IX Geschenk von zarter Hand

Eine Stunde vor Ablösung der Morgenwache kam Bolitho an Deck, um diese friedlichste Zeit des Tages zu genießen. Das Hemd offen bis zum Gürtel, ging er zur Luvseite und studierte genau jedes Segel; dann erst trat er zum Kompaß und kontrollierte den Kurs. Madras lag seit zwölf Tagen hinter ihnen; aber der Wind, der sich so vielversprechend angelassen hatte, war zu einer sanften Brise abgeflaut, so daß es unwahrscheinlich wurde, daß sie mehr als vier Knoten machen konnten, selbst wenn sie jeden Fetzen Tuch setzten.

Fowlar kritzelte gerade etwas auf die Tafel neben dem Rad, richtete sich aber auf, als Bolitho kam, berührte grüßend die Stirn und meldete:»Kurs Südost, Sir. Voll und bei.»

Bolitho nickte, beschattete seine Augen und studierte aufs neue die Segel. Der Wind, soweit von Wind die Rede sein konnte, kam aus Südwesten, und die Rahen der Undine waren dicht gebraßt, während sie über Backbordbug segelte. Ungefähr eine Meile voraus lag die Brigg Rosalind, die keine Schwierigkeiten hatte, das Tempo ihres schwereren Begleitschiffes zu halten. Bolitho fühlte sich versucht, ein Fernrohr zu nehmen und sie etwas genauer zu studieren.

Anscheinend dachte Fowlar, er müsse außer der bloßen Kursmeldung etwas mehr sagen.»Wir könnten noch vor

Sonnenuntergang bessere Fahrt machen, Sir. Mr. Mudge denkt, der Wind wird auffrischen, wenn wir erst in die Straße von Malakka kommen.»

«Äh — ja. «Bolitho versuchte, sich zu konzentrieren. Vom Deck der Rosalind aus mußte die Undine unter vollen Segeln einen großartigen Anblick bieten. Aber diesmal war ihm das ein karger Trost. Er wollte mehr Fahrt machen, um seine eigentliche Aufgabe in Angriff zu nehmen. Dieses Dahinschleichen mochte für einen Poeten oder Maler sehr idyllisch sein, aber es ließ ihm zuviel Zeit für andere Gedanken.

Davy kam eilig herbei.»Entschuldigen Sie, Sir, ich habe Sie nicht an Deck kommen sehen«, sagte er mit besorgt gerunzelter Stirn und machte eine Handbewegung zum Großmast hin.»Ich mußte mich mit der Beschwerde eines Soldaten befassen. Nichts von Bedeutung«, setzte er beflissen hinzu.

«Sie sind Offizier der Wache, Mr. Davy. Allmählich könnten Sie wissen, daß ich mich nicht in Ihren Dienst mische, bloß um mich wichtig zu machen. «Er lächelte.»Schöner Tag heute, nicht wahr?»

«Jawohl, Sir. «Davy folgte mit den Augen Bolithos prüfendem Blick. Das Meer war sehr blau, und außer der niedrigen Brigg gab es kein Fleckchen, weder Land noch ein anderes Schiff, das die Leere, diese unendliche Weite unterbrach.

Beiläufig fragte Davy:»Stimmt es, Sir, daß solche Missionen manchmal zur ständigen Verwendung im Kolonialdienst führen,

Sir?»

Bolitho nickte.»Bei Konteradmiral Conway ist das der Fall. «Er blickte nachdenklich in Davys gebräuntes Gesicht. Der Leutnant hatte irgendwelche Sorgen. So etwas sah man ihm immer gleich an, genau wie damals, als nicht er, sondern Soames das Kommando bei dem Überfall auf die Sklavenjäger bekam.

«Ich dachte…«, setzte Davy zögernd an.»Ich bin selbstverständlich mit dem Dienst bei der Königlichen Marine durchaus zufrieden. Er ist genau das, was ich will. Als erster meiner Familie bin ich zur See gegangen. Mein Vater war Kaufmann in der City und hielt nichts vom Dienst. Er wollte mich durchaus nicht zur See gehen lassen.»

