XV

Als ich am nächsten Morgen Silvers Mrs. Whympers Wunsch mitteilte, reagierte er mit Geringschätzung.»Whymper? Whym- per? Wann will sie kommen? Um 5 Uhr? Ich weiß nicht, ob ich da bin.«

Ich wußte genau, daß dieses faule Krokodil nichts zu tun hatte als auf Kunden zu warten und Whisky zu trinken.»Gut«, sagte ich,»verschieben wir es, bis Sie einmal Zeit haben.«

«Ach, bringen Sie die Dame nur her«, erwiderte er nachlässig.»Es ist immer einfacher, so etwas gleich hinter sich zu bringen. «Gut, dachte ich. Das gibt mir die Möglichkeit, die Bronze im Savoy am Nachmittag anzusehen, wenn nicht so viele Käufer herumschwirren wie in der Mittagspause.

«Hat Ihnen die Einrichtung bei Cooper gefallen?«fragte Silvers.»Sehr. Er muß ausgezeichnete Berater haben.«

«Das stimmt. Er selbst versteht nichts.«

Ich dachte, daß auch Silvers nichts verstünde, abgesehen von dem schmalen Gebiet französischer Impressionisten. Er hatte keinen Grund, so maßlos stolz darauf zu sein, es war sein Geschäft, ebenso wie Waffen und Eisenschrott Coopers Geschäft waren. So betrachtet war Cooper sogar im Vorteil — er hatte außerdem noch herrliche Möbel, während Silvers nichts als Polstersofas, Polstersessel und geradlinige, nüchterne, moderne Massenmöbel hatte.

Er mußte meine Gedanken erraten haben.»Es wäre mir leicht, mein Haus mit Möbeln desspäten 18. Jahrhunderts einzurich ten«, sagte er.»Ich tue es der Bilder wegen nicht. Dieser ganze Barock- und Rokokokram lenkt nur ab. Schnickschnack aus ab gelebten Zeiten! Was sollen moderne Menschen damit?«

«Bei Cooper ist das anders«, erwiderte ich.»Er braucht die Bilder nicht zu verkaufen. Er kann sie in die Umgebung einordnen. «Silvers lachte.»Wenn er sie wirklich in seine eigene Umgebung einordnen wollte, müßte er Maschinengewehre und leichte Geschütze dazwischenstellen. Das wäre angemessener.«

Ich entdeckte wieder die leichte Gehässigkeit, die er gegen Cooper hegte. Ich hatte Ähnliches auch schon bei anderen Kunden gemerkt. Silvers’ so offensichtlich zur Schau gestellte Bonhomie war nur eine dünne Schicht, die nicht standhielt. Wie bei billig vergoldetem Kupfer kam durch etwas Reiben bald die Unterschicht heraus. Er glaubte, indem er seine Kunden verächtlich machte, sie zu verachten. Was herauskam, war eher, daß er sie beneidete. Er redete sich selbst ein, sein Zynismus erhalte ihm seine Freiheit, aber es war eine billige Freiheit, und sie glich der Freiheit des Angestellten, auf seinen Chef zu schimpfen, wenn dieser es nicht hörte. Obschon er die Eigenschaft vieler einseitig gebildeter Leute hatte, sich über alles, was er nicht verstand, zu belustigen, schützte diese bequeme Eigenschaft ihn nicht ganz, wie sie auch nicht recht war. Überraschend lugte aus alldem manchmal ein wüster Neurotiker hervor. Das machte ihn für mich interessant. Seine anderen süßen Predigten waren nur so lange erträglich, als sie Neues enthielten, dann wurden sie langweilig. Praktische Lebenskunst konnte rasch zum Gähnen reizen.

