KAPITEL SIEBEN Kinder des Satans

Der große, silberne Doppeldecker mit dem roten Emblem der Firma Standard Oil auf den geriffelten Seitenwänden segelte im Gleitflug hinab bis auf ein, zwei Meter über dem Wüstenboden. Der 360-PS-Wright-Sternmotor stotterte und erstarb schließlich, nachdem er den letzten Tropfen Treibstoff aus dem 90-Gallonen-Tank gesaugt hatte. Die großen Ballonreifen sprangen zweimal auf dem harten, verkrusteten Boden auf, ließen ein Staubwolkenpaar zurück, und schließlich spürte man einen Stoß, als das Heckrad auf dem Boden aufsetzte. Faye, die auf dem Fußboden des Frachtraumes der PT6-Transportmaschine hockte, verlor das Gleichgewicht und wäre um ein Haar auf Indys Schoß gelandet. »Entschuldigung«, murmelte sie, plötzlich befangen. Als das Flugzeug ausgerollt war, entriegelte Mystery die hintere Frachtluke und sprang hinunter auf die Erde. Sowohl sie als auch ihre Mutter trugen Khakikleidung, die sie zwei Wochen zuvor auf einem Basar in einem namenlosen Dorf am Ufer des Indus erstanden hatten.

Über ihren Köpfen brannte die irakische Sonne, und mit Ausnahme einiger dunstiger blauer Berge im Norden gab es nichts zu sehen als unversöhnliche Wüste. »Wo sind wir?«, fragte Mystery.

»Irgendwo in der Oberen Ebene«, sagte Indy, als er mit einer hölzernen Planke aus dem Flugzeug hervorkam. »Hier, bring das auf dem Boden in Stellung, ja?«

Indy bestieg eines der beiden Motorräder im Frachtraum, löste die Kupplung und ließ es über die Planke bis zur Erde hinunterrollen. Dann kletterte er ins Flugzeug zurück und wiederholte den Vorgang mit dem anderen Motorrad, an dem ein Beiwagen befestigt war.

Beide Motorräder waren rote, in Amerika hergestellte Indians, und beide waren bereits längere Zeit in Gebrauch gewesen, als Indy sie tags zuvor einem Händler im Lager der Ölgesellschaft in der pakistanischen Wüste mit dem letzten Geld abgekauft hatte. Das erste Motorrad war eine 1929er Indiana 4 mit vier schwarzen, an der linken Seite austretenden Auspuffrohren sowie einem ausladenden Sitz, der aussah, als gehörte er auf einen Traktor. Das Motorrad mit dem Beiwagen war eine 1928er Indiana Scout. Auf dem Beiwagen stand, aufgemalt in Englisch und Arabisch: Eigentum des britischen Vermessungsamtes. Faye schleppte Lebensmittel und Ausrüstung heraus, die sie auf den Motorrädern festzurrten und im Gepäckfach des Beiwagens verstauten. Die leinenen Wasserschläuche hängten sie an die vorderen Kotflügel der Motorräder. Anschließend hievten Indy und Mystery das Benzin nach draußen, von dem zehn Kanister für den Rückflug der Maschine bis zur indischen Grenze vorgesehen waren. Die anderen acht Kanister wurden hinten auf den Motorrädern festgezurrt. Der Pilot öffnete die große, dreieckige, mit Glasscheiben versehene Klappe und sprang aus der Pilotenkanzel. »Das war ein bisschen knapp, finden Sie nicht?«, fragte Indy.

»Es war die erste ebene Stelle, die ich finden konnte, die nicht mit Steinen übersät war«, erwiderte der Pilot. »Außerdem sagten Sie, Sie wollten so nahe an Lalesh heran wie möglich. Bitte, es liegt ungefähr einhundert Meilen in dieser Richtung.«

Der Pilot deutete mit dem Daumen über seine Schulter nach Norden.

Als sie mit dem Wiederauftanken des Flugzeugs fertig waren, holte Indy die Karte aus seiner Mappe, breitete sie auf der Erde aus und legte seinen Kompass darauf.

»Also gut«, sagte er, auf seinen Fersen hockend. »Der Tigris liegt genau westlich, die Berge befinden sich Richtung Nordosten, und Sie sagen, Lalesh liegt einhundert Meilen weit im Norden. Damit dürften wir uns etwa hier befinden.«

Indy stieß mit seinem Zeigefinger auf die Karte.

»Eher ein Stück weiter hier drüben, glaube ich«, meinte der Pilot.

»Na gut«, sagte Indy. »Wenn wir quer durch die Wüste im Schnitt dreißig Meilen pro Stunde schaffen, müssten wir bei Einbruch der Nacht in Lalesh eintreffen. Gibt es irgendwas Besonderes, das wir wissen sollten?«

»Der Irak ist zwar britisches Protektorat«, erklärte der Pilot, »aber hier oben auf der Oberen Ebene sind Sie völlig auf sich gestellt.

