Eddard

Das Stroh am Boden stank nach Urin. Es gab kein Fenster, kein Bett, nicht einmal einen Eimer, Er erinnerte sich an hellroten Stein, mit Flecken von Salpeter überzogen, eine graue Tür aus gesplittertem Holz, zwei Handbreit dick und mit Eisen beschlagen. Er hatte sie gesehen, kurz, einen Blick darauf geworfen, als man ihn hineinstieß. Seit die Tür verschlossen war, hatte er nichts mehr gesehen. Das Dunkel war vollkommen. Er hätte ebenso blind sein können.

Oder tot. Mit seinem König begraben.»Ach, Robert«, murmelte er, während seine Hand über eine kalte Steinwand tastete und bei jeder Bewegung der Schmerz in seinem Bein pulsierte. Er dachte an den Scherz, den der König in der Gruft von Winterfell gemacht hatte, als die Könige von Winter sie mit kalten, steinernen Augen anstarrten. Der König speist, hatte Robert gesagt, und an der Rechten Hand bleibt die Scheiße kleben. Wie hatte er gelacht! Doch hatte er es falsch verstanden. Stirbt der König, dachte Ned, wird die Rechte Hand begraben.

Der Kerker lag unter dem Red Keep, tiefer, als er sich vorzustellen wagte. Alte Geschichten von Maegor dem Grausamen fielen ihm ein, der sämtliche Maurer, die ihm seine Burg erbaut hatten, ermordet hatte, damit sie deren Geheimnisse nicht preisgeben konnten.

Er verfluchte sie alle: Littlefinger, Janos Slynt und seine Goldröcke, die Königin, den Königsmörder, Pycelle und Varys und Ser Barristan, sogar Lord Renly, Roberts eigen Blut, der geflohen war, als er am dringendsten gebraucht wurde. Doch am Ende gab er sich selbst die Schuld.»Dummkopf«, rief er in die Finsternis,»dreimal vermaledeiter, blinder Narr!«

Cersei Lannisters Gesicht schien vor ihm in der Dunkelheit zu schweben. Ihr Haar war voller Sonnenlicht, in ihrem Lächeln jedoch lagen Hohn und Spott.»Wenn man das Spiel um Throne spielt, gewinnt man oder stirbt«, flüsterte sie. Ned hatte gespielt und verloren, und seine Männer hatten seine Torheit mit ihrem Leben bezahlt.

Wenn er an seine Töchter dachte, hätte er gern geweint, doch wollten die Tränen nicht kommen. Selbst jetzt noch war er ein Stark von Winterfell; Trauer und Zorn erstarrten in ihm zu Eis.

Wenn er ganz stillhielt, schmerzte sein Bein nicht so sehr, also tat er sein Bestes, sich nicht zu bewegen. Wie lange, konnte er nicht sagen. Es gab keine Sonne, keinen Mond. Er konnte keine Wände sehen. Ned schloß die Augen und schlug sie wieder auf. Es machte keinen Unterschied. Er schlief und wachte auf und schlief dann wieder ein. Er wußte nicht, was schmerzlicher war, aufzuwachen oder einzuschlafen. Wenn er schlief, träumte er: düstere, verstörende Träume von Blut und gebrochenen Versprechen. Wenn er erwachte, gab es für ihn nichts zu tun als denken, und das war schlimmer als die Alpträume. Der Gedanke an Cat brannte schmerzlich wie ein Nesselbeet. Er fragte sich, wo sie sein mochte, was sie tat. Er fragte sich, ob er sie jemals wiedersehen würde.

