Kapitel 5

Colgü ruhte in einem geschnitzten Holzsessel mit hoher Lehne und streckte seine langen Beine dem Feuer im großen Kamin entgegen. Sein rechter Arm war mit weißem Leinen verbunden, doch sah Colgü viel wohler aus als vorhin.

»Was macht deine Wunde, Bruder?« fragte Fidelma zur Begrüßung, als sie mit Bruder Eadulf sein Privatzimmer betrat.

»Sie schmerzt gar nicht mehr, dank der Heilkunst unseres angelsächsischen Freundes«, antwortete Colgü lächelnd. Er wirkte noch etwas blaß. Er winkte ihnen, auf den Stühlen ihm gegenüber Platz zu nehmen. »Was hört man von Donennachs Verwundung?«

Die Frage galt Eadulf.

»Im wesentlichen eine Fleischwunde«, erwiderte er. »Der Pfeil drang in den Oberschenkel ein, zerriß aber keine Muskeln. Ein paar Tage wird er Schmerzen haben, aber weiter nichts.«

»Jedenfalls wird die Wunde keinen Makel hinterlassen«, kicherte Colgü vergnügt.

»Das stimmt«, bestätigte Eadulf leicht verwundert. »Warum ist das so wichtig?«

»Du bist die Rechtsgelehrte in der Familie, Fidel-ma«, schmunzelte Colgü. »Erklär du es unserem Freund.«

Fidelma wandte sich Eadulf zu.

»Nach unserem Gesetz muß der König einen makellosen Körper besitzen, Eadulf. Er darf von keiner Behinderung oder Entstellung betroffen sein.«

»Wird ein König tatsächlich seines Amtes enthoben, wenn er als König eine entstellende Verletzung erleidet?« fragte Eadulf verblüfft.

»Ich kenne nur den einen Fall des Königs von Ulaidh, Congal Caech, der eine Zeitlang auch als Großkönig herrschte. Durch den Stich einer Biene wurde er auf einem Auge blind und mußte deshalb die Herrschaft in Tara abgeben«, berichtete Fidelma.

»In seiner eigenen Provinz konnte er aber König bleiben«, wandte Colgü ein, »und er herrschte in Ulaidh, bis er in einer Schlacht fiel.«

»Wann war das?« erkundigte sich Eadulf.

»Er fiel bei Magh Rath in dem Jahr, als meine Schwester geboren wurde«, antwortete Colgü lächelnd. »Aber was hast du herausgefunden, Fidelma? Wer ist verantwortlich für diesen Anschlag auf Do-nennach und mich?«

Fidelmas Miene wurde ernst, und sie schwieg eine Weile, die Hände im Schoß.

»Das sieht nicht gut aus«, begann sie schließlich. »Es handelt sich um versuchten Mord. Nach dem Ge-setz ist es das schwere Verbrechen Duinethdide, auf dem eine doppelt so hohe Strafe steht wie gewöhnlich.«

»Doppelt so hoch wie gewöhnlich?« fragte Eadulf verständnislos.

»Eine ungesetzliche Tötung wird, wie du weißt, mit dem Verlust der Rechte und der Zahlung einer Entschädigung in festgesetzter Höhe an die Sippe des Getöteten bestraft. Duinethdide, was wörtlich Personendiebstahl heißt, wie zum Beispiel die Ermordung eines Fürsten, gilt als ein schwereres Verbrechen.«

Colgü beugte sich vor. »Wir kennen die Art des Verbrechens, Fidelma, aber warum meinst du, daß es nicht gut aussieht? Die Attentäter sind tot - erschlagen von Gionga von den Ui Fidgente. Man muß doch nur feststellen, wer sie sind und ob andere an dem Verbrechen beteiligt waren.«

Fidelma seufzte schwer und schüttelte den Kopf. »Wie du weißt, trug einer der Erschlagenen das Zeichen des Ordens der Goldenen Kette, das Kreuz des Adelsordens der Könige von Cashel.«

Colgü hob ungeduldig die Hand. »Gewiß, aber hat man herausgefunden, wer er ist? Ich kenne ihn nicht, und wie ich höre, kennt ihn Donndubhain auch nicht. Ich habe außerdem Capa, den Kommandeur der Leibwache, beauftragt, sich die Leiche in Conchobars Apotheke anzusehen, und er meldet, daß er diesen Mann auch nicht kennt. Daraus folgt doch mit Sicherheit, daß er nicht unserer ausgesuchten Kriegerschar angehört.«

