XII Sturm

Wie ein Scherenschnitt stand die Gestalt des Konteradmirals vor dem farbenfrohen Viereck des Fensters; obwohl er Bolitho den Rücken zuwandte, konnte dieser erkennen, daß Conway vor Ungeduld fast zersprang. Draußen vor dem Fenster, still und friedlich im Spiel der in der Abendsonne ständig wechselnden Schatten, ankerten die Schiffe.

Die Undine lag etwas abseits von dem ungefügen Transporter und der kleinen Brigg; die Schäden, welche die Achtzehnpfünder der französischen Fregatte angerichtet hatten, waren nicht mehr zu erkennen. Gelegentlich, wenn das Stimmengewirr verstummte, hörte Bolitho das Klopfen und Hämmern, das Knirschen der Sägen — die Undine bot nur aus der Ferne einen so schmucken Anblick.

Nach der Hitze draußen in der Bucht kam es ihm in dem großen Raum mit den Balkenwänden kühl vor; obwohl die Männer, die darin saßen, so aussahen, als hätten sie sich seit ihrer letzten Begegnung kaum bewegt, hatte sich doch der Raum selber in der kurzen Zeit beträchtlich verändert. Es gab mehr Möbel, ein paar Teppiche, eine ganze Sammlung von blitzenden Karaffen und Gläsern — man hatte den Eindruck, in einer Wohnstätte zu sein, nicht mehr in einer belagerten Festung.

Don Luis Puigserver hockte auf einer messingbeschlagenen Truhe und nippte an seinem Wein. Ihm gegenüber saß James Raymond an dem mit Papieren bedeckten Schreibtisch und machte ein todernstes, verkniffenes Gesicht. Der Kapitän der Brigg, Hauptmann Vega von der ursprünglichen spanischen Garnison und zwei Offiziere der Bedford in roten Uniformen vervollständigten die kleine Versammlung. Einen der letzteren, einen breitgesichtigen Mann, der als Major Frederick Jardine vorgestellt worden war und die von Madras gekommenen Soldaten befehligte, erkannte Bolitho sofort wieder: er hatte ihn in Madras mit Viola Raymond zusammen gesehen. Jardine ließ die bösartigen kleinen Schweinsaugen kaum einen Moment von Bolitho. Der andere Offizier, ein Hauptmann Strype, war sein Stellvertreter und vollkommenes Gegenteil: lang und dünn wie ein Stock, lispelnd unter seinem schwarzen Schnurrbart, und wenn er lachte, klang das wie ein kurzes Bellen. Er kam Bolitho ziemlich dumm vor, hatte jedoch offenbar großen Respekt vor seinem Vorgesetzten.

Eben sagte Conway scharf:»Natürlich bin ich höchst betroffen zu hören, daß die Argus Sie angegriffen hat, Captain Bolitho.»

«Ein unrechtmäßiger Angriff obendrein«, warf Raymond dazwischen.

Conway wandte sich um. In der Abendsonne bekam sein graues Haar einen strohgelben Schimmer.

«Aber nicht unerwartet, Raymond. Ich jedenfalls habe damit gerechnet. Es war von Anfang an klar, daß die Franzosen die Hände im Spiel haben. Wir hatten Glück, daß das Erscheinen der Bedford ihre Absicht, Captain Bolithos Schiff zu kapern, vereitelt hat. Das hätten sie doch geschafft, wie?«fragte er schneidend.

Bolitho spürte aller Augen auf sich.»Ich glaube ja, Sir. «Conway nickte lebhaft.»Gut. Gut, Bolitho. Ich wollte die Wahrheit hören, und ich weiß, was es Sie kostet, sie auszusprechen.»

Raymond versuchte nochmals, seinen Standpunkt zu vertreten.»Ich glaube, Sir, wir sollten unverzüglich die Brigg mit Depeschen nach Madras schicken. Möglicherweise wird Sir Montagu Strang zu der Überzeugung kommen, daß weitere Operationen hier nicht ratsam sind. «Conway richtete sich starr auf, aber Raymond redete weiter:»Später können neue Pläne gemacht werden. Bis dahin müssen wir diesen Angriff als Warnung betrachten.»

«Warnung?«knurrte Conway.»Bilden Sie sich ein, daß ich mich von einem verdammten Piraten auch nur eine Minute ins Bockshorn jagen lasse und damit die ganze Aufgabe in Frage stelle, die ich eben erst übernommen habe?«Er trat dicht an Raymond heran.»Nun? Bilden Sie sich das tatsächlich ein?»

Raymond wurde blaß, aber er erwiderte stur:»Ich bin im Auftrag der Regierung hier, Sir. Als Ratgeber. Die Franzosen müssen doch begriffen haben, daß Sie ausmanövriert sind, ehe Sie überhaupt angefangen haben. Wenn dieser Muljadi in den hiesigen Gewässern ungehindert rauben und morden kann, dann ist es unmöglich, aus Pendang Bay eine neue, blühende Handelsniederlassung zu machen. Keine Gesellschaft würde sich darauf einlassen. «Er wandte sich an den Kapitän der Brigg.»Ist dem nicht so?»

Düster nickte der Mann.»Wir brauchen mehr Schutz, Sir.»

Triumphierend fuhr Raymond fort:»Genau! Und das wollen die Franzosen bezwecken. Wenn wir noch mehr Kriegsschiffe für den Patrouillendienst in diesen Gewässern anfordern, dann haben sie einen Grund, außer der Argus weitere Schiffe zu schicken, um das Kräftegleichgewicht zu halten.»

Conway starrte ihn wütend an.»Dann sollen sie doch!»

«Nein, Sir. Das würde Krieg bedeuten. Die Argus ist durch ihren Kaperbrief gedeckt. Muljadi hat eine eigene Flotte und wird außerdem von seinen französischen Freunden unterstützt. In Indien gibt es tausend Muljadis, Manche sind echte Herrscher, und manche haben weniger Untertanen, als Captain Bolitho zur Zeit Matrosen hat. Wir alle wollen Frieden und unseren Handel bis nach China ausdehnen, wenn es geht, und noch weiter. Dort gibt es Reichtümer, von denen wir nur träumen können, Länder, deren Bewohner noch nie von König George oder König Louis gehört haben.»

Gelassen warf Bolitho ein:»Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Sir, sind Sie der Meinung, daß sich der Gouverneur zurückziehen sollte?»

Raymond lächelte kühl.»So wie Sie sich zurückgezogen haben, nicht wahr?»