Stunden wurden zu Tagen, so zumindest schien es. Er fühlte dumpfen Schmerz in seinem zertrümmerten Bein, ein Zucken unter dem Gips. Wenn er seinen Oberschenkel berührte, fühlte sich die Haut an seinen Fingern heiß an. Hören konnte er nur seinen Atem. Nach einiger Zeit fing er an, laut zu reden, nur um eine Stimme zu hören. Er schmiedete Pläne, um nicht den Verstand zu verlieren, baute Schlösser der Hoffnung in der Finsternis. Roberts Brüder waren draußen unterwegs, sammelten Armeen auf Dragonstone und in Storm's End. Alyn und Harwin würden mit dem Rest seiner Leibgarde nach King's Landing zurückkehren, wenn sie sich erst um Ser Gregor gekümmert hätten. Catelyn würde dafür sorgen, daß sich der Norden erhob, wenn sie erst Nachricht erhielt und die Lords von Fluß und Berg und Grünem Tal würden sich ihr anschließen.

Er merkte, daß er mehr und mehr an Robert dachte. Er sah den König, wie er in der Blüte seiner Jugend stand, groß und ansehnlich, mit seinem gehörnten Helm auf dem Kopf, den Streithammer in der Hand, auf seinem Pferd wie ein Gott mit Hörnern. Er hörte sein Gelächter in der Dunkelheit, sah seine Augen, blau und klar wie Bergseen.»Sieh uns an, Ned«, sagte Robert.»Bei allen Göttern, wie konnte es so weit kommen? Du hier und ich von einem Schwein ermordet. Wir haben gemeinsam einen Thron erstritten… «

Ich habe dich im Stich gelassen, Robert, dachte Ned. Er konnte die Worte nicht aussprechen. Ich habe dich belogen, die Wahrheit vertuscht. Ich habe zugelassen, daß sie dich töten.

Der König hörte ihn.»Du steifnackiger Narr«, murmelte er,»zu stolz, um zuzuhören. Kann man Stolz essen, Stark? Schützt Ehre deine Kinder?«Risse gingen durch sein Gesicht, Furchen, die die Haut sprengten, und er griff nach oben und riß die Maske fort. Es war nicht Robert, es war Littlefinger, grinsend, höhnend. Als er den Mund aufmachte, um zu sprechen, wurden seine Lügen zu fahlen, grauen Motten und flogen davon.

Ned war im Halbschlaf, als Schritte durch den Gang hallten. Anfangs glaubte er, er träumte sie. Es war so lange her, daß er etwas anderes als seine eigene Stimme vernommen hatte. Inzwischen war Ned fiebrig, sein Bein nur dumpfe Qual, seine Lippen ausgetrocknet und gesprungen. Die schwere Holztür öffnete sich knarrend, das plötzliche Licht brannte schmerzlich in den Augen.

Ein Wärter hielt ihm einen Krug entgegen. Der Ton war kühl und feucht. Ned nahm ihn mit beiden Händen und trank gierig. Wasser lief von seinem Mund und tropfte durch seinen Bart. Er trank, bis er glaubte, gleich würde ihm übel werden.»Wie lange…?«fragte er schwach, als er nicht mehr trinken konnte.

Der Wärter war eine Vogelscheuche von einem Mann, mit Rattengesicht und fransigem Bart, im Kettenhemd mit kurzem, ledernem Umhang.»Nicht sprechen«, sagte er und riß Ned den Krug aus der Hand.

«Bitte«, sagte Ned,»meine Töchter…«Krachend fiel die Tür ins Schloß. Er blinzelte, als das Licht verging, ließ das Kinn auf die Brust sinken und rollte sich auf dem Stroh zusammen. Es stank nicht mehr nach Urin und Kot. Es roch nach überhaupt nichts mehr.

