XVIII Im Namen des Köni gs

«Zwei Strich Backbord!»

Bolitho versuchte, an Deck auf und ab zu gehen, aber er konnte seiner Nervosität nicht Herr werden. Noch waren die Spuren der Schlacht an Bord nicht beseitigt. Vor einigen Stunden waren sie in die östliche Durchfahrt eingebogen; unter einem Minimum an Leinwand tasteten sie sich zum offenen Meer; zwei Mann hingen im Wasserstag und loteten ständig.

Seit einer Stunde antwortete er auf Fragen, hörte sich Berichte und Meldungen an: zehn Tote, fünfzehn Verwundete, die Hälfte davon schwerverwundet. Eine ziemlich kleine Verlustliste in

Anbetracht dessen, was sie geleistet hatten; aber das tröstete ihn wenig, wenn er die Reihe der an Deck liegenden vernähten Hängematten ansah — ein nicht ungewohnter Anblick — , oder wenn wilde Schmerzensschreie aus der Hauptluke gellten.

Wenn nur Allday endlich kommen und ihm berichten würde, was mit Herrick war! Er hatte den überlebenden Matrosen schon befragt, es war Lincoln mit der grotesken Narbe im Gesicht, durch die er aussah, als grinse er ständig.

Bolitho hatte bemerkt, daß Lincoln alles noch einmal durchlebte, als er stotternd berichtete; er schien sich gar nicht bewußt zu sein, daß sein Kapitän und die Offiziere um ihn herumstanden — ja, er schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, daß er tatsächlich lebte.

Es war fast so geschehen, wie Bolitho es sich gedacht hatte: Herrick war entschlossen, die Batterie zu zerstören und seinen Schoner dort auf Grund zu setzen — um jeden Preis, selbst den des eigenen Lebens. Im letzten Moment, als die Lunte bereits glimmte und das Fahrzeug vom Steilhang her beschossen wurde, hatte Herrick ein vom Großmast fallender Block bewußtlos geschlagen.»Und da«, flüsterte der kleine Matrose,»kommt Mr. Pigsliver kalt wie 'ne Hundeschnauze und sagt:»Ab mit euch ins Boot, ich habe 'ne alte Rechnung zu begleichem — aber was er damit meint, sagt er nicht. Da waren wir nur noch drei Mann. Also, ich und Jethro fieren Mr. Herrick ins Dingi, aber der andere, der kleine Segelmacher, sagt, er bleibt beim Don. «An dieser Stelle hatte Lincoln so gezittert, daß er zunächst schwieg.»Wir also nix wie ab«, fuhr er dann fort.»Und da geht der Schoner auch schon hoch, und den armen Jethro haut's über Bord. Ich hab' gepullt wie verrückt und dabei gebetet, daß Mr. Herrick wieder zu sich kommt und mir sagt, was ich tun soll. «Vor lautlosem Schluchzen konnte er eine Weile nicht weitersprechen.»Dann seh' ich hoch — und da is' sie in Lebensgröße, die alte Undine. Ich schüttel' Mr. Herrick und rufe:»Hallo, wachen Sie auf, das Schiff kommt uns holen!«Und er — also, er guckt mich bloß an und meint:»Na und? Was hast du denn gedacht?»«

Leise hatte Bolitho gesagt:»Danke, Lincoln. Das sollst du nicht umsonst getan haben.»

«Und Sie werden auch nicht vergessen, in Ihren Bericht das über Mr. Pigsliver zu schreiben, Sir? Ich — ich meine, Sir, er mag ja 'n Don sein, aber…«Und dann war Lincoln völlig zusammengebrochen.

Jetzt, als Bolitho ruhelos an den Sechspfündern entlangging, wo die Geschützführer im Sonnenschein knieten, Zubehör durchsahen, Leinen und Blöcke prüften, die Oberkörper noch von Ruß und getrocknetem Blut befleckt, da versprach er sich: Nein, ich werde Puigserver nicht vergessen.

«Deck ahoi!»

Geblendet schaute er hoch.»Offenes Wasser voraus, Sir!»

Hinter sich hörte er Schritte und fuhr herum.»Allday, wo, zum Teufel, waren Sie so lange?«Aber es war nicht Allday.

Bolitho lief über das Deck und streckte beide Hände aus, ungeachtet der neugierigen Gesichter rechts und links.»Thomas!«Er ergriff Herricks Hände.»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.»

Herrick lächelte schwach.»Ich bin immer noch derselbe,

Sir.»

«Sie sollten unten bleiben, bis… «»Deck ahoi! Segel im Osten!»

Herrick zog die Hände zurück und sagte gelassen:»Ich bin schließlich Erster Leutnant, Sir. «Langsam blickte er sich auf dem Achterdeck um, sah die Splitter, die von Musketenkugeln zerfetzten Hängematten.»Mein Platz ist hier.»

Davy trat herzu und tippte an den Hut.»Wieder klar Schiff zum Gefecht, Sir?»

«Ja.»

Lächelnd sagte Davy zu Herrick:»Anscheinend hatten Sie auch nicht mehr Glück mit dem Schoner als ich. Aber ich bin sehr froh, daß Sie wieder da sind, und das ist die pure Wahrheit.»

Herrick faßte an seinen frischen Kopfverband und zuckte zusammen.»Wenn man mir nicht versichert hätte, daß es anders war, dann würde ich sagen, Puigserver hat mir selber eins über den Schädel gegeben. So sehr war er darauf versessen, die Sache zu Ende zu bringen.»