»Es stimmt, daß ihn anscheinend niemand kennt«, seufzte Fidelma. »Doch seine Pfeile tragen die unverwechselbaren Zeichen der Eoghanacht von Cnoc Äi-ne.«

Colgü zog ein langes Gesicht. »Meinst du damit, daß die Attentäter im Dienst unseres Vetters Finguine, des Fürsten von Cnoc Äine, standen?«

»Ich sage nur, daß einer von ihnen Pfeile bei sich führte, die von einem Pfeilschmied von Cnoc Äine gefertigt wurden, denn die Lenkfedern tragen das Zeichen dieses Gebiets. Eadulf und ich haben die Leiche sorgfältig untersucht. Sie weist weiter keine Merkmale auf als das Kreuz der Goldenen Kette und die Pfeile. Ein ddlaigh könnte das für hinreichende Beweise für die Herkunft des Mannes ansehen. Gionga behauptet bereits, es handele sich um eine Verschwörung Cas-hels mit dem Ziel, den Fürsten der Ui Fidgente herzulocken und umzubringen.«

»Das ist Unsinn!« zürnte Colgü. »Das kann doch nicht sein Ernst sein. Ein Pfeil der Attentäter hat auch mich getroffen.«

»Das stimmt«, gab Fidelma zu, »aber Gionga dreht das zu seinen Gunsten um mit der Behauptung, du wärest nicht ernsthaft verletzt worden ...«

»Ernsthaft genug«, warf Eadulf ein, »und zwar schwerer als der Fürst der Ui Fidgente.«

»Aber nicht so schwer, daß Gionga nicht verbreiten würde, der Pfeilschuß auf meinen Bruder sei nur ein Täuschungsmanöver gewesen. Es sollte so aussehen, als hätte der Angriff beiden gegolten, während Do-nennach das wahre Opfer gewesen wäre. Er sagt, hätte er nicht so schnell gehandelt, hätten die Attentäter erneut geschossen und wären verschwunden und wir hätten nie erfahren, daß es Männer von Cashel waren.«

»Solche Hirngespinste habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört«, brummte Colgü und lehnte sich in seinen Sessel zurück, denn in seinem Zorn hatte er sich unwillkürlich vorgebeugt, und seine Wunde schmerzte wieder. Er blickte düster drein. »Was meinst du, Fidelma? Du hast Erfahrung mit solchen Geschichten. Wie können wir Giongas falsche Anschuldigungen zurückweisen?«

»Wenn Gionga seine Behauptung beweisen kann, die Attentäter hätten im Solde Cashels gestanden, dann bist du, mein Bruder, nach dem Gesetz verantwortlich und mußt die Entschädigung zahlen. Du würdest das Königsamt verlieren. Ich fürchte, die Beweislast liegt bei uns. Wir müssen Giongas Beschuldigung widerlegen, denn er kann sich auf das Kreuz des Ordens und die Herkunft der Pfeile berufen. Wir müssen den Gegenbeweis liefern, um seinen Anspruch abzuweisen.«

Ein langes Schweigen trat ein.

»Wenn ich für schuldig befunden werde, dann, das weißt du auch, wird Cashel niemals zum Frieden mit den Ui Fidgente kommen«, seufzte der junge König. »Du mußt mir helfen, Fidelma. Wie können wir diese Anschuldigungen entkräften?«

»Wir können Giongas Behauptungen nur widerlegen, indem wir Gegenbeweise beibringen«, wiederholte Fidelma. »Wir müssen herausfinden, wer die Attentäter wirklich waren. Hat der Bogenschütze den Orden der Goldenen Kette zu Recht getragen? Warum sollte er ihn bei einem solchen Unternehmen tragen? Wenn er unerkannt entkommen wollte, wie Gionga behauptet, warum hat er dann zwei Pfeile sorgfältig auf dem Dach abgelegt, damit man ihre Herkunft leicht feststellen konnte?«

»Vielleicht hatte er es einfach zu eilig?« vermutete Eadulf. »Nachdem er geschossen hatte, sah er Gionga über den Platz geritten kommen und floh vom Dach.«

Fidelma schaute ihn beinahe mitleidig an. »Der Mann war, wie du richtig festgestellt hast, ein berufsmäßiger Bogenschütze. So einer gerät nicht so schnell in Panik, er behält seine Waffen bei sich. Ich meine, er wollte uns diese Pfeile finden lassen.« Dann kam ihr ein neuer Gedanke. »Und wenn er ein berufsmäßiger Bogenschütze war, warum hat er dann nicht besser getroffen?«

Sie stand erregt auf und schloß die Augen, als wolle sie sich die Szene ins Gedächtnis zurückrufen.

