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Die Redaktion bereitete sich auf die Abendnachrichten vor.

Dana saß in Studio A am Moderatorenpult und sah die letzten Änderungen im Text durch. Den ganzen Tag über waren von den Presseagenturen und von der Polizei die neuesten Nachrichten eingegangen, überprüft und ausgewählt oder verworfen worden.

Neben Dana saßen Jeff Connors und Richard Melton. Anastasia Mann zählte mit ausgestreckten Fingern die Sekunden bis Sendebeginn ab. Dann blinkte das rote Licht an der Kamera auf.

»Es ist dreiundzwanzig Uhr«, ertönte die Stimme des Ansagers. »Hier sind die neuesten Nachrichten, live auf WTN mit Dana Evans« - Dana lächelte in die Kamera - »und Richard Melton.« Melton blickte in die Kamera und nickte. »Dazu Jeff Connors mit dem Neuesten vom Sport und Marvin Greer mit dem Wetter. Hier sind die Ereignisse des Tages.«

Dana schaute in die Kamera. »Guten Abend. Ich bin Dana Evans.«

Richard Melton lächelte. »Und ich bin Richard Melton.«

Dana las vom Teleprompter ab. »Zunächst unser heutiges Hauptthema. Nach einer Verfolgungsjagd stellte die Polizei heute zwei Männer, die ein Spirituosengeschäft in der Innenstadt überfallen wollten.«

»Band ab.«

Auf dem Monitor war die Kabine eines Hubschraubers von innen zu sehen. Norman Bronson, ein ehemaliger Pilot der Marineinfanterie, steuerte den WTN-Helikopter. Neben ihm saß Alyce Barker. Dann schwenkte die Kamera nach unten, zum Boden, wo drei Polizeiwagen um eine Limousine herumstanden, die einen Baum gerammt hatte.

»Zu der Verfolgungsjagd kam es, nachdem zwei Männer den Haley Liquor Store an der Pennsylvania Avenue betreten und die Tageseinnahmen verlangt hatten. Der Verkäufer weigerte sich, drückte den Alarmknopf und verständigte dadurch die Polizei. Die Räuber ergriffen die Flucht, worauf die Polizei die Verfolgung aufnahm, bis die Verdächtigen nach rund sechs Kilometern mit ihrem Wagen gegen einen Baum stießen.«

Die wilde Jagd war vom neuen Hubschrauber des Senders aus aufgenommen worden. Wirklich toll, dass Matt Elliot dazu gebracht hat, einen neuen Helikopter zu kaufen, dachte Dana. Damit stehen uns ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung.

Danach kamen drei weitere Beiträge, ehe ihnen die Regisseurin das Zeichen gab, dass eine Werbepause anstand. »Wir sind gleich wieder für Sie da«, sagte Dana.

Der erste Werbespot kam.

Richard Melton wandte sich an Dana. »Hast du mal rausgeschaut? Da draußen ist der Deibel los.«

»Ich weiß.« Dana lachte. »Unser armer Wetterfrosch kriegt bestimmt wieder jede Menge böser Briefe.«

Das rote Licht an der Kamera ging wieder an. Der Teleprompter war einen Moment lang dunkel, dann liefen die ersten Zeilen über den Bildschirm. Dana las sie vor. »Ich möchte, dass wir an Silvester -« Sie stockte verdutzt, las dann den weiteren Text, der da lautete: ...heiraten. Dann haben wir jedes neue Jahr einen Grund mehr zum feiern.

Grinsend stand Jeff neben dem Teleprompter.

Dana blickte betreten in die Kamera. »Wir -«, sagte sie stockend, »wir machen jetzt eine weitere kurze Werbepause.« Das rote Licht ging aus.

Dana stand auf. »Jeff!«

Sie gingen aufeinander zu und schlossen sich in die Arme. »Was sagst du dazu?«, fragte er.

Sie hielt ihn eng umschlungen. »Ich sage Ja«, flüsterte sie.

Rundum ertönten die Hochrufe der Mitarbeiter.