Der Irak verfügt über eine eigene Armee, aber denen würde ich an Ihrer Stelle nicht trauen, falls Sie ihnen über den Weg laufen sollten. Die Offiziere haben einen Hang zum Faschismus, außerdem sind sie damit beschäftigt, einen Krieg gegen die Briten anzuzetteln. Sie werden Amerikanern nicht gerade wohlgesinnt sein. Halten Sie sich von den Stämmen der Yezedi fern, denn die stehen im Ruf, überaus unangenehm werden zu können.«

»Das habe ich gehört«, sagte Indy.

»Bagdad liegt ungefähr dreihundert Meilen südlich«, fuhr der Pilot fort. »Wenn Sie sich verirren, suchen Sie einfach den Tigris und folgen Sie ihm flussabwärts. Außerdem müsste es den einen oder anderen Außenposten der britischen Ölgesellschaften geben, bei denen Sie sich auf dem Rückweg mit Treibstoff versorgen können.«

Indy faltete die Karte zusammen und stopfte sie wieder in seine Mappe.

»Danke«, sagte er, erhob sich und schüttelte dem Piloten die Hand.

»Das ist das erste Mal, dass ich jemanden in die Mitte des Nirgendwo geflogen und dort abgesetzt habe«, antwortete der.

»Viel Glück. Ich weiß. Sie werden es brauchen.«

Indy bestieg die Indian 4, während Faye und Mystery sich darum stritten, wer im Beiwagen fahren sollte. Schließlich einigten sie sich darauf, eine Münze zu werfen, und Mystery gewann. Sie kletterte in den Sattel der Scout, während ihre Mutter es sich im

Beiwagen bequem machte.

»Weißt du, wie man dieses Ding fährt?«, fragte Indy, während er seine Motorradbrille überstreifte.

Mystery lächelte ihn bloß an und trat auf den Anlasser. Die Maschine der Scout erwachte tuckernd zum Leben, dann rutschte das Hinterrad seitlich im Staub weg, als sie die Kupplung plötzlich kommen ließ und das Gas aufdrehte.

»He!«, rief er. »Das Motorrad muss viele hundert Meilen halten.

Hier draußen gibt es keine Werkstatt!«

Doch Mystery hörte ihn nicht.

»Kinder«, sagte Indy kopfschüttelnd bei sich.

Dann ließ er sein Motorrad an und fuhr ihr hinterher.

Eine Stunde lang durchquerten sie die Hochebene, gelegentlich Findlingen ausweichend oder einen Wasserlauf hinaufkraxelnd, während ihre Staubfahnen in der heißen Nachmittagssonne hinter ihnen hingen.

Indy sah oft auf den Kompass, um sich zu vergewissern, dass sie noch immer in die richtige Richtung fuhren. Einmal hielten sie zum Mittagessen an, danach tauschten Faye und Mystery die Plätze, und sie fuhren entschlossen weiter. Im Laufe des Nachmittags wurde das Gelände unebener, und sie stellten fest, dass sie sich einer hohen Erhebung näherten, die den Tigris überblickte. Auf dem höchstgelegenen Punkt der Erhebung stand eine Gruppe sehr alter Ruinen, von denen einige offenkundig vor nicht allzu langer Zeit ausgegraben worden waren.

Indy brachte sein Motorrad zum Stehen, und Faye hielt neben ihm.

»Was ist das?«, fragte Faye.

»Ninive«, antwortete Indy. »Eine der ältesten Städte der Welt, vermutlich von Nimrod, dem Urenkel Noahs, gegründet. Sie wurde im sechsten Jahrhundert vor Christus von den Babyloniern zerstört.«

»Und wohin jetzt?«, fragte Faye.

»Es existiert eine alte Straße, die von hier in die Berge im Nordosten führt«, erklärte Indy. »Die nehmen wir.«

Die Straße war wenig mehr als ein Ziegenpfad und so holprig, dass sie, aus Angst, die Federung der Motorräder könnte brechen, gezwungen waren, ihre Geschwindigkeit auf beinahe Schritttempo zu drosseln. Ganz auf das Befahren der Straße konzentriert, bemerkte Indy nicht, dass sie während der letzten zehn Meilen verfolgt worden waren.

Auf einmal befanden sich rechts und links von ihnen jeweils vier Reiter, die nicht die geringste Mühe hatten, mit den Motorrädern Schritt zu halten. Die Pferde waren Araber, sechzehn Handbreit hoch, und die Reiter trugen dunkle Gewänder und alte Vorderlader-Gewehre. An ihren Gurten hingen khanjers, die gefährlich aussehenden Krummdolche der Wüste.

In ebenem Gelände hätten die Fahrzeuge sie mit Leichtigkeit abhängen können, nicht jedoch hier. Indy nahm das Gas zurück und ließ sein Motorrad gemächlich ausrollen, und Faye folgte seinem Beispiel.

»Machen Sie keine abrupten Bewegungen«, sagte Indy mit einem Lächeln auf dem Gesicht an Faye und Mystery gewandt, obwohl er dabei die Reiter anschaute. »Und was immer Sie tun, richten Sie nicht das Wort an sie, denn das käme einer Beleidigung gleich. Nur Männer sprechen mit Männern.«

Der Anführer war ein kräftiger Mann mit leuchtend blauen Augen, die aus einem Gesicht hervorlugten, das ebenso verwittert war wie die Landschaft, die sie umgab. Seine Nase glich einem der mächtigen Findlinge, und seine Haare und sein Bart hatten die Farbe und Beschaffenheit von Stahlwolle.

