XXIV

Der Garden of Allah hatte ein Schwimmbassin und eine Anzahl kleiner Häuschen, die man mieten konnte. Man hauste darin allein oder zu zweien oder mehreren. Ich wurde in eines einquartiert, das ein Schauspieler bewohnte. Jeder von uns hatte sein Zimmer, und wir besaßen zusammen ein Badezimmer. Das Ganze hatte etwas von einem bequemen Zigeunerlager an sich. Ich war überrascht und fühlte mich sofort wohl. Der Schauspieler lug mich am ersten Abend zu sich ein. Es gab Whisky und kalifornischen Wein, und nach und nach kamen Bekannte des Schauspielers dazu. Es war ziemlich ungezwungen, und wer Lust hatte zu baden, der sprang in das grünblau erleuchtete Schwimm bassin und kühlte sich ab. Ich trat auf in meiner Rolle als früherer Assistent im Louvre. Da ich nicht wußte, wie weit geklatscht werden konnte, hielt ich es für besser, auch privat dabei zu bleiben, schließlich hatte mich ja Silvers deswegen engagiert.

Ich hatte in den ersten Tagen nichts zu tun. Die Bilder, die Silvers von New York geschickt hatte, waren noch nicht angekommen. Ich trieb mich im Garden of Allah herum, fuhr mit John Scott, dem Schauspieler, ans Meer und ließ mich von ihm über das Leben in Hollywood belehren. Ich hatte schon in New York wieder und wieder das Gefühl von Unwirklichkeit gehabt, weil dieses riesige Land einen Krieg führte, von dem es nichts sah und der eine halbe Welt von ihm entfernt vor sich ging — hier in Hollywood wurde er ganz und gar literarisch. Es gab hier Obersten und Kapitäne in Massen, die in Uniform umherstolzierten, aber nichts von Krieg wußten. Es waren Film-Obersten, Film- Hauptleute, Film-Regisseure und Film-Produzenten, die von einem Tag zum anderen zu Obersten ernannt worden waren für irgendetwas, das irgendwie mit Kriegsfilmen zu tun hatte, und die vom Militärwesen nicht viel mehr wußten, als daß man die Mütze nicht abnahm, wenn man grüßte. Der Krieg hatte sich hier zu einer Art Wildwest umgewandelt, und man hatte das Gefühl, daß die Komparsen eines Films ihre Uniformen auch abends trugen. Wirklichkeit und Schein vermischten sich hier so vollkommen, daß sie zu einer neuen Substanz wurden — so wie Kupfer und Zink zu Messing, das aussah wie Gold. Es hatte nichts damit zu tun, daß Hollywood voll war von großen Musikern, Dichtern und Philosophen, ebenso war es voll von Schwärmern, von Sektierern und Schwindlern. Alle nahmen es auf, und wer sich nicht beizeiten rettete, verlor seine Identität, er mochte es glauben oder nicht. Das abgegriffene Wort vom Verkauf der Seele an den Teufel galt hier wirklich. Aber es war immer nur Kupfer und Zink, was hier zu Messing wurde und worüber stimmungsvolle Klagen angestimmt wurden.

Wir saßen im Sand am Strand von Santa Monica. Vor uns rollten die graugrünen Wellen des Stillen Ozeans. Neben uns schrien Kinder. Hinter uns wurden in einer Holzbude Hummer gekocht. Angehende Filmkomparsen stolzierten vorüber und hofften auf Entdeckung durch einen Talentscout oder einen kommenden Regieassistenten. Die Kellnerinnen in den Lokalen warteten alle auf ihren großen Augenblick: sie verbrauchten Schminke, Lippenstifte und enge Hosen oder kurze Röcke ohne Zahl. Über allem hing wie über einem Lotteriesaal die Erwartung des gro ßen Treffers: für den Film entdeckt zu werden.

«Tannenbaum?«sagte ich zweifelnd und starrte auf ein Wesen in einer großkarierten Jacke, das dunkel vor der Sonne auftauchte und den Horizont unterbrach.