Ich ging mittags zum Savoy-Auktionshaus und ließ mir die Bronze zeigen. Es waren wenige Leute da, weil an diesem Tage keine Auktion stattfand. Schläfrig dämmerte der große Raum, der vollgestellt war mit Möbeln und Gegenständen des 16. und 17. Jahrhunderts. An den Wänden waren neue Ladungen von Teppichen gestapelt, mit Waffen, Speeren, alten Säbeln und Harnischen dazwischen. Ich mußte an Silvers und seine Bemerkung über Cooper denken und dann an das, was ich selbst über Silvers gedacht hatte. Ebenso wie Silvers bei Cooper, so war ich bei Silvers aus der uninteressierten, objektiven Beobachterrolle herausgetreten in Kritik und Subjektivität. Ich war nicht mehr ein Zuschauer, dem im Grunde alles gleichgültig war — mir schien eher, daß ich selbst in die Arena gegangen war. Ich nahm teil und hatte Abneigungen, die ich vorher nicht gespürt hatte. Ich begriff, daß es an Zuneigung lag, die ich ebenfalls früher nicht gespürt hatte. Ich fühlte mich wieder eingeschaltet in das Wedaselspiel des Daseins, ich stand nicht mehr beiseite, nur damit beschäftigt, zu überleben, etwas Neues war fast unmerklich dazugekommen, etwas, das meine falsche Sicherheit wie ein sehr fernes Rollen nicht mehr ganz so sicher erscheinen ließ. Alles schwankte ein wenig. Ich war dabei, wieder Partei zu nehmen, und das kam, das spürte ich deutlich, nicht vom Gehirn her. Es war primitiver und hatte etwas mit der einfachen Abneigung des Mannes allen anderen Männern gegenüber zu tun, der Abneigung gegen die Konkurrenten um die Frau. Ich stand am Fenster des Auktionshauses, die Bronze in der Hand, hinter mir die gähnende Halle mit dem Plunder verstaubter Vergangenheit, aber ich beobachtete die Straße, auf der Natascha jeden Augenblick auftauchen konnte, und ich fühlte die schwache Erregung, die mich gegen Silvers ungerecht hatte werden lassen und die mich in weitere Ungerechtigkeiten treiben würde, ich spürte sie in meinen Händen, es hatte mit Natascha zu tun, und ich wußte plötzlich, daß ich wieder etwas wollte, das über das bloße Überleben hin ausging und das an den Irrgarten der Emotionen streifte, über dem die Fata Morganas lautlos hingen und wo Recht eines der belanglosesten Prinzipien war.

Ich legte die Bronze zurück.»Sie ist nicht alt«, sagte ich zu dem Mann, der sie mir hereingeholt hatte, einem alten Wärter mit schweißigem Haar, der Gummi kaute und dem nichts gleichgültiger war als meine Ansicht. Die Bronze war alt, aber ich hatte, trotz meines neuen Zustandes, genug Geistesgegenwart, mich zu hüten, es auszuposaunen. Langsam ging ich die Straße hinauf, bis ich auf der gegenüberliegenden Seite zu dem Restaurant kam, in dem ich mit Natascha gesessen hatte. Ich ging nicht hinein, aber ich hatte das Gefühl, als phosphoreszierte der Eingang um eine Spur mehr als die anderen daneben, obschon der nächste sogar zu einem Schaufenster der Firma Bakkarat gehörte, das von Kristall und Gläsern nur so glänzte.

Ich holte Mrs. Whymper ab. Sie wohnte in einem Haus in der Fifth Avenue. Ich war pünktlich da, aber sie schien es nicht eilig zu haben. Ich sah keine anderen Bilder bei ihr als ein paar Romneys und einen Ruisdael.»Ist es zu früh für einen Martini?«fragte sie mich.

Ich sah, daß sie einen vor sich stehen hatte. Er sah aus wie Wodka.»Ist das ein Wodka-Martini?«fragte ich.

«Wodka-Martini? Was ist denn das? Dieser hier ist aus Gin und einem Hauch Wermut.«

Ich erklärte ihr, daß ich im Hotel Reuben gelernt habe, man könne statt des Gins auch Wodka nehmen.

«Das ist drollig. Wir müssen das einmal probieren. «Mrs. Whymper schüttelte ihre Löckchen und drückte auf eine Klingel.»John«, sagte sie zu dem eintretenden Diener.»Haben wir Wodka im Hause?«

«Jawohl, Madame.«

«Dann mischen Sie doch für Herrn Ross einen Martini damit. Wodka statt Gin. «Sie wandte sich mir zu.»Französischen Wermut oder italienischen? Mit oder ohne Olive?«

«Französischen Wermut. Und keine Olive. So habe ich ihn kennengelernt. Aber machen Sie sich meinetwegen keine Mühe. Ich trinke auch einen Gin-Martini.«

«Nein, nein! Man soll immer noch etwas lernen, wenn man kann. Machen Sie auch einen für mich, John. Ich will ihn einmal probieren.«

Ich sah, daß die puppenhafte alte Dame eine Schnapsdrossel war und hoffte nur, daß sie nüchtern genug bei Silvers anlangen würde.

