SIEBTES KAPITEL, in welchem Warja des Rufs einer anständigen Frau verlustig geht

»Moskauer Gouvernementsnachrichten« vom 22. Juli (3. August) 1877 Sonntagsfeuilleton

»Als meine Wenigkeit erfuhr, daß diese Stadt, die in den vergangenen Monaten so erfolgreich von unseren Etappenhengsten in Besitz genommen wurde, seinerzeit gegründet worden ist von einem Fürsten Vlad mit dem Spitznamen Pfähler, auch bekannt unter dem Namen Dracula, wurde mir vieles klar. Jetzt begreife ich, warum man in Bukarest für einen Rubel bestenfalls drei Francs bekommt, warum ein erbärmliches Mittagessen in einer Schenke soviel kostet wie ein Bankett im >Slawischen Basar< und warum man für ein Hotelzimmer soviel bezahlen muß wie für die Miete des Buckingham­Palastes. Die verdammten Vampire saugen, saugen das Blut der Russen, lecken sich genießerisch den Mund und spucken auch noch aus. Am unangenehmsten ist, daß seit der Wahl eines drittklassigen deutschen Prinzen zum rumänischen Herrscher diese Donauprovinz, die ihre Autonomie ausschließlich Rußland verdankt, nach Wurst und Sülze riecht. Die Bojaren schauen verliebt auf Herrn Bismarck, und wir Russen sind für sie wie eine entfernt verwandte Ziege: Sie ziehen sie am Euter und rümpfen die Nase. Für wen vergießen die Russen denn ihr heiliges Blut auf den Schlachtfeldern von Plewna, wenn nicht für die rumänische Freiheit?«

Geirrt hatte sich Warja, sehr geirrt. Die Reise nach Bukarest geriet stocklangweilig.

Außer dem Franzosen reisten noch ein paar Presseleute zum Zeitvertreib in die Hauptstadt des rumänischen Fürstentums. Sie alle wußten, daß in den nächsten Tagen, vielleicht auch Wochen nichts Interessantes auf dem Kriegsschauplatz passieren würde - die Russen würden sich nicht so bald von dem Aderlaß von Plewna erholen, darum zog es die Bruderschaft der Journalisten zu den Verlockungen des Hinterlands.

Die Reisevorbereitungen dauerten lange, und erst am dritten Tag wurde aufgebrochen. Warja als Dame durfte mit MacLaughlin in der Kutsche fahren, die anderen ritten. Den Franzosen auf seinem schnellen Jatagan sah sie nur von weitem, unterhalten mußte sie sich mit dem Iren. Der erklärte ihr eingehend die klimatischen Bedingungen auf dem Balkan, in London und Mittelasien, plauderte über die Konstruktion der Federung seiner Kutsche und schilderte ausführlich etliche geistvolle Schachaufgaben. All das verdarb Warja die Laune, und wenn gerastet wurde, blickte sie sehnsüchtig auf die lebhaften Reisegefährten, darunter den von der Bewegung im Freien leicht geröteten d'Hevrais.

Am zweiten Reisetag - man hatte Alexandria hinter sich gelassen - wurde es besser, denn Surow hatte die Kavalkade eingeholt. Er hatte sich im Gefecht ausgezeichnet, General Sobolew hatte ihn als Adjutanten zu sich geholt und wollte ihn angeblich sogar für den Annenorden eingeben, doch der Rittmeister hatte sich statt dessen eine Woche Urlaub ausgebeten, um, wie er sagte, seine Knochen zu lockern.

Anfangs zerstreute Surow Warja mit Reiterkunststücken - pflückte im Galopp blaue Glockenblumen, jonglierte mit goldenen Zehnrubelmünzen und stellte sich auf den Sattel. Später unternahm er einen Versuch, mit MacLaughlin den Platz zu tauschen, und nachdem er eine phlegmatische, doch entschiedene Abfuhr erhalten hatte, ließ er den gehorsamen Kutscher auf seine rötliche Stute hinübersteigen und setzte sich selber auf den Bock; jede Minute den Kopf drehend, erheiterte er Warja mit Lügengeschichten über seinen Heldenmut und über die Ränke des eifersüchtigen Perepjolkin, mit dem der frischgebackene Adjutant im Hader lag. So gelangten sie ans Ziel.