«Persönlich«, erwiderte der Darsteller der Nazi-Rollen würdig.»Sie wohnen im Garden of Allah, wie?«

«Woher wissen Sie das?«

«Es ist die Heimat der Emigranten-Schauspieler.«

«Verdammt! Ich dachte, ich würde endlich einmal entkommen. Wohnen Sie auch da?«

«Ich bin heute mittag eingezogen.«

«Heute mittag! Also vor zwei Stunden. Und jetzt tummeln Sie sich bereits ohne Krawatte, in einem schreiendroten seidenen Halstuch, orangefarbenen Haaren und gelbkarierter Sportjadee am Stillen Ozean? Alle Achtung!«

«Man muß schnell sein. Ich sehe, Sie sind mit Scott hier.«

«Sie kennen Scott bereits?«

«Natürlich. Ich war schon zweimal hier. Einmal als Scharführer, das andere Mal als Sturmscharführer.«

«Ihre Karriere geht steil aufwärts. Jetzt sind Sie Sturmbann führer?«

«Gruppenführer.«

«Drehen Sie schon?«fragte Scott.

«Noch nicht. Wir fangen nächste Woche an. Jetzt haben wir Kostümproben.«

Kostümproben, dachte ich. Das, woran ich nicht zu denken wagte und was ich aus meinen Träumen zu verbannen suchte, war hier bereits Spiel geworden. Ich starrte Tannenbaum an und hatte plötzlich einen Augenblick ungeheurer Befreiung. Ich sah die Unruhe des silbergrauen Ozeans, das Gewoge aus Quecksilber und Blei, das den Horizont bedrängte, und den lächerlichen Mann davor, für den sich die Katastrophe der Welt bereits zu Kostümproben, Schminke und in ein Libretto verwandelt hatte, und mir war, als zerrisse eine schwere Wolkendecke über mir. Vielleicht, dachte ich, vielleicht gibt es das, daß man es nicht mehr ernst nimmt! Selbst wenn es nicht zur Kostümprobe und zum Film reicht, aber vielleicht kann es so werden, daß es nicht mehr wie ein riesiger Gletscher über einem hängt, darauf war tend, einen in seinem Eis zu begraben!

«Wann sind Sie drüben weggegangen, Tannenbaum?«fragte ich.

«Vierunddreißig.«

Ich wollte weiterfragen, aber ich besann mich. Ich wollte wissen,ob er Verluste erlitten hatte, Verwandte, die nicht mehr heraus gekommen oder die ermordet waren — es war wahrscheinlich, aber man konnte nicht danach fragen. Ich hätte es auch nur hören wollen, um festzustellen, ob das bereits so weit hinter ihm lag, daß er ohne Krisis Leute darstellen konnte, die diese Mörder ge wesen waren. Es war nicht notwendig. Die Tatsache, daß er sie darstellte, war Antwort genug.

«Es war schön, Sie zu treffen, Tannenbaum«, sagte ich.

Er schielte mich argwöhnisch an.»Unser Verhältnis war nicht gerade so, daß wir uns Komplimente machen müssen«, sagte er.»Ich meine es wirklich so«, erklärte ich.

Silvers entfaltete eine geheimnisvolle Tätigkeit, die zu nichts führte. Nach einigen Tagen gab er es auf und schritt zum direkten Angriff. Er rief Produzenten und Regisseure an, die er durch andere Käufer irgendwann einmal kennengelernt hatte, und lud sie ein, seine Bilder anzuschen. Aber das Übliche passierte: Leute, die ihn in New York nahezu mit Tränen in den Augen gebeten hatten, sie zu besuchen, wenn er einmal in Los Angeles sei, hatten plötzlich Mühe, sich seiner zu erinnern, und wenn er sie bat, seine Bilder anzusehen, hatten sie keine Zeit.

