XVII Bord an Bord

Die Hände auf der Achterdeckreling, musterte Bolitho prüfend sein Schiff. In der Dunkelheit hoben sich die hellen Decksplanken bleich gegen die See vor dem Bug ab, und nur an der ungleichmäßigen Linie des Kielwassers, der wirbelnden, vom Vordersteven ausgehenden Pfeilspitze, war zu erkennen, daß die Undine tatsächlich Fahrt machte.

Er versagte es sich, nach achtern zu gehen und bei dem abgeblendeten Kompaßlicht nach seiner Uhr zu sehen. Seit seinem letzten Kontrollgang hatte sich nichts geändert; er würde dadurch die Spannung nur vergrößern.

Drei Tage waren vergangen, seit sie Pendang Bay verlassen hatten, und meistens hatten sie dank des günstigen Windes gute Fahrt gemacht. Sie segelten in sicherer Entfernung von Land und hatten sogar die kleine, walfischförmige Insel gemieden, falls Muljadi dort wieder ein Fahrzeug als Wache stationiert hatte.

Kurz vor dem letzten Sonnenuntergang hatten sie Herricks Schoner gesichtet, einen winzigen dunklen Span an der kupferfarbenen Kimm. Es sah fast so aus, als liege er beigedreht und erwarte die Undine an einem bestimmten Treffpunkt. Ein kurzer Austausch von Lichtsignalen, dann hatten die Schiffe einander in der Dunkelheit wieder verloren.

Bolitho fühlte die kühle feuchte Luft auf Gesicht und Hals und schauderte. Die Mittelwache war eben vorbei, und allenfalls in einer Stunde oder so war die erste Helligkeit am Himmel zu erwarten. Über Nacht, während alle Mann das Schiff gefechtsklar machten, hatten sich dichte Wolken zusammengezogen und die Sterne gleichsam weggewischt, so daß die Undine in eine schwarze Leere hineinzusegeln schien.

Er hörte Mudge ruhelos bei den Finknetzen herumstapfen und sich die Hände warmreiben. Der Steuermann kam ihm ungewöhnlich nachdenklich vor. Vielleicht plagte ihn sein Rheumatismus; oder er dachte ebenso wie Bolitho an Herrick dort draußen, irgendwo an Backbord voraus.

Bolitho straffte den Rücken und schaute zu den dunkleren Linien der Takelage hoch. Die Undine fuhr unter Mars- und Vorstagsegeln; nur die mächtige Fock verdeckte die See vor dem Bugspriet. Es war seltsam, daß ihn so fröstelte, obwohl doch die Sonne in ein paar Stunden quälend brennen würde, ganz abgesehen von dem, was sie sonst noch erwartete.

«Hält der Wind, Mr. Mudge?»

Der Segelmeister war offensichtlich froh, das Schweigen brechen zu können.»Stetig Südwest, Sir. Voll und bei. «Er hustete laut.»Normalerweise wäre ich dankbar dafür.»

«Und warum sind Sie's nicht?»

«Weiß nicht recht, Sir. «Mudge verließ seinen Platz bei den Geschützbedienungen der Achterdeck-Sechspfünder.»Ist zu unruhig für meinen Geschmack.»

Bolitho wandte sich um und spähte zum Vorschiff. Die mächtige Fock schien Mudges Zweifel zu bestätigen. Die Undine steuerte fast genau Nord, und vor dem raumen Wind hätte sie glatt und gleichmäßig segeln müssen. Aber das tat sie nicht. Immer wieder füllte sich die Fock so hart, daß die Stagen und Wanten summend vibrierten, und hielt das Schiff mehrere Minuten lang fest auf Kurs. Aber dann wieder killte sie knatternd und fiel ein, hing schlaff fast bis zum Vormast durch — und das in ständigem Wechsel.

«In diesen Gewässern weiß man nie«, sagte Mudge skeptisch.»Jedenfalls nie genau.»

Nachdenklich studierte Bolitho Mudges zerraufte Silhouette. Wenn schon dieser erfahrene Mann sich Sorgen machte, was sollten da erst die anderen sagen?

«Mr. Davy«, rief er,»ich gehe aufs Vorschiff. «Der Leutnant löste sich von der Reling.»Sagen Sie Mr. Keen, er soll mir Gesellschaft leisten.»

Bolitho schlüpfte aus seinem Ölzeug und reichte es Allday. Er war so in seine Gedanken vertieft gewesen, daß er sich gar nicht klargemacht hatte, wie diese nur zäh dahinschleichenden Stunden auf seine Gefährten wirken mußten. Er hatte» Klarschiff zum Gefecht «trommeln lassen, und in der fast vollständigen Dunkelheit hatte das Manöver kaum länger gedauert als am hellen Tag, so vertraut waren sie inzwischen mit dem Schiff. Es war ihr Zuhause. Daß so früh gefechtsklar gemacht wurde, war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Der Schall pflanzte sich auf See leicht fort, und der Lärm beim Herausnehmen der Zwischenwände, das Scharren und Knarren beim Riggen der Schutznetze über dem Geschützdeck und das Sichern aller Rahen mit Ketten war stark genug, um Tote zu erwecken. Aber danach konnten sie nichts weiter tun als warten — und darüber nachgrübeln, was das Tageslicht ihnen bringen würde.

Keen tauchte aus der Dunkelheit auf, bleich schimmerte seine Hand auf einem der schwarzen Sechspfünder.»Was macht Ihre Wunde?«fragte Bolitho.»Danke, Sir, schon viel besser.»

Bolitho lächelte. Fast fühlte er selbst den Schmerz, der vermutlich auf Keens Gesicht stand.

«Dann begleiten Sie mich ein bißchen.»

Sie schritten zusammen den Leedecksgang entlang, duckten sich unter den straffgespannten Netzen, die Shellabeers Leute aufgeriggt hatten, um fallende Takelage oder Schlimmeres aufzufangen, sahen in die emporgewandten Gesichter der Geschützbedienungen, die ruhelosen Gestalten der Seesoldaten auf Posten an den Niedergängen, die Pulveräffchen — Schiffsjungen, die dicht beieinander hockten und darauf warteten, die jetzt noch stummen Kanonen zu füttern.

Auf der Back, wo die niedrigen Karronaden wie gefesselte Tiere nach vorn spähten, erschauerten die Geschützbedienungen jedesmal, wenn Sprühwasser überkam und sie durchnäßte.

Bolitho blieb stehen und griff mit einer Hand in die Netze, als die Fregatte stampfend in ein tiefes Wellental glitt. Die meisten Matrosen waren nackt bis zum Gürtel; ihre Oberkörper schimmerten schwach vor dem dunklen Wasser.

«Alles klar, Leute?»

Sie drängten sich um ihn, überrascht durch sein plötzliches Auftauchen. Gezwungenermaßen hatte man das Feuer in der Kombüse gelöscht, als gefechtsklar gemacht wurde. Ein heißer Trunk hätte jetzt mehr gezählt als ein Dutzend zusätzlicher Kanonen, dachte Bolitho bitter. Er sagte zu Keen:»Mein Kompliment an Mr. Davy, und er soll für alle Mann eine doppelte Ration Rum ausgeben lassen. «Die Männer um ihn reagierten sofort; freudiges Gemurmel lief das Geschützdeck entlang.»Und wenn sich der Zahlmeister ziert, bekommt er es mit mir zu tun!»

«Danke, Sir! Sie denken auch an alles, Sir!»