Lucan zu finden war, wie Fandorin vorausgesagt hatte, nicht weiter schwierig. Der Instruktion folgend, stieg Warja im teuersten Hotel, dem »Royal«, ab, fragte den Portier nach dem Oberst und

erfuhr, daß son excellence hier wohlbekannt sei und gestern wie vorgestern im Restaurant getafelt habe. Gewiß werde er auch heute kommen.

Bis zum Abend war noch viel Zeit, und Warja machte einen Spaziergang durch die fashionable Calea Victoriei, die sie nach dem Leben im Zelt wie der Newski-Prospekt anmutete: elegante Equipagen, gestreifte Markisen über den Schaufenstern, südländische Frauen von blendender Schönheit, gut aussehende brünette Männer in hellblauen, weißen und sogar rosa Gehröcken, außerdem Monturen, Monturen, Monturen. Es wurde mehr russisch und französisch als rumänisch gesprochen. Warja nahm in einem richtigen Cafe zwei Täßchen Kakao und vier Stück Kuchen zu sich und zerfloß vor Behagen, aber als ihr Blick zufällig in die Spiegel eines Hutladens fiel, stieß sie einen Wehlaut aus. Deswegen also guckten die Männer durch sie hindurch!

Das Aschenbrödel im verschossenen hellblauen Fähnchen und brüchigen Strohhütchen war blamabel für eine russische Frau. Hier flanierten auf den Gehsteigen Messalinen, die nach der letzten Pariser Mode herausgeputzt waren!

Ins Restaurant kam Warja mit großer Verspätung. Sie war mit MacLaughlin um sieben verabredet, erschien aber erst gegen neun. Der Korrespondent der »Daily Post«, ein wahrer Gentleman, hatte ohne Murren dem Rendezvous zugestimmt (sie konnte ja nicht allein ins Restaurant gehen - man hielt sie womöglich für eine Kokotte), und er erwähnte auch die Verspätung mit keinem Wort, sah aber zutiefst unglücklich aus. Macht nichts, Schulden werden schön durchs Bezahlen. Er hatte sie während der ganzen Fahrt mit seinen meteorologischen Kenntnissen gemartert, mochte er jetzt Nutzen bringen.

Lucan war noch nicht im Saal, und aus Menschenfreundlichkeit bat Warja den Journalisten, ihr noch einmal die altpersische Verteidigung zu erklären. Der Ire, der die mit Warja vorgegangenen Veränderungen gar nicht wahrnahm (sie hatte dafür sechs Stunden gebraucht und fast den ganzen Spesenbetrag ausgegeben - sechshundertfünfundachtzig Francs), bemerkte mürrisch, eine solche Verteidigung kenne er nicht. Blieb nur die Frage, ob es in diesen Breiten Ende Juli immer so heiß sei. Er bejahte, fügte aber hinzu, das sei gar nichts im Vergleich zur feuchten Gluthitze von Bangalore.

Als um halb elf die vergoldete Tür aufging und der Nachfahr des römischen Legaten angetrunken hereinkam, freute sich Warja, als wäre er ein Angehöriger, sprang auf und winkte mit ungespielter Herzlichkeit.

Es gab freilich eine unvorhergesehene Komplikation in Gestalt eines pummeligen braunhaarigen Mädchens, das am Ellbogen des Obersts hing. Die Komplikation blickte Warja mit offener Feindseligkeit an, und Warja wurde verlegen, weil ihr gar nicht in den Sinn gekommen war, daß Lucan verheiratet sein könne.

Aber der Oberst löste das Problem mit wahrhaft kriegerischer Entschlossenheit - er gab seiner Begleiterin mit flacher Hand einen Klaps auf ihr üppigens Hinterteil, worauf sie etwas Giftiges zischte und sich entrüstet zurückzog. Scheint nicht seine Frau zu sein, dachte Warja und wurde noch verlegener.