«Der Teufel soll diese Barbaren holen«, knurrte er nach der ersten Woche.»Wenn es nicht anders wird, fahren wir nach New York zurück. Welche Leute wohnen im Garden of Allah?«

«Keine Kunden«, erwiderte ich.»Höchstens für kleinere Zeichnungen oder Lithographien.«

«In der Not frißt der Satan Fliegen. Wir haben doch zwei kleine Degas-Zeichnungen hier und zwei Kohlezeichnungen von Picasso. Nehmen Sie die Bilder mit und hängen Sie sie in Ihr Zimmer. Geben Sie eine Cocktailparty.«

«Privat oder auf Spesenkonto?«

«Natürlich auf Spesen. Haben Sie nichts im Kopf als Geld?«

«Ich habe es nicht in den Taschen, deshalb habe ich es so oft im Kopf.«

Silvers winkte ab. Ihm war nicht nach Bonmots zumute.»Versuchen Sie es mal dort. Vielleicht fangen Sie einen Schellfisch, wenn schon! keine Hechte zu haben sind.«

Ich lud Scott, Tannenbaum und ein paar Bekannte von ihnen ein. Der Garden of Allah war berühmt für seine Cocktailpartys. Scott erzählte mir, daß sie manchmal bis zum Morgen dauerten. Zur Vorsicht und aus Ironie lud ich Silvers auch ein. Er sagte befremdet und hochfahrend ab. Dergleichen war für kleine Leute und unter seiner Würde.

Die Party begann verheißungsvoll, es kamen zehn Leute mehr, als eingeladen waren, um zehn Uhr abends waren es mindestens zwanzig mehr. Mein Alkohol war zu Ende, und wir zogen um in einen der Bungalows. Ein weißhaariger, rotgesichtiger Mann, der Eddy genannt wurde, bestellte Butterbrote, Hamburger und Berge von Würstchen. Um elf Uhr war ich mit einem Dutzend fremder Leute so weit, daß wir uns beim Vornamen nannten — dafür war es eigentlich schon reichlich spät. Im allgemeinen pas sierte das auf den Partys viel früher. Um Mitternacht fielen einige Leute in das Schwimmbassin, andere wurden hineingestoßen. Das galt als ein anspruchsvoller Scherz. Einige Mädchen schwammen in Büstenhalter und Höschen in dem blaugrüner leuchteten Bassin umher. Sie waren sehr jung und hübsch, und das Ganze wirkte eher unschuldig. Uberall dem Lärm lag eine sonderbare Sterilität. Zu einer Stunde, in der man in Europa längst in den Betten gelegen hätte, stand man hier um ein Klavier herum und sang sentimentale Cowboylieder.

Ich verlor langsam die Übersicht. Die Welt um mich begann zu taumeln, und ich ließ es geschehen. Ich wollte nicht nüchtern bleiben. Ich haßte die Nächte, in denen man allein aufwachte und nicht wußte, wo man war; sie lagen zu dicht bei den Träumen, die nicht abzuschütteln waren. Langsam versank ich in eine schwere, nicht unangenehme Trunkenheit, aus der hier und da braune und goldene Lichter blitzten. Ich wußte am anderen Morgen nicht mehr, wo ich überall gewesen, ich wußte nicht, wie ich auf mein Zimmer gekommen war.

Scott klärte mich auf.»Sie haben die beiden Zeichnungen, die hier hingen, verkauft, Robert«, sagte er.»Gehörten die Ihnen?«Ich sah mich um. Mein Kopf dröhnte. Die beiden Degas- Zeichnungen waren fort.»An wen habe ich sie verkauft?«fragte ich.

«An Holt, glaube ich. Den Regisseur, der Tannenbaums Film macht.«

«Holt? Ich habe keine Ahnung. Gott, muß ich betrunken gewesen sein!«

«Wir hatten alle zuviel. Es war eine herrliche Party! Sie waren großartig, Robert!«

Ich blickte mißtrauisch auf.»Habe ich mich wie ein blöder Affe aufgeführt?«

«Nein, das war Jimmy. Er heult immer, wenn er trinkt. Sie waren in Ordnung. Waren Sie denn schon blau, als Sie die Zeichnungen verkauften? Man hat es Ihnen nicht angesehen.«