»Wie möchtest du’s denn gern, Liebling?«, fragte Jeff, als sie nach der Sendung endlich allein waren. »Eine große Hochzeit, eine kleine Hochzeit oder irgendwas dazwischen?«

Schon von klein auf hatte sich Dana überlegt, wie sie eines Tages heiraten wollte. Stets hatte sie sich vorgestellt, dass sie in einem prachtvollen Kleid aus weißer Spitze mit einer endlos langen Schleppe vor den Traualtar trat. Im Kino hatte sie gesehen, wie hektisch und aufgeregt es zuging, wenn man eine Hochzeit vorbereiten musste ... die Gästeliste zusammenstellen ... für das Bankett sorgen ... die Brautjungfern aussuchen . die richtige Kirche wählen . All ihre Freundinnen und Freunde sollten dabei sein, ihre Mutter. Es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Und jetzt war es soweit.

»Dana ...?«, sagte Jeff. Er wartete auf ihre Antwort.

Wenn ich eine große Hochzeit mit allem Drum und Dran feiere, dachte Dana, muss ich meine Mutter und ihren Mann einladen. Aber das kann ich Kemal nicht antun.

»Lass uns irgendwo hinfahren«, sagte Dana.

Jeff nickte verdutzt. »Von mir aus, wenn du das möchtest.«

Kemal war schier aus dem Häuschen, als er die Neuigkeit erfuhr. »Du meinst, Jeff ist dann ständig bei uns?«

»Ganz recht. Wir sind alle zusammen. Dann hast du eine richtige Familie, mein Schatz.« Dana saß eine Stunde lang an Kemals Bett und unterhielt sich mit ihm über ihr zukünftiges Dasein. Sie würden alle drei zusammen leben, gemeinsam in Urlaub fahren, immer füreinander da sein.

Als Kemal schlief, begab sich Dana in ihr Zimmer und schaltete den Computer ein. Wohnungen, Wohnungen. Wir brauchen zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer, ein Wohnzimmer, Küche, Esszimmer und nach Möglichkeit ein, zwei Arbeitszimmer. Das sollte nicht allzu schwer zu finden sein. Dana dachte an Gary Winthrops leer stehende Stadtvilla und prompt schweiften ihre Gedanken ab. Was ist in dieser Nacht wirklich geschehen? Wer hat die Alarmanlage ausgeschaltet? Und wie sind die Einbrecher in das Haus gelangt, wenn es keinerlei Hinweis auf Gewaltanwendung gibt? Unwillkürlich gab sie den Namen »Winthrop« ein. Was, zum Teufel, ist mit mir los? Am Bildschirm tauchte die gleiche Auskunft auf, die Dana bereits zuvor gesehen hatte.

Regional > US-Staaten > Washington D.C. > Regierung > Politik > Federal Research Agency

Winthrop, Taylor - diente als Botschafter in Russland und handelte bedeutende Wirtschaftsabkommen mit Italien aus .

Winthrop, Taylor - Unternehmer und Milliardär, der sich um sein Land verdient machte .

Winthrop, Taylor - die Familie Winthrop begründete zahlreiche karitative Stiftungen, mit denen Schulen, öffentliche Bibliotheken und Förderprogramme für innerstädtische Wohngebiete unterstützt wurden .

Im Internet tauchten die Winthrops auf vierundfünfzig Websites auf. Dana wollte gerade wieder auf Wohnungen umschalten, als ihr eine weitere Eintragung auffiel.

Winthrop, Taylor - Rechtsstreit. Joan Sinisi, ehemalige Sekretärin von Taylor Winthrop, reichte Klage gegen ihn ein, zog sie später aber wieder zurück.

Dana las die Eintragung noch einmal. Was für ein Rechtsstreit?, fragte sie sich.

Sie suchte weiter unter dem Stichwort Winthrop, stieß aber auf keinen weiteren Hinweis. Dana gab den Namen Joan Sinisi ein. Keine weiteren Meldungen.

»Ist diese Verbindung sicher?«

»Ja.«

»Ich möchte eine Zusammenstellung der Websites, die diese Person ansurft.«

»Wir werden uns der Sache unverzüglich annehmen.«

Als Dana am Morgen darauf in ihr Büro kam, nachdem sie Kemal zur Schule gebracht hatte, schlug sie im Telefonbuch von Washington nach. Keine Joan Sinisi. Sie versuchte es im Telefonbuch von Maryland . Virginia . Vergebens. Vermutlich ist sie weggezogen, dachte Dana.

