XXV

Eine Woche später kam Tannenbaum zu mir.»Wir kontrollier ten den Berater, den wir für unseren Film engagiert haben, Ro bert. Er ist nicht glaubwürdig. Er weiß einiges, aber Holt traut ihm nicht mehr. Er traut auch dem Verfasser des Drehbuchs nicht mehr; der Mann war nie in Deutschland. Eine schöne Scheiße. Und das alles Ihretwegen«, jammerte Tannenbaum erbittert.»Sie sind es doch, der das alles angerichtet hat! Sie mit Ihrer Be merkung über die Mütze des Scharführers. Ohne Sie hätte Holt kein Mißtrauen gefaßt!«

«Gut. Vergessen Sie, was ich gesagt habe.«

«Wie kann ich das? Unser Berater ist rausgeschmissen worden.«»Engagieren Sie einen anderen.«

«Deshalb bin ich ja hier! Holt schickt mich. Er will mit Ihnen sprechen.«

«Unsinn. Ich bin kein Berater für Antinazifilme.«

«Sie sind es! Wer denn sonst? Wer ist sonst hier, der ein Konzen trationslager kennt?«

Ich blickte auf.»Was soll das heißen?«

«Nicht mehr, als was jeder weiß. Jeder in New York, meine ich. Jeder in unseren Kreisen, heißt das. Ihre Bekannten, um exakt zu sein.«

«Und?«

«Robert, Holt braucht Hilfe. Er möchte Sie als Berater haben.«

Ich lachte.»Sie sind verrückt, Tannenbaum.«

«Er zahlt anständig. Und schließlich macht er einen Antinazi film. Daran haben doch auch Sie Interesse.«

Ich sah, daß ich mich Tannenbaum nur dann halbwegs verständ lich machen konnte, wenn ich versuchte, ihm etwas über meine Person zu erklären. Dazu hatte ich nicht die mindeste Lust. Er hätte es nicht begriffen. Er hatte andere Ideen als ich. Er wartete darauf, daß Frieden käme, damit er wieder friedlich in Deutsch land oder Amerika leben könne; ich wartete darauf, daß Frieden käme, um Rache zu nehmen.»Ich will mit Filmen über Nazis nichts zu tun haben«, sagte ich grob.»Für mich sind das keine Leute, über die man Libretti schreibt. Für mich sind das Leute, die man umbringt. Und nun lassen Sie mich in Ruhe. Haben Sie Carmen schon gesehen?«

«Carmen? Sie meinen Kahns Freundin?«

«Ich meine Carmen.«

«Was geht mich Carmen an? Ich denke an unsern Film! Wollen Sie Holt nicht wenigstens einmal treffen?«

«Nein«, sagte ich.

Abends erhielt ich einen Brief von Kahn.»Lieber Robert«, schrieb er.»Das Unerfreuliche zuerst: Gräfenheim lebt nicht mehr. Eine sehr große Dosis Schlaftabletten. Er hatte über die Schweiz erfahren, daß seine Frau in Berlin umgekommen ist. Amerikanischer Fliegerangriff. Es hat ihn umgeworfen. Daß es ein amerikanischer Bombenangriff war, hat er nicht mehr als einen zwangsläufigen Zufall auffassen können, sondern nur noch als tödliche Ironie. Er hat seinem Leben bescheiden und schweig sam ein Ende gemacht. Sie erinnern sich vielleicht an unser letz tes Gespräch über den freiwilligen Tod. Gräfenheim vertrat den Standpunkt, daß kein Tier den Selbstmord kenne, weil es zur totalen Verzweiflung nicht fähig sei. Er war auch der Meinung, die Möglichkeit des freiwilligen Todes sei eines der größten Ge schenke, weil es die Hölle, dieses diristliche Folterwerkzeug des Geistes, beenden könne. Er hat es getan. Es ist nichts mehr dazu zu sagen. Er hat es hinter sich. Wir leben noch, wir haben es noch vor uns, ganz gleich, ob wir es Altern, Sterben oder Selbstmord nennen.

Von Carmen höre ich nichts. Sie ist zu faul zum Schreiben. Ich schicke Ihnen hiermit ihre Adresse. Erklären Sie ihr, daß es am besten sei, zurückzukommen.