Dieses Herumreden, dachte Bolitho, erwiderte aber ermunternd:»Bei Mr. Herrick war es auch so: der erste Seemann in der Familie.»

«Ja. «Jetzt kam Soames den Niedergang herauf, gähnte und sah nach der Uhr. Davy machte ein verzweifeltes Gesicht.»Also — das ist nicht ganz das, was ich meinte, Sir.»

Bolitho wandte sich um und sah ihn voll an.»Mr. Davy, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie endlich zur Sache kämen. In einer Stunde ist es so heiß wie im Backofen, und ich würde meinen Spaziergang gern noch vor dem Frühstück machen, nicht erst nach dem Dinner.»

Davy biß sich auf die Lippen.»Entschuldigung, Sir! Ich will es erklären. «Dann schlug er die Augen nieder.»Darf ich von Ihrem Bruder sprechen, Sir?»

Bolitho erstarrte.»Von meinem verstorbenen Bruder?»

«Ich wollte nicht unverschämt sein, Sir. «Davy hob den Kopf und sprach jetzt rasch weiter.»Ich habe irgendwo gehört, daß er den Dienst quittiert hatte.»

Bolitho wartete ab. Er wurde diese Sache mit Hugh eben nicht los. Jetzt riskierte schon sein Zweiter Leutnant einen Anpfiff, bloß um seine Neugier zu befriedigen. Aber er irrte sich in Davys Fall.

«Es war wegen Spielschulden, habe ich gehört?«fragte Davy leise und mit so kläglich flehendem Gesicht, daß Bolitho seine Verbitterung vergaß und fragte:»Ist das Ihr Problem? Spielschulden?»

«Jawohl, Sir. Wie ein rechter Narr versuchte ich in London, meine Verluste zurückzugewinnen. Jetzt, da mein Vater tot ist, bin ich verantwortlich für das Wohl meiner Mutter und für unseren Grundbesitz. «Verlegen blickte Davy zur Seite.»In Kriegszeiten hätte ich mit schnellerer Beförderung und entsprechenden Prisengeldern rechnen können, Sir.»

«Genauso schnell hätten Sie den Tod finden können. «Doch er fragte freundlich weiter:»Wollen Sie mir verraten, wieviel Schulden Sie haben?»

«Zwanzigtausend, Sir.»

Bolitho fuhr sich durchs Haar.»Das ist ungefähr so viel, wie die Undine und die Brigg zusammen kosten. Ich hätte Sie für vernünftiger gehalten.»

«Vielleicht hätte ich es Ihnen nicht sagen sollen, Sir. «Davy war rot geworden und sah ganz elend aus.

«Nein. Es ist besser, wenn ich es weiß. Hier draußen sind Sie wenigstens sicher vor Ihren Gläubigern. «Er blickte Davy einigermaßen erschüttert an.»Aber zwanzigtausend Pfund sind ein kleines Vermögen!»

Soames stapfte vorbei und winkte seinen Bootsmannsmaaten.»Lassen Sie die Wache an Deck pfeifen, Kellock!«Sorgfältig vermied er die Luvseite.

Davy beeilte sich; er wußte, daß Soames darauf wartete, ihn abzulösen.»Sehen Sie, Sir, ich dachte, daß ich auf so einer Reise wie dieser eine neue Stellung finden könnte.»

«Verstehe. Aber wir haben einen Schutzauftrag. Es geht nicht um Entdeckungen oder einen spanischen Goldschatz. «Er nickte Soames zu und sagte dann:»Aber ich werde Ihre Angelegenheit im Auge behalten.»

Während die beiden Leutnants sich über den Kompaß beugten, nahm Bolitho seinen Spaziergang an Deck wieder auf. Eben gingen Keen und Armitage den Backborddecksgang entlang; er schickte ein stilles Gebet zum Himmel, die beiden Midshipmen möchten vor Davys Schicksal bewahrt bleiben, oder auch vor dem seines Bruders Hugh.