Tom Hawkins, der Produzent ihrer Sendung, kam in Danas Büro. »Gestern Abend haben wir die Konkurrenz wieder abgehängt.«

»Großartig.« Dana dachte einen Moment lang nach. »Tom, kennen Sie jemanden bei der Telefongesellschaft?«

»Klar. Wollen Sie einen neuen Anschluss?«

»Nein. Ich möchte feststellen, ob jemand möglicherweise eine Geheimnummer hat. Meinen Sie, Sie könnten das in Erfahrung bringen?«

»Wie lautet der Name?«

»Sinisi. Joan Sinisi.«

Er runzelte die Stirn. »Wieso kommt mir der Name irgendwie bekannt vor?«

»Sie war in einen Rechtsstreit mit Taylor Winthrop verwickelt.«

»Ach ja. Jetzt fällt’s mir wieder ein. Ist vielleicht ein, zwei Jahre her. Sie waren damals in Jugoslawien. Ich dachte, das gibt eine heiße Story, aber die Sache wurde ziemlich rasch beigelegt. Vermutlich steckt sie mittlerweile irgendwo in Europa, aber ich will mal sehen, ob ich was rausfinde.«

Eine Viertelstunde später meldete sich Olivia Watkins. »Tom möchte Sie sprechen.«

»Tom?«

»Joan Sinisi wohnt nach wie vor in Washington. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ihre Geheimnummer geben.«

»Wunderbar«, sagte Dana. Sie nahm einen Stift. »Schießen Sie los.«

»Fünf-fünf-fünf-zwo-sechs-neun-null.«

»Vielen Dank.«

»Schenken Sie sich das Dankeschön. Laden Sie mich lieber zum Lunch ein.«

»Wird gemacht.«

Die Bürotür ging auf, und Dean Ulrich, Robert Fenwick und Maria Toboso, drei Autoren, die für die Fernsehnachrichten tätig waren, kamen herein.

»Das wird heute Abend eine ziemlich blutrünstige Nachrichtensendung«, sagte Robert Fenwick. »Wir haben zwei Eisenbahnunglücke, einen Flugzeugabsturz und einen schweren Erdrutsch.«

Alle vier nahmen sich die eingehenden Nachrichten vor. Als die Besprechung zwei Stunden später vorüber war, griff Dana zu dem Zettel mit Joan Sinisis Nummer und rief an.

Eine Frauenstimme meldete sich. »Bei Miss Sinisi.«

»Könnte ich bitte Miss Sinisi sprechen? Mein Name ist Dana Evans.«

»Mal sehen, ob sie an den Apparat kommen kann. Einen Moment bitte.«

Dana wartete. Kurz darauf meldete sich eine andere Frauenstimme, leise und zaghaft. »Hallo .«

»Miss Sinisi?«

»Ja.« »Dana Evans hier. Ich wollte fragen, ob -«

»Die Dana Evans?«

»Äh - ja.«

»Oh! Ich sehe mir jeden Abend Ihre Sendung an. Ich bin ein großer Fan von Ihnen.«

»Vielen Dank«, sagte Dana. »Sehr schmeichelhaft. Ich wollte Sie fragen, ob Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit für mich hätten, Miss Sinisi. Ich möchte mit Ihnen sprechen.«

»Wirklich?« Sie klang angenehm überrascht, fast freudig.

»Ja. Könnten wir uns irgendwo treffen?«

»Na ja, sicher. Möchten Sie hierher kommen?«

»Das wäre bestens. Wann würde es Ihnen passen?«

Ein kurzes Zögern. »Jederzeit. Ich bin den ganzen Tag über hier.«

»Wie wäre es mit morgen Nachmittag, sagen wir gegen zwei Uhr?«

»In Ordnung.« Sie nannte Dana die Adresse.

»Dann bis morgen«, sagte Dana. Sie legte den Hörer auf. Wieso mache ich überhaupt weiter? Na ja, dieses eine Gespräch noch, dann ist Schluss damit.

Am folgenden Nachmittag um vierzehn Uhr fuhr Dana vor dem Hochhaus an der Prince Street vor, in dem Joan Sinisi wohnte. Ein Pförtner in Uniform stand an der Tür. Dana blickte zu dem eindrucksvollen Gebäude auf und dachte: Wie kann sich eine Sekretärin hier eine Wohnung leisten? Sie stellte ihren Wagen ab, ging in die Eingangshalle und begab sich zu dem Mann an der Rezeption.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«

»Ich bin mit Miss Sinisi verabredet. Dana Evans ist mein Name.«

»Ja, Miss Evans. Sie erwartet Sie. Fahren Sie mit dem Aufzug ins Penthouse. Apartment A.«

Ins Penthouse?