Adieu, Robert. Kommen Sie bald zurück. Unsere schwierige Zeit kommt erst! Dann, wenn wir ins Nichts starren und wenn selbst die Illusionen der Rache zusammenfallen. Bereiten Sie sich lang sam darauf vor, damit der Schock nicht zu groß wird. Wir sind nicht mehr sehr schockfest. Besonders nicht gegen Schocks, die aus einer gänzlich anderen als der erwarteten Richtung kommen. Nicht nur Glück ist eine Sache von Graden, auch Sterben. Manch mal denke ich an Tannenbaum, den Gruppenführer auf der Leinwand. Vielleicht ist dieser Esel der Weiseste von uns allen. Salute, Robert.«

Ich fuhr zu der Adresse, die Kahn mir gegeben hatte. Es war ein kleiner, schäbiger Bungalow in Westwood. Vor der Tür standen ein paar Orangenbäume, hinter dem Haus in einem Garten gak- kerten Llühner. Carmen schlief in einem Liegestuhl. Sie trug einen knappen Badeanzug, und ich begriff nicht, daß Kahn glaubte, sie würde in Hollywood keinen Erfolg haben. Sie war das schönste Mädchen, das ich kannte. Keine fade Blondine, son dern eine tragische Erscheinung, bei der einem das Herz bebte.»Sieh da, Robert«, sagte sie, nachdem ich sie vorsichtig geweckt hatte, ohne erstaunt zu sein.»Was machen Sie hier?«

«Bilder verkaufen. Und Sie?«

«Ein Idiot hat mir einen Vertrag gegeben. Ich tue nichts. Sehr bequem.«

Ich schlug ihr vor, mit mir zu essen. Sie hatte keine Lust; sie be hauptete, ihre Wirtin koche gut. Ich betrachtete zweifelnd die etwas schlampige rothaarige Wirtin. Sie sah nach Hamburgern, Wiener Würstchen und Dosengemüse aus.»Die Eier sind frisch«, erklärte Carmen und deutete auf die Hühner.»Herrliche Ome letts!«

Es gelang mir, sie zu überreden, im Brown Derby mit mir zu essen.»Es soll dort von Filmstars wimmeln«, sagte ich, um sie anzureizen.

«Die können auch nicht mehr als eine Mahlzeit zur selben Zeit essen.«

Ich wartete, bis Carmen sich angezogen hatte. Sie besaß einen Gang, als hätte sie ihr Leben lang Körbe auf dem Kopf getragen, biblisch und gelassen. Ich begriff Kahn nicht, ich begriff nicht, daß er sie nicht längst geheiratet und mit ihr zu den Eskimos als Reisender für Radios gezogen war — Eskimos, hatte ich gelesen, liebten einen anderen Typ.

Als das Taxi vor dem Brown Derby hielt, bekam ich Gewissens bisse. Ich sah, daß Leute in rohseidenen Anzügen erstarrten, als sie Carmen erblickten.»Einen Augenblick«, sagte ich.»Ich will sehen, ob wir Platz finden.«

Carmen blieb draußen stehen. Das Brown Derby war voll von Verführern, aber es hatte noch ein paar leere Tische.»Alles besetzt«, sagte ich, als ich wieder herauskam.»Leider. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns ein kleineres Lokal suchen?«

«Nicht das geringste. Es ist mir sogar lieber.«

Wir gingen in ein Restaurant, das klein, dunkel und leer war.»Wie finden Sie es in Hollywood, Carmen?«fragte ich.»Ist es hier nicht viel langweiliger als in New York?«

Sie hob die wunderbaren Augen auf.»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«

«Ich finde es scheußlich und langweilig«, log ich.»Ich freue mich darauf, zurückzufahren.«

«Das kommt darauf an, wie man sich fühlt. In New York hatte ich niemanden, mit dem ich richtig befreundet war. Hier habe ich meine Wirtin. Wir verstehen uns großartig. Wir reden über alles. Und dann habe ich Hühner gern. Die sind gar nicht so dumm, wie die meisten Menschen glauben. In New York habe ich nie ein lebendes Huhn gesehen. Hier kenne ich sie schon beim Namen, und sie kommen, wenn ich sie rufe. Und die Orangen! Ist das nicht wunderbar, daß man sie einfach von den Bäumen pflücken und sie wirklich essen kann?«

