Sansa

In der Turmkarnmer im Herzen von Maegar's Holdfast gab sich Sansa der Dunkelheit hin.

Sie zog die Vorhänge um ihr Bett zu, schlief, erwachte weinend und schlief erneut. Wenn sie nicht schlafen konnte, lag sie, bebend vor Trauer, unter ihrer Decke. Dienerinnen kamen und gingen, brachten Mahlzeiten, doch der bloße Anblick des Essens war mehr, als sie ertragen konnte. Die Teller stapelten sich auf dem Tisch unter ihrem Fenster, unangetastet und schimmelnd, bis die Dienerinnen sie hinaustrugen.

Manchmal war ihr Schlaf bleiern und traumlos, und sie wachte müder auf als zu dem Zeitpunkt, da sie die Augen schloß. Dennoch war dies ihre beste Zeit, denn wenn sie träumte, träumte sie von Vater. Wach oder im Schlaf, sie sah ihn, sah, wie die Goldröcke ihn zu Boden stießen, sah, wie Ser Ilyn vortrat, Ice aus der Scheide auf seinem Rücken zog, sah den Augenblick… den Augenblick, als sie sich hatte abwenden wollen, sie hatte es gewollt, die Beine hatten unter ihr nachgegeben, und sie war auf die Knie gefallen, trotzdem hatte sie sich irgendwie nicht abwenden können, und alle Leute schrien und kreischten, und ihr Prinz hatte sie angelächelt, er hatte gelächelt, und sie hatte sich sicher gefühlt, nur einen Herzschlag lang, bis er jene Worte sagte und die Beine ihres Vaters… das war es, woran sie sich erinnerte, seine Beine, wie sie gezuckt hatten, als Ser Ilyn… als das Schwert…

Vielleicht werde auch ich sterben, sagte sie sich, und der Gedanke erschien ihr gar nicht so schrecklich. Wenn sie sich aus dem Fenster stürzte, konnte sie ihrer Pein ein Ende bereiten, und in kommenden Jahren würden Sänger Lieder über ihr Leid dichten. Ihr Leib läge unten auf den Steinen, zerschmettert und unschuldig, zur Schande aller, die sie verraten hatten. Sansa ging so weit, daß sie ihre Schlafkammer durchmaß und die Läden aufwarf… dann verließ sie der Mut, und schluchzend lief sie zurück zu ihrem Bett.

Die Dienstmädchen versuchten, mit ihr zu sprechen, wenn sie ihr das Essen brachten, doch antwortete sie ihnen nie. Einmal kam Grand Maester Pycelle mit einem Kasten voller Fläschchen und Phiolen und fragte, ob sie krank sei. Er fühlte ihre Stirn, ließ sie sich ausziehen und tastete sie überall ab, während ihre Dienerin sie festhielt. Als er ging, gab er ihr ein Mittel aus Honigwasser und Kräutern und sagte ihr, sie solle jeden Abend einen Schluck davon einnehmen. Sie trank alles auf einmal aus und legte sich daraufhin schlafen.

Sie träumte von Schritten auf der Turmtreppe, ein unheilvolles Scharren von Leder auf Stein, als ein Mann langsam zu ihrer Schlafkammer heraufkam, Stufe für Stufe. Sie konnte sich nur hinter der Tür verstecken und zitternd lauschen, wie er näher und immer näher kam. Es war Ser Ilyn Payne, das wußte sie, mit Ice in Händen, und er wollte sie holen, um ihr ebenfalls den Kopf abzuschlagen. Sie konnte nirgendwohin fliehen, konnte sich nirgendwo verstecken, hatte nichts, womit sie die Tür verriegeln konnte. Schließlich hielten die Schritte an, und sie wußte, daß er draußen stand, schweigend mit seinen toten Augen und dem langen, pockennarbigen Gesicht. Da merkte sie, daß sie nackt war. Sie hockte am Boden, versuchte, sich mit ihren Händen zu bedecken, als sich die Tür knarrend öffnete und die Spitze des Großschwertes hereinragte…

Murmelnd erwachte sie:»Bitte, bitte, ich will gut sein, ich will gut sein, bitte nicht«, doch war niemand da, der sie hätte hören können.