Er schwieg, die Trommeln wirbelten, die müden Gestalten an Geschützen und Brassen sprangen auf. Der letzte Streifen Land glitt hinter ihnen zurück, und die blaue, von kräftiger Dünung belebte See erstreckte sich endlos bis zur glitzernden Kimm. Backbords voraus, Rumpf und Spieren schwarz gegen das Licht, stand die Argus. Sie schien nur sehr langsame Fahrt zu machen, die Rahen waren vierkantgebraßt, um sie auf konvergierendem Kurs zu halten.

«Vier Meilen, würde ich sagen«, murmelte Herrick.

«Ungefähr.»

Bolitho studierte das gegnerische Schiff genau, er konnte einfach nicht wegsehen. Sie erinnerte ihn an eine Wildkatze, wie sie dort durch die weißköpfigen Wellen schlich: zielstrebig, hinterhältig, tödlich.

Er bildete sich ein, das Quietschen der Lafetten zu hören, als der glatte Rumpf auf einmal von Kanonenrohren gespickt war. Le Chaumareys ließ sich Zeit, wartete Bolithos ersten Zug ab.

Die Spannung kehrte stärker zurück. Vielleicht hatte Le Chaumareys das alles so vorausgeplant, weil er seinem Verbündeten Muljadi nicht traute und damit rechnete, daß Bolitho ein Unentschieden, vielleicht sogar einen Sieg erkämpfen würde, wenn er sich seine Angriffsweise selbst aussuchen konnte.

Die Männer der Undine hatten einen harten Kampf hinter sich. Forschend musterte er die von Kugeln durchlöcherten Segel, hörte den Schiffszimmermann und seine Gang im unteren Raum hämmern. Er wußte, daß er viel von ihnen forderte, wenn sie jetzt schon wieder und gegen diesen mächtigen, schwarzbäuchigen Veteranen der französischen Flotte antreten sollten.

Dann blickte er die Männer in seiner unmittelbaren Nähe an. Er brauchte alle Seemannschaft, die sie besaßen, und nicht zuletzt ihren ganzen Mut.

«Na, Mr. Mudge, was macht der Wind?»

«Wird auffrischen, Sir. «Mudge zog sein Taschentuch und schnaubte sich heftig die große Nase.»Könnte ein bißchen krimpen. «Er deutete nach oben zum Wimpel, der steif stand wie ein Speer.»Ich möchte vorschlagen, Sir, daß Sie nur unter Bramsegeln kämpfen.»

Bolitho wandte sich an Herrick.»Was meinen Sie?»

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Herrick den Gegner.»Nahkampf, Sir. Sonst schießt sie uns mit ihren weitreichenden Kanonen in Stücke. «Das Deck hob sich unter der ersten anrollenden Welle, und Gischt flog bis in die Netze.

«Also los. «Bolitho leckte sich die trockenen Lippen.»Weg mit der Fock!«Er senkte die Stimme.»Und lassen Sie die Toten sofort bestatten. Es tut nicht gut, wenn man daran erinnert wird, wo manche von uns heute vormittag noch enden werden.»

Ruhig blickte Herrick ihm in die Augen.»Ich kann mir zwar bessere Gründe zum Sterben denken, Sir, aber — «, er blickte zu den reglosen Männern an den Geschützen hinüber — ,»keinen besseren Ort.»

Bolitho schritt zur Reling und beobachtete die Argus einige Minuten lang. Le Chaumareys hielt eine gute Ausgangsposition, hatte sie wahrscheinlich sehr genau vorausberechnet. Dort drüben lag er jetzt und lauerte, wartete ab, was Bolitho unternehmen würde. Ob er versuchen würde, in Luv von ihm zu gelangen oder den Kurs zu ändern, um das Heck der Argus zu passieren und sie dabei mit einer gutgezielten Breitseite zum Krüppel zu schießen.

Die französische Fregatte rollte so stark in der Dünung, daß der Kupferbeschlag des Rumpfes kurz zu sehen war. Der Wind lag voll auf der ihnen zugekehrten Bordseite, aber Le Chaumareys hielt sich zurück, blieb backbords der Unding und machte kaum Fahrt.

Bolitho biß sich auf die Lippen und blinzelte in der gleißenden Sonne. Das mußte ein schwieriges Zielen werden, so gegen das blendende Licht.

Als er wieder zum Geschützdeck hinübersah, lagen die Toten nicht mehr da. Eben kam Herrick zu ihm nach achtern und meldete:»Alles vorbei. «Nach einem Blick auf Bolithos nachdenkliches Gesicht fragte er:»Ist etwas nicht in Ordnung,

Sir?»

«Ich glaube, ich fange an, Le Chaumareys zu verstehen«, antwortete Bolitho. Wieder spürte er das Herzklopfen, den altbekannten Schauer über Nacken und Rückgrat.»Ich denke, er will uns den Windvorteil lassen.»

«Aber, Sir…«Herricks blaue Augen glitten zur Argus hinüber und wieder zurück.»Vielleicht legt er mehr Wert darauf, daß wir die Sonne gegen uns haben?«Langsam hellte sich sein großes rundes Gesicht auf, er schien zu begreifen.»Könnte schon sein. So kann er auf Distanz bleiben und seine weitreichenderen Geschütze wirkungsvoll einsetzen.»

Mit blitzenden Augen fuhr Bolitho herum.»Aber daraus wird nichts, Mr. Herrick! Sofort die Royals setzen! Tut mir leid, Mr. Mudge, aber wenn Ihr verdammter Wind uns auch die Rahen bricht, so ist das immer noch besser, als sie auf andere Weise zu verlieren.»

