Kapitel 10

Sie brauchten sich nicht nach der Schmiede zu erkundigen, denn das Keuchen der Blasebälge und das Schlagen von Eisen auf Eisen waren deutlich zu hören, als Fidelma und Eadulf sich der Gruppe von Häusern näherten, die sich entlang der Hauptstraße unweit des Tors der Abtei erstreckten. Die Schmiede war aus Stein erbaut, der Herd stand auf mächtigen Steinplatten. Eine der Platten hatte ein kleines Loch, durch das ein Rohr den Luftstrom aus den Blasebälgen ins Feuer leitete.

Das Keuchen kam von einem imponierenden vier-kammerigen Blasebalg. Eadulf hatte gehört, daß es solche großen Blasebälge gab, hatte aber noch nie einen gesehen. Er wußte, daß sie das Schmiedefeuer gleichmäßiger mit Luft versorgten als die üblichen zweikammerigen. Sie verlangten aber auch härtere Arbeit. Sie sahen, wie ein stämmiger Schmiedegehilfe auf zwei kurzen Brettern stand und wie ein Fußgänger im Wechsel die Füße hob und senkte und auf diese Weise den Blasebalg trat. Je schneller er die Füße bewegte, desto stärker arbeitete der Blasebalg.

Der Schmied stand schwitzend am Feuer, ein kräftiger Mann in den Dreißigern. Er trug Lederhosen und statt des Hemds eine Lederschürze, die ihn vor den Funken schützte. Er hielt ein rotglühendes Stück Eisen in einer tennchair, einer Schmiedezange, auf dem Amboß. Mit der anderen Hand schwang er den Hammer und formte das Eisen mit dröhnenden Schlägen, bis er es in einen telchuma genannten Wassertrog steckte.

Der Schmied sah sie kommen und hielt bei seiner Arbeit inne. Er spuckte auf die glühenden Kohlen, daß es zischte.

»Suibne, hol noch mehr Holzkohle«, befahl er seinem Gehilfen, ohne den Blick von ihnen zu lassen.

Der Blasebalgtreter sprang von den Brettern herunter und verschwand in einem Schuppen.

Der Schmied wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß aus dem Gesicht, als sie vor ihm stehenblieben.

»Was kann ich für euch tun?« fragte er und sah sie prüfend an. »Sucht ihr mich als Schmied auf oder als bo-aire dieser Gemeinschaft?«

Ein bo-aire war ein Ortsvorsteher, ein Häuptling ohne Landbesitz, dessen Reichtum früher an der Zahl der Rinder, die er besaß, gemessen wurde und der deshalb »Kuhhäuptling« hieß. Kleine Gemeinschaften wie diese wurden gewöhnlich von einem bo-aire geleitet, der einem höheren Fürsten unterstand.

»Ich bin Fidelma von Cashel«, stellte sich Fidelma vor. Sie sprach förmlicher mit dem Mann, da sie nun wußte, daß er ein Amt innehatte. »Wie ist dein Name?«

Der Schmied richtete sich merklich auf. Wer hatte noch nicht von der Schwester des Königs gehört? Der Fürst, dem er unterstand, war Fidelmas Vetter, Fin-guine von Cnoc Äine.

»Ich heiße Nion, Lady.«

Fidelma holte die Pfeile aus ihrem marsupium, den einen aus dem Köcher des Attentäters und den zerbrochenen aus Mochtas Zelle.

»Sag mir, was du davon hältst, Nion«, wollte sie ohne nähere Erklärung wissen.

Der Schmied wischte sich die Hände sorgfältig an der Schürze ab, nahm die Pfeile und besah sie sich genau.

»Ich bin kein Pfeilschmied, habe allerdings auch schon Pfeilspitzen gemacht. Die hier sind gut gearbeitet. Die Spitze des einen ist aus Bronze und besitzt, wie du siehst, eine hohle cro ...«

»Eine was?« fragte Eadulf und beugte sich vor.

