XIV

Silvers schickte mich zu Cooper, dem Mann, der die Degas-Tänzerin gekauft hatte. Ich sollte ihm das Bild bringen und ihm helfen, es aufzuhängen. Cooper wohnte im vierten Stock eines Hauses an der Park Avenue. Ich erwartete, an der Tür von einem Diener abgefertigt zu werden, aber Cooper selber empfing mich in Hemdsärmeln.»Kommen Sie herein«, sagte er.»Wir wollen uns Zeit nehmen, einen Platz für diese grünblaue Dame zu finden. Wollen Sie einen Whisky? Oder lieber Kaffee?«

«Danke, ich nehme gerne einen Kaffee.«

«Ich nehme einen Whisky. In dieser Hitze das einzig Vernünftige.«

Ich widersprach nicht. Die Wohnung war sehr kühl, in ihr war die leichte Grabesluft künstlich gekühlter und durchlüfteter Räume. Coopers Kopf leuchtete darin wie eine reife Tomate. Verstärkt wurde das noch durch die Einrichtung, die französisch war, Louis XV., fast alles gefaßte oder vergoldete Stücke, zierlich, untermischt mit kleinen italienischen Sesseln und einer prachtvollen kleinen, gelben venezianischen Kommode. An den bespannten Wänden hingen französische Impressionisten.

Cooper löste das Papier von dem Degas und stellte ihn auf einen Stuhl.»Das war doch Schwindel mit dem Bild, wie?«fragte er.»Silvers behauptete, er hätte es seiner Frau geschenkt und sie würde Krach machen, wenn sie nach Hause käme? So ein Bluff!«

«Haben Sie es deshalb gekauft?«erwiderte ich.

«Natürlich nicht. Ich habe es gekauft, weil ich es haben wollte. Haben Sie eine Ahnung, was Silvers dafür verlangt hat?«

«Nicht die mindeste.«

«Dreißigtausend Dollar.«

Cooper sah mich forschend an. Ich wußte sofort, daß er log und mich aushorchen wollte.»Nun?«sagte er.»Viel Geld, nicht?«

«Für mich wäre es viel Geld.«

«Wieso? Was würden Sie dafür zahlen?«

Ich lachte.»Gar nichts!«

«Warum nicht?«fragte Cooper sehr schnell.

«Ich habe nicht das Geld dafür. Zwischen mir und dem Nichts stehen im Augenblick etwa fünfunddreißig Dollar.«

Cooper ließ nicht nach.»Was würden Sie zahlen, wenn Sie das Geld dafür hätten?«

Ich hatte das Gefühl, daß ich für einen Kaffee genug ausgefragt war.»Alles, was ich besäße«, erwiderte ich.»Sie brauchen ja nur Ihre Bilder hier schätzen zu lassen, um zu wissen, daß Kunstbegeisterung gleichzeitig ein gutes Geschäft ist. Besser geht es doch gar nicht. Ich glaube, Silvers würde sie Ihnen gern mit hohem Profit wieder abkaufen.«

«Der Gauner! Um sie mir eine Woche später mit fünfzig Prozent Aufschlag wieder anzubieten!«

Cooper kollerte wie ein Truthahn nach der Mahlzeit — zufrieden und nicht mehr herausfordernd.»Also wo wollen wir die Tänzerin hinhängen?«

Wir gingen durch die Wohnung. Zwischendurch wurde Cooper ans Telefon gerufen.»Sehen Sie sich nur um«, rief er mir zu.» Vielleicht finden Sie schon einen Platz.«

Die Wohnung war mit feinem Geschmack eingerichtet. Cooper mußte selbst sehr viel verstehen oder ausgezeichnete Berater haben, wahrscheinlich beides. Ein Mädchen führte mich.»Hier ist Mister Coopers Schlafzimmer«, sagte sie,»da wäre noch Platz.«Über einem breiten Bett im Jugendstil hing goldgerahmt eine Waldlandschaft mit einem röhrenden Hirsch und ein paar Rehen, mit einer Quelle im Vordergrund. Ich sah dieses scheußliche Machwerk sprachlos an.»Hat Herr Cooper das selbst gemalt?«fragte ich dann.»Oder hat er es geerbt von seinen Eltern?«