Als sie dann tatsächlich zu ihr kamen, hatte Sansa ihre Schritte nicht gehört. Es war Joffrey, der ihre Tür aufmachte, nicht Ser Ilyn, sondern der Junge, der einst ihr Prinz gewesen war. Sie lag im Bett, hatte sich eingerollt, die Vorhänge zugezogen, und sie hätte nicht sagen können, ob Mittag oder Mitternacht war. Zunächst hörte sie die Tür knallen. Dann wurden ihre Bettvorhänge zurückgerissen, und sie hob eine Hand gegen das plötzlich grelle Licht und sah, daß sie sich über sie beugten.

«Ihr werdet mich heute nachmittag bei Hofe begleiten«, sagte Joffrey.»Sorgt dafür, daß Ihr badet und Euch kleidet, wie es meiner Verlobten gebührt. «Sandor Clegane stand an seiner Seite in schlichtem, braunem Wams und grünem Umhang, sein verbranntes Gesicht wirkte im Morgenlicht grauenerregend. Hinter ihnen sah sie zwei Ritter der Königsgarde in langen weißen Satinumhängen.

Sansa zog ihre Decke bis ans Kinn, um sich zu bedecken.»Nein«, wimmerte sie,»bitte… laßt mich.«

«Wenn Ihr nicht aufstehen und Euch ankleiden wollt, wird mein Bluthund es für Euch tun«, erwiderte Joffrey.»Ich flehe Euch an, mein Prinz…«»Ich bin jetzt König. Hund, hol sie aus dem Bett. «Sandor Clegane hielt sie an den Hüften und hob sie vom Federbett, während sie sich kraftlos wehrte. Ihre Decke fiel zu Boden. Darunter trug sie nur ein dünnes Schlafkleid, das ihren nackten Leib verhüllte.»Tu, was man dir sagt, Kind«, sagte Clegane.»Zieh dich an. «Er schob sie ihrem Schrank entgegen, fast zärtlich.

Sansa wich vor ihnen zurück.»Ich habe getan, was die Königin von mir verlangt hat, ich habe die Briefe geschrieben, ich habe geschrieben, was sie mir gesagt hat. Ihr habt versprochen, Ihr wolltet gnädig sein. Bitte, laßt mich nach Hause gehen. Ich werde niemanden verraten. Ich will gut sein, ich schwöre es, ich habe kein Verräterblut in mir, bestimmt nicht. Ich will doch nur nach Hause. «Als sie sich ihrer Kinderstube erinnerte, ließ sie den Kopf sinken.»Wie es Euch beliebt«, endete sie erschöpft.

«Es beliebt mir keineswegs«, sagte Joffrey.»Mutter meint, ich soll Euch trotzdem heiraten, also bleibt Ihr hier, und Ihr werdet gehorchen.«

«Ich will Euch nicht heiraten«, heulte Sansa.»Ihr habt meinem Vater den Kopf abgeschlagen!«

«Er war ein Verräter. Ich habe nie versprochen, ihn zu schonen, nur daß ich gnädig sein würde, und das war ich. Wenn er nicht Euer Vater gewesen wäre, hätte ich ihn vierteilen oder häuten lassen, aber ich habe ihm einen sauberen Tod geschenkt.«

Sansa starrte ihn an, erkannte ihn zum ersten Mal. Er trug ein wattiertes, rotes Wams mit einem Löwenmuster und kleinem Umhang aus Goldtuch mit hohem Kragen, der sein Gesicht einrahmte. Sie fragte sich, wie sie ihn jemals hatte für hübsch halten können. Seine Lippen waren so weich und rot wie die Würmer, die man nach dem Regen fand, und seine Augen waren eitel und grausam.»Ich hasse Euch«, flüsterte sie.