Er sprang von seinem Pferd ab und kam auf Indy zu. Sein Steinschlossgewehr ruhte in der Beuge seines linken Armes, sodass seine Rechte frei blieb, um den khanjer zu schwingen, sollte dies erforderlich sein.

Er begrüßte Indy auf Arabisch, dann sagte er:

»Ich spreche Englisch, ein wenig.«

»Gut«, antwortete Indy und öffnete seine Jacke ein wenig, sodass man den im Halfter steckenden Webley nicht übersehen konnte.

»Ich spreche ein wenig Arabisch.«

»Ich bin Scheich Ali Azhad.«

»Mein Name ist Dr. Jones«, erwiderte Indy auf Arabisch, wohl wissend, wie viel Bedeutung man in diesem Teil der Welt Titeln beimaß. »Diese Frauen sind meine Assistentinnen. Sie sind unbedeutend, aber ich habe sie gern. Sie gehören mir.«

Faye, sich des Inhalts des Gespräches nicht bewusst, setzte ein liebenswürdiges Lächeln auf.

Der Scheich nickte.

»Du behandelst Kranke?«, fragte er.

»Nein«, sagte Indy. »Diese Art Doktor bin ich nicht - ich bin Lehrer, Archäologe. Ich grabe in der Erde.«

»Und was suchst du dort?«, fragte der Scheich.

»Die Vergangenheit«, sagte Indy.

Der Scheich nickte ernst.

»Wir warten seit drei Tagen auf euch«, sagte er. »In einem Traum sah ich euch auf roten Maschinen kommen. Euch alle drei. Aber ich dachte, ihr wärt drei Männer. Ich habe mich täuschen lassen, weil eure Frauen Hosen tragen. So ist das mit Träumen. Sie erzählen die Wahrheit, doch auf welche Weise, weiß man erst, wenn das Geträumte tatsächlich eintritt.«

»Du bist ein Yezedi?«, erkundigte sich Indy. »Du lebst in Lalesh?«

»Wir nennen es Scheich Adda, zu Ehren unseres großen Propheten. Es liegt in jenem Tal dort drüben. Wir sind ein friedliches Volk. Die Welt hat kein Verständnis für uns. Man versucht, uns umzubringen und auszulöschen. Warum seid ihr hier?«

»Hat dir der Traum das nicht gesagt?«, fragte Indy und ging damit ein ziemliches Risiko ein.

Der Scheich brummte etwas.

»Kann ich deine Waffe sehen?«

Indy nahm den Webley aus dem Halfter und hielt ihn dem Scheich mit dem Knauf nach vorne hin.

»Wenn ich mir deine ansehen kann«, sagte er.

Der Scheich reichte ihm das Steinschlossgewehr und nahm dafür den Webley.

Das Gewehr war alt, vielleicht hundert Jahre oder älter, aber gut in Schuss. Es roch nach Öl und Schwarzpulver. Es war ungefähr ein 40er Kaliber, und im Hahn steckte ein nagelneuer Feuerstein.

Der Scheich klappte die Trommel des Webley heraus, sah die Messingpatronen, schloss den Revolver wieder und prüfte seine Schwere, indem er damit auf einen Berggipfel zielte. Dann gab er

ihn Indy zurück. Indy reichte ihm das Gewehr.

»Eine schöne Waffe«, sagte Indy.

Der Scheich nickte zufrieden.

»Ich nenne dich Jones.«

Indy nickte.

»Ich werde dich Ali nennen«, erwiderte er.

»Ich bringe dich nach Scheich Adda«, sagte Ali. »Aber zuerst die Regeln: Es darf nicht gespuckt werden. Es darf kein Blau getragen werden. Und Sheitan darf nicht erzürnt werden.«

Der Scheich stieg auf sein Pferd und ritt, gefolgt von den anderen sieben Reitern, die Straße entlang voraus. Indy startete sein Motorrad.

»Wer ist Sheitan?«, fragte Faye.

»Satan«, sagte Indy.

Das Dorf Scheich Adda, die heiligste aller Yezedi-Siedlungen, war eine Ansammlung weißer, kegelförmiger Grabmale und Tempel inmitten von ein paar hundert in einem grünen Tal gelegenen Hütten. Pfaue, Symbole einer jener Halbgötter, die nach dem Glauben der Yezedi die Erde beherrschten, liefen frei herum. Von Ziegen- und Pferdezucht abgesehen, schien es kaum Handel zu geben, und gemessen am Maßstab der Yezedi war Ali ein wohlhabender Mann, weil er ein Gewehr besaß, ein Pferd, ein khanjei sowie seinen eigenen kleinen Laden, der mit Tee und billigstem westlichen Krimskrams handelte. Weil er im Dorf nach dem Hohepriester als der mächtigste Mann galt, hatte man ihm gestattet, Englisch zu lernen und zu sprechen. »Wie groß ist das Volk der Yezedi?«, fragte Mystery, als sie aus dem Beiwagen kletterte.

