüpfte Staubfinger den mächtigen Armen und stolperte auf die Tonnen zu. Ohne Zögern griff er in die Flammen, doch das Buch, das er herausriss, brannte schon wie eine Fackel. Staubfinger ließ es auf den Steinboden fallen und griff wieder ins Feuer, diesmal mit der anderen Hand, doch da hatte Flachnase ihn bereits erneut am Kragen gepackt und schüttelte ihn so grob, dass er nach Luft schnappte.

»Seht euch den Verrückten an!«, spottete Basta, während Staubfinger mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seine Hände starrte. »Kann mir irgendwer hier erklären, wonach er solche Sehnsucht hat? Vielleicht nach den hässlichen Moosweibchen, die ihn ange-himmelt haben, wenn er auf dem Marktplatz mit seinen Bällen herumgespielt hat? Oder nach den dreckigen Löchern, in denen er mit den anderen Rumtreibern gehaust hat? Teufel, es roch dort noch schlimmer als in dem Rucksack, in dem er den stinkenden Marder herumträgt.«

Capricorns Männer lachten, während die Bücher langsam zu Asche zerfielen. Es roch immer noch nach Benzin in der leeren Kirche, so beißend, dass Meggie husten musste. Mo legte ihr schützend den Arm um die Schultern, als hätte Basta nicht ihn, sondern sie bedroht. Doch wer konnte ihn beschützen?

Elinor musterte seinen Hals so besorgt, als fürchtete sie, Bastas Messer hätte dort doch blutige Spuren hinterlassen. »Diese Kerle sind völlig verrückt!«, wisperte sie. »Du kennst doch bestimmt diesen Satz: Wo man Bücher verbrennt, da werden bald auch Menschen brennen. Was, wenn wir als Nächste auf so einem Holzstapel landen?«

Basta sah zu ihr herüber, als hätte er ihre Worte gehört. Er warf ihr einen spöttischen Blick zu und küsste die Klinge seines Messers. Elinor verstummte, als hätte sie ihre Zunge verschluckt.

Capricorn hatte ein schneeweißes Taschentuch aus seiner Hosentasche gezogen. Er säuberte sich so sorgfältig die Hände damit, als wollte er selbst die Erinnerung an Tintenherz von seinen Fingern wischen. »Gut, das wäre endlich erledigt«, stellte er mit einem letzten Blick auf die rauchende Asche fest. Dann stieg er mit selbstzufriedenem Gesicht zu dem Stuhl hinauf, der den Platz des Altars eingenommen hatte. Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich auf das blassrote Polster sinken.

»Staubfinger, lass dir in der Küche von Mortola die Hände verarzten!«, befahl er mit gelangweilter Stimme. »Ohne deine Hände bist du nun wirklich zu gar nichts nütze.«

Staubfinger warf Mo einen langen Blick zu, bevor er der Aufforderung folgte. Mit unsicheren Schritten, den Kopf gesenkt, ging er an Capricorns Männern vorbei. Endlos lang schien der Weg bis zum Portal. Für einen kurzen Augenblick fiel gleißend helles Sonnenlicht in die Kirche, als Staubfinger es öffnete. Dann fielen die Türen hinter ihm zu, und Meggie, Mo und Elinor waren allein mit Capricorn und seinen Männern - und dem Geruch von Benzin und verbranntem Papier.

»Kommen wir zu dir, Zauberzunge!«, sagte Capricorn und streckte die Beine aus. Er trug schwarze Schuhe. Voll Wohlgefallen betrachtete er das glänzende Leder und pflückte sich einen Fetzen verkohltes Papier von der Schuhspitze. »Bisher sind ich und Basta und der bedauernswerte Staubfinger der einzige Beweis dafür, dass du ganz Erstaunliches zwischen kleinen schwarzen Buchstaben hervorlocken kannst. Du selbst scheinst deiner Gabe nicht zu trauen, wenn man deinen Worten Glauben schenkt - was ich, wie ich schon sagte, nicht tue. Im Gegenteil, ich glaube, dass du ein Meister deines Faches bist, und ich kann es kaum noch erwarten, dass du uns endlich ein paar Kostproben deines Könnens lieferst. Cockerell!« Seine Stimme klang gereizt. »Wo ist der Vorleser? Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst ihn herbringen?«

Cockerell strich sich nervös über den Ziegenbart. »Er war noch damit beschäftigt, die Bücher herauszusuchen«, stammelte er. »Aber ich werde ihn gleich holen.« Mit einer hastigen Verbeugung hinkte er davon.