»Unser Feldblümchen hat seine Blütenblätter entfaltet und sich als wunderschöne Rose entpuppt!« schmetterte Lucan und stürmte quer durch den Saal auf Warja zu. »Dieses Kleid! Dieser Hut! Mein Gott, bin ich hier auf den Champs Elysees?«

Natürlich war er ein Geck und Plattkopf, und doch war es Warja angenehm. Sie gestattete ihm sogar einen Handkuß, entsagte ihren Prinzipien zum Nutzen der Sache. Dem Iren nickte der Oberst mit lässiger Wohlgeneigtheit zu (der war kein Rivale), dann setzte er sich ungebeten an den Tisch. Warja hatte den Eindruck, daß MacLaughlin sich auch über den Rumänen freute. Ob er es müde war, übers Wetter zu sprechen? Nein, wohl kaum.

Die Kellner trugen die Kaffeekanne und den Kuchen weg, den der sparsame Journalist bestellt hatte, und brachten Wein, Zuckerzeug, Obst und Käse.

»Sie werden Bukarest nie vergessen!« verhieß Lucan. »In dieser Stadt gehört alles mir!«

»Wie meinen Sie das?« fragte der Ire. »Besitzen Sie in der Stadt bedeutende Immobilien?«

Der Rumäne würdigte ihn keiner Antwort.

»Sie können mir gratulieren, Mademoiselle. Mein Rapport ist nach Verdienst gewürdigt worden, und ich darf in nächster Zeit mit Beförderung rechnen.«

»Was für ein Rapport?« fragte der Ire wieder neugierig. »Was für eine Beförderung?«

»Auf eine Beförderung wartet ganz Rumänien«, erklärte der Oberst mit wichtiger Miene. »Jetzt steht fest, daß der russische Imperator die Kräfte seiner Armee überschätzt hat. Ich weiß aus sicherer Quelle«, er senkte vielsagend die Stimme und kitzelte Warja mit seinem gezwirbelten Schnauz die Wange, »daß General Krüdener die Führung der Westgruppe abgeben muß und daß an die Spitze der Truppen, die Plewna belagern, unser Fürst Karl tritt.«

MacLaughlin zückte sein Notizbuch und begann zu schreiben.

»Wie wär's mit einer Spritztour durch das nächtliche Bukarest, Mademoiselle Warwara?« flüsterte ihr Lucan ins Ohr. »Ich zeige Ihnen Sachen, die Sie in Ihrer langweiligen nördlichen Hauptstadt nie gesehen haben. Ich schwöre, Sie werden etwas zum Erinnern haben.«

»Ist das ein Entschluß des russischen Imperators oder nur der Wunsch des Fürsten Karl?« fragte der pedantische Journalist.

»Der Wunsch Seiner Hoheit reicht völlig aus«, antwortete der Oberst scharf. »Ohne Rumänien und seine ruhmreiche Fünfzigtausend-Mann-Armee sind die Russen hilflos. Herr Korrespondent, mein Land hat eine große Zukunft vor sich. Bald, sehr bald wird Fürst Karl König sein. Und meine Wenigkeit«, fügte er, an Warja gewandt, hinzu, »wird eine höchst einflußreiche Person. Vielleicht sogar Senator. Mein erwiesener Scharfblick ist nach Verdienst gewürdigt worden. Also, wie ist es mit der romantischen Spritztour? Ich bestehe darauf.«

»Ich überleg's mir«, versprach sie ausweichend und dachte darüber nach, wie sie das Gespräch in die nötige Richtung lenken könnte.

In diesem Moment erschienen Surow und d'Hevrais, sehr zur Unzeit, was Warjas Auftrag betraf, aber sie freute sich trotzdem: In deren Gegenwart würde Lucan sein Tempo mäßigen müssen.

Der Oberst folgte ihrer Blickrichtung und murmelte mißmutig: »Das >Royal< wird ja zur Absteige! Wir hätten ein Spare nehmen sollen.«

»Guten Abend, die Herren«, begrüßte Warja ihre Bekannten fröhlich. »Bukarest ist eine kleine Stadt, nicht wahr? Der Oberst hat gerade mit seiner Weitsicht geprahlt. Er hat vorausgesagt, daß der Sturmangriff auf Plewna mit einer Niederlage endet.«

»Wirklich?« fragte d'Hevrais und blickte den Oberst aufmerksam an.