Er schritt zur Leiter und wandte dabei das Gesicht ab, damit sie seine Stimmung nicht spürten. Es war so leicht, sie aufzumuntern. Zu leicht, so daß er sich billig und heuchlerisch vorkam. Eine Doppelration Rum, die kostete nur wenige Pence. Wogegen sie in wenigen Stunden vielleicht ihr Leben oder ihre gesunden Glieder drangeben mußten.

Mit großen Schritten ging er zum Hauptniedergang. Dort stand der riesige Soames mit Tapril, dem Stückmeister. Er nickte Fowlar zu und den Bedienungen der Backbordbatterie. Alles seine Männer, für die er verantwortlich war.

Unvermittelt fiel ihm Konteradmiral Sir John Winslade ein, der ihn vor so vielen Monaten in der Admiralität eingewiesen hatte. Er hatte einen Fregattenkapitän gebraucht, dem er vertrauen, dessen Gedankengängen er folgen konnte, selbst auf der anderen Seite des Erdballs. Bolitho dachte auch an die beiden Veteranen unter den Fenstern der Admiralität; der eine war blind gewesen, der andere hatte für ihn und sich selbst gebettelt.

Alle diese kühnen Pläne und hochfliegenden Vorbereitungen für eine neue We lt! Doch am Kern der Dinge änderten sie gar nichts. Die Undine und die Argus waren zwar nur zwei Einzelschiffe, aber durch das, worum es bei ihrem Zweikampf ging, ebenso wichtig wie zwei feindliche Flotten.

Wenn die Undine es nun nicht schaffte — was würden sie dann sagen, die feinen Leute in den herrschaftlichen Häusern von Whitehall und am St. James' Square, in den geschäftigen Londoner Kaffeehäusern, wo aus bloßen Gerüchten in wenigen Minuten Tatsachen wurden? Würden sie auch nur einen Gedanken an die Männer verwenden, die für sie und für den König im Kampf ihr Leben gelassen hatten?

Irgendwo im Dunkel stieß jemand ein leises Hurra aus — vermutlich war der Rum eingetroffen.

Bolitho ging weiter nach achtern; er hatte es kaum gemerkt, daß er stehengeblieben war, weil sich seine Verbitterung in Zorn verwandelt hatte. Wie geräumig das Deck wirkte ohne die Boote, die sonst übereinander auf ihren Gestellen lagen! Jetzt hingen sie alle achteraus im Schlepp und warteten auf den Moment, da die Leinen gekappt werden würden.

Das war immer ein böser Moment, dachte er. Boote waren zwar zerbrechlich und bedeuteten in der Schlacht immer eine zusätzliche Gefahr, weil ihre Splitter wie Dolche umherflogen. Trotzdem waren die meisten Matrosen froh, daß die Boote an Deck waren: als letzte Hoffnung, wenn es ganz schlimm wurde.

Schnaufend kam Keen zurück.»Alles erledigt, Sir. Mr. Triphook hat sich allerdings ein bißchen aufgeregt über die Extraration. «Seine Zähne leuchteten weiß in der Dunkelheit.»Möchten Sie auch ein Glas, Sir?»

Rum war Bolitho zuwider. Aber er sah, daß die Matrosen und Seesoldaten ihn beobachteten.»Aber gewiß, Mr. Keen«, sagte er deshalb und hob das Glas zum Mund.

«Auf uns, Jungs!»

Er dachte an Herrick und Puigserver auf ihrer schwimmenden Bombe. Und auf dich, Thomas!

Er trank aus und blickte zum Himmel: noch kein Lichtschimmer. Und auch kein Stern zu sehen.»Ich gehe nach unten«, sagte er und tippte dem Midshipman auf den Arm.»Sie bleiben hier beim Niedergang. Lassen Sie mich rufen, wenn nötig.»

Bolitho stieg in die Finsternis hinab. Hier waren seine Bewegungen nicht so sicher. Jeder hätte ihn rufen können, wenn er gebraucht wurde, aber er wollte Keen einen unnötigen Besuch im Schiffslazarett ersparen. Das konnte noch früh genug kommen. Er dachte an Keens große, pulsierende Wunde, an Alldays sanfte Hände, mit denen er den blutigen Splitter herausgeholt hatte.

Noch eine Leiter. Er blieb stehen. Um ihn herum stöhnten und knarrten die Schiffsplanken. Auf diesem Deck roch es anders: nach Teer und Werg, nach dicht beieinander lebenden Menschen, obwohl das Logis jetzt verlassen war. Und vom Vorschiff her kam der Gestank des mächtigen Ankergeschirrs, von Bilgewasser und feuchter Kleidung. So roch es eben in einem lebenden, arbeitenden Schiff.

Schwacher Laternenschein wies ihm den Weg zu Whitmarshs primitivem Arbeitsraum: aneinandergelaschte Seekisten, auf denen die Verwundeten entweder gerettet wurden oder verzweifelt starben; Lederriemen zum Drauf beißen, Verbandszeug, um die Schmerzen zu lindern. Der riesige Schatten des Doktors schwankte auf dem schlingernden Deck. Bolitho beobachtete ihn aufmerksam. Ein starker Brandygeruch hing in der feuchtheißen Luft. Brandy zum Betäuben — oder um den Arzt auf seine Privathölle vorzubereiten?

«Alles klar, Mr. Whitmarsh?»

«Aye, Sir.»

Der Arzt schlurfte zu einer Seekiste und stemmte sich mit dem Knie dagegen. Er deutete mit einer Handbewegung auf seine Helfer, die stummen Sanitätsgasten, die das Opfer festhalten würden, bis die Arbeit getan war: brutal geworden durch ihre Tätigkeit, taub für die Schreie und jenseits allen Mitleids.

«Wir alle warten darauf, was Sie uns schicken werden, Sir. «Bolitho blickte ihm kalt ins Gesicht.»Werden Sie es nie lernen?»

Finster entgegnete der Arzt:»O doch, Sir, ich habe meine Lektion gut gelernt. Wenn ich einem Mann das Bein abgesägt oder Werg in seine leere Augenhöhle gestopft habe, mit nichts als Schnaps gegen die Schmerzen, dann bin ich Gott näher als die meisten Menschen.»

«Wenn dem so ist, dann kommen Sie ihm bitte nicht noch näher!«Bolitho nickte den anderen zu und ging zur Leiter.

«Vielleicht werde ich auch Sie hier begrüßen können, Sir!«rief der Arzt hinter ihm her. Bolitho antwortete nicht. Anscheinend brach der Wahnsinn bei Whitmarsh jetzt endgültig durch. Der schändliche Tod seines Bruders, der Suff und die Art, wie er sich sein Brot verdienen mußte, wirkten sich aus. Aber der Mann hatte auch eine andere Seite: er hatte von Mitleid mit den Verwundeten gesprochen, vom Dienst an den Unglücklichen — auf diese Seite seines Charakters mußte sich Bolitho verlassen.

Wieder dachte er an Herrick und hoffte, daß er mit seinem Boot rechtzeitig wegkam, wenn der Schoner endgültig auf Selbstmordkurs war. Seltsame Gefährten hatte er: darunter Puigserver und den kleinen Segelmacher aus Bristol, der in all seiner Angst noch den Mut gefunden hatte, an den Ort zurückzukehren, wo man ihn an Geist und Körper gebrochen hatte.

«Captain, Sir!»

Das war Keens Stimme. Er beschleunigte seine Schritte.»Was ist?»

Aber als er die Leiter ergriff und das bleiche Rechteck des Himmels sah, wußte er die Antwort. Langsame, schwere Regentropfen prasselten auf das Luk wie kleine, von den Rahen fallende Kieselsteine, trommelten auf Planken und Decksgänge.