John brachte die Gläser.»Chin Chin«, sagte Mrs. Whymper fröhlich und trank gierig.

Sie schaffte auf den ersten Schluck das halbe Glas.»Gut!«er klärte sie.»Wir müssen das hier einführen, John. Schmeckt herzhaft.«

«Sehr wohl, Madame.«

«Von wem haben Sie das Rezept?«fragte sie mich.

«Von jemandem, der nicht wollte, daß sein Atem nach Alkohol riecht. Er konnte sich das nicht erlauben und behauptete, bei Wodka röche man das nicht.«

«Wirklich nicht? Wie drollig! Haben Sie es probiert? Stimmt es?«

«Es kann sein. Für mich war es nie wichtig.«

«Nein? Haben Sie niemand, bei dem es wichtig ist?«

Ich lachte.»Die Leute, die ich kenne, trinken alle selbst gern.«

Mrs. Whymper sah mich schräg von unten an wie ein Vogel.»Es ist gut für das Herz«, sagte sie dann unvermittelt.»Und auch für den Kopf. Es macht klar. Wollen wir noch jeder ein halbes Glas nehmen? Als Steigbügeltrunk?«

«Gern«, sagte ich widerstrebend und sah eine lange Reihe halber Steigbügeltrunke voraus. Aber ich wurde überrascht. Mrs. Whymper stand auf, als wir den Steigbügeltrunk hinter uns hatten, und klingelte.»Ist der Wagen draußen, John?«

«Jawohl, Madame.«

«Gut. Dann wollen wir mal Herrn Silvers besuchen.«

Gemeinsam verließen wir das Haus.

Wir stiegen in einen großen schwarzen Cadillac. Ich hatte komischerweise nicht daran gedacht, daß Mrs. Whymper ihren eigenen Wagen nehmen würde, sondern hatte mir schon den Kopf zerbrochen, wo in dieser Gegend der nächste Taxistand sei. John kam aus dem Hause mit uns, um uns zu fahren. Ich fand, daß mein Fortschritt in Automobilen nicht schlecht sei — ein Rolls, ein Cadillac, beide mit Chauffeuren, in so kurzer Zeit, dagegen war nichts zu sagen. Ich sah auch einen kleinen Autoschrank, ähnlich wie im Rolls-Royce, und hätte mich nicht gewundert, wenn Mrs. Whymper einen neuen Steigbügeltrunk hervorgezaubert hätte, aber sie tat es nicht. Stattdessen unterhielt sie sich mit mir über Frankreich und Paris in einem ziemlich holperigen amerikanischen Französisch, auf das ich sofort einging, da es mir ohne Mühe ein Ubergewicht verschaffte, das ich glaubte bei Silvers brauchen zu können.

Ich erwartete, daß Silvers mich bald wegschicken würde, um seinen eigenen Charme spielen zu lassen. Aber Mrs. Whymper hielt mich noch einige Zeit fest. Schließlich erklärte ich, ein paar Wodka-Martinis machen zu wollen. Mrs. Whymper klatschte in die Hände. Silvers sah mich strafend an, er hatte allenfalls mit einem Scotch gerechnet und fand alles andere barbarisch. Ich erklärte ihm, daß der Arzt Mrs. Whymper Scotch-Whisky verboten habe, und machte mich auf den Weg zur Küche. Ich fand, mit Hilfe der Köchin, schließlich auch eine Flasche Wodka.

«So was trinken Sie nachmittags?«fragte die hagere Köchin.»Nicht ich. Die Kunden.«

«Sie sollten sich schämen!«

Es war sonderbar, wie oft ich verantwortlich gemacht wurde für die Fehler anderer Leute. Ich blieb am Küchenfenster stehen und schickte die Köchin mit den Martinis und dem Scotch zu Silvers hinüber. Draußen hockten Tauben auf der Fensterbank. New York war, wie Venedig, so voll von ihnen, daß sie zahm waren und überall umherflogen und nisteten. Ich fühlte die Kühle der Fensterscheibe an meiner Stirn. Wo werde ich einmal enden? dachte ich. Die Köchin kam zurück.

Ich begab mich wieder auf meinen Beobachtungsposten im Bilderraum und sah, daß Silvers inzwischen ein paar kleine Renoirs herausgeholt hatte. Ich wunderte mich darüber, er liebte es sonst zu zeigen, daß er einen Gehilfen hatte.