»Das weiß niemand«, sagte Indy. »Schätzungen reichen von ein paar tausend bis zu möglicherweise zehntausenden. In einer Region, in der Religionskrieg die wichtigste Einnahmequelle ist, sind die Yezedi in der unglücklichen Lage, mit der einen Person identifiziert zu werden, die fast überall in der Welt gehasst wird. Sie werden schon seit Jahrhunderten verfolgt.«

»Wie lange gibt es sie schon?«

»Auch das weiß niemand«, antwortete Indy. »Aber sie scheinen eine der ältesten religiösen Gemeinschaften der Welt zu sein. Es wurde bereits behauptet, sie seien ein unmittelbares Bindeglied zur Religion der Sumerer, aber auch das ist nicht bewiesen. Ihre Herkunft lässt sich allerdings bis zu den Geheimreligionen zurückverfolgen.«

»Verehren sie tatsächlich den Teufel?«, fragte sie.

»Verehren ist nicht ganz das richtige Wort«, meinte Ali an Indy gewandt, als er näher kam. Es wäre für ihn einer Unhöflichkeit gleichgekommen, Mystery unmittelbar zu antworten. »Wir glauben an die Güte Allahs. Weil Allah gut ist, haben wir von Ihm nichts zu befürchten. Sheitan ist es, auf den man Acht geben und dem man Respekt zollen muss.«

»Auf welche Weise zollt ihr ihm Respekt?«, fragte Indy.

»Mit jedem Aspekt unseres Lebens, selbstverständlich«, antwortete Ali. »Kommt, seid ihr hungrig? Wir werden etwas essen.«

Indy folgte Ali in dessen Haus, hielt Faye und Mystery aber zurück, bevor sie eintreten konnten.

»Tut mir Leid«, sagte er. »Aber Sie werden hier draußen warten müssen, bis die Männer fertig sind. Dann wird man Ihnen die Reste bringen.«

»Die Reste? «, fragte Mystery.

»Sie hat Recht«, meinte Faye. »Das ist barbarisch.«

»Machen Sie keinen Aufstand«, riet Indy. »Das wirft ein schlechtes Licht auf mich. Hören Sie, ich mache die Regeln hier nicht. Außerdem könnte es schlimmer sein, wenigstens brauchen Sie keinen Schleier zu tragen, was in diesem Teil der Welt als ziemlich fortschrittlich gilt. Falls Sie hungrig sind, im Beiwagen sind noch reichlich Lebensmittel.«

Nach dem Mahl kam Indy, bekleidet mit einem weißen Turban und einem derben zebun, dem traditionellen schlichten arabischen Gewand, wieder zum Vorschein. Unmittelbar vor der Hütte blieb er stehen, legte die Hände auf den Magen und rülpste ausgiebig.

Faye und Mystery hockten noch immer bei den Motorrädern, da keiner der anderen Dorfbewohner, ob männlich oder weiblich, es wagte, auch nur das geringste Interesse an ihnen zu bekunden.

Ali klopfte Indy auf den Rücken und bedankte sich für das Kompliment. »Komm«, sagte er. »Ich werde dir dein Haus zeigen. Nimm deine Frauen mit.«

»War es nett?«, fragte Faye.

»Sie haben das bessere Ende erwischt, glauben Sie mir«, sagte Indy leise. »Hammel mit Schafsaugen. Im Augenblick würde ich alles für ein Schinkensandwich geben.«

»Tut mir Leid«, meinte Faye. »Mystery und ich haben den gesamten Büchsenschinken aufgegessen.«

»Er war übrigens köstlich«, bestätigte Mystery.

»Hier, ziehen Sie das an«, sagte Indy, als er Faye die Gewänder zuwarf. »Sie halten es für unziemlich, wenn eine Frau Hosen trägt.«

Ali führte sie zu einer bescheidenen Hütte unweit des Dorfbrunnens. Nachdem Indy die Zündkerzen entfernt hatte, ließen sie die Motorräder draußen stehen.

»Vertraust du uns nicht?«, fragte Ali.

»Selbstverständlich«, erwiderte Indy, während er die Zündkerzen in seiner Mappe verstaute. »Aber würdest du dein Pferd mit einer Kandare in den Zähnen draußen stehen lassen?«

Der Sandboden in der Hütte war frisch geharkt, und man hatte zwei Strohmatten zum Schlafen hineingelegt. Außer den Matten gab es keine Möbel. Neben die Tür hatte man einen Obstkorb gestellt, der mit einem Stück Zeltleinwand abgedeckt war.

»Ich hoffe, du findest es angemessen«, sagte Ali.

»Mehr als angemessen«, erwiderte Indy. »Danke, mein Freund.«

Am nächsten Morgen, vor Tagesanbruch, kam Ali in die Hütte gekrochen und kniete neben Indy nieder. Faye und ihre Tochter schliefen noch, sie teilten sich eine Strohmatte in der hinteren Ecke der Hütte.