Ich verstand plötzlich, was Kahn an ihr fesselte. Es war nicht nur ihre Simplizität und der Reiz, den die unvorstellbaren Wege rei ner Stupidität auf einen so aktiven Intellektuellen wie Kahn ausübten, bei dem Aktion und Intellekt unlösbar verbunden waren; eine der seltensten Mischungen, die ich je beobachtet hatte. Es war außerdem — ihm wahrscheinlich nicht bewußt — die wilde Unschuld und der wilde Friede von Carmens harm loser Welt, die freilich deshalb nicht so harmlos sein konnte, weil sie in einem solchen Körper einfach nicht harmlos vorstellbar war. Man konnte sich wohl eine idyllische Wiese mit Gänse blümchen und Primeln am Abhang eines nicht aktiven Vulkans vorstellen, aber nicht den reinen Frieden unter hymnensingenden Kaffeesachsen in einem Dorf bei Kötzschenbroda.

«Wie haben Sie meine Adresse gefunden?«fragte Carmen, wäh rend sie an einem Hühnerbein nagte.

«Kahn hat mir geschrieben. Ihnen nicht?«

«Doch«, sagte Carmen kauend.»Ich weiß nie, was ich ihm schrei ben soll. Er ist so kompliziert.«

«Schreiben Sie ihm etwas über Ihre Hühner.«

«Das versteht er nicht.«

«Ich würde das ruhig einmal versuchen. Oder schreiben Sie ihm sonst etwas. Er freut sich bestimmt, wenn er etwas von Ihnen hört.«

Sie schüttelte den Kopf.»Mit meiner Wirtin ginge das viel besser. Kahn ist so schwierig. Ich verstehe ihn nie.«

«Wie geht es mit dem Film hier, Carmen?«

«Wunderbar. Ich bekomme mein Gehalt und brauche nichts zu tun. Hundert Dollar in der Woche! Wo kriegt man das? Bei Vriesländer bekam ich sechzig und mußte den ganzen Tag arbei ten. Außerdem schrie er mich in einem fort an, wenn ich was ver gessen hatte, der nervöse Satan. Und Frau Vriesländer haßte mich. Nein, mir gefällt es hier gut.«

«Und Kahn?«sagte ich nach kurzem Überlegen, obschon ich be reits wußte, daß es vergeblich war.

«Kahn? Der braucht mich nicht.«

«Vielleicht doch.«

«Wozu? Um Eiscreme zu essen und auf die Straße zu starren? Man weiß nie, was man mit ihm reden soll.«

«Trotzdem könnte er Sie brauchen, Carmen. Wollen Sie nicht zu rückgehen?«

Sie sah mich mit ihren tragischen Augen an.»Zurück zu Vrieslän der? Der hat doch ohnehin schon eine neue Sekretärin, die er

drangsalieren kann. Ich wäre ja verrückt! Nein, nein, ich bleibe hier, solange ein Studio so dumm ist, mich für nichts zu bezah len.«

Ich sah sie an.»Wie heißt Ihr Regisseur eigentlich?«fragte ich be hutsam.

«Der? Silvio Coleman. Ich habe ihn erst einmal hier gesehen, für fünf Minuten. Komisch, was?«

«Ich höre, daß so etwas ziemlich oft passiert«, sagte ich beruhigt.»Es ist sogar die Regel.«

Ich dachte über Kahns Brief nach. Er beunruhigte mich. Ich schlief schlecht und erwartete einen der scheußlichen Träume. Ich hatte ihn schon in der Nacht erwartet, nachdem ich die Film-SS gesehen hatte, aber er war zu meinem Erstaunen ausgeblieben, und ich hatte die Nacht ruhig geschlafen. Jetzt grübelte ich dar über nach, ob dies darauf zurückzuführen war, daß der heftige Schock, den ich am Anfang gespürt, sich in die lächerliche Film- Kostümprobe aufgelöst hatte, von der zum Schluß nur noch die Beschämung übriggeblieben war, so hysterisch reagiert zu haben. Ich dachte über den Schock nach, von dem Kahn geschrieben hatte. Mir schien in dieser Nacht, daß ich weniger heftig reagie ren sollte, um die Kraft zu behalten, die ich später noch brauchte, wenn die Wirklichkeit über mich hereinbrechen würde. Vielleicht war das in Hollywood hier ein Weg dazu, mich daran zu gewöh nen. Ich könnte mich vielleicht sogar so sehr daran gewöhnen, daß die kleineren, falschen Schocks, die noch kämen, eine Anti wirkung hervorriefen, eben weil sie sofort in Lächerlichkeit zer- flattern würden. Ich mußte mich in acht nehmen, kein hysteri sches Wrack zu werden, das beim bloßen Anblick einer Uniform schon das Zittern bekam. Dies schien mir frühmorgens, als ich unter den raschelnden Palmen und dem hohen, fremden Himmel den Swimming-pool im Pyjama umwanderte, eine eigenartige und sonderbare, aber vielleicht wirksame Lösung.