»Colgü parierte plötzlich sein Pferd und beugte sich hinunter, um mich zu begrüßen. Hätte er das nicht getan, wäre er tödlich verletzt worden. Warum, frage ich mich, hat der Bogenschütze mit dem zweiten Pfeil Donennach nicht besser getroffen? Er bot doch ein stehendes Ziel.«

»Ich vermute, auch ein geübter Schütze hat mal einen schlechten Tag«, meinte Eadulf.

Colgü beugte sich zu Fidelma vor.

»Denkst du, daß die Ui Fidgente die Hand im Spiel hatten? Daß sie das einfädelten, um Cashel die Schuld daran zuzuschieben, daß der Krieg weiterginge?«

»Bevor ihr die Ui Fidgente verdächtigt«, wandte Eadulf ein, »denkt daran, daß es Gionga war, der die Attentäter niedermachte. Das hätte er kaum getan, wenn es Leute gewesen wären, die seinen eigenen Plänen dienten.«

»Ich meine, es gibt viele Dinge, die erst geklärt werden müssen, bevor wir zu einer Entscheidung kommen«, erwiderte Fidelma. »Wir haben festgestellt, daß der Begleiter des Bogenschützen ein ehemaliger Mönch war. Er trug früher die Tonsur des heiligen Petrus, ließ aber in den letzten Wochen das Haar wachsen. Die Tintenmale an seinen Fingern weisen darauf hin, daß er ein scriptor war. Und schließlich hatte er dies bei sich .«

Sie holte das kunstvolle silberne Kruzifix hervor und zeigte es ihrem Bruder.

Colgü nahm es und betrachtete es stirnrunzelnd.

»Das ist eine schöne Arbeit, Fidelma. Es ist sehr wertvoll. Ich glaube nicht, daß es in unserem Königreich angefertigt wurde. Die Verzierungen sind anders.« Er überlegte. »Ich könnte schwören, daß ich es schon einmal gesehen habe. Aber wo?«

Fidelma horchte auf. »Versuch dich zu erinnern, Bruder. Und denk mal darüber nach, weshalb ein früherer Mönch zum Attentäter werden und dabei ein so kostbares Stück bei sich führen sollte?«

Colgü sah seine Schwester nachdenklich an.

»Meinst du, daß es in dieser Angelegenheit verborgene Tiefen gibt?«

»Ja. Irgend etwas stimmt da nicht«, erwiderte sie. »Das, was wir bisher wissen, macht einfach keinen Sinn.«

Es wurde an die Tür geklopft, und auf Colgüs Ruf hin wurde sie geöffnet.

Donndubhain trat ein und sprach, ohne die Erlaubnis Colgüs abzuwarten. Das war sein Recht. Er sah nicht sehr glücklich aus.

»Der Fürst der Ui Fidgente verlangt dich zu sprechen. Sein Hauptmann Gionga hat ihm eingeredet, daß Cashel ihn zu ermorden beabsichtigte.«

Colgü reagierte mit einem ausdrucksvollen Fluch. »Können wir ihn ein wenig hinhalten? Wir sind noch zu keinem Schluß gekommen in dieser Sache.«

Donndubhain schüttelte den Kopf. »Der Fürst erwartet dich bereits in der Großen Halle. Ich habe nicht mal gewagt, ihm sein Benehmen vorzuwerfen, denn er ist in äußerst schlechter Stimmung.«

Nach dem Protokoll hatte selbst ein Fürst zu warten, bis man ihn hineinbat, ehe er die Große Halle in Cashel betrat, in der der König offizielle Besucher und Gäste empfing. Gäste hatten sich in den Vorräumen aufzuhalten, wenn sie um eine Audienz beim König nachsuchten.

Der König erhob sich vorsichtig. Er verstand die Erregung, die seinen Gast das Protokoll vergessen ließ.