Dana stieg im obersten Stockwerk aus dem Fahrstuhl und klingelte an der Tür von Apartment A. Ein Dienstmädchen in Uniform öffnete ihr.

»Miss Evans?«

»Ja.«

»Treten Sie bitte ein.«

Joan Sinisi lebte in einer Zwölf-Zimmer-Wohnung mit einer riesigen Dachterrasse, von der aus man über die ganze Stadt blicken konnte. Das Dienstmädchen führte Dana durch einen langen Korridor in einen großen Salon, der ganz in Weiß gehalten und herrlich ausgestattet war. Eine kleine, schlanke Frau saß auf der Couch. Sie erhob sich, als Dana eintrat.

Joan Sinisis Anblick überraschte Dana. Sie hatte nicht gewusst, worauf sie sich gefasst machen sollte, doch so jemanden wie die Frau, die soeben aufgestanden war, um sie zu begrüßen, hatte sie gewiss nicht erwartet. Joan Sinisi war schmächtig und unscheinbar, mit stumpfen braunen Augen, die sie hinter einer dicken Brille versteckte. Sie klang schüchtern und war kaum zu verstehen.

»Es ist mir eine große Freude, Sie persönlich kennen zu lernen, Miss Evans.«

»Danke, dass Sie mich empfangen«, sagte Dana. Sie nahm neben Joan Sinisi auf einer großen weißen Couch vor der Dachterrasse Platz.

»Ich wollte gerade Tee trinken. Möchten Sie vielleicht auch eine Tasse?«

»Vielen Dank.«

Joan Sinisi wandte sich an das Dienstmädchen. »Greta, könnten Sie uns vielleicht eine Kanne Tee bringen?«, sagte sie beinahe unterwürfig.

»Ja, Ma’am.«

»Danke, Greta.«

Irgendwie hat das Ganze hier etwas Unwirkliches an sich, dachte Dana. Joan Sinisi passt einfach nicht in dieses Penthouse. Wie kann sie sich das leisten? Auf was für einen Vergleich hat Taylor Winthrop sich da eingelassen? Und worum ging es in dem Rechtsstreit überhaupt?

»... und ich lasse mir Ihre Sendung nie entgehen«, sagte Joan Sinisi gerade mit leiser Stimme. »Ich finde Sie ganz wunderbar. «

»Vielen Dank.«

»Ich weiß noch genau, wie Sie aus Sarajevo berichtet haben, als rundum geschossen wurde und überall Bomben fielen. Ich hatte immerzu Angst, dass Ihnen etwas zustoßen könnte.«

»Ich ehrlich gesagt auch.«

»Es muss eine schreckliche Erfahrung gewesen sein.«

»Ja, in gewisser Hinsicht schon.«

Greta brachte ein Tablett mit einer Teekanne und Kuchen. Sie stellte es auf dem Tisch vor den beiden Frauen ab.

»Ich gieße ein«, sagte Joan Sinisi.

Dana sah zu, wie sie den Tee eingoss.

»Möchten Sie ein Stück Kuchen?«

»Nein, danke.«

Joan Sinisi reichte Dana eine Tasse Tee, dann goss sie sich ebenfalls eine ein. »Wie gesagt, ich bin ganz begeistert, Sie kennen zu lernen, aber ich - ich habe keine Ahnung, worüber Sie mit mir reden wollen.«

»Ich möchte mit Ihnen über Taylor Winthrop sprechen.«

Joan Sinisi zuckte zusammen und kippte sich etwas Tee über den Schoß. Ihr Gesicht war kreidebleich geworden.

»Ist alles in Ordnung?«

»Ja, mir - mir fehlt nichts.« Sie tupfte sich den Rock mit einer Serviette ab. »Ich - ich wusste nicht, was Sie von mir wollen ...« Sie verstummte.

Die Stimmung war mit einem Mal umgeschlagen. »Sie waren Taylor Winthrops Sekretärin, nicht wahr?«, sagte Dana.

»Ja«, sagte Joan Sinisi vorsichtig. »Aber ich bin vor knapp zwei Jahren bei Mr. Winthrop ausgeschieden. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.« Die Frau zitterte regelrecht.