«Das weiß ich nicht. Er hat es, seit ich hier bin. Herrlich, nicht wahr? So naturgetreu!«

«Das ist es. Man sieht den Dampf vor dem Maul des Hirsches. Ist Herr Cooper Jäger?«

«Nicht daß ich wüßte.«

Ich sah mich um und entdeckte gegenüber eine Venedig-Land schaft von Ziem. Mir wurden fast die Augen feucht vor Rührung, Coopers Geheimnis entdeckt zu haben. Liier, in seinem Schlaf zimmer, brauchte er sich nicht in Positur zu setzen. Dies war es, was er wirklich liebte. Alles andere war Aufmachung, Geschäft und vielleicht sogar auch laue Zuneigung, wer konnte das wissen und wer wollte es? Aber dieser röhrende Hirsch, das war Passion, und diese sentimentale Venedig-Studie, das war Romantik.»Wir wollen weitergehen«, sagte ich zu dem Mädchen.»Hier ist alles so, daß man es nur stören würde. Sind oben noch Räume?«»Oben ist das Dachgeschoß und ein kleiner Salon.«

Sie führte mich eine Treppe hinauf. Aus dem Arbeitszimmer hörte ich Cooper mit barscher Stimme Befehle in das Telefon bellen. Ich war gespannt, ob das Arbeitszimmer ähnlich eingerichtet war wie das Schlafzimmer; Ein zweiter röhrender Hirsch wäre nicht unpassend gewesen.

In der Tür zur Terrasse blieb ich stehen. Unten lag New York in der schwülen Sommerhitze wie eine afrikanische Stadt mit Wolkenkratzern, soweit man sehen konnte. Am Horizont ahnte man das Meer. Es war eine Stadt aus Steinen und Stahl, und sie wirkte als das, was sie war: nicht allmählich entstanden und organisch gewachsen, nicht mit der Patina der Jahrhunderte, sondern entschlossen und rasch hingebaut von entschlossenen Menschen, die nicht von Traditionen behindert waren und deren oberstes Gesetz nicht Schönheit, sondern Zweckmäßigkeit hieß und darum wieder eine neue, verwegene, antiromantische, antiklassische, moderne Schönheit. New York mußte man von oben sehen, dachte ich, nicht von unten, den Nadcen hochgereckt zu den Wolkenkratzern. Von oben wirkten sie friedlich, gerade so, als ob sie dahin gehörten, wie Giraffen in einer Herde von Zebras, Gazellen und Riesenschildkröten.

Ich hörte Cooper schnaufend die Treppe heraufschlurfen.»Haben Sie einen Platz gefunden?«

«Hier«, sagte ich und wies auf die Terrasse.»Aber die Sonne würde es bald zerstören. Eine Tänzerin über dieser Stadt, das wäre etwas. Vielleicht in den Salon nebenan? An der Wand, die der Sonne abgewandt ist.«

Wir gingen hinein. Der Salon war sehr hell, mit weißen Wänden und Möbeln, die mit Chintz bespannt waren. Auf einem Tisch standen drei chinesische Bronzen und ein Paar Tang-Tänzerinnen. Ich blickte Cooper an. Was empfand er? Hätte er nicht lieber statt der Chou-Bronzen drei Trinkhumpen gehabt und statt der Tanz-Terrakotten Porzellanzwerge?» Dort«, sagte ich.»An der Wand hinter den Bronzen. Die grünblaue Patina der Bron zen hat denselben Ton wie der Tutu der Tänzerin.«

Cooper äugte und schnaufte immer noch. Ich hielt das Bild gegen die Wand.»Dann muß man ein Loch in die Wand machen«, sagte er schließlich.»Und wenn man das Bild später mal weg nimmt, ist das Loch da.«

«Sie können dann auch ein anderes Bild hinhängen«, sagte ich und betrachtete Cooper erstaunt.»Außerdem kann man das Loch wieder so zugipsen, daß man es kaum sieht. «Welch ein Pfennig fuchser! Aber so hatte er wahrscheinlich seine Millionen gemacht. Sonderbarerweise ärgerte mich das nicht, der röhrende Hirsch im Schlafzimmer versöhnte mich mit allem. Für Cooper war alles andere in seiner Wohnung leicht feindlich, und er verstand es nicht ganz. Ebensowenig, wie er eigentlich verstand, daß man so viel Geld dafür ausgeben konnte. Das war auch der Grund, war um er mich ausfragen wollte. Er traute der Kombination Kunst- Geld nicht recht, und darin traf er sich sogar mit den wirklichen Liebhabern.

