VII Herricks Entscheidung

Die vereinzelten Musketenschüsse wurden fast von dem wilden Geschrei der entsetzten Sklaven übertönt. Auf der anderen Seite der Brigantine sprangen Männer polternd in ein Boot und stießen wilde Rufe aus, offenbar um die Genossen am Lagerplatz anzufeuern. Bolitho gab Allday ein Handzeichen.»Jetzt! Über den Bug!«Mit bleiernen Gliedern zog er sich hoch und kletterte über das kurze Vordeck an Bord. Das He rz klopfte ihm an die Rippen, unter sich vernahm er das erregte Flüstern seiner Männer.

Im Vorschiff hockten eng zusammengedrängt die nackten, gefesselten Sklaven. Verständnislos beobachteten sie die Vorgänge an Land. Zwei bewaffnete Matrosen der Brigantine standen an einem Drehgeschütz, aber da das Boot inzwischen auf dem Weg zur Küste war, befand es sich in ihrem Schußfeld, und sie konnten nicht feuern.

«Drauf, Jungs!«brüllte Allday und warf sich mit einem mächtigen Satz an Deck. Sein schweres Entermesser fuhr in den Hals eines Mannes, der lautlos zu Boden stürzte. Der zweite Wachtposten ließ sich auf ein Knie nieder und zielte mit seiner Muskete auf Bolithos Männer, von denen inzwischen immer mehr an Bord geklettert waren. Der Blitz des Schusses erhellte die Gesichter. Bolitho hörte die Kugel vorbeisausen und mit scheußlichem Ton in Fleisch und Knochen einschlagen.

Immer mehr Leute der Brigantine stürzten sich von der Kampanje her ins Gefecht, wild um sich schießend, ohne sich um die Todesschreie der Sklaven zu kümmern, die ihnen in die Schußlinie gerieten. Eine nackte junge Frau — ihr Körper glänzte vor Schweiß, eine Kette klirrte zwischen ihren Handgelenken — versuchte, einen der verwundet am Boden liegenden Sklaven zu erreichen. War es ihr Mann oder ihr Bruder?

Aber einer von der Besatzung, der mit ein paar anderen das Achterdeck verteidigte, hatte sie bereits niedergehauen. Bolitho warf sich mit gezogenem Degen auf den Mörder und spürte, wie dieser den Hieb mit seinem Säbel parierte. Das harte Gesicht des Mannes war von Haß und irrer Wut verzerrt, als sie aufeinander einhieben und ihre Füße auf den blutbeschmierten Planken ausrutschten. Auf dem ganzen Deck wurde wild gefochten, und nur hier und da warf der Mündungsblitz eines Pistolenschusses kurz Licht auf Freund oder Feind. Bolitho trieb den Gegner rückwärts gegen den Großmast und drückte seinen Oberkörper nach hinten. Die Parierstangen der beiden Waffen lagen gekreuzt vor der Kehle des Piraten. Bei dem Mann war jetzt die Wut in Angst umgeschlagen; Bolitho merkte es, machte seinen Degen mit einem heftigen Ruck frei und hieb ihm die Parierstange in die Zähne. Der Kerl schrie auf, riß den Arm hoch, da fuhr Bolithos Degen ihm dicht unter der Schulter bis fast zum Griff in die Brust.

Allday sprang an Bolithos Seite und rief:»Gut gemacht, Cap-tain!«Er rollte den Mann mit einem Fußtritt zur Seite und knurrte:»Noch einer, bei Gott!«Denn ein Matrose der Brigantine war aus den Wanten gesprungen. Ob er überraschend von oben angreifen oder selbst einem Angriff entgehen wollte — Bolitho wußte es nicht. Er hörte nur Alldays Keuchen, das Sausen seiner Klinge, als er den Mann erst niederschlug und ihn dann mit einem weiteren furchtbaren Hieb erledigte.

«Da kommen zwei Boote, Sir!»

Bolitho stürzte zum Schanzkleid und duckte sich sofort, denn eine Kugel schlug dicht neben seiner Hand in die Reling.

«Nehmt sie mit dem Drehgeschütz unter Feuer!«brüllte er.

Hinter ihm rannte ein Mann vorbei, der vor Alldays Degen floh und im Laufen eine Pistole abfeuerte. Bolitho fuhr mit einem Aufschrei herum; er spürte einen stechenden Schmerz im Oberschenkel. Aber als er sein Bein und den klaffenden Riß in der Kniehose betastete, fühlte er weder Blut noch den scharfen Schmerz von Knochensplittern. Der Kerl, der den ungezielten Schuß abgefeuert hatte, kam den schreienden Sklaven zu nahe. Ketten peitschten durch die Luft wie Schlangen, dann verschwand der Sklavenhändler unter einem stoßenden, tretenden Haufen kreischender, schweißglänzender Neger.

Allday tastete nach Bolitho.»Wo sind Sie verwundet, Captain?«Selbst in dem Kampfeslärm, in dem Gebrüll ringsum, war seine Besorgnis deutlich herauszuhören.

Bolitho schob ihn beiseite und stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor:»Der Kerl hat meine Uhr getroffen, Gott verdamme seine Augen!»

Grinsend bückte sich Allday.»Für ihn steht die Zeit jetzt auch still, schätze ich. «Bolitho warf einen Blick auf den leblosen Körper bei den keuchenden Sklaven. Sie hatten ihn buchstäblich in Stücke gerissen. Er zerrte Allday weg.»Nicht zu nahe heran, sonst geht's Ihnen ebenso.»

«Undankbare Hunde!«Aber Bolitho stand schon bei der verlassenen Drehbasse und richtete den Lauf auf das vorderste Langboot.

«Die denken vielleicht, wir sind auch Sklavenjäger, nur von der Konkurrenz. «Er riß die Abzugsleine und fühlte den heißen Pulverqualm im Gesicht; das Schrapnell explodierte, ein Hagel gehacktes Blei schlug in das überfüllte Boot. Schreie, Flüche, ins Wasser klatschende Körper und einzelne Schüsse vom Heck her. Er beugte sich vor, um zu sehen, wo Soames die Küste erreicht hatte. Aber das ließ sich unmöglich feststellen. Musketenkugeln jaulten über die Bucht; einmal glaubte er, den Klang von Stahl auf Stahl zu hören.