Ali legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Indy riss die Augen auf, und seine Hand griff nach dem Revolver.

Alis khanjer war an seiner Kehle, bevor Indy seine Finger um den Griff des Webley schließen konnte.

»Ich bin es nur«, sagte Ali, während er den Dolch in seine Scheide zurückschob.

»Ich dachte, draußen sei jemand, der versucht, die Motorräder zu stehlen«, sagte Indy und ließ den Revolver sinken.

»Zieh dich rasch an, mein Freund«, sagte Ali. »Hier, setz diesen Turban auf - die passende Kopfbedeckung für einen Mann. Man hat dich in unseren Tempel eingeladen, den noch kein Weißer zu Gesicht bekommen hat - jedenfalls keiner, der es überlebt hätte, um davon zu berichten.«

»Warum gerade ich?«, fragte Indy, während er seine Stiefel überstreifte.

»Der Grund dafür ist mein Traum«, erklärte Ali, »und weil die anderen Scheichs deinem Besuch ebenfalls Bedeutung beimessen.

Dies ist eine Zeit großer Vorbedeutungen.«

Indy folgte Ali nach draußen, während er sich den Turban um den Kopf wickelte. Die Sterne leuchteten strahlend hell an einem wolkenlosen Himmel. Sie gingen die Staubstraße zum Tempel mit dem kegelförmigen Dach hinunter, dann hielt Ali inne. Ein Dutzend Schuh- und Stiefelpaare standen draußen vor dem Eingang.

»Zieh deine Stiefel aus«, befahl er Indy. »Lass sie draußen stehen und tritt beim Durchschreiten der Tür nicht auf die Schwelle. Sag und tu nichts, es sei denn, man unterweist dich entsprechend.«

Im Innern des Tempels nahm Ali eine brennende Kerze von einem Tisch, schob einen an der gegenüberliegenden Seite der gewölbten Wand hängenden Wandteppich zur Seite und gab damit den Blick auf eine Treppenflucht frei. Neben dem Wandbehang, auf dem ein Pfau dargestellt war, stand ein Priester, einen khanjer in der Hand.

»Wird er immer bewacht?«, fragte Indy.

»Selbstverständlich«, antwortete Ali, die Stufen hinuntersteigend.

»Dies ist das Zentrum der Verehrung für alle Yezedi. Sein Alter übersteigt das Erinnerungsvermögen der Menschen. Wir können dir nicht gestatten, Zeuge unserer Rituale zu werden, aber als Scheich steht es mir zu, dir unsere am meisten verehrte Reliquie zu zeigen. Deswegen bist du schließlich hergekommen, nicht wahr?«

Indy lächelte, sagte aber nichts.

An den Wänden des Ganges befanden sich Darstellungen großer schwarzer, sich umeinander windender Schlangen. Indy vernahm das Geräusch fließenden Wassers, das immer lauter wurde, je tiefer sie hinunterstiegen.

»Was bedeuten die Schlangenbilder?«

Ali legte einen Finger an die Lippen.

Als sie das untere Treppenende erreichten, befanden sie sich in einer großen Höhle aus Granit. Ali benutzte die Kerze, um ein in Halterungen an der Wand steckendes Fackelpaar anzuzünden. In der Mitte des Raumes befand sich eine Vertiefung, und auf dem Boden dieser Vertiefung floss ein Bach aus klarem Wasser.

»Du darfst über alles Fragen stellen, außer über die Bilder an der Wand«, erläuterte All. »Sie sind das Eigentum Sheitans, und es ist uns nicht erlaubt, über sie zu sprechen.«

»Das Wasser«, sagte Indy. »Es stammt aus dem Dorfbrunnen.«

»So ist es«, bestätigte Ali. »Unsere Tempel wurden stets über unterirdischen Wasserläufen errichtet.«

Dann ging Ali hinüber zu einer in den Fels gehauenen Nische, und im Schein seiner Kerze erkannte Indy die hölzernen Türen eines sargförmigen Reliquienschreins.

Ali öffnete die Türflügel, und man erblickte ein knochenweißes Stück Holz. Es war beinahe zwei Meter lang, vermutete Indy.

Behutsam hob Ali den Stab von seinem Lager.

»Du darfst ihn in die Hand nehmen«, sagte er, »aber unter keinen Umständen darf er mit dem Boden in Berührung kommen.«

Indy nickte, dann ergriff er den Stab.

»Er ist erstaunlich leicht«, bemerkte er.

»Er ist sehr alt und hat einen Großteil seines Gewichts eingebüßt. Solltest du ihn fallen lassen, würde er zerspringen wie ein Stück Glas.«

»Halt die Kerze näher heran«, bat Indy. »Hier sind einige Markierungen, aber ich kann sie nicht entziffern. Sie sehen aus wie Hebräisch, aber mit Sicherheit kann ich das nicht sagen.«

»Zu meinen Lebzeiten hat er keine Wunder bewirkt«, erklärte Ali.