»Sie sehen großartig aus, Warwara Andrejewna«, sagte Surow. »Was haben Sie da, Martell? Kellner, Gläser!«

Der Rumäne trank Kognak und maß die beiden mit finsterem Blick.

»Wem haben Sie das vorausgesagt? Und wann?« fragte MacLaughlin gespannt.

»Im Rapport an seinen Monarchen«, erläuterte Warja. »Und jetzt ist der Scharfsinn des Obersts nach Verdienst gewürdigt worden.«

»Bedienen Sie sich, meine Herren, trinken Sie«, lud Lucan mit großer Geste ein und stand ruckartig auf. »Alles geht auf meine Rechnung. Madame Suworowa und ich unternehmen eine Spazierfahrt.

Sie hat es mir versprochen.«

D'Hevrais zog verwundert die Augenbrauen hoch, und Surow rief ungläubig: »Was höre ich da, Warwara Andrejewna? Sie machen mit Lucan eine Spazierfahrt?«

Warja war dicht davor, in Panik zu geraten. Mit Lucan wegfahren bedeutete, ihren Ruf für immer

zu ruinieren, und es war auch ungewiß, wie das enden würde. Eine Weigerung aber würde ihren Auftrag gefährden.

»Ich komme gleich wieder, meine Herren«, sagte sie mit dumpfer Stimme und eilte dem Ausgang zu. Sie mußte ihre Gedanken sammeln.

Im Foyer blieb sie vor dem hohen Spiegel mit dem verschnörkelten Bronzerahmen stehen und legte die Hand auf die glühende Stirn. Was tun? Hinaufgehen ins Zimmer, die Tür verschließen und auf Klopfen nicht reagieren. Verzeih mir, Petja, üben Sie Nachsicht, Herr Titularrat, Warja Suworowa taugt nicht zur Spionin.

Die Tür knarrte warnend, und im Spiegel, direkt hinter ihr, zeigte sich die verärgerte rote Visage des Obersts.

»Verzeihung, Mademoiselle, aber mit Mihai Lucan geht man so nicht um. Sie haben mir in gewisser Weise Avancen gemacht, und jetzt wollen Sie mich öffentlich bloßstellen? Da sind Sie an den Falschen geraten. Hier ist nicht der Presseklub, hier bin ich zu Hause!«

Von der Galanterie des künftigen Senators war keine Spur übriggeblieben. Seine braungelben Augen schleuderten Blitze.

»Kommen Sie, Mademoiselle, die Equipage wartet.« Und auf Warjas Schulter legte sich eine haarige bräunliche Hand mit überraschend starken, wie aus Eisen geschmiedeten Fingern.

»Sie sind von Sinnen, Oberst! Ich bin doch keine Kurtisane!« schrie Warja und sah sich nach allen Seiten um.

Im Foyer waren ziemlich viele Leute, zumeist Herren in leichten Sommerjacketts und rumänische Offiziere. Sie beobachteten neugierig die pikante Szene, aber für die Dame (war es eine Dame?) einzutreten hatten sie wohl nicht vor.

Lucan sagte etwas auf rumänisch, die Zuschauer lachten verständnisvoll.

»Zuviel getrunken, Marussja?« fragte einer auf russisch, und alle lachten noch lauter.

Der Oberst faßte Warja unter und führte sie zum Ausgang, so geschickt, daß Widerstand unmöglich war.

»Unverschämter Kerl!« schrie sie und wollte ihn ins Gesicht schlagen, aber er ergriff ihr Handgelenk. Das näher kommende Gesicht stank nach Schnaps und Eau de Cologne. Gleich muß ich mich übergeben, dachte Warja.

Aber im nächsten Moment lösten sich die Hände des Obersts von selbst. Zuerst klatschte es schallend, dann folgte ein saftiges Knirschen, und Warjas Beleidiger flog gegen die Wand. Seine eine Wange war puterrot von der Ohrfeige, die andere weiß von dem schweren Faustschlag. Zwei Schritte vor ihm standen Schulter an Schulter d'Hevrais und Surow. Der Franzose schüttelte die Finger der rechten Hand, der Rittmeister rieb sich die linke Faust.