Cooper entschied sich schließlich.»Aber machen Sie ein kleines Loch.«

«Das kleinste, das möglich ist. Sehen Sie diese beiden Patent haken: Sie brauchen nur einen dünnen Nagel und tragen trotzdem ein großes Bild.«

Ich war rasch damit fertig. Cooper blieb mißtrauisch bei mir. Ich nahm mir dennoch Zeit, die chinesischen Bronzen zu betrachten und in die Hand zu nehmen. Sofort fühlte ich die sanfte Wärme der Patina, die gleichzeitig kühl zu sein schien. Es waren sehr schöne Bronzen, und sie gaben mir ein sonderbares Gefühl von finsterm Zuhausesein, sie waren so vollkommen, daß sie nichts anderes vermittelten, als eben vollkommen zu sein, dieses unbe schreibliche Gefühl, das man einen Augenblick hat, wenn man begreift, daß dieser Horde von rastlosen, blutjungen, kurzlebigen Wanderern über den Globus etwas geglückt ist, das mit der Illu sion >Ewigkeit< bezeichnet werden kann.

«Verstehen Sie was davon?«fragte Cooper.

«Etwas.«

«Was sind sie wert?«fragte er fast sofort, und ich hätte ihn um armen können, er war so echt und voraussehbar.

«Sie sind unbezahlbar.«

«Was? Wieso? Sie sind eine bessere Kapitalanlage als Bilder?«»Das nicht«, erwiderte ich, sofort vorsichtig, um Silvers nicht in die Flanke zu fallen,»aber sie sind sehr schön. Bessere gibt es im Metropolitan-Museum auch nicht.«

«Wirklich? Schau, schau! Irgendein Gauner hat sie mir mal an gedreht.«

«Sie haben eben Glück.«

«Meinen Sie?«Er lachte wie sechs Truthähne und sah mich ab schätzend an. Ich glaubte, er überlegte, ob er mir ein Trinkgeld geben könnte, ließ es dann aber sein.»Möchten Sie noch etwas Kaffee?«

«Danke.«

Ich ging zurück zu Silvers und berichtete ihm.»Dieser alte Flals- abschneider«, erklärte Silvers.»Er versucht das jedesmal, wenn ich jemand zu ihm schicke. Er ist der geborene Gelegenheitskäufer. Hat auch mit einer Karre voll altem Eisen angefangen, dann hat er Züge voll von Schrotteisen verkauft. Später ist er in das Waffengeschäft eingestiegen. Zur rechten Zeit, vor dem Kriege. Hat fleißig Waffen und Schrotteisen nach Japan geliefert. Als er das nicht mehr konnte, versorgte er die Vereinigten Staaten. Für jeden Degas, den er kauft, müssen ein paar hundert oder tausend Menschen das Leben lassen.«

Ich hatte Silvers noch nie so ärgerlich gesehen. Der Vergleich mit dem Degas war natürlich falsch, aber trotzdem blieb er mir im Kopf. Falschheiten haben nun einmal mehr Beharrungsvermögen als Wahrheiten.»Warum verkaufen Sie ihm dann etwas?«fragte ich.»Werden Sie dann nicht mitschuldig?«

Silvers lachte, immer noch wütend.»Warum? Weil ich verkaufe? Ich kann mein Geschäft nicht wie ein Quäker ausüben! Und mit schuldig? An was? Am Krieg? Lächerlich!«

Es kostete mich Mühe, ihn zu beruhigen, das hatte ich davon, logisch denken zu wollen! So etwas führt jedesmal zu Mißverständnissen.