Herrick hatte schon das Sprachrohr zur Hand.»Toppgasten aufentern! Royals setzen!«Jetzt war ihm kaum noch anzusehen, was er vor kurzem durchgemacht hatte.»Bei Gott, Sir, auch wenn wir nicht so schwer sind, so sind wir doch wendiger, und das werden wir diesem Hund heute zeigen!»

Bolitho grinste ihn an, obwohl seine Lippen dabei schmerzten.»Ruder zwei Strich Steuerbord. Wir laufen ihm vor den Bug!»

Allday verschränkte die Arme und starrte Bolithos Rücken an, dann blickte er zur Flagge hoch, die im auffrischenden Wind knatterte.»Und dann ist Schluß mit dem Laufen, wetten?«murmelte er.

«Ostnordost liegt an, Sir!«Carwithens Hand ruhte auf den polierten Speichen, während der andere Rudergänger sich auf den Kompaß und den Stand der Segel konzentrierte.

Mudge wischte sich die Hände am Mantel ab.»Sie hält sich gut, Sir!»

Bolitho ließ das Fernrohr sinken und nickte nachdenklich. Die zusätzliche Kraft der Royals brachte die Undine quer vor den Kurs des Gegners. Er verzog das Gesicht, weil ihm die Sonne direkt ins Glas schien. Le Chaumareys war immer noch in der besseren Position. Er konnte nach Lee abfallen und ihnen seine Breitseite präsentieren, wenn die Undine vor ihm passieren wollte. Ebensogut konnte er sie seinen Kurs kreuzen lassen und sie, während sie beim Halsen Zeit verlor, in Luv abdecken und sie dann, Gegenlicht oder nicht, von der anderen Seite her beschießen.

Herrick sagte heiser:»Sie hält immer noch Kurs. Vielleicht ist sie einen Strich abgefallen, aber das bedeutet nichts. «Er atmete langsam aus.»Prächtig sieht sie aus — hol' sie der Teufel!»

Bolitho lächelte gezwungen. Die Umrisse der Argus hatten sich kaum verändert, aber nur, weil die Undine nach Steuerbord angeluvt hatte. Der Abstand war jetzt viel geringer, knappe zwei Meilen, so daß die rot-gelbe Gallionsfigur deutlich zu erkennen war und auch die auf dem Achterdeck arbeitende Mannschaft.

Ein Krachen, und Sekunden später stieg eine dünne Fontäne träge aus den Wellenkämmen empor, nicht ganz auf dem Kurs der Undine und eine halbe Kabellänge zu kurz. Zum Einschießen — oder auch nur, um die Geschützbedienungen der Undine nervös zu machen: einer von Le Chaumareys' kleinen Tricks.

Herrick murmelte verbissen:»Wie ich diesen Froschfresser kenne, wird er versuchen, uns mit Kettenkugeln und

Schrapnells zu entmasten. Damit er noch eine Prise für seinen verfluchten Bundesgenossen hat!»

«Diesen Franzosen kennen Sie nicht, Mr. Herrick. «Bolitho erinnerte sich an Le Chaumareys' Gesicht, als er von» zu Hause «sprach, von seinem Frankreich, das er so lange hatte entbehren müssen.»Ich schätze, er ist auf einen totalen Sieg aus.»

Bei diesem Wort war ihm gar nicht wohl. Er assoziierte es mit einer sterbenden Undine, die zwischen ihren eigenen Toten trieb und dann für alle Ewigkeit in die Tiefe ging. Wie die Fregatte, die er selbst versenkt hatte: Wie die Nervion und so viele andere Schiffe, die vor seinen Augen vernichtet worden waren.

Die Szenerie war perfekt: zwei Schiffe, die einander mit allen Mitteln zu überlisten versuchten — und nicht einmal eine Möwe, die ihren verzwickten Manövern zusah.

«Da, Sir! Sie setzt ebenfalls die Royals!«Carwithens Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.

«Jetzt will er uns doch noch abfangen!«rief Herrick aus.

Bolitho beobachtete, wie sich die Segel an den Reuelrahen der Argus entfalteten und den Wind aufnahmen. Er konnte auch sofort die Wirkung erkennen: Der überhängende Steven bohrte sich tiefer in die Wogen, sie machte deutlich stärkere Fahrt. Von seinem Standort sah es tatsächlich so aus, als berühre der Bugspriet der Argus seinen eigenen, obwohl sie noch mehr als eine Meile entfernt war. Rauch kräuselte sich hoch, und er hielt den Atem an, als die hellen Feuerzungen aus den offenen Stückpforten stachen.

Die See kochte und schoß himmelhoch, als die schweren Kugeln in die Wellen schlugen oder als Aufpraller weiter entfernt davon-schossen. Eine Kugel ging dicht am Rumpf nieder, und die Druckwelle ließ selbst die höchsten Spitzen der Masten erzittern.

«Die wollen uns den Schneid abkaufen!»

Herrick grinste zwar bei diesen Worten, aber Bolitho sah die Angst hinter seinen Augen lauern. Ihm war Le Chaumareys nicht wie ein Mann bombastischer Gesten vorgekommen. Er ließ seine Geschützführer sich einschießen, demonstrierte ihnen die Schußweite; vielleicht erläuterte er eben jetzt mit seiner dröhnenden Stimme, was er von ihnen erwartete.