»Eine Höhlung. Siehst du, wo der hölzerne Schaft eingepaßt wird? Hier kannst du besonders gut erkennen, wie die Spitze mit einem winzigen Metallniet befestigt wird.«

»Und was würdest du vermuten, wo sie hergestellt wurden?« fragte Fidelma.

»Da brauche ich nicht zu raten«, erwiderte der Schmied lächelnd. »Siehst du die Lenkfedern? Sie tragen das Zeichen eines Pfeilschmieds von Cnoc Äine, und du befindest dich in diesem Gebiet, wie du sicher weißt, Lady.«

Fidelma lächelte dünn. »Könntest du mir einen Schmied nennen, Nion, der solche Pfeile herstellt?«

Unerwartet lachte der Schmied laut auf. »Siehst du meinen Nachbarn dort ...«, sagte er und wies auf eine nahe Zimmermannswerkstatt. »Er fertigt die Schäfte und die Lenkfedern an, und ich mache die Pfeilspitzen und setze sie auf. Dieser Pfeil gehört zu einem Bündel, das ich vor knapp einer Woche gemacht habe, das sehe ich deutlich. Weshalb fragst du, Lady?« fügte er hinzu und gab ihr die Pfeile zurück.

Sein Gehilfe kam wieder, schüttete einen Beutel Holzkohle ins Schmiedefeuer und schürte es mit einem Eisenstab.

»Ich würde gern etwas über den Mann erfahren, dem du diese Pfeile verkauft hast.«

Sofort kniff der Schmied mißtrauisch die Augen zusammen. »Warum?«

»Wenn du nichts zu verbergen hast, Nion, dann sagst du es mir. Denk daran, du beantwortest die Fragen einer dalaigh, und ich erinnere dich daran, daß du Ortsvorsteher bist.«

Nion starrte sie an, als wolle er ihre Absichten ergründen, dann zuckte er die Achseln. »Dann werde ich dir als dalaigh wie ein bo-aire antworten. Ich kenne den Mann nicht. Ich nannte ihn lediglich Saigteoir, weil er wie ein berufsmäßiger Bogenschütze aussah und sich auch so benahm. Er kam vor mehr als einer Woche in meine Schmiede und bestellte zwei Dutzend Pfeile. Er bezahlte gut dafür. Ein paar Tage später holte er die Pfeile ab, und das ist alles, was ich weiß.«

Eadulf war enttäuscht, aber Fidelma gab noch nicht auf.

»Manchmal muß man etwas aus seinem Gedächtnis herauslocken«, meinte sie. »Du sagst, der Mann sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Beschreibe ihn mir.«

Nach einigem Zögern beschrieb der Schmied Nion den Bogenschützen, den Gionga erschlagen hatte. Es war eine gute Beschreibung, und sie ließ keinen Zweifel an der Identität des Mannes.

»Du hast mit ihm geredet. Wie sprach er?«

Der Schmied rieb sich das Kinn, dann hellte sich sein Blick auf. »Er sprach rauh wie ein Berufssoldat, aber er gehörte nicht der Kriegerkaste an, war nicht für das edle Waffenhandwerk geboren.«

»Hast du ihn nicht gefragt, was er hier zu tun hatte?« schaltete sich Eadulf ein.

»Nein, das tat ich lieber nicht. Man fragt einen Krieger nicht, wozu er Waffen braucht, wenn er es nicht von sich aus sagt.«

»Ich kann dich verstehen«, stimmte ihm Fidelma bei. »Er hat also nichts gesagt?«

Der Schmied schüttelte den Kopf.

»Hatte er einen Gefährten bei sich?«

»Nein.«

»Da scheinst du dir sicher zu sein. Ritt er ein Pferd?«

»O ja. Er ritt eine kastanienbraune Stute. Das habe ich mir gemerkt, denn eins ihrer Hinterbeine mußte neu beschlagen werden. Ein Stein hatte das Hufeisen gelockert. Das sah ich sofort.«

»Ist dir an dem Pferd etwas aufgefallen?« Fidelma wußte, daß ein kundiger Schmied erkennen konnte, auf welche Weise das Pferd beschlagen worden war und in welcher Gegend.