Bei Keen lagen die Familienverhältnisse ähnlich wie bei Davy. Auch er hatte einen reichen Vater und reiche Verwandte, die nicht im Dienst des Königs zu Geld und Gut gekommen waren, sondern durch Handel und Gewerbe. Als Davys Vater starb, war sein Sohn völlig ungewappnet gegen die Versuchungen gewesen, die ihm sein Erbe ermöglichte. Keen andererseits war zur See geschickt worden, eben weil sein Vater reich war und großen Einfluß hatte. Herrick hatte Bolitho einmal erzählt, daß Keen selber ihm das während einer Nachtwache im Indischen Ozean anvertraut hatte.»Um einen Mann aus ihm zu machen. «Keen schien das ziemlich komisch zu finden, wie Herrick berichtete. Doch nach Bolithos Meinung mußte der alte Keen ein sehr bemerkenswerter Herr sein. Es gab nicht viele, die das Leben und die heilen Knochen ihres Sohnes aus einem solchen Grund aufs Spiel setzten.

Er sah Noddall mit einer Kanne heißen Wassers übers Geschützdeck hasten. Also war Conway aufgestanden und wartete aufs Rasieren. Es war überraschend, wie wenig im normalen Bordalltag von Conways Anwesenheit zu spüren war. Aber er hatte es selbst so gewollt. Was nicht hieß, daß er sich nicht für das Schiff interessierte, ganz im Gegenteil. Jedesmal, wenn ein anderes Schiff gesichtet oder wenn zum Reffen oder Segelsetzen gepfiffen wurde, war Conway da und paßte auf. Einmal, als sie einen halben Tag in einer Flaute lagen, hatten die Matrosen ein Netz ausgebracht, um vielleicht etwas frischen Fisch zu besorgen. Sie fingen nur ein paar Flundern und ein paar plattköpfige Fische, die Mudge sachverständig als» Seefüchse «bezeichnete; aber Conway hatte so viel Spaß daran gehabt, als hätten sie einen Wal gefangen.

Es war, als ob er jede Stunde bewußt auslebte wie ein Gefangener, der sein Urteil erwartete. Kein erfreulicher Anblick. Bolitho war knapp achtundzwanzig Jahre alt; aber als Fregattenkapitän mit zwei selbständigen Kommandos hinter sich hatte er gelernt, das Urteil der Marine zu akzeptieren, wenn er auch manchmal anderer Meinung war.

Eines Abends beim Dinner hatte er erfahren, was mit Conway geschehen war. Es war zwei Tage nach Madras gewesen, und Bolitho hatte Noddall befohlen, ein paar Flaschen vom besten Wein zu bringen, weil er Conway etwas Besonderes bieten wollte. Es war ein Madeira, der teuerste, den er jemals im Leben gekauft hatte. Conway schien das kaum zu merken. Er hatte ihn hinuntergegossen wie Apfelwein, ohne einen Ton dazu zu sagen. Aber er hatte sich schwer betrunken. Nicht langsam oder weil er nicht aufgepaßt hätte; auch nicht, weil er zeigen wollte, was er vertragen konnte. Sondern ganz bewußt wie jemand, der zu oft allein war und die Wirklichkeit möglichst schnell vergessen wollte.

Es war vor zwei Jahren in eben diesen Gewässern passiert, als Suffren, der französische Admiral, den Hafen Trincomali auf Ceylon eingenommen und dabei Englands Macht in Indien fast gebrochen hatte. Conway hatte seine Geschichte erzählt, als sei Bolitho gar nicht da. Als wolle er sich bloß vergewissern, daß er sich noch an alles erinnerte.

Conway war damals Kommandant eines Küstengeschwaders gewesen und hatte die Aufgabe, Versorgungsschiffe und militärische Geleitzüge zu schützen. Eine Schaluppe hatte die Nachricht gebracht, daß ein französisches Geschwader vor der ceylonesischen Küste eingetroffen war, und ohne Zögern war er ausgelaufen, um die feindlichen Schiffe anzugreifen und sie so lange unter Feuer zu nehmen, bis die Hauptmacht eintraf, um sie zu vernichten.