Tannenbaum kam mittags.»Was haben Sie eigentlich gefühlt, als Sie das erstemal einen Film machten, in dem Nazis vorka men?«fragte ich.

«Ich habe nachts nicht schlafen können. Aber dann habe ich mich daran gewöhnt. Es ist das einfachste.«

«Ja«, sagte ich.»Das ist es.«

«Etwas anderes wäre es, wenn ich einen Pronazifilm machte. Das ist natürlich ausgeschlossen. Ich glaube, so etwas kann auch nicht mehr Vorkommen. Nach dem, was über diese Schweine bekannt geworden ist. «Tannenbaum zupfte ein rotgerändertes Taschen tuch in seinem Sportjackett zurecht.»Holt hat heute morgen mit Silvers gesprochen. Silvers hat nichts dagegen, wenn Sie vormit tags bei uns als Berater tätig sind. Er sagt, er brauche Sie haupt sächlich nachmittags und abends.«

«Hat Holt mich bereits von ihm gekauft?«fragte ich.»Es soll so etwas Ähnliches mit Stars in Hollywood geschehen.«

«Natürlich nicht. Er hat nur angefragt, weil er Sie dringend braucht. Wir haben keinen Mann in Hollywood, der im KZ war, nur Sie.«

Ich zuckte zusammen.»Hat Silvers ihm für die Erlaubnis ein Öl bild verkauft?«

«Das weiß ich nicht. Holt hat sich gestern Silvers’ Bilder angese hen. Sie haben ihm sehr gefallen.«

Im Mittagsglast sah ich Holt in grünen Slacks bereits den Swim- minipool umkreisen. Er trug dazu ein buntes Hawaiihemd, das mit einer Südseelandschaft bedruckt war. Schon von weitem we delte er mit beiden Pfoten.

«Hallo, Robert.«

«Hallo, Herr Holt.«

Er klopfte mir auf die Schulter — eine Geste, die ich verabscheue.»Immer noch böse wegen der paar kleinen Zeichnungen? Das bringen wir schon wieder in Ordnung.«

Ich ließ ihn eine Weile reden. Dann kam er endlich zur Sache. Er wollte, daß ich das Manuskript auf Fehler durchsehe und daß ich außerdem als eine Art von Kostüm- und Aktionsberater tätig sei, damit nichts falsch gemacht würde.»Das sind zwei verschiedene Aufgaben«, sagte ich.»Was geschieht, wenn das Manuskript un möglich ist?«

«Dann schreiben wir es um. Aber sehen Sie es sich erst einmal an. «Holt schwitzte leicht.»Es muß nur rasch sein. Wir wollen morgen anfangen, die wichtigeren Szenen zu drehen. Können Sie das Manuskript heute flüchtig durchsehen?«

Ich antwortete nicht. Holt zog ein Paket aus seiner Aktentasche.»Hundertdreißig Seiten«, sagte er.»Zwei, drei Stunden Arbeit. «Ich sah das gelbe Buch an. Ich war wirklich unschlüssig, gab mir aber dann einen Ruck.»Fünfhundert Dollar«, sagte Holt.»Für eine Stellungnahme von einigen Seiten.«

«Das ist sehr fair«, drängte Tannenbaum.

«Zweitausend«, erwiderte ich. Wenn ich mich schon verkaufte, wollte ich alle meine Schulden davon bezahlen können und noch etwas beiseite legen.

Holt brach fast in Tränen aus.»Ausgeschlossen«, erklärte er.»Gut«, sagte ich.»Ist mir auch lieber. Ich erinnere mich verdammt ungern an diese Zeit, das können Sie mir glauben.«»Tausend«, erwiderte Holt.»Weil Sie es sind.«

«Zweitausend. Was ist das schon für einen Mann, der eine Im- pressionisten-Sammlung hat!«

«Das war unfair«, sagte Holt.»Nicht ich zahle, das Studio zahlt.«

«Um so besser.«

«Fünfzehnhundert«, erklärte Holt zähneknirschend.»Und drei hundert Dollar pro Woche als Berater.«

«Gut«, sagte ich.»Und ein Auto, solange ich als Berater tätig bin. Bedingung ist außerdem, daß ich nachmittags frei habe.«

«Welch ein Vertrag!«rief Tannenbaum.»Wie für einen Star. «Holt wischte das hinweg. Er wußte, daß mir inzwischen bekannt war, was Stars verdienen.»Gut, Robert«, sagte er mannhaft.»Ich lasse das Manuskript hier. Fangen Sie sofort an: Es eilt.«

«Ich fange an, wenn ich eine Anzahlung von tausend Dollar in der Hand habe, Joe«, erwiderte ich herzlich.