»Es war offensichtlich zuletzt im Norden beschlagen worden«, erwiderte der Schmied sofort. »Ich kenne die Art und weiß, daß die Schmiede des Clan Brasil Pferde so beschlagen. Das Pferd war auch über seine besten Jahre hinaus. Ein Krieger von Stand würde so ein Pferd nicht mehr reiten, obgleich es ein Streitroß war.«

»Was ist dir noch aufgefallen?«

»Nichts. Was ging mich das an?«

»Du bist der bo-aire«, erklärte ihm Fidelma. »Du bist auch dafür verantwortlich, zu wissen, was auf deinem Gebiet vor sich geht. Die Pfeile, die du diesem Bogenschützen verkauft hast, wurden bei einem Attentatsversuch auf meinen Bruder, den König, und den Fürsten der Ui Fidgente verwendet. Hast du noch nichts davon gehört?«

Nion starrte sie sprachlos an.

»Damit habe ich nichts zu tun, Lady«, sagte er. »Ich habe bloß die Pfeile hergestellt und sie ihm verkauft. Ich wußte nicht, wer der Mann war .«

Fidelma hob die Hand, um ihn zu beruhigen.

»Ich sage dir das nur, um dir zu beweisen, daß es dich doch manchmal etwas angeht, was hier geschieht, Ortsvorsteher von Imleach. Fällt dir daraufhin noch etwas zu dem Bogenschützen ein, was du mir sagen solltest?«

Zweifellos gab sich Nion nun alle Mühe, nachzudenken, und er kratzte sich zur Unterstützung den Kopf.

»Ich kann dir nichts weiter sagen, Lady. Aber wenn der Bogenschütze hier fremd war, muß er sich ein paar Tage in der Nähe aufgehalten haben, um auf die Pfeile zu warten. Vielleicht weiß man in der Herberge mehr über ihn?«

»Wo wäre diese Herberge?«

»Falls er nicht in der Abtei selbst übernachtet hat, bleibt nur Creds Herberge. Sie hat keinen guten Ruf und auch keine Lizenz von mir, übrigens auf Wunsch des Abts. Er möchte sie aus moralischen Gründen schließen lassen. Aber es ist die einzige Herberge in der Stadt. Ich nehme an, dort hat der Bogenschütze gewohnt. Wenn nicht, dann weiß ich auch nichts weiter.«

Fidelma dankte dem Schmied. Er stand breitbeinig da, die Hände in den Hüften, und sah ihnen mißtrauisch nach, als sie weitergingen.

»Wenn der Bogenschütze sein Pferd von einem Schmied im Gebiet des Clan Brasil beschlagen ließ«, meinte Eadulf nachdenklich, »vielleicht kannte er dann Bruder Mochta? Hat der Abt nicht gesagt, der stamme aus dem Clan Brasil?«

»Gut geschlußfolgert, Eadulf. Aber wenn auch Bruder Mochta aus dem Clan Brasil kommt und das Pferd des Bogenschützen dort beschlagen wurde, so haben wir doch gehört, daß seine Sprechweise ihn nicht als Bewohner der nördlichen Gebiete ausweist.«

Fidelma schwieg eine Weile und überlegte. »Wir haben noch keine Verbindung zwischen Bruder Mochta und diesem Bogenschützen hergestellt, falls wir das Rätsel um die Tonsur überhaupt lösen können.«

»Die Verbindung zwischen ihnen liegt so klar auf der Hand, nur das Rätsel der Tonsur stört.«

Sie waren die Straße entlang weitergegangen bis ans andere Ende des Ortes. Dort standen abseits von den anderen ein paar kleine Gebäude.