Capricorn begann mit den Fingern auf die Armstütze seines Stuhles zu trommeln. »Bestimmt hast du schon gehört, dass ich auf die Dienste eines anderen Vorlesers zurückgreifen musste, während du dich so erfolgreich vor mir versteckt hieltest«, sagte er zu Mo. »Ich habe ihn vor fünf Jahren gefunden, aber er ist ein furchtbarer Stümper. Du brauchst dir nur Flachnases Gesicht anzusehen.« Flachnase senkte verlegen den Kopf, als alle Blicke sich auf ihn richteten. »Das Hinken von Cockerell ist auch ihm zu verdanken. Und du hättest erst die Mädchen sehen sollen, die er mir aus seinen Büchern herausgelesen hat. Man bekam schon Alpträume, wenn man sie bloß ansah. Schließlich habe ich mir von ihm nur noch vorlesen lassen, wenn ich mich über seine Missgeburten amüsieren wollte, und meine Männer habe ich mir in dieser Welt gesucht. Ich habe sie einfach zu mir geholt, solange sie noch jung waren. In fast jedem Dorf gibt es einen einsamen Jungen, der gern mit Feuer spielt.« Lächelnd betrachtete er seine Fingernägel, wie ein Kater, der zufrieden seine Krallen mustert. »Ich habe den Vorleser damit beauftragt, für dich die richtigen Bücher auszusuchen. Mit Büchern kennt der arme Tropf sich wirklich aus, er lebt in ihnen wie einer dieser blassen Würmer, die sich von Papier ernähren.«

»Ach ja, und was soll ich dir aus seinen Büchern herauslesen?« Mos Stimme klang bitter. »Ein paar Ungeheuer, ein paar menschliche Scheusale, die zu denen da« - er wies mit dem Kopf in Bastas Richtung - »passen würden?«

»Um Himmel willen, bring ihn nicht auf Ideen!«, flüsterte Elinor mit einem besorgten Blick in Capricorns Richtung.

Doch der wischte sich nur etwas Asche von der Hose und lächelte. »Nein, danke, Zauberzunge«, sagte er. »Männer habe ich genug, und was die Ungeheuer betrifft, so kommen wir dazu vielleicht später. Zurzeit behelfen wir uns recht gut mit den Hunden, die Basta abgerichtet hat, und mit den Schlangen dieser Gegend. Sie eignen sich hervorragend als tödliche Mitbringsel. Nein, Zauberzunge, alles, was ich heute als Probe deines Könnens verlange, ist Gold. Ich bin hoffnungslos geldgierig. Meine Männer tun wirklich ihr Bestes, diesem Landstrich abzupressen, was er hergibt.« Bei diesen Worten von Capricorn strich Basta zärtlich über sein Messer. »Aber es reicht nie für all die wundervollen Dinge, die es in dieser grenzenlosen Welt zu kaufen gibt. Sie hat so viele Seiten, Zauberzunge, so unendlich viele Seiten, eure Welt, und ich möchte zu gern auf jede meinen Namen schreiben.«

»In was für Buchstaben willst du ihn denn schreiben?«, fragte Mo. »Wird Basta sie mit seinem Messer aufs Papier ritzen?«

»Oh, Basta kann nicht schreiben«, antwortete Capricorn gelassen. »All meine Männer können weder schreiben noch lesen. Ich habe es ihnen verboten. Nur ich habe es mir beibringen lassen, von einer meiner Mägde. Ja, glaube mir, ich bin sehr wohl in der Lage, dieser Welt meinen Stempel aufzudrücken. Und wenn es einmal etwas zu schreiben gibt, so übernimmt das der Vorleser.«

Das Kirchenportal wurde aufgestoßen, als hätte Cockerell nur auf sein Stichwort gewartet. Der Mann, den er mitbrachte, zog den Kopf zwischen die Schultern und blickte weder nach rechts noch nach links, während er Cockerell folgte. Er war klein und dünn und bestimmt nicht älter als Mo, aber er krümmte den Rücken wie ein alter Mann und schlenkerte beim Gehen die Glieder, als wisse er nicht, wohin mit ihnen. Er trug eine Brille, die er beim Gehen immer wieder nervös hochschob, das Gestell war über seiner Nase mit Klebeband umwickelt, als wäre sie ihm schon oft zerbrochen. Mit dem linken Arm drückte er einen Stapel Bücher an die Brust, so fest, als böten sie ihm Schutz gegen die Blicke, die sich von allen Seiten auf ihn richteten, und gegen den unheimlichen Ort, an den man ihn geschleppt hatte.

Als die zwei endlich am Fuß der Treppe angelangt waren, stieß Cockerell seinem Begleiter den Ellbogen in die Seite und der verbeugte sich mit solcher Hast, dass ihm zwei Bücher auf den Boden fielen. Eilig hob er sie auf und verbeugte sich ein zweites Mal vor Capricorn.

»Wir warten schon auf dich, Darius!«, sagte Capricorn. »Ich hoffe, du hast gefunden, womit ich dich beauftragt habe.«

»O ja, ja!«, stammelte Darius, während er Mo einen fast andächtigen Blick zuwarf. »Ist er das?«

»Ja. Zeig ihm die Bücher, die du ausgewählt hast.«

Darius nickte und verbeugte sich wieder, diesmal vor Mo. »Dies smd alles Geschichten, in denen große Schätze vorkommen«, stammelte er. »Es war nicht so leicht, sie zu finden, wie ich dachte, schließlich« - es klang ein leiser, ganz leiser Vorwurf aus seiner Stimme - »schließlich gibt es nicht sehr viele Bücher in diesem Dorf. Und sooft ich das auch sage, man bringt mir keine neuen mit, und wenn, dann taugen sie nichts. Aber wie dem auch sei ... hier sind sie nun. Ich denke, du wirst trotzdem mit der Auswahl zufrieden sein.« Er kniete sich vor Mo auf den Boden und begann seine Bücher auf den Steinfliesen auszubreiten, eins neben dem anderen, bis Mo alle Titel lesen konnte.