«Wenn Sie nur halbtags zur Verfügung stehen, muß ich Ihnen natürlich Ihr Gehalt kürzen«, sagte Silvers.»Sagen wir auf die Hälfte. Das ist fair, finden Sie nicht auch?«

«Den Ausdruck >fair< habe ich heute einige Male gehört«, er widerte ich.»Immer, wenn er nicht zutraf.«

Silvers zog die Füße auf das hellblaue Sofa.»Ich finde mein Angebot nicht nur fair, sondern generös. Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, in einem anderen Beruf viel Geld zu verdienen. Anstatt Sie zu entlassen, gebe ich mich damit zufrieden, daß Sie nur noch gelegentlich bei mir arbeiten. Sie sollten mir dankbar sein.«

«Das bin ich leider nicht«, erklärte ich.»Entlassen Sie mich lieber.«

«Wenn Sie wollen, können wir einen gleitenden Vertrag auf folgender Basis machen: Niedrigeres Gehalt und dafür Beteiligung.«

Silvers betrachtete mich wie ein seltenes Insekt.»Haben Sie eine Ahnung vom Verkauf!«erklärte er geringschätzig.»Sie würden auf einer Bonusbasis verhungern.«

Es irritierte ihn jedesmal, wenn man nicht glaubte, daß Bilder verkaufen eine gottähnliche Genialität erfordere.»Ich setze mich für Sie ein, damit Sie irgendwo beim Film angenommen werden, und Sie…«

«Herr Silvers«, unterbrach ich ihn ruhig.»Schenken wir uns das. Sie wollen doch nicht mir verkaufen, sondern meinem Kunden Holt. Ich bin dafür, daß Sie Holt die Sache als großes Entgegen kommen darstellen, und bin sicher, daß er dankbar weiter kaufen wird. Ich möchte nur selbst nicht zur Dankbarkeit gezwungen werden, wo es doch eher an Ihnen läge, dankbar zu sein. Es ist hübsch, daß Sie mir beigebracht haben, das schönste Ziel eines tüchtigen Händlers bestehe darin, dem Kunden nicht nur das Fell abzuziehen, sondern ihn dafür auch noch dankbar zu stimmen. Sie sind ein großer Meister darin, aber verschonen Sie mich damit.«

Silvers’ Gesicht wirkte auf einmal etwas zerknittert. Von einer Sekunde zur anderen wirkte er zwanzig Jahre älter.»So«, sagte er leise,»ich soll Sie verschonen. Und was habe ich vom Leben? Sie feiern Cocktailpartys für mein Geld, Sie sind fünfundzwanzig Jahre jünger als ich, ich hocke hier in diesem Hotel und warte auf Kunden wie eine alte Spinne. Ich erziehe Sie wie einen Sohn, und Sie werden schon ärgerlich, wenn ich meine müden Klauen an Ihnen schärfe! Soll ich denn überhaupt keinen Spaß mehr haben?«