«Ich kann diese Fländler mit dem Tode nicht ausstehen«, sagte Silvers schließlich friedlicher.»Immerhin! Ich habe ihm fünftausend Dollar mehr abgenommen, als ich das Bild taxiert hatte, ich hätte noch fünftausend mehr rechnen sollen!«

Er holte sich einen Whisky und Soda.»Wollen Sie auch einen?«»Danke. Ich habe schon zuviel Kaffee gehabt.«

So muß man Rache nehmen, dachte ich. In Zahlen! Wenn man das könnte, wäre man aus dem ganzen trüben Morast seiner Vergangenheit heraus.»Sie können das sicher nachholen«, sagte ich.»Er kommt vielleicht bald wieder. Ich habe ihm gesagt, daß der andere Degas mit dem, den er gekauft hat, ein wunderbares Paar ergäbe, und daß ich, aber das sei nur mein persönlicher Geschmack, den, der noch hier sei, künstlerisch beinahe noch interessanter fände.«

Silvers sah mich nachdenklich an.»Sie entwickeln sich! Machen wir eine Wette. Wenn Cooper innerhalb eines Monats wegen des zweiten Degas zurückkommt, erhalten Sie hundert Dollar.«

Vor dem Hotel Plaza sah ich plötzlich Natascha. Sie überquerte den Platz mit den weitausladenden Bäumen in der Richtung zur 59. Straße. Es war das erste Mal, daß ich sie am Tage erblickte. Sie ging rasch, ein wenig vorgebeugt, mit großen Schritten, und sah mich nicht.

«Natascha«, sagte ich, als ich dicht neben ihr war.»Denkst du nach, welches Diadem du dir für heute abend von van Cleef und Arpels ausleihen solltest?«

Sie war eine Sekunde überrascht.»Und du?«erwiderte sie.»Hast du einen Renoir von Herrn Silvers gestohlen, um deine Rechnung im Morocco zu bezahlen?«

«Das ist der Unterschied«, seufzte ich.»Ich denke an Leihen, du gleich an Raub. Du wirst weiterkommen im Leben.«

«Aber dafür wird es vielleicht kürzer. Willst du mit mir essen kommen?«

«Wo?«

«Ich will dich einladen«, sagte sie lachend.

«Das geht nicht. Zum Gigolo bin ich schon zu alt. Ich habe auch zu wenig Charme.«

«Du hast gar keinen, aber das ist einerlei. Komm mit und laß deine moralischen Bedenken fahren. Wir essen alle immer hier im Abonnement. Keiner zahlt vor Monatsende. Für deine Würde ist also gesorgt. Außerdem möchte ich, daß du jemanden triffst. Eine alte Dame. Sehr reich. Sie will Bilder kaufen. Ich habe von dir erzählt.«

«Aber Natascha! Ich verkaufe doch keine Bilder!«

«Du nicht, aber Silvers. Und wenn du ihm Kunden zuführst, wird er dir eine Provision geben.«

«Was?«

«Eine Provision. Das ist üblich. Weißt du nicht, daß die Plälfte aller Menschen von gegenseitigen Provisionen lebt?«

«Nein.«

«Dann mußt du es lernen. Und nun komm. Ich habe Hunger. Oder hast du Angst?«

Sie sah mich herausfordernd an.»Du bist sehr schön«, sagte ich.»Bravo.«

«Sollte etwas aus der Provision werden, mußt du mit mir essen gehen, Kaviar und Champagner.«

«Bravo. D’accord. Ist dann endlich genug getan für deine Ethik?«

«Genug. Jetzt habe ich nur noch Platzangst.«

«So verschieden von den ändern bist du gar nicht«, sagte Natascha.

Das Restaurant war ziemlich voll. Ich hatte das Gefühl, in einen eleganten Käfig mit Schmetterlingen, Dohlen und Papageien zu kommen. Kellner jagten umher. Natascha kannte, wie immer, viele Leute.

«Ich glaube, du kennst halb New York«, sagte ich.