»Das sieht nach Creds Herberge aus«, sagte Fidel-ma. Sie blickte die Straße zurück. »Nun ja, sie ist etwas abgelegen, so daß der Bogenschütze hier gewohnt haben kann, ohne daß der Schmied wissen müßte, ob er von hier kam oder nicht.«

»Heißt das, daß du den bo-aire im Verdacht hattest, uns zu belügen?«

»Eigentlich nicht«, erwiderte Fidelma. »Aber man sollte trotzdem alles doppelt prüfen. Gehen wir hinein und sprechen wir mit dieser Cred, die in der Gemeinde anscheinend so schlecht angesehen ist.«

Eadulf hielt Fidelma zurück und wies auf das Herbergsschild. Es zeigte einen muskulösen Schmied, der mit einem Hammer auf einen Amboß schlug.

»Ist das Zufall?« fragte er.

»Wohl kaum«, lächelte Fidelma. »Creidne Cred war der Handwerker unter den alten Göttern Irlands, der mit Bronze, Messing und Gold arbeitete. Er war es auch, der Schwertgriffe, Speernieten und Buckel und Ränder für Schilde herstellte im großen Krieg zwischen den heidnischen Göttern und ihren Feinden.«

»Dann noch eins, ehe wir hineingehen. Ich hörte sowohl den Abt als auch den Schmied sagen, daß dieses Haus keine Lizenz besitzt. Was bedeutet das?«

»Es ist anscheinend ein Gasthaus, das sein eigenes Ale braut, aber kein gesetzliches, das wir dligtech nennen.«

»Dann könnte es der bo-aire als örtlicher Vertreter des Gesetzes doch schließen?«

Fidelma schüttelte lächelnd den Kopf. »Das bedeutet nicht, daß das Gasthaus im Widerspruch zum Gesetz steht, sondern nur, daß das Gesetz es nicht anerkennt. Wenn sich zum Beispiel ein Streit erhebt, muß der, der in ein ungesetzliches Gasthaus geht, wissen, daß er keine gesetzliche Handhabe hat, Klage zu erheben.«

»Ich bin nicht sicher, daß ich dich verstanden habe«, antwortete Eadulf.

»Die Getränke eines gesetzlichen Gastwirts müssen drei Qualitätsprüfungen bestehen. Schenkt er schlechtes Ale aus, kann er verklagt werden. Wenn sich jemand in einem ungesetzlichen Gasthaus über die Qualität des Ales beschwert, kann er nach dem Gesetz keine Entschädigung verlangen. Aber nun genug, schauen wir uns diese Cred an.«

Sie betraten die Gaststube. Sie schien leer bis auf zwei Männer, die in einer Ecke saßen und Ale tranken. Sie waren einfach gekleidet, bärtig und sahen wie Arbeiter aus. Sie blickten Fidelma und Eadulf gleich-gültig an und fuhren fort zu trinken und sich leise zu unterhalten.

Dann entstand Bewegung hinter einem Vorhang, der einen Durchgang verdeckte. Sie wandten sich um, der Vorhang wurde zur Seite geschoben und gab den Blick auf eine wohlbeleibte Frau frei, die offensichtlich bessere Tage gesehen hatte. Sie kam eifrig herbei, doch ihr Gesicht zog sich in die Länge, als sie ihre Kleidung bemerkte.

»Für Mönche und Nonnen bietet die Abtei bessere Unterkunft«, erklärte sie mit Bestimmtheit. »Dieses Haus ist nicht gut genug eingerichtet für so wohlerzogene und fromme Leute.«

Einer der beiden Männer lachte meckernd über das, was er für einen guten Witz der Wirtin hielt.

»Wir brauchen keine Unterkunft«, antwortete Ea-dulf sofort mit fester Stimme. »Wir brauchen eine Auskunft.«

Die Frau rümpfte die Nase und kreuzte die schlaffen Arme über dem umfangreichen Busen. »Und warum sucht ihr die hier?«

»Weil wir glauben, daß du sie uns geben kannst«, erwiderte Eadulf ebenso bestimmt.

»Auskünfte sind teuer, besonders für einen ausländischen Geistlichen«, antwortete die Frau, die Eadulfs Akzent bemerkt hatte. Sie musterte ihn, als wolle sie abschätzen, wieviel Geld er wohl bei sich führen mochte.