«Bei Gott, dieser Teufel kürzt schon wieder Segel!«Bolitho sah die Royals der Argus längs der Rahen verschwinden und beugte sich vor.

«Backbordbatterie — klar zum Feuern!»

Vielleicht hatte er Le Chaumareys' einzige Schwäche herausgefunden: daß er nicht nur siegen, sondern dabei auch am Leben bleiben wollte. Denn diese beiden Dinge trafen nicht immer zusammen, das wußte Bolitho recht gut.

«Ruder drei Strich Backbord!»

Er hörte die scharrenden Füße, die überraschten Rufe, als sein Befehl an die Matrosen weitergegeben wurde.

«Also, Sir«, meinte Mudge zweifelnd,»ob sich das nicht rächt… »

Aber Bolitho schien ihn nicht zu hören. Er wartete die Vollzugsmeldung ab und blickte dann zum Bugspriet, der erst langsam, dann schneller nach Backbord auswanderte und die gegnerische Fregatte in einem Netzwerk aus Stagen und Wanten einfing.

«Recht so!»

Er wartete ungeduldig, während Herrick abgehackte Kommandos durch die Sprechtrompete schrie und die Männer an den Brassen fieberhaft arbeiteten, um die Rahen zu trimmen.

«Nordost zu Nord liegt an, Sir«, meldete der Rudergänger atemlos.

Mit einem kräftigen, achterlichen Wind fegte die Undine direkt auf das gegnerische Schiff zu, als wolle sie es mitten entzweischneiden. Wieder blitzte es bei dem Franzosen auf; Bolitho preßte die Fäuste zusammen, als das Eisen über sein Schiff heulte, das Rigg zerfetzte, Segel durchlöcherte und zu beiden Seiten Gischt hochjagte.

«Nun werden wir sehen. «Bolitho beugte sich vor, packte die Reling fester und spürte den schmerzhaften Sonnenglast in den Augen. Wieder lief ein Stakkato von Blitzen über die ganze Länge der Argus, das Krachen der Breitseite rollte über das Wasser wie der Wirbel einer gigantischen Trommel. Heftig schüttelte sich der Rumpf der Undine, und unterhalb des Achterdecks wechselten die Matrosen verzweifelte Blicke.

Immer noch hielt die Argus Kurs und wurde mit jeder Minute größer. Noch mehr Detonationen, und ein wütender Ruck unter seinen Füßen verriet Bolitho, daß sein Schiff wieder einen Treffer abbekommen hatte. Aber jetzt wurden die Breitseiten der Argus lückenhafter, und immer weniger Kugeln kamen ihrem Ziel nahe.

«Er muß sich was einfallen lassen!«rief Herrick.

Bolitho erwiderte nichts, starrte aber wie gebannt zum Achterdeck der Argus hinüber, wo er schon unter einer Anzahl von Matrosen Le Chaumareys' mächtige Gestalt, seinen kleinen, kurzgeschorenen Kopf ausmachen konnte. Sein Erster Leutnant mußte ihm sehr fehlen, schoß es Bolitho durch den Kopf. Genauso wie Herrick ihm gefehlt hätte, wenn sie nicht auf diese unwahrscheinlich Art wieder zusammengekommen wären.

«Der Wind, Mr. Mudge?«rief er hinüber. Ansehen mochte er den Steuermann nicht.

«Hat einen Strich gekrimpt, Sir! Nach dem Wimpel kommt er jetzt beinahe aus Südwest.»

«Die Argus gibt Raum, Sir!«schrie Herrick.

Ein einzelnes Hurra ertönte von irgendwoher, aber Bolitho fauchte:»Halten Sie die Leute ruhig!«Schnell fügte er hinzu:»Ruder hart Backbord! Ich will sie so genau vorm Wind wie es irgend geht, Mr. Mudge!»

Starr vor Spannung beobachtete er, wie die Umrisse der Argus sich weiter verkürzten, als sie abdrehte und ihnen Raum gab, so daß die beiden Schiffe jetzt in spitzerem Winkel zueinander standen. Sie sandte noch eine langsame Breitseite herüber, und Bolitho hörte einen Schrei von oben: ein Marineinfanterist fiel mit dem Kopf voran ins Netz, Blut quoll aus seinem Mund und spritzte auf die Geschützbedienung unmittelbar unter ihm.

Anscheinend hatte Le Chaumareys Bolithos direkten Angriff für einen Akt eitler Tollkühnheit gehalten. Er hatte den richtigen Moment abwarten wollen, um im Abdrehen die volle Breitseite zu präsentieren und die Undine kampfunfähig zu schießen, wenn sie versuchte, vor seinem Bug zu passieren.

Bolitho hob die Hand; dabei flehte er insgeheim, daß diese blitzenden Kanonen ihm Zeit genug zum Handeln lassen würden.

«Backbordbatterie — Einzelfeuer!»

Der Schiffsrumpf erzitterte, und Bolitho atmete tief auf, als der Rauch sich hob und zum Feind hinübertrieb.

«Klar zur Kursänderung!«Er hielt Herricks erschrecktem Blick stand.»Nein, jetzt wollen wir ihn noch nicht umarmen!«Sein Grinsen mußte irrwitzig aussehen, dachte er.»Wir kreuzen sein Heck — er hat es ungedeckt gelassen!»

Ein schweres Kaliber zerschmetterte das Backbordschanzkleid, warf einen Zwölfpfünder um und färbte Planken und Grätings mit hellroten, rasch größer werdenden Flecken.