«Unsinn. Ich kenne nur Nichtstuer und Leute, die mit Mode zu tun haben. So wie ich. Damit du nicht neue Platzangst bekommst, essen wir das Sommer-Menü.«

«Sommer-Menü ist ein hübscher Name.«

Sie lachte.»Es ist ein anderer Name für Diät. Ganz Amerika ißt nach irgendeiner Diät.«

«Warum? Alle sehen hier ziemlich gesund aus.«

«Um nicht dick zu werden. Amerika hat den Jugendfimmel und den Schlankheitsfimmel. Jeder will jung und schlank bleiben. Alter ist hier nicht gefragt. Der ehrwürdige Rat, der im alten Griechenland hoch geehrt war, würde in Amerika in ein Altersheim gesteckt. «Natascha zündete sich eine Zigarette an und blinzelte mir zu.»Wir wollen jetzt nicht darüber reden, daß der größte Teil der Welt hungert. Das wolltest du doch, oder nicht?«»Ich bin nicht ganz so schlimm, wie du denkst. Ich habe nicht daran gedacht.«

«Na, na!«

«Ich habe an Europa gedacht. Dort hungert man noch nicht zu sehr, aber man hat viel weniger zu essen.«

Sie sah mich mit halb geschlossenen Augen an.»Glaubst du nicht, daß es für dich ganz gut wäre, etwas weniger an Europa zu denken?«fragte sie.

Ich war überrascht, daß sie das bemerkt hatte.»Ich versuche, nicht daran zu denken.«

Sie lachte.»Da kommt die reiche alte Dame.«

Ich hatte eine korpulente Puffotter erwartet, ein Gegenstück zu Cooper. Statt dessen kam eine zierliche Person mit silbernen Löckchen und roten Bäckchen, von der man annehmen konnte, daß sie stets gehegt und gepflegt worden sei und nie aus ihrem Puppendasein herausgekommen war. Sie war etwa siebzig Jahre alt und sah ohne Mühe wie fünfzig aus. Selbst das Alter wirkte bei ihr wie ein leicht zerknittertes Seidenpapier, in das sie eingewickelt war. Man sah es nur am Hals und auf den Händen. Um den Hals trug sie deshalb auch eine Art Collier aus vier überein anderliegenden Perlenreihen, die viel verdeckten und die Frau noch zierlicher und empirehafter machten.

Sie interessierte sich für Paris und fragte mich danach. Ich hütete mich, ihr etwas von meinem Leben dort zu erzählen, ich tat so, als wäre dort kein Krieg. Ich sah Natascha an und redete von der Seine, von der Insel St. Louis, dem Quai des Grands Augustins, von den Sommernachmittagen im Luxembourg und den Aben den auf den Champs Elysees und im Bois. Es wurde mir nicht schwer, davon zu sprechen, während ich Natascha ansah und merkte, wie ihre Augen zärtlicher wurden.

Das Essen kam rasch, und in knapp einer Stunde verabschiedete sich Mrs. Whymper.»Wollen Sie mich morgen nachmittag um fünf Uhr abholen?«fragte sie mich.»Wir können dann zur Galerie Silvers gehen.«

«Gern«, sagte ich und wollte noch etwas erklären, aber Natascha stieß mich unter dem Tisch mit dem Fuß, und ich schwieg. Natascha lachte.»Das war schmerzlos, wie? Du wolltest ihr natürlich erklären, daß du für Silvers nur Kisten aufmachst, nicht wahr? Nicht nötig. Es gibt hier viele Leute, die sich damit befassen, reiche hilflose Leute zu beraten und sie zu den Kunst händlern zu führen, mit denen sie liiert sind.«

«Schlepper!«sagte ich.

«Berater«, erwiderte Natascha.»Ehrenwerte Leute, die arme, hilflose Millionäre vor räuberischen Kunsthändlern schützen. Gehst du zu ihr?«

«Ja«, sagte ich.