Nach einiger Zeit kam er herein.»Sie haben ja Ihren Cocktail vergessen. Kommen Sie.«

Mrs. Whymper hatte ihr Glas ausgetrunken.»Da sind Sie ja«, sagte sie.»Schon untreu? Oder haben Sie Angst vor Ihren eigenen Martinis?«

Sie saß aufrecht und puppenhaft da, nur ihre Hände waren nicht weich und klein. Sie waren dünn, hart und knochig.»Was meinen Sie zu dem kleinen Renoir?«fragte sie.

Es war ein Blumenstilleben aus der Zeit von 1880.»Er ist wunderbar«, erwiderte ich.»Es wird schwer für uns sein, mit einem ähnlichen wiederzukommen, wenn er verkauft ist.«

Mrs. Whymper nickte.»Wollen wir noch einen sehr kleinen Steigbügeltrunk nehmen? An Tagen wie diesem macht mir meine Migräne immer sehr zu schaffen. Einseitig, Trigeminus, scheußlich. Der Arzt sagt, das einzige, was hilft, ist etwas klarer Alkohol. Erweitert die Blutgefäße. Was man nicht alles für seine Gesundheit tun muß.«

«Ich verstehe das«, sagte ich.»Ich habe auch ein paar Jahre Trigeminusneuralgie gehabt. Sehr schmerzhaft.«

Mrs. Whymper gab mir einen warmen Blick, als hätte ich ihr ein Kompliment gemacht. Ich ging in die Küche zurück.»Wo ist der Wodka?«fragte ich.

«Man könnte ins Kloster gehen«, erwiderte die Köchin.»Drüben steht er. Die haben wenigstens noch keine Diät.«

«Doch. Die Mönche waren die ersten. Sogar eine strenge.«

«Wovon sind sie dann so dick?«

«Weil sie das Falsche essen.«

«Sie sollten sich schämen, sich über eine einfache Frau in ihrer Verzweiflung lustig zu machen. Wozu habe ich kochen gelernt, wenn ich es dann nicht darf? Ich war Pastetenköchin im Jockey klub in Wien, mein Herr! Und nun pfusche ich hier Salate ohne öl zusammen, und ein Stück Butter wird wie Zyankali behandelt! Von einer anständigen Sachertorte gar nicht zu reden! Das gilt hier als Landesverrat.«

Ich verschwand mit den beiden Martinis. Mrs. Whymper wartete schon darauf.»Sie haben sie zu groß gemacht«, sagte sie und trank ihr Glas in einem Zug aus.»Bis morgen dann. Um fünf. Herr Silvers sagte mir, Sie möchten das Bild selbst aufhängen bei mir. «Wir geleiteten sie hinaus. Die Martinis waren ihr nicht anzumerken. Ich brachte sie zu ihrem Wagen. Der erste Hauch des frühen Abends lag in der heißen Luft. Die Wärme stand zwischen den Häusern wie ein Block unsichtbaren Gelees, aber die Blätter der Bäume begannen zu rascheln, als wären es Palmen.

Ich ging zurück.»Mrs. Whymper«, sagte Silvers nachlässig.»Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt? Natürlich kenne ich sie.«

Ich blieb stehen.»Ich habe es Ihnen gesagt«, erwiderte ich.

Er winkte ab:»Whympers gibt es viele. Sie haben mir nicht gesagt, daß es sich um Mrs. Andre Whymper handelt. Ich kenne sie seit langem. Nun, es macht ja nichts.«

Ich war verblüfft.»Hoffentlich nehmen Sie es mir nicht übel«, sagte ich sarkastisch.

«Warum soll ich es Ihnen übelnehmen?«erwiderte Silvers.»Immerhin, offensichtlich hat sie etwas gekauft.«

Silvers schien eine Mücke zu verscheuchen.»Das weiß man noch lange nicht. Diese alten Damen geben Bilder ein dutzendmal zurück, und zum Schluß sind die Rahmen ruiniert und sie kaufen gar nichts. Das Geschäft ist nicht so einfach, wie Sie denken. «Silvers gähnte.»Es ist Zeit, daß wir Schluß machen. Man wird müde in der Hitze. Auf morgen. Packen Sie noch die Bilder weg.«

Er ging. Ich starrte ihm nach. So ein Gauner, dachte ich. Er will mich wahrscheinlich um die Provision bringen und behaupten, ich habe ihm keinen neuen Kunden gebracht, sondern nur einen alten, den er schon lange kannte. Ich nahm die drei Renoirs, die er gezeigt hatte, und brachte sie in das Bilderzimmer.