»Dann wirst du mir die Auskunft geben«, sagte Fi-delma ruhig.

Die Frau fuhr herum, und ihre Augen verengten sich.

Fidelma und Eadulf merkten, daß die beiden Männer ihre gemurmelte Unterhaltung eingestellt und sich umgewandt hatten. Beide musterten sie, ohne die Neugier in ihren Mienen zu verbergen.

»Vielleicht möchte ich gar keine Auskunft geben, selbst wenn ich etwas weiß«, sagte die Frau störrisch.

»Vielleicht«, lächelte Fidelma. »Aber vor einem dalaigh die Aussage verweigern kann auch teuer werden.«

Die Frau kniff die Augen noch enger zusammen. Ihre Mundwinkel zogen sich herab. Die Spannung im Raum war zu spüren, und die Männer wandten sich wieder ihren Bechern zu, folgten aber sichtlich dem Gespräch.

»Wo ist denn der dalaigh, der eine Aussage von mir verlangt?« höhnte die dralle Frau.

»Der bin ich«, erklärte Fidelma leise. »Ich nehme an, du bist Cred, die Besitzerin dieses unlizenzierten Gasthauses?«

Die Frau ließ die Arme sinken. Ihre Mienen wechselten rasch, als könne sie sich nicht darüber klarwerden, ob Fidelma es ernst meinte oder nicht.

Dann errötete sie vor Ärger. »Ich bin die Gastwirtin Cred. Ich führe ein gutes und anständiges Haus, ob mit oder ohne Lizenz.«

»Das mußt du mit deinem bo-aire ausmachen. Ich brauche eine Auskunft. Ungefähr vor einer Woche kam ein Mann durch diesen Ort. Er sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Er ritt eine kastanienbraune Stute, bei der ein Hufeisen lose war, deshalb mußte er zum Schmied.«

Die beiden Männer hatten ihr Gespräch nicht wieder aufgenommen und horchten gespannt auf Fidel-mas Worte. Aus dem Augenwinkel sah sie, daß ein dritter Mann das Gasthaus von der Rückseite her betreten hatte. Sie wandte sich nicht nach ihm um, weil sie das Gesicht der Wirtin beobachtete, um ihre Reaktion abzuschätzen. Doch sie spürte, daß der dritte Mann stehengeblieben war und zu ihnen herüberschaute.

Cred starrte Fidelma immer noch trotzig an. »Woher weiß ich, daß du eine dalaigh bist?« konterte sie. »Ich brauche keine Fragen von einem jungen Mädchen zu beantworten, ob Nonne oder nicht.«

Fidelma langte in ihre Kutte und zog ein Kreuz an einer goldenen Kette hervor. Dessen symbolische Bedeutung war in ganz Muman bekannt. Der Orden der Goldenen Kette war eine ehrwürdige Adelsbruderschaft in Muman, die aus der Mitgliedschaft der alten Kriegergarde der Könige von Cashel entstanden war. Seine Mitglieder wurden von den Eoghanacht-Königen persönlich ernannt. Fidelmas Bruder hatte sie mit dieser Ehre ausgezeichnet als Anerkennung ihrer Verdienste um das Königreich. Creds Augen weiteten sich, als sie das Zeichen erkannte.

»Wer bist du?« fragte sie nun in verbindlicherem Ton.

»Ich bin ...«, begann sie.

»Fidelma von Cashel!« Die Worte kamen respektvoll von dem dritten Mann.

Der dicken Frau sank der Unterkiefer herab.

Fidelma schaute sich nun den Mann an. Er war in so einfacher Arbeitskleidung wie die beiden anderen, und seine wettergegerbten Züge zeugten von einer Tätigkeit an frischer Luft. Er machte eine ungeschickte Verbeugung vor ihr.