Dann wandte er sich um und überblickte das Deck. Soeben rannte Keen vorbei, in der einen Hand eine leergeschossene Pistole wie eine Keule schwingend, in der anderen einen blitzenden Dolch. Bolitho packte ihn am Handgelenk.»Wie viele?»

Keen starrte ihn verwirrt an.»Wir haben fünf Mann verloren«, sagte er dann.»Aber die Sklavenhändler sind alle tot, Sir, oder über Bord gesprungen. «Bolitho horchte angestrengt auf Rudergeräusche. Hoffentlich kam Soames bald zur Hilfe.

Ein dumpfer Aufprall achtern: vermutlich wieder ein Boot, dessen Besatzung entern wollte. Er zählte seine kleine Truppe: fünf Tote, ein Mann offenbar verwundet. Es fehlte ihm an Leuten. Heiser rief Allday:»Wir können eins von den Geschützen an die Luke schaffen und ein Leck ins Schiff schießen. Wenn wir sie auf der Kampanje festhalten können, bis… »

Bolitho schüttelte den Kopf und wies auf die Sklaven.»Sie sind alle aneinandergekettet — sie würden mit ertrinken!»

Er merkte, wie der Kampfeswille seiner überlebenden Männer erlosch wie ein Feuer unter einem Regenguß. Stumm blickten sie nach achtern, keiner hatte Lust, dem erwarteten Angriff als erster entgegenzutreten. Aber sie brauchten nicht lange zu warten. Die Kampanjetüren flogen auf, ein Haufen Männer stürmte an Deck, schrie und brüllte in einem Dutzend Sprachen. Bolitho stand breitbeinig, den Degen quer vorm Leib.

«Kappt den Anker, damit sie ins flache Wasser treibt!«Eine Kugel zischte über seinen Kopf hinweg, einer seiner Leute stürzte aufs Gesicht, Blut schoß aus seiner Kehle.

«Haltet stand, ihr Hunde!«brüllte Allday. Aber es hatte keiften Zweck. Die übriggebliebenen Matrosen hasteten zum Vorschiff und warfen die Waffen weg, die ihnen dabei hinderlich waren. Nur Keen war noch zwischen ihm und dem Bug; die Arme hingen ihm schlaff herab, sein junger Körper wankte vor Erschöpfung.

«Kommen Sie, Captain!«sagte Allday.»Es hat keinen Zweck mehr!«Er feuerte noch einmal in den andrängenden Haufen und grunzte befriedigt: er hatte einen Todesschrei gehört.

In den nächsten Sekunden herrschte solches Durcheinander, daß keiner begriff, was eigentlich vorging. Im einen Augenblick saß Bolitho rittlings auf dem Bugspriet, im nächsten schwamm er auf die schwarze Masse der Bäume zu. Er wußte nicht mehr, wann er getaucht und wieder hochgekommen war, aber seine Kehle war rauh wie Sandpapier, nicht nur vom Brüllen, sondern vom schieren Überlebenskampf. Schaum spritzte auf, er hörte Getrampel an Bord der Brigantine, denn immer mehr ihrer Leute hatten jetzt schwimmend oder im Boot das Schiff erreicht und kletterten an Deck. Immer noch pfiffen Kugeln über seinen Kopf, und mit einem erstickten Schrei sank ein getroffener Matrose unter die Wasserfläche.

«Zusammenbleiben!«Mehr konnte er nicht rufen, denn immer wieder klatschten ihm übel schmeckende Wellen in den Mund. Vom Strand her rannte eine weiße Gestalt in das aufspritzende Wasser; Bolitho tastete nach seinem Degen und fiel dabei stolpernd vornüber, denn seine Füße stießen auf Sand und Kies. Es war Soames, der ihn keuchend vor Anstrengung und mit zerzaustem Haar aufs Trockene zog. Bolitho rang verzweifelt nach Luft. Es war mißlungen, und sie hatten manchen guten Mann verloren. Umsonst.

Allday kam aus dem Wasser; zwei weitere lagen wie tot auf dem Sand, doch verriet ihr schwerer Atem, daß sie noch lebten. Mehr waren nicht da.

Von der Brigantine her krachte ein Kanonenschuß, aber die Kugel ging weit daneben, fuhr splitternd durch die Bäume, Vögel und Sklaven kreischten im Chor dazu.

Heiser berichtete Soames:»Ich konnte nur ein Boot erobern, Sir. Es waren zu viele Sklavenfänger an Land. «Seine Stimme zitterte vor Wut und Verzweiflung.»Als sie auf diesen spanischen Leutnant schossen, griffen meine Jungs an. Zu früh. Tut mir furchtbar leid, Sir.»

«Sie können nichts dafür. «Schweren Schrittes ging Bolitho am Wasser entlang und spähte hinaus, ob noch ein Schwimmer käme.»Wie viele haben Sie verloren?»

«Sieben oder acht«, erwiderte Soames dumpf und mit einer Handbewegung zum Strand, wo mehrere dunkle Gestalten lagen.»Aber wir haben ein Dutzend umgelegt. «Und, fast schreiend vor plötzlicher Wut:»Wir hätten dieses verfluchte Schiff gekriegt! Bestimmt!»

«Ja. «Bolitho gab die Suche auf.»Lassen Sie unsere Leute antreten, dann gehen wir ins Boot. Wir müssen Mr. Fowlar und seine Truppe abholen, solange es noch finster ist. Bei Tageslicht kommt uns der Sklavenjäger dazwischen, denke ich.»

Es war nur ein kümmerliches Boot und leckte ziemlich stark; ein paar verirrte Musketenkugeln hatten es getroffen. Einer nach dem anderen kletterten die erschöpften Männer hinein. Sie waren zu müde, um einander auch nur anzusehen; es war ihnen sogar gleichgültig, wo sie sich befanden. Wenn sie jetzt hätten kämpfen müssen, wären sie kurz und klein geschlagen worden.

