XVI Weder besser noch schlechter als andere

Langsam schlenderte Bolitho an der Brustwehr auf der Landseite des Stützpunktes Pendang Bay entlang. Dunst stieg aus dem Dschungel empor; die Nachmittagssonne spielte auf den Blättern und Palmwedeln neben der Palisade. Kurz vor Mittag hatte die Undine bei blauem Himmel Anker geworfen, obwohl sie bei ihrer Annäherung den Stützpunkt noch unter einer dunklen Wetterwolke hatten liegen sehen und die Bewohner fast um den kurzen Regenguß beneideten. Jetzt atmete er widerwillig den dumpfigen Geruch der verrottenden Blätter und der tief im Schatten verborgenen Wurzeln ein, der Kopfschmerzen verursachte.

In den letzten zwei Tagen hatte sich die Undine mit widrigen Winden herumschlagen müssen; als sich der Wind schließlich drehte und günstiger zu ihrem Kurs stand, war er kaum mehr als ein Hauch und brachte nur wenig Leben in die Segel.

Er beobachtete ein paar rotröckige Sepoys, die außerhalb der Palisade arbeiteten, und zwei eingeborene Frauen, die sich mit Kopflasten dem Tor näherten. Auf den ersten Blick schien sich nichts verändert zu haben; dennoch fühlte er, in Erwartung einer weiteren Unterredung mit Conway — der zweiten innerhalb einer Stunde — , daß alles anders geworden war,

Er schritt weiter zur nächsten Ecke der primitiven, aus Pfählen errichteten Brustwehr. Unten lag die Undine an ihrer Ankertrosse, den erbeuteten Schoner dicht vor ihrem Bug. Als er zum flachen Wasser hinübersah, wo die Rosalind gelegen hatte, als er die Reise zu Muljadis Festung antrat, konnte er kaum das Fluchen unterdrücken. Sie war weg, ebenso das Transportschiff, die Bedford, zurückgesegelt nach Madras, mit Depeschen und Raymonds persönlichem Lagebericht für Sir Montagu Strang.

Als Bolitho sich eine halbe Stunde nach dem Ankerwerfen bei Conway gemeldet hatte, war er über dessen schlechtes Aussehen erschüttert. Conway wirkte gebeugter denn je, seine Augen glühten, und er schien vor Zorn und Verzweiflung fast außer sich zu sein.

«Sie wagen es«, hatte er Bolitho angebrüllt,»sich hinzustellen und mir zu erklären, daß Sie meine Befehle vorsätzlich mißachtet haben? Daß Sie, entgegen meinen ausdrücklichen Instruktionen, überhaupt nicht erst versucht haben, mit Le Chaumareys zu verhandeln?»

Bolitho stand bewegungslos, die Augen fest auf Conways verzerrtes Gesicht gerichtet. Eine leere Karaffe lag umgestürzt auf dem Tisch. Unverkennbar hatte Conway schon länger stark getrunken.

«Ich konnte nicht verhandeln, Sir. Das hätte die Anerkennung Muljadis bedeutet, und genau das wollen die Franzosen.»

«Sie glauben wohl, mir was Neues zu erzählen?«Conway packte heftig die Tischplatte.»Auf meinen ausdrücklichen Befehl hin sollten Sie von Le Chaumareys fordern, daß er Colonel Pastor unversehrt freiläßt! Die spanische Regierung hätte England schwere Vorwürfe machen können, weil wir ihn tatenlos und vor unseren Augen in Muljadis Gefangenschaft leiden ließen!»

Bolitho erinnerte sich gut, mit welcher Mühe er seine Stimme unter Kontrolle gehalten hatte. Trotz seiner Erregung hatte sie völlig ausdruckslos geklungen. Er wollte Conway nicht noch mehr in Wut bringen.

«Als ich wußte, daß ich Muljadis Sohn gefangengenommen hatte, konnte ich die Bedingungen stellen, Sir«, hatte er geantwortet.»Die Chancen standen gut für mich. Und wie sich herausstellte, kamen wir gerade noch zur rechten Zeit. Ich fürchte, ein paar Tage später wäre Pastor tot gewesen.»

«Zum Teufel mit Pastor!«hatte Conway gebrüllt.»Sie erwischen Muljadis Sohn — und wagen es, ihn freizulassen! Kniefällig und zu allem bereit hätte uns dieser blutige Seeräuber um das Leben seines Sohnes gebeten!»

Unvermittelt hatte Bolitho gesagt:»In den letzten Monaten des Krieges ist in diesen Gewässern eine Fregatte verlorengegangen.»

Conway hatte sich überrumpeln lassen.»Stimmt. Die Imogen unter Captain Balfour. «Die Sonne blendete ihn, er kniff die Augen zusammen.»Achtundzwanzig Geschütze. War im Gefecht mit den Franzosen, ist dann in einen Sturm geraten und gestrandet. Ihre Mannschaft wurde von einer meiner Schaluppen übernommen. Was, zur Hölle, hat sie damit zu tun?»

«Alles, Sir. Hätte ich nicht mit Muljadi persönlich gesprochen, so wären wir völlig ahnungslos. Die Imogen liegt hier, Sir, im Benua-Archipel, und zwar — soweit ich gesehen habe — vollständig seeklar. Sie hätte uns mit ihrer Kampfkraft völlig überrascht.»

Conway war gegen den Tisch getaumelt, als hätte ihm Bolitho einen Schlag versetzt.»Wenn das ein Trick von Ihnen ist, irgendein Schwindel, um… »

«Nein. Sie ist da, Sir. Neu ausgerüstet und repariert, und die Mannschaft, darüber habe ich nicht die geringsten Zweifel, wurde von Le Chaumareys' Offizieren aufs beste ausgebildet. «Er konnte seine Verbitterung nicht verbergen.»Ich hatte gehofft, die Brigg Rosalind sei noch hier. Dann hätten Sie Nachricht schicken und Verstärkung anfordern können. Jetzt haben wir keine Wahl mehr.»

Der nächste Teil der Unterredung war am schlimmsten gewesen. Unsicher war Conway zum Büfett gegangen, hatte sich mit einer neuen Karaffe zu schaffen gemacht und dabei gemurmelt:»Man hat mich verraten, von Anfang an. Raymond bestand darauf, daß die Brigg nach Madras segelte. Sie war ein Schiff der Company, und ich konnte sie nicht länger hierbehalten. Er hatte alle Trümpfe auf seiner Seite. Und auch auf alle Einwände die Antworten parat. «Wie Blut war der Rotwein auf sein Hemd gespritzt.»Und ich?«brüllte er.»Ich bin weiter nichts als ein Strohmann! Ein Werkzeug, das Strang und seine Freunde benutzen, wie es ihnen paßt!»

Beim Eingießen hatte er den Becher an der Karaffe entzweigeschlagen und griff jetzt nach einem neuen.»Und nun kommen Sie, der einzige Mann, dem ich vertraue, und sagen mir, daß Muljadi meinen Stützpunkt jederzeit angreifen kann! Und Raymond… Ganz abgesehen davon, daß er mir dauernd Unfähigkeit nachweisen will, kann er jetzt seinen verfluchten Vorgesetzten auch noch berichten, daß ich nicht imstande bin, dieses Territorium der britischen Flagge zu erhalten.»

Lautlos hatte sich die Tür geöffnet, und Puigserver war eingetreten. Nach einem kurzen Blick auf Conway hatte er zu Bolitho gesagt:»Ich bin geblieben, um Ihre Rückkehr abzuwarten. Meine Leute sind mit der Bedford gesegelt, aber ich wollte nicht abreisen, ohne Ihnen dafür zu danken, daß Sie Pastor befreit haben. Sie haben es sich anscheinend angewöhnt, Ihr Leben für andere zu riskieren. Diesmal werden Sie, hoffe ich, nicht unbelohnt bleiben. «Wieder glitten seine schwarzen Augen zu Conway hinüber.»Nicht wahr, Admiral?»

Conway hatte ihn nur leeren Blicks angestarrt.»Ich muß nachdenken.»

«Das müssen wir alle. «Der Spanier hatte es sich in einem Sessel bequem gemacht und ließ den Blick nicht von Conway.»Ich hörte einiges durch die Tür. Wohlgemerkt, ich wollte nicht horchen, aber Ihre Stimme war ziemlich kräftig.»

Conway hatte nochmals versucht, sich zusammenzunehmen.»Dienstbesprechung, sofort!«Gläsern blickte er Bolitho an.»Sie warten draußen! Ich muß nachdenken.».

Jetzt, als Bolitho geistesabwesend auf die kleinen Gestalten unter der Palisade starrte, stieg wieder Ärger in ihm auf — und ein Gefühl der Dringlichkeit.

«Richard!»

Er fuhr herum und sah sie an der Ecke des Turmes im tiefen Schatten stehen; sie trug denselben breitrandigen Hut wie damals.

«Viola! Ich dachte schon…«Er war zu ihr geeilt und ergriff ihre Hände.

Sie schüttelte den Kopf.»Später. Hör zu. «Sanft berührte sie seine Wange, und ihre Augen waren plötzlich traurig.»Es hat so lange gedauert: elf Tage — aber für mich waren sie wie elf Jahre. Als der Sturm kam, war ich so in Sorge um dich.»

Er wollte etwas sagen, um den Schmerz in ihrer Stimme zu lindern, aber sie redete schnell weiter.»Ich glaube, James hat Verdacht geschöpft. Er war in letzter Zeit sehr merkwürdig. Vielleicht hat meine Zofe etwas verlauten lassen. Sie ist ein gutes Mädchen, aber wenn man ihr schmeichelt, kann sie den Mund nicht halten. «Viola blickte ihn forschend an.»Doch das spielt keine Rolle, er wird nichts unternehmen. Um dich mache ich mir Sorgen. «Sie senkte den Kopf.»Und es ist alles meine Schuld. Ich wollte, daß er in der Welt etwas darstellt — in erster Linie, fürchte ich, um meiner selbst willen. Ich habe ihn zu sehr angestachelt, ihn ständig vorwärtsgetrieben. Ich wollte ihn zu dem Mann machen, der er nie sein kann. «Sie preßte seine Hand.»Aber das alles weißt du ja.»

Unter der Brüstung erklangen Stimmen; Bolitho glaubte, auch Schritte zu hören. Gedämpft fuhr sie fort:»James hat Sir Montagu einen Geheimbericht gesendet. Er weiß jetzt, daß Conway nicht der richtige Mann für diesen Posten ist, und dieses Wissen wird er zu seinem eigenen Vorteil verwenden. Aber auch von dir, mein geliebter Richard, wird in diesem Bericht die Rede sein. Ich kenne ihn doch. Um dir eins auszuwischen, um seine kleinliche Rachgier zu befriedigen, wird er dir anlasten, daß du nicht imstande warst, Muljadi zu erledigen, diesen — seiner Meinung nach — primitiven Piraten, ob ihm nun Frankreich hilft oder nicht.»

Gedämpft erwiderte er:»Es ist sogar noch schlimmer. Muljadi hat starke Unterstützung. Wenn er erst einmal den Stützpunkt hier erobert hat, wird die Bevölkerung in diesem ganzen Gebiet revoltieren und sich ihm anschließen. Es geht gar nicht anders. Die Piraten sind für sie die Befreier, die europäischen Schutzmächte die Eindringlinge und Unterdrücker. Das ist nichts Neues.»

Sie wandte ihm rasch den Kopf zu, und er sah, wie der Puls an ihrem Hals klopfte.

«Hör mir zu, Richard! Laß dich nicht weiter auf die Sache ein. Du bist zu wertvoll für dein Land und für alle, die auf dich blicken. Ich flehe dich an, laß dir nicht länger von Leuten befehlen, die es nicht wert sind, dir die Stiefel zu putzen!«Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände.»Rette dein Schiff und dich selbst, und zum Teufel mit diesem Pack!»

Sanft umfaßte er ihre Handgelenke.»So einfach ist es nicht mehr. «Er dachte an Le Chaumareys, den er beschworen hatte, mit Muljadi Schluß zu machen, wegzusegeln und so seine Ehre zu retten.»Und ich wünschte bei Gott, du wärest mit der Brigg abgereist. Muljadi ist jetzt stärker denn je, und wenn er kommt… »

Seine Augen schweiften zu seiner unten vor Anker liegenden Fregatte. Wie klein sie in diesem grellen Licht aussah.»Zwischen ihm und dieser Palisade steht nur noch die

Undine.»

Sie begriff plötzlich und starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an.»Du willst gegen sie alle kämpfen?»

Bolitho schob ihre Hände weg, denn ein Sepoy-Korporal kam um die Ecke des Turmes und meldete:»Captain Bolitho, Sahib, der Gouverneur möchte Sie sprechen, bitte.»

«Nun werden wir ja sehen, Viola. «Er versuchte zu lächeln.»Die Schlacht ist noch nicht vorbei.»

Conway saß am Tisch; der schwere Uniformrock verbarg sein weinbeflecktes Hemd. Puigserver hatte sich anscheinend nicht vom Fleck gerührt. Raymond stand mit dem Rücken zum Fenster, das Gesicht tief im Schatten. Außer ihnen nahmen noch Major Jardine und sein Stellvertreter an der Besprechung teil.

Scharf sagte Conway:»Ich habe es ihnen erzählt, Bolitho. Wort für Wort, wie Sie es mir berichtet haben.»

«Danke, Sir«, erwiderte Bolitho und blickte Raymond an — von ihm würde es kommen.

«Sie haben da allerhand auf sich genommen, Captain. Mehr, fürchte ich, als in des Gouverneurs Absicht lag.»

«Jawohl. Aber ich habe gelernt, daß ich gelegentlich Eigeninitiative entwickeln muß, besonders dann, wenn ich nicht an den Bändseln der Flotte hänge. «Puigserver studierte mit plötzlichem Interesse seinen linken Schuh.»Tatsache ist«, fuhr Bolitho fort,»daß Muljadi beabsichtigt, diesen Stützpunkt anzugreifen. Er kann jetzt gar nicht anders, da er seinen Gefangenen verloren hat und weiß, daß wir über seine neue Fregatte informiert sind. Das hat die Situation total verändert.»

Jardine sagte kurz:»Falls er angreift, können meine Männer ihn so lange aufhalten, bis Hilfe kommt. Sobald die Brigg erst in Madras ist, werden sehr rasch Truppen kommen, um den

Schurken zu vernichten — wozu die Marine offensichtlich nicht imstande ist.»

Bolitho beobachtete Raymonds Hände auf dem Fensterbrett und wartete ein paar Sekunden. Dann sagte er:»Nun, Mr. Raymond? Hat der tapfere Major recht?«Er merkte, daß Raymonds Hände sich fester um das Fensterbrett krampften.»Oder haben Sie in Ihrem Bericht an Sir Montagu angedeutet, daß Pendang Bay Ihrer Meinung nach abgeschrieben werden muß?»

Jardine bleckte wütend die Zähne.»Quatsch!«Aber nach einer kleinen Pause wurde er unsicher und fragte Raymond:»Nun, Sir?»

Dessen Antwort klang sehr ruhig.»Ich habe die Wahrheit berichtet. Man wird keine Schiffe schicken außer Transportern, um die Soldaten der Company und deren Angehörige abzuholen.»

Jardine explodierte.»Aber ich kann es schaffen, Sir! Sie hätten mir das früher sagen müssen!»

«Sie können es nicht schaffen, Major!«warf Bolitho dazwischen.»Wenn Muljadi kommt, dann mit mehr als tausend Mann. Seine Festung ist voller Krieger, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht hätten Sie die Palisaden halten können, bis Hilfe aus Madras kommt. Doch ohne diese Hilfe haben Sie nur eine Chance, wenn Sie in einem Gewaltmarsch durch den Urwald nach Osten ausweichen, um vielleicht die Niederlassung der Holländischen Kompanie zu erreichen und dort Sicherheit zu finden. «Er machte eine kleine Pause.»Aber in dieser Jahreszeit ist der Dschungel noch dichter als sonst, und ich bezweifle, daß viele von Ihren Männern den Marsch überleben, ganz abgesehen davon, daß Sie mit Überfällen von Eingeborenen rechnen müssen, die Muljadi ihre Ergebenheit beweisen wollen.»

Er hatte nüchtern und hart gesprochen. Gepreßt erwiderte Raymond:»Mir kann niemand einen Vorwurf machen. Ich habe nur berichtet, was ich weiß. Von dieser zweiten Fregatte wußte ich nichts. «Er versuchte, seine Selbstsicherheit wiederzufinden.»Genausowenig wie Sie!»

Conway stand langsam auf; jede Bewegung kostete ihn Willensanstrengung.»Aber Sie hatten es ja so eilig, Mr. Raymond. Sie haben Ihre Befugnisse dazu mißbraucht, Ihre eigenen Interessen zu verfolgen, haben sogar die Brigg weggeschickt, obwohl ich ausdrücklich forderte, die Rückkehr der Undine abzuwarten!»

Er schritt zum gegenüberliegenden Fenster und starrte blicklos in den dichten Urwald.»Was können wir tun? Wie können wir uns am besten aufs Schlachtfest vorbereiten?«Blitzschnell fuhr er herum und schrie:»Na, Mr. Raymond? Möchten Sie uns das vielleicht erklären? Ich kann es nämlich nicht.»

Major Jardine stotterte:»Aber so hoffnungslos kann es doch nicht sein?»

Puigserver beobachtete Bolitho.»Nun, Capitan! Sie waren schließlich in der Höhle des Löwen, nicht wir.»

«Darf ich einen Vorschlag machen, Sir?«wandte sich Bolitho an Conway.

Der Admiral nickte, sein schütteres Haar war ganz zerrauft.»Wenn da noch etwas vorzuschlagen ist — bitte!»

Bolitho ging zum Tisch und schob die schweren silbernen Tintenfässer in eine bestimmte Stellung.»Die Benuas sind auf unseren Karten ziemlich zutreffend dargestellt, Sir; aber ich nehme an, von den kleineren Durchfahrten sind manche verschlickt und zu flach. Die Festung steht erhöht auf einer zentral gelegenen Insel, auf einem Felskegel, könnte man sagen. Zur See hin fällt der Felsen senkrecht ab, und was ich erst für Riffe am Fuß dieses Felsens gehalten hatte, sind, wie ich jetzt glaube, große Felsen von oben, die im Lauf der Zeit verwittert und abgestürzt sind.»

Düster brummte Hauptmann Strype:»Dann kann man die Festung auch nicht erstürmen. Wirklich hoffnungslos.»

Conway blickte Bolitho unwillig an und knurrte:»Also weiter!»

«Wenn wir sofort angreifen, Sir«, antwortete dieser und ignorierte die allgemeine Verblüffung,»bevor Muljadi bereit ist, dann können wir seinen ganzen Plan im Entstehen durchkreuzen.»

«Angreifen?«rief Conway.»Eben haben Sie uns doch noch aller Hoffnung beraubt, überhaupt am Leben zu bleiben!»

«Die Hauptbatterie steht auf der seewärts gelegenen Brustwehr, Sir. Wenn wir sie vernichten, sind seine vor Anker liegenden Schiffe ohne unmittelbaren Schutz.»

Conway rieb sich nervös das Kinn.»Ja, gewiß. Aber wie sollen wir sie vernichten?»

«Vielleicht durch den Zorn Gottes?«höhnte Jardine.

«Mit dem Schoner, Sir. «Bolitho heftete den Blick auf Conways gefurchte Stirn, die sich vor Zweifel und Spannung umwölkte.»Wir könnten die vorherrschende Windrichtung ausnutzen und ihn, bis zu den Decksplanken voll Schießpulver und mit einer langen Zündschnur versehen, auf die abgestürzten Felstrümmer treiben lassen. Die Explosion würde meiner Ansicht nach einen Gutteil der Insel einstürzen lassen. «Er spürte die wachsende Spannung seiner Zuhörer.»Jedenfalls den Teil mit der Geschützbatterie.»

Hauptmann Strype starrte das entsprechende Tintenfaß an, als sollte es tatsächlich jeden Moment in die Luft gehen.»Das könnte klappen, Sir. Eine tolle Idee!»

«Halten Sie den Mund!«grollte Jardine.»Und überhaupt — wer das riskiert, müßte ja wahnsinnig sein!»

Aber er duckte sich, als Conway ihn anblaffte:»Seien Sie still!«Zu Bolitho gewandt, fuhr dieser fort:»Sie halten es für ein vertretbares Risiko?»

«Jawohl. Der Schoner brauchte nur ein paar Mann Besatzung, und die könnten sich per Boot absetzen, sobald der endgültige Kurs anliegt. Bei einer langen Lunte hätten sie Zeit genug. Im Moment der Explosion werde ich mit der Undine in die Passage eindringen und die verankerten Fregatten nehmen, ehe sich die Besatzungen von dem Schrecken erholt haben. Nach einer solchen Explosion werden sie nicht gleich mit einem Angriff rechnen.»

Puigserver nickte grimmig.»Gerechte Vergeltung, obendrein.»

Conway funkelte ihn an.»Das ist der haarsträubendste Plan, den ich jemals gehört habe.»

Gelassen erwiderte Bolitho:»Darüber läßt sich streiten, Sir.»

«Was?«Wütend fuhr Conway herum.»Wollen Sie schon wieder meine Worte anzweifeln?»

«Ich erinnere mich an einen gewissen Kapitän, Sir, der vor langen Jahren, als ich noch ein dummer Midshipman war, sich nie scheute, etwas zu riskieren, wenn Not am Mann war.»

Conway packte Bolitho beim Handgelenk.»Danke für dieses Wort. «Er blickte weg und klopfte sich auf die Taschen, als suche er etwas.»Habe ich ganz vergessen…»

«Die Truppen bleiben natürlich hier«, sagte Bolitho. Es kam ihm vor, als sähe er Erleichterung in Jardines massivem Gesicht, und Bedauern auf Strypes Zügen. Seltsam, dachte er, der, den ich bisher für den Schwächeren gehalten habe, ist in Wirklichkeit der Stärkere.

«Wenn der Plan schiefgeht«, fuhr er fort,»und mit dieser Möglichkeit müssen wir rechnen, dann ist es Sache der Sepoys, den Stützpunkt so schnell zu evakuieren, wie sie können. Aber bitte seien Sie sich über eins klar: kein Verhandeln mit Muljadi, denn für ihn gibt es nur eines: Vernichtung derer, die er sein ganzes Leben lang als seine Todfeinde betrachtet hat. «Er deutete zum Fenster.»Wenn er erst innerhalb dieser Palisaden ist, kommt jede Reue zu spät.»

Conway kehrte zum Tisch zurück; seine Miene war jetzt vollkommen gefaßt.»Ich bin einverstanden. Major Jardine, lassen Sie durch Ihre Leute sofort Pulver auf den Schoner bringen. Auch das letzte Faß, wenn nötig. Und Sie, Bolitho… Wer soll den Schoner kommandieren?»

«Ich habe mich noch nicht entschieden, Sir.»

Raymond trat endlich ins Licht.»Ich habe gehandelt, wie ich es für richtig hielt«, sagte er lahm.

Aber Conway hatte nur ein verächtliches Nicken für ihn übrig.»Wenn Sie diese Affäre überleben«, sagte er,»werden Sie auf alle Fälle davon profitieren, sofern es etwas zu profitieren gibt. Selbst wenn wir keinen Erfolg haben, werden Sie sicher den Adelstitel erhalten, nach dem Sie sich so sehnen. «Raymond ging eilends zur Tür.»Posthum, natürlich«, rief Conway ihm nach.

Als sich der Gouverneur wieder dem Tisch zuwandte, schien er um zehn Jahre verjüngt.»Nun, da ich mich entschlossen habe, Bolitho, kann ich auch nicht mehr warten.»

Bolitho nickte. Ihn schmerzten alle Glieder wie nach einer physischen Anstrengung; und er machte sich auch erst jetzt richtig klar, was er erreicht hatte und worauf er sich mit seinem Schiff einließ.»Ich gehe wieder an Bord, Sir«, sagte er.»Wir brauchen frisches Wasser und Obst, falls letzteres zu haben ist.»

Allerlei Gesichter erschienen vor seinem geistigen Auge: das von Carwithen, als das Enterbeil sich in den Hals des Piraten grub. Davys stolze Miene, als er das Kommando über den Schoner bekam. Fowlars echte Freude über seine provisorische Beförderung. Und vor allem Herrick. Was würde er zu diesem verzweifelten Plan sagen? Würde er sich eingestehen, daß sein Kapitän nun doch den einen letzten verhängnisvollen Fehler gemacht hatte — verhängnisvoll für sie alle?

Da sagte Conway in seine Gedanken hinein:»Sie sind gerissen, Bolitho, mehr als ich vermutete…«Er wollte nach einer Karaffe greifen, überlegte es sich aber anders.»Nein. Wenn ich schon meinen Kopf verlieren soll, dann soll er wenigstens klar sein, eh?»

Puigserver tippte mit breitem Zeigefinger auf ein Tintenfaß.»Wann soll es losgehen, Capitan!»

«Früh. «Bolitho sah ihn nachdenklich an. Der Spanier war von Anfang an beteiligt gewesen.»Angriff im Morgengrauen.»

Conway nickte.»Und wenn Sie noch nie um günstigen Wind gebetet haben, dann tun Sie es jetzt.»

«Aye, Sir«, lächelte Bolitho.»Ich werde daran denken.»

Er wollte gehen, blieb jedoch stehen, als der Admiral abschließend grollte:»Und wenn es schiefgeht, haben wir's doch wenigstens versucht. Haben getan, was wir konnten. «Als er sich umdrehte, fiel das Sonnenlicht voll auf sein Gesicht, und Bolitho sah, daß seine Augen feucht waren.»Raymond hatte natürlich recht, ich bin nicht der richtige Mann für diesen Posten, und vermutlich war auch nie beabsichtigt, daß ich ihn behalten sollte, sobald der Stützpunkt erst einmal vollständig eingerichtet war. Aber wir werden es ihnen zeigen.»

Mit großen Schritten ging er zu der Tür, die zu seinen Privaträumen führte, und warf sie krachend hinter sich zu.

Puigserver stieß einen Pfiff aus.»Der alte Löwe erwacht, wie?»

Bolitho lächelte melancholisch.»Wenn Sie ihn so gekannt hätten wie ich, Senor… Wenn Sie gesehen hätten, wie seine Männer hurra schrien, bis sie heiser waren, während der Pulverdampf von der Schlacht noch dick zwischen den Decks hing — dann würden Sie verstehen.»

«Vielleicht. «Puigserver grinste breit.»Nun weg mit Ihnen! Ich glaube, Sie haben eine Menge gelernt, seit wir uns kennen, und das auf allerlei Gebieten — eh?»

Bolitho trat hinaus, vorbei an einem sich verneigenden Diener. Als jemand seinen Ärmel berührte, fuhr er zusammen. Es war Viola Raymonds Zofe; das Gesicht verzerrt vor Angst, flüsterte sie:»Hier entlang, Sir! Gleich hier hinunter!»

Bolitho folgte ihr rasch, und da sah er auch schon die weiße Gestalt am Ende des Ganges.

«Was ist?«fragte er.»Wir sollten uns so nicht treffen.»

Mit flammenden Augen sah sie ihn an.»Du wirst dabei umkommen! Er hat es mir eben erzählt. «Wütend schleuderte sie ihren großen Hut zu Boden und fuhr fort:»Und es ist mir egal! Es ist mir völlig egal, was dir passiert!«Dann warf sie sich in seine Arme und rief mit tränenerstickter Stimme:»Das war gelogen! Es ist mir gar nicht egal, Richard, Liebster! Ich sterbe, wenn dir was passiert!»

Er faßte sie unters Kinn.»Ruhig, Viola. Ich konnte nicht anders«, sagte er leise und strich ihr das Haar aus der heißen Stirn.

Von Schluchzen geschüttelt, faßte sie seine Arme noch fester; es war ihr gleichgültig, daß die Zofe danebenstand und daß jeden Moment jemand in den Gang einbiegen konnte.»Keine Chance! Du hast nicht die geringste Chance!»

Bolitho hielt sie etwas von sich ab und wartete, bis sie ruhiger wurde.»Ich muß jetzt gehen. Und ich werde mich bestimmt vorsehen. «Er spürte, wie die Angst sie wieder überfiel, und fügte rasch hinzu:»Ich muß doch aufpassen, daß meine neue Uhr nicht Schaden nimmt, nicht wahr?»

Die Tränen liefen ihr übers Gesicht, doch sie versuchte ein Lächeln.»Das würde ich dir auch nie verzeihen.»

Er wandte sich um und schritt zur Treppe, blieb aber noch einmal stehen, als sie seinen Namen rief. Doch sie kam ihm nicht nach, sondern winkte nur mit erhobener Hand, als sei er schon weit weg. Unerreichbar.

Unten wartete Allday bei der Gig.»Zurück an Bord!«befahl Bolitho kurz.

Allday blickte ihn neugierig an.»Die schaffen ja Pulverfässer auf den Schoner, Captain.»

«Soll das eine Frage sein?«Bolitho funkelte ihn wütend an, aber Alldays Gesicht blieb unbewegt.

«Ich dachte nur… Mr. Davy wird darüber nicht sehr erfreut sein.»

Bolitho klopfte ihm auf den Arm.»Ich weiß. Und ich sollte meine schlechte Laune auch nicht an Ihnen auslassen.»

Allday warf einen raschen Blick auf die hölzernen Wände des Forts. In einem Fenster sah er eine weiße Gestalt. Leise sagte er:»Ich kenne das Gefühl, Captain.»

Unterwegs beobachtete Bolitho die neben dem Schoner liegenden Boote, auf denen fieberhaft gearbeitet wurde. Es hatte sich so einfach und glatt angehört: zwei auf beschränktem Raum vor Anker liegende Fregatten waren leichter zu entern als — Geschütz gegen Geschütz — auf offener See zu stellen. Aber nichtsdestoweniger würde noch mancher Mann der Undine sterbend seinen Kapitän verfluchen.

Die Gig gewann Fahrt, und er seufzte. Puigserver hatte schon recht gehabt: Seit ihrem ersten Zusammentreffen in Santa Cruz hatte er eine Menge dazugelernt. Besonders über sich selbst.

«Alle anwesend, Sir. «Herrick nahm neben der Kajütstür Platz und wartete, daß Bolitho die Besprechung eröffne.

Hinter den Heckfenstern war es schon sehr dunkel, aber man konnte noch die gelben Lichter erkennen, die zwischen Fort und Strand hin und her wanderten: Das Beladen des Schoners ging pausenlos weiter.

Bolitho blickte in die Gesichter seiner Männer. Alle waren hier, sogar Midshipman Keen, obwohl der Arzt noch keine Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen wollte. Man sah Keen noch an, daß ihn jede Bewegung schmerzte, aber er hatte darauf bestanden, wieder Borddienst zu machen.

Dann Mudge und Soames. Und Fowlar, etwas verlegen, weil er zum erstenmal an einer Offiziersbesprechung teilnahm. Davy, in dessen hübschem Gesicht noch die Enttäuschung über das stand, was Bolitho anscheinend mit dem Schoner vorhatte. Hauptmann Bellairs mit seiner weltmännischen Bierruhe. Der Zahlmeister, trübselig wie immer. Armitage und Penn — wie ungleiche Brüder. Und schließlich, direkt unter dem Skylight, der Schiffsarzt Whitmarsh, dessen Gesicht wie eine mächtige rote Rübe glühte.

Bolitho faltete die Hände auf dem Rücken. Ein durchschnittliches Offizierskorps, dachte er, weder besser noch schlechter als andere; und doch mußte er jetzt mehr von ihnen fordern als von einer ganzen Kompanie altgedienter, kriegserfahrener Soldaten.

«Sie kennen mich lange genug«, begann er,»um zu wissen, daß ich Reden weder gern halte noch anhöre. «Herrick grinste, und Mudges Augen wurden zu beiden Seiten der mächtigen Nase noch kleiner.»Zu Beginn dieser Reise gab es viele an Bord, auch in der Offiziersme sse, denen meine Methoden zu hart, meine Anforderungen für einen friedensmäßigen Auftrag zu hoch vorkamen. Heute sehen wir die Dinge anders und wissen, daß unsere Erfahrung, unsere Ausbildung das einzige ist, was wir zu unserem Schutz einzusetzen haben und — noch wichtiger — zum Schütze derer, die von uns abhängen. «Er nickte Herrick zu.»Rollen Sie die Karte auf.»

Während Mudge sich vorbeugte, um die Räder der Karte mit Büchern und Messingzirkeln zu beschweren, musterte Bolitho noch einmal die Gesichter. Verrieten sie Angst oder Vertrauen? Das konnte man noch nicht wissen. Er fuhr fort:»Der Schoner wird in die Hauptdurchfahrt segeln und dabei bis zum letztmöglichen Moment die östliche Landspitze als Deckung benutzen. Sobald er direkten Kurs auf die Felsen am Fuß der Inselfestung hat — «, er unterbrach sich, um die Zirkelspitze auf das kleine Kreuz zu legen,»- wird das Ruder festgelascht, und die Mannschaft geht ins Boot. Wir werden sie später an Bord nehmen. «Er zwang sich zu einem Lächeln, obwohl ihm das Herz seltsam schwer war.

«Aber erst müssen wir die beiden Fregatten entern, nämlich ehe ihre Besatzungen sich von dem Schreck über die Explosion erholt haben.»

«Denen werden wir's zeigen, Sir!«rief Penn, sank aber unter Mudges vernichtendem Blick wieder zusammen.

Bolitho lächelte dem Midshipman in das feuerrote Gesicht.»Und wir werden, von Mr. Penns Begeisterung beflügelt, in die Passage einlaufen, beiden Schiffen eine Breitseite verpassen, wenden und noch eine abfeuern. «Er blickte Davy bedeutsam an.

«Also sagen Sie den Geschützbedienungen, daß sie auf Draht sein müssen. Die ersten beiden Breitseiten entscheiden alles.»

Bellairs meinte gedehnt:»Ziemliches Risiko für den Schoner, würde ich sagen, Sir. Bei so viel Schießpulver an Bord reicht eine einzige glühende Kugel, und hoch geht er. «Unter Bolithos starrem Blick fing er an zu blinzeln und fuhr fort:»Nichts gegen die Wagehälse auf dem Schoner — aber was wird dann aus uns?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Die Batterie ist alt. Ich bin so gut wie sicher, daß sie keine Kugeln erhitzen werden, weil sie Angst haben, daß die Rohre platzen. Normalerweise brauchen sie auch gar keine heißen Kugeln. Bei diesem Schußfeld kann die Batterie jedes Schiff treffen, sobald es in einer der beiden Hauptpassagen ist.»

Er lächelte, um die plötzlichen Zweifel zu überspielen, die Bellairs Bemerkung in ihm erregt hatte. Angenommen, die Kugeln lagen bereits in den Essen und wurden erhitzt? Aber dann hätte er bestimmt etwas gesehen. Glühende Kugeln ließen sich nicht in Körben auf eine so hohe Brustwehr hieven. Er fuhr fort:»Und überhaupt wird bis dahin der größte Teil der Batterie auf dem Meeresgrund liegen, wo sie von Rechts wegen schon seit Jahren hingehört. Wir lichten morgen beim Hellwerden Anker. Der Wind scheint günstig zu stehen und wird uns bei einigem Glück gute Dienste leisten. Bleibt nur noch eine Frage zu klären…«Er zögerte, denn Herrick sah gespannt zu ihm herüber.

Aber er durfte in Herrick jetzt nicht seinen Freund sehen, den besten und treuesten, den er je besessen hatte. Er war sein Erster Leutnant, der tüchtigste Offizier an Bord. Anderes zählte nicht, durfte nicht zählen.

«Mr. Herrick befehligt den Schoner.»

Mit ausdruckslosem Gesicht nickte Herrick.»Aye, Sir. Ich nehme sechs gute Männer mit. Das müßte reichen.»

Bolitho sah ihm in die Augen, die Gesichter der anderen traten zurück.»Das überlasse ich Ihnen. Und wenn Potter mitkommen will, mag er's tun. «Whitmarsh sprang auf und wollte anscheinend protestieren, aber Bolitho ließ ihn nicht zu Wort kommen.»Er kennt die Durchfahrt. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.»

Die Tür öffnete sich etwas, Carwithen steckte den Kopf herein.»Verzeihung, Sir, aber die Wasserfässer sind verstaut, und Meldung ist gekommen, daß der Schoner voll beladen ist.»

«Schön. «Bolitho wartete, bis sich die Tür wieder schloß.»Also machen Sie weiter, meine Herren. Sie haben alle viel zu tun. «Er zögerte — warum fielen einem niemals die richtigen Worte ein, wenn man sie am notwendigsten brauchte?» Uns bleibt wenig Zeit für Diskussionen, bis unser Auftrag erfüllt ist.«Oder wir alle tot sind. »Denken Sie immer daran: Unsere Leute sehen mehr denn je Vorbilder in Ihnen. Die meisten waren noch nie in einem richtigen Seegefecht; bei unserem Treffen mit der Argus glaubten viele, wir hätten eine Schlacht gewonnen, nicht einen geordneten Rückzug angetreten. Diesmal gibt es keinen Rückzug, weder für uns noch für den Feind. Le Chaumareys ist ein erstklassiger Kapitän, der beste vielleicht, den Frankreich je hervorgebracht hat. Aber er hat eine Schwäche. «Er hielt einen Moment inne, nachdenklich lächelnd.»Eine Schwäche, die wir uns noch nicht leisten konnten: er setzt blindes Vertrauen in sein Schiff und in sich selbst. Dieses unbedingte Selbstvertrauen unseres Gegners, im Verein mit Ihrem Können und Ihrer Entschlossenheit, wird uns zum Sieg verhelfen.»

Sie standen auf, so stumm und ernst, als seien sie sich eben erst ihrer Verantwortung bewußt geworden. Und der Unausweichlichkeit ihrer Situation.

Als sie zur Tür hinausgingen, sagte Bolitho:»Einen Moment noch, Mr. Herrick.»

Und als sie in der schwankenden Kajüte allein waren:»Ich hatte keine andere Wahl, Thomas.»

«Ich wäre auch sehr enttäuscht gewesen, wenn Sie einen Dienstjüngeren genommen hätten, Sir«, lächelte Herrick.»Also reden wir nicht mehr darüber.»

Bolitho streckte ihm die Hand hin.»Also, dann Gott mit Ihnen, Thomas. Wenn ich die Lage falsch beurteilt habe oder der Feind uns überlistet, rudern Sie sofort zurück. Wenn ich» Belegen «signalisiere, geben Sie den Versuch sofort auf. Falls wir schon sterben müssen, will ich Sie bei mir haben.»

Herrick nahm mit festem Griff Bolithos Hand; seine blauen Augen blickten plötzlich betroffen.»Reden Sie doch nicht so, Sir! Das paßt nicht zu Ihnen. Wir werden gewinnen, hier meine Hand darauf!»

Bolitho ging mit ihm zur Tür.

«Ich suche mir jetzt meine Leute aus, Sir«, sagte Herrick.

Bolitho nickte, und das Herz tat ihm weh.

«Übernehmen Sie Ihr Kommando, Mr. Herrick. Der Zweite vertritt Sie von jetzt ab hier an Bord.»

Gemeinsam gingen sie nach oben an Deck, wo Herrick im Dunkel verschwand; Davy kam herbei und grüßte.

«Tut mir leid um Ihren Schoner«, sagte Bolitho.»Aber in letzter Zeit kann ich mir anscheinend nur noch selten aussuchen, was ich tun will.»

Davy zuckte die Schultern.»Spielt auch keine Rolle mehr, Sir«, entgegnete er.»Ich jedenfalls kann nicht weiter sehen als die nächsten zwei, drei Tage; und mir ist auch egal, was dann kommt.»

Wütend faßte Bolitho ihn am Arm.»Es wird Ihnen noch leid tun, wenn Sie so daherreden! Es geht um das Schiff und um die Männer unter Ihrem Befehl, nicht um Ihre eigene Person. Wenn ein Mann erst glaubt, daß es kein Morgen für ihn gibt, dann ist er schon so gut wie in eine Hängematte eingenäht, mit einer Kanonenkugel zu Füßen. Glauben Sie an die Zukunft, denn die Männer, die von Ihnen abhängig sind, werden von Ihrem Gesicht ablesen, wie die Chancen stehen!«Er ließ ihn los und sagte in ruhigerem Ton:»Nun gehen Sie wieder an Ihren Dienst.»

Er begann, an Backbord auf und ab zu gehen; wie von selbst hoben sich seine Füße über Ringbolzen und Decksbeschläge, obwohl er überhaupt nicht hinsah. Seine Vorwürfe waren nicht an Davy, sondern an sich selbst gerichtet gewesen. Aber jetzt war nicht die Zeit für Zweifel und Selbstvorwürfe. Jetzt mußte er die Rolle leben, die er übernommen, die er sich in einem Dutzend Schlachten verdient hatte.

«Boot ahoi!«ertönte es vom Decksgang, wo das Licht der Schiffslaternen auf den gefällten Musketen mit den aufgepflanzten Bajonetten glitzerte.

«Don Luis Puigserver wünscht an Bord zu kommen«, lautete die Antwort.

Davy hastete nach achtern.»Geht das in Ordnung, Sir?»

Bolitho war wieder vollkommen ruhig.»Ich habe ihn halb erwartet«, lächelte er.

Puigservers kraftvolle Gestalt erschien in der Fallreepspforte. Zielstrebig ging er auf Bolitho zu, um ihn zu begrüßen.»Ich mußte kommen, Capitan. Seit dem Untergang der Nervion fühlte ich mich hier zugehörig. Und hier bleibe ich, bis diese Sache ausgestanden ist. «Er klopfte auf die silberbeschlagenen Pistolen unter seinem Rock.»Ich bin ein guter Schütze, Sir.»

«Ich könnte Ihnen befehlen, das Schiff zu verlassen, Senor

«Aber?«Puigserver legte den Kopf schräg.»Aber das werden Sie nicht tun. Ich habe eine schriftliche Erklärung über meine Beweggründe hinterlassen. Wenn wir die Schlacht überleben, zerreiße ich sie. Wenn nicht…«Den Rest ließ er ungesagt.

«Dann nehme ich Ihr Angebot mit Dank an, Senor.»

Puigserver ging zu den Netzen und blickte ins Dunkel, auf die schwankende Positionslaterne.»Wann wird der Schoner Segel setzen?»

«Vor Sonnenaufgang. Er muß möglichst viel Zeit haben, um sich in die vorteilhafteste Ausgangsposition zu manövrieren.»

Wieder tat ihm das Herz weh bei dem Gedanken, daß Herrick seine schwimmende Pulverkammer direkt vor die Mündungen von Muljadis Kanonen segeln würde.

«Ich verstehe. «Puigserver gähnte.»Dann gehe ich jetzt mit Ihren Offizieren von der Freiwache ein Glas Wein in der Messe trinken.»

Ein paar Stunden später fühlte Bolitho Alldays Hand auf seiner Schulter und erwachte. Er war in seiner Kajüte über der Seekarte eingeschlafen, den Kopf auf dem Arm.

Allday blickte ihn gespannt an.»Schoner hat Anker gelichtet,

Captain.»

Bolitho rieb sich die Augen. Dämmerte schon der Morgen? Ein Schauer überlief ihn.

«Mr. Pigsliver ist mit an Bord«, sagte Allday leise.

Bolitho starrte ihn an. Hatte er damit gerechnet? Hatte er gespürt, daß Puigserver diesen Entschluß im selben Augenblick gefaßt hatte, als er seinen Plan entwickelte?

«Sind sie gut abgekommen?»

«Aye, Captain. «Allday reckte sich und gähnte.»Haben vor 'ner halben Stunde die Landspitze umrundet. «Bedächtig fügte er hinzu:»Gut für Mr. Herrick, daß der Don mit dabei ist. Bestimmt.»

Bolitho sah ihn mißtrauisch an.»Sie haben davon gewußt, nicht wahr?»

«Aye, Captain. Ich dachte, es wäre am besten so.»

Bolitho nickte.»Schon möglich. «Er trat zum Fenster, als wolle er nachsehen, ob das blinkende Positionslicht noch da war.»Es ist immer schlecht, wenn man allein ist.»

Allday blickte zu dem schwarz angelaufenen Degen hin, der am Schott hing. Eine Sekunde lang dachte er an Bolithos früheren Bootsmann, der bei den Saintes gefallen war, als er ihm den Rücken vor französischen Scharfschützen deckte. Er, Allday, und der Captain hatten seit damals einen langen Weg miteinander hinter sich gebracht. Bald war vielleicht alles zu Ende. Er betrachtete Bolithos Schultern, der immer noch aus dem Heckfenster sah.

Aber Sie, Captain, werden nie allein sein, dachte er. Nicht, solange ich noch Atem habe.

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