«Ich muß es gewesen sein. Ich weiß nichts mehr davon.«

«Auch nicht von dem Scheck?«

«Was für einen Scheck?«

«Holt hat Ihnen doch gleich einen Scheck gegeben.«

Ich stand auf und suchte in meinen Taschen nach. Ich fand tatsächlich den zusammengefalteten Scheck. Ich starrte darauf.»Holt war ganz hin«, sagte Scott.»Sie haben fabelhaft über Kunst gesprochen. Er hat die Bilder gleich mitgenommen, so angetan war er.«

Ich hielt den Scheck gegen das Licht. Dann lachte ich. Ich hatte die beiden Zeichnungen fünfhundert Dollar höher verkauft, als Silvers sie ausgezeichnet hatte.»So was!«sagte ich zu Scott.»Ich habe die Bilder zu billig verkauft.«

«Wirklich? Das ist eine verfluchte Geschichte. Ich glaube nicht, daß Holt sie wieder herausgibt.«

«Macht nichts«, sagte ich.»Geschieht mir recht.«

«Ist das unangenehm für Sie?«

«Nicht sehr. Strafe muß sein. Habe ich auch die beiden Picassos verkauft?«

«Was?«

«Die beiden anderen Zeichnungen.«

«Davon weiß ich nichts. Wie wäre es mit einem Sprung in das Schwimmbassin? Sehr gut gegen Kater.«

«Ich habe keine Badehose.«

Scott brachte vier aus seinem Zimmer.»Suchen Sie sich eine aus. Wollen Sie frühstücken oder zu Mittag essen? Es ist ein Uhr.«

Ich stand auf. Ein Bild des Friedens empfing mich draußen. Das Wasser leuchtete; einige Mädchen schwammen im Swimming pool herum, bequem gekleidete Männer saßen in Lehnstühlen, la sen die Zeitungen, tranken Orangensaft oder Whisky und unter hielten sich lässig. Ich erkannte den weißhaarigen Mann, bei dem ich abends gewesen war. Er winkte mir zu. Drei andere, an die ich mich nicht erinnerte, winkten ebenfalls. Ich hatte plötzlich eine Schar von gutartigen Freunden, ohne sie zu kennen. Alkohol war ein einfacherer Vermittler als Geist, und das Leben schien keine Probleme zu haben, der Himmel war ohne Wolken, und dieser Fleck war ein Paradies, herausgehoben aus störenden Beziehun gen und der schwarzen Gewitternacht Europas. Es war eine Illu sion des ersten Eindrucks. Ohne Zweifel herrschten auch hier die Schlangen und nicht die Schmetterlinge. Aber schon eine Illusion war etwas so Unerhörtes, als wäre man plötzlich nach Tahiti in ein Südsee-Idyll versetzt, und alles, was man zu tun brauchte, wäre, die Vergangenheit und sein eigenes, angewachsenes, mör derisches Selbst zu vergessen und zu seinem Ur-Selbst zurückzu finden, jenseits der Erfahrung und dem Unrat der Jahre. Viel leicht, dachte ich, als ich in das blaugrüne Wasser sprang, folgte einem diesmal wirklich nichts nach, und man konnte neu begin nen, statt die Verpflichtungen zur Rache weiter wie einen Tor nister voll mit Blei mit sich zu schleppen.

Silvers’ Ärger verflog, als ich ihm den Scheck überreichte.»Sie hätten tausend Dollar mehr verlangen sollen«, erklärte er.

«Ich habe fünfhundert Dollar mehr verlangt, als Sie angegeben haben. Wenn Sie wollen, kann ich den Scheck zurückgeben und Ihnen die Zeichnungen wiederbringen.«

«Das tut ein Silvers nicht. Verkauft ist verkauft! Auch mit Schaden.«

Er räkelte sich in einem hellblauen Ledersofa unter einem Fenster, von dem man in den Swimming-pool des Hotels herunter sah.»Ich hatte Angebote für die Picasso-Zeichnungen«, er widerte ich.»Aber es schien besser zu sein, Sie verkaufen sie selbst. Ich möchte Sie nicht dadurch bankrott machen, daß ich Ihre Ziffern falsch interpretiere.«

Er lächelte plötzlich.»Sie haben keinen Sinn für Humor, lieber Ross. Verkaufen Sie die Zeichnungen nur. Verstehen Sie nicht, daß da etwas professionelle Eifersucht mitspielt? Sie haben hier schon etwas verkauft, und ich noch nicht.«