Er zog sich die letzten Sprossen hinauf und eilte zum Achterdeck. Er war noch ein paar Fuß entfernt, da öffneten sich die Wolkenschleusen, und der Regen rauschte in mächtigen, ohrenbetäubenden Schleiern herab.

Bolithos Stimme übertönte die Sintflut.»Was macht der

Wind?»

Mudge stand gebückt bei der Kompaßbussole; unterm Anprall des Regens hatte sich sein Hut verschoben.

«Schießt aus, Sir, soweit ich sagen kann.»

Zischend und gurgelnd floß das Wasser übers Deck und durch die Speigatten. Die durchfrorenen Geschützbedienungen drückten sich unter die Decksgänge und kauerten hinter den geschlossenen Stückpforten, um den Sturzbächen zu entgehen.

Allday wollte Bolitho den geteerten Bootsmantel über die Schultern legen, aber der schob ihn zur Seite. Er war bereits naß bis auf die Haut, und die Haare klebten ihm in der Stirn. Das Rauschen von Regen und Spritzwasser betäubte ihn fast. Aber trotz allem behielt er den Kontakt mit seinem Schiff. Das Deck lag ziemlich stetig unter seinen Füßen, und über seinem Kopf killte, wie er eben noch erkennen konnte, das Großmarssegel und glänzte vor Nässe in dem immer mehr ausschießenden

Wind.

«An die Brassen, Mr. Davy! Holen Sie die Schoten dicht!«Tappend und fluchend gehorchten die Männer; das gequollene Tauwerk quietschte protestierend in den Blöcken, als die Rahen herumgeholt wurden, um das Schiff auf Kurs zu halten.»Einen Strich höher«, befahl Bolitho.

Am großen Doppelruder rutschten Männer aus; er sah, wie Carwithen nach einem der Rudergänger boxte, der sich im Regenguß duckte.

«Nordwest, Sir! Voll und bei!»

«Kurs halten!»

Bolitho wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel. Der prasselnde Regen half, ihm den Kopf freizumachen, so daß er sich mit dem Geschehen auseinandersetzen konnte. Wenn der Wind weiter ausschoß, auch wenn er nur so blieb wie jetzt, würde Herrick seinen Schoner nicht in die Position manövrieren können, von der aus er Muljadis Batterie zerstören konnte. Mußte der verdammte Wind ausgerechnet jetzt umspringen? Waren es Regentropfen oder Tränen der Verzweiflung, die ihm die Augen netzten?

Er schlitterte zu Mudge hinüber und schrie:»Wie weit haben wir noch, was denken Sie?»

«Vier oder fünf Meilen, Sir, mehr nicht. «Enttäuscht starrte Mudge in den Regen.»Dieser Guß wird schnell vorbeigehen. Aber dann…«Er hob die Schultern.

Bolitho wandte die Augen ab. Er wußte Bescheid. Stand die Sonne erst hoch, dann würde der Wind höchstwahrscheinlich auffrischen, Herrick nutzte er nichts, aber Le Chaumareys verlieh er Sicherheit an seinem Ankerplatz. Und die Undine würde hilflos sein. Sie würde vor der Küste warten müssen, bis der Feind seine beiden Schiffe gefechtsklar hatte und zu seinen Bedingungen kämpfen konnte. Oder sie konnten abdrehen und nach Pendang Bay zurückeilen, ohne etwas anderes mitzubringen als eine letzte Warnung.

«Eine Schweinerei, bei Gott!«rief Davy wütend.

Fast mitleidig sah Mudge zu ihm hinüber.»Das ganze Leben ist ein einziges Rückzugsgefecht, Mr. Davy, von dem Tag Ihrer Geburt an.»

Bolitho fuhr herum, um beiden Schweigen zu gebieten, aber da bemerkte er, daß er des Steuermanns Gesicht besser erkennen konnte als zuvor. Die Morgendämmerung brach an — dagegen war nichts zu machen.

Das Blut schoß ihm zu Kopf.»Wir greifen an wie geplant!«rief er.»Weitersagen an alle!»

Davy sah ihn offenen Mundes an.»Gegen die intakte Batterie, Sir?»

«Das hätte vielleicht sowieso nicht geklappt. «Er versuchte, ruhig zu sprechen.»Der Gegner wird dem Regen zuhören und Gott dafür danken, daß er sicher vor Anker liegt. «Scharf sprach er weiter:»Sind Sie taub, Mann? Sagen Sie Mr. Soames, er soll laden lassen, sowie der Regen vorbei ist!»

Davy nickte krampfhaft und rannte zur Reling.

Hauptmann Bellairs trat zu Bolitho.»Verdammt riskante Sache, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, Sir«, sagte er kühl.

Bolitho spürte, wie seine Schultern unter dem Regen tiefer sackten und der plötzliche Funke in ihm erlosch.

«Was würden Sie denn an meiner Stelle tun?»

Bellairs stellte seinen Kragen hoch und schob die Lippen vor.»Oh, ich würde auch kämpfen, Sir. Wir haben ja keine andere Wahl. Aber schade ist es trotzdem. Gottverdammt schade!»

Bolitho nickte.»Da sind wir uns einig.»

«Deck ahoi! Land voraus in Sicht!«schallte es vom Ausguck.

Steifbeinig schritt Bolitho nach Lee hinüber, seine Sohlen quietschten auf dem nassen Deck. Ein dunkler Streifen dehnte sich zu beiden Seiten des Bugs, schimmerte in dem schwachen Licht täuschend friedlich herüber.

Eine Stimme sagte leicht überrascht:»Der Regen läßt nach.»

Wie zur Bestätigung hob sich die triefend nasse Fock vor einer auffrischenden Bö. Bolitho schauerte und biß die Zähne zusammen.»Sagen Sie Mr. Soames Bescheid: laden und klar zum Ausrennen auf Befehl!«Er sah sich nach Keen um.»Die Flagge!»

Eine andere Stimme murmelte:»Keine Chance, Kumpels! Die machen uns fertig!»

Bolitho hörte den Fall quietschen, als das Tuch zum Masttopp emporstieg und sich im Wind entfaltete, auch wenn es vorläufig unsichtbar blieb.

«Sobald es hell genug ist, Mr. Keen, signalisieren Sie dem Schoner:»Aktion einstellen «Mr. Herrick kann hier warten und unsere Boote aufnehmen.»

«Aye, aye, Sir«, sagte Keen,»ich werde gleich… »

Er fuhr ärgerlich herum, denn aus dem Dunkel hörte er jemanden sagen:»Und unsere blutigen Leichen auffischen, das ist wahrscheinlicher!»

«Ruhe da!«schrie Keen.»Waffenmeister, schreiben Sie den Mann auf!»

Leise sagte Bolitho:»Nicht doch! Wenn es ihnen hilft zu schimpfen, dann sollen sie das ruhig tun.»

Die Fäuste in die Hüften gestemmt, blickte Keen ihn an.»Aber es ist nicht fair! Schließlich war's nicht Ihre Schuld, Sir!»

Bolitho lächelte.»Danke, Mr. Keen.»

Auf einmal sah er den Leutnant seines ersten Kommandos, der Schaluppe Sparrow, vor sich, einen amerikanischen Kolonisten; er hatte den Krieg mitgemacht, wo er am schlimmsten war, hatte seinem König gedient und dabei gegen seine eigenen Leute gekämpft. Was hätte der Keen geantwortet? Bin nicht ganz sicher, hätte er gesagt. Bolitho konnte ihn beinahe hören, als sei er mit an Bord.