Bolitho betrachtete sie gespannt. Flüchtig dachte er an eine Äußerung, die Herrick vor vielen Wochen getan hatte: Im Frieden sind sie eben anders. Vielleicht.

Die Verwundeten stöhnten und schluchzten leise; er schob Keen zu ihnen hin.»Kümmern Sie sich um sie!«Er sah, wie der junge Mann zurückzuckte, und wußte, daß auch er nahe am Zusammenbrechen war. Da streckte er den Arm aus und drückte ihm die Schulter.»Reißen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«Und zu Soames gewandt:»Mr. Fowlars Leute können nachher die Riemen übernehmen. Sie werden besser bei Kräften sein.»

Er fuhr herum. Zwischen den Bäumen dröhnte ein Geräusch auf wie von einem riesigen, stampfenden Tier, und dazu gellte wildes, vielstimmiges Geschrei übers Wasser.

«Um Gottes willen, was ist das?«murmelte Allday erschrocken.

«Die Sklaven im Lager. «Soames stand neben Bolitho, ihr Boot wollte soeben ablegen.»Sie wissen mehr als wir.»

Bolitho konnte sich nur mit Mühe im Gleichgewicht halten, denn das überladene Fahrzeug schwankte gefährlich in der

Strömung. Die Sklaven mußten inzwischen begriffen haben, daß sie — obwohl die Brigantine mit ihren Kanonen noch immer draußen lag — jetzt nicht mehr gefesselt auf die andere Seite der Welt verschleppt würden. Dieses Mal jedenfalls nicht. Bolitho dachte an die Boote der Eingeborenen, die Herrick gesichtet hatte. Vielleicht waren sie schon angekommen?

«Streicht Riemen!«kommandierte er.»Da ist Mr. Fowlar!»

Enttäuscht starrte der Steuermannsmaat auf das Boot.»Da drin ist aber für meine Leute kein Platz, Sir!»

«Sie müssen aber rein, wenn sie am Leben bleiben wollen. «Allday übernahm die Ruderpinne und zählte die ins Boot kletternden Männer. Irgendwie fanden sie alle Platz, doch die Riemen ließen sich kaum bewegen, und das Boot lag so tief, daß es nur knappe sechs Zoll Freibord hatte.

«Ablegen!»

Bolitho zuckte zusammen: ein Kanonenschuß krachte, aus der Bordwand der Brigantine schoß eine lange, gelbrote Flamme wie eine giftige Zunge. Die Kugel zischte über das Heck des Bootes hinweg und grub sich in den Sand.

«Ruhe!«rief Bolitho.»Und Schlag halten!«Denn unsauberes Rudern hätte zuviel Gischt aufgeworfen, dann mußte das Boot ein besseres Ziel bieten.

«Einer ist eben gestorben«, flüsterte Keen heiser.»Hodges,

Sir.»

«Werft ihn ins Wasser! Aber die Trimmung ausgleichen, das Boot muß ruhig liegen!«Armer Hodges, er würde nie mehr über die Marschen von Norfolk streifen, nie wieder den Anhauch der Nordsee auf seinem Gesicht spüren oder einem Flug Enten nachschauen. Ärgerlich schüttelte sich Bolitho — was war mit ihm los? Der Leichnam glitt über den Bootsrand, und der Ruderer, der dazu Platz gemacht hatte, rutschte wieder an die Ducht.

«Sie haben das Feuer eingestellt«, bemerkte Soames.»Lecken sich wahrscheinlich ihre Wunden, genau wie wir.»

Wieder fühlte Bolitho Bitterkeit in sich aufsteigen. Der Sklavenfänger hatte eine Anzahl Männer verloren, gewiß. Aber er hatte immer noch genügend Neger an Bord, so daß sich seine Reise auch ohne die an der Lagerstelle lohnte. Während er, Bolitho… Er versuchte, nicht an ihren Mißerfolg zu denken. Seine Männer waren vermutlich deswegen zurückgewichen, weil sie das Vertrauen zu ihm verloren hatten. Und wer die Nervion angegriffen hatte, blieb immer noch ein Rätsel. Die

Besatzung eines Sklavenschiffes bestand gewöhnlich aus dem Abschaum vieler Häfen und Länder. Vielleicht hatte Davy tatsächlich recht gehabt, und er hätte die Brigantine überhaupt in Ruhe lassen sollen. Der Kopf tat ihm genauso weh wie die Prellung an seinem Oberschenkel. Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.

Fowlar sagte:»Mr. Mudge hat es mir erklärt, Sir. Morgen muß die Undine sich weit vom Land klarhalten, wegen der Sandbänke hier herum. Der Sklavenkapitän kennt wahrscheinlich eine bessere Durchfahrt, aber… «Er sprach nicht zu Ende.

«Ja. «Bolitho sah ein paar überhängende Bäume sich wie eine halbzerstörte Brücke übers Wasser recken.»Wir machen hier fest. Lassen Sie die Männer rasten und verteilen Sie, was noch an Wasser und Verpflegung vorhanden ist.»

Niemand antwortete. Manche schienen im Sitzen zu schlafen und blieben unbeweglich hocken, wie Bündel alter Lumpen.

Bolitho versuchte, nicht an die Brigantine zu denken. Hätte er sie nicht angegriffen, so wüßte ihr Kapitän gar nicht, daß die Undine in der Nähe lag. Offenbar hatte man die Fregatte nicht gesichtet und wußte auch nicht, wer der Angreifer gewesen war. Es war schließlich nichts Ungewöhnliches, daß ein Sklavenhändler dem anderen die Beute abzujagen versuchte. Aber wegen seiner, Bolithos, Dickköpfigkeit würde der Sklavenkapitän jetzt die Undine erkennen, sobald er die freie See gewann. Die Undine durfte sich nicht zu nahe heranwagen, und eine lange Verfolgungsjagd hatte auch keinen Zweck. Somit wußte der Kapitän, falls er an der Verzögerung von Puigservers Mission beteiligt war, jetzt zumindest, daß die Undine unterwegs war.