König Joffreys Miene verhärtete sich.»Meine Mutter sagt, es zieme sich für einen König nicht, seine Frau zu schlagen. Ser Meryn.«

Der Ritter war bei ihr, bevor sie noch denken konnte, riß ihre Hand zurück, als sie versuchte, ihr Gesicht zu schützen, und schlug ihr mit der Faust im Handschuh rückhändig übers Ohr. Sansa erinnerte sich nicht, gestürzt zu sein, doch lag sie auf einem Knie zwischen den Binsen. Ihr ganzer Kopf summte. Ser Meryn beugte sich über sie, mit Blut an den Fingern seiner weißen Seidenhandschuhe.

«Wollt Dir Euch nun fügen, oder muß ich Euch noch einmal züchtigen?«

Sansas Ohr fühlte sich taub an. Sie berührte es, und ihre Fingerspitzen wurden feucht und rot.»Ich… wie… wie Ihr befehlt, Mylord.«

«Majestät«, korrigierte Joffrey sie.»Ich werde Euch bei

Hofe erwarten. «Er wandte sich um und ging.

Ser Meryn und Ser Arys folgten ihm hinaus, doch Sandor Clegane blieb noch so lange, daß er sie rüde auf die Beine reißen konnte.»Erspar dir den Schmerz, Mädchen, und gib ihm, was er haben will.«

«Was… was will er? Bitte, sagt es mir.«

«Er will, daß du lächelst und gut riechst und seine Liebste bist«, krächzte der Bluthund.»Er will, daß du all die hübschen, kleinen Worte rezitierst, die deine Septa dich gelehrt hat. Er will, daß du ihn liebst… und fürchtest.«

Nachdem er gegangen war, sank Sansa wieder auf die Binsen und stierte an die Wand, bis zwei ihrer Dienerinnen ängstlich in die Kammer schlichen.»Ich werde heißes Wasser für mein Bad brauchen, bitte«, erklärte sie ihnen,»und Duftwasser und etwas Puder, um diesen Bluterguß zu verbergen. «Ihre rechte Gesichtsseite war geschwollen und begann zu schmerzen.

Das heiße Wasser ließ sie an Winterfell denken, und daraus schöpfte sie Kraft. Seit jenem Tag, an dem ihr Vater gestorben war, hatte sie sich nicht gewaschen, und sie war erstaunt, wie schmutzig das Wasser wurde. Die Mädchen rieben das Blut von ihrem Gesicht, schrubbten den Schmutz von ihrem Rücken, wuschen ihr Haar und bürsteten es aus, bis wieder dicke, braune Locken wippten. Sansa sprach nicht mit ihnen, außer daß sie Anweisungen gab. Sie waren Dienerinnen der Lannisters, nicht ihre eigenen, und sie traute ihnen nicht. Als es Zeit wurde, sich anzuziehen, wählte sie das grüne Seidenkleid, das sie beim Turnier getragen hatte. Sie erinnerte sich, wie galant sich Joff ihr gegenüber an jenem Abend beim Fest benommen hatte. Vielleicht erinnerte es auch ihn daran, und er würde sie sanfter behandeln.

Sie trank ein Glas Buttermilch und knabberte an süßem Brot herum, während sie wartete, um ihren Magen zu beruhigen. Es war Mittag, als Ser Meryn wiederkam. Er hatte seine weiße Rüstung angelegt. Ein geschupptes Hemd aus Emaille, mit Gold ziseliert, ein hoher Helm mit einer goldenen Sonne darauf, Beinschienen und Ringkragen und Panzerhandschuhe und Stiefel auf glänzendem Metall, dazu einen schweren Wollumhang, der von einem goldenem Löwen gehalten wurde. Sein Visier war vom Helm entfernt worden, so daß sein strenges Gesicht besser zu sehen war, dicke Tränensäcke unter den Augen, ein breiter, mürrischer Mund, rostfarbenes Haar voll grauer Flecken.»Mylady«, sagte er und verneigte sich, als hätte er sie nicht drei Stunden zuvor blutig geschlagen.»Seine Majestät hat mich angewiesen, Euch in den Thronsaal zu begleiten.«

«Hat er Euch ebenfalls angewiesen, mich zu schlagen, falls ich mich weigere?«

«Weigert Ihr Euch, Mylady?«Der Blick, den er ihr zuwarf, war ohne jeden Ausdruck. Den Bluterguß, den sie ihm verdankte, schien er nicht zu bemerken.