Aber Conway wußte nicht, daß ihn eine andere Schaluppe überall suchte, mit neuen Befehlen für die Verteidigung von Trincomali. Conway erreichte das Gebiet, wo die Franzosen gesichtet worden waren — aber sie waren schon weg. Er hörte von Fischern, daß sie eben dorthin gesegelt waren, wo er herkam; und mit einer Nervosität, die sich Bolitho nur zu gut vorstellen konnte, war er mit seinen Schiffen auf Gegenkurs gegangen. Er fand die Franzosen und konnte gerade noch ihre Nachhut in ein kurzes, unbefriedigendes Gefecht verwickeln, doch verloren seine Schiffe in dieser Nacht die Verbindung zueinander. Als sich sein kleines Geschwader beim Morgengrauen wieder sammelte, waren die Versorgungsschiffe, die er hätte schützen sollen, gekapert oder vernichtet; und als er Signalverbindung mit der Schaluppe des Admirals bekam, hatte sie abermals neue Befehle für ihn: Trincomali war erobert worden.

In der Stille der Kajüte sprach Conway immer lauter; schließlich schrie er wie im Fieber.»Noch einen Tag, und ich hätte sie fertiggemacht! Dann hätte uns weder Suffren noch sonst ein Admiral aus Ceylon vertrieben!»

Bolitho blickte hoch. Die ersten Trupps schwärmten auf die Rahen aus, um die regelmäßigen Reparaturen zu besorgen, um zu spleißen und zu flicken. Es war nur zu klar: Conway hätte auch als Held aus der Affäre hervorgehen können. Statt dessen machte man ihn zum Sündenbock. Doch mußte er, wie Bolitho annahm, immer noch über einigen Einfluß verfügen. Ein Gouverneursposten, ganz gleich wo, das sah immer noch mehr nach einer Belohnung aus als nach Schimpf und Schande.

Plötzlich wurde Bolitho hellwach und hielt auf seinem Spaziergang inne. Vielleicht gab es noch einen Anlaß dafür, einen viel heimtückischeren. Vielleicht sollte Conway wieder als Sündenbock dienen?

Aber er schüttelte den Kopf. Was hätte das für einen Sinn gehabt?

Allday kam über das Achterdeck.»Frühstück ist fertig, Captain. «Mit zusammengekniffenen Augen spähte er zur Brigg hinüber.»Sie ist also immer noch da?«Er lächelte, unbewegt von Bolithos starrem Blick.»Das ist gut.»

Bolitho sah ihn nachdenklich an. Es war derselbe Blick wie damals in Madras, als er die Gig für ihn klargemacht hatte.»Danke«, sagte er kalt.»Was finden Sie daran so besonders gut?»

Allday hob die Schultern.»Schwer zu sagen, Captain. Es ist so eine Art warmes Gefühl im Bauch — ich habe das manchmal. Ganz angenehm.»

Bolitho schritt an ihm vorbei zum Kajütniedergang. Der Morgen war ihm verdorben. Als er in die schattige Kühle zwischen den beiden Decks trat, stellte er sich vor, was Viola Raymond jetzt eine Meile voraus an Bord der Brigg wohl tat.

Ihr Mann würde sie nicht aus den Augen lassen. Und» Mister Pigsliver «würde beide beobachten.

Es war immer noch schwer zu sagen, was sie wirklich von ihm hielt, ob sie seine Eroberung als ein Spiel betrachtete. Es gab allerlei distinguierte Gäste in der Residenz des Gouverneurs, Militärs, Beamte der Company und andere; aber sie war von Anfang an fest entschlossen gewesen, gerade ihn an sich zu fesseln. Zwar hatte sie es nie direkt ausgesprochen, es zeigte sich an ihrer Erregtheit, ihrer spitzbübischen Rücksichtslosigkeit: eine Herausforderung, die er einfach nicht übersehen konnte.

Bald hatte sie ihn nicht mehr auf Abstand gehalten; und ein paarmal hatte sie ihre Hand auf der seinen ruhen lassen, selbst wenn Raymond in der Nähe war.

Am letzten Abend, als er im Begriff war, wieder an Bord zu gehen, war sie ihm auf die dunkle Terrasse an der inneren Mauer nachgekommen und hatte ihm eine kleine Schachtel hingehalten.»Für Sie. «Ganz beiläufig hatte sie es gesagt; aber er sah, wie ihre Augen glänzten, und wie erregt sich ihre Brust unter dem eleganten Kleid hob, als er die Schachtel öffnete. Es war eine goldene Uhr.