«Der Rolls-Royce!«sagte ich, als ich um die Ecke kam. Da stand er mit dem Chauffeur, und ich war glücklich. Ich hatte darüber nachgedacht, wohin ich Natascha heute abend nehmen könnte, und keinen Rat gewußt. Überall war es zu warm. Der Rolls- Royce war die Lösung.

«Hochstapelei scheint mir zu folgen wie ein Schatten«, sagte ich.»Hast du den Wagen wieder bis zum Theaterschluß?«

«Länger«, erklärte Natascha.»Bis Mitternacht. Um Mitternacht muß er vor El Morocco stehen.«

«Du auch?«

«Wir beide.«

«Mrs. Whymper hat einen Cadillac«, sagte ich.»Hat sie viel leicht auch einen Rolls-Royce? Oder hast du einen neuen Kunden für Silvers?«

«Das werden wir noch sehen. Wie ist es mit Mrs. Whymper gegangen?«

«Sehr leicht. Sie hat einen sehr hübschen Renoir gekauft. Er paßt in ihr Puppenheim.«

«Puppenheim«, sagte Natascha und lachte.»Diese Puppe, die aussieht, als könne sie nur die Augen aufklappen und hilflos in die Welt lächeln, ist Präsidentin von zwei großen Gesellschaften. Und dort ist sie keine Frühstücksdirektorin. Sie weiß Bescheid.«

«Wirklich?«

«Du wirst noch deine Wunder erleben mit den Frauen in Amerika.«

«Warum mit den Frauen in Amerika? Mir genügen die Wunder mit dir, Natascha.«

Sie wurde zu meinem Erstaunen rot bis in die Flaarwurzeln.»Genügen dir die?«murmelte sie.»Ich glaube, ich muß dich öfter zu Frauen wie Mrs. Whymper schicken. Du kommst mit überraschenden Ergebnissen zurück.«

Ich schmunzelte.

«Fahren wir doch zum Hudson hinaus«, sagte Natascha.»Erst zu den Piers mit den Ozeandampfern und dann den Hudson entlang, bis zur George-Washington-Brücke und weiter, am Wasser entlang, bis wir an eine kleine Kneipe kommen, die uns gefällt. Mir ist heute nach kleinen Kneipen und Mondlicht und Flußdampfern zumute. Ich möchte eigentlich lieber mit dir nach Fontainebleau fahren, wenn der Krieg zu Ende wäre, aber dort würden mir als der Geliebten eines Deutschen die Haare geschoren, und du würdest als Staatsfeind an die Mauer gestellt werden. Bleiben wir also bei Hamburgern und Coca-Cola in diesem merkwürdigen Land.«

Sie lehnte sich an mich. Ich fühlte ihr Haar und ihre kühle Wärme. Sie wirkte immer, als würde sie nie schwitzen, selbst in diesen heißen Tagen.»Warst du ein guter Journalist?«fragte sie.

«Nein. Zweiten Ranges.«

«Und jetzt kannst du nicht mehr schreiben?«

«Für wen? Ich kann nicht genug Englisch. Ich habe schon lange nicht mehr schreiben können.«

«Dann bist du wie ein Klavierspieler ohne Klavier?«

«So kann man es nennen. Hat dein unbekannter Gönner dir etwas zu trinken hinterlassen?«

«Wir wollen einmal sehen. Du willst nicht gern über dich sprechen?«

«Nicht besonders.«

«Das kann ich verstehen. Auch nicht über deinen jetzigen Beruf?«

«Als Schlepper und Laufjunge?«

Natascha öffnete das Fach mit den Flaschen.»Du siehst, wir sind Schatten«, sagte sie.»Sonderbare Schatten von früher. Wird es je anders werden? Da ist polnischer Wodka! Wie er wohl dazu gekommen ist? Polen existiert doch gar nicht mehr.«

«Nein«, erwiderte ich bitter.»Polen existiert nicht mehr. Aber polnischer Wodka hat überlebt. Soll man darüber lachen oder weinen?«

«Man soll ihn trinken, Liebling.«

Sie holte zwei Gläser hervor und schenkte ein. Der Wodka war sehr gut und sogar kalt. In dem kleinen eingebauten Schrank war ein Kühlfach angebracht.»Zwei Schatten in einem Rolls- Royce«, sagte ich.»Mit kaltem polnischem Wodka. Salute, Natascha!«