Er merkte keinen Unterschied zwischen Wachen und Schlafen. In der Dunkelheit kam die Erinnerung über ihn, so lebendig wie ein Traum. Es war das Jahr des falschen Frühlings, und er war wieder achtzehn Jahre alt, von der Eyrie zum Turnier auf Harrenhal herabgestiegen. Er sah das dunkelgrüne Gras und roch die Pollen im Wind. Warme Tage und kühle Nächte und der süße Geschmack von Wein. Er dachte an Brandons Lachen und Roberts blinde Wut im Turnier, wie er lachte, als er zur Linken und zur Rechten Männer von den Pferden stieß. Er dachte an Jaime Lannister, den güldenen Jüngling in weißer Rüstung, wie er auf dem Gras vor dem Zelt des Königs kniete und seinen Eid ablegte, daß er König Aerys schützen und verteidigen wollte. Danach half Ser Oswell Whent Jaime auf die Beine, und der Weiße Bulle höchstselbst, Lord Commander Ser Gerold Hightower, legte ihm den schneeweißen Umhang der Königsgarde um die Schultern. Alle sechs Weißen Schwerter waren dort, um ihren neuen Bruder zu begrüßen.

Doch als das Turnier begann, gehörte der Tag Rhaegar Targaryen. Der Kronprinz trug die Rüstung, in der er sterben sollte: einen schimmernden, schwarzen Panzer mit dem dreiköpfigen Drachen in Rubinen auf seiner Brust. Eine Fahne von roter Seide flatterte in seinem Rücken, wenn er ritt, und es schien, als könne keine Lanze ihn auch nur berühren. Brandon fiel ihm zum Opfer, und Bronze Yohn Royce, und selbst der

glorreiche Ser Arthur Dayne, das Schwert des Morgens.

Robert hatte mit Jon und dem alten Lord Hunter gescherzt, während der Prinz seine Ehrenrunde um den Platz drehte, nachdem er Ser Barristan im letzten Versuch, die Siegerkrone zu erringen, zu Fall gebracht hatte. Ned erinnerte sich an den Augenblick, da alles Lächeln erstarb, als Prinz Rhaegar Targary en sein Pferd an seiner eigenen Frau, der dornischen Prinzessin Elia Martell, vorüberzwang, um den Lorbeer der Schönheitskönigin Lyanna auf den Schoß zu werfen. Noch heute sah er sie: eine Krone von Winterrosen, blau wie der Frost.

Ned Stark streckte die Hand aus, um nach der Blumenkrone zu greifen, doch unter den blaßblauen Blättern lagen Dornen verborgen. Er fühlte, wie sie an seiner Haut rissen, scharf und unerbittlich, sah das Blut langsam an seinen Fingern heruntertropfen und erwachte zitternd in der Dunkelheit.

Versprich es mir, Ned, hatte seine Schwester auf ihrem Bett aus Blut geflüstert. Sie hatte den Duft der Winterrosen so geliebt.

«Ihr Götter, rettet mich«, weinte Ned.»Ich verliere den Verstand.«

Die Götter ließen sich nicht zu einer Antwort herab.

Jedesmal, wenn der Wärter ihm Wasser brachte, sagte er sich, ein weiterer Tag sei nun verstrichen. Anfangs flehte er den Mann um ein paar Worte über seine Töchter und die Welt jenseits der Zelle an. Als Antwort kamen nur Gegrunze und Tritte. Später, als sich sein Magen zu verkrampfen begann, bettelte er statt dessen um Nahrung. Es machte keinen Unterschied. Er bekam nichts zu essen. Vielleicht wollten die Lannisters ihn verhungern lassen.»Nein«, sagte er zu sich. Wenn Cersei Lannister seinen Tod wollte, hätte sie ihn im Thronsaal zusammen mit seinen Männern niedermachen lassen. Sie wollte ihn lebend, verzweifelt zwar, aber lebend.

Catelyn hatte ihren Bruder in der Gewalt, sie würde nicht wagen, ihn zu töten, sonst wäre auch das Leben des Gnoms in Gefahr.

Von draußen vor seiner Zelle war das Rasseln eiserner Ketten zu hören. Als die Tür sich knarrend öffnete, legte Ned eine Hand an die feuchte Wand und schob sich zum Licht. Das Flackern einer Fackel ließ ihn blinzeln.»Essen«, krächzte er.