Bolitho trat zum Fenster und blickte auf sein Schiff hinunter. Damit gewann er Zeit, die aufsteigende Wut, die ihm den Blick trübte, abklingen zu lassen. In der unteren Einfriedung saß Midshipman Keen mit einem Schiffsjungen von der Nervion, der ihm als Pfleger zugeteilt war und aufpassen sollte, daß Keen nicht zu viel herumlief. Es war noch nicht ganz sicher, ob er sich von seiner Verwundung erholen würde. War das tatsächlich erst vorgestern gewesen? Der Qualm, der Kanonendonner, die Erschöpfung nach den anstrengenden Reparaturarbeiten. Dann die Bestattungen auf See — jeder Leichnam mußte gut beschwert sein, ehe man ihn über Bord warf, damit die streunenden Haie keine Zeit hatten, zuzupacken.

«Soviel ich weiß, Mr. Raymond«, entgegnete Bolitho,»haben Sie niemals Ihrem Vaterland mit der Waffe gedient?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Hätten Sie jemals des Königs Rock getragen, so wüßten Sie, daß ein geordneter Rückzug nicht das Ende eines Kampfes bedeutet.»

Er vernahm Hauptmann Strypes meckernde Stimme:»Ach Gott, das war aber ein bißchen dünn, wie?»

Bolitho fuhr herum und erwiderte grob:»Ich sprach zu Mr. Raymond, Sir, nicht zu einem verdammten Söldner, der sich einbildet, ein richtiger Soldat zu sein, bloß weil er Hauptmann wurde!»

Don Puigserver setzte sein Glas heftig auf den Tisch.»Meine Herren! Ich weiß, daß Vega und ich hier nichts mehr zu sagen haben. Ich weiß aber auch, daß Senor Raymond wie auch der Gouverneur — «, er verbeugte sich leicht vor Conway — ,»beide recht haben. Solange Muljadi hier ungehindert Einfluß ausübt, können Sie keine Fortschritte machen. Bekommen Sie militärische Verstärkung, so führt das nur zu weiteren Feindseligkeiten und stärkerem Engagement der Franzosen. «Er machte eine Pause und zuckte beredt mit den Schultern.»Und ich bezweifle, daß mein Land das ignorieren könnte.»

Dankbar für sein Eingreifen, nickte Bolitho ihm zu. Er wußte genau, noch eine Sekunde, und er hätte zuviel gesagt; auch Conway hätte ihm dann nicht helfen können, selbst wenn er gewollt hätte.

Major Jardine räusperte sich.»Trotz der Äußerungen des tapferen Captain«, sagte er, ohne Bolitho dabei anzublicken,»glaube ich, daß meine Truppe stark genug ist. Ich habe zweihundert Sepoys und eine Geschützbatterie auf Maultieren. Erfahrene Soldaten. «Er sprach undeutlich und schwitzte furchtbar, obwohl der Raum vergleichsweise kühl war.

Puigserver nickte ernst.»Wenn die Nervion hier wäre, hätte das alles nicht passieren können. Ein weiteres Schiff, das der Argus unsere Flagge zeigt, und Muljadi hätte seine Pläne zurückgestellt, wenn nicht ganz aufgegeben.»

«Aber sie ist nicht da«, entgegnete Conway,»nur die Undine.»

«Und die scheint sich nicht allzugut aus der Affäre gezogen zu haben«, nörgelte Jardine. Er wandte sich Bolitho zu, seine kleinen Augen glitzerten wie Stahl.»Wenn ich auch nur Soldat bin oder ein Söldner, so sehe ich doch, daß dort unten keiner der beiden Schoner vor Anker liegt, und soviel wir wissen, weht auf der Argus immer noch die Flagge Muljadis. Was sagen Sie dazu, Captain?»

Bolitho blickte ihm voll ins Gesicht.»Der eine Schoner ist gekentert und gesunken. Der andere konnte fliehen, weil die Argus kam. «Er war jetzt ganz unbewegt. Wer den Schaden hatte, brauchte eben für den Spott nicht zu sorgen. Man mußte dergleichen hinter sich bringen, es reinigte die Luft.

«In der Tat. «Jardine lehnte sich im Sessel zurück, seine blankgeputzten Stiefel quietschten.»Und dann kam Ihnen die Bedford zu Hilfe. Das arme, vielgelästerte Schiff der Company mußte die Argus vertreiben.»

«Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, Major. .»

Jardine spreizte die dicken Hände.»War ich aber nicht, Sir. Ich bin Soldat. Für solche Dinge ist schließlich die Flotte zuständig und nicht ich — oder wie meinen Sie?»

«Das reicht mir«, sagte Conway kalt.»Ich verbitte mir dieses Wortgeplänkel. Das gilt sowohl für Sie, Bolitho, als auch — «, er sah Jardine an,»- für jeden anderen!«Er legte die Hände auf den Rücken, so daß seine schon gebeugten Schultern noch tiefer sanken.»Wäre die Undine in offener Seeschlacht von einem gleich starken Schiff geschlagen worden, hätte ich Captain Bolitho als ihren Kommandanten ablösen lassen. Das weiß er ganz genau, und Sie, meine Herren, sollten das auch bedenken. Von der Kriegsmarine wird nur zu häufig erwartet, daß sie gegen eine Übermacht kämpft; und bisher hat sie dabei so oft Erfolge erzielt, daß hohlköpfige Politiker und gierige Kaufleute, die schnelle Profite für wichtiger halten als langfristige Sicherheit, den Sieg selbst gegen einen hoffnungslos überlegenen Feind für selbstverständlich halten. Doch wie die Dinge liegen, muß Captain Bolitho, sobald die nötigen Reparaturen ausgeführt sind, unverzüglich in Muljadis Gebiet segeln. «Er blickte Bolitho unbewegt an.»Sie werden mit der Argus Kontakt aufnehmen, und zwar unter Parlamentärsflagge, und eine Botschaft von mir überbringen.»

Hastig warf Raymond ein:»Ich beschwöre Sie, Sir, lassen Sie Don Puigserver mit Captain Bolitho segeln! Er hat das Recht, die Freiheit des letzten hiesigen Gouverneurs, des Obersten Pastor, zu fordern. Er könnte Muljadi gegenüber sein Mißfallen auf eine Weise zum Ausdruck bringen, die… »

Jetzt wurde Conway ernstlich wütend, und seine Stimme hallte dröhnend von den Wänden wider:»Ich bin hier Gouverneur«, brüllte er Raymond an,»ich brauche Ihre Gängelei nicht, und auch nicht die Hilfe des Königs von Spanien, verstanden?»

Raymonds Mut welkte unter Conways Zorn dahin. Er sagte nichts mehr. Puigserver stand auf und schritt langsam zur Tür. Erleichtert und dankbar folgte ihm Hauptmann Vega.

Puigserver blieb einen Moment stehen und blickte sie alle an. Seine Augen waren sehr dunkel.»Ich würde Captain Bolitho natürlich gern begleiten. «Er lächelte flüchtig.»Ich hege große Bewunderung für seinen Mut und seine — «, er suchte nach dem richtigen Wort,»- seine Integrität. Aber ich habe viel zu tun. Es ist meine Aufgabe, die spanischen Soldaten und ihre

Angehörigen mit der Bedford nach Hause zu schicken. «Er warf einen kurzen Blick auf Conway, und sein Lächeln schwand.»Wie Sie heute früh sehr richtig bemerkten, hat Spanien hier keine Hoheitsrechte mehr.»