»Ich bin auch aus Cashel, Lady. Ich arbeite für .«

Fidelma hatte rasch geschaltet. »Für den Kaufmann Samradan? Ihr drei seid seine Kutscher?«

Der Mann nickte eifrig. »So ist es, Lady.« Zu der Wirtin gewandt, fügte er rasch hinzu: »Fidelma von Cashel ist nicht nur eine dalaigh, sondern auch die Schwester des Königs.«

Cred verneigte sich widerwillig. »Verzeih mir, Lady. Ich dachte .«

»Du dachtest, du könntest mir helfen, indem du meine Fragen beantwortest«, fuhr Fidelma scharf dazwischen und verabschiedete den Mann, der sie erkannt hatte, mit einem Nicken. Er gesellte sich zu seinen Gefährten, und sie flüsterten miteinander und warfen verstohlene Blicke herüber.

»Ich ... ach so ... ja. Den Saigteoir nannten wir ihn. Er blieb hier zwei oder drei Nächte, ungefähr vor einer Woche. Ein hochgewachsener blonder Mann. Er sprach etwas abgehackt und mochte keine Fragen. Er trug einen langen Bogen und weiter keine Waffen.«

Das sprudelte die Frau nur so heraus.

»Aha. Hast du sonst noch etwas über ihn erfahren?«

Cred schüttelte heftig den Kopf. »Wie ich schon sagte, er redete nicht gern«, meinte sie. »Er wählte seine Worte mit Bedacht und äußerte seine Wünsche so knapp wie möglich, und die waren ebenso selten wie seine Worte.«

»Hatte er in der Schmiede zu tun?«

»Du sagst es. Bei seinem Pferd war ein Hufeisen lose, und ich glaube, er kaufte auch Pfeile beim Schmied, denn als er kam, hatte er nur wenige Pfeile im Köcher, und als er fortritt, war sein Köcher voll.«

»Du hast scharfe Augen, Cred«, stellte Fidelma fest.

»Die braucht man in diesem Beruf, Lady. Gäste kommen und verschwinden, ohne zu bezahlen. Man muß schon aufpassen.«

»Hat er alles bezahlt?«

»O ja. Er hatte anscheinend genug Geld, trug viele Gold- und Silbermünzen bei sich.«

»Ging er noch woanders hin? In die Abtei zum Beispiel?« fragte Eadulf.

Die Frau schnaufte vernehmlich. »Er war nicht der Typ, der Abteien oder Kirchen liebt. Überhaupt nicht. Er hatte den Geruch des Todes an sich.«

»Was meinst du damit?« wollte Eadulf wissen. »Geruch des Todes? War er krank?«

Cred sah ihn an, als sei er begriffsstutzig. »Manche gehen in die Schlacht, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt«, ließ sie sich zu einer Erläuterung herab. »Andere gehen in den Kampf und merken, daß ihnen Tod und Vernichtung liegen, also ziehen sie im Lande umher und verkaufen ihre Fähigkeiten als Krieger an jeden, der sie dafür bezahlt, damit sie das eine Handwerk treiben können, das sie beherrschen: Tod und Vernichtung über andere bringen. Sie werden selbst zum Tod. Der Saigteoir hatte diesen Geruch des Todes an sich. Er war ohne Gefühl, ohne Seele.«

Zu ihrer Überraschung bekreuzigte sich die dicke Wirtin.

»Bei solchen Menschen hab ich das Gefühl, daß ihre Seelen schon tot sind und sie dem Blutvergießen so lange folgen, bis ihre Zeit gekommen ist.«

»Also in der Abtei verbrachte er seine Zeit nicht?« fragte Eadulf noch einmal nach. »Wo dann? Wenn er zwei oder drei Tage hier war, wo hielt er sich denn auf? Dieser Ort ist doch nicht so groß, als daß man es nicht bemerken würde.«

»Im Ort verbrachte er auch nicht viel Zeit«, antwortete die Frau.

»Du scheinst dir da sicher«, meinte Fidelma.