«Wein«, antwortete eine Stimme. Es war nicht der rattengesichtige Mann. Dieser Wärter war dicker, kleiner, wenn er auch den gleichen, kurzen Umhang mit dem spießbesetzten Stahlhelm trug.»Trinkt, Lord Eddard. «Er drückte Ned einen Weinschlauch in die Hände.

Die Stimme war seltsam vertraut, doch brauchte Ned Stark einen Augenblick, sie einzuordnen.»Varys?«fragte er benommen, als er sie erkannte.»Ich… ich träume nicht. Ihr seid hier. «Die runden Wangen des Eunuchen waren von dunklen Stoppeln überzogen. Ned befühlte das rauhe Haar mit seinen Fingern. Varys hatte sich in einen ergrauten Schließer verwandelt, der nach Schweiß und saurem Wein roch.»Wie habt Ihr… was für ein Zauberer seid Ihr?«

«Ein durstiger«, sagte Varys.»Trinkt, Mylord.«

Neds Hände betasteten den Schlauch.»Ist es dasselbe Gift, das man Robert gegeben hat?«

«Ihr tut mir Unrecht«, sagte Varys traurig.»Wahrlich, niemand liebt einen Eunuchen. Gebt mir den Schlauch. «Er trank, und etwas Rot lief aus dem Winkel seines feisten Mundes.»Nicht derselbe edle Tropfen, den Ihr mir am Abend des Turniers geboten habt, doch auch nicht giftiger als die meisten«, schloß er und wischte seine Lippen.»Hier.«

Ned versuchte zu schlucken.»Scheußlich. «Ihm war, als müsse er den Wein gleich wieder von sich geben.

«Alle Menschen müssen das Säure mit dem Süßen schlucken. Hohe Herren und Eunuch gleichermaßen. Eure

Stunde ist gekommen, Mylord.«

«Meine Töchter… «

«Das jüngere Mädchen ist Ser Meryn entkommen und geflohen«, erzählte Varys.»Ich habe sie noch nicht finden können. Die Lannisters desgleichen nicht. Das ist gut. Unser neuer König liebt sie nicht eben. Euer älteres Mädchen ist noch mit Joffrey verlobt. Cersei hält sie in ihrer Nähe. Vor einigen Tagen war sie bei Hofe und hat gefleht, man möge Euch verschonen. Schade, daß Ihr nicht dabei wart, es hätte Euch gerührt. «Er beugte sich weit vor.»Ich nehme an, Ihr wißt, daß Ihr ein toter Mann seid, Lord Eddard?«

«Die Königin wird mich nicht töten«, sagte Ned. In seinem Kopf drehte es sich, der Wein war stark, und es war zu lange her, seit er gesessen hatte.»Cat.. Cat hat Cerseis Bruder..«

«Den falschen Bruder«, seufzte Varys.»Und ohnehin hat sie ihn verloren. Sie hat den Gnom entwischen lassen. Ich denke, er müßte inzwischen tot sein, irgendwo in den Bergen des Mondes.«

«Wenn das stimmt, schneidet mir die Kehle durch und bringt es zu Ende. «Er war vom Wein benebelt, müde und verzweifelt.

«Euer Blut ist das letzte, was ich mir wünsche.«

Ned sah ihn fragend an.»Als meine Garde gemetzelt wurde, standet Ihr hinter der Königin und habt zugesehen, kein Wort gesagt.«

«Und ich würde es wieder tun. Ich meine mich zu erinnern, daß ich unbewaffnet war, ungepanzert und von Soldaten der Lannisters umgeben. «Der Eunuch blickte ihn seltsam an, neigte den Kopf.»Als ich ein kleiner Junge war, bevor man mich beschnitt, bin ich mit einer Truppe von Komödianten durch die Freien Städte gezogen. Sie haben mich gelehrt, daß jeder Mensch eine Rolle spielen muß, im Leben wie im Mummenschanz. Genauso verhält es sich bei Hofe. Des Königs

Henker muß entsetzen, der Meister der Münze bescheiden sein, der Lord Commander der Königsgarde kühn… und der Herr der Ohrenbläser muß verschlagen und unterwürfig und ohne Skrupel sein. Ein couragierter Informant wäre so nutzlos wie ein feiger Ritter. «Er nahm den Weinschlauch an sich und trank.