Bolitho sah ihm nach, als er hinausging. Sofort bei der Ankunft hatte er die Spannung gespürt. Es konnte für Conway nicht leicht gewesen sein. Er machte sich Sorgen, weil weder Nachrichten noch Verstärkungen noch Lebensmittel eintrafen. Aber es war falsch von ihm, sich Puigserver zum Gegner zu machen. Wenn es hier schiefging, würde Conway alle Fürsprache brauchen, die er bekommen konnte, sogar von spanischer Seite.

Jardine sagte möglichst beiläufig:»Ich gehe dann am besten auch. Ich muß die Sepoys einweisen und die Seesoldaten ablösen lassen. «Für das, was Hauptmann Bellairs und seine Leute in so kurzer Zeit geschafft hatten, äußerte er kein Wort des Dankes oder der Anerkennung.

Wieder blickte Bolitho durchs Fenster. Urwald und Schlinggewächse, die den Stützpunkt bedrängt hatten, waren gelichtet und alle Toten beerdigt. Das als Lazarett benutzte Gebäude war gereinigt und frisch gestrichen worden; Whitmarsh war sogar des Lobes voll über die Leistungen der Männer gewesen.

Conway nickte.»Nach Sonnenuntergang kommen Sie bitte wieder hierher, Major.»

Bolitho wartete, bis die beiden Offiziere draußen waren, und sagte dann:»Bitte um Entschuldigung für meinen Ausbruch, Sir. Aber ich habe die Nase voll von dieser Sorte.»

«Mag sein«, knurrte Conway.»Doch in Zukunft werden Sie den Mund halten. Auch wenn Jardine nur eine Handvoll invalider Bettler unter seinem Kommando hätte, würde ich Ihnen dasselbe sagen. Ich brauche jeden Mann, den ich kriegen kann.»

Raymond stand gähnend auf.»Verdammte Hitze! Ich glaube, ich lege mich vor dem Dinner ein bißchen hin. «Auch er ging langsam hinaus, ohne einen Blick für Bolitho.

Gedämpft sagte Conway:»Ihre Bemerkung über das Waffentragen gefiel ihm nicht. «Er lachte leise.»Während Sie weg waren, hat seine Frau Loblieder auf Marineoffiziere im allgemeinen und auf Sie im besonderen gesungen. «Er runzelte die Stirn.»Ich habe anscheinend zu meinem Unheil dauernd mit Menschen zu tun, die einander absichtlich ruinieren.»

«Wie geht es ihr, Sir?«Bolitho traute sich nicht, Conway ins Gesicht zu blicken.»Ich habe sie seit meiner Rückkehr noch nicht gesehen.»

«Sie hat diesem Säufer von Schiffsarzt bei der Kranken- und Verwundetenpflege geholfen. «Conway zog die Brauen hoch.»Überrascht Sie das? Bei Gott, Bolitho, über Frauen müssen Sie noch viel lernen. Aber alles zu seiner Zeit.»

Bolitho dachte daran, wie Viola sich geweigert hatte, die Verwundeten an Bord der Undine zu versorgen, nachdem Puigserver mehr tot als lebendig an Bord gekommen war. Warum bloß? Er seufzte. Vielleicht hatten Puigserver und Conway beide recht: er mußte noch viel lernen.

«Ich gehe wieder an Bord, Sir«, antwortete er.»Da ist eine Menge zu erledigen.»

Conway sah ihn nachdenklich an.»Ja. Und denken Sie daran: Wenn Sie mit dem Kapitän der Argus zusammentreffen, dann behalten Sie Ihre persönlichen Gefühle für sich. Er tut seine Arbeit, so gut er kann. Sie würden dasselbe tun, wenn es Ihnen befohlen würde. Wenn Le Chaumareys nicht im Feuer Ihrer Geschütze umgekommen ist, wird ihm ebensoviel daran liegen, persönlich mit Ihnen zu sprechen. Er ist älter als Sie, aber ich glaube, Sie haben etwas gemeinsam. «Seine Falten vertieften sich, als er trocken schloß:»Keinen Respekt vor Ihren Vorgesetzten!»

Bolitho nahm seinen Hut. Bei Conway wußte man nie, wo die menschliche Wärme endete und die stählerne Härte begann.

«Bitte kommen Sie abends an Land und speisen Sie mit uns — «, Conway machte eine Geste, die den ganzen Raum umfaßte,»- mit uns Abgeschriebenen.»

Bolitho verstand, daß er entlassen war, verbeugte sich und ging.

Jenseits der Palisaden war der Urwald so dicht und bedrückend wie eh und je; dennoch wirkte der Ort anheimelnder, wie etwas Dauerndes.

Allday trieb sich im Schatten unterhalb des Haupttores herum. Er sah ein paar eingeborenen Frauen zu, die in einem großen Holztrog Wäsche wuschen. Sie waren klein, bräunlich, etwas mollig, besaßen aber eine geschmeidige Grazie, die Allday anscheinend sehr gefiel. Er nahm Haltung an und fragte:»Alles erledigt, Captain?«Zu Bolithos anzüglichem Blick nickte er wohlgefällig.»Niedliche kleine Krabben. Wir werden auf unsere Matrosen aufpassen müssen, Captain.»

«Nur auf die Matrosen?«»Na ja… »

Da kam der Schiffsarzt aus dem Behelfslazarett. Er rieb sich die Hände an einem Tuch ab und blinzelte in das schräg einfallende Sonnenlicht. Als er Bolitho sah, nickte er ihm zu.»Zwei von Ihren Verwundeten sind ab morgen wieder dienstfähig, Sir. Zwei sind gestorben, aber die anderen werden überleben. «Er wandte den Blick ab.»Bis zum nächsten Mal.»

Bolitho überlegte. Zwölf Tote hatte sie der Angriff der Argus gekostet. Das war zuviel, auch wenn man bei diesem wütenden Gefecht von Glück sagen konnte, daß es nicht mehr waren. Er seufzte. Vielleicht hatte Herrick ein paar» Freiwillige «von den anderen Schiffen erwischt?

«Ihr Bootsmann«, fuhr Whitmarsh fort,»hat, nebenbei bemerkt, gute Arbeit geleistet. Eigentlich müßte der Junge tot sein. «Er blickte Allday an.»Schade um Sie. Sie sollten was Vernünftiges aus Ihrem Leben machen.»

Gelassen erwiderte Bolitho:»Freut mich, daß Sie Allday für die Mühe gedankt haben, die er sich mit Mr. Keen gegeben hat. Aber er wird über seine Zukunft schon selbst entscheiden, da bin ich ganz sicher.»

Allday selbst stellte sich taub.

