ZEHNTES KAPITEL, in welchem dem Imperator ein goldener Säbel überreicht wird

»Daily Post« (London)

vom 9. Dezember(27. November) 1877

»Seit zwei Monaten wird die Belagerung von Plewna faktisch von dem alten und erfahrenen General Totleben geleitet, den die Briten vom Sewastopoler Feldzug her in guter Erinnerung haben. Totleben, nicht so sehr Heerführer wie Ingenieur, verzichtete auf die Taktik der Frontalangriffe und unterwarf die Armee von Osman Pascha einer regelrechten Blockade. Die Russen verloren wertvolle Zeit, wofür Totleben scharf kritisiert wurde, aber heute muß eingeräumt werden, daß der vorsichtige Ingenieur recht hatte. Seit die Türken vor einem Monat endgültig von Sofia abgeschnitten wurden, kam es in Plewna zu Hunger und Munitionsknappheit. Totleben wird immer öfter ein zweiter Kutusowgenannt (der russische Feldmarschall erschöpfte die Kräfte Napoleons 1812 endlosen Rückzug - Anm. d. Redaktion). Die Kapitulation Osmans und seines Fünfzigtausend-Mann-Heers wird täglich erwartet.«

An einem scheußlich kalten Tag (grauer Himmel, eisiger Nieselregen, schmatzender Schlamm) kehrte Warja mit einem Mietkutscher ins Militärlager zurück. Einen ganzen Monat hatte sie im Seuchenspital zu Tirnowo gelegen, und sie hätte durchaus sterben können, denn am Typhus starben viele, aber sie überstand die Krankheit. Danach verging sie weitere zwei Monate vor Langeweile, während sie wartete, daß ihre Haare nachwuchsen - sie konnte ja nicht wie ein geschorener Tatare zurückfahren. Die verdammten Haare wuchsen langsam, und sie lagen auch jetzt noch nicht, sondern standen borstig hoch. Das sah gräßlich aus, aber sie war mit ihrer Geduld am Ende - noch eine Woche Untätigkeit, und sie wäre verrückt geworden beim Anblick der buckligen Sträßchen in dem zuwider gewordenen Kaff.

Einmal hatte sie sich aufgerafft, Petja zu besuchen. Er galt noch immer als Untersuchungshäftling, saß aber nicht mehr in der Hauptwache, sondern ging zum Dienst - die Armee war angewachsen, und es fehlte an Chiffrierern. Er sah sehr verändert aus: hatte sich ein dünnes Bärtchen wachsen lassen, das überhaupt nicht zu ihm paßte, war abgemagert, und jedes zweite Wort bei ihm war Gott oder der Dienst am Volk. Am meisten erschütterte sie, daß ihr Bräutigam sie beim Wiedersehen auf die Stirn küßte. Wirkte sie auf ihn wie eine Tote im Sarg? War sie dermaßen häßlich geworden?

Die Tirnowoer Chaussee war von Fuhrwerken verstopft, und die Kutsche kam kaum voran, darum befahl Warja als Kennerin dieser Gegend dem Kutscher, in einen Feldweg einzubiegen, der nach Süden führte, und das Lager zu umfahren. Das war zwar weiter, dafür ging es schneller.

Auf dem leeren Weg trabte das Pferd flotter, und der Regen hatte fast aufgehört. Noch ein, zwei Stündchen, und sie war zu Hause. Warja prustete. Von wegen »zu Hause«! Ein feuchtes Zelt, durch

das der Wind pfiff!

Hinter Lowetsch kamen ihr vereinzelt Reiter entgegen, meist Furiere und geschäftige Ordonnanzen, und dann sah sie den ersten Bekannten.

Eine schlaksige Gestalt mit Melone und langem Gehrock saß ungeschickt auf einer mißmutigen rötlichen Stute - kein Zweifel, MacLaughlin! Es war ein Deja-vu-Erlebnis: Als sie während des dritten Sturmangriffs auf Plewna ins Militärlager zurückkehrte, war ihr unterwegs auch der Ire begegnet. Nur war es damals heiß gewesen, und jetzt war es kalt, und sie hatte damals wahrscheinlich besser ausgesehen.

Es war sehr günstig, daß sie gerade MacLaughlin als ersten traf. Er war ein geradliniger Mensch ohne Hintergedanken, an seiner Reaktion würde sie gleich erkennen, ob sie sich mit diesen Haaren in Gesellschaft zeigen konnte oder lieber gleich umkehrte. Auch würde sie Neuigkeiten erfahren.