Bolitho preßte die Finger um den Degengriff, bis der Schmerz ihn zur Besinnung brachte. Wäre Rojart nicht gewesen, hätte es geklappt. Wie viele Schlachten waren schon verlorengegangen, bloß weil ein einzelner einen dummen Fehler beging? Armer Rojart… Das Schiff, das seine Nervion zugrunde gerichtet hatte, war das letzte gewesen, was er auf Erden gesehen hatte. Dann hatten sie ihn genauso brutal umgebracht.

«Eine kleine Bucht an Backbord, Captain! Sieht ziemlich sicher aus. «Allday starrte auf Bolithos gebeugte Schultern. Er empfand die Verzweiflung seines Kapitäns wie seine eigene.

«Steuern Sie sie an, Allday!«befahl Bolitho. Er schob seine Gedanken mit fast physischer Anstrengung beiseite.»Drei

Wachen zu je zwei Stunden. «Er setzte nochmals an.»Posten aufstellen und scharf aufpassen!»

Ein Mann sprang über das Dollbord und watete durch das flache Wasser, den Festmacher wie ein Zuggeschirr über der müden Schulter. Das Boot stieß auf harten Sand. Durch die Strömung und die plötzlich Gewichtsverlagerung beim Hinausklettern der Männer neigte es sich wie trunken zur Seite.

Bolitho hörte Soames die erste Wache einteilen. Ob der wohl Bedenken gehabt hätte, wenn er das Enterkommando befehligt hätte? Vermutlich nicht. Soames hätte getan, was er für richtig hielt, ungeachtet der hilflosen Sklaven, und hätte die Brigantine versenkt oder Feuer an das Pulvermagazin gelegt. Bei diesem Klima wäre die Brigantine innerhalb weniger Minuten ausgebrannt, die Sklavenfänger wären hilflos gewesen und hätten später leicht überwältigt werden können. Dagegen hatte er, Bolitho, überhaupt nichts erreicht und obendrein fast ein Drittel seiner Mannschaft verloren, weil er die Sklaven nicht hatte opfern wollen.

Allday kam mit einer Wasserflasche.»Hab das Boot gesichert, Captain. «Er gähnte gewaltig.»Ich hoffe bloß, wir müssen nicht zu weit landeinwärts. «Und nach einer kleinen Pause:»Lassen Sie sich nicht unterkriegen, es ist eben nicht zu ändern. Wir haben doch schon viel Schlimmeres gesehen und erlebt. Ich weiß, manche unserer Leute sind weggelaufen, statt zu kämpfen, als sie am nötigsten gebraucht wurden. Aber es sind eben andere Zeiten — viele denken das jedenfalls.»

Bolitho sah ihn stumpf an, konnte aber seine Gesichtszüge nicht erkennen.»Wie meinen Sie das?»

Allday hob die Schultern.»Sie sehen nicht ein, daß sie sich wegen ein paar Sklaven totschlagen lassen sollen — oder wegen eines Schiffes, von dem sie nichts wissen. An Bord der alten Phalarope war das anders, verstehen Sie? Da hatten sie eine Flagge, der man folgen konnte, einen Feind, den man sah.»

Bolitho lehnte sich gegen einen Baum, schloß die Augen und lauschte, wie der Dschungel zur Nacht lebendig wurde, quiekend, brüllend, grunzend, raschelnd.»Sie meinen, es war ihnen egal?«fragte er.

Allday grinste.»Wenn wir einen richtigen Krieg hätten, so einen wie den letzten, dann würden wir verdammt schnell ganze Kerls aus ihnen machen.»

«Das heißt also, wenn sie nicht persönlich bedroht sind, fällt es ihnen gar nicht ein, für diese Unglücklichen zu kämpfen?»

Bolitho öffnete die Augen wieder und studierte die Sterne.»Ich fürchte, bevor die Reise zu Ende ist, werden einige von ihnen anders darüber denken.»

Aber Allday war schon eingeschlafen. Das Entermesser lag über seiner Brust wie die Grabbeigabe eines Ritters.

Leise erhob sich Bolitho und ging zum Boot, um nachzusehen, wie der Verwundete versorgt war. Der Widerschein der Sterne glitzerte auf dem trägen Wasser. Zu seinem eigenen Erstaunen war er schon nicht mehr ganz so verzweifelt.

Er blickte zum Waldrand zurück, aber Allday war in der Dunkelheit nicht mehr zu erkennen. Es war ihm mit Allday schon oft so ergangen: Der Mann schien, absichtlich oder zufällig, in seiner offenen, einfachen Art jedesmal den springenden Punkt zu treffen. Nicht daß er irgendeine Patentlösung anbot, aber man gewann Abstand, und die Dinge rückten in ihre richtige Perspektive.

Der Verwundete lag in tiefem Schlaf. Kalkweiß hob sich sein Verband von den schwarzen Bootsplanken ab. Keen fuhr hoch, als Bolitho hinzutrat.»Entschuldigung, Sir. Ich habe Sie nicht kommen sehen.»

«Bleiben Sie ruhig liegen, Mr. Keen«, erwiderte Bolitho.»Wir haben es ja jetzt gemütlich für die Nacht.»

Als Bolitho gegangen war, trat Fowlar, der sich in der See Gesicht und Hände gewaschen hatte, zum Boot und sagte bewundernd:»Das ist 'n Mann, was? Der jammert und jault nicht, wenn's mal schiefgeht.»

Keen nickte.»Ich weiß. Eines Tages werde ich hoffentlich so wie er.»

Fowlar lachte laut auf, und vom Wald her antworteten die Schreie aufgestörter Vögel.»Ach du lieber Gott, Mr. Keen, da würde er sich aber geschmeichelt fühlen, wenn er das wüßte!»

Keen wandte sich wieder dem Verwundeten zu. Leise, aber heftig murmelte er:»Trotzdem ist es so — basta!»