Soames' Befehle übertönten die Schreie und Flüche der Männer: mit wilden Augen starrte er durch den Rauch.»He da, Manners! Die Handspeiche — schneller, zum Teufel!«Denn der Matrose Manners tastete verwirrt an seinem blutverschmierten Hosenbein herum — aber Blut und Fleischfetzen stammten von der Geschützbedienung nebenan.

Bolitho senkte die Faust.»Jetzt! Leeruder!»

Durch den auffrischenden Wind und den Kurswechsel bekam die Undine starke Schlagseite; die Geschützbedienungen feuerten noch eine unregelmäßige Save ab, bevor die Argus aus der Ziellinie glitt.

«Mr. Davy«, brüllte Bolitho,»die Steuerbordbatterie!»

Von der Backbordbatterie hasteten einige Männer hinüber, um ihren Kameraden zu helfen. Oben erzitterten Spieren und stöhnten Blöcke protestierend auf; mehr als ein Matrose fiel der Länge nach hin, als das Schiff mit laut schlagenden Segeln und fast mittschiffs gebraßten Rahen hart an den Wind ging.

Knallend riß das Vorroyal mittendurch, seine Fetzen flatterten wie Wimpel im Wind, aber Bolitho kümmerte es nicht. Er beobachtete, wie die dunkle Silhouette der Argus weiter nach Steuerbord glitt, während die Undine genau auf ihr Heck zuhielt. Geschosse fuhren krachend in Rumpf und Takelage, und Bolitho wurde es fast übel, als er sah, wie zwei Matrosen zu einer blutigen Masse zerquetscht wurden.

Davys Stimme überschlug sich beinahe:»Steuerbordbatterie — Einzelfeuer!«Der Feuerbefehl wurde fast vom Krachen des vordersten Geschützes übertönt, dem sofort die anderen auf ganzer Länge folgten, während die Argus wie eine schwarze Wand über ihnen aufragte.

«Putzen! Laden! Ausrennen!»

Das Ausrennen ging jetzt leicht, weil die Undine so stark krängte, daß jeder Lauf fast von selbst durch die Pforte stieß, quietschend wie ein wütender Keiler.

«Erst auf Befehl!«rief Bolitho durch die hohlen Hände den Kanonieren im Vorschiff zu. Mehrere Tote lagen dort; vermutlich hatten Le Chaumareys' Scharfschützen erraten, was er vorhatte.

Eine Musketenkugel schlug gellend gegen einen Sechspfünder, und einer der Rudergänger stürzte gurgelnd und um sich schlagend vornüber — der Querschläger hatte ihm den Unterkiefer weggerissen.

Bolitho überschrie den Gefechtslärm:»Einen Strich abfallen, Mr. Mudge! Sie wissen, was ich heute von Ihnen erwarte!«Schatten tanzten übers Deck, als Stücke der Takelage, eine Muskete und allerlei Splitter oben in den aufgespannten Netzen wippten.

Und da war auch die Argus, die schwer nach Steuerbord stampfte in dem Versuch, die Bewegung der Undine abzufangen — aber vergeblich: die britische Fregatte kreuzte unbehelligt ihr Heck.

«Feuer!»

Die erste Kanonade krachte, riß Stücke aus dem Heck der Argus und schlug die kleine Achterdecksgalerie in Trümmer. Einer nach dem anderen folgten die Zwölfpfünder dem Beispiel der kleineren Kaliber; die Kugeln krachten ins Achterschiff oder flogen durch die offenen Fenster und trugen Tod und Verderben ins Schiffsinnere.

Die Männer der Undine brüllten Hurra, obwohl die Deckoffiziere schimpfend dazwischenschlugen; über der mächtigen Rauchwand sah Bolitho die Masten der französischen Fregatte langsam achtern weggleiten. Jetzt durfte er nicht straucheln.

«Wir wenden und gehen auf Backbordbug!»

«Aye, Sir. «Herrick wischte sich das schweißüberströmte Gesicht. Über den Pulverflecken auf Wangen und Mund leuchtete der Verband im rauchigen Sonnenlicht wie ein weißer Turban.»Heiße Arbeit heute, Sir!»

«An die Brassen! Klar zur Wende!»

Ein schreiender, blutüberströmter Matrose wurde von seinem Geschütz weggeschleift. Als Whitmarshs Leute ihn hochhoben, wand er sich und wollte sie wegstoßen — er hatte wohl mehr Angst vor dem, was ihn unten erwartete, als vor dem Tod an

Deck.

Mit knatternden Segeln, durch deren zahllose Schußlöcher der Wind pfiff, ging die Undine auf den anderen Bug, wandte sich von den Inseln ab und der Sonne zu.

Der Seegang schien jetzt viel stärker; Gischt zersprühte im Wind und flog fast pausenlos als Sprühwasser über das Deck. Bolitho rieb sich die Augen und versuchte, den Hustenreiz zu unterdrücken. Wie seine Augen waren auch seine Lungen wund vom Pulverrauch und Gestank der Schlacht. Unablässig beobachtete er das feindliche Schiff, das über dem Gischt zu schweben schien. Ob beabsichtigt oder nicht, Le Chaumareys hatte nun jedenfalls den Windvorteil, und sein Schiff stand jetzt ungefähr eine Kabellänge an Steuerbord voraus. Wenn die Undine ihr Überholmanöver fortsetzte, würden beide Schiffe parallel laufen, nur auf Musketenschußweite voneinander entfernt. Auf so mörderisch kurze Entfernung konnte die Argus Vergeltung üben.