»Dann gehen wir lieber zu ihm und hören, was er von uns will«, meinte er resigniert. »Kommt mit, du auch, Eadulf. Ich brauche vielleicht deinen starken Arm.«

Als sie die Halle betraten, hatte sich der Fürst der Ui Fidgente bereits niedergelassen. Sein Gesicht war schweißbedeckt, und er wechselte unruhig die Haltung. Auch wenn es nur eine Fleischwunde war, sie bereitete ihm sichtlich Schmerzen. Hinter ihm stand Gionga mit finsterer Miene. Sonst befand sich niemand in der Halle, außer Capa von der Leibwache des Königs, der hinter dem Thron Aufstellung genommen hatte.

Donennach wollte sich erheben, doch Colgü, der es mit dem Protokoll nicht übermäßig genau nahm, winkte ihn zurück in seinen Sessel, ging zu seinem Amtssessel und setzte sich vorsichtig. Fidelma ließ sich links von ihm nieder, Donndubhain zu seiner Rechten. Eadulf gesellte sich zu Capa.

»Nun, Donennach, womit kann ich dir dienen?«

»Ich kam hierher als dein Gast, Colgü«, begann der Fürst. »Ich kam her in dem Wunsch, daß wir Ui Fidgente zu einem dauerhaften Frieden mit den Eogha-nacht von Cashel gelangen würden.«

Er hielt inne. Colgü wartete höflich. Dieser Feststellung war nichts hinzuzufügen.

»Aus diesem Attentat auf mich .« Donennach zögerte, »auf uns beide«, verbesserte er sich, »ergeben sich bestimmte Fragen.«

»Du darfst versichert sein, daß wir alle dringend die Antworten auf diese Fragen suchen«, warf Fidelma leise ein.

»Davon gehe ich auch aus«, fauchte Donennach. »Aber von Gionga höre ich Dinge, die mich beunruhigen. Er erklärt mir, daß die Attentäter, die er erschlagen hat, Männer aus Cnoc Äine sind, dem Land, in dem dein Vetter Finguine herrscht. Deshalb sind es Männer, für die du die Verantwortung trägst, Colgü von Cashel. Ich sah mit eigenen Augen an der Leiche des einen Attentäters das Kreuz deiner Elitetruppe.«

»Du kennst sicher das Sprichwort, Donennach, fronti nulla fides?« fragte ihn Fidelma ruhig.

Donennach schaute sie finster an. »Was meinst du damit?« knurrte er.

»Daß man sich auf den Anschein nicht verlassen darf. Jemandem eine goldene Kette mit einem Kreuz daran umzuhängen ist ebenso leicht, wie ihm einen Mantel um die Schultern zu werfen. Der Mantel oder das Kreuz verraten dir noch nicht, wer derjenige wirklich ist, sondern nur, für wen er gehalten werden möchte«, erwiderte Fidelma gelassen.

Donennach kniff die Augen zusammen. »Vielleicht überläßt du es lieber deinem Bruder, dem König, sich zu verteidigen?«

»Verteidigung setzt Anklage voraus«, tadelte ihn Colgü milde. »Wir sollten uns nicht gegenseitig anklagen, sondern uns bemühen, die Wahrheit zu ergründen.«

Donennach machte eine gleichgültige Handbewegung. »Du gibst also zu, daß du mir eine Erklärung schuldig bist?«

»Wir geben zu«, erwiderte Colgü vorsichtig, »daß einer der beiden Männer, die Gionga tötete, das Kreuz des Ordens von Cashel trug. Das bedeutet jedoch nicht, daß er in meinem Dienst stand. Wie meine Schwester bereits sagte, ist es leicht, einem Mann etwas anzuhängen, um andere zu täuschen.«

Donennach wirkte plötzlich verlegen, er sah Gion-ga an.

»Woher weiß ich, daß dies nicht ein Versuch Cas-hels ist, die Ui Fidgente zu vernichten?« fragte er.

Das ließ Donndubhain im Zorn hochfahren. Er sprang auf, die Hand an der Hüfte, wo sonst die Schwertscheide hing. Aber es gab eine Vorschrift, daß niemand die Große Halle bewaffnet betreten durfte.

»Das ist eine Beleidigung Cashels!« schrie er. »Das muß der Ui Fidgente zurücknehmen!«

Gionga hatte sich vor seinen Fürsten gestellt, auch seine Hand am leeren Schwertgurt.