Ich sah ihn scharf an. Ich kannte seinen Trick mit dem Sterben, dem Kranksein und der Tatsache, daß niemand auch nur das kleinste Bild mit ins Jenseits nehmen könne. Da sei es dann doch besser, an sympathische Kunden hier auf Erden zu verkaufen, selbst unter Verlust, solange man noch da sei — es sei ja nicht mehr lange. Ich selbst hatte die Medizinflasche arrangiert, als sich Silvers müde und blaß, von seiner treuen Frau vorsichtig bleich geschminkt, im blauen Schlafrock ins Bett legte, um einen scheußlichen Schinken, einen riesigen toten Jockey mit seinem Pferd,»mit Verlust «an einen Ölmillionär aus Texas zu verkaufen. Ich war daraufgekommen, Silvers’ gewohnten roten Schlafrock gegen einen blauen auszutauschen, weil in Blau die Krankenblässe noch stärker hervortrat. Ich hatte die Verhandlungen zweimal mit Medizin unterbrochen, die Silvers einnehmen mußte und die aus Wodka bestand — auch das eine Nuance von mir, statt Whisky, wie Silvers geplant hatte, Wodka zu reichen — Wodka roch nicht, aber Whisky war für gute Texanernasen schon zwanzig Meilen weit zu schnuppern. Silvers hatte mir schließlich mit ersterbender Stimme den Kaufvertrag diktiert, an dem er zwanzigtausend Dollar verdiente. Ich hatte, als ich die Summe hörte, die üblichen weiten Augen stummen Protestes bekommen und dann ergeben leicht den Kopf geschüttelt. Ich kannte alle diese Tricks von Silvers, in denen er unerschöpflich war und die er sein» künstlerisches Dampfablassen «nannte, aber diese neue verdrießliche Note kannte ich noch nicht, auch nicht das echte Zeichen von Erschöpfung in seinem Gesicht.

«Bekommt Ihnen das Klima nicht?«fragte ich.

«Klima! Ich komme vor Langeweile um! Stellen Sie sich vor«, sagte er,»aus Langeweile lade ich so ein Mädchen, das ich am Swimming-pool kennengelernt habe — übrigens ein blondes hübsches, nichtssagendes Ding von neunzehn Jahren, man muß hier mit dem Alter ja sehr vorsichtig sein, die Küken behaupten, sie seien keine Minderjährigen mehr, und vor der Tür lauert schon die Mutter, um einen zu erpressen —, also ich lade sie ein, mit mir zu essen, und sie kommt. Wir nehmen etwas Champagner, Shrimps mit Thousand-Islands-Sauce, Sirloinsteak, alles in der hübschen Küche mit Eßzimmer hier oben serviert. Wir werden fröhlich, ich vergesse mein trostloses Leben, wir gehen ins Schlafzimmer, und was passiert?«

«Sie schreit aus dem Fenster heraus, sie werde vergewaltigt. Polizei, Polizei!«

Silvers überlegte einen Augenblick erstaunt.»Kommt das vor?«»Mein Nachbar Scott hat mir erklärt, es sei hier einer der ein fachsten Tricks, zu Geld zu kommen.«

«So, so! Nein, das war es nicht. Leider nicht. Es war eigentlich schlimmer.«

«Sie verlangte sicherlich Geld. So etwas ist immer deprimierend für Leute, die gewohnt sind, ihrer selbst wegen geliebt zu werden«, sagte ich boshaft.»Plündert Dollar.«

«Schlimmer.«

«Tausend. Das ist allerdings eine Frechheit.«

Silvers winkte ab.»Sie verlangte etwas, aber das war es nicht. «Er erhob sich von seinem hellblauen Sofa und imitierte, zähne fletschend, den Bart gesträubt, mit hoher Kinderstimme:»Was schenkst du mir denn, wenn ich ins Bett klettere…«und dann explodierend:»Daddy!«

Ich hatte seiner Vorstellung bewundernd gelauscht, sie war durch das gleichzeitige Zähnefletschen akrobatisch.»Daddy«, sagte ich.»Also wie wir in Europa Papa sagen. Ein schwerer Schlag, wenn man über fünfzig ist. Aber das bedeutet hier nicht viel. Man nennt hier Dreißigjährige aus Zuneigung Daddy, so wie man neunzigjährige Greisinnen Darling und Girl nennt. Amerika betet als junges Land die Jugend an.«

Silvers hatte mir zugehört wie ein Mann mit einem Bauchschuß, der nach Wasser ruft. Jetzt schüttelte er den Kopf.»Leider war es anders. Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich den Schnabel nicht gehalten habe, aber wann schweigt ein Händler schon? In meiner Verstörtheit fragte ich, was sie meine. Verstehen Sie, ich wollte selbstverständlich zahlen, reichlich sogar, ich bin bekannt dafür, ich war nur verstört über das Wort Daddy. Es klang für mich wie Großvater. Sie aber glaubte, ich wollte Schwierigkeiten machen wegen des Geldes, und sie erklärte mir mit einer blechernen Puppenstimme, wenn sie mit einem so alten Mann in die Heia ginge— das war ihr Ausdruck —, müsse doch natürlich auch etwas herausspringen. Sie habe bei Bullocks Wilshire einen echten Kamelhaarmantel gesehen, und es werde doch…«

Silvers’ Stimme versagte.