Warja nahm tapfer den Hut ab und entblößte die schmählichen Borsten. Nun würde sie sehen.

»Mister MacLaughlin!« schrie sie und erhob sich vom Sitz, als die Kutsche mit ihm auf gleicher Höhe war. »Ich bin's! Wo reiten Sie hin?«

Der Ire wandte sich um und lüpfte die Melone.

»Oh, Mademoiselle Warja, ich freue mich sehr, Sie bei guter Gesundheit zu sehen. Hat man Sie aus hygienischen Gründen so kurz geschoren? Sie sind ja nicht wiederzuerkennen.«

Warja spürte innerlich einen Stich.

»Was, so schlimm?« fragte sie mit erloschener Stimme.

»Keineswegs«, beteuerte MacLaughlin eilig. »Aber Sie sehen noch jungenhafter aus als bei unserer ersten Begegnung.«

»Haben wir den gleichen Weg?« fragte sie. »Dann steigen Sie bei mir ein, wir können ein bißchen plaudern. Ihr Pferd macht keinen besonders guten Eindruck.«

»Gräßliche Mähre. Meine Bessy hat sich mit einem Dragonerhengst eingelassen und ist trächtig, sieht aus wie eine Tonne. Der Pferdewärter Frolka mag mich nicht, weil ich ihm prinzipiell kein Trinkgeld gebe, und dreht mir solche Gäule an. Wo er die nur herkriegt! Dabei habe ich's eilig in einer sehr wichtigen geheimen Angelegenheit.«

MacLaughlin verstummte vielsagend, und es war zu sehen, daß das wichtige Geheimnis aus ihm herausdrängte. Da der Ire sonst immer zurückhaltend war, mußte er in der Tat etwas aus dem Rahmen Fallendes erfahren haben.

»So setzen Sie sich doch für ein Minütchen zu mir«, sagte Warja einschmeichelnd. »Lassen Sie das unglückliche Tier etwas ausruhen. Ich habe hier Kuchen mit Marmelade und eine Kanne Kaffee mit Rum.«

MacLaughlin zog die Uhr am silbernen Kettchen aus der Tasche.

»Half past seven ... Another forty minutes to get there ... All right, an hour. It'll be half past eight« (* (engl.) Halb sieben ... Noch vierzig Minuten, um dorthin zu kommen... Gut, eine Stunde. Um halb neun.), murmelte er in seinem unverständlichen Idiom und seufzte. »Nun gut, ein Minütchen. Ich fahre mit Ihnen bis zur Weggabelung, dort biege ich ab nach Petirnizy.«

Er band die Zügel an die Kutsche und setzte sich neben Warja. Ein Stück Kuchen verschlang er im Ganzen, vom zweiten biß er die Hälfte ab und trank dazu mit Genuß einen Schluck heißen Kaffee.

»Was wollen Sie dort?« fragte Warja lässig. »Treffen Sie wieder Ihren Plewnaer Informanten?«

MacLaughlin sah sie prüfend an und richtete die vom Kaffeedampf beschlagene Brille.

»Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie es niemandem erzählen, zumindest nicht vor zehn«, verlangte er.

»Ehrenwort«, sagte Warja sogleich. »Was ist das für eine Neuigkeit?«

Die Leichtigkeit, mit der das Versprechen gegeben wurde, ließ den Iren zaudern, er schnaufte, aber zum Rückzug war es zu spät, und er wollte sich wohl auch sehr gern mitteilen.

»Heute, der zehnte Dezember, nach Ihrem Kalender der achtundzwanzigste November 1877, ist ein historischer Tag«, begann er feierlich und wechselte zum Flüstern. »Aber das weiß im ganzen russischen Lager nur ein Mensch - meine Wenigkeit. Oh, MacLaughlin gibt kein Trinkgeld dafür, daß jemand seine Pflicht tut, aber für gute Arbeit bezahlt MacLaughlin gut, das können Sie mir glauben. Schluß, darüber kein Wort mehr!« Mit erhobener Hand wehrte er die Frage ab, die Warja von der Zunge wollte. »Meinen Informanten nenne ich Ihnen nicht. Ich sage nur, daß er mehrmals erprobt wurde und mich nie hereingelegt hat.«

Warja erinnerte sich, daß einer der Journalisten neidisch gesagt hatte, der Korrespondent der »Daily Post« bekomme von einem Bulgaren Informationen über die Vorgänge in Plewna, vielleicht sogar von einem türkischen Offizier. Das hatte kaum jemand geglaubt. Aber vielleicht stimmte es?