«Jedenfalls«, sagte Whitmarsh,»habe ich hier ein bißchen saubergemacht. Die meisten werden durchkommen, aber ein paar werden doch noch sterben, ehe sie Spanien erreichen. Geschlechtskrank, selbstverständlich.»

«Selbstverständlich?»

Whitmarsh sah ihm in die Augen.»Völlig verseucht. Und sie haben natürlich auch diese armen unwissenden Wilden angesteckt. Wenn einer Ihrer Matrosen mit diesen verdammten Pickeln zu mir kommt, dann verarzte ich ihn so, daß er wünscht, er hätte nie im Leben eine Frau berührt!»

«Es sind auch Ihre Matrosen, Mr. Whitmarsh!«erwiderte Bolitho mit einem prüfenden Blick. Obwohl sich die übliche feindselige Haltung des Arztes nicht geändert zu haben schien, sah er doch erheblich besser aus. Vielleicht lag es nur daran, daß es hier wenig zu trinken gab? Jedenfalls hatte er keine Ähnlichkeit mehr mit dem betrunkenen Wrack, das in Portsmouth im Frachtnetz an Bord gehievt werden mußte.

«Da sind Sie also, Captain.»

Er wandte sich um. Sie stand am Tor und sah ihn an. Ein weißer Überwurf reichte ihr fast bis zu den Füßen, und sie trug den Strohhut, den sie in Santa Cruz gekauft hatte. Ihre Augen lagen im Schatten, aber ihr Lächeln war strahlend und warm.

«Ich bin Ihnen sehr dankbar, Madam«, erwiderte er,»für alles, was Sie hier getan haben.»

Whitmarsh nickte.»Mrs. Raymond hat das ganze Lazarett von oben bis unten organisiert. «Seine Bewunderung war echt.

Viola lächelte Allday grüßend zu und hakte sich bei Bolitho ein.»Ich komme bis zum Strand mit, wenn ich darf. Es ist so erfrischend, Sie wieder hier zu haben.»

Bolitho merkte, daß Whitmarsh und Allday sie beobachteten.»Sie sehen — äh — wohl aus«, sagte er.»Sehr wohl sogar.»

Sie drückte seinen Arm ein ganz klein wenig.»Sagen Sie Viola zu mir!»

«Viola«, sagte er lächelnd.

«So ist's schon besser. «Aber als sie weitersprach, klang ihre Stimme ganz anders.»Ich sah Ihr Schiff vor Anker gehen und war richtig verrückt vor Angst. Ich bat James, mich mit dem Boot hinüberzufahren, aber er weigerte sich. Natürlich! Da nahm ich ein Fernrohr und konnte Sie sehen — als ob ich neben Ihnen stünde. Und heute war ich ein Weilchen mit Valentin zusammen.»

«Valentin?«Er sah sie von der Seite an.»Wer ist das?»

Sie lachte.»Natürlich — so eine Kleinigkeit wie einen Vornamen werden Sie sich nie merken. Ich meine Ihren Mr. Keen. «Dann wurde sie ernst.»Der arme Junge sieht noch so elend aus, aber er spricht immer nur von Ihnen. «Wieder ein fester Druck auf seinen Arm.»Ich bin beinahe eifersüchtig.»

Bolitho blickte über ihren Kopf hinweg auf die Gig. Sie lag auf dem Sand; kleine, schaumköpfige Wellen umspielten sie. Die Bootsbesatzung war in lärmender Unterhaltung mit einigen Matrosen der Brigg begriffen; offensichtlich schilderten sie ihren Sieg — denn so sahen sie die Sache an — über die Argus und die beiden Schoner. Trotz aller Bitterkeit und Enttäuschung über das Gefecht mußte er lächeln. Vielleicht hatten sie sogar recht. Daß man unter solchen Umständen überhaupt am Leben geblieben war, konnte man durchaus als einen Sieg ansehen.

Viola blickte ihn an, als suche sie etwas.»Sie lächeln, Captain? Über meine Dreistigkeit vielleicht?»

Er griff nach ihrer Hand.»Nein, das nicht. Niemals.»

Sie warf den Kopf in den Nacken.»So ist es schon besser, Captain.»

Er hörte Alldays Schritte im Sand, und bei der Gig wurde es auf einmal still.»Ich heiße Richard«, sagte er ernst.

Allday hörte Mrs. Raymond lachen und war plötzlich besorgt. Hier entstand eine Gefahr, die er recht gut sehen konnte; jedenfalls besser als sein Kommandant. Er zog den Hut, als Bolitho auf dem Weg zur Gig an ihm vorbeikam, und hörte ihn sagen:»Ich komme nachher wieder an Land, Ma'am.»

Sie beschattete die Augen mit der Hutkrempe.»Bis dann also, Captain.»

Aber Allday hatte ihr Gesicht gesehen, ehe der Schatten es verbarg. Er wußte, was es bedeutete, wenn eine Frau so aussah. Er warf einen raschen Blick auf den Turm des Forts und holte tief Atem, als prüfe er die Luft. Widrige Winde im Anzug, dachte er, und nicht mehr allzuweit weg.

Bolitho blickte ihn an.»Alles klar?»

«Scheint so, Captain«, antwortete Allday mit unbewegter Miene.

Drei Tage nach ihrer Rückkehr nach Teluk Pendang lichtete Seiner Majestät Fregatte Undine wieder Anker und ging in See. Am späten Nachmittag war sie bereits weit draußen in der glitzernden Einsamkeit der Javasee, und nicht einmal ein Kormoran leistete ihr Gesellschaft.

Als die Undine in See ging, hätte ein flüchtiger Betrachter kaum noch etwas von den Schäden gesehen, welche die Kanonen der Argus angerichtet hatten. Aber Bolitho sah sie recht gut, als er an Deck kam. Die von Splittern und Schrapnellen zerrissenen Wanten und Stagen waren ersetzt und frisch geteert worden, so daß sie in der hellen Sonne glänzten. Die eilig eingezogenen, neuen Decksplanken hoben sich dunkler von der wettergebleichten und bimssteingescheuerten Beplankung ab, die so alt war wie das Schiff selbst. Der Segelmacher und seine Leute hatten am meisten zu tun gehabt, und sogar jetzt noch sah Bolitho, als er an Luv entlangschlenderte, Jonas Tait dort hocken, und sein eines Auge kontrollierte wachsam die nadelbewehrten Fäuste, die immer noch fleißig Nähte setzten.

Fowlar, der wachhabende Steuermannsmaat, tippte grüßend an die Stirn und meldete:»Südwest zu Süd liegt an, Sir. «Er deutete voraus.»Ziemliche Dünung, Sir. Mr. Soames ist im Vorschiff und kontrolliert die Halterungen der Geschütze.»