Rasch wandte er sich nach Steuerbord, wo eben ein glimmender Streifen Sonnenlicht über der leeren Kimm erschien. Jetzt war es bald soweit. Er merkte, daß er Angst hatte vor diesem Tageslicht, das ihn nackt und bloß den Kanonen preisgeben würde, sobald sie in die enge Passage einfuhren, wo er mit Le Chaumareys zusammengetroffen war.

Hinter sich hörte er Schritte und Alldays Stimme, fest, unbewegt.»Gehen Sie lieber runter und ziehen Sie dieses nasse Zeug aus, Captain.»

Gereizt fuhr er herum, seine Stimme brach fast vor Anspannung.»Mann, denken Sie, ich habe nichts anderes zu tun?»

Doch der Bootsmann blieb stur.»Im Augenblick nicht. «Und im gleichen knappen Stil fuhr er fort:»Erinnern Sie sich noch, wie es bei den Saintes war, Captain?«Er wartete die Antwort nicht ab.»Ziemlich schlimm. Alle diese Froschfresser und das Meer zum Bersten voll von ihren Schiffen. Ich stand im Vorschiff an einem Drehgeschütz. Und die Jungs zitterten alle vor Angst. Da drehte ich mich um und sah Sie. Sie gingen auf dem Achterdeck auf und ab, so gelassen, als ginge es in die Kirche und nicht in die Hölle.»

Bolitho starrte ihn an und war auf einmal wieder ruhig.»Ja, ich erinnere mich.»

Allday nickte bedeutsam.»Aye. Und Sie trugen dabei Ihre beste Uniform.»

Bolitho blickte über Alldays Schulter. Im Geist hörte er eine andere Stimme, die seines damaligen Bootsmanns, Alldays Vorgänger, der an diesem Tag gefallen war. Die Leute wollen zu Ihnen aufblicken, hatte er gesagt.

«Na schön. Aber wenn man mich braucht… »

Langsam zog ein Lächeln über Alldays Gesicht.»Dann sage ich Ihnen sofort Bescheid, Captain.»

Als er gegangen war, meinte Mudge leise zu Allday:»Das war vielleicht 'ne Schnapsidee, Mann! Mit seinen goldenen Tressen wird der Kommandant ein feines Ziel abgeben für die Scharfschützen!»

Allday maß ihn ärgerlich.»Das weiß ich. Und er auch. Er weiß aber auch, daß wir uns heute auf ihn verlassen — und dazu muß man ihn sehen können!»

Mudge schüttelte den Kopf.»Verrückt. Ihr seid alle verrückt.»

«Deck ahoi!«sang der Ausguck aus.»Schoner in Luv voraus!»

«Rückrufsignal hissen!«befahl Keen.

Allday stand mit untergeschlagenen Armen da und starrte in das zunehmende Frühlicht, das bereits bis zu den Inseln reichte.»Mr. Herrick wird's nicht sehen«, verkündete er.

Davy funkelte ihn an.»Es ist aber bald hell genug.»

«Weiß ich, Sir«, erwiderte Allday traurig.»Aber er wird's trotzdem nicht sehen. Nicht Mr. Herrick.»

Ohne Möbel und sonstige Einrichtung wirkte die Kajüte so seltsam feindselig wie ein leeres Haus, das seinen verstorbenen Herrn betrauert und widerwillig einen neuen erwartet.

Bolitho stand bei den abgeblendeten Heckfenstern und ließ die Arme hängen, während Noddall ihn wie eine Glucke umtanzte und ihm den schweren Rock glattstrich. Wie der Bootsmantel stammte er von einem erstklassigen Londoner Schneider und hatte einen guten Teil seiner Prisengelder gekostet.

Durch einen Spalt des Skylightdeckels, der jetzt mit Riegeln am Kampanjebalken befestigt war, konnte er das Geschützdeck überblicken. Dort war das Licht noch spärlich, die Kanonen und ihre geschäftigen Bedienungen standen noch im Schatten. Selbst hier in der Kajüte, wo er manchmal in der Einsamkeit Ruhe gefunden, mit Viola Raymond zusammengesessen oder mit Herrick eine Pfeife geraucht hatte, gab es kein Entrinnen. Von den Zwölfpfündern hatte man die Chintzbezüge abgenommen und sie mit den Möbeln irgendwo unterhalb der Wasserlinie, wo sie sicherer waren, verstaut. An den beiden Geschützen standen die Bedienungen, unbehaglich und beklommen in seiner Gegenwart; einerseits wollten sie ihm beim Umkleiden zuschauen, andererseits trauten sie sich nicht, woanders hinzuschauen als auf ihre Kanonen.

Mit schiefgeneigtem Kopf lauschte Bolitho dem Ruderblatt, das grollend auf das Drehen des Rades reagierte. Der Wind hatte aufgefrischt; er legte das ganze Schiff über und hielt es so. Einer der beiden Geschützführer kontrollierte eben seine Reißleine und stand dabei ganz schief zum Deck.

«So sehen Sie besser aus, Sir, viel besser«, murmelte Noddall. Er wiederholte es inbrünstig wie ein Gebet.»Besser, viel besser. Captain Stewart war immer besonders eigen vor einem Gefecht.»

Bolitho verdrängte alle Zweifel und bösen Ahnungen. Stewart — wer war das? Dann fiel es ihm wieder ein: der vorige Kapitän der Undine. Ob dem wohl manchmal so ähnlich zumute gewesen war?

Stampfende Schritte oben an Deck; jemand rief etwas.

«Schluß jetzt, das muß genügen!«Er griff nach Hut und Degen, blieb aber noch einen Moment stehen; Noddall hielt immer noch die Hände vor der Brust hoch wie Pfötchen; plötzlich tat er ihm leid.

«Sehen Sie sich vor, Noddall, und bleiben Sie unter Deck. Kämpfen ist nichts für Sie.»

Es erschütterte ihn, daß Noddall heftig nickte und ihm dabei Tränen über die Wangen liefen.»Danke, Käpt'n«, sagte er schwach und gebrochen, aber aufrichtig.»Noch ein Gefecht könnte ich nicht aushallen. Und ich möchte Sie nicht enttäuschen, Sir.»

Bolitho eilte an ihm vorbei zur Leiter. Noddall war immer etwas Selbstverständliches für ihn gewesen. Niemals war ihm der Gedanke gekommen, daß Noddall jedesmal, wenn gefechtsklar gemacht wurde, vor Angst beinahe verging.

Er rannte die letzten Stufen hoch und sah oben Davy und Keen, die ihre Fernrohre nach vorn gerichtet hatten.

«Was ist los?»

Davy drehte sich um, mit Mühe schluckend, und konnte seine Blicke nicht von Bolithos goldbetreßtem Rock lassen.»Der Schoner hat das Signal nicht bestätigt, Sir.»

Bolitho sah von ihm zur Signalflagge hoch, die sich jetzt frei und hell gegen die grauen Bramsegel abhob.»Sind Sie sicher?»

Mudge knurrte:»Anscheinend will er nicht, Sir. Wenigstens scheint Mr. Allday das zu denken.»

Statt zu antworten, suchte Bolitho den Landstreifen vor dem Bug sorgfältig ab. Dort lag alles noch im tiefen Schatten, nur hier und da verriet ein heller Strich den nahen Sonnenaufgang. Aber der Schoner war klar genug zu sehen, er stand genau in Linie zum stampfenden Bugspriet der Undine; seine Segel leuchteten fast weiß vor den Klippen und gezackten Felsen. Herrick mußte das Signal gesehen haben. Er hatte bestimmt darauf gewartet, seit der Wind ausgeschossen war. Bolitho blickte zum Masttopp empor. O Gott, der Wind hatte noch weiter gedreht und mußte jetzt aus Westsüdwest kommen.