Ich betrachtete ihn. Er war bereits kalifornischer gekleidet als Tannenbaum, und das wollte etwas heißen. Silvers trug natürlich ein englisches Sportjackett, während Tannenbaum eines von der Stange anhatte. Dafür waren Silvers’ Schuhe zu gelb und sein seidenes Halstuch zu üppig und von einer falschen Art von Zinnoberrot. Ich wußte, worauf das Gespräch hinausging — er wollte mir keine Provision zahlen für den Verkauf. Ich hatte auch keine erwartet. Es wunderte mich deshalb auch nicht, als er mir empfahl, ihm die Rechnung für die Cocktailparty bald ein zureichen.

Nachmittags kam Tannenbaum, um mich abzuholen.»Sie haben Holt versprochen, heute ins Studio zu kommen«, sagte er.

«Keine Ahnung«, erwiderte ich.»Was habe ich nur alles geredet?«

«Sie waren in glänzender Laune. Außerdem haben Sie Holt zwei Bilder verkauft. Sie wollten ihm sagen, wie er sie rahmen muß.«»Sie sind doch gerahmt.«

«Sie haben ihm gesagt, die Rahmen wären Geschäftsrahmen. Er solle stattderen alte aus dem 18. Jahrhundert kaufen, das mache die Bilder dreimal so wertvoll. Kommen Sie mit. Schauen Sie sich doch einmal ein Studio an.«

«Gut.«

Mein Kopf war immer noch ziemlich wüst. Ich ging mit, ohne viel zu denken. Tannenbaum fuhr einen alten Chevrolet.»Wo haben Sie fahren gelernt?«fragte ich.

«In Kalifornien. Hier braucht man einen Wagen. Die Entfernungen sind zu groß. Sie können einen gebrauchten für wenige Dollar kaufen.«

«Wenige hundert Dollar meinen Sie, wie?«

Tannenbaum nickte. Wir fuhren durch ein spanisches Tor, vor dem Polizisten standen.»Ist das hier ein Gefängnis?«fragte ich, als der Wagen angehalten wurde.

«Unsinn. Das ist die Studio-Polizei. Sie ist hier, damit die Ateliers nicht von Neugierigen und Stellungssuchern überschwemmt werden.«

Wir fuhren an einem Goldgräberdorf vorbei. Dann an einer Straße mit Wildwestkneipen. Ihnen folgte eine Tanzhalle. Es war sonderbar, alle diese Attrappen vor dem blauen Himmel zu sehen. Sie wirkten, da die meisten nur aus den Fassaden der Fläuser bestanden, als wären sie in einem sehr ordentlichen und methodischen Krieg sauber zerschossen und ausgebombt worden.»Das sind die Plätze für die Außenaufnahmen«, erklärte Tannenbaum.»Hier werden Hunderte von Cowboy- und Wildwest filmen gedreht, immer mit derselben Handlung. Manchmal wechseln nicht einmal die Schauspieler. Niemand merkt es.«

Wir hielten an einer riesigen Halle. >Studio 5< war mit schwarzen Lettern überall darauf gepinselt. Über der Tür brannte eine rote Lampe.

«Wir müssen einen Augenblick warten«, sagte Tannenbaum.»Es wird gerade gedreht. Wie gefällt Ihnen dies alles?«

«Gut«, erwiderte ich.»Es erinnert etwas an Zirkus und Zigeuner.«

Ich sah vor Studio 4 ein paar Cowboys herumstehen und Män ner und Frauen in der Tracht der Puritanerzeit, mit langen Kleidern, Gehröcken, Bärten und Schlapphüten. Sie waren fast alle geschminkt, was sich im Sonnenlicht merkwürdig ausnahm. Es gab auch Pferde und einen Sheriff, der Coca-Cola trank.