»Sicher aus dem Grunde, den du schon genannt hast. Abends aß er hier und nachts schlief er hier. Er ging gleich morgens los und kam erst am späten Nachmittag wieder. Einer meiner Nachbarn sah ihn in den Bergen im Süden reiten, nachdem sein Pferd neu beschlagen war.«

»Was gibt es da? Einen Bauernhof? Ein Gasthaus?«

Die Frau zuckte die Achseln. »Nichts. Vielleicht ging er auf die Jagd.«

»Und an all den Tagen, an denen er hier war, hat er nie seinen Namen genannt oder etwas über sich erwähnt?«

»Und keiner wagte ihn danach zu fragen«, bestätigte die Wirtin.

Fidelma unterdrückte einen Seufzer der Enttäuschung darüber, daß sie so wenig in Erfahrung gebracht hatte. »Ich bin dir sehr verbunden, Cred.«

»Hat er was gegen das Gesetz getan? Was hat er angestellt?« fragte sie eifrig. »Wirtsleute erzählen gern Geschichten über Gäste, die bei ihnen übernachtet haben.«

Fidelma sah sie einen Augenblick an und sagte dann ruhig: »Er hat das erreicht, worauf er deiner Meinung nach gewartet hat.«

Die Wirtin schaute verständnislos drein.

Eadulf erklärte es ihr. »Er hat den Tod gefunden, den er, wie du meinst, gesucht hat.«

Fidelma wandte sich an die drei Kutscher, die nun ihrem Blick auswichen. »Ich wünsche euch eine angenehme Fahrt ins Land der Arada Cliach.«

Der Mann, der sie erkannt hatte, runzelte die Stirn. »Warum meinst du, daß wir dorthin wollen, Lady?«

»Das hat mir Samradan gesagt.«

Die drei wechselten Blicke, und dann sagte der Sprecher mit einem unsicheren Lächeln: »Na klar, Lady. Auch dir eine gute Reise.«

Sie verließen die Herberge »Zum Handwerker der Götter« und gingen langsam zurück zur Abtei.

»Na«, meinte Eadulf, »über den Bogenschützen haben wir nichts Wesentliches erfahren. Anscheinend haben wir überhaupt nichts Wesentliches erfahren.«

Er war überrascht, als ihn Fidelma am Ellbogen nahm und von der Straße weg hinter die Ecke eines Gebäudes steuerte.

»Im Gegenteil, ich meine, wir haben eine ganze Menge erfahren«, erwiderte sie und spähte zurück. »Wir warten hier einen Moment.«

Eadulf sah sie verblüfft an.

»Wir haben erfahren, daß er ein berufsmäßiger Bogenschütze war, aber nicht dem Kriegerstand angehörte. Er war also nicht adlig. Wir haben erfahren, daß er sein Pferd beim Clan Brasil beschlagen ließ. Wir haben erfahren, woher er seine Pfeile hatte. Wir haben erfahren, daß er eine kastanienbraune Stute ritt. Wir haben erfahren, daß er reichlich mit Geld versehen war. Wir haben erfahren, daß er ein paar Tage lang in den Bergen südlich von hier unterwegs war.«

Eadulf hakte die Punkte im Geiste ab. »Aber das ist wenig genug. Das alles wußten wir mehr oder weniger schon, als wir Cashel verließen, nicht wahr?«

Fidelma hob verzweifelt die Augen zum Himmel. »Denk mal nach, Eadulf! Drei wichtige Dinge haben wir über diesen Bogenschützen herausgefunden. Zwei davon ziehen ernste Fragen nach sich, die wir beantworten müssen.«

»Du meinst, weshalb er in die Berge im Süden ritt?«

»Ja, das muß festgestellt werden. Aber was noch?«

Eadulf schlug sich vor die Stirn. »Natürlich! Wo ist die kastanienbraune Stute geblieben? Er hatte kein Pferd bei sich, als er getötet wurde.«

Fidelma lächelte und unterdrückte einen Seufzer. »Du bist der eigenartigste Mensch, den ich kenne.