«Könntest du Soldat werden«, fragte sie,»wenn du wolltest?«»Nein. Niemand will mich haben. Hier bin ich ein feindlicher Ausländer und muß froh sein, daß man mich nicht in ein Inter nierungslager steqkt. Du hast recht, ich bin weder Fisch noch Fleisch, aber so ging es mir in Europa auch. Dies ist bereits ein Paradies. Ein Schattenparadies, wenn du willst, abgetrennt von allem, was ändern wichtig ist und mir noch wichtiger. Ein Über winterungsparadies meinetwegen. Das Paradies eines unfreiwilligen Zuschauers. Ach Natascha! Reden wir von dem, was für uns übriggeblieben ist! Von der Nacht, den Sternen, dem Funken Leben, der in uns noch zittert, und nicht von der Erinnerung. Sieh den Mond an! Die Passagierschiffe der Luxuslinien sind Truppentransportdampfer geworden. Wir aber stehen hinter den eisernen Geländern dessen, was man Weltgeschichte nennt, und müssen hilflos und zwecklos warten und in den Zeitungen die Nachrichten über Siege und Verluste und zerbombte Länder lesen, und weiter warten und wieder jeden Morgen aufstehen und Kaffee trinken und warten, bei Silvers und Mrs. Whympers, während das Blut in der Welt steigt, jeden Tag einen Zentimeter höher. Ja, du hast recht, es ist eine armselige Schattenparade.«

Wir blickten über die Piers. Sie lagen fast leer im grünen Licht. Nur ein paar Schiffe waren vertäut, eisengrau, niedrig und ohne Licht. Wir stiegen wieder ein.»Da fliegen meine albernen und unzeitgemäßen Träume hin«, sagte Natascha.»Meine Sentimen talität auch. Verzeih mir.«

«Ich dir verzeihen? Was hast du nur für seltsame Gedanken! Du solltest mir verzeihen für die Plattitüden, die ich geredet habe. Schon daraus siehst du, was für ein schlechter Journalist ich war! Wie hell das Wasser ist. Vollmond!«

«Wohin möchten Sie jetzt fahren, Madame?«fragte der Chauffeur.

«Zur George-Washington-Brücke. Langsam.«

Wir schwiegen eine Zeitlang. Ich machte mir Vorwürfe wegen meiner idiotischen Schwerfälligkeit. Ich benehme mich wie ein Mann, den ich im Morocco bittere Tränen über das Schicksal Frankreichs weinen sah und der es sicher ehrlich meinte. Aber die Etikette der Trauer ist strenger als die der Freude. Es wirkte lächerlich. Ich grübelte vergeblich darüber nach, wie ich aus meiner Sackgasse herauskommen könnte.

Natascha wandte sich plötzlich mir zu. Ihre Augen strahlten.»Wie schön das ist. Das Wasser und die kleinen Schleppboote und drüben die Brücke!«

Sie hatte längst vergessen, was vorher gewesen war. Ich hatte das schon ein paarmal bemerkt. Sie war rasch und vergaß auch rasch, es war sehr beglückend für einen Elefanten wie mich, mit dem zähen Gedächtnis für Mißgeschicke und dem schlechten für Freude.»Ich bete dich an«, sagte ich.»Hier, jetzt, unter diesem Mond und neben diesem Fluß, der ins Meer mündet und in dem sich hunderttausend zerbrochene Monde spiegeln. Ich bete dich an und wage sogar, furchtlos das uralte Klischee zu benützen und zu sagen, daß die Washington-Brücke wie ein Diadem über dem unruhigen Hudson hängt und daß ich wollte, es wäre wirklich ein Diadem und ich wäre Rockefeller oder Napoleon der Vierte oder der Besitzer von van Cleef und Arpels. Sehr kindisch, aber das war notwendig.«

«Wieso kindisch? Brauchst du immer eine Rückversicherung? Oder weißt du wirklich nicht, wieviel solche Kindlichkeiten Frauen leicht ertragen können?«

«Ich bin ein geborener Feigling, der sich immer aufs neue Mut machen muß.«

Ich küßte sie.»Ich wollte, ich hätte Autofahren gelernt«, sagte ich.