Mit einer Handbewegung hielt Colgü seinen Tanist zurück.

»Beruhige dich, Donndubhain«, befahl er. »Donennach, schicke deinen Mann zurück. Niemand tastet dich an, solange du in Cashel bist, das schwöre ich beim heiligen Kreuz.«

Donndubhain sank auf seinen Stuhl zurück, und auf eine Handbewegung Donennachs hin stellte sich Gionga wieder hinter ihn.

Ein eisiges Schweigen trat ein.

Colgü hatte den Blick fest auf das Gesicht des Fürsten der Ui Fidgente gerichtet. »Du sagst, du weißt nicht, ob das, was geschehen ist, nicht ein Versuch

Cashels war, dich umzubringen? Kann ich denn sicher sein, daß es nicht eine Verschwörung einiger Ui Fid-gente gegen mein Leben war?« fragte er ruhig.

»Eine Verschwörung von mir? Hier in Cashel? Ich wurde doch von dem Pfeil des Attentäters beinahe getötet.« Donennach klang zunehmend gereizt.

»Anstatt uns gegenseitig zu beschuldigen, sollten wir uns gemeinsam bemühen, festzustellen, wer die Schuldigen waren«, wiederholte Colgü und unterdrückte mühsam den Ärger über seinen Gast.

Donennach antwortete mit einem spöttischen Lachen.

Fidelma erhob sich plötzlich und stellte sich zwischen die beiden, jedem in symbolischer Haltung eine Handfläche zukehrend.

Beide verstummten, denn auf diese Art konnte ein dalaigh selbst Königen Schweigen gebieten.

»Es gibt hier einen Streitfall«, sagte sie ruhig. »Doch beide Streitenden besitzen nicht genügend Beweise, um ihre Argumente logisch und überzeugend zu begründen. Wir brauchen ein Schiedsgericht. Wir müssen das Geheimnis dessen, was hier geschehen ist, aufdecken und feststellen, wer dafür verantwortlich ist. Stimmt ihr dem zu?«

Sie schaute Donennach an.

Mit zusammengepreßten Lippen erwiderte der Fürst ihren Blick. Dann zuckte er die Achseln. »Ich will weiter nichts, als daß die Tatsachen untersucht werden.«

Fidelma sah nun ihren Bruder fragend an.

»Ich bin für ein Schiedsgericht. Wie soll das vor sich gehen?«

»Das Bretha Crolige genannte Gesetz legt die Bedingungen fest«, antwortete Fidelma. »Es sind drei Richter erforderlich, einer aus Cashel, einer von den Ui Fidgente und einer, der nicht aus diesem Königreich kommt. Ich würde einen Richter aus Laigin vorschlagen, denn das ist weit genug entfernt, so daß er nicht befangen wäre. Die Richter sollen laut Gesetz in neun Tagen zusammentreten. Dann werden ihnen die Tatsachen vorgelegt, und wir alle haben uns nach ihrem Spruch zu richten.«

Donennach wechselte einen Blick mit Gionga, bevor er sich Fidelma zuwandte und sie mißtrauisch ansah. »Wirst du der Richter von Cashel sein?« fragte er spöttisch. »Du bist die Schwester des Königs und solltest hier nicht zu Gericht sitzen.«

»Wenn du damit sagen willst, daß ich befangen bin, so weise ich das zurück. Ich werde jedoch nicht der Richter von Cashel sein. Es gibt Berufenere als mich. Ich ersuche darum, daß Brehon Dathal gebeten wird, als Richter zu amtieren. Allerdings erbiete ich mich, die Erlaubnis des Königs vorausgesetzt, die Beweise für Cashel zu sammeln und als sein Anwalt zu fungieren. In gleicher Weise kannst du, Donennach, einen dalaigh benennen, der die Beweise für deine Behauptungen erbringt.«

Der Fürst der Ui Fidgente überlegte; er fürchtete anscheinend eine Falle.

»Also dann in neun Tagen. Das Gericht tritt am Feiertag des heiligen Matthäus zusammen. Ich werde meinen dalaigh und meinen Richter holen lassen. Wenn du willst, Colgü, kannst du deine Schwester als deine Anwältin nehmen.«

Colgü lächelte Fidelma zu. »Es soll so sein, wie es meine Schwester sagt. Sie ist die Anwältin für Cashel.«

»So sei es denn«, pflichtete Donennach ihm bei und fügte nachdenklich hinzu: »Aber welcher Richter aus Laigin soll kommen?«

»Denkst du an einen bestimmten?« fragte Colgü.