Ned musterte das Gesicht des Eunuchen und suchte unter den Narben und dem falschen Bart des Komödianten nach der Wahrheit. Er probierte noch etwas vom Wein. Diesmal ging er leichter herunter.»Könnt Ihr mich aus diesem Loch befreien?«

«Ich könnte… aber will ich? Nein. Man würde Fragen stellen, und die Antworten würden zu mir führen.«

Ned hatte nichts anderes erwartet.»Ihr seid grob.«

«Ein Eunuch hat keine Ehre, und eine Spinne kann sich den Luxus von Skrupeln nicht erlauben, Mylord.«

«Würdet Ihr dann wenigstens einwilligen, eine Nachricht für mich zu übermitteln?«

«Das hinge von der Nachricht ab. Gern will ich Euch Papier und Tinte bringen. Und wenn Ihr geschrieben habt, was Ihr zu schreiben gedenkt, werde ich den Brief nehmen und ihn lesen und ihn überbringen oder auch nicht, wie es meinen eigenen Zwecken am ehesten dient.«

«Euren eigenen Zwecken. Was sind diese Zwecke, Lord Varys?«

«Friede«, erwiderte Varys, ohne zu zögern.»Wenn es eine Seele in King's Landing gab, die verzweifelt versucht hat, Robert Baratheon am Leben zu erhalten, dann war es meine. «Er seufzte.»Fünfzehn Jahre lang habe ich ihn vor seinen Feinden beschützt, nur konnte ich ihn vor seinen Freunden nicht bewahren. Welch seltsamer Anfall von Torheit hat Euch dazu geführt, der Königin zu erzählen, daß Ihr die Wahrheit über Joffreys Geburt erfahren habt?«

«Die Torheit des Erbarmens«, gab Ned zu.

«Ah«, sagte Varys.»Sicherlich. Ihr seid ein ehrlicher und ehrenhafter Mann, Lord Eddard. Was ich zu oft vergesse. Ich bin so wenigen davon in meinem Leben begegnet. Wenn ich sehe, was Ehrlichkeit und Ehre Euch gebracht haben, verstehe ich, wieso.«

Ned Stark lehnte seinen Kopf an den feuchten Stein zurück und schloß die Augen. Schmerz pochte in seinem Bein.»Der Wein des Königs… habt Ihr Lancel befragt?«

«Oh, in der Tat. Cersei hat ihm die Weinschläuche gegeben und gesagt, es sei Roberts liebster Tropfen. «Der Eunuch zuckte mit den Achseln.»Jäger führen ein gefahrvolles Leben. Hätte nicht der Keiler Robert niedergemacht, wäre es ein Sturz vom Pferd gewesen, der Biß einer Waldnatter, ein fehlgelenkter Pfeil… der Wald ist das Schlachthaus der Götter. Nicht der Wein hat den König getötet. Es war Euer Erbarmen.«

Ned hatte es befürchtet.»Die Götter mögen mir vergeben.«

«Falls es Götter gibt«, sagte Varys,»werden sie es wohl tun. Denn die Königin hätte dem zum Trotz nicht mehr lange gewartet. Robert wurde widerspenstig, und sie mußte sich seiner entledigen, um freie Hand zu haben, damit sie sich um seine Brüder kümmern konnte. Die beiden sind ein echtes Paar, Stannis und Renly. Der eiserne Fäustling und der seidene Handschuh. «Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken.»Ihr seid dumm gewesen, Mylord. Ihr hättet auf Littlefinger achten sollen, als er Euch drängte, Joffreys Nachfolge zu unterstützen.«