«Was haben Sie getan?«fragte ich interessiert. Der Ausdruck» blecherne Puppenstimme «hatte mir gefallen.

«Was ein Gentleman in einer solchen Situation tut! Bezahlt und rausgeschmissen.«

«Den vollen Preis?«

«Was mir in die Hand kam.«

«Schmerzlich, aber verständlich.«

«Sie verstehen mich überhaupt nicht«, sagte Silvers gereizt.»Es ist der psychologische Schock, nicht der finanzielle. Der Schock, von einer kleinen Hure als alter Bock bezeichnet zu werden. Aber wie könnten Sie das auch verstehen? Sie sind eine der gefühllose, — sten Kreaturen, die ich kenne.«

«Das stimmt. Es gibt außerdem Dinge, die nur Gleichaltrige verstehen — zum Beispiel das Alter. Und je älter man wird, um so größer sollen da die Unterschiede werden. Achtzigjährige halten die Achtundsiebzigjährigen für Grünschnäbel und Lausebengels. Ein sonderbares Phänomen!«

«Ein sonderbares Phänomen! Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«

«Natürlich«, erklärte ich behutsam.»Sie erwarten doch nicht, daß ich diesen Unsinn ernst nehme, Herr Silvers.«

Er wollte auffahren, dann glomm der Funke Hoffnung in seinen Kunsthändleraugen auf, so, als hätte Professor Max Friedländer einen zweifelhaften Pieter de Hooch in seinem Besitz für echt erklärt.

«Lächerlich für einen Mann wie Sie«, fuhr ich fort.

Er überlegte das.»Aber was passiert, wenn es mir beim nächsten- mal wieder einfällt? Impotenz wäre die natürliche Folge. Schon dieses Mal war mir, als hätte man mir einen Kübel Eiswasser…«Er stockte.»… über den Kopf geschüttet«, ergänzte ich.

«Uber das Glied geschüttet«, ergänzte er verschämt.»Was soll man machen, mit dieser Furcht im Nacken?«

«Da gibt es zwei Schulen«, sagte ich nach einer Weile.»Die eine ist: sich besaufen und dann wie ein Husar drauf los — sie hat nur den Nachteil, daß viele Leute durch das Saufen selbst schon für die Zeit bis zum Kater impotent werden, ein doppeltes Wagnis also. Die zweite ist die alte Rennfahrertaktik nach einem Unfall— sofort auf einen anderen Wagen und weiterfahren, so daß kein Schock aufkommt.«

«Ich habe schon einen Schock gehabt!«

«Das bilden Sie sich ein, Herr Silvers. Ihre Phantasie hat nur mit dem Gedanken eines vielleicht möglichen Schocks gespielt, das ist alles.«

Etwas wie Dankbarkeit umflatterte seinen Bart.»Meinen Sie?«»Ganz bestimmt.«

Er erholte sich sichtlich.»Sonderbar«, meinte er nach einer Weile,»wie plötzlich alles gegenstandslos werden kann, Erfolg, Stellung, Geld, vor so einem einfachen, dummen Wort eines kleinen Mädchens! Als wäre die ganze Welt im geheimen kommunistisch.«

«Was?«

«Ich meine, als wären im letzten Sinne alle Menschen gleich — keiner entkommt.«

«Ach, so meinen Sie das!«sagte ich.»Die Zeit ist kommunistisch; sie fragt nicht nach Geld und Stellung, sondern addiert einfach jeden Tag einen Tag und jedes Jahr ein Jahr, ganz gleich, ob man ein Heiliger oder ein Schweinehund ist. Ein schöner Gedanke, Herr Silvers, wenn auch nicht mehr ganz neu.«

«Ganz neue Gedanken zu haben ist für einen Antiquar unzulässig. «Silvers grinste. Er war wieder auf dem Posten.»Ich nehme an, kein Mensch glaubt, daß er alt wird. Er weiß es, aber er glaubt es nicht.«

«Glauben Sie es jetzt? Wie ist es mit meiner Entlassung?«

«Wir können es lassen, wie es war. Sie brauchen auch nur abends zur Verfügung zu sein.«

«Zum Uberstundentarif nach sieben Uhr.«

«Für Ihr normales Gehalt. Nicht für Überstunden! Sie verdienen im Augenblick mehr als ich.«

«Ihr Schock ist vorbei, Herr Silvers! Vollständig!«

Загрузка...