»Aber in der Vergangenheit hat er die Kranken geheilt. Ich weiß noch, wie mein Großvater mir von den Leprakranken und den von Dämonen Besessenen erzählte, die er wieder gesund gemacht hat.«

»Dachtest du deswegen, ich sei Arzt?«

»Es war eigentlich eher eine Hoffnung«, sagte Ali. »Wir haben fast jede Generation Besuch von einigen Fremden bekommen, die auf der Suche nach dem Stab waren, doch die hatten es stets auf Macht abgesehen.«

»War in den letzten Jahren jemals ein Engländer mit Namen Kaspar darunter?«, fragte Indy.

»Nein«, meinte Ali. »Du bist seit einer Generation der Erste.«

»Der Stab und die ...«, sagte Indy und deutete mit einem Nicken zur Treppe. »Bei uns im Westen gibt es ein Symbol, den Äskulapstab, der für das Heilen steht. Er ist eine Kombination aus den Abbildungen und diesem Stab.«

»Ich habe davon gehört«, sagte Ali.

»Wie gelangte der Stab in den Besitz deines Volkes?«

»Das wissen wir nicht genau«, sagte Ali. »Es existiert eine alte Geschichte, der zufolge der Stab und die Bundeslade zur selben Zeit aus dem Tempel Salomons gestohlen wurden, aber Genaues wissen wir darüber nicht. Es ist nur eine Geschichte.«

Indy gab Ali den Stab vorsichtig zurück und fragte, als der Scheich ihn in den Reliquienschrein zurücklegte:

»Hat vielleicht irgendjemand gefragt, ob er sich den Stab nur ausleihen könnte?«

»Das wäre vollkommen unmöglich«, erwiderte Ali. »In diesem Punkt haben wir überaus strenge Gesetze. Er muss an diesem Ort bleiben, unter unserem Schutz. Und sollte ihn tatsächlich jemand stehlen, so wird ihn ein Fluch ereilen. Nachdem wir ihm die Hände abgeschnitten haben, würde er in der Wüste angebunden und ausgeweidet werden. Welch ein Festschmaus für die Geier, was? Verrate mir, Dr. Jones, was für ein Interesse hast du an dem Stab?«

»Ein rein akademisches«, sagte Indy.

»Selbstverständlich«, meinte Ali. »Du musst wissen, es gibt nur einen Umstand, der es erlaubt, den Stab aus dem Dorf zu entfernen, und das ist in den Händen des Ersehnten, der mit Hilfe des Stabes erneut Wunder bewirken kann. Offen gesagt, mein

Freund, ich hatte gehofft, das seist du.«

»Ich bin nicht dein Mann«, erwiderte Indy. »Tut mir Leid.« »Mir auch«, sagte Ali. »Für uns ist es überaus wichtig, dass die Zeit der Wunder wiederkehrt. In meinem Traum waren sogar die himmlischen Mächte für den Willen des Erwählten empfänglich.«

»Sie haben ihn also tatsächlich gesehen«, stellte Faye fest. Sie hockten auf den Strohmatten in der Hütte, und Indy war gerade damit fertig geworden, ihr von seiner Besichtigung des Tempels und dessen unterirdischer Kammer zu berichten.

»Ja, oder zumindest einen Stock, der ihm ähnlich sieht«, sagte Indy. »Er ist sehr alt und wird in einem hölzernen Schränkchen in einer in den Felsen gehauenen Nische aufbewahrt.«

»Diese Vertiefung mit dem Brunnenwasser darin«, fragte Mystery. »Wie groß war die?«

»Ungefähr drei Fuß in der Breite.«

»Konnten Sie erkennen, wie tief das Wasser war oder die Kammer, durch die es floss?«

»Nein«, meinte Indy. »Es war zu dunkel.«

»Das dürfte schwierig werden«, meinte Faye.

»Es ist unmöglich«, widersprach Indy. »Der Tempel wird rund um die Uhr bewacht.«

»Richtig, aber nur von einem einzigen Priester«, sagte Faye.

»An ihm führt kein Weg vorbei. Selbst wenn es gelänge, ihn irgendwie zu überwältigen, müsste man sich gegen das gesamte Dorf zur Wehr setzen, um fliehen zu können.«

»Mag sein«, sagte Faye. »Es sei denn, es gelänge, ihn gegen ein Duplikat auszutauschen. Ihre Beschreibung klang nicht so, als sähe er unverwechselbar aus.«

»Hören Sie, ich möchte nicht, dass man mir die Hände abhackt und mich anschließend mitten in der Wüste anbindet, um den Geiern als Fraß zu dienen«, sagte Indy. »Es ist einfach zu riskant. Davon abgesehen wäre es auch nicht richtig. Diese Menschen haben uns zu essen gegeben und Unterschlupf gewährt.

Wir sollten es ihnen nicht zurückzahlen, indem wir ihren wertvollsten Besitz stehlen.«

»Wir könnten ihn ja zurückbringen«, schlug Faye vor.

»Es wäre immer noch Diebstahl«, sagte Indy.

»Er ist der Schlüssel zum Omega-Buch«, stellte Faye nüchtern

fest. »Vielleicht ist er auch unsere einzige Chance, Kaspar zu finden.«

»Zu riskant«, wiederholte Indy.