Im bleichen Glanz des Morgens flössen Himmel und Meer zu milchigem Dunst zusammen. Schwerfällig schob sich das überladene Langboot aus den Bäumen und kleinen Stranden heraus, die den Meeresarm zu beiden Seiten säumten. Bolitho hielt scharf Ausschau nach irgendwelchen Zeichen von Leben, die auf einen Hinterhalt deuteten. Hoch oben segelten ein paar Vögel, und weit draußen, vor den letzten, winzigen Landfetzen, sah er die offene See, seltsam farblos im Morgenlicht. Dann musterte er die Männer im Boot. Die kurze Ruhepause schien ihnen wenig genützt zu haben. Müde und verängstigt sahen sie aus, ihre Kleidung starrte vor Schmutz und getrocknetem Blut, die Gesichter waren hohl und stoppelig. Man konnte sich kaum vorstellen, daß sie zu einem Schiff des Königs gehörten.

Soames stand aufrecht neben Allday und spähte voraus, überwachte die Männer, die das eingesickerte Wasser ausschöpften, und sah zwischendurch nach dem verwundeten Matrosen — seine Augen waren überall. Ganz vorn auf dem Steven hockte Keen, die nackten Füße im Wasser, zusammengesunken wie unter einer schweren Last, und beobachtete das nächstliegende Ufer.

Die erste Dünung rollte in die Bucht; das Boot hob und senkte sich in den Wellen. Ein paar Leute stöhnten erschrocken auf, aber die meisten starrten stumpf vor sich hin; ihnen war längst alles gleich.»Wenn wir im offenen Wasser sind«, sagte Bolitho,»drehen wir nach Backbord ab. So treffen wir am schnellsten auf die Boote der Undine.»

Soames blickte kurz zu ihm herüber.»Kann Stunden dauern. Bis dahin wird es so heiß wie in einem verdammten Ofen.»

Bolitho tastete unwillkürlich nach seiner Uhr und stöhnte schmerzlich auf, als seine Finger die Prellung auf dem Oberschenkel berührten. Schließlich hatte er die Uhr herausgezogen: die abgeprallte Kugel hatte Deckel und Werk völlig zerschlagen, doch ohne die Uhr wäre er jetzt wahrscheinlich dem Tode nahe oder bestenfalls Gefangener an Bord der Brigantine.

«Die ist hin, Sir«, bemerkte Soames gelassen. Bolitho nickte und erinnerte sich daran, wie seine Mutter sie ihm geschenkt hatte. Er war gerade Leutnant geworden. Die Uhr hatte ihm sehr viel bedeutet, nicht zuletzt deswegen, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte, an ihre Sanftheit und die Seelenstärke, mit der sie es getragen hatte, Mann und Söhne an die See zu verlieren.

Ein paar Stimmen protestierten laut, weil das Boot stark krängte, und Bolitho sah, daß Keen von seinem exponierten Platz ins Bootsinnere zurückkletterte.»Da, Sir! Steuerbord voraus!«schrie er, das Gesicht vor Schreck verzerrt.

Bolitho stand auf, stützte sich mit einer Hand auf Alldays Schulter und starrte auf die beiden langen, flachen Gebilde, die eben die äußerste Spitze des Landes rundeten: Boote. Unter perfektem Gleichschlag der langen Paddel glitten sie ziemlich schnell dahin, genau auf den Eingang der Bucht zu.

«Kriegskanus«, sagte Fowlar heiser.»Ich kenne sie von früher. Die kommen noch näher ran, wenn ich mich nicht irre. «Er zog seine Pistole aus dem Gürtel und suchte nach dem Pulverhorn.

Mit zusammengekniffenen Augen spähte Soames nach den beiden Kanus aus. Sein Gesicht war maskenstarr.»Gott verdamm' mich, in jedem sind mindestens dreißig Mann!»

«Die tun uns nichts, das wäre nicht fair! Wir sind doch keine Sklavenjäger!«schrie ein Matrose angstvoll auf.

«Still, der Mann da!«Fowlar spannte die Pistole und legte den Lauf auf den Unterarm.»Für die sind alle Weißen gleich, also halt die Schnauze!»

«Tempo zulegen!«befahl Bolitho.»Vielleicht kommen wir vorbei.»

«Wenn Sie meinen, Captain?«sagte Allday und gab den Ruderern einen schnelleren Rhythmus an.

«Achteraus, Sir!«rief ein anderer Matrose.»Ich sehe die Marssegel der Brigantine. «Vorsichtig, um die Ruderer nicht aus dem Takt zu bringen, drehte Bolitho sich um. Der Mann hatte sich nicht geirrt. Weit hinter ihnen glitt ein schlaffes Segel im Schneckentempo über einer Reihe niedriger Baumwipfel dahin. Das Sklavenschiff mußte schon vor Sonnenaufgang Anker gelichtet haben. Das leblose Tuch verriet Bolitho, daß die Brigantine von Booten geschleppt wurde. Aber war sie erst einmal in offenem Wasser, würde sie auch bald entkommen sein. Und dort kamen die Kanus näher. Zum Unterschied von den Sklavenjägern saßen er und seine Männer hier fest und würden sterben — wenn sie Glück hatten.

«Was können wir schon tun, Sir?«fragte Soames.»Diese Kanus sind schneller als wir, und zum Nahkampf lassen sie uns gar nicht erst dicht genug heran. «Nervös spielte er mit seinem Säbelgriff; zum erstenmal verriet er Angst.

«Stellen Sie fest, was wir an Waffen, Pulver und Munition haben«, erwiderte Bolitho.

Viel konnte nicht mehr übrig sein nach der planlosen Schießerei an Land, zumal sein eigenes Enterkommando ja auch die Waffen an Bord der Brigantine gelassen hatte.

Fowlar meldete:»Reicht kaum für einen Schuß pro Mann,

Sir.»

«Na schön. Die zwei besten Schützen nach achtern! Und geben Sie ihnen alles Pulver, das wir haben. «Etwas leiser sagte er zu Soames:»Vielleicht können wir sie in Schach halten, bis unsere Boote eintreffen.»