Er wandte sie in den Händen hin und her; Viola ergriff seinen Arm und flüsterte:»Nie werde ich Ihr Gesicht damals vergessen… «Diesmal hatte sie nicht gelacht.»Weisen Sie mein kleines Geschenk nicht zurück… Bitte!»

Er nahm ihre Hand und küßte sie, versuchte zu begreifen, was er tat, sah alle Gefahren voraus — doch sie waren ihm völlig gleichgültig.

«Es ist ganz gut, daß wir nicht auf demselben Schiff reisen, Captain!«Lachend zog sie seine Hand an ihre Brust.»Fühlen Sie, wie mein Herz schon jetzt klopft? Eine Woche oder auch nur einen Tag — was da alles passieren könnte!»

Bolitho trat an dem Posten vorbei in die Kajüte. Diese Minuten gingen ihm nicht aus dem Sinn.

Conway bestrich sich eben einen Zwieback dick mit Sirup; sein schütteres Haar war von der leichten Brise zerzaust, die durch ein offenes Heckfenster hereindrang.

«Wie spät ist es, Bolitho?»

«Wie — spät, Sir?»

Conway warf ihm einen verschlagenen Blick zu, ehe er in seinen Zwieback biß.»Ich bemerkte, daß Sie Ihre, äh, neue Uhr in der Hand hatten und dachte, die Uhrzeit wäre irgendwie von Wichtigkeit.»

Bolitho starrte ihn verdutzt an. Wieder kam er sich vor wie ein Midshipman vor seinem Captain. Dann grinste er freimütig.»Es war nur eine Erinnerung, nichts weiter.»

Conway schnaubte verächtlich durch die Nase.»Kann ich mir lebhaft vorstellen.»

«Ein schöner Anblick, Thomas. «Bolitho ließ das Teleskop sinken und wischte sich die Stirn mit dem Handrücken. Gnadenlos brannte die Sonne herab, aber wie die meisten Männer an Deck oder oben in den Wanten spürte er sie im Augenblick nicht. Fünfzehn Tage seit Madras, und trotz des widrigen Windes hatte die Undine gute Fahrt gemacht. Schon oft in seiner Fahrenszeit hatte Bolitho Land gesichtet; aber jedesmal, wenn er nach den Zufällen, von denen die Seefahrt letztlich abhing, das Ziel der Reise vor sich sah, erregte ihn der Anblick der Küste aufs neue.

Und jetzt sah er, undeutlich wegen des Gleißens von Meer und Himmel, ein Fleckchen Grün an Backbord voraus, und wieder überkamen ihn Erregung und Befriedigung. Das war die schmalste Stelle der Straße von Malakka. Steuerbords, selbst für den Ausguck im Masttopp unsichtbar, lag die riesige, wie ein Krummschwert gebogene Insel Sumatra, als wolle sie die Meerenge abriegeln, so daß sie in alle Ewigkeit auf fremden Meeren segeln mußten.

«Kommt mir ungemütlich eng vor, Sir«, bemerkte Herrick.

Bolitho lächelte.»Breiter als der Ärmelkanal, Thomas. Der Steuermann schwört, es wäre der sicherste Kurs.»

«Vielleicht. «Herrick beschattete die Augen mit der Hand.»Das ist also Malakka? Kaum zu glauben, daß wir überhaupt so weit gekommen sind.»

«Und in etwa fünf Tagen werden wir mit Gottes Hilfe in der Pendang Bay Anker werfen. «Er sah Zweifel in Herricks blauen Augen.»Na los, Thomas, loben Sie unser Glück!»

«Ja, Sir. Ich weiß recht gut, daß es eine schnelle Reise war, und ich bin ebenso zufrieden wie Sie. «Er fingerte an seiner Gürtelschnalle herum.»Aber etwas anderes macht mir mehr Sorgen.»

«Aha. «Bolihto wußte, was kommen würde. Er hatte wohl gemerkt, daß Herrick in diesen zwei Wochen mit jedem Tag besorgter aussah. Da er sehr viel Zeit mit dem Admiral verbringen mußte, hatte er wenig Gelegenheit gehabt, mit Herrick zusammen zu sein: mal ein Gang über Deck vor Sonnenuntergang, eine Pfeife Tabak, ein Glas Wein miteinander.