«Das kannst du doch jeden Tag lernen.«

«Autofahren für einen Rolls-Royce. Dann könnten wir den Anstandswächter vor einer Bierkneipe absetzen. Ich komme mir vor, als wäre ich in Madrid; immer von einer Duenna begleitet. «Sie lachte.»Er stört uns doch gar nicht. Er kann nicht Deutsch und kein Wort Französisch außer: Madame.«

«Er stört uns nicht?«fragte ich.

Sie schwieg einen Augenblick.»Darling, das ist doch das Unglück der Großstadt«, murmelte sie dann.»Man ist fast nie allein.«

«Wie bekommt man dann hier Kinder?«

«Weiß der Himmel!«

Ich klopfte an die Zwischenscheibe.»Würden Sie bitte drüben halten, wo der kleine Garten ist?«fragte ich den Chauffeur. Ich reichte ihm einen Fünfdollarschein durch das Fenster.»Gehen Sie dann bitte irgendwo zum Abendessen. Und holen Sie uns in einer Stunde wieder ab. «^

«Siehst du!«sagte Natascha.

«Sehr wohl, mein Herr.«

Wir stiegen aus und sahen den Wagen in der Dunkelheit verschwinden. Im gleichen Augenblick brach aus dem offenen Fenster hinter dem Garten der Lärm eines Musikautomaten. Der Garten, der sehr klein war, lag voll von Coca-Cola-Flaschen, Bierkannen und Eiscremeschachteln.

«Der Friede der Großstadt!«sagte Natascha.»Und der Chauffeur kommt erst in einer Stunde wieder!«

«Wir können Spazierengehen, am Ufer.«

Sie wies auf die Menschenmenge, die nach Kühlung schnappte.»Spazieren? In diesen Schuhen?«

Ich machte plötzlich einen langen Schritt auf die Straße hinaus und winkte wie eine Windmühle. Ich hatte im Straßenlicht den edrigen Kühler eines Rolls-Royce erkannt. So viele gab es nicht am Hudson; es mußte der Chauffeur sein, der gewendet hatte.

Er war es. Er war auch kein Störenfried mehr, er war ein Retter. Nataschas Augen glänzten vor unterdrücktem Gelächter.»Was jetzt?«sagte sie.»Wo können wir essen?«

«Draußen ist es überall schauderhaft«, sagte der Chauffeur.»Im Blue Ribbon ist es kühl. Der Sauerbraten ist erstklassig.«»Sauerbraten«, sagte ich.

«Sauerbraten!«wiederholte er.»Erstklassig!«

«Ich will verdammt sein, wenn ich in New York Sauerbraten oder Sauerkraut esse«, sagte ich zu Natascha.»Es wäre wie Hitler hochleben zu lassen. Fahren wir zur Dritten Avenue, da gibt es viele Lokale.«

«Zum King of the Sea, mein Herr?«sagte er.

«Zum King of the Sea! Er hat auch Klimaanlage.«

«Sauerkraut«, erklärte Natascha,»ist, um es richtigzustellen in diesem nationalen Wettstreit, ein elsässisches Gericht!«

«Das Elsaß gehörte längere Zeit zu Deutschland.«

«Wir kommen von der Politik nicht los. Fahren Sie zur Dritten Avenue zurück. Der Ozean ist einstweilen noch neutral.«

Ich unterließ es, das zu bestreiten, es wäre zu einfach gewesen. Ich war schließlich selbst mit gelöschten Lichtern im Zickzack, um Unterseebooten zu entgehen, herübergekommen. Was war schon neutral, wenn Gott selbst es nicht mehr war, sondern vor jeder Schlacht von einem Feldgottesdienst zum ändern raste?

Im King of the Sea trafen wir auf Kahn. Er war der letzte Esser dort und hockte einsam und selbstvergessen vor einer Schüssel voller riesiger Krabbenbeine.»Der Mann mit den vielen Flobbies«, sagte ich zu Natascha.»Er hat die Welt zu einer Hobby sammlung gemacht und bringt sich auf diese Weise durch.«

«Nicht schlecht.«

«Essen Sie nach den Krabben auch Eiscreme?«fragte ich Kahn.»Das habe ich einmal versucht. Es ist mir schlecht bekommen. Man muß die Hobbies auseinanderhalten.«

«Sehr weise.«

Wir ließen uns nieder, als ob wir eine große Reise hinter uns hätten. Ich beschloß, Natascha nicht ins El Morocco zu führen. Ich wollte nicht noch mehr ihrer Freunde kennenlernen.

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