«Bravo!«

«Aus Liebe zu dir.«

«Doppeltes Bravo.«

«Offen gestanden, ich würde auch sonst hingehen. Ich bin bestechlicher, als du glaubst.«

Sie klatschte leicht in die Hände.»Du wirst allmählich fast reizend.«

«Ein Mensch, wie? Und in deiner Klassifikation?«

«Noch nicht ganz. Aber ein Denkmal, das sich bereits bewegt.«

«Es ging alles so überraschend schnell. Mrs. Whymper weiß doch nichts von mir.«

«Du hast über Dinge gesprochen, die sie liebt: Paris, den Sommer im Bois, die Seine im Herbst, die Quais, die Buchläden dort.. «»Aber kein Wort über Bilder.«

«Das hat ihr besonders gefallen. Es war klug von dir. Nichts von Geschäft.«

Wir gingen ganz gemächlich die 54. Straße entlang. Ich fühlte mich froh und leicht. Wir blieben an einem Antiquitätenladen stehen, in dem ägyptische Halsketten ausgestellt waren. Sie leuchteten in Türkisblau, und neben ihnen stand ein großer Ibis. Aus dem Auktionslokal Savoy kamen Leute, die Teppiche weg trugen. Es war schön, das Leben zu fühlen. Wie weit eine Nacht entfernt sein konnte!

«Sehe ich dich heute abend wieder?«fragte ich.

Sie nickte.

«Im Hotel?«

«Ja.«

Ich ging die Straße zurück. Die Sonne war staubig. Es roch nach Auspuffgasen, und die Luft war heiß. Ich blieb vor dem Savoy- Auktionshaus stehen und ging schließlich hinein. Der Raum war halb voll, und es herrschte eine schläfrige Stimmung. Der Auktionator stand auf einer Art Kanzel und rief die Angebote aus. Die Auktion der Teppiche war vorbei, es wurden jetzt Heiligen figuren versteigert. Auf einer Bühne wurden sie hergetragen und aufgestellt, eine nach der anderen; es wirkte fast, als würden sie für ein neues Martyrium vorbereitet. Einige waren noch verschnürt und wurden auf der Bühne aufs neue ausgepackt. Alles war sehr billig, die bunten Figuren waren nicht sehr gesucht. In Kriegszeiten werden Heilige eher ins Gefängnis gesteckt. Ich ging wieder hinaus und betrachtete die Schaufenster. Zwischen schweren Renaissance-Möbeln standen zwei chinesische Bronzen, eine war eine Ming-Kopie, das konnte man leicht sehen, die andere aber konnte echt sein. Die Patina war schlecht und vielleicht sogar überarbeitet, trotzdem war etwas daran, was echt aussah. Mir schien, daß jemand, der nicht genug verstanden hatte, die Bronze für eine Kopie gehalten und sie umzufälschen versucht hatte. Ich kehrte in das dämmerige Lokal zurück und ließ mir einen Katalog der kommenden Auktion geben. Die Bronzen waren ohne Altersangabe aufgeführt. Unter Zinnkrügen, Messinggegenständen und anderen billigen Dingen. Sie würden aber nur wenig kosten, da keine größeren Händler auf einer so harm losen Auktion zu erwarten waren.

Ich verließ die Auktion und ging die 54. Straße hinunter zur Zweiten Avenue. Von dort bog ich rechts ab und ging weiter, bis ich in die Gegend der Brüder Lowy kam. Ich dachte darüber nach, die Bronze selbst zu kaufen und sie dann an Lowy senior weiterzuverkaufen. Ich war sicher, daß er sie nicht bemerkt hatte zwischen den Zinnkrügen und den schweren Möbeln. Dann dachte ich an Natascha und den Abend, an dem sie mich im Rolls- Royce ins Hotel gebracht hatte. Ich hatte mich überstürzt verabschiedet und war auch den letzten Teil der Fahrt sehr schweigsam gewesen, weil ich nachgedacht hatte, wie ich aus dem Luxus gefährt entkommen könnte.

Der kindliche Grund war gewesen, daß ich dringend austreten mußte. Da das aber in New York unendlich viel schwieriger war als in Paris, hatte ich durchzuhalten versucht, hatte dafür aber keine Zeit zu großem Abschied mehr gehabt. Natascha hatte mir entrüstet nachgesehen, und ich hatte mich, nach der ersten Erleichterung, sehr über mich geärgert und geglaubt, wieder alles verpatzt zu haben. Dann allerdings, am nächsten Tag, war mir gerade die Tatsache, daß ich lieber leiden und durchhalten wollte, anstatt den Chauffeur zum nächsten Hotel zu dirigieren und Natascha im Auto warten zu lassen, als ein umgekehrtes Zeichen von Romantik erschienen, und ich hatte das zwar für albern, aber doch auch für ein Zeichen der Zuneigung gehalten und deswegen eine unerwartete Zärtlichkeit empfunden. Ich dachte jetzt mit derselben Zärtlichkeit wieder daran, als ich vor Lowys Laden ankam. Ich sah Lowy junior zwischen zwei weiß gemalten Louis-XVI.-Sesseln stehen und träumend auf die Straße starren, gab mir einen Ruck, verzichtete auf mein erstes selbständiges Geschäft und trat ein.