»An den Brehon Rumann«, antwortete Donennach sofort, »Rumann von Fearna.«

Colgü kannte ihn nicht. »Hast du schon von einem Richter namens Rumann gehört, Fidelma?« erkundigte er sich.

»Ja, er hat einen guten Ruf. Ich habe nichts dagegen, wenn er gebeten wird, als dritter Richter den Vorsitz zu führen.«

Mit Giongas Hilfe erhob sich Donennach.

»Das ist gut. Als unseren Richter benenne ich den Brehon Fachtna. Er ist schon in Cashel, er kam in meinem Gefolge her. Unser dalaigh wird Solam sein. Ich werde ihn gleich holen lassen. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit, wenn er hier ist und unsere Beweise vorträgt.«

»Darauf kannst du dich verlassen«, erwiderte Colgü kühl. »Du hast unsere volle Unterstützung, wenn es darum geht, dieser Angelegenheit auf den Grund zu kommen. Unsere Schreiber werden ein Protokoll über das Verfahren aufsetzen, wir werden es unterschrei-ben und dafür Sorge tragen, daß am festgelegten Tag alle hier versammelt sind.«

Als der Fürst der Ui Fidgente gegangen war, lehnte sich Colgü sichtlich beunruhigt zurück. »Ich weiß, dein Vorschlag war korrekt, Fidelma, aber wie du schon sagtest, die Beweise sprechen gegen Cashel.«

Donndubhain schüttelte den Kopf. »Keine gute Taktik, Kusine.«

Fidelma lächelte dünn. »Zweifelst du an meinen Fähigkeiten als Anwältin?«

»Nicht an deinen Fähigkeiten, Fidelma«, warf Colgü ein. »Aber ein Anwalt ist gewöhnlich nur so gut wie das Beweis material, das ihm zur Verfügung steht. Kennst du den Anwalt der Ui Fidgente, diesen ... wie heißt er doch?«

»Solam. Ich habe von ihm gehört. Er soll tüchtig, aber von reizbarem Temperament sein.«

»Wie wirst du Cashel verteidigen?« erkundigte sich Donndubhain.

»Ich weiß, daß dies kein Versuch von Cashel war, Donennach zu ermorden. Bleiben also drei Möglichkeiten«, erwiderte Fidelma.

»Nur drei?« fragte Donndubhain düster.

»Nur drei, die eine gewisse Logik besitzen. Erstens könnten die Ui Fidgente einen Plan gegen Cashel geschmiedet haben und dies eine raffinierte Täuschung gewesen sein, um uns die Schuld zuzuschieben. Zweitens wäre es möglich, daß die Attentäter Blutrache üben wollten und es darum auf Colgü oder Donen-nach abgesehen hatten. Drittens könnten die Attentäter allein gehandelt haben mit dem einzigen Ziel, den bevorstehenden Friedensschluß zwischen den Ui Fid-gente und Cashel zu verhindern.«

»Bevorzugst du eine dieser Theorien, Fidelma?« fragte Colgü.

»Ich bin für alle offen, würde aber sagen, daß die erste Möglichkeit unwahrscheinlich ist.«

»Die Möglichkeit, daß die Ui Fidgente hinter den Attentätern stecken? Warum? Weil auch auf Donen-nach geschossen wurde?« erkundigte sich Colgü.

»Weil ich zwar Donennach nicht mag, er aber das Schiedsgericht anerkannt und ohne Zögern den Brehon Rumann benannt hat. Ich kenne Rumann und seinen Ruf. Er ist fair und nicht bestechlich. Wenn es eine Verschwörung wäre, hätten die Ui Fidgente versucht, sich Vorteile zu verschaffen, denn auf den Spruch dieses dritten, unabhängigen Richters wird es sehr ankommen.«

Colgü wandte sich an Donndubhain. »Du läßt am besten das Protokoll aufsetzen, und ich und Donen-nach unterschreiben es. Dann müssen wir Boten zu Rumann nach Fearna schicken und ebenso zu Solam von den Ui Fidgente.«