Jetzt sprach Herrick es unverblümt aus.»Alle wissen Bescheid, Sir. Es steht mir nicht zu, über Ihr Verhalten zu urteilen, aber… »

«Aber das ist genau das, was Sie jetzt tun, nicht wahr?«Bolitho lächelte nachdenklich.»Ist schon gut, Thomas, ich reiße Ihnen nicht den Kopf ab.»

Doch Herrick blieb ernst.»Es ist kein Spaß, Sir. Die Lady ist schließlich mit einem hochgestellten Gouvernementsbeamten verheiratet. Wenn diese Affäre nach London durchsickert, dann sind Sie in Gefahr, und das ist eine Tatsache.»

«Vielen Dank für Ihre Besorgnis. «Bolitho spähte voraus. Weit vor dem träge tanzenden Bugspriet der Undine segelte die Rosalind an Untiefen und Sandbänken vorbei, wie zweifellos schon manches liebe Mal.

«Aber darüber möchte ich nicht reden. Auch nicht mit Ihnen; schließlich halten Sie alles, was ich dazu sage, für verkehrt.»

«Gewiß, Sir, ich bitte um Entschuldigung. «Aber dickköpfig redete er weiter.»Ich kann einfach nicht dabeistehen und zusehen, wie Sie durch anderer Leute Schuld kaputtgehen. Ich muß wenigstens versuchen, Ihnen zu helfen.»

Bolitho ergriff seinen Arm.»Trotzdem wollen wir über diese Angelegenheit nicht mehr reden, Thomas. Einverstanden?»

«Aye, Sir. «Aber Herrick sah dabei unglücklich aus.»Wenn Sie es so haben wollen… »

Ein Matrose kam aus der Kombüse und verschwand in einem Niedergang; er trug Pütz und Schrubber.

«Der Schiffsarzt hat sich schon wieder übergeben«, sagte Herrick müde.»Der Mann da soll vermutlich seine Kajüte klarieren.»

«Betrunken, natürlich?»

«Sieht so aus. Aber er hat eben wenig zu tun, Sir; unsere Leute sind bemerkenswert gesund.»

«Ist auch besser so. «Unvernünftigerweise wurde Bolitho jetzt gereizt.»Was, in drei Teufels Namen, soll ich bloß mit Whitmarsh machen?»

«Es geht ihm eine Menge im Kopf herum, Sir.»

«Anderen Leuten auch.»

Herrick bemühte sich, gelassen zu sprechen.»Er hat zusehen müssen, wie sein jüngerer Bruder wegen eines Verbrechens gehängt wurde, das er, wie sich später herausstellte, nicht begangen hatte. Und selbst wenn er schuldig gewesen wäre, dann wäre es immer noch ein furchtbares Erlebnis gewesen.»

Bolitho stieß sich von der Reling ab und fuhr herum.»Wie haben Sie denn das erfahren?»

«In Madras. Er kam betrunken an Bord, und ich war ein bißchen grob mit ihm. Da brüllte er mir die Geschichte ins Gesicht. Es macht ihn kaputt.»

«Ich danke Ihnen, daß Sie es mir erzählt haben — wenn auch ein bißchen spät.»

Herrick wich nicht zurück.»Sie waren sehr beschäftigt, Sir. Ich wollte Sie nicht belästigen.»

Bolitho seufzte.»Verstehe schon. Aber in Zukunft möchte ich solche Dinge sofort hören. Die meisten Schiffsärzte sind bloße Schlächter. Whitmarsh ist etwas Besseres. Aber ein ständig betrunkener Arzt ist eine Gefahr für jeden an Bord. Die Sache mit seinem Bruder tut mir leid; ich kann seine Gefühle verstehen. «Er blickte Herrick ruhig ins Gesicht.»Wir müssen sehen, was wir tun können, damit er wieder einigermaßen in Ordnung kommt, ob es ihm nun paßt oder nicht.»