Er warf einen raschen Blick auf Mudge. Auch der beobachtete See und Masttopp — aber aus dem gleichen Grund? Doch wenn er ihn jetzt fragte und damit verriet, daß er auf ein Wunder angewiesen war, dann würde das seinen Männern genauso den Kampfgeist nehmen, als wären sie entscheidend geschlagen worden. Sie kauerten bei ihren Geschützen, keuchend und nach Luft schnappend, Rammen, Handspeichen, Ausputzer, Taljen in den teerigen Fäusten. Ihre nackten Oberkörper waren vom fettigen Pulverstaub verschmiert, durch den der Schweiß in dünnen Streifen, Peitschenstriemen gleich, hinabfloß. In den geschwärzten Gesichtern glühten die Augen wie die gefangener Tiere.

Die Marineinfanteristen luden ihre Musketen nach, und Bellairs schritt mit seinem Sergeanten an der Heckreling entlang. Am Ruder hatte ein anderer den Platz des Toten eingenommen, und Carwithens brutaler Kiefer mit den kalten, ausdruckslosen Augen darüber bearbeitete einen Priem. Das Geschützdeck war jetzt dünn bemannt.

Das Schiff krängte stärker, er mußte sich festhalten. Über die zerfetzten Netze blickte er aufs Meer, dessen Wellen jetzt höher und steiler anrollten, als wollten sie die beiden Schiffe auseinandertreiben.

«Mr. Davy!«rief er.»Fertig?»

Davy nickte stumpf.»Alle Geschütze mit Kettenkugeln geladen, Sir!»

«Gut. «Bolitho blickte Herrick an.»Ich hoffe zu Gott, daß der Steuermann diesen Wind auch wirklich kennt!«Und dann, knapp und scharf:»Fock setzen!»

Unter dem kraftvollen Zug des mächtigen Focksegels bekam die Undine erheblich mehr Fahrt und begann, das feindliche Schiff zu überholen. Bolitho fuhr zusammen, als ein paar Kugeln aus dessen Heckgeschützen auf der Undine einschlugen — die Pinasse hatte einen Treffer abbekommen und zerplatzte in unzählige Splitter. Es ging den Franzosen jetzt ums Letzte: Geschütz gegen Geschütz und kein Pardon, bis die Undine zum Wrack geschossen war und sank.

Er befahl:»Klar zum Anluven! Befehl abwarten!«Jeder Muskel schmerzte ihn, bei jedem Schuß vom Heck des Franzosen fuhr er zusammen — aber er wartete ab. Der Klüverbaum der Undine schien wie eine Lanze ins Achterdeck des Gegners zu stechen. Vereinzeltes Mündungsfeuer blitzte über dem zerschmetterten Heck auf und zeigte, wo Scharfschützen neue Stellungen bezogen hatten; Bolitho sah zwei seiner Seesoldaten aus dem Vormast fallen und hörte ihre Schreie in der Morgenbrise verhallen.

Besorgt rief Mudge:»Die Spieren brechen uns weg, wenn wir wenden, Sir!»

Bolitho hörte nicht hin.»Fertig, Jungs!»

Er spürte, wie der Druck der Segel mit jeder Sekunde wuchs.

«Jetzt!»

Er packte die Reling, als das Ruderblatt überkam und der Bug auf den Gegner zu zeigen begann. Die Argus trimmte ihre Rahen und krängte stark, als sie Undines Wende folgte. Die Sonne glänzte auf ihrem Achterdeck — noch einmal blitzte eine Breitseite auf und zerriß die Luft mit Donnergetöse.

Bolitho stürzte beinahe, als die schweren Eisenkugeln in den Rumpf der Undine oder in die Takelage schmetterten. Der wirbelnde Rauch erstickte ihn fast; sein Bewußtsein streikte vor dem Chaos aus Schreien und Schüssen, das von allen Seiten losbrach.

Aber er stemmte sich hoch und spähte zur Argus hinüber. Von ihrer letzten Breitseite trieb der Rauch so schnell nach achtern, daß die Undine einen Satz nach vorn zu machen schien. Diese optische Täuschung bewies ihm, daß Mudge mit dem Wind recht gehabt hatte; als er sah, wie die feindlichen Segel sich ihm entgegenwölbten, bemerkte er auch, daß die Stückpforten der Argus Wasser übernahmen, als der Wind sie noch tiefer drückte. Gott sei gedankt für diese Bö! dachte er.

«Feuer!«Er mußte den Befehl wiederholen, um verstanden zu werden: «Feuer!»

Die See wusch auch über die abgekehrten Leestückpforten der Undine, und die Rohre ihrer ausgebrannten Luv-Batterie zielten beinahe in den Himmel, als die Geschützführer ihr Abzugsleinen durchrissen.

Das Jaulen der Kettenkugeln übertönte sogar das Krachen der Kanonen und das Heulen des Windes. Sie wirbelten durch die Luft und schmetterten in die obersten Segel und Rahen der Argus, die sich ungedeckt darboten. Unmittelbar darauf kam das

Rigg herunter: Die reißenden Stagen und Wanten knallten lauter als die Kanonen, als Vor- und Großmast wie riesige Bäume schwankten und dann dumpf dröhnend in den Rauch stürzten.

Bolitho schwenkte seinen Degen.»Auf Kurs bleiben, Mr. Mudge! Gleich sind wir längseits!»