«Wie geht es, Herr Lowy?«fragte ich vorsichtig in neutralem Ton, um bei diesem Romantiker nicht gleich anzustoßen.

«Gut! Mein Bruder ist nicht da. Er ißt koscher, das wissen Sie ja! Ich nicht«, fügte er sanft funkelnd hinzu.»Ich esse amerikanisch.«

Die Lowy-Zwillinge erinnerten mich an die berühmten original siamesischen Zwillinge, von denen einer ein Abstinenzler und der andere ein Säufer war. Da sie denselben Blutkreislauf hatten, mußte der unglückliche Abstinenzler nicht nur die Räusche, son dern auch die darauffolgenden Kater seines versoffenen Bruders aushalten. Wie immer litt die Tugend. So war bei den Lowys der eine ein orthodoxer, der andere ein freidenkender Jude.

«Ich habe eine Bronze gefunden«, sagte ich.»Sie kommt auf eine billige Auktion.«

Lowy junior winkte ab.»Sagen Sie das meinem faschistischen Bruder, ich habe jetzt keinen Sinn fürs Geschäft. Bei mir geht es ums Leben. «Er wandte sich mit einem Entschluß mir zu:»Sagen Sie ehrlich, was raten Sie mir: Heiraten oder nicht heiraten?«

Das war eine Fangfrage, ich konnte mit Ja oder Nein nur verlieren.»Was sind Sie astrologisch?«fragte ich zurück.

«Was?«

«Wann sind Sie geboren?«

«Was hat das damit zu tun? Am 12. Juli.«

«Das dachte ich mir. Sie sind Krebs. Hochempfindlich, familienliebend, künstlerisch.«

«Soll ich heiraten?«

«Krebse kommen schwer los. Sie halten fest, bis man ihnen die Scheren abreißt.«

«Was für ein scheußliches Bild.«

«Das Bild ist nur symbolisch. In die Sprache der Psychoanalytiker übertragen heißt es nur soviel wie: bis man ihnen die Geschlechtsorgane ausreißt.«

«Nur?«zeterte Lowy.»Lassen wir das! Einfach und schlicht: Soll ich heiraten?«

«Im katholischen Italien würde ich Ihnen raten: Nein. In Amerika ist es einfacher: Sie können sich wieder scheiden lassen.«

«Wer spricht von Scheidenlassen? Ich spreche von Heiraten.«

Mein billiger Scherz, daß das fast dasselbe sei, wurde mir er spart. Ebenso der billige Rat, daß, wer danach fragte, es lassen

sollte. Man heiratete oder nicht. Lowy senior betrat, leuchtend vom schweren koscheren Essen, das Lokal.

Der jüngere Bruder warf mir einen Schweigeblick zu. Ich nickte.»Was macht der Parasit?«fragte Lowy senior leutselig.

«Silvers? Er hat mir soeben freiwillig eine Gehaltsaufbesserung gegeben.«

«Kann er auch. Wieviel? Einen Dollar im Monat?«

«Hundert.«

«Was?«

Die beiden Lowys starrten mich an. Der Ältere faßte sich zuerst.»Er hätte Ihnen zweihundert geben sollen«, sagte er dann.

Ich bewunderte ihn und wollte ihm nicht nachstehen.»Hat er getan«, erwiderte ich.»Aber ich habe es abgelehnt. Ich finde, ich bin soviel noch nicht wert. In einem Jahr vielleicht.«

«Mit Ihnen kann man nie vernünftig reden«, brummte Lowy senior.