Bolitho warf einen Blick auf den Kompaß und betrachtete dann nacheinander die Segel an jedem Mast. Er hatte das unangenehme Stampfen des Schiffes schon bemerkt, aber es war noch zu früh, um beurteilen zu können, was es damit auf sich hatte. Das Barometer stand auf unbeständig, doch das war man in diesen Breiten gewohnt. Mudge hatte sich sehr vorsichtig ausgedrückt, als Bolitho ihn nach seiner Meinung gefragt hatte.»Könnte Sturm geben, Sir — in diesen Gewässern weiß man das nie.»

Bolitho nickte Fowlar zu und ging zur Achterdecksreling. Die Sonne stach auf Kopf und Schultern. Ganz ordentlicher Wind, dachte er; aber die Luft ist drückend, sehr drückend sogar.

Herrick und Soames standen an den Zwölfpfündern im Gespräch. Der Bootsmann war auch dabei und wies auf die Stellen, wo noch etwas repariert werden mußte. Aus dem Niedergang beim Großmast erklang die muntere Melodie eines Jig, den der Schiffsfiedler spielte: normale, alltägliche Geräusche und Bilder. Beruhigt begann er, an der Luvseite auf und ab zu schlendern.

Aus dem Augenwinkel beobachtete er Soames, der vom Geschützdeck kam. Es sah so aus, als wolle er zu Bolitho herüberkommen; aber er blieb dann doch auf der Leeseite. Bolitho war erleichtert. Soames hatte sich im Gefecht bewährt, aber als Gesprächspartner war er schwerfällig und engstirnig.

Und Bolitho wollte allein bleiben, nachdenken, was er richtig und was er falsch gemacht hatte. Jetzt, da er wieder einmal das Land weit hinter sich hatte und auf sich selbst angewiesen war, konnte er alles viel klarer sehen. Jetzt, da er nur seinen eigenen, über die schwarzen Sechspfünder schwankend hinweggleitenden Schatten zur Gesellschaft hatte, fand er, daß er öfter richtig als falsch gehandelt hatte. War es unvermeidlich gewesen? Oder hätten sie es beide, er und sie, in Sekundenschnelle beenden können, durch ein bloßes Wort, eine Andeutung? Ihm fiel wieder ein, wie sie ihn über den Tisch hinweg angesehen hatte, während die anderen sich mit allerlei Unterhaltung und Geplauder die Zeit vertrieben. Capitan Vega hatte ihnen ein Lied vorgesungen, so traurig, daß ihm dabei die Tränen in die Augen traten. Puigserver hatte von den Abenteuern erzählt, die er vor dem Kriege in Westindien und Südamerika erlebt hatte. Raymond hatte sich nach einem ergebnislosen Streitgespräch mit Major Jardine über die Möglichkeit eines dauernden Friedens mit Frankreich langsam aber sicher betrunken. Conway war schrecklich nüchtern geblieben, oder, wenn das nicht der Fall war, mußte er ein besserer Schauspieler sein, als Bolitho sich vorstellen konnte. Wann also war der eigentlich entscheidende Moment gewesen?

Sie waren zusammen auf der oberen Brustwehr gestanden und hatten, über das rauhe Balkenwerk gebeugt, auf die Bucht und die ankernden Schiffe geschaut. Ein schönes Bild. Winzige Lichter glitzerten auf dem unruhigen Wasser. Bleich schäumte es an den Riemen eines Wachtbootes, das seine gleichförmigen Kreise um die mächtigen Schiffsrümpfe zog.

Ohne ihn anzusehen, hatte sie gesagt:»Ich möchte, daß Sie heute nacht an Land bleiben. Ja?»

War das die Entscheidung? Mit plötzlichem, gefährlichem Entschluß hatte er alle Bedenken beiseite geschoben.»Ich lasse meinem Ersten Leutnant Bescheid sagen.»

Er wandte sich um und blickte über das Deck. Da stand Herrick immer noch im Gespräch mit Shellabeer. Ob er damals wohl erraten hatte, was vorging?

Bolitho wußte noch ganz genau, wie sein Zimmer im Fort ausgesehen hatte. Es war eher eine Zelle, karger als eine Leutnantskajüte auf einem Kriegsschiff. Er hatte auf dem Bett gelegen, die Hände hinterm Kopf gefaltet und auf die seltsamen Geräusche draußen, auf die Schläge seines eigenen Herzens gelauscht.

Tierschreie aus dem Dschungel, gelegentlich der Anruf einer Patrouille an den kontrollierenden Sergeanten. Der Wind, der um den viereckigen Turm strich, ohne das antwortende Summen der Takelung und das Klappern der Taljen, das Bolitho gewohnt war.

Dann hatte er ihre Schritte draußen auf dem Gang gehört, ein rasches Flüsterwort zu ihrer Zofe, bevor sie die Tür öffnete und schnell wieder hinter sich zuzog.

Wie es weitergegangen war, wußte er nicht mehr so genau. Da ging es ihm etwas durcheinander. Er erinnerte sich noch, daß er sie an sich gepreßt hielt, an ihren warmen Mund, an das plötzliche, überwältigende, verzweifelte Begehren, das die letzten Bedenken in alle Winde jagte.

Es war kein Licht in der winzigen Kammer, nur der Mondschein. Er hatte sie nur kurz gesehen, ihre nackte Schulter, die wie Silber glänzenden Schenkel, als sie ins Bett kam und ihn tiefer, immer tiefer zu sich herabzog, bis sie sich schließlich in der Erfüllung ihres Begehrens vereinten, keuchend und ermattet.

Hatte er überhaupt geschlafen? Oder sie nur in den Armen gehalten, sie begehrt mit der quälend klaren Gewißheit, daß es nicht dauern konnte? Einmal in dieser Nacht, als es schon fast dämmerte, hatte sie ihm ins Ohr geflüstert:»Mach dir keine Vorwürfe. Das hat nichts mit Ehre zu tun. Es gehört zum Leben. «Sie hatte die Lippen auf seine Schulter gepreßt und zärtlich weitergeflüstert:»Wie wunderbar du riechst. Nach Schiff. Nach Salz und Teer. «Und mit leisem Kichern:»Das muß ich auch haben. «Dann das ängstliche Klopfen an der Tür, mit dem die treue Zofe das Nahen des Tages ankündigte, und das hastige Rascheln, als sie ihr Gewand überstreifte.

Aber für Bolitho war es ein völlig anderer Tag als alle Tage bisher. Er fühlte sich ganz anders als sonst. Voller Leben und Unruhe. Befriedigt, aber hungrig nach mehr.

Er hörte Schritte an Deck. Herrick stand vor ihm und sah ihn an.»Ja, Mr. Herrick?»

«Der Wind frischt wieder auf. Soll ich die Marssegel reffen lassen, Sir?«Kritisch musterte er die Takelung.»Hört sich an, als ob das Rigg mächtig straff ist.»