Als Donndubhain gegangen war, um diesen Auftrag auszuführen, sagte Colgü besorgt zu Fidelma: »Das alles gefällt mir trotzdem nicht, Fidelma. Die Beweislast liegt immer noch bei uns, wir müssen die Anschuldigungen der Ui Fidgente entkräften.«

Fidelma konnte ihn nicht trösten. »Dann, Bruder, muß ich als deine dalaigh bald etwas finden, womit wir die Anklage abweisen können.«

IOI

»Aber die Tatsachen liegen uns alle vor ... Es sei denn, du findest einen Zauberer, der die Attentäter wieder lebendig macht.«

Eadulf, der an diesen Humor nicht gewöhnt war, bekreuzigte sich rasch. Weder Colgü noch Fidelma achteten darauf.

»Nein, Bruder. Ich fange da an, wo unser einziger wirklicher Anhaltspunkt ist.«

Ihr Bruder runzelte die Stirn. »Und wo ist das?«

»Im Lande unseres Vetters Finguine von Cnoc Äi-ne, wo sonst? Vielleicht kann ich herausbekommen, wer die Pfeile hergestellt hat. Daraus kann ich dann womöglich ermitteln, wer der Bogenschütze war.«

»Dir bleiben nur neun Tage.«

»Das weiß ich«, meinte Fidelma.

Plötzlich erhellte sich Colgüs Miene. »Du könntest Abt Segdae von Imleach aufsuchen, er ist ein Kenner sakraler Kunst. Er kann dir vielleicht etwas über das Kruzifix sagen. Ich bin sicher, daß ich es kenne, aber ich weiß nicht, wo ich es schon mal gesehen habe.«

Daran hatte Fidelma auch schon gedacht, sagte das aber nicht laut, sondern lächelte und nickte nur.

»Allerdings kann ich zwar einen der Pfeile mitnehmen«, antwortete sie, »aber nicht das Kruzifix, das muß als Beweisstück für Donennachs dalaigh hierbleiben. Nähme ich es mit, würde man mich beschuldigen, Beweismaterial unterschlagen zu haben. Ich will mir vom alten Conchobar, der auch ein hervorragender Zeichner ist, eine Skizze davon machen lassen.«

»Sehr gut. Vielleicht gibt es in all diesem Durcheinander doch noch einen Hoffnungsschimmer«, meinte Colgü. »Wann willst du nach Imleach aufbrechen?«

»Wenn Conchobar es schafft, kann ich mich in einer Stunde auf den Weg machen.«

Eadulf hüstelte diskret.

Fidelma verbarg ihr Lächeln. »Ich hoffe natürlich, daß Bruder Eadulf es möglich machen kann, mich nach Imleach zu begleiten.«

Colgü wandte sich an Eadulf. »Würdest du dich überreden lassen .?« Die Frage blieb unvollendet im Raum stehen.

»Ich werde mein Bestes tun, um Fidelma alle Unterstützung zu geben, die in meiner Macht steht«, versicherte Eadulf feierlich.

»Dann ist das geklärt.« Colgü lächelte seiner Schwester zu. »Meine besten Pferde stehen euch zur Verfügung, damit ihr schnell vorankommt.«

»Wie weit ist es bis Imleach?« fragte Eadulf. Er befürchtete, sich auf eine lange Reise eingelassen zu haben.

»Ungefähr einundzwanzig Meilen«, beruhigte ihn Fidelma, »aber der Weg verläuft gerade. Wir können noch vor Abend dort sein.«

»Je eher also Bruder Conchobar eine Zeichnung von dem Kruzifix machen kann, desto früher könnt ihr aufbrechen.« Colgü reichte seiner Schwester die gesunde Hand. »Ich brauche dir nicht zu sagen, daß du auf dich aufpassen sollst, Fidelma«, sagte er ernst. »Wer den Tod von Königen nicht scheut, nimmt auch keine Rücksicht auf die Schwester eines Königs. Die Zeiten sind gefährlich.«

Fidelma erwiderte tröstend den Händedruck ihres Bruders.

»Ich passe schon auf, Bruder. Aber deinen Rat mußt du auch selbst befolgen. Was einmal mißlang, kann erneut versucht werden. Solange wir nicht wissen, wer hinter dem Anschlag steckt, achte sehr darauf, mit wem du dich umgibst. Ich spüre, daß auch hier Gefahr lauert, Bruder, hier in den Gängen unseres Palastes von Cashel.«

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