«Doch«, sagte ich.»Wenn es um Bronzen geht.«

Ich berichtete ihm von meiner Entdeckung.»Sie werden sie für mich ersteigern können. Jeder wird sie für falsch halten.«

«Und wenn sie falsch ist?«

«Dann haben wir uns geirrt. Oder möchten Sie, daß ich Sie gegen den Verlust versichere?«

«Warum nicht?«grinste Lowy.»Bei Ihrem Einkommen!«

«Ich kann sie auch selber kaufen. Das ist einfacher«, sagte ich er nüchtert. Ich hatte etwas mehr Dankbarkeit für den Tip erwartet. Wie immer, ein Irrtum.»Wie war die Linsensuppe?«fragte ich.

«Linsensuppe? Woher wissen Sie, daß ich Linsensuppe gegessen habe?«

Ich wies auf den Aufschlag seines Jacketts, wo eine zerdrückte halbe Linse prangte.»Viel zu schwer um diese Jahreszeit, Herr Lowy. Sie riskieren einen Schlaganfall. Guten Tag, meine Herren!«

«Sie sind ein menschenfreundliches Biest, Herr Ross«, erwiderte Lowy senior sauersüß.»Sie verstehen einen Scherz! Wie hoch soll man gehen für die Bronze?«

«Ich sehe sie mir noch ein paarmal an.«

«Gut. Ich kann das nicht. Wenn ich sie mir zweimal angesehen habe, wittern die Brüder drüben bereits Unrat. Sie kennen mich. Sagen Sie mir noch Bescheid?«

«Selbstverständlich.«

Ich war schon unter der Tür, als Lowy senior mir nachrief:»Das mit Silvers stimmt doch nicht, wie?«

«Doch!«sagte ich.»Aber ich habe ein besseres Angebot von Rosenberg.«

Ich war noch keine zehn Schritte gegangen, als ich das bereute. Nicht aus moralischen Gründen, sondern aus Aberglauben. Ich hatte in meinem Leben schon sehr viele Schwindelgeschäfte mit dem lieben Gott gemacht, an den ich immer zu glauben begann, wenn ich in einer gefährlichen Situation war — so ähnlich wie die Stierkämpfer vor dem Kampf in ihrer Unterkunft in der Arena eine Muttergottes-Statue aufstellen, sie mit Blumen schmücken, vor ihr beten und gewaltige Versprechungen machen, Kerzen, Messen, ein frommes Leben, keinen Tequila mehr und so weiter. Ist dann der Kampf vorbei, wird die Muttergottes acht los in einen Koffer zu schmutzigen Lumpen geworfen, die Blumen werden verkauft, die Versprechungen vergessen und die Tequilaflasche hervorgeholt — bis zum nächsten Stierkampf, wo sich alles wiederholt. Meine Schwindelgeschäfte mit dem lieben Gott waren von gleichem Kaliber gewesen. Aber außerdem gab es manchmal noch einen subtileren Aberglauben, den ich lange nicht gehabt hatte, weil er nicht darauf beruhte, eine Gefahr zu bannen, sondern eher darauf, eine Erwartung nicht zu verscheuchen. Ich blieb stehen. Aus einem Geschäft für Angler blickten mich ausgestopfte Hechte an, um die im Kreise Angelschnüre gelegt waren. Um eine Erwartung nicht zu verscheuchen, mußte man sie erst einmal auch haben, dachte ich und wußte plötzlich, daß ich aus denselben Gründen den Lowys mein kleines Geschäft überlassen hatte. Ich wollte nicht nur Gott, der auf einmal wie der sein schläfriges Haupt über die Hausdächer emporreckte, sondern auch das Schicksal für mich günstig stimmen, weil etwas eingetreten war, an das ich nicht mehr geglaubt hatte: Daß ich etwas erwartete und auf etwas wartete, und daß es nicht etwas Vernünftiges, Faßbares war, sondern etwas, das man eher als Wärme bezeichnen konnte, und das mir das beglückende Gefühl gab, noch nicht ganz ein Automat zu sein. Alle alten Klischees von Herzschlag, Atemzug und Atemlosigkeit fielen mir ein, und sie waren in dieser Minute richtig und von unerwartetem, doppeltem Leben überglänzt, dem meinen und dem ohne Namen.

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