«Wir wollen sie noch ein bißchen so laufen lassen. Wenn möglich, bis acht Glasen, wenn wir halsen und Westkurs haben. Hat ja keinen Sinn, die Leute zusätzlich anzustrengen, wenn wir mit nur einem Manöver auskommen können. «Er lehnte sich zurück, die Hände in die Hüften gestemmt, und starrte zum Topp des Großmastes, wo der lange Wimpel im Winde flatterte.»Sie hat immer noch eine Menge Kraft in sich.»

«Aye, Sir. «Herricks Stimme klang seltsam müde.

«Was nicht in Ordnung?»

Gelassen erwiderte Herrick:»Sie wissen ja schon, Sir. Ich habe gesagt, was ich zu sagen hatte. Was geschehen ist, ist geschehen.»

Bolitho blickte ihn ernst an.»Dann wollen wir es auf sich beruhen lassen.»

«Gewiß, Sir«, seufzte Herrick. Er sah zum Rudergänger hinüber.»Ich habe nur vier Mann kriegen können, bedauerlicherweise. Weder die Bedford noch die Rosalind wollten mehr abgeben. Und diese vier sind ausgesprochene Stänker-Typen. «Er lächelte ein bißchen.»Immerhin hat mir Mr. Shellabeer versichert, daß sie ihr Benehmen ändern werden, ehe die Sonne wieder aufgeht.»

Midshipman Armitage kam eilig den Niedergang herauf, faßte an den Hut und stotterte Herrick an:»Mr. Tapril läßt respektvoll anfragen, ob Sie zu ihm ins Magazin kommen können, Sir.«»Ist das alles?«fragte Herrick.

Der Junge machte ein unglückliches Gesicht.»Sie hätten es versprochen, Sir.»

«Eben, Mr. Armitage. «Der Midshipman eilte wieder nach unten, und Herrick erklärte:»Ich wollte die Pulverfässer kontrollieren und neu markieren lassen. Hat keinen Sinn, gutes Pulver zu verschwenden. «Er senkte die Stimme.»Hören Sie, Sir, können Sie denn wirklich nicht sehen, wie verrückt das ist, was Sie da machen? Es ist überhaupt nicht abzusehen, wie das Ihrer Karriere schaden kann!»

Bolitho fuhr gereizt herum; aber dann sah er die echte Besorgnis in Herricks Miene.»Ich verlasse mich auf Ihre Lady Glück, Thomas. «Er schritt zum Kajütniedergang und sagte zu Soames:»Rufen Sie mich sofort, wenn sich etwas ändert.»

Als er verschwunden war, schritt Soames zum Kompaß. Fowlar beobachtete ihn verstohlen. Wenn sie wieder in England waren, würde auch er ein Leutnantspatent erhalten. Der Captain hatte so etwas angedeutet, und auf den konnte man sich verlassen. Aber wenn er diese allererste Stufe der Leiter erklomm, würde er hoffentlich mehr Freude daran haben, als das bei Soames der Fall zu sein schien.

Soames schnauzte ihn an:»Mr. Fowlar, Ihre Rudergänger sind einen Strich oder so vom Kurs abgekommen. Verdammt noch mal, bei Ihnen hätte ich das nicht erwartet!«Dann ging er wieder, und Fowlar grinste hinter ihm her. Das Ruder lag genau richtig, und Soames wußte das auch. Aber so war es nun mal in der Flotte — ein lausiges Spiel.»Halten Sie Kurs, Mallard!«sagte er zu dem Ersten Rudergänger. Mallard schob seinen Priem in die andere Backe und nickte.»Aye, aye, Mr. Fowlar,

Sir.»

Die Wache ging weiter.

Gegen Ende der Hundewache frischte der Wind so auf, daß die Marssegel gerefft werden mußten. Bolitho faßte in die Finknetzen, visierte die ganze Länge des Schiffes entlang und beobachtete, wie die Deckoffiziere ihre Segelbedienungen kontrollierten, ehe diese in die Masten gingen, während Shellabeer und seine Maaten die Boote fester zurrten.

Herrick brüllte durch den Wind:»Innerhalb einer Stunde müssen wir noch ein Reff stecken, Sir, wenn ich mich nicht irre.»

Bolitho wandte sich nach achtern und fühlte das Sprühwasser im Gesicht, das freigiebig in Luv überkam. Der Wind hatte schnell rückgedreht und blies jetzt kräftig von Südost, so daß die Undine ebenso heftig wie ungemütlich stampfte. Er antwortete:»Wenn wir gerefft haben, gehen wir auf Westkurs. Auf Backbordkiel wird sie ruhiger laufen. «Er beobachtete die großen, steil anlaufenden Wellen; wie zackige Reihen bösartiger Glasberge sahen sie aus. Wenn der Wind noch mehr auffrischte, würden diese jetzt noch runden Wellen zu schweren Brechern werden.

Er hörte Mudge rufen:»Wir kriegen tatsächlich einen ordentlichen Sturm, Sir!«Er hielt seinen mißgeformten Hut fest; der Wind trieb ihm das Wasser in die Augen.»Das Barometer hopst herum wie 'ne Erbse auf der Trommel!»

«Musterung durch, Sir!«schrie Davy.

«Sehr schön. Alle Mann in die Masten!«Herrick hob die Hand.»Kein Wettrennen! Verbieten Sie den Bootsmannsmaaten, mit ihren Tauenden herumzuprügeln!«Er warf einen Blick auf Bolitho.»Ein Ausrutscher, und der Mann geht über Bord und ist verloren.»

Bolitho nickte zustimmend. Herrick vergaß solche Hinweise nie.

«Ich hoffe, der Sturm wird nicht allzulange dauern. Wenn wir beidrehen und ihn abreiten müssen, kommen Admiral Conways Pläne bestimmt durcheinander.»

Von oben tönten abgerissene Flüche und Schreie herab. Die Toppmatrosen kämpften hart mit den schwer zu bändigenden, heftig schlagenden Segeln. Sie stießen mit Fäusten und Füßen, warfen sich mit dem Oberkörper über die Rahen, tief unter ihnen das Deck. Bolitho wurde beim bloßen Anblick dieser Knochenarbeit schwindlig. Es dauerte fast eine Stunde, bis die Segel zu Herricks Zufriedenheit gemeistert waren; und dann war es auch schon Zeit, das nächste Reff zu stecken. Schaum und Sprühwasser peitschte an Luv übers Deck; jede Planke, jede Leine quietschte und knarrte in wütendem Protest.

«Noch einen Strich vor den Wind, Mr. Herrick!«rief Bolitho.»Kurs West zu Süd!«Herrick nickte. Auch sein Gesicht troff von Sprühwasser.»Achterwache an die Besanbrassen!«Wütend schüttelte er seine Sprechtrompete.»Zusammenbleiben, verdammt noch mal!»

Ein Marineinfanterist war ausgerutscht, lag als scharlachroter Haufen auf den Decksplanken und strampelte mit den Beinen, so daß noch ein paar seiner Kameraden durcheinander gerieten.