Die Kanus hatten gestoppt; unter dem Rückwärtsdruck der glitzernden Paddel lauerten sie wie zwei Hechte bewegungslos im Wasser. Bolitho hätte sein Fernrohr gebraucht — aber das lag irgendwo im Dschungel. Dennoch konnte er die Eingeborenen recht deutlich erkennen: die tief schwarzen Leiber waren über die Paddel gebeugt, um auf Befehl sofort loszurudern. Im Heck saß jeweils ein großer Mann mit buntem Kopfschmuck, den Körper von einem ovalen Schild gedeckt. Bolitho dachte an die Sklaven in der Lichtung, an das Mädchen, das an Deck der Brigantine erschlagen worden war. Von diesen Negern, die stumm das Boot beobachteten, konnte kein Weißer Gnade erwarten. Nur Blut würde sie befriedigen.

Die Weißen ruderten immer näher, bis nur noch eine halbe Kabellänge sie von den Eingeborenen trennte. Bolitho blickte sich nach den beiden Scharfschützen in der Achterplicht um. Fowlar war der eine, der andere ein Matrose mit zernarbtem Gesicht. Das Häufchen Pulver und Kugeln wirkte zwischen den beiden Männern noch winziger als vorher.

«Abfallen nach Steuerbord, Allday!«Bolitho war selbst überrascht, wie ruhig seine Stimme klang.»Sie müssen jetzt bald reagieren.»

Als sich das Langboot schwerfällig zur Mitte der Einmündung wandte, kam Leben in die beiden Kanus; schwungvoll fuhren die Paddel ins Wasser, plötzlich vibrierte die Luft von Trommelschlag, und im vordersten Kanu stieß der Anführer einen schrillen Kriegsruf aus.

Bolitho fühlte, wie auch ihr Boot unter ihm vorwärts schoß, sah den Schweiß auf den Gesichtern seiner Rudergasten und die Angst, mit der sie den herangleitenden Kanus entgegenblickten.

«Achtung!«brüllte er,»Schlag halten! Augen binnenbords!»

Etwas schlug spritzend längsseits auf — ein schwerer Stein zweifellos; und jetzt prasselte eine ganze Salve wie Hagel auf Schultern und Rücken der zusammenzuckenden Matrosen. Einige wurden am Kopf getroffen und sanken bewußtlos zusammen. Die Ruderer kamen aus dem Takt; ein Riemen fiel ins Wasser und trieb ab.

«Feuer!«befahl Bolitho.

Fowlar drückte ab und fluchte, weil er vorbeigeschossen hatte. Dann knallte die andere Muskete. Drüben schrie ein Neger auf und stürzte ins Wasser.

«Lenzen!«brüllte Soames. Er feuerte und grunzte befriedigt, als wieder ein Schwarzer ins Wasser stürzte.

Die Kanus trennten sich jetzt. Jedes schlug einen weiten Bogen, so daß sie etwas achterlicher zu beiden Seiten des Langbootes aufkamen, das damit völlig von den Ufern der Bucht abgeschnitten war. Vor ihnen lag die offene See, leer und lockend wie zum Hohn.

Wieder schoß Fowlar, und diesmal hatte er mehr Glück: er traf den Mann mit dem Kopfschmuck, der offensichtlich den Takt angab.

Die Matrosen pullten so angestrengt oder spähten angstvoll nach vorn, daß kaum einer die eigentliche Gefahr bemerkte, bis es fast zu spät war.

«Dort vorn, Mr. Fowlar!«brüllte Bolitho.»Feuern Sie so schnell wie möglich!«Denn mindestens ein Dutzend Kanus rundeten die grüne, hügelige Landzunge, fächerförmig ausschwärmend und voll johlender, brüllender Neger. Nach dem ersten Schuß zögerten sie, aber nur kurz. Dann schössen sie weiter durch die Dünung heran, durch die ihre Steven wie Messer schnitten.

Kopflos rissen die Matrosen an den Riemen, einige wimmernd vor Angst, andere wollten aufspringen; nur ein paar griffen nach den ins Boot gefallenen Steinen, um sich zu verteidigen.

«Das ist die letzte Kugel, Sir!«brüllte Fowlar. Ein schwerer Stein, offenbar von einer Schleuder aus einem der beiden Kanus achtern, prallte vom Dollbord ab und riß ihm den Handrücken auf. Er fluchte lästerlich.

Das vorderste Kanu der Flottille war inzwischen unter ohrenbetäubendem Getrommel und Kriegsgeschrei ganz nahe herangekommen.

Bolitho zog den Degen und blickte seine angstgelähmten Matrosen an.»Los, Jungs! Nahkampf!»

Aber daraus wurde nichts. Wieder ging ein Steinhagel auf das Boot nieder; ein Mann wurde so schwer getroffen, daß er über Bord stürzte. Der letzte Scharfschütze feuerte und traf zwei Wilde mit einer Kugel. Das Kanu fiel ab; der ins Wasser gestürzte Matrose trieb dicht daran vorbei und wurde an Bord gezerrt. Sie stellten ihn auf die Füße, mit dem Gesicht zum Langboot, hielten ihm die Arme fest. Er schrie mit weit offenem Mund, aber die Schreie gingen im wilden Gebrüll seiner Bezwinger unter. Plötzlich, Bolitho wurde es fast schlecht bei dem Anblick, hob der Anführer ein Messer hoch über seinen Kopf; die Augen des Gefangenen folgten der blitzenden Klinge wie hypnotisiert, der schreiend aufgerissene Mund war ein schwarzes Loch in dem kalkweißen Gesicht. Sehr langsam senkte sich das Messer, dann spritzte leuchtendrotes Blut. Schrecken und Abscheu drehten den zuschauenden Matrosen fast den Magen um.

«Jesus Christus!«sagte Allday gepreßt.»Sie ziehen ihm bei lebendigem Leibe die Haut ab!»