»Ich habe so viel Gutes über Taylor Winthrop gehört«, sagte Dana beruhigend. »Ich habe mich nur gefragt, ob Sie ebenfalls etwas dazu beitragen können.«

Joan Sinisi wirkte erleichtert. »O ja, aber natürlich. Mr. Winthrop war ein großer Mann.«

»Wie lange waren Sie für ihn tätig?«

»Fast drei Jahre.«

Dana lächelte. »Es muss eine wunderbare Erfahrung gewesen sein.«

»Ja, ja, das war es, Miss Evans.« Sie klang jetzt weitaus gelöster.

»Aber Sie haben eine Klage gegen ihn angestrengt.«

Wieder warf ihr Joan Sinisi einen furchtsamen Blick zu. »Nein - ich meine, ja. Aber es war ein Fehler, verstehen Sie? Ich habe einen Fehler begangen.«

»Was für einen Fehler?«

Joan Sinisi schluckte. »Ich - ich habe etwas missverstanden, das Mr. Winthrop zu jemand sagte. Ich habe mich dumm benommen. Ich schäme mich dafür.«

»Sie haben ihn verklagt, aber Sie sind damit nicht vor Gericht gegangen?«

»Nein. Er - wir haben uns außergerichtlich geeinigt. Es war ja nichts weiter.«

Dana blickte sich in dem Penthouse um. »Aha. Können Sie mir verraten, wie diese Einigung aussah?«

»Nein, das kann ich leider nicht«, erwiderte Joan Sinisi. »Es ist alles streng vertraulich.«

Dana fragte sich, was es wohl gewesen sein könnte, das diese schüchterne Frau dazu bewegt hatte, eine Klage gegen einen Giganten wie Taylor Winthrop anzustrengen, und wieso sie so davor zurückschreckte, darüber zu sprechen. Wovor hatte sie Angst?

Eine ganze Zeit lang herrschte Schweigen. Joan Sinisi betrachtete Dana, und Dana hatte das Gefühl, dass sie irgendetwas sagen wollte.

»Miss Sinisi -«

Joan Sinisi stand auf. »Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht mehr - wenn das alles war, Miss Evans .«

»Ich verstehe schon«, sagte Dana.

Ich wünschte, es wäre so.

Er legte die Kassette in den Recorder ein, drückte die Abspieltaste.

Ich - ich habe etwas missverstanden, das Mr. Winthrop zu jemand sagte. Ich habe mich dumm benommen. Ich schäme mich dafür.

Sie haben ihn verklagt, aber Sie sind damit nicht vor Gericht gegangen?

Nein. Er - wir haben uns außergerichtlich geeinigt. Es war ja nichts weiter.

Aha. Können Sie mir verraten, wie diese Einigung aussah? Nein, das kann ich leider nicht. Es ist alles streng vertraulich.

Miss Sinisi -

Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht mehr - wenn das alles war, Miss Evans ...

Ich verstehe schon.

Ende der Aufnahme.

Es hatte begonnen.

Dana war am nächsten Morgen mit einem Immobilienmakler verabredet, der ihr ein paar Wohnungen zeigen wollte, doch es war reine Zeitverschwendung. Dana und der Makler gingen etliche Angebote in Georgetown, rund um den Dupont Circle und im Bezirk Adams-Morgan durch. Aber die Wohnungen waren entweder zu klein, zu groß oder zu teuer. Als es auf Mittag zuging, hätte Dana am liebsten aufgegeben.

»Keine Sorge«, beruhigte sie der Immobilienmakler. »Wir werden genau das Richtige für Sie finden.«

»Das will ich doch hoffen«, erwiderte Dana. Und zwar bald.

Joan Sinisi ging Dana nicht mehr aus dem Kopf. Was hatte sie gegen Taylor Winthrop in der Hand, womit hatte sie ihn dazu gebracht, dass er sie mit einem Penthouse und wer weiß was sonst noch allem abfand? Sie wollte mir irgendetwas erzählen, dachte Dana, da bin ich mir völlig sicher. Ich muss noch mal mir ihr reden.

Dana rief in Joan Sinisis Wohnung an. »Guten Tag«, meldete sich Greta.

»Greta, Dana Evans noch mal. Ich möchte bitte mit Miss Sinisi sprechen.«

»Tut mir Leid. Miss Sinisi ist nicht zu sprechen.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

Eine blasse Sonne kam gelegentlich zwischen eisgrauen Wolken heraus, als Dana Kemal am folgenden Morgen vor der Schule absetzte. An den Straßenecken in der ganzen Stadt bimmelten Weihnachtsmänner mit ihren Glocken und baten um milde Gaben.

Ich muss bis Silvester eine Wohnung für uns drei finden, dachte Dana.