Bolitho deutete voraus; unter dem weiter auffrischenden Wind bekamen die Wellen jetzt glitzernde Schaumkronen.

«Sie läuft doch ruhiger, Mr. Herrick!«Er wurde gelassener, als jetzt die älteren Matrosen nach achtern eilten, um den Seesoldaten und den weniger erfahrenen Männern bei den Besanbrassen zu helfen.»Und bis jetzt ist kein Mann verletzt, soweit ich sehe!»

Die Undine hatte sich mühsam vor den Wind gedreht. Lackschwarz stachen Wanten und Schoten gegen die aufkommenden Wellen ab. Aber mit ihren leicht backgebraßten Rahen und der bis auf Mars- und Focksegel gerefften Leinwand wurde sie einigermaßen mit dem Wind fertig.

Keuchend, das Hemd klatschnaß, kam Davy aufs Achterdeck.»Alles klar, Sir!«Er schwankte, stolperte, fiel gegen die Netze und sagte wütend:»Bei Gott, ich hatte völlig vergessen, was ein richtiger Wind ist!»

Bolitho lächelte.»Lassen Sie die Freiwache unter Deck gehen, aber sagen Sie dem Bootsmann, er soll ständig Kontrollen machen. Wir können uns nicht leisten, kostbares Geschirr zu verlieren, bloß weil es nicht ordentlich verstaut wurde. «Er wandte sich Herrick zu:»Kommen Sie mit in meine Kajüte.»

Dort war es trotz der tosenden See und den unter dem Anprall stöhnenden Planken warm und gemütlich. Der Gischt malte ein Diagonalmuster an die Heckfenster, das Ruder knirschte und quietschte unter den Händen der Rudergasten, die das Schiff auf seinem neuen Kurs hielten. Noddall kam taperig herein, den schmächtigen Körper schräg gegen den überhängenden Fußboden geneigt, und setzte Weingläser auf. Herrick quetschte sich in die Ecke der Sitzbank und blickte Bolitho fragend an.»Und wenn wir vor dem Wind segeln müssen und dabei etwas vom Kurs abkommen — würde das so viel ausmachen, Sir?»

Bolitho dachte an seine schriftlichen Befehle, an Conways kurze, aber klare Instruktionen.»Unter Umständen ja. «Er wartete, bis der Wein eingeschenkt war, und sagte dann:»Auf das, was wir erreichen können, Thomas!»

Herrick lachte kurz auf. »Darauf trinke ich mit!«Bolitho setzte sich an seinen Schreibtisch. Das Schiff stieg und glitt dann steil in ein Wellental. Er war froh, daß Keen und ein paar andere Rekonvaleszenten auf seinen ausdrücklichen Wunsch in Pendang Bay geblieben waren. Wenn das Schiff noch lange so stampfte und rollte, mußten ja die besten Wundnähte reißen.

«Admiral Conway beabsichtigte, die Bedford in See gehen zu lassen, sobald wir auf dem Wege zu den Benua-Inseln sind. Ich denke, er will die spanischen Soldaten so schnell wie möglich loswerden.»

Herrick sah ihn gespannt an.»Ein bißchen riskant, Sir, nicht wahr? Wo sich doch diese verdammte Argus immer noch hier herumtreibt?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Glaube ich nicht. Bestimmt haben die Franzosen oder Muljadi ihre Spione, die Conways Stützpunkt beobachten. Die werden gesehen haben, daß wir in See gegangen sind. Die Argus weiß inzwischen ganz genau, daß wir kommen.»

«So gerissen sind die also?«Herrick sah ganz finster aus bei diesem Gedanken.

«Damit müssen wir rechnen. Ich glaube, Conway hat recht. Es ist besser, wenn die Bedford mit den Kranken und den Depeschen für Madras weg ist, bevor es in Pendang Bay noch schlimmer wird.»

«Wenn ein richtiger Sturm aufkommt«, antwortete Herrick etwas optimistischer,»dann passiert erst mal gar nichts. Die Froschfresser mögen schlechtes Wetter nicht.»

Bolitho mußte über Herricks Gottvertrauen lächeln.»Diesem hier könnte das egal sein. Er ist lange in diesen Gewässern gesegelt. Das ist keiner von diesen Ein-Schuß-und-weg-Spezialisten, die vor Brest oder Lorient mal kurz die Nase in den Kanal stecken und nach Hause flitzen, sobald sie das erste englische Schiff zu Gesicht kriegen. «Er rieb sich das Kinn.»Dieser Le Chaumareys interessiert mich. Ich würde gern wissen, wie er als Mensch ist, nicht nur als Seemann und Kämpfer.»

Herrick nickte.»Er seinerseits scheint eine ganze Menge über Sie zu wissen, Sir.«»Zuviel.»

Eine mächtige Woge glitt unter das Achterdeck, hob das Schiff an, stellte es einen Moment lang steil, und ließ es dann in das nächste Wellental gleiten. Draußen vor der Tür stürzte der

Posten stehende Marineinfanterist der Länge nach hin; sie hörten das Klappern und Klirren der fallenden Muskete und sein Fluchen, während er sich aufrappelte. Langsam sagte Bolitho:

«Wenn wir mit dem Kapitän der Argus zusammentreffen, müssen wir die Augen offenhalten. Wenn er gewillt ist, zu verhandeln, erfahren wir vielleicht etwas. Andernfalls müssen wir bereit sein zu kämpfen.»

Herrick runzelte die Stirn.»Kämpfen wäre mir lieber, Sir. Das ist die einzige Methode, die ich kenne, um mit einem Franzosen klarzukommen.»

Bolitho mußte plötzlich an jenes Zimmer in der Admiralität denken und an die verschlossene Miene des Admirals Winslade, der ihm in aller Kürze die Mission der Undine angedeutet hatte. Vier Monate war das her. Es war Frieden — und doch waren Schiffe untergegangen, Menschen getötet oder für den Rest ihres Lebens zu Krüppeln geworden. Aber selbst die Herrschermacht Ihrer Lordschaften von der Admiralität, alle Gerissenheit und Erfahrung der Diplomaten waren hier nutzlos. Eine einsame, winddurchbrauste Fregatte, ein Minimum an Reserven, und kein Befehl von oben, wenn man ihn am allernötigsten brauchte! Herrick faßte Bolithos Verstummen als Signal auf. Er stellte seinen Becher zwischen den erhöhten Leisten des Tisches ab und stand vorsichtig auf.»Zeit für meine Runde, Sir. «Er lauschte mit schiefem Kopf auf das Gurgeln des Wassers in den Speigatten des Achterdecks.»Ich habe die Mittelwache; vielleicht kann ich vorher noch ein paar Minuten schlafen. «Bolitho zog seine Uhr und merkte, daß Herrick sie mißbilligend ansah.»Ich gehe jetzt in die Koje. Wir werden in Kürze doch alle rausmüssen.»