Bolitho packte den Scharfschützen bei der Schulter; der zuckte zusammen, als stürbe er mit dem Mann im Kanu.

«Tu dein Bestes!«Bolitho hatte Mühe, die Worte herauszubringen. Der Mann drüben lebte immer noch, wand sich wie eine arme Seele in Höllenqualen, während das Messer sein Werk verrichtete.

Ein Knall, und der Musketenkolbe n schlug im Rückstoß gegen die Schulter des Schützen. Bolitho wandte sich ab.

Gedämpft sagte Soames:»Das war die einzige Möglichkeit, Sir. Ich würde keinen Hund so leiden lassen.»

«Die Brigantine nimmt Fahrt auf, Sir!«rief Fowlar. Ohne daß jemand darauf geachtet hatte, war das Sklavenschiff ins freie Wasser gelangt. Sie hatten die schleppenden Boote eingeholt, die Vorsegel gesetzt, und segelten sich nun frei von Land.

Die Kanus bildeten zwei Stoßkeile; unter wildem Trommelwirbel setzten die Schwarzen zum letzten Angriff an. Bolitho hob seinen Degen zum dunstigen Himmel.

«Pullt, Leute! Wir kämpfen bis zum Letzten!«Leere Worte — aber es war immer noch besser zu kämpfen, als sich schweigend und ohne einen Finger zu rühren, überwältigen, martern und abschlachten zu lassen.

«Da sind sie«, flüsterte Allday. Er klemmte die Ruderpinne zwischen die Knie und zog das Entermesser.»Bleiben Sie dicht bei mir, Captain! Wir werden's den Hunden schon zeigen!»

Bolitho blickte ihn an. Die Schwarzen waren ihnen an Zahl zehnfach überlegen, und der Kampfeswille seiner übermüdeten Leute war schon jetzt gebrochen.»Das werden wir, Allday. «Er legte ihm die Hand auf den muskulösen Unterarm.»Und — danke!»

Ein ohrenbetäubender Aufschrei riß ihn herum, so daß das Boot gefährlich schwankte. Da erblickte er geschwellte Groß-und Vorsegel, eine Gallionsfigur, die wie pures Gold im milchigen Sonnenglast schimmerte — die Undine rundete die

Landspitze. Ihre Steuerbordbatterie drohte wie mit einer Reihe scharfer schwarzer Zähne.

«Hinsetzen! Sonst kentern wir!«brüllte Soames. Und Fowlar rief:»Sie geht über Stag, Sir! Um Gottes willen, sie hält auf die Untiefe zu!»

Bolitho verschlug es den Atem, als die elegante Silhouette der Undine sich verkürzte, die Segel ganz kurz killten, bis die Rahen wieder richtig gebraßt waren. Wenn sie jetzt auflief, ging es ihr wie der Nervion und noch schlimmer, denn die Überlebenden würden den Wilden in die Hände fallen.

Aber die Undine zögerte nicht; schon erkannte er die blutroten Uniformen der Seesoldaten an den Achterdecknetzen und meinte, neben dem Rad Herrick und Mudge ausmachen zu können, als die Fregatte so stark krängte, daß die See fast in die Stückpforten wusch.

«Hurra, Jungs, hurra!«brüllte Keen unter Freudentränen. Er schwenkte sein Hemd überm Kopf, die immer noch drohende Gefahr schon vergessend.

Auch die Brigantine hatte inzwischen gewendet und segelte sich frei von dem dunklen Schatten, der unter der glitzernden Wasserfläche lauerte, schüttelte die Reffs aus, um sich vom Wind nach Süden tragen zu lassen.

Ungläubig rief Fowlar:»Sie verfolgt das Sklavenschiff! Die müssen verrückt geworden sein!»

Bolitho sagte nichts. Er sah nur sein Schiff, und das reichte ihm. Er wußte genau, was Herrick dachte; sein Plan war ihm so klar, als hätten sie ihn abgesprochen: Herrick konnte nicht alle Kanus gleichzeitig angreifen, um Bolitho und seine kleine Schar zu retten. Also wollte er die Brigantine stellen und so die Kriegskanus auf die einzige ihm mögliche Weise ablenken.

Noch während sich Bolitho das klarmachte, eröffnete die Undine das Feuer. Es war eine langsame, sorgfältig gezielte Breitseite; in regelmäßigen Intervallen spuckten die Rohre Flammen und Rauch, während die Fregatte immer tiefer zwischen die Grundseen geriet.

Jemand stieß ein heiseres Hurra aus, als der Vormast der Brigantine erzitterte und mit dem ganzen Gewirr der Takelage über Bord kippte. Die Wirkung zeigte sich augenblicklich: in Sekundenschnelle kam sie aus dem Wind und bot in voller Breite ihren Rumpf einer zweiten Salve dar. Eine Zwölfpfünderkugel schlug neben dem Heck in die See und zerplatzte — so dicht lag das Riff unter der Wasseroberfläche.

«Sie ist aufgelaufen!»

Alles rief und schrie drüben wie verrückt durcheinander. Männer umarmten sich und schluchzten, weil sie ihr Glück nicht zu fassen vermochten. Bolitho konnte den Blick nur mit Mühe von der Brigantine lassen, die auf einem Riff oder einer Sandbank querschlug, während die chaotische Takelage sie noch weiter landeinwärts drückte.

Bolitho hielt den Atem an, als die Undine hastig Segel kürzte; ameisengleich krabbelten winzige Gestalten auf den Rahen, und als das Schiff über Stag ging, blitzte der Kupferbeschlag kurz auf. Eine halbe Kabellänge weiter, und die Fregatte hätte festgesessen.

Allday rief:»Sie hat beigedreht, Captain. Ein Boot wird ausgesetzt!»

Bolitho nickte nur, sprechen konnte er nicht.

Wild paddelten die Kanus zu der hilflosen Brigantine hinüber; weitere Boote rundeten die Landspitze, hielten sich aber vorsichtig außer Reichweite der ausgefahrenen Kanonen der Undine. Die große Pinasse der Fregatte kam in voller Fahrt durch die kabbelige See heran. Als eins der Kanus sich ihr zuwandte, genügte ein Schuß aus der Drehbasse, um die kreischenden Eingeborenen in die Flucht zu jagen.