«Aufentern lassen, Mr. Davy!«rief er.»Royalsegel setzen!»

Er wandte sich um, und in dieser kurzen Sekunde sah er sie alle ganz klar: Mudge, von Zweifeln geplagt; Carwithen, dessen Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepreßt waren; die Rudergasten, die nackten Rücken der Geschützbedienungen und Keen mit seinen Signalgasten…

Die Bootsmannspfeifen schrillten. Schattenhaft glitten die Toppmatrosen an den Webleinen empor, um mehr Segel zu setzen.

Davy rief herüber:»Vielleicht will Mr. Herrick weitermachen wie geplant, Sir!»

Mit einem Blick auf Allday, der aufmerksam den Schoner beobachtete, erwiderte Bolitho gelassen:»Sieht beinahe so aus, Mr. Davy.»

Unter dem Zug der obersten Segel tauchte die Undine noch tiefer in das milchige Wasser. Schaumfetzen flogen über Back und Netze wie Gespenster. Der Schiffsrumpf erzitterte stöhnend unter dem Druck, und wenn Bolitho nach oben blickte, sah er, daß die Royalrahen sich durchbogen. Der Wimpel am Masttopp war jetzt deutlich zu erkennen; die Uniformröcke der Seesoldaten, die in schwankenden Reihen bei den Finknetzen angetreten standen oder mit ihren Musketen und Drehgeschützen oben in den Toppen knieten, leuchteten rot wie

Blut.

Als er befahl:»Signal wiederholen, Mr. Keen!«kam ihm seine eigene Stimme fremd vor.

Soames stand am Verschlußblock eines Zwölfpfünders und hielt sich mit beiden Händen am Decksgang fest. Er starrte auf das Land. Dann blickte er nach achtern zu Bolitho und zuckte kurz mit den Schultern. Im Geist hatte er Herrick wohl bereits abgeschrieben.

«Das wird nichts!«sagte Keen heiser.»Ohne Ruder treibt der Schoner bei diesem Wind an der Insel vorbei. Bestenfalls explodiert er mitten in der Durchfahrt!»

Da schrillte Penns Knabenstimme vom Geschützdeck:»Ich habe eine Trompete gehört!»

Bolitho rieb sich die Augen, in denen schmerzhaft das Salz biß. Also eine Trompete. Ein Posten in der Festung mußte den Schutz der Mauern verlassen und auf See hinausgeblickt haben. Den Schoner hatte er wohl sofort gesehen, und in ein paar Minuten mußte auch die Undine entdeckt werden.

Das Brausen der See, die Geräusche des Schiffs wirkten plötzlich lauter denn je; jedes Stück des Riggs und der Segel knallte und summte im Chor, als die Undine dem Land und dem hellen Dreieck aus Gischt, welches die Einfahrt in die Passage markierte, immer näher kam.

Ein dumpfer Krach tönte über das Wasser, und ein Mann rief:»Sie haben das Feuer eröffnet, Sir!»

Bolitho griff nach einem Teleskop. Mit grimmigen Gesichtern hockten die Geschützbedienungen vor ihren Kanonen oder warteten hinter den geschlossenen Stückpforten. Hofften. Fürchteten sich…

Es war schwierig, das Glas einzustellen. Mit gespreizten Beinen suchte er festen Stand auf dem schlüpfrigen, schwankenden Deck. Die Masten des Schoners kamen ins Blickfeld und verschwanden wieder, und der kleine blutrote Fleck der Kriegsflagge, der vorher noch nicht dagewesen war. Er spürte sich lächeln, obgleich ihm eigentlich mehr nach Weinen zumute war, obwohl er verzweifelt wünschte, seine flehenden Worte über diese zwei Meilen schreien zu können. Herrick zeigte ebenfalls die Farben. Für ihn war der Schoner nicht einfach eine schwimmende Bombe; er war ein Schiff — sein Schiff. Oder vielleicht wollte er mit dieser simplen Geste Bolitho etwas erklären. Ihm zeigen, daß er verstand.

Noch ein Krach; und dieses Mal sah er den Pulverrauch von der Batterie aufsteigen, ehe der Wind ihn auseinanderriß. Fedrig sprang eine Gischtfontäne hoch, aber weit vom Schoner entfernt. Bolitho hielt ihn im Glas. Er krängte so, daß das

Unterwasserschiff über dem spritzenden Gischt sichtbar wurde. Bei diesem Wind konnte Herrick für den letzten und gefährlichsten Teil seiner Fahrt das Ruder nicht festlaschen, das wußte er.

«Der Schuß saß zu hoch, Sir!«schrie Davy.

Diese Worte rissen Bolitho in die Wirklichkeit zurück, und er senkte das Glas. Der Kanonier auf der Festung hatte also auf die Undine gezielt, nicht auf den kleinen Schoner. Ehe Muljadis Leute gemerkt hatten, was los war, mußte Herrick bereits so dicht unter der Küste gewesen sein, daß er im toten Winkel lag.

Bolitho blickte wieder hin, als eine Doppelexplosion übers Wasser rollte. Er sah die Mündungsfeuer nur kurz aufblitzen, dann stiegen die Zwillingsgeyser in Linie mit dem Schoner, aber weit hinter ihm auf.

Hauptmann Bellairs vergaß seinen blasierten Gleichmut, packte seinen Sergeanten beim Arm und brüllte:»Bei Gott, Sar'nt Coaker, er will sie selbst auf Grund setzen!»

Es dauerte noch ein paar Sekunden, bis sich diese Erkenntnis über das ganze Deck der Fregatte verbreitet hatte. Aber dann, als die Worte von einem Geschütz zum anderen bis zum Bug gedrungen waren, sprangen die Männer auf, brüllten wie die Irren, schwenkten ihre Halstücher oder hüpften wie Kinder auf dem sandbestreuten Deck. Von den Masten und auf der Back erscholl Geschrei, und selbst Midshipman Armitage, der sich eben noch an eine Belegklampe geklammert hatte, um nicht zusammenzubrechen, schwenkte seinen Hut und gellte:»Los! Ihr werdet es ihnen schon zeigen!»

Bolitho räusperte sich mühsam.»Frage an Masttopp: Fregatten gesichtet?»

Er versuchte krampfhaft, nicht an den mit Pulver vollgestopften Laderaum des Schoners zu denken. Und nicht an die Lunte, die in der Stille des Schiffsrumpfes bestimmt schon knisternd brannte.

«Aye, Sir! Er sieht die Rahen der ersten Fregatte hinter der Landspitze!«Selbst Davy hatte wilde Augen und schien, den bevorstehenden Kampf vergessend, von Herricks Selbstaufopferung überwältigt zu sein.

Erneutes Geschützfeuer, und nun spritzten die Fontänen rings um den Schoner hoch. Vielleicht kamen sie von der nächsten der ankernden Fregatten oder von kleineren Geschützen auf dem winzigen Strand, der die Einfahrt beherrschte. Bolitho spürte, daß er die Zähne schmerzhaft fest zusammengebissen hatte.

Zum mindesten wußten die Franzosen jetzt, daß irgend etwas geschah, aber sie würden das volle Ausmaß der Gefahr noch nicht gleich erkennen.