»Reden Sie schon, spannen Sie mich nicht auf die Folter.«

»Denken Sie daran, vor zehn zu niemandem ein Wort. Sie haben Ihr Ehrenwort gegeben.«

Warja nickte ungeduldig. Diese Männer mit ihren dämlichen Ritualen! Natürlich würde sie es niemandem sagen.

MacLaughlin beugte sich zu ihrem Ohr.

»Heute abend kapituliert Osman Pascha.«

»Was Sie nicht sagen!« rief Warja.

»Nicht so laut! Punkt zehn werden beim Kommandeur des Grenadierkorps, Generalleutnant Ganezki, dessen Truppen am linken Ufer des Flusses Wid stehen, Parlamentäre erscheinen. Ich werde der einzige Journalist sein, der diesem großen Ereignis beiwohnt. Und ich will, nicht vor halb zehn, den General informieren, damit nicht ein Vorposten das Feuer auf die Parlamentäre eröffnet. Können Sie sich vorstellen, was das für einen Artikel gibt?«

»Und ob.« Warja nickte begeistert. »Und das darf ich keinem erzählen?«

»Wollen Sie mich zugrunderichten?« rief MacLaughlin in Panik. »Sie haben Ihr Wort gegeben!«

»Gut, gut«, beruhigte sie ihn. »Bis zehn werde ich schweigen wie ein Fisch.«

»Da ist die Gabelung. Halt.« Der Ire stieß den Kutscher in den Rücken. »Sie müssen nach rechts, Mademoiselle Warja, und ich nach links. Ich freue mich schon auf den Effekt. Ich sitze beim General, wir trinken Tee, schwatzen über alles mögliche, um halb zehn zücke ich meine Uhr und sage wie beiläufig: >Übrigens, Iwan Stepanowitsch, in einer halben Stunde kommen Leute von Osman Pascha zu Ihnen.< Na?«

MacLaughlin lachte aufgekratzt und schob den Fuß in den Steigbügel.

Gleich darauf konnte Warja ihn nicht mehr sehen, er war hinter dem grauen Schleier des zunehmenden Regens verschwunden.

Das Lager hatte sich in den drei Monaten bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die Zelte waren verschwunden, statt dessen standen in gleichmäßigen Reihen Bretterbaracken. Überall gepflasterte Wege, Telegraphenmasten, Hinweisschilder. Es ist gut, wenn ein Ingenieur die Armee befehligt, dachte Warja.

In der Sonderabteilung, die jetzt ganze drei Häuser einnahm, erfuhr Warja, daß Herrn Fandorin ein eigenes Cottage zugewiesen worden sei. Der Diensthabende sprach das neue Wort mit sichtlichem Vergnügen aus und zeigte ihr, wie sie gehen mußte.

Das »Cottage« Nummer 158 war ein Bretterhäuschen mit nur einem Raum und stand ganz am Rande des Stabsstädtchens. Fandorin war zu Hause, öffnete ihr und sah sie in einer Weise an, daß ihr innerlich warm wurde.

»Guten Tag, Erast Petrowitsch, da bin ich wieder.« Sie war entsetzlich aufgeregt.

»Freut mich«, sagte er kurz und ließ sie eintreten. Das Zimmer war schlicht, hatte aber eine

Sprossenwand und ein Arsenal von Gymnastikgeräten. An der Wand hing eine Generalstabskarte.

Warja erklärte: »Meine Sachen habe ich bei den Krankenschwestern gelassen. Petja ist im Dienst, darum bin ich gleich zu Ihnen gekommen.«

»Ich sehe, Sie sind gesund.« Fandorin musterte sie von Kopf bis Fuß und nickte. »Neue F-frisur. Ist das jetzt Mode?«

»Ja. Sehr praktisch. Und was tut sich hier?«

»Nichts. Wir sitzen da und belagern die Türken.« Aus seiner Stimme klang Erbitterung. »Einen Monat, zwei Monate, d-drei. Die Offiziere saufen vor Langeweile, die Intendanten stehlen, die Kasse ist leer. Also alles normal. Krieg auf russisch. Europa atmet erleichtert auf und sieht zu, wie Rußlands Lebenssäfte wegsickern. Wenn Osman Pascha sich noch zwei Wochen hält, ist der Krieg v-verloren.«

Fandorin sprach so deprimiert, daß er Warja leid tat. »Er hält sich nicht«, flüsterte sie. Fandorin fuhr zusammen und sah sie prüfend an. »Wissen Sie etwas? Was? Woher?«

Na, und da erzählte sie. Bei Fandorin konnte sie das tun, er würde nicht loslaufen und es jedem erstbesten weiterplaudern.