Davy stand sehr aufrecht, sehr elegant im Heck. Selbst seine Rudergasten sahen im Vergleich zu den zerlumpten, hurrabrüllenden Überlebenden von Bolithos Landungskommando wie Übermenschen aus.

Das erbeutete Langboot sank bereits. Wurfsteine hatten seine Außenhaut eingedrückt; Bolitho hätte sich keine halbe Stunde mehr halten können, ganz abgesehen von dem zweiten Kanugeschwader.

Als die Pinasse längsseits kam und hilfreiche Hände die keuchenden Männer an Bord zogen, drehte sich Bolitho noch einmal um und sah zu der schon mit starker Schlagseite liegenden Brigantine hinüber. Selbst auf diese Entfernung waren Musketenschüsse zu hören und das abgehackte Kriegsgeschrei aus den Kanus, die sich zum Angriff formierten: die Sklavenfänger würden ein furchtbares Ende nehmen.

Davy faßte ihn beim Handgelenk und zog ihn in die Pinasse.

«Schön, Sie wiederzusehen, Sir. Und Sie auch natürlich, Mr. Soames«, setzte er verlegen grinsend hinzu.

Bolitho ließ sich nieder, jetzt konnte er das Zittern seiner Beine nicht mehr beherrschen. Er vermochte die Augen nicht von seinem Schiff zu wenden, das, je näher sie kamen, immer höher aufwuchs und schließlich turmhoch über ihnen stand. Er war sich klar darüber, was er für die Undine empfand — und für diejenigen, die ihr Leben für ihn aufs Spiel gesetzt hatten.

Herrick stand an der Reling, um ihn zu begrüßen. Seine Erleichterung, als er Bolithos beide Hände ergriff, schien ebensogroß wie die Angst, die er offenbar ausgestanden hatte.»Gott sei Dank, Sir, daß Sie in Sicherheit sind!»

Bolitho suchte Zeit zu gewinnen. Er musterte die killenden Segel, die neugierigen Seesoldaten, die Geschützbedienungen, die ihre Reinigungsarbeiten kurz unterbrochen hatten, um grinsend zu ihm herüberzusehen. Herrick war ein furchtbares Risiko eingegangen. Der reine Irrsinn. Aber Mudge neben dem Kompaß nickte ihm so strahlend zu, daß er an diesem Plan mindestens den gleichen Anteil gehabt haben mußte wie Herrick.

Doch Bolitho spürte auch etwas Neues an ihnen und versuchte, es zu definieren.

Herrick berichtete:»Wir hörten die Schießerei, Sir, und schlössen daraus, daß Sie in Schwierigkeiten wären. Aber statt Boote zu schicken, kamen wir sozusagen in voller Stärke. «Er warf einen Blick auf die geschäftigen Männer an den Geschützen und Brassen.»Sie hielten sich gut. Und freuten sich, dabeizusein.»

Bolitho nickte begreifend. Stolz. Das war das Neue. Ihn zu erwerben, war sie teuer zu stehen gekommen, und es hätte noch schlimmer ausfallen können.

«Bitte nehmen Sie Fahrt auf«, sagte er.»Lassen Sie uns von dieser Unheilsküste schleunigst verschwinden. «Einen Moment lang suchte er nach den richtigen Worten.»Und, Thomas, wenn Sie jemals wieder daran zweifeln, daß Sie ein Schiff kommandieren können, dann werde ich Sie an den heutigen Tag erinnern. Sie haben die Undine erstklassig geführt.»

Herrick blickte zu Mudge hinüber und hätte ihm beinahe zugeblinzelt.»Wir haben den richtigen Kommandanten, Sir, und begreifen allmählich auch den Nutzen seiner harten Schule.»

Bolitho wandte sich, plötzlich zu Tode erschöpft, dem Achterdeck zu.»Ich werde es euch nicht vergessen. «Damit verschwand er, gefolgt von Allday, durch den Kajütniedergang.

Wiegenden Schrittes kam Mudge herbei und blieb neben Herrick stehen.»Das war knapp, Mr. Herrick. Wenn Sie's nicht befohlen hätten — ich weiß nicht, ob ich mich durch die Riffe getraut hätte.»

Herrick blickte ihn an und dachte an Bolithos Äußerung vorhin; schließlich brauchte er seine Gedanken jetzt nicht mehr zu verbergen.

«Gewiß, Mr. Mudge. Aber es war das Risiko wert.»

Er schaute auf die dunstige Küstenlinie, wo eine dünne Rauchwolke hochstieg. Die Brigantine mußte in Brand geraten sein. Noch lange würde ihm das Bild des vollgeschlagenen Bootes vor Augen stehen, mit Bolitho aufrecht im Heck, den alten, angelaufenen Degen in der Faust. Laut ausdrücklichem Befehl hatte die Sicherheit des Schiffes zwar absoluten Vorrang haben sollen. Und wenn er nicht gegen diesen Befehl gehandelt hätte, wäre er jetzt Kommandant gewesen. Aber Bolitho wäre auch irgendwo dort draußen und kämpfte mit dem Tode.

«Alle Mann an die Brassen!«Mit seinem Sprachrohr trat er an die Reling.»Und dankt Gott für unser Glück!»

In der Kajüte hörte Bolitho Herricks Lachen und dann das Klappern und Knarren der Blöcke, als die Matrosen auf Stationen eilten, um das Schiff wieder in Fahrt zu bringen.

«Einen Schluck Wein, Captain?«fragte Allday leise.»Oder vielleicht etwas Stärkeres?»

Bolitho lehnte sich an den Fuß des Besan. Das Holz vibrierte, als hoch oben der Wind in die Segel fuhr.

«Wissen Sie, Allday, nach allem, was es uns gekostet hat, möchte ich am liebsten ein Glas frisches Wasser.»

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