Er haßte sie nicht, wie Sansa merkte, doch liebte er sie auch nicht. Er empfand rein gar nichts für sie. Sie war für ihn nur ein Ding.»Nein«, sagte sie und erhob sich. Sie wollte toben, ihm Schmerz zufügen, wie er ihr Schmerz zugefügt hatte, ihn warnen, wenn sie erst Königin wäre, würde sie ihn in die Verbannung schicken, falls er jemals wieder wagen sollte, sie zu schlagen, doch fiel ihr ein, was der Bluthund ihr erklärt hatte, also sagte sie nur:»Ich will alles tun, was Seine Majestät befiehlt.«

«Genau wie ich«, gab er zurück.

«Ja, aber Ihr seid kein wahrer Ritter, Ser Meryn.«

Sandor Clegane hätte sie ausgelacht, das wußte Sansa. Andere Männer hätten sie verflucht, sie gewarnt, zu schweigen, sie vielleicht sogar um Verzeihung gebeten. Ser Meryn Tränt tat nichts dergleichen. Ser Meryn Tränt war es schlicht

gleichgültig.

Auf dem Balkon war niemand außer Sansa. Mit geneigtem Kopf stand sie da, rang ihre Tränen nieder, während unten Joffrey auf seinem Eisernen Thron saß und sprach, was er für Recht hielt. Neun von zehn Fällen schienen ihn zu langweilen. Die Behandlung dieser überließ er seinem Rat und wand sich rastlos, während Lord Baelish, Grand Maester Pycelle oder Königin Cersei die Sache entschieden. Wenn er sich jedoch entschloß, über jemanden zu richten, konnte ihn nicht einmal seine Mutter in seinem Urteil umstimmen.

Ein Dieb wurde ihm vorgeführt, und er ließ ihm von Ser Ilyn eine Hand abschlagen, gleich dort bei Gericht. Zwei Ritter kamen mit einem Streit um ein Stück Land zu ihm, und er entschied, sie sollten sich am Morgen darüber duellieren.»Bis zum Tod«, fügte er hinzu. Eine Frau fiel auf die Knie und bat um den Kopf eines Mannes, der als Verräter hingerichtet worden war. Sie habe ihn geliebt, sagte sie, und sie wolle dafür sorgen, daß er anständig beerdigt würde.»Wenn du einen Verräter geliebt hast, mußt du selbst eine Verräterin sein«, sagte Joffrey. Zwei Goldröcke schleppten sie fort in den Kerker.

Der froschgesichtige Lord Slynt saß am Ende des Ratstisches und trug ein schwarzes Wams aus Samt mit einem schimmernden Umhang aus Goldtuch, und er nickte jedesmal zustimmend, wenn der König ein Urteil fällte. Harten Blickes starrte Sansa in sein häßliches Gesicht, erinnerte sich daran, wie er ihren Vater zu Boden gestoßen hatte, damit Ser Ilyn ihn enthaupten konnte, wünschte sich, sie könne ihn verletzen, wünschte sich, irgendein Held würde ihn zu Boden stoßen und ihm den Kopf abschlagen. Doch eine Stimme in ihrem Inneren flüsterte: Es gibt keine Helden, und sie dachte daran, was Lord Petyr zu ihr gesagt hatte, hier in ebendiesem Saal.»Das Leben ist kein Lied, süßes Kind«, hatte er ihr erklärt.»Das wirst du zu deinem Bedauern eines Tages feststellen müssen. «Im Leben siegen die Ungeheuer, sagte sie sich, und dann hörte sie die Stimme des Bluthunds, ein kaltes Krächzen wie Metall auf Stein.»Erspar dir den Schmerz, Mädchen, und gib ihm, was er haben will.«