Das rote Licht über Studio 5 erlosch, und wir traten ein. Im ersten Augenblick konnte ich nach der Helligkeit draußen nichts erkennen. Dann erstarrte ich. Etwa zwanzig SS-Leute kamen auf mich zu. Ohne nachzudenken machte ich kehrt, um zu fliehen, und stieß gegen Tannenbaum, der hinter mir herkam.»Film«, sagte Tannenbaum.»Ziemlich echt, wie?«

«Was?«

«Gut gemacht, meine ich.«

«Ja«, erwiderte ich mühsam und wußte einen Moment lang nicht, ob ich ihm ins Gesicht schlagen sollte oder nicht. Über die Köpfe der SS-Leute hinweg sah ich im Hintergrund einen Wachtturm und daneben einen Stacheldrahtzaun. Ich merkte, daß ich hoch und pfeifend atmete.

«Was ist los?«fragte Tannenbaum.»Hat es Sie erschreckt? Aber Sie wußten doch, daß ich in einem Antinazifilm auftrete.«

Ich nickte und versuchte mich zu beruhigen.»Ich hatte cs verges sen«, sagte ich.»Nach gestern abend. Mein Kopf ist noch nicht ganz klar. Da kann so was passieren.«

«Natürlich, natürlich! Ich hätte Sie erinnern sollen.«

«Wozu?«sagte ich, immer noch stockend.»Wir sind ja in Kalifornien. Es war nur der erste Augenblick.«

«Klar, klar. Würde mir auch so gehen. Ist mir das erstemal sogar auch passiert. Inzwischen habe ich mich natürlich daran gewöhnt.«

«Was?«

«Man gewöhnt sich daran, meine ich«, sagte Tannenbaum.»Wirklich?«fragte ich.

«O ja!«

Ich drehte mich wieder um und betrachtete die verhaßten Uniformen. Ich merkte, daß ich mich fast erbrechen mußte. Eine sinnlose Wut erfüllte mich, die ins Leere ging. Da war nichts, um sie irgendwie auszulassen. Diese SS-Männer sprachen englisch, merkte ich jetzt. Trotzdem blieb der Schock. Die Wut zerplatzte, die hochgeschossene Angst zerflatterte, aber sie verließen mich, als hätte ich einen schweren Krampf überstanden. Alle meine Muskeln schmerzten noch.

«Da ist Holt«, rief Tannenbaum.

«Ja«, sagte ich und starrte auf den Drahtzaun des Konzentrationslagers.

«Hallo, Robert. «Holt trug eine Jägermütze und Gamaschen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn er ein Hakenkreuz auf der Brust getragen hätte. Oder einen gelben Davidstern.

«Ich wußte nicht, daß Sie schon angefangen haben zu drehen«, sagte Tannenbaum.

«Nur zwei Stunden, seit heute mittag. Wir sind jetzt fertig. Wie wäre es mit einem Scotch, Robert?«

Ich hob die Hand.»Noch nicht, nach gestern.«

«Gerade deshalb. Man muß den Teufel mit Beelzebub erschlagen, das ist das beste.«

«Wirklich?«fragte ich wie abwesend.

«Ein altes Rezept!«Holt schlug mir auf die Schulter.

«Vielleicht«, sagte ich.»Gut sogar!«

«So ist es recht.«

Wir gingen hinaus, an ein paar schwatzenden SS-Leuten vorbei. Kostümierte Schauspieler, dachte ich und begriff es immer noch nicht ganz. Ich gab mir einen Ruck.»Der Mann dort trägt eine falsche Mütze«, sagte ich und zeigte auf einen Scharführer.»Wirklich?«fragte Holt erregt.»Sind Sie sicher?«

«Ja, ich bin sicher. Leider.«

«Das müssen wir sofort kontrollieren«, sagte Holt zu einem jungen Mann mit grünen Brillengläsern.»Wo ist der Kostümberater?«

«Ich werde ihn suchen.«

Kostümberater, dachte ich. Drüben morden sie noch, hier sind sie bereits Komparsen geworden. Aber war es nicht immer, in all den elf, zwölf blutigen Jahren, ein Aufstand der Komparsen gewesen, die sich endlich einmal als Helden gebärden wollten und nichts weiter wurden als eine Bande vulgärer Schlächter?» Wen haben Sie als Berater?«fragte ich.»Einen echten Nazi?«