Im Studio angekommen, setzte sich Dana mit den Mitgliedern der Nachrichtenredaktion zusammen und besprach mit ihnen den ganzen Morgen lang die Themen, die sie behandeln wollten, und die Schauplätze, an denen sie dafür Videobänder aufnehmen mussten. Im einen Fall ging es um einen besonders brutalen Mord, der noch immer ungelöst war, und Dana musste einmal mehr an die Winthrops denken.

Wieder rief sie bei Joan Sinisi an.

»Guten Tag.«

»Greta, ich muss unbedingt mit Miss Sinisi sprechen. Bestellen Sie ihr, dass Dana Evans -«

»Sie will nicht mit Ihnen sprechen, Miss Evans.« Die Verbindung wurde unterbrochen.

Was geht da vor sich?, fragte sich Dana.

Dana suchte Matt Baker auf. Abbe Lasmann begrüßte sie.

»Herzlichen Glückwunsch! Soweit ich weiß, steht der Termin für die Hochzeit fest.«

Dana lächelte. »Ja.«

Abbe seufzte. »Was für ein romantischer Antrag.«

»So ist mein Zukünftiger eben.«

»Dana, unsere Ratgeberin in Sachen Liebeskummer sagt, man soll nach der Hochzeit losziehen, ein paar Tüten mit Lebensmittelkonserven kaufen und sie im Kofferraum des Wagens verstauen.«

»Wozu, um Himmels willen ...?«

»Sie sagt, wenn man irgendwann im Laufe der Zeit mal Lust auf ein bisschen Spaß außer der Reihe kriegt, zu spät nach Hause kommt und der liebe Gatte dann fragt, wo man gewesen ist, kann man einfach die Tüten vorweisen und sagen: >Einkaufen<. Dann -«

»Besten Dank, meine gute Abbe. Ist Matt zu sprechen?«

»Ich sage ihm Bescheid, dass Sie da sind.«

Kurz darauf trat Dana in Matts Büro.

»Setzen Sie sich, Dana. Gute Nachrichten. Wir haben gerade die neuesten Nielsen-Quoten erhalten. Wir haben die Konkurrenz gestern Abend wieder um Längen geschlagen.«

»Großartig, Matt. Ich habe mit einer ehemaligen Sekretärin von Taylor Winthrop gesprochen, und sie -«

Er grinste. »Ihr Jungfrauen lasst wohl nie locker, was? Sie haben mir doch gesagt, dass Sie -«

»Ich weiß, aber hören Sie mal zu. Sie hat Taylor Winthrop seinerzeit verklagt, als sie noch für ihn gearbeitet hat. Die Sache kam nie vor Gericht, weil er sich vorher mit ihr geeinigt hat. Sie wohnt in einem riesigen Penthouse, das sie sich mit einem Sekretärinnengehalt niemals leisten könnte, folglich muss sie eine gewaltige Abfindung bekommen haben. Als ich den Namen Winthrop erwähnte, war die Frau mit einem Mal verängstigt, völlig verängstigt. Sie benahm sich so, als ob sie um ihr Leben fürchtet.«

»Hat sie gesagt, dass sie um ihr Leben fürchtet?«, sagte Matt Baker geduldig.

»Nein.«

»Hat sie gesagt, dass sie Angst vor Taylor Winthrop hatte?«

»Nein, aber -«

»Dann könnte sie also genauso gut Angst vor einem gewalttätigen Freund haben oder vor Einbrechern unter ihrem Bett. Sie haben nicht das Geringste in der Hand, oder?«

»Na ja, ich -« Dana sah seinen Gesichtsausdruck. »Nichts Konkretes.«

»Genau. Also, was die Nielsens angeht ...«

Joan Sinisi sah sich die Abendnachrichten auf WTN an. »... und nun zu dem Neuesten aus dem Inland«, sagte Dana gerade. »Die Zahl der in den Vereinigten Staaten begangenen Straftaten ist in den letzten zwölf Monaten um siebenundzwanzig Prozent gesunken. Den größten Rückgang in der Verbrechensstatistik haben Los Angeles, San Francisco und Detroit zu verzeichnen .«

Joan Sinisi musterte Danas Gesicht, betrachtete ihre Augen und versuchte eine Entscheidung zu treffen. Sie schaute sich die ganze Nachrichtensendung an, und als sie vorüber war, hatte sie einen Entschluss gefasst.

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