«Woher… woher hätte ich das wissen sollen?«

Varys lächelte.»Ich weiß, das ist alles, was für Euch von Belang sein sollte. Darüber hinaus weiß ich, daß die Königin Euch morgen früh einen Besuch abstatten will.«

Langsam hob Ned den Blick.»Wozu?«

«Cersei fürchtet Euch, Mylord… doch hat sie andere Feinde, die sie noch stärker fürchtet. Ehr geliebter Jaime tritt im Augenblick gegen die Flußlords an. Lysa Arryn sitzt auf der Eyrie, von Stein und Stahl umringt, und zwischen ihr und der Königin ist keine Liebe mehr. In Dorne brüten die Martells noch immer über dem Mord an Prinzessin Elia und ihren Kindern. Und nun marschiert Euer Sohn den Neck hinab, mit einer Nordarmee im Rücken.«

«Robb ist ein kleiner Junge«, entfuhr es Ned erschrocken.

«Ein kleiner Junge mit einer Armee«, sagte Varys.»Und dennoch nur ein kleiner Junge, wie Ihr sagt. Die Brüder des Königs sind es, die Cersei schlaflose Nächte bereiten… besonders Lord Stannis. Sein Anspruch ist der wahre, er ist für seine Gabe als Befehlshaber in der Schlacht berühmt, und er ist zutiefst gnadenlos. Auf der ganzen Welt gibt es kein Lebewesen, das nur halb soviel Angst und Schrecken verbreitet wie ein wahrlich gerechter Mann. Niemand weiß, was Stannis auf Dragonstone treibt, aber ich würde die Vermutung wagen, daß er mehr Recken als Muscheln gesammelt hat. Und das ist Cerseis Alptraum: Während Vater und Bruder ihre Kraft darauf verwenden, gegen Starks und Tullys anzutreten, landet Lord Stannis, macht sich zum König und schlägt ihrem Sohn den blonden Lockenkopf vom Hals… und ihren eigenen dazu, obwohl ich wirklich glaube, daß sie sich mehr um ihren Jungen sorgt.«

«Stannis Baratheon ist Roberts wahrer Erbe«, sagte Ned.»Der Thron gehört rechtmäßig ihm. Seinen Aufstieg würde ich willkommen heißen.«

Varys schnalzte mit der Zunge.»Das wird Cersei nicht gern hören, das kann ich Euch versichern. Stannis mag den Thron erstreiten, doch nur Euer modernder Kopf wird dann noch darüber jubeln, wenn Ihr nicht Eure Zunge hütet. Sansa hat so süß gebettelt, daß es eine Schande wäre, wenn Ihr alles wegwerfen würdet. Man gibt Euch das Leben zurück, sofern

Ihr es haben wollt. Cersei ist nicht dumm. Sie weiß, daß ein zahmer Wolf mehr Nutzen bringt als ein toter.«

«Ihr wollt, daß ich der Frau diene, die meinen König ermordet, meine Leute geschlachtet und meinen Sohn verkrüppelt hat?«

«Ich möchte, daß Ihr dem Reich dient«, sagte Varys.»Sagt der Königin, daß Ihr Euren bösartigen Verrat gesteht, Eurem Sohn befehlt, sein Schwert niederzulegen, und Joffrey zum wahren Erben erklärt. Bietet an, Stannis und Renly als treulose Thronräuber zu denunzieren. Unsere grünäugige Löwin weiß, daß Ihr ein Mann von Ehre seid. Wenn Ihr Cersei den Frieden gebt, den sie braucht, und die Zeit, mit Stannis fertig zu werden, und schwört, ihr Geheimnis mit in Euer Grab zu nehmen, wird Sie Euch, glaube ich, erlauben, das Schwarz zu tragen und den Rest Eurer Tage auf der Mauer zu verleben, mit Eurem Bruder und Eurem Sohn von niedriger Geburt.«