«Das weiß ich nicht genau«, erwiderte Holt.»Auf jeden Fall ist er ein Fachmann. Verdammt, wenn wir wegen einer lausigen Mütze die ganze Szene noch einmal drehen müssen!«

Wir gingen in die Kantine. Holt bestellte Whisky und Soda. Ich wunderte mich nicht darüber, wie hübsch und gepflegt die Kell nerinnen waren. Wahrscheinlich lauerten sie alle darauf, ent deckt zu werden.»Ich muß Sie noch etwas fragen wegen der Degas-Zeichnungen«, sagte Holt nach einer Weile.»Sie sind doch echt, nicht wahr? Nehmen Sie es nicht übel, aber man hat mir ge sagt, es gäbe einen Haufen falsche.«

«Da ist nichts übelzunehmen, Joe. Sie haben das Recht, das ge nau zu wissen. Die Zeichnungen tragen keine eigenhändige Un terschrift, sondern einen roten Stempel mit dem Namen Degas. Das ist es doch, was Sie stört, wie?«

Holt nickte.»Der Stempel ist der Atelierstempel. Die Zeichnun gen stammen aus dem Nachlaß von Degas und sind nach seinem Tode gestempelt worden. Es gibt Bücher mit Abbildungen dar über. Flerr Silvers, der mit mir hier ist, hat sie bei sich und wird sie Ihnen gerne zeigen. Warum besuchen Sie ihn nicht? Sind Sie hier fertig?«

«In einer Stunde. Aber ich glaube Ihnen, Robert.«

«Ich glaube mir selbst oft nicht, Joe. Wollen wir uns um sechs im Beverly-Hills-Hotel treffen? Dann können Sie sich selbst über zeugen. Silvers wird Ihnen außerdem eine Kaufbestätigung mit Garantie geben. Das gehört sich ja so.«

«Gut.«

Silvers empfing uns auf seinem hellblauen Sofa. Es war ihm nicht anzumerken, daß sein Besuch in Hollywood bis jetzt eine große Pleite gewesen war. Er zeigte sich sehr überlegen und ließ mich eine Bestätigung der Nachlaßauktion ausfertigen, eine Garantie und eine Photographie der beiden Zeichnungen fügte er bei.»Sie haben die beiden Stücke fast geschenkt bekommen«, erklärte er großspurig.»Herr Ross, mein Assistent vom Louvre, hat mit dem Verkauf eigentlich nichts zu tun. Er hat deshalb von mir meine Einkaufspreise genannt bekommen. Dadurch ist ein Ver sehen passiert. Er hat nicht gewußt, daß das nicht die Verkaufs preise waren, sondern hat Ihnen die Bilder zu dem Preis ver kauft, den sie mich selbst vor einem Jahr gekostet haben. Wenn ich sie heute wieder kaufen wollte, müßte ich mindestens fünfzig Prozent mehr zahlen.«

«Wollen Sie den Kauf rückgängig machen?«fragte Holt.

Silvers winkte ab.»Verkauft ist verkauft. Ich wollte Ihnen nur gratulieren. Sie haben glänzend gekauft.«

Silvers wurde freundlicher und bestellte Kaffee und Kognak.»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte er.»Ich kaufe Ihnen die beiden Zeichnungen mit zwanzig Prozent Nutzen wieder ab, wenn Sie wollen. Sofort. «Er griff an seine Jadcett-Tasche, als wolle er einen Scheck hervorholen.

Ich wartete gespannt, wie Holt auf diesen Bauernfängertrick reagieren würde. Er reagierte richtig. Er erklärte, die Bilder gekauft zu haben, weil sie ihm gefielen. Er wolle sie behalten. Im Gegenteil, er wolle die Option, die ich ihm nachts auf die beiden Picassos gegeben hatte, ausführen und sie ebenfalls kaufen.

Ich blickte ihn erstaunt an; ich erinnerte mich an keine Option und glaubte, das Glitzern der Geschäftsgier in Holts Augen zu entdecken. Er hatte schnell geschaltet.