Er rannte zum Niedergang, erstarrte aber, als der Wind den Rauch davontrieb. Überall sah er Tote und Verwundete. Shellabeer lag zerquetscht unter einem Geschütz; Pryke, der Schiffszimmermann, war von einer zersplitterten Planke auf das Lukensüll gespießt; sein Blut mischte sich mit dem der anderen um ihn herum. Und Fowlar — war dieser Haufen da wirklich Fowlar?

Aber zum Bedauern blieb so wenig Zeit wie zum Überlegen. Da war schon die Argus, fast längsseits; schon rannte Soames seinen Männern degenschwingend voran und schrie:»Hinüber mit euch, Jungs!»

Die französischen Matrosen bemühten sich noch, aus dem Gewirr von Spieren und laufendem Gut an Deck freizukommen.

Da fuhr kalter Stahl zwischen sie. Bolitho kreuzte die Klinge mit einem Deckoffizier, rutschte dabei in einer Blutlache aus und rang um Atem, als der Franzose der Länge nach über ihn fiel. Der Mann wand sich und stieß mit Armen und Beinen, aber ein Enterbeil grub sich in seinen Halsansatz, in Todesqualen weiteten sich seine Augen, und Carwithen riß ihn hinweg. Überall kämpften fluchende, brüllende Männer; Piken und Bajonette blitzten und stachen, Entermesser hieben in verzweifelter Wut.

Davy suchte zum Achterdeck zu kommen und schrie nach den Männern in seinem Rücken, denn ein Flankenangriff französischer Matrosen hatte ihn isoliert. Bolitho sah sein verzerrtes Gesicht über den gebeugten Schultern, sah seinen Mund lautlose Schreie ausstoßen, als sie ihn niederhieben — auch als er nicht mehr zu sehen war, zuckten die Degen noch nieder.

Zitternd stand Midshipman Armitage auf dem Decksgang, kreideweiß im Gesicht, und schrie:»Mir nach!«Und dann war auch er tot, umgestoßen und niedergetrampelt im Aufeinanderprall der beiden Gruppen.

All das sah Bolitho, als er sich zum Achterdeck durchschlug. Sah es und begrub es in seinem Gedächtnis, ohne Reaktion, wie einen Alptraum — als sei er nur Zuschauer.

Er erreichte den Niedergang und sah sich dem französischen Leutnant gegenüber: Maurin, der mit einer Engländerin verheiratet war. Alle anderen schienen in einem wirbelnden Nebel unterzugehen, als sich ihre beiden Degen kreuzten und sie einander umkreisten.

«Streichen Sie die Flagge, Maurin!«sagte Bolitho heiser.»Es ist genug!»

Der Franzose schüttelte den Kopf.»Ausgeschlossen, m'sieur.«Dann fiel er aus, parierte Bolithos Degen oben am Griff und drehte ihn geschickt nach außen. Bolitho sprang auf die nächste Treppenstufe zurück; er sah die verzweifelte Entschlossenheit in Maurins Gesicht und wußte instinktiv, daß allein von diesem Mann Sieg oder sinnloses Abschlachten abhing.

«Le Chaumareys ist tot!«Vorsichtig setzte Bolitho den Fuß auf die nächste Stufe.»Ich weiß es!«Er mußte mit aller Kraft schreien, denn ein Dutzend Matrosen der Undine kam brüllend über das Geschützdeck gerannt und fiel den Franzosen in den Rücken. Halb unbewußt begriff Bolitho, daß sie über das zerstörte Heck eingedrungen sein mußten. Mit eiskalter Stimme fuhr er fort:»Also streichen Sie endlich die Flagge, zum Teufel!»

Maurin zögerte; deutlich war ihm die innere Unsicherheit anzusehen — aber dann hatte er sich entschieden: er fiel seitlich aus, hob seinen Degengriff bis fast in Augenhöhe und führte einen Stoß nach Bolithos Brust.

Bolitho empfand so etwas wie Verzweiflung. Maurin war zu lange auf diesem einen Schiff gewesen, er hatte vergessen, daß ab und zu ein Wechsel nötig war. Es war so leicht. So scheußlich leicht.

Bolitho legte das Gewicht auf sein Standbein, parierte die niederfahrende Klinge und stieß zu. Mit seiner ganzen Schwere stürzte der Leutnant in Bolithos Degen; diesem wurde beinahe der Griff aus der Hand gerissen, als Maurin rücklings zu Boden fiel. Ein bezopfter Matrose wollte ihm mit seiner Pike den Rest geben, aber Bolitho schrie ihn an:»Weg von ihm, oder ich bringe dich um!»

Da warfen die französischen Matrosen ihre Waffen auf das blutverschmierte Deck, und Herrick trat zwischen sie. Es war vorbei. Das Mißlingen von Maurins letztem verzweifeltem Versuch hatte ihren Kampfeswillen vernichtet.

Bolitho stieß den Degen in die Scheide und stieg schweren Schritts die Stufen hinauf. Er wußte, daß Allday dicht hinter ihm und Herrick an seiner Seite war, als sie zusammen vor dem toten Le Chaumareys standen, der neben dem Ruder lag. Er sah seltsam friedlich aus und hatte, in merkwürdigem Kontrast zu den Schreckensbildern dieser blutigen Schlächterei ringsum, kaum eine sichtbare Wunde; nur einen dunklen Fleck unter der Schulter und einen Blutfaden im Mundwinkel. Wahrscheinlich das Werk von Bellairs' Scharfschützen, dachte Bolitho dumpf.

Leise sagte er:»Ja, Capitaine — wir trafen noch einmal aufeinander. Sie haben es gewußt.»