Ein fast gleichzeitiges Aufstöhnen der gespannt beobachtenden Matrosen ließ Bolitho das Glas heben; er sah die Bramstenge des Schoners umknicken und dann in einem flatternden Chaos von Leinwand und Rigg niedersinken.

«Zurück, Thomas! Um Gottes willen, wende!«flüsterte er.

«Schon wieder ein Treffer, Captain«, sagte Allday.»Und diesmal schlimmer.»

Bolitho riß sich los, er durfte nicht an Herrick denken. Das mußte warten. Denn in wenigen Minuten würde die Undine in Reichweite dieser Kanonen sein, wenn sie mit verzweifeltem Mut in die Passage einlief.

Er zog den Degen und hob ihn über den Kopf.

«Schaut auf ihn, Jungs!«Er konnte die Gesichter, die sich ihm zuwandten, nur undeutlich unterscheiden, sie schwammen wie im Nebel.»Mr. Herrick zeigt uns den Weg!»

«Er ist aufgelaufen!«Davy war beinahe außer sich.»In voller Fahrt aufgelaufen!»

Der Schoner hatte sich bei der harten Grundberührung ein Stück aus dem Wasser gehoben und knallte jetzt mit dem ganzen Vorschiff zwischen die Felsbrocken und Klippen. Genau wie er es ihnen mit Conways silbernen Tintenfässern vorgespielt hatte.

Selbst ohne Glas war zu sehen, daß ein paar kleine Boote sich von der Pier lösten und auf den schwer havarierten Schoner zuhielten, der jetzt entmastet dalag und wie eine uralte Hulk von Brechern überspült wurde. Gelegentlich zeigte ein Aufblitzen an, daß Scharfschützen in das Wrack feuerten, und Bolitho betete, daß die Lunte noch brennen und Herrick nicht lebend in Gefangenschaft geraten möge.

Die Explosion kam so plötzlich, so farbensprühend und überwältigend in ihrer Größe, daß man kaum hinsehen, geschweige denn ihre Ausmaße schätzen konnte. Eine breite Wand orangeroter Flammen wuchs vor den Felsen auf und breitete sich nach rechts und links mit mächtigen Feuerschwingen aus, verschlang alle Boote im Umkreis, versengte Menschen und Waffen und verbrannte sie zu Asche.

Und dann folgte das Getöse. Der Schall erreichte die Fregatte mit einem beständig ansteigenden Brüllen, bis die Männer sich die Hände auf die Ohren preßten und schreckensstumm die Flutwelle anstarrten, die unter den Rumpf der Fregatte rollte, sie mühelos hochhob und sich dann achteraus in den letzten Schatten der Nacht verlor.

Endlich verklang der Donner, das Feuer erstarb und hinterließ gelbrot glimmende Punkte — die Überreste von verbranntem Gebüsch in der Steilwand.

Das Geräusch von Meer und Wind kehrte zurück, von Rigg und Leinwand; hier und da sprach jemand fast im Flüsterton, als hätten sie soeben erlebt, daß Gott persönlich dazwischenfuhr.

Mit harter Stimme befahl Bolitho:»Fock aufgeien, Mr. Davy!«Er ging zur Reling; jeder Schritt verursachte ihm körperlichen Schmerz.»Mr. Shellabeer, alle Boote bis auf die Barkasse kappen!«Er mußte weiterreden, seine Leute wieder in Bewegung bringen, diesen furchtbaren Scheiterhaufen aus seinen Gedanken verbannen.

Er merkte, daß Soames ihn erwartungsvoll ansah, und rief:»Laden und ausrennen!»

Seine Worte gingen fast unter im Donnern der rebellierenden Leinwand, als das mächtige Focksegel an seine Rah gegeit wurde. Vorhang, dachte er stumpf, Vorhang auf zum letzten Akt. Damit auch alles gut zu sehen war.

Er hörte die Backbord-Stückpforten beim Aufgehen quietschen; dann warfen sich auf Soames' Kommandogebell die Geschützbedienungen in die Züge, die schwarzen Mündungen schoben sich immer schneller rumpelnd ans Tageslicht und standen drohend über dem milchigen Wasser.

Davy faßte an den Hut.»Alle Geschütze ausgerannt, Sir!»

Sein Gesicht war hager vor Anspannung.

«Danke.»

Bolitho behielt den dunklen Kegel quer vor der Durchfahrt im Auge. Kein weiteres Mündungsfeuer blitzte aus diesen mächtigen Rohren. Es hatte geklappt. Selbst wenn die Besatzung der Festung noch imstande war, einige Geschütze von der Landseite herüber zu schaffen, geschah das doch zu spät, um die Undine noch zu treffen, die jetzt in den treibenden Rauchvorhang stieß.

Er beschattete die Augen und starrte auf den Fetzen Land, auf jene dunklen Striche — die Masten und Rahen der ersten Fregatte. Bald. Sehr bald. Er faßte den Degen so fest, daß seine

Knöchel weiß hervortraten. Tief innen fühlte er Schmerz und Zorn, eine wachsende, blinde Wut, die nur Rache für Herrick lindern konnte.

Und dann kehrte das Sonnenlicht zurück, wurde mit jeder Minute stärker. Bolitho enterte ein Stück in die Luvwanten auf, unbekümmert um Wind und Sprühwasser, das auf seinem Rock hängenblieb wie perlweiße Schmuckspangen. Vor der Undine lief ihr langer Schatten über das kabblige Wasser, sein eigener Schatten war dabei deutlich zu unterscheiden wie ein Detail in einem Webmuster.

Er blickte zu Mudge hinunter.»Klar zum Kurswechsel, sobald wir die Landspitze passiert haben!»

Er wartete, bis die Brassen bemannt waren, wo nun die Sonne die bloßen Rücken beschien, eine Tätowierung oder einen besonders langen Zopf hervorhebend. Dann sprang er an Deck und zerrte an seinem Halstuch, als würge es ihn.

«Marineinfanteristen, Achtung!«Bellairs hatte seinen eleganten Schleppsäbel gezogen und musterte seine Männer, die sich auf den dichtgepackten Hängematten eine Auflage für ihre langen Musketen suchten.

Neben jeder offenen Stückpforte kauerte ein Geschützführer und hatte seine Abzugsleine schon fast straffgespannt, während er darauf lauerte, daß er ein Ziel vors Rohr bekam.

Das Stückchen Land sprang ins Blickfeld, als ob es das Schiff berühren wollte. Die Bugwelle kräuselte das Wasser zwischen ein paar zerklüfteten Felsen, die Bolitho von seinem Besuch her noch in Erinnerung hatte.

«Klar bei Brassen!»

Mudge brüllte:»Ruder nach Backbord! Lebhaft!»

Wie ein Vollblutpferd warf sich die Undine unter dem Druck von Segel und Ruder herum; die Rahen kamen gleichzeitig über, als sie ins Sonnenlicht drehte.

«Ruder Nordost zu Ost!«Mudge warf sich mit der ganzen Kraft seines ungefügen Körpers mit in die Speichen.»Stützen, ihr Mistkerle!»

Ein paarmal krachte es dumpf, und eine Kugel flog mit einem Knall wie von einer Peitsche durch das Vormarssegel.

Bolitho nahm kaum Notiz davon. Er starrte die vor Anker liegende Fregatte an, das Gewimmel auf ihren Rahen und an Deck, die Vorbereitungen zum Ankerlichten.

Davy war ebenso enttäuscht wie er.»Das ist ja gar nicht die Argus, Sir!»

Bolitho nickte. Es war die andere Fregatte. Die, welche von ihrer Besatzung aufgegeben worden war. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, jede einzelne Bewegung zu beobachten, um sich vorzustellen, was geschehen war.