Und in der Tat kam es ihm vor, als seien es nur Minuten gewesen, seit er den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, als schon jemand an der Koje stand und ihm auf die Schulter klopfte. Es war Allday. Sein Schatten stieg und fiel im heftigen Schwanken der Deckenlaterne wie ein schwarzes Gespenst.

«Tut mir leid, Sie aufzuwecken, Captain; aber es wird oben immer schlimmer. «Er schwieg einen Moment, damit Bolitho sich sammeln konnte.»Mr. Herrick befahl mir, Ihnen Bescheid zu sagen.»

Bolitho taumelte aus der Koje. Unvermittelt spürte er, daß die Bewegungen des Schiffes noch unregelmäßiger geworden waren. Er zog Kniehosen und Stiefel an, streckte den Arm aus, um sich in das schwere Ölzeug helfen zu lassen, und fragte:

«Wie spät?«Allday mußte schreien, denn die See donnerte gegen den Schiffsrumpf und klatschte wütend über das Achterdeck.»Kurz vor der Morgenwache, Sir.»

«Sagen Sie Mr. Herrick Bescheid: die Wache soll sofort raus!«Er faßte Alldays Arm, und sie torkelten zusammen durch die Kajüte wie zwei betrunkene Matrosen.

«Alle Mann sofort an Deck! Ich bin in der Kartenkammer.»

Dort fand er bereits Mudge vor, der mit seinem massigen Oberkörper über dem Kartentisch lag und beim unsicheren Schein der wild schwingenden Deckenlampe leise fluchend die Karte studierte.

«Wie steht's?«fragte Bolitho knapp.

Mudge sah zu ihm auf. Rötlich glommen seine Augen in dem schwachen Lichtschein.»Schlecht, Sir. Die Segel gehen in Fetzen, wenn wir nicht 'ne Weile beidrehen. «Bolitho blickte auf die Karte. Seeraum war reichlich vorhanden. Wenigstens ein Trost. Er eilte zum Achterdeck-Niedergang und fiel beinahe hin, als das Schiff in Korkenzieherlinien gleichzeitig rollte und jumpte, doch er kämpfte sich zum Ruder durch. Vier Rudergasten standen am Rad. Sie waren festgelascht, damit sie nicht hinterrücks von einer Welle erwischt und über Bord gewaschen wurden. Sie kämpften mit den Spaken; ihre Augen glühten in der flackernden Kompaßbeleuchtung. Eben brüllte ihm Herrick zu:»Ich habe» Alle Mann «pfeifen lassen, Sir, und außerdem die Pumpen besetzt.»

Die Kompaßrose sprang und zuckte.»Recht so. Wir werden unter gerefftem Großbramsegel beidrehen. Davy soll die besten Männer sofort in den Mast schicken!»

Er fuhr herum. Ein kanonenschußähnlicher Knall übertönte die brüllende See, und er sah, wie das Besanmarssegel mitten auseinanderriß; die Teile zerfledderten noch in einzelne Streifen, die sich bleich gegen die schwarzen, tief dahinjagenden Wolken abhoben. Er hörte das trübselige Janken der Pumpen, die heiseren Rufe der Männer, die sich zu ihren Stationen durchkämpften und sich vor den schäumenden Wassern unter die Decksgänge duckten.

Fowlar rief, trotz des furchtbaren Durcheinanders schadenfroh grinsend:»Das Segel hat der Segelmacher gerade geflickt, Sir! Der wird sich ganz schön ärgern.»

Bolitho beobachtete die schwarzen Silhouetten der Toppmatrosen, wie sie geschickt in die schwirrende Takelage aufenterten. Manchmal drückte der Wind sie so fest gegen die Wanten, daß sie einen Moment reglos hängenblieben, ehe sie weiter zu den Topprahen aufentern konnten.

«Die Barkaß ist über Bord gewaschen, Sir!«schrie Mudge. Aber niemand reagierte darauf, und Herrick spuckte erst einen Mundvoll Spritzwasser aus, ehe er sagte:»Das Vormarssegel wird eben eingeholt, Sir. Die Jungen arbeiten großartig.»

Da sauste etwas gegen die straffen Leinen und schlug mit dumpfem tödlichem Krach auf die Planken des Geschützdecks.

«Mann von oben!«brüllte Herrick.»Bringt ihn zum Arzt!»

Bolitho biß sich auf die Lippe. Sehr unwahrscheinlich, daß der Mann einen solchen Sturz überlebt hatte. Meter um Meter kämpfte sich die Undine in den Wind; vom Achterdeck bis zum Bug schlugen die Wogen über das Deck. Die Männer klammerten sich an die festgezurrten Geschütze oder an die Deckstützen, um nicht vom Sog der zurückflutenden Seen über Bord gewaschen zu werden.

«Jetzt können wir ihn abreiten!«rief Mudge heiser. Bolitho nickte. Der Kopf wirbelte ihm von der brutalen Heftigkeit des aufprallenden Sturmes.»Wir setzen das Besansegel, wenn das Großmarssegel wegfliegt! Der Bootsmann soll seine Leute bereit halten — wenn es soweit ist, muß es verdammt fix gehen!»

Eine Vorleine schlang sich um seine Taille, und er blickte in Alldays grinsendes Gesicht.»Sie kümmern sich um uns, Captain — ich kümmere mich um Sie!«Bolitho nickte; er hatte kaum noch Atem. Dann hielt er sich an den klitschnassen Finknetzen und spähte durch das nadelscharfe Sprühwasser über sein Schiff. Ein glückhaftes Schiff? Vielleicht hatte er das zu früh gesagt und damit das Schicksal herausgefordert.

«Kurz vor Sonnenaufgang könnte es vorbei sein«, keuchte Herrick.

Aber als die Morgendämmerung tatsächlich kam und Bolitho die zornigen, kupferroten Wolken über die endlosen, zerfetzten, schaumbedeckten Wogenkämme fliegen sah, da wußte er, daß der Sturm den Kampf nicht so leicht aufgeben würde. Hoch überm Deck flatterten zerrissene Leinen wie verdorrte Schlingpflanzen im Wind, und das einsame Marssegel stand so voll, daß es ebenfalls jeden Moment reißen konnte.

Er blickte auf Herrick, dessen Nacken und Hände wund waren von Salzwasser und Wind. Die anderen sahen nicht besser aus — zerknittert, kaputt, müde. Er mußte an die Argus denken; vielleicht lag sie sicher im geschützten Hafen. Die blanke Wut kam ihm hoch.

«Schicken Sie ein paar Mann nach oben, Mr. Herrick. Da ist allerhand zu tun!«Aber Herrick zog sich eben Hand über Hand an den Netzen zur Reling. Bolitho wischte sich Mund und Gesicht mit dem Ärmel ab. Wenn die Mannschaft diesen Sturm abwettern konnte, dachte er, dann war sie allem gewachsen.

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