«Eine Option?«fragte Silvers mich.»Haben Sie eine gegeben?«Ich schaltete ebenfalls schnell. Ich wußte nichts davon. Holt schwindelte wahrscheinlich. Hoffentlich wußte er die Preise nicht mehr allzu genau.»Es stimmt«, sagte ich.»Eine Option. Bis heute abend.«

«Für wieviel?«

«Sechstausend Dollar.«

«Für eine?«fragte Silvers.

«Für beide«, antwortete Holt.

«Stimmt das?«fragte Silvers scharf.

Ich ließ den Kopf hängen. Es waren zweitausend Dollar mehr, als Silvers für beide Zeichnungen angesetzt hatte.»Es stimmt«, sagte ich.

«Sie ruinieren mich, Herr Ross«, sagte Silvers überraschend milde.

«Wir haben sehr viel getrunken«, erklärte ich.»Ich bin das nicht so gewohnt.«

Holt lachte.»Ich habe beim Trinken einmal zwölftausend Dollar im Backgammon verloren«, erklärte er.»War eine gute Lehre. «Silvers’ Augen hatten bei den Worten» Zwölftausend Dollar «ein ähnliches kurzes Leuchten bekommen wie die von Holt.»Las sen Sie es sich auch eine Lehre sein, Ross«, sagte er.»Sie sind nun einmal ein Gelehrter und kein Geschäftsmann. Ihr Reich sind die Museen!«

Ich zuckte einen Moment zusammen.»Mag sein«, sagte ich dann und blickte in den Abend, in dessen weitem Blau sich die letzten weißen Tennisspieler tummelten. Der Swimming-pool war leer, dafür tranken Leute an kleinen runden Tischen Erfrischungsge tränke, und aus der Bar nebenan kam gedämpfte Musik. Ich hatte plötzlich eine so zerstörerische Sehnsucht nach Natascha, meiner Kindheit, nach längst vergessenen Jugendträumen und nach meinem verlorenen Leben, daß ich glaubte, es nicht mehr ertragen zu können. Verzweifelt erkannte ich, daß ich mich nie mehr befreien konnte und den finsteren Rest nach den finsteren Gesetzen der Sinnlosigkeit weiter zerstören mußte. Es gab keine Rettung, fühlte ich, und alles, was ich erhoffen konnte, war diese Oase der Windstille, die sich mir geöffnet hatte, während draußen der Bergrutsch der Katastrophen weiterging. Ich wollte sie schmerzlich genießen und spüren, mit allen Sinnen, denn sie war ein kurzes Geschenk, und mit grausamer Ironie würde sie zu Ende sein, wenn die Welt anfangen sollte, aufzuatmen und sich zur Siegesfeier des Friedens zu rüsten. Dann würde mein eigener einsamer Feldzug beginnen, der nur ins Verderben führen und dem ich nicht entgehen konnte.

«Also gut, Herr Holt«, sagte Silvers und steckte den zweiten Scheck achtlos ein.»Lassen Sie sich noch einmal gratulieren! Sie haben einen hübschen Anfang zu einer feinen Sammlung ge macht. Vier Zeichnungen von zwei großen Meistern! Gelegentlich zeige ich Ihnen einmal einige Pastelle von Picasso. Jetzt habe ich keine Zeit mehr. Ich bin zum Essen eingeladen. Es hat sich schon herumgesprochen, daß ich angekommen bin. Oder, wenn wir hier nicht dazu kommen, dann vielleicht einmal in New York.«

Ich klatschte ihm lautlos Beifall, ohne meine Hände zu rühren. Ich wußte, daß er keine Verabredung zum Essen hatte. Aber ich wußte auch, daß Holt erwartete, Silvers würde jetzt versuchen, ihm ein größeres Bild anzudrehen. Auch Silvers wußte das, und darum verzichtete er darauf. Das wiederum überzeugte Holt davon, ein — gutes Geschäft gemacht zu haben. Er war, nach Silvers’ Ausdruck, jetzt reif.

«Kopf hoch, Robert«, tröstete mich Joe.»Ich hole die Bilder morgen abend ab.«

«Gut. Joe.«

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