Herrick nickte ernsthaft.»Ganz meine Meinung, Sir. Der Patient kann seine Krankheit selbst am wenigsten beurteilen. «Er unterdrückte ein Grinsen.»Wenn Sie verstehen, was ich meine, Sir.»

Bolitho schlug ihm auf die Schulter.»Bei Gott, Thomas, Sie gehen wirklich zu weit. Es wundert mich gar nicht, daß Ihr Vater Sie zur See geschickt hat. «Damit ging er das schrägliegende Deck hinauf nach Luv und überließ es Herrick, die Wache zu kontrollieren.

Also wußten alle Bescheid. Bolitho strich über die Uhrtasche seiner Hose. Was hätte Herrick erst gesagt, wenn er die Gravur auf der Innenseite des Deckels hätte lesen können?

«Wir gehen gleich über Stag, Mr. Herrick. «Bolitho trat zum Kompaß und blickte über Mudges Schulter.»Kurs Nordnordost.»

Herrick faßte an den Hut.»Aye, aye, Sir«, sagte er, ebenso dienstlich wie sein Captain.


Fünf Tage waren vergangen, seit sie über Viola Raymond und über des Doktors private Probleme gesprochen hatten; und

Bolithos Stimmung war besser denn je. Auf dem Schiff hatte sich eine regelmäßige, gelassene Routine eingespielt, sogar das Exerzieren ging ohne Klagen vor sich. Die Mannschaft der Undine hatte zwar in bezug auf Geschützdienst noch allerlei zu lernen, aber immerhin arbeitete jetzt an jeder Kanone eine eingespielte Bedienung und nicht ein kopflos durcheinanderstolpernder Haufen.

Bolitho hob das Fernrohr und studierte die neuen Formen und Muster des Horizonts. Mudge hatte ihm versichert, daß Pendang Bay nur noch etwa fünf Seemeilen voraus lag, aber trotzdem war es schwer zu glauben, daß sie das Ziel ihrer Reise so gut wie erreicht hatten. Nach fünftausend Meilen eine andere Welt. Ein ganz anderes Leben.

«Alle Mann an die Brassen!«Bolitho hörte Schritte hinter sich und wandte sich um, denn er wollte sehen, was Conway, der eben an Deck kam, für ein Gesicht machte. Es war früher Morgen, und ein paar Sekunden lang dachte Bolitho, er bilde sich bloß ein, was er sah. Aber Conway trug wirklich große Konteradmiralsuniform mit Degen und Dreispitz. Den ersten hielt er etwas ungeschickt wie einen Zeigestock, als wäre er nicht sicher, was die Leute dazu sagen würden.

«Guten Morgen, Sir!«grüßte Bolitho. Herrick starrte sie beide an, die Sprechtrompete in der halberhobenen Hand vergessend.

Conway trat zu Bolitho an die Reling und lüftete grüßend den Hut. Die mächtigen Rahen knarrten im Chor; keuchend vor Anstrengung, holten die Matrosen die Brassen dicht.

«Na, was meinen Sie dazu?«fragte Conway argwöhnisch.

«Ich finde, Ihre Uniform ist dem Anlaß durchaus angemessen,

Sir.»

Conways Lippen wurden plötzlich schmal, und die Mundfalten vertieften sich noch mehr. Seine Dankbarkeit, denn das und nichts anderes war es, war rührend, ja herzbewegend anzusehen.»Sie ist natürlich noch nicht gebügelt. Ich habe sie nur anprobiert, um zu sehen, ob etwas geändert werden muß. «Und schärferen Tones:»Wenn ich schon Gouverneur bin, dann sollen sie gleich bei der Landung sehen, woher der Wind weht — hol sie alle der Teufel!»

Midshipman Armitage beobachtete die Brigg, die ihre Rahen braßte, um in Lee der Undine zu bleiben.

«Ein Gewitter, Sir«, sagte er nervös. Aber Bolitho hatte bereits ein Fernrohr ergriffen.

«Diesmal nicht, Mr. Armitage. «Er wandte sich Herrick zu.»Segel kürzen, Mr. Herrick, und dann alle Mann auf Stationen!»«

Sie starrten ihn an wie einen völlig Fremden.

«Diese Sorte Gewitter kenne ich nämlich.»

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