Der letzte Fall war der eines rundlichen Tavernensängers, dem vorgeworfen wurde, ein Lied gesungen zu haben, das sich über den verstorbenen König Robert lustig machte. Joff gab den Befehl, seine Holzharfe zu holen, und befahl ihm, das Lied vor dem Gericht zu singen. Der Sänger weinte und schwor, er wolle dieses Lied nie wieder singen, der König hingegen bestand darauf. Es war ein lustiges Lied darüber, wie Robert mit einem Schwein rang. Das Schwein war der Keiler, der ihn getötet hatte, wie Sansa wußte, doch in manchen Versen klang es fast, als sänge er über die Königin. Als das Lied zu Ende war, verkündete Joffrey, er wolle gnädig sein. Der Sänger dürfe entweder seine Finger oder seine Zunge behalten. Ihm bliebe ein Tag, sich zu entscheiden. Janos Slynt nickte.

Das war der letzte Fall an diesem Nachmittag, wie Sansa erleichtert feststellte, ihr Martyrium dagegen war noch nicht beendet. Als die Stimme des Herolds das Gericht entließ, floh sie vom Balkon und fand Joffrey wartend am Fuße der gewundenen Treppe vor. Der Bluthund war bei ihm, und auch Ser Meryn. Der junge König musterte sie kritischen Blickes von oben bis unten.»Ihr seht viel besser aus als vorher.«

«Danke, Majestät«, sagte Sansa. Leere Worte, doch ließen sie ihn nicken und lächeln.

«Spaziert mit mir«, befahl Joffrey und bot ihr seinen Arm an. Ihr blieb nur, ihn zu nehmen. Früher einmal hätte die bloße Berührung seiner Hand sie in helle Aufregung versetzt, jetzt bekam sie eine Gänsehaut.»Bald naht mein Namenstag«, sagte Joffrey, als sie den Thronsaal durch den Hinterausgang verließen.»Es wird ein großes Fest geben, und Geschenke. Was wollt Ihr mir schenken?«

«Ich… ich habe nicht darüber nachgedacht, Mylord.«

«Majestät«, fuhr er sie scharf an.»Ihr seid wirklich ein dummes Mädchen, was? Meine Mutter sagt es auch.«

«Sagt sie?«Nach allem, was geschehen war, hätten ihre Worte nicht mehr die Kraft besitzen sollen, sie zu verletzen, doch irgendwie war es nicht so. Die Königin hatte sie stets so nett behandelt.

«O ja. Sie macht sich Gedanken um unsere Kinder, ob sie dumm werden wie Ihr, aber ich habe ihr gesagt, sie soll sich nicht sorgen. «Der König deutete auf die Tür, und Ser Meryn öffnete sie.

«Danke, Majestät«, murmelte sie. Der Bluthund hat recht, dachte sie, ich bin nur ein kleiner Vogel und plappere die Worte nach, die man mich gelehrt hat. Die Sonne war hinter der Westmauer versunken, und die Steine des Red Keep glühten dunkel wie Blut.

«Ich mache Euch ein Kind, sobald Ihr empfangen könnt«, sagte Joffrey, als er sie über den Übungshof geleitete.»Wenn es dumm ist, schlage ich Euch den Kopf ab und suche mir eine klügere Frau. Was glaubt Ihr, wann Ihr in der Lage wäret, Kinder zu bekommen?«

Sansa konnte ihn nicht ansehen, so sehr beschämte er sie.»Septa Mordane sagt… die meisten hochgeborenen Mädchen erblühen mit zwölf oder dreizehn.«

Joffrey nickte.»Hier entlang. «Er brachte sie zum großen Tor, zum Fuß der Treppe, die zu den Zinnen hinaufführte.