Le Chaumareys war weg. Zufall? Oder hatte er wieder einmal seine Überlegenheit bewiesen, seine Gerissenheit, die noch nie übertrumpft worden war?

Wild schwang er die alte Klinge über seinem Haupt und brüllte:»Steuerbordbatterie! Auf das erkannte Ziel!«Blitzend fuhr der Degen nieder. »Feuer!»

Brüllend brach die Breitseite aus der Undine, Geschütz nach Geschütz erfaßte sein Ziel. Soames tobte an jedem rücklaufenden Verschlußblock vorbei, brüllte die Männer an und beobachtete durch die Stückpforten die Wirkung des Beschusses. Rauch drang aus den Pforten und rollte auf das gegnerische Schiff zu.

Hier und da blitzte drüben ein erwiderndes Geschütz auf; mindestens eine Kugel schmetterte in die Bordwand der Undine, Bolitho spürte die Decksplanken unter seinen Füßen erbeben.

Unter Flüchen und Gebrüll ihrer Bedienungen mischten sich jetzt auch die Achterdecksgeschütze ein. Die plumpen Sechspfünder stießen auf ihren Schienen innenbords, mit brennenden Augen wischten die Mannschaften die Rohre aus und rammten in Sekundenschnelle die neuen Ladungen hinein.

Hoch über ihren Köpfen, rechts und links geräuschvoll ins Wasser platschend, erreichte sie eine Salve kleinerer Kaliber, ob von der Festung oder der Fregatte, das wußte Bolitho nicht, und es war ihm auch gleich. Lebhaften Schrittes überquerte er das Deck und sah dabei nur die kahlgeschossenen Masten des gegnerischen Schiffes, den bunten Wimpel mit dem aufgebäumten Wappentier und die wachsende Qualmwolke der unaufhörlich einschlagenden Salven der Undine.

Einmal überlief ihn ein Schauder, als er ein verkohltes Treibgut achteraus vorbeischaukeln sah: einen kopflosen Leichnam, der sich im Kielwasser der Undine drehte, rote Blutfäden gleich obszönen Algen hinter sich herziehend.

Herrick hatte gewußt, daß die Argus verschwunden war, er hatte die Reede lange vor der Undine überblickt. Er hatte nicht gezögert. Wieder fühlte Bolitho ein stechendes Brennen in den Augen, Wut und Haß brodelten in ihm hoch. Wieder krachten die Achterdeckgeschütze, bei den scharfen Detonationen zog sich ihm der Magen zusammen. Die Bedienungen stürzten mit Handspeichen vor, um die Kanonen für die nächste Salve auszurichten.

Herrick hatte es akzeptiert — wie früher auch. Dafür hatte er gelebt.

Laut, ohne sich um Mudge und Davy zu scheren, stieß er hervor:»Diese idiotischen Intriganten! Hol sie der Teufel für ihre Dummheit!»

«Die Fregatte hat die Ankertrosse gekappt, Sir!«schrie Keen.

Bolitho rannte zu den Netzen, fühlte dabei dicht vor seinen Füßen eine Musketenkugel ins Deck schlagen. Es stimmte — Muljadis Schiff trieb unbeholfen in Wind und Strömung, sein Heck schwang wie ein Torflügel quer vor die Undine. Jemand mußte da die Nerven verloren haben, oder vielleicht war in dem Durcheinander ein Befehl mißverstanden worden.

Er brüllte:»Wir gehen längsseits! Klar bei Marsfallen! Ruder hart Lee!»

Wieder stürzten die Männer an die Brassen, donnernd schlugen die Marssegel in plötzlicher Freiheit, elegant schwang die Undine nach Backbord, bis ihr Klüverbaum auf die ferne Pier und die schwelenden Trümmer wies.

Soames kommandierte:»Richten! Fertig!«Seine rotgeränderten Augen wanderten an der Reihe keuchender Geschützbedienungen entlang, wie ein Marschallstab deutete sein Degen:»Schafft den Mann da weg!«Er rannte hin und half, einen Verwundeten von einem Zwölfpfünder wegzuziehen.»Jetzt!«Sein Degen fuhr nieder.»Breitseite!»

Diesmal feuerte die ganze Batterie in einer einzigen krachenden Flammenwand, aus der lange rote Zungen in den Qualm stießen, der sich wie in Todeszuckungen wand.

Heiseres Triumphgeschrei:»Da geht ihr Vormast!»

Bolitho rannte zum Decksgang, Seesoldaten und Matrosen polterten ihm nach. Hoch über dem Rauch schleuderten die behenden Toppsgasten bereits ihre stählernen Draggen, forderten einander lachend zum Wettkampf heraus; jede Mannschaft wollte schneller sein als die andere. Und noch ein Hurra, als die Undine knirschend gegen die steuerlos treibende Fregatte stieß, ihren Bugspriet hoch über die Kampanje des Gegners schob. Während ihre Restfahrt die Schiffe dichter gegeneinander trieb, bellten die Waffen lauter denn je, denn jetzt trugen sie ihre Zerstörungswut nur über knappe dreißig Fußbreit wirbelnden Wassers.

«Entern!»

Bolitho griff in die Großmastwanten und paßte den Moment ab, in dem Soames brüllte:»Feuer einstellen! Drauf, Jungs! Haut die Bastarde zusammen!«Dann war er drüben, krallte sich in die Enternetze des Gegners, die von den Breitseiten schon mächtige Risse aufwiesen. Muljadi schien seinen Angriffsplan schon fertig gehabt zu haben, denn aus den Decks quollen Hunderte von Männern, um die hurraschreienden, fluchenden Enterer zu empfangen.

Musketen- und Pistolenfeuer; irgendwo oben krachte ein Drehgeschütz, eine Ladung gehacktes Blei fegte über das gegnerische Deck und schleuderte Holztrümmer und menschliche Leiber in alle Richtungen.

Ein bärtiges Gesicht tauchte aus dem Qualm auf, und Bolitho hieb danach; mit der anderen Hand hielt er sich in den Netzen fest, um nicht über Bord zu fallen und zwischen den Schiffsrümpfen zerquetscht zu werden. Der Pirat schrie auf und stürzte, ein Seesoldat stieß Bolitho zur Seite und kreischte wie ein Irrer, als er einen Mann mit dem Bajonett durchbohrte; sofort riß er die Schneide wieder heraus und rammte den Kolben in einen verwundeten Feind, der wegzukriechen versuchte.

Allday duckte einen Säbelhieb ab und brachte den Angreifer damit aus dem Gleichgewicht. Mit der linken Faust schob er den Mann zurück, um mit der eigenen Klinge besser ausholen zu können. Sie traf wie eine Axt auf Holz.

Bellairs stand in einer Abteilung Marineinfanteristen und brüllte Kommandos, die kein Mensch hören konnte; sein eleganter Schleppsäbel zuckte vor und zurück wie eine silberne Schlange, während er sich mit seinem Pulk zum Achterdeck durchkämpfte.

Noch einmal brandete Hurrageschrei auf, und Bolitho sah Soames mit seiner Entermannschaft in den Großmastwanten des Gegners; Musketen feuerten auf kürzeste Entfernung in das Gewimmel unter ihm; Soames kreuzte die Klinge mit der eines großen schlanken Offiziers — Le Chaumareys' Erstem Leutnant, wie sich Bolitho erinnerte.