Gleich der erste gab Meggie einen Stich. Die Schatzinsel. Beunruhigt sah sie Mo an. Nicht das!, dachte sie. Nicht das, Mo. Aber Mo hatte schon ein anderes in der Hand: Die Erzählungen aus 1001 Nacht.

»Ich denke, das hier ist das Richtige«, sagte er. »Darin wird sich sicherlich genug Gold finden. Aber ich sage es dir noch einmal: Ich weiß nicht, was geschehen wird. Es geschieht nie, wenn ich es will. Ich weiß, ihr haltet mich hier alle für einen Zauberer, aber ich bin keiner. Der Zauber kommt aus den Büchern, und ich weiß ebenso wenig wie du oder einer deiner Männer, wie er funktioniert.«

Capricorn lehnte sich in seinem Stuhl zurück und musterte Mo mit ausdruckslosem Gesicht. »Wie oft willst du mir das noch erzählen, Zauberzunge?«, sagte er gelangweilt. »Du kannst es mir erzählen, so oft du willst, ich werde es nicht glauben. In der Welt, deren Tür wir heute endgültig zugeschlagen haben, hatte ich bisweilen mit Zauberern zu tun, mit Zauberern und Hexen, und ich musste mich sehr oft mit ihrem Starrsinn herumschlagen. Basta hat dir ja schon sehr eindrücklich geschildert, wie wir Starrsinn zu brechen pflegen. Doch in deinem Fall werden solche schmerzhaften Methoden ja sicherlich jetzt, wo deine Tochter unser Gast ist, nicht mehr nötig sein.« Mit diesen Worten warf Capricorn Basta einen kurzen Blick zu.

Mo wollte Meggie festhalten, doch Basta war schneller. Er zog sie an seine Seite und schlang ihr von hinten den Arm um den Hals.

»Von heute an, Zauberzunge«, fuhr Capricorn fort, und immer noch klang seine Stimme so unbeteiligt, als redete er über das Wetter, »wird Basta der ganz persönliche Schatten deiner Tochter sein. Das wird sie zuverlässig vor Schlangen und bissigen Hunden schützen, aber natürlich nicht vor Basta, der nur so lange freundlich zu ihr ist, wie ich es sage. Und das wiederum hängt davon ab, wie zufrieden ich mit deinen Diensten sein werde. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?«

Mo sah erst ihn und dann Meggie an. Sie gab sich alle Mühe, unerschrocken dreinzublicken, um Mo davon zu überzeugen, dass er sich um sie keine Sorgen machen musste, schließlich hatte sie schon immer sehr viel besser lügen können als er. Doch diesmal nahm er ihr die Lüge nicht ab. Er wusste, dass ihre Angst ebenso groß war wie die, die sie in seinen Augen sah.

Vielleicht ist das hier ja auch nur eine Geschichte!, dachte Meggie verzweifelt. Und gleich schlägt irgendjemand das Buch zu, weil sie einfach so furchtbar und abscheulich ist, und Mo und ich sitzen wieder zu Hause und ich koche ihm einen Kaffee. Sie schloss die Augen, ganz fest, als könnte sie ihre Gedanken auf diese Weise wahr machen, doch als sie durch die Wimpern blinzelte, stand Basta immer noch hinter ihr und Flachnase rieb sich die eingedrückte Nase und betrachtete Capricorn mit seinem Hundeblick.

»Gut«, sagte Mo müde in die Stille hinein. »Ich lese dir vor. Aber Meggie und Elinor bleiben nicht hier.«

Meggie wusste genau, woran er dachte. Er dachte an ihre Mutter und daran, wer diesmal verschwinden würde.

»Unsinn. Natürlich bleiben sie hier.« Capricorns Stimme klang nicht mehr ganz so gelassen. »Und du fängst endlich an, bevor dir das Buch da in den Fingern zu Staub zerfällt.«

Mo schloss für einen Moment die Augen. »Gut, aber Basta lässt das Messer stecken«, sagte er heiser. »Wenn er Meggie oder Elinor auch nur ein Haar krümmt, ich schwöre es dir, dann lese ich dir und deinen Männern die Pest an den Hals.«

Cockerell warf Mo einen erschrockenen Blick zu und selbst über Bastas Gesicht huschte ein Schatten, aber Capricorn lachte nur.

»Darf ich dich daran erinnern, dass du von einer ansteckenden Krankheit redest, Zauberzunge?«, sagte er. »Und sie macht keineswegs vor kleinen Mädchen Halt. Also, lass die leeren Drohungen und fang an zu lesen. Jetzt. Auf der Stelle. Und als Erstes möchte ich etwas aus dem Buch da hören!«

Er wies auf das Buch, das Mo gleich zur Seite gelegt hatte.

Die Schatzinsel.



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