Bebend riß sich Sansa von ihm los. Plötzlich wußte sie, wohin sie gingen.»Nein«, sagte sie, und ihre Stimme war ein ängstliches Stöhnen.»Bitte zwingt mich nicht, ich flehe Euch an… «

Joffrey preßte die Lippen aufeinander.»Ich will Euch zeigen, was mit Verrätern geschieht.«

Wild schüttelte Sansa den Kopf.»Ich will nicht, ich will nicht.«

«Ich könnte Euch von Ser Meryn hinaufbringen lassen«, sagte er.»Das würde Euch nicht gefallen. Ihr solltet besser tun, was ich verlange. «Joffrey griff nach ihr, und Sansa machte sich von ihm los, stieß rückwärts gegen den Bluthund.

«Tu es, Mädchen«, forderte Sandor Clegane sie auf und schob sie dem König entgegen. Sein Mund zuckte auf der verbrannten Seite seines Gesichts, und fast konnte Sansa schon hören, was er sagen würde. Er bringt dich in jedem Fall hinauf, also gib ihm lieber, was er haben will.

Sie zwang sich dazu, König Joffreys Hand zu nehmen. Der Aufstieg war wie aus einem Alptraum. Jeder Schritt war ihr ein Kampf, als zöge sie ihre Füße aus knöcheltiefem Schlamm, und es waren mehr Stufen, als sie geglaubt hätte, eintausend tausend Stufen, und das Grauen wartete oben auf den Zinnen.

Unter den hohen Wehranlagen des großen Tores breitete sich die ganze Welt vor ihnen aus. Sansa konnte die Große Septe von Baelor auf dem Visenyashügel sehen, wo ihr Vater gestorben war. Am anderen Ende der Straße der Schwestern standen die vom Feuer geschwärzten Ruinen der Drachenhöhle. Im Westen verschwand die pralle Sonne halb hinter dem Tor der Götter. Dahinter lag das Meer, und im Süden der Fischmarkt und der Hafen und der wilde Strom des Blackwater Rush. Und im Norden…

Sie wandte sich dorthin und sah nur die Stadt, Straßen und Gassen und Hügel und Täler und noch mehr Straßen und noch mehr Gassen und den Stein ferner Mauern. Doch wußte sie, daß sich jenseits davon offenes Land befand, Höfe und Felder und Wälder, und dahinter, nördlich und nördlich und wieder nördlich, stand Winterfell.

«Wohin siehst du?«sagte Joffrey.»Das hier wollte ich dir zeigen, da vorn.«

Eine dicke, steinerne Brüstung schützte den Außenrand der Wehranlage, reichte bis an Sansas Kinn, mit Zinnen, die alle fünf Fuß weit für die Bogenschützen hineingemeißelt waren. Die Köpfe befanden sich zwischen den Zinnen, oben auf der Mauer, auf Eisenstangen aufgespießt, so daß sie auf die Stadt hinausblicken konnten. Sansa hatte sie in dem Moment bemerkt, als sie auf den Gang hinausgetreten war, doch der Fluß und die geschäftigen Straßen waren so viel schöner. Er kann mich zwingen, einen Blick auf die Köpfe zu werfen, sagte sie sich, aber er kann mich nicht zwingen, sie zu sehen.

«Das hier ist dein Vater«, sagte er.»Der hier. Hund, dreh ihn um, damit sie ihn betrachten kann.«

Sandor Clegane nahm den Kopf bei den Haaren und drehte ihn um. Man hatte den abgeschlagenen Schädel in Teer getaucht, damit er sich länger hielt. Ruhig warf Sansa einen Blick darauf, doch sah sie ihn nicht. Er sah nicht wirklich wie Lord Eddard aus, dachte sie. Er sah nicht einmal echt aus.»Wie lange muß ich ihn mir anschauen?«

Joffrey schien enttäuscht.»Willst du die anderen sehen?«Es war eine ganze Reihe davon.

«Wenn es Euch beliebt, Majestät.«

Joffrey geleitete sie den Gang hinunter, an einem Dutzend weiterer Köpfe und zwei leeren Spießen vorüber.»Die hier spare ich mir für meinen Onkel Stannis und meinen Onkel Renly«, erklärte er. Die anderen Köpfe waren schon viel länger tot und aufgespießt als der ihres Vaters. Trotz des Teers waren die meisten schon lange nicht mehr zu erkennen. Der König deutete auf einen und sagte:»Das da ist deine Septa«, aber Sansa hätte nicht sagen können, ob es eine Frau war oder nicht. Der Unterkiefer war aus dem Gesicht gefault, und Vögel hatten ein Ohr und den Großteil ihrer Wange ausgepickt.