Leutnant Soames kniete nieder, um Le Chaumareys den Degen abzuschnallen.»Lassen Sie«, sagte Bolitho,»er hat ehrenvoll gekämpft, wenn auch für eine schlechte Sache. «Dann wandte er sich ab; auf einmal konnte er es nicht mehr ertragen, alle diese Toten in ihrer ergreifenden Unbeweglichkeit zu sehen.»Und deckt ihn mit seiner Flagge zu. Mit seiner richtigen. Er war kein Pirat.»

Davys Leiche wurde zum Decksgang getragen, sah Bolitho. Traurig sagte er:»Noch ein paar Minuten, und er hätte gesehen, wie die Argus genommen wurde. Das Prisengeld hätte vielleicht sogar für seine Schulden gereicht.»

Als sie über den schmalen Wasserstreifen, der die beiden Schiffe trennte, wieder zur Undine hinübersprangen, drehte sich Bolitho überrascht um: eine Gruppe Matrosen jubelte ihm zu. Er sah Herrick an, aber der zuckte nur die Schultern und sagte mit trübem Lächeln:»Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, Sir, aber die Leute freuen sich, daß sie überlebt haben, und danken Ihnen dafür auf ihre Art.»

Bolitho legte ihm die Hand auf den Arm.»Überleben? Vielleicht ist allein das Grund genug für eine Schlacht. «Er zwang sich ebenfalls ein Lächeln ab.»Und fürs Gewinnen.»

Herrick hob Bolithos Hut vom Deck auf.»Ich werde die Leute an die Arbeit schicken, Sir. Die Pumpen hören sich viel zu beschäftigt an für meinen Geschmack.»

Bolitho nickte und schritt langsam zum Heck. Seine Schuhe verfingen sich in Splittern und zerrissenem Tauwerk. An der Heckreling blieb er stehen und musterte sein Schiff, die geborstenen Planken, das blutverschmierte Deck, die Männer, die sich ihren Weg durch die Trümmer suchten; sie glichen wahrlich mehr Überlebenden als Siegern.

Dann lehnte er sich zurück, lockerte seine Halsbinde, knöpfte seinen Rock auf — seinen Galarock, der jetzt ein Dutzend Löcher und Risse hatte — und schüttelte ihn ab. Über seinem Kopf stand der Wimpel jetzt nicht mehr so steif; die plötzliche Bö war so schnell vorübergegangen, wie sie gekommen war, um ihn vor den mächtigen Kanonen der Argus zu schützen. Wenn sie nicht gewesen wäre…

In plötzlichem Erschrecken sah er sich suchend um; aber Mudge stand an seinem gewohnten Platz beim Ruder und schnitt sich eben ein Stück Käse mit einem kleinen Messer zurecht, das er aus einer seiner zahllosen Taschen gefischt hatte. In dem rauchdurchzogenen Sonnenlicht sah er sehr alt aus. Der kleine Penn hockte auf seiner Lafette, ließ sich sein Handgelenk verbinden und betupfte seine Nase mit einem Tuch, die zu bluten angefangen hatte, als neben ihm eine Ladung zu früh explodiert war.

Bolitho betrachtete die beiden fast mit Zuneigung. Mudge und Penn — Alter und Jugend…

Und da war auch Keen; er sprach mit Soames und sah sehr mitgenommen aus. Aber wie ein Mann.

Füße knirschten über die Trümmer, Noddall kam. Vorsichtig preßte er einen Krug an seine Brust.»Ich kann leider noch nicht an die Gläser heran, Sir«, sagte er. Sein Blick haftete an Bolithos Gesicht; wahrscheinlich hatte er die Augen fest zugekniffen, als er sich an den Schrecknissen unten vorbeigetastet hatte. Bolitho hob den Krug an die Lippen.»Aber das ist doch mein bester Wein!»

Noddall betupfte sich die Augen und nickte ängstlich.»Aye, Sir, der Rest davon. Die anderen Flaschen sind bei der Schlacht kaputtgegangen.»

Genußvoll nahm Bolitho einen kräftigen Schluck; er konnte ihn brauchen. Es war ein langer Weg gewesen von jenem Laden in der St. James' Street bis hierher.

Und in wenigen Wochen würden sie wieder gefechtsklar sein. An die fehlenden Gesichter würde man sich zwar noch erinnern, doch schon ohne den Schmerz, der jetzt noch wuchs. Die Schrecken des Kampfes würden dann zu Kriegsruhm geworden sein, der Mut der Verzweiflung zur Pflicht gegenüber König und Vaterland.

Mit einem bitteren Lächeln erinnerte er sich der Worte, die ihm seit so vielen Jahren geläufig waren: im Namen des Königs.

Da hörte er Penns helle Stimme:»Ich habe wirklich etwas Angst gehabt, Mr. Mudge. «Eine unsichere Pause.»Aber nur etwas.»

Der Alte sah über das Deck zu Bolitho hinüber und erwiderte dessen Blick.»Angst, Junge? Ach du lieber Gott, dann kann er nie Kapitän werden, nicht wahr, Sir?»

Bolitho lächelte. Dieses Wissen teilten nur er und Mudge miteinander, und der wußte es besser als die meisten anderen: die grimmige Wahrheit der Schlacht taugte nicht für Kinder.

Dann musterte er wieder sein Schiff und die glänzende Schulter der Gallionsfigur, die neben dem Bug hervorsah.

Die Undine ist die wahre Siegerin, dachte er, plötzlich sehr dankbar dafür, daß sie ihm erhalten geblieben war.

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