Soames rutschte aus und fiel auf eine umgestürzte Kanone, und der Franzose holte zum tödlichen Stich aus. Aber ein Seesoldat hatte es gesehen; seine Musketenkugel riß den Hinterkopf des Franzosen weg und warf ihn wie eine Stoffpuppe über die Reling.

Bolitho merkte, daß Allday ihn am Arm schüttelte, um ihm etwas begreiflich zu machen.»Der Laderaum, Captain!«brüllte er und stieß seinen Entersäbel in Richtung der Hauptluke.»Die Hunde haben Feuer gelegt!»

Bolitho starrte hin; der Kopf schwirrte ihm von Kampf- und Siegesgeschrei, dem wahnwitzigen Wüten des Nahkampfes. Schon verdichtete sich der Rauch. Vielleicht hatte Allday recht, vielleicht hatte aber auch nur ein brennender Stopfen aus einem Geschütz der Undine mit Soames' letzter Breitseite seinen Weg in den Rumpf der Fregatte gefunden. So oder so, wenn er nicht sofort handelte, würden beide Schiffe vernichtet werden.

Er schrie:»Hauptmann Bellairs! Zurück!»

Bellairs glotzte ihn verständnislos an; Blut tropfte ihm aus einer Stirnwunde. Dann aber schien er sich wieder unter Kontrolle zu bekommen und rief:»Zur Retraite!«Er sah sich nach seinem Sergeanten um, dessen Riesenkörper irgendwie von Stahl und Kugeln verschont geblieben war.»Coaker! Schreiben Sie den Kerl auf, wenn er nicht gehorcht!»

Coaker griff nach einem Trommelbub der Marineinfanterie, aber er war tot; blicklos starrten seine Augen den Sergeanten an, der ihm die Trompete aus den schlaffen Fingern wand und mit aller Kraft das Rückzugsignal blies.

Den Kampf abzubrechen, fiel ihnen beinahe schwerer als vorher das Entern. Schritt für Schritt wichen sie zurück; hier und dort starb noch ein Mann oder sprang in den Raum zwischen den beiden Schiffsrümpfen, um nicht niedergemacht zu werden. Die Piraten hatten mittlerweile gemerkt, in welcher Gefahr ihr eigenes Schiff war, und schienen nur darauf bedacht, so schnell wie möglich von Bord zu kommen.

Die ersten Flammenzungen leckten bereits durch eine Luke. Die liegengelassenen Verwundeten schrien im Chor auf, aber in Sekundenschnelle brannten die Grätings und das nächste Bootslager lichterloh.

Bolitho packte die Webeleinen und warf einen letzten Blick auf die Fregatte. Seine Männer sprangen bereits auf den Decksgang der Undine hinüber. Vorn waren Shellabeer und seine Gehilfen schon dabei, die Taue zu kappen, welche die beiden Schiffe aneinanderfesselten, die vollen Bramrahen schon rundgebraßt, das Ruder gelegt, begann die Undine sich zu lösen, glücklicherweise hielt der Wind Rauch und Funken von ihren Segeln und dem verwundbaren Rigg fern.

«Was jetzt, Sir?«keuchte Mudge.

Bolitho sah die gegnerische Fregatte nach achtern gleiten. Immer noch schössen ein paar Verrückte über den sich schnell vergrößernden Zwischenraum hinweg.

«Eine letzte Breitseite, Mr. Soames!«rief er.

Aber es war schon zu spät. Eine riesige Flammenwand barst durch das Geschützdeck der Fregatte, wuchs gen Himmel und entzündete den Vormaststumpf mit den restlichen Segeln; wie ein Waldbrand sprang sie auf die Rahen des Großmastes über.

Wie aus weiter Entfernung hörte Bolitho seine eigene Stimme:»Das Fockreff raus, und zwar schnell! Den Weg, den wir gekommen sind, können wir nicht zurück, ihr Bordmagazin muß jeden Moment hochgehen. Also probieren wie lieber die östliche Durchfahrt!»

«Ist vielleicht zu flach, Sir«, wandte Mudge ein.

«Wollen Sie lieber verbrennen, Mr. Mudge?»

Er ging zur Heckreling, um die Fregatte zu beobachten, deren Kampanje jetzt in hellen Flammen stand: immerhin ein englisches Schiff — aber so war es wohl besser.

Er drehte sich um und sagte schroff:»Mr. Davy, ich brauche einen genauen Schadensbericht. «Er sah an Davys Augen, daß die Trunkenheit des Kampfes bereits von ihm gewichen war.»Und die Verlustliste!»

Die Rahen schwangen herum, die Segel, durchlöchert und rauchgeschwärzt, füllten sich in der Brise. Die Durchfahrt war anscheinend breit genug: sie hatten eine Kabellänge Raum an Steuerbord, etwas mehr an Backbord. Er hatte schon Schwierigeres geschafft.

«Boot voraus, Sir!«Keen stand mit dem Fernrohr in den Wanten.»Mit bloß zwei Mann an Bord!»

Mudge rief:»Ich halte sie stetig, Sir. Wir steuern beinahe wieder Nordost, aber ich weiß nicht… »

Der Rest seiner Worte ging in Keens Kreischen unter:»Sir! Sir!«Ungläubig starrte er auf Bolitho herab.

«Nehmen Sie sich zusammen, Mr. Keen!«blaffte Davy.

Aber Keen schien ihn nicht zu hören.»Das ist Mr. Herrick!»

Bolitho sprang neben ihn in die Wanten. Das Boot war nur ein Wrack, und die hagere Gestalt, die jetzt einen Fetzen Tuch überm Kopf schwenkte, sah wie eine Vogelscheuche aus. Halb im Wasser, lag auf dem Boden des vollgeschlagenen Bootes tatsächlich Herrick.

Bolithos Hand mit dem Teleskop zitterte. Er sah jetzt Herricks Gesicht, aschgrau unter Verbänden. Dann öffneten sich seine Augen, denn der andere Mann schien ihm die Neuigkeit zuzurufen — es kam Bolitho vor, als verstünde er jedes

Wort.

Er befahl:»Weitergeben an Bootsmann! Er soll das Boot mit dem Draggen längsseits holen. «Er faßte den Midshipman am Arm.»Und sagen Sie ihm, er soll sich Mühe geben, sonst… Eine zweite Chance bekommt er nicht!»

Allday war unter Deck gegangen, um irgend etwas zu holen. Jetzt war er wieder da und sah sich erstaunt um, bis Bolitho gelassen sagte:»Der Erste Leutnant kommt an Bord. Gehen Sie nach vorn, und heißen Sie ihn in meinem Namen willkommen,

ja?»

Als die Fregatte einen flachen Landbuckel passierte, kam die Sonne hervor, um sie zu grüßen, ihnen die schmerzenden Glieder zu wärmen und den Schock der überstandenen Schlacht ein wenig zu lindern. Das Krachen einer dumpfen Explosion tönte von der Hauptdurchfahrt herüber, und noch mehr Rauch stieg über dem nächstliegenden Land empor: er verkündete ihnen den Wind, der sie auf dem offenen Meer erwartete, und die endgültige Vernichtung der feindlichen Fregatte. Aber ob Muljadi an Bord gewesen war, das wußte Bolitho nicht, und der entscheidende Kampf stand ihnen noch bevor.

Er hörte Rufe vom Vorschiff und dann ein Hurra, als einige Matrosen in das sinkende Boot kletterten, um Herrick und seinen Gefährten an Bord zu holen.

Nun, dachte Bolitho, was uns auch hinter jenen grünen Hügeln erwartet — Sieg oder Niederlage — , wir sind jedenfalls wieder zusammen.

Загрузка...