Der Gedanke an Jon erfüllte Ned mit einem Gefühl von Scham, einer Trauer, für die es keine Worte gab. Wenn er den Jungen nur wiedersehen könnte, bei ihm sitzen und mit ihm reden… Schmerz durchfuhr sein gebrochenes Bein unter dem dreckigen, grauen Gips. Er zuckte zusammen, und seine Finger öffneten und schlossen sich unwillkürlich.»Ist das Euer eigener Plan«, keuchte er Varys entgegen,»oder macht Ihr mit Littlefinger gemeinsame Sache?«

Das schien den Eunuchen zu amüsieren.»Eher würde ich den Schwarzen Ziegenbock von Qohor ehelichen. Littlefinger ist der zweitverlogenste Mensch in den Sieben Königslanden. Oh, ich trage ihm ausgewählte Gerüchte zu, gerade so viele, daß er glaubt, ich wäre auf seiner Seite… ganz wie ich Cersei glauben lasse, ich wäre auf der ihren.«

«Und ganz, wie Ihr mich glauben macht, Ihr wäret auf der meinen. Sagt mir, Lord Varys, wem dient Ihr in Wahrheit?«

Varys lächelte leise.»Nun, dem Reich, mein guter Herr, wie konntet Ihr das je bezweifeln? Ich schwöre es bei meiner verlorenen Männlichkeit. Ich diene dem Reich, und das Reich braucht Frieden. «Er nahm den letzten Schluck Wein und warf den Schlauch beiseite.»Wie also lautet Eure Antwort, Lord Eddard? Gebt mir Euer Wort, daß Ihr der Königin sagt, was sie hören will, wenn sie Euch besucht.«

«Wenn ich es täte, wäre ich so hohl wie eine leere Rüstung. Soviel ist mein Leben mir nicht wert.«

«Schade. «Der Eunuch stand auf.»Und das Leben Eurer Tochter, Mylord? Wie wertvoll ist das?«

Kalt fuhr es durch Neds Herz.»Meine Tochter…«

«Ihr dachtet doch wohl nicht, ich hätte Eure süße Unschuld vergessen, Mylord. Die Königin hat es ganz sicher nicht.«

«Nein«, flehte Ned, und seine Stimme überschlug sich.»Varys, bei allen Göttern, tut mit mir, was Ihr wollt, aber laßt meine Tochter aus Euren Plänen. Sansa ist doch noch ein Kind.«

«Auch Rhaenys war ein Kind. Prinz Rhaegars Tochter. Ein hübsches, kleines Ding, jünger noch als Eure Mädchen. Sie hatte ein kleines, schwarzes Kätzchen, das sie Balerion nannte, wußtet Ihr das? Ich habe mich immer gefragt, was wohl aus ihm geworden ist. Rhaenys tat gern so, als sei er der wahre Balerion, der Schwarze Schrecken aus alten Zeiten, doch denke ich, die Lannisters haben sie den Unterschied zwischen einem Kätzchen und einem Drachen bald genug gelernt, an jenem Tag, als sie ihre Tür einbrachen. «Varys stieß einen langen, müden Seufzer aus, den Seufzer eines Mannes, der alle Trauer dieser Welt in einem Sack auf seinen Schultern trägt.»Der Hohe Septon hat mir einmal gesagt: Wie wir sündigen, so leiden wir. Falls das stimmen sollte, Lord Eddard, sagt mir… warum sind es immer die Unschuldigen, die am meisten leiden, wenn Ihr hohen Herren Euer Spiel um Throne spielt? Seid so gut und denkt darüber nach, während Ihr auf die Königin wartet. Und gestattet Euch auch einen Gedanken zu folgendem: Der nächste Mensch, der Euch in dieser Zelle besucht, könnte Euch Brot und Käse und Mohnblumensaft für Eure Schmerzen bringen… oder er bringt Euch Sansas Kopf. Die Wahl, mein lieber Lord Hand, liegt ganz allein bei Euch.«

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