»Der berühmte Gelehrte, Abenteurer und Grabräuber gibt zu, dass er einer Herausforderung nicht gewachsen ist?«, fragte Mystery spöttisch.

»Ich ziehe es vor, meine Opfer erst auszurauben, wenn sie bereits ein paar tausend Jahre tot sind, und nicht, solange sie noch umherspazieren«, erwiderte Indy angesäuert. »Wir werden morgen mit dem ersten Tageslicht nach Bagdad aufbrechen. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.«

Indy saß kerzengerade auf der Strohmatte, geweckt von den Rufen der Männer und dem Klagegeschrei der Frauen in der Mitte des Dorfes. Er blickte hinüber zur anderen Seite des Raumes und sah die schlafende Faye, nicht aber Mystery. »Oh nein«, entfuhr es ihm.

»Wo steckt Mystery?«, fragte Faye, die soeben wach wurde. »Keine Ahnung«, antwortete Indy, während er seine Stiefel anzog und nach seinem zebun griff. »Aber ich fürchte, möglicherweise ist sie der Grund für die Aufregung.« Rings um den Tempel hatte sich eine Menschenmenge versammelt, und alles schien gleichzeitig auf Arabisch durcheinander zu reden.

»Was ist passiert?«, erkundigte sich Indy bei Ali.

»Der Stab ist verschwunden«, erklärte Ali. »Wir kamen zum Morgengottesdienst hierher, und er war nicht mehr da. Wo ist er?«

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, ich hätte ihn gestohlen?«

»Sonst fällt mir niemand ein«, erwiderte Ali. »Ich hätte ihn dir nicht zeigen dürfen. Das war ein Fehler.«

Ali machte eine Handbewegung, und Indy und Faye wurden bei den Armen gepackt.

»Wo ist das Mädchen?«, fragte Ali.

»Ich weiß es nicht«, sagte Indy.

»Noch einmal, wo ist der Stab?«

»Noch einmal, ich weiß es nicht«, antwortete Indy. Ali schüttelte den Kopf. Er zog seinen khanjer, dessen Klinge im rosigen Licht der Morgendämmerung schimmerte, und hielt ihn Indy unters Kinn.

»Du wirst es mir verraten«, sagte Ali. »Es wäre besser, du würdest es mir jetzt verraten und nicht später, aber verraten wirst du es mir. Weil ich nämlich damit anfangen werde, dir die Haut von dem Armen und Beinen zu schälen«, sagte er. »Deine Handflächen und Fußsohlen sind besonders empfindlich. Anschließend werde ich dasselbe mit deiner Brust und deinem Bauch anstellen, und schließlich werde ich dir das Gesicht und deinen Skalp herunterschälen. Danach werden wir dir, sobald wir den Stab wieder zurückerhalten haben, die Hände abhacken -«

»Den Rest kenne ich«, sagte Indy.

»Bindet sie an die Pflöcke«, befahl Ali.

Die Menge packte Indy und Faye bei den Händen und band sie, Arme und Beine ausgestreckt, mit Lederriemen und Holzpflöcken im Sand fest.

»Haben Sie eine Idee?«, fragte Faye.

»Keine einzige«, gestand Indy. Ali hockte mit übereinander geschlagenen Beinen auf dem Boden und entfernte Indys linken Stiefel. Dann zog er die Socke herunter und drückte die Messerklinge in die dünne Haut über dem Knochen.

»Wir sind ein friedliebendes Volk«, sagte er.

»Das behauptet Hitler auch«, versetzte Indy.

»Wer ist dieser Hitler?«

»Rate mal«, sagte Indy.

»Du zwingst uns dazu«, sagte er. Dann beugte Ali sich ganz nah über ihn und sagte: »Um Sheitans Willen, bitte verrate uns, wo du den Stab versteckt hast. Ich habe dich für meinen Freund gehalten.

Ich möchte dir nicht wehtun. Natürlich müssen wir dich jetzt töten, aber foltern möchte ich dich nicht.«

»Dann lass es«, sagte Indy.

Ali schüttelte den Kopf und ging daran, das Fleisch von Indys Knöchel zu schneiden. Indy biss die Zähne zusammen, konnte aber einen Schrei nicht unterdrücken, als er spürte, wie die Messerklinge am Knochen entlangscharrte.

»Halt!«, rief Mystery.

Sie tauchte aus dem Brunnen hoch, den Stab in der Hand. Ihr Haar war verfilzt, und sie war schlammverschmiert.

»Ich war es, die euren blöden Stock geklaut hat«, rief sie. »Ich habe mich in den Brunnen hinuntergelassen und bin durch den unterirdischen Bach bis in die Kammer geschwommen. Lasst sie frei.«

Ali rief zwei Männern auf Arabisch zu, sie sollten sie packen.