Manchmal weist du auf das Naheliegendste hin, das alle übersehen haben. Dann wieder übersiehst du das Naheliegendste. Ja, ich meine die Stute des Bogenschützen. Wo ist sie? Anscheinend wartete irgendwo ein dritter Komplize mit den Pferden der beiden Attentäter. Dieser Komplize ritt weg und versteckte die Pferde, sobald er wußte, daß Gionga den Bogenschützen und seinen Freund getötet hatte.«

»Was bedeutet, daß sich der dritte Attentäter noch in Cashel aufhält?«

»Vielleicht noch mehrere. Bisher wissen wir nicht, wie viele Personen an dem Anschlag beteiligt waren. Was haben wir noch erfahren?« drängte ihn Fidelma.

Eadulf dachte scharf nach, ihm fiel aber nichts ein.

»Der Bogenschütze und sein Freund hatten kaum Geld bei sich, als sie getötet wurden. Cred sagte uns, daß der Bogenschütze genug Geld besaß. Wo verbarg er es?«

Eadulf preßte die Lippen zusammen und ärgerte sich, daß er nicht selbst darauf gekommen war. »Noch eine Frage«, sagte er. »Auf was warten wir hier?«

Fidelma lächelte geheimnisvoll und lugte um die Hausecke. »Die Antwort darauf ist schon unterwegs.«

In diesem Moment kam einer der Kutscher aus Creds Herberge, der aus Cashel, der Fidelma erkannt hatte, eilig die Straße entlang und sah sich suchend um.

»Man kann mit den Augen ebensogut etwas mitteilen wie mit Mund und Händen«, flüsterte Fidelma Eadulf zu.

Als der Kutscher auf gleicher Höhe mit ihnen war, hüstelte Fidelma. Er warf ihnen einen erschrockenen Blick zu, ließ sich auf ein Knie nieder und begann an seinem Schuh zu nesteln.

»Tut so, als ob ihr nicht mit mir sprecht«, flüsterte er ihnen zu, den Blick auf den Boden gerichtet. »Es gibt überall Augen und Ohren.«

»Was willst du von uns«, fragte Fidelma abgewandt, als spräche sie mit Eadulf.

»Darüber kann ich hier nicht reden. Kennt ihr den Brunnen von Gurteen, in dem kleinen bestellten Feld?«

»Nein.«

»Er befindet sich eine knappe Meile nordöstlich von hier. Ihr nehmt den Pfad zum Eibenwald und kommt an ein Feld mit einer Trockenmauer. Der Brunnen ist gleich dahinter. Ihr könnt ihn nicht verfehlen.«

»Wir werden ihn finden.«

»Seid bei Anbruch der Dunkelheit dort, dann können wir reden. Sagt keinem was davon. Es ist gefährlich für uns alle.«

Dann stand der Kutscher wieder auf und ging weiter, als habe er nur etwas an seinem Schuh in Ordnung gebracht.

Eadulf wechselte einen Blick mit Fidelma.

»Eine Falle?« vermutete er.

»Warum sollte uns der Kutscher in eine Falle lok-ken wollen?«

»Er und seine Freunde denken vielleicht, wir wüßten mehr, als wir in Wirklichkeit wissen«, meinte Ea-dulf.

Fidelma dachte eine Weile nach. »Nein, das glaube ich nicht. Seine Furcht, beobachtet zu werden, als er mit uns sprach, war echt.«

»Na, ich halte es für gefährlich, dorthin zu gehen, noch dazu in der Dunkelheit. Es ist eine Falle für einen Fuchs.«

Fidelma schmunzelte. »Der Fuchs hatte nie einen besseren Boten als mich«, antwortete sie.

Eadulf stöhnte, als er diese weitere Redensart von Fidelma zu hören bekam.

»Habt ihr in eurem Land nicht auch den Spruch: Zeige nie die Zähne, bevor du auch beißen kannst?« fragte er spöttisch.

Fidelma kicherte. »Gut gesagt, Eadulf. Du lernst schnell. Aber heute abend sind wir am Brunnen von Gurteen.«

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