Sansa hatte sich schon gefragt, was mit Septa Mordane geschehen war, obwohl sie vermutete, daß sie es insgeheim lange schon gewußt hatte.»Warum habt Ihr sie getötet?«fragte sie.»Sie war eine götterfürchtige…«

«Sie war eine Verräterin. «Joffrey schien zu schmollen. Irgendwie verärgerte sie ihn.»Du hast noch nicht gesagt, was du mir zu meinem Namenstag schenken willst. Vielleicht sollte ich statt dessen dir etwas schenken, was meinst du?«»Wenn es Euch beliebt, Majestät«, sagte Sansa. Als er lächelte, wußte sie, daß er sie verspottete.»Dein Bruder ist auch ein Verräter, weißt du. «Er drehte Septa Mordanes Kopf wieder zurück.»Ich erinnere mich an deinen Bruder noch von Winterfell. Mein Hund hat ihn den Lord vom hölzernen Schwert genannt. War es nicht so, Hund?«

«Habe ich?«erwiderte der Bluthund.»Ich erinnere mich nicht. «Joffrey zuckte verdrießlich mit den Schultern.»Dein Bruder hat meinen Onkel Jaime besiegt. Meine Mutter sagt, es sei Verrat und Hinterlist gewesen. Sie hat geweint, als sie es hörte. Alle Frauen sind schwach, selbst sie, obwohl sie vorgibt, es nicht zu sein. Sie sagt, wir müssen in King's Landing bleiben für den Fall, daß mein anderer Onkel angreift, aber es ist mir egal. Nach meinem Namenstagsfest werde ich ein Heer zusammenstellen und deinen Bruder höchstpersönlich töten. Das will ich Euch schenken, Lady Sansa. Den Kopf Eures Bruders.«

Es kam wie eine Art von Wahnsinn über sie, und sie hörte sich sagen:»Vielleicht schenkt mir mein Bruder Euren Kopf.«

Finster blickte Joffrey sie an.»Nie sollst du mich so verspotten. Ein wahres Eheweib verspottet seinen Herrn nicht. Ser Meryn, züchtigt sie.«

Diesmal nahm der Ritter sie unter dem Kinn und hielt ihren Kopf still. Zweimal schlug er zu, von links nach rechts und fester noch von rechts nach links. Ihre Lippe platzte auf, und Blut lief über ihr Kinn, vermischte sich mit dem Salz ihrer Tränen.

«Ihr solltet nicht dauernd heulen«, erklärte Joffrey.»Ihr seid hübscher, wenn Ihr lacht und lächelt.«

Sansa zwang sich zum Lächeln, fürchtete, Ser Meryn würde sie wieder schlagen, wenn sie es nicht täte, doch nützte es nichts, der König schüttelte den Kopf.»Wischt Euch das Blut ab, Ihr seid ganz schmutzig.«

Die äußere Balustrade reichte bis an ihr Kinn, doch an der Innenseite des Ganges war nichts, nur ein langer Weg von siebzig, achtzig Fuß bis in den Hof hinunter. Nur ein kleiner Stoß war nötig, sagte sie sich. Er stand genau da, genau richtig, grinste sie höhnisch mit seinen feisten Wurmlippen an. Du könntest es tun, sagte sie sich. Du könntest es. Tu es gleich jetzt. Es wäre sogar ganz egal, wenn sie mit ihm zusammen hinunterstürzte. Es war ihr vollkommen egal.

«Hier, Mädchen. «Sandor Clegane kniete vor ihr, zwischen ihr und Joffrey. Mit einem Zartgefühl, das bei einem derart großen Mann nur überraschen konnte, tupfte er das Blut von ihrer aufgeplatzten Lippe.

Der Augenblick war vorüber. Sansa senkte den Blick.»