»Zwischen den Verbündeten ist eine schwarze Katze hindurchgelaufen«, konstatierte Surow. »Und das ist erst der Anfang. Mit einem Hieb in die Schnauze kommst du nicht davon, Lucan. Für solch einen Umgang mit einer Dame wird einem das Fell durchlöchert.«

D'Hevrais sagte nichts, er zog den weißen Handschuh aus und schleuderte ihn dem Oberst ins Gesicht.

Mit einer ruckenden Kopfbewegung richtete Lucan sich auf, rieb sich den Backenknochen. Er sah den einen, dann den anderen an. Warja nahm verblüfft wahr, daß alle drei ihre Existenz vergessen zu haben schienen.

»Ich werde zum Duell gefordert?« Der Rumäne zischte die französischen Worte mühsam heraus. »Von zweien auf einmal? Oder doch einzeln?«

»Sie können wählen, wer Ihnen besser zusagt«, bemerkte d'Hevrais unfreundlich. »Und wenn Sie mit dem Ersten Glück haben, bekommen Sie es mit dem Zweiten zu tun.«

»Nein, so geht das nicht«, rief Surow entrüstet. »Ich habe das vom durchlöcherten Fell gesagt. Mit mir muß er sich schießen.«

»Schießen?« Lucan lachte höhnisch. »Nein, Herr Falschspieler, die Wahl der Waffen habe ich. Ich weiß sehr wohl, daß Sie und der Herr Schreiberling vorzügliche Schützen sind. Aber hier ist Rumänien, hier schlagen wir uns auf unsere walachische Art.«

Er schrie den Zuschauern kurz etwas zu, mehrere rumänische Offiziere zogen bereitwillig ihre Säbel aus der Scheide und reichten sie mit dem Griff voran her.

»Ich wähle den Herrn Journalisten.« Der Oberst ließ die Finger knacken und legte die Hand auf seinen Säbelgriff. Er wurde zusehends nüchtern und fröhlich. »Nehmen Sie eine dieser Klingen und folgen Sie mir auf den Hof. Ich werde zuerst Sie durchbohren und dann diesem Herrn Raufbold die Ohren abschneiden.«

Ein beifälliges Murmeln ging durch die Menge, jemand rief sogar »bravo!«.

D'Hevrais zuckte die Achseln und nahm den Säbel, der ihm am nächsten war.

Da stieß MacLaughlin die Gaffer auseinander.

»Halten Sie ein! Charles, gebrauchen Sie Ihren Verstand! Das ist doch barbarisch! Er bringt Sie um! Sich mit dem Säbel schlagen, das ist ein Sport auf dem Balkan, den beherrschen Sie nicht!«

»Man hat mir das Fechten mit Degen beigebracht, aber das ist ja fast das gleiche«, antwortete der Franzose unbekümmert und wog die Klinge in der Hand.

»Aber meine Herren, nicht doch!« Warja hatte ihre Stimme wiedergefunden. »Alles meinetwegen. Der Oberst hat ein wenig getrunken, aber er wollte mich nicht beleidigen, das weiß ich. So hören Sie doch auf, das ist ja töricht! In was für eine Lage bringen Sie mich?« Ihre Stimme zitterte kläglich, doch ihr Flehen blieb ungehört.

Ohne einen Blick auf die Dame zu werfen, um deren Ehre es doch eigentlich bei der ganzen Geschichte ging, strebte die Männerschar unter lebhaftem Geplauder durch den Korridor zu einem kleinen Innenhof. Bei Warja blieb nur MacLaughlin.

»Zu dumm«, sagte er verärgert. »Degen? Ich habe gesehen, wie Rumänen mit dem Säbel umgehen. Sie stellen sich nicht in die dritte Position und sagen nicht >gardez<. Sie hacken einen in Scheiben wie eine Blutwurst. Ach, was für ein Schreibkünstler geht da zugrunde, noch dazu so idiotisch!

Dieser französische Hochmut! Lucan, diesem Puter, wird es auch kein Glück bringen. Sie werden ihn einsperren, da kann er sitzen, bis anläßlich des Sieges eine Amnestie erlassen wird. Bei uns in Britannien ... «

»Mein Gott, mein Gott, was mach ich bloß«, murmelte Warja, ohne zuzuhören. »Ich allein bin an allem schuld.«

»Koketterie ist eine große Sünde, gnädige Frau«, pflichtete ihr der Ire überraschend bei. »Schon während des Trojanischen Krieges ...«

Vom Hof drang ein Geheul aus vielen Männerkehlen.