»Zu Ganezki? W-warum zu Ganezki?« Der Titularrat runzelte die Stirn.

Er trat zur Karte und murmelte: »Zu G-ganezki ist es weit. Äußerste Flanke. Warum nicht ins Hauptquartier? Halt mal. Halt mal.«

Mit verzerrtem Gesicht riß er den Uniformrock vom Haken und stürmte zur Tür.

»Was ist denn?« schrie Warja und rannte hinterher.

»Eine Provokation«, knurrte Fandorin im Laufen durch die Zähne. »Bei Ganezki ist die Verteidigung am dünnsten. Und dahinter liegt die Chaussee nach Sofia. Das ist keine Kapitulation. Das ist ein Ausbruch. Ganezki soll abgelenkt werden. Damit er nicht schießt.«

»O Gott!« Sie hatte begriffen. »Und da kommen gar keine Parlamentäre? Wo wollen Sie hin, zum Stab?«

Fandorin blieb stehen.

»Zwanzig vor neun. Zum Stab ist es weit. Von einem Vorgesetzten zum anderen. Und die Zeit rinnt. Zu Ganezki schaff ich's nicht. Zu Sobolew! Eine halbe Stunde Galopp. Sobolew fragt nicht erst die Führung. Ja, er riskiert's. Er schlägt als erster zu. Dann kommt es zum Kampf. Wenn er auch Ganezki nicht zu Hilfe kommen kann, so stößt er wenigstens in die Flanke. Trifon, mein Pferd!«

Sieh an, einen Burschen hat er, dachte Warja flüchtig.

Die ganze Nacht grummelte es in der Ferne, und gegen Morgen wurde bekannt, daß der im Kampf verwundete Osman Pascha kapituliert hatte: mit seiner ganzen Armee; zehn Paschas und zweiundvierzigtausend Mann legten die Waffen nieder.

Damit war das Herumsitzen bei Plewna beendet.

Viele waren gefallen, das Korps Ganezki, von der Attacke völlig überrascht, wurde fast völlig aufgerieben. In aller Munde war der Name Sobolew - der Weiße General, der unverwundbare Achilles, der im entscheidenden Moment auf eigenes Risiko in das von den Türken verlassene Plewna vorgestoßen war, hinein in Osman Paschas ungedeckte Flanke.

Fünf Tage später, am 3. Dezember, veranstaltete der Imperator vor seiner Abreise vom Kriegsschauplatz in Paradim eine Abschiedsparade für die Garde. Zu der Zeremonie wurden Würdenträger und die Helden der letzten Schlacht eingeladen. General Sobolew, dessen Stern im Zenit stand, schickte seine Kutsche, um Warja abzuholen. Der große Achilles hatte also seine alte Bekannte nicht vergessen.

Warja war noch nie in so glanzvoller Gesellschaft gewesen. Vom Funkeln der Orden und Epauletten konnte man geradezu erblinden. Offen gestanden hatte sie nicht geahnt, daß es in der russischen Armee so viele Generäle gab. In der ersten Reihe standen in Erwartung der allerhöchsten Personen die rangältesten Heerführer, unter ihnen der unanständig junge Sobolew in seiner obligaten weißen Montur, ohne Mantel, obwohl der Tag, wenn auch sonnig, so doch frostkalt war. Alle Blicke ruhten auf dem Retter des Vaterlands, der, so kam es Warja vor, größer und breitschultriger geworden war und eine bedeutsame Miene zur Schau trug. Die Franzosen haben wohl recht, wenn sie sagen, die beste Hefe sei der Ruhm.

Neben ihr unterhielten sich halblaut zwei rosige Flügeladjutanten. Der eine schielte mit seinen ölig glänzenden schwarzen Augen dauernd zu Warja herüber, und das war ihr angenehm.

»Und der Imperator sagt zu ihm: >Als Zeichen der Achtung vor Ihrer Tapferkeit, Muschir, gebe ich Ihnen Ihren Säbel zurück, den Sie auch bei uns in Rußland tragen können, wo Sie, wie ich hoffe, keinen Grund zur Unzufriedenheit haben werden.< Schade, daß du nicht dabei warst.«

»Dafür hatte ich am neunundzwanzigsten Dienst beim Rat«, antwortete der andere neidisch. »Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie der Imperator zu Miljutin sagte: >Dmitri Alexandrowitsch, ich ersuche Sie als den ältesten der hier anwesenden Ritter des Georgskreuzes, mir das Georgs-Portepee an den Säbel zu heften. Ich glaube, ich habe es verdient.< >Ich ersuche Sie

»Ja, das ist schlecht«, pflichtete der Schwarzäugige ihm bei. »Darauf hätten sie auch selber kommen können. Dabei war der Imperator so großzügig! Torleben und Nepokoitschizki haben den Georg zweiter Klasse bekommen, Ganezki den Georg dritter. Und er selber bloß das Portepee.«

»Und was ist mit Sobolew?« fragte Warja lebhaft, obwohl sie mit diesen Herren nicht bekannt war. Macht nichts, es ist Krieg, und dies ist ein besonderer Fall.

»Unser weißer General kriegt bestimmt etwas ganz Besonderes«, antwortete der Schwarzäugige bereitwillig. »Wenn schon sein Stabschef Perepjolkin einen Dienstgrad übersprungen hat! Ist ja auch richtig - ein kleiner Hauptmann kann schließlich nicht solch einen Posten einnehmen. Und vor Sobolew tun sich jetzt solche Horizonte auf, daß einem die Luft knapp wird. Er hat wahrhaftig Glück. Hätte er nicht solch eine Vorliebe fürs Vulgäre und für billige Effekte ...«

»Psst!« zischte der andere. »Sie kommen!«

Auf die Vortreppe des unansehnlichen Hauses, das stolz »Feldpalast« genannt wurde, traten vier Uniformierte: der Imperator, der Oberbefehlshaber, der Thronfolger und der Fürst von Rumänien. Zar Alexander trug einen Uniformwintermantel, und an seinem Säbelgriff sah Warja ein helles orangenes Fleckchen, das mußte wohl das bewußte Portepee sein.

Das Orchester schmetterte den feierlichen Marsch der Preobrashenskojer.

Ein Gardeoberst trat stramm vor, salutierte und rief mit schallender, vor Erregung zitternder Baßstimme: »Kaiserliche Majestät! Gestatten Sie, Ihnen namens der Offiziere Ihrer persönlichen Eskorte einen goldenen Säbel mit der Aufschrift >Für Tapferkeit< zu überreichen! Zur Erinnerung an den gemeinsamen Kriegsdienst! Gekauft von den persönlichen Mitteln der Offiziere!«

Einer der Flügeladjutanten flüsterte Warja zu: »Gut gemacht! Tolle Kerle!«

Der Imperator nahm das Geschenk entgegen und wischte mit dem Handschuh eine Träne weg.

»Danke, meine Herren, danke. Bin gerührt. Jeder bekommt von mir einen Säbel. Ein halbes Jahr haben wir sozusagen aus demselben Kochgeschirr ...«

Er sprach nicht zu Ende, winkte nur.

Rundum schneuzte sich alles, einer schluchzte sogar auf. Warja sah plötzlich in der Menge der Beamten Fandorin. Wie kam der hierher? Er war doch nur ein kleiner Titularrat. Aber da entdeckte sie neben Fandorin den Chef der Gendarmerie, und nun war alles klar. Fandorin war letztlich der wahre Held, dem die Gefangennahme der türkischen Armee zu danken war. Ohne ihn hätte diese

Parade nicht stattfinden können. Er würde wohl auch eine Auszeichnung erhalten.

Fandorin fing Warjas Blick auf und schnitt eine hypochondrische Grimasse. Die allgemeine Begeisterung schien er nicht zu teilen.

Nach der Parade erwehrte sie sich fröhlich des schwarzäugigen Flügeladjutanten, der dauernd versuchte, gemeinsame Petersburger Bekannte zu finden, da trat Fandorin herzu, machte eine leichte Verbeugung und sagte: »Entschuldigen Sie, Herr O-Oberst. Warwara Andrejewna, der Imperator möchte Sie und mich sehen.«

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