»Wenn ihr mich anfasst, zerbreche ich dieses Ding«, sagte Mystery. »Erst werdet ihr Indy und meine Mutter freilassen, und danach werde ich mir überlegen, ob ich das hier zurückgebe.«

Ali befahl ihnen, von den beiden abzulassen. »Wir können sie nicht freilassen«, erklärte er ihr. »So lautet unser Gesetz.«

»Dann könnt ihr euch von eurem wertvollsten Besitz verabschieden«, sagte Mystery und begann, Druck auf den Stab auszuüben. Er spannte sich über ihrem Knie wie ein Bogen, und als er zu knacken begann, hob Ali seine Hand.

»Also gut«, sagte er und befahl den anderen, Faye Maskelyne loszuschneiden.

»Was ist mit Dr. Jones?«, fragte Mystery.

»Er hat mein Vertrauen und meine Freundschaft missbraucht«, erklärte Ali. »Allein dafür muss er sterben - wie auch du für den Diebstahl des Stabes. Deine Mutter aber werde ich laufen lassen.«

Faye stand auf und rieb sich die Handgelenke. Sie ging hinüber und nahm Mystery den Stab aus der Hand. Plötzlich fuhr ein kalter Wind in die Gewänder der Männer und die Schals der Frauen, und Ali glaubte eine Art phosphoreszierendes Leuchten zu sehen, das den Stab der Länge nach umspielte, »Gib mir den Stab«, verlangte Ali. »Und dann geh.«

»Ich gehe nicht ohne meine Tochter«, sagte Faye mit einem Blitzen in ihren blauen Augen. »Und nicht ohne meinen Freund.«

»Sie müssen sterben«, beharrte Ali. »Geh.«

»Du sollst verdammt sein«, fluchte Faye und richtete den Stab auf Ali. »Du wirst hier niemanden töten.«

Ein schmaler Blitz fuhr aus dem wolkenlosen Himmel, schlug im Sand zu Alis Füßen ein, schlug ihm den khanjei aus der Hand und schleuderte ihn nach hinten.

Die Menschenmenge wich zurück.

»Donnerwetter«, rief Mystery. »Mach das noch einmal, Mom.«

»Ich habe keine Ahnung, was passiert ist«, sagte Faye während sie zu Indy hinüberging. Sie zog ein Messer aus ihrem Gürtel und schnitt ihn los. »Ich war einfach wütend, das ist alles.«

»Erinnern Sie mich daran, niemals Ihren Zorn zu erregen«, sagte Indy.

Ali setzte sich auf und schüttelte den Kopf. Sein Turban und Gewand qualmten, und auf der Erde, dort wo der Sand geschmolzen war, hatte sich eine Lache aus rot glühendem Fulgurit gesammelt.

»Ist das möglich?«, fragte er. »Eine Frau?«

»Was redet er da?«, fragte Faye, wahrend sie Indy auf die Beine half. »Wie geht es Ihrem Knöchel?«

Indy bewegte die Zehen hin und her.

»Komisch«, sagte er, als er die Wunde untersuchte. »Es ist nur ein Kratzer. Ich hätte schwören können, dass Ali ein Stück Fleisch aus meinem Knöchel geschnitten hat wie bei einem Erntedankfest-Truthahn. Aber im Augenblick blutet es nicht, es tut nicht einmal weh.«

»Darf ich den Stab untersuchen?«, bat Ali.

»Warum sollte ich ihn zurückgeben?«, fragte Faye.

»Bitte«, sagte Ali. »Erlaube mir, ihn anzusehen, und sei es nur für einen kurzen Augenblick.«

Er streckte flehend seine Hände aus.

»Geben Sie ihm den Stock«, sagte Indy, während er Socken und Stiefel anzog.

Ali nahm den Stab und wog ihn in der Hand.

»Er ist viel schwerer«, sagte er. »Bringt eine Lampe.«

Jemand brachte ihm eine brennende Öllampe, und er untersuchte den Stab damit der Länge nach. Er fuhr mit dem Daumen über die Buchstaben.

»Seht doch«, sagte er. »Jetzt sind sie ganz deutlich zu erkennen.«

»Was?«, fragte Faye.

»Die hebräischen Buchstaben«, erwiderte Ali und hielt ihr den Stab hin.

»Der Name Aaron«, sagte Indy.

»Er ist es tatsächlich.«

»Aber natürlich, Mom«, sagte Mystery. »Oder glaubst du etwa, du könntest mit irgendeinem alten Stock einen Blitz erzeugen?«

»Dann bist du die Ersehnte«, stellte Ali fest.

»Ich bin nichts dergleichen«, widersprach Faye.

»Die Zeit der Wunder ist zurückgekehrt«, sagte Ali.

»An Ihrer Stelle würde ich ihm nicht widersprechen«, flüsterte Indy ihr ins Ohr. »Schnappen Sie sich den Stab, und dann verschwinden wir von hier.«

»Eine Frau!«, rief Ali voller Verwunderung.

»Ich sagte dir doch, ich bin es nicht«, meinte Indy.

»Ach, aber so ist das mit Träumen«, meinte Ali. »Unser Leben ist nichts weiter als ein Traum, während Allah schläft und Sheitan seinen Spielen nachgeht. Unsere Gebete sind nichts als eine flehentliche Bitte an Allah, weiterzuschlafen, denn wenn er erwacht - vergeht die Welt.«

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