»Was ist passiert? Etwa schon Schluß?« Warja griff sich ans Herz. »So schnell! Gehen Sie nachsehen, James, ich flehe Sie an!«

MacLaughlin schwieg und lauschte. Sein gutmütiges Gesicht zeigte Unruhe. Er hatte sichtlich keine Lust, in den Hof zu gehen.

»Was zaudern Sie«, drängte Warja. »Vielleicht braucht er ärztliche Hilfe. Das hätte ich nicht von Ihnen gedacht!«

Sie stürzte in den Korridor, doch da kam ihr sporenklirrend Surow entgegen.

»Welch ein Jammer, Warwara Andrejewna!« rief er schon von weitem. »Welch unwiederbringlicher Verlust!«

Sie lehnte sich verzweifelt mit der Schulter an die Wand, ihr Kinn zitterte.

»Wie konnten wir Russen nur die Tradition des Säbelduells verlorengehen lassen!« fuhr Surow fort zu klagen. »Ein schönes, effektvolles Schauspiel! Nicht piffpaff und fertig! Statt dessen ein Ballett, ein Poem!«

»Reden Sie keinen Unsinn, Surow!« rief Warja schluchzend. »Reden Sie vernünftig - was ist geschehen?«

»Oh, das hätten Sie sehen sollen.« Der Rittmeister sah sie und MacLaughlin erregt an. »Es hat nur zehn Sekunden gedauert. Also. Ein kleiner, schattiger Hof. Steinplatten, Laternenschein. Wir Zuschauer auf der Galerie, unten im Hof nur die beiden: d'Hevrais und Lucan. Der Oberst voltigiert - fuchtelt mit dem Säbel, zeichnet Achten in die Luft, wirft ein Eichenblatt hoch und hackt es in der Mitte durch. Das Publikum klatscht begeistert. Der Franzose steht einfach da, wartet, bis unser Pfau mit seiner Schau fertig ist. Dann macht Lucan einen Sprung vorwärts und zeichnet mit der Klinge eine Art Violinschlüssel in die Atmosphäre, und d'Hevrais, ohne sich von der Stelle zu rühren, beugt nur den Oberkörper zurück, um dem Schlag auszuweichen, dann stößt er blitzartig, ich konnte gar nicht so schnell gucken, dem Rumänen die Schneide in die Kehle. Es gluckert, der Oberst fällt hin, zuckt mit den Beinen, und aus, Ruhestand ohne Pension. Ende des Duells.«

»Haben Sie nachgesehen? Ist er tot?« fragte der Ire schnell.

»Toter geht's gar nicht«, versicherte Surow. »Ein Ladoga-See von Blut. Warwara Andrejewna, Sie sind ja ganz verstört! Bleich sehen Sie aus! Stützen Sie sich auf mich!« Mit Vergnügen legte er ihr die Hand um die Taille, was in dieser Situation ganz angebracht war.

»Und d'Hevrais?« lispelte sie.

Surow griff wie versehentlich etwas höher und meldete sorglos: »Was soll sein? Er ist zur Kommandantur, um sich selbst anzuzeigen. Dort werden sie ihm nicht den Kopf streicheln. Er hat ja keinen Offiziersschüler erlegt, sondern einen Oberst. Bestenfalls werden sie ihn nach Frankreich zurückschicken. Ich mach mal hier den Knopf auf, dann bekommen Sie besser Luft.«

Warja sah und hörte nichts. Ich bin blamiert, dachte sie. Den Ruf der anständigen Frau bin ich für immer los.

Aus das Spiel mit dem Feuer, aus das Spionieren. Ich bin eine leichtsinnige dumme Gans, und die Männer sind Tiere. Ihretwegen war ein Mensch getötet worden. Und sie würde d'Hevrais nie wiedersehen. Und das Schlimmste - der Faden, der zum feindlichen Spinnengewebe führte, war gerissen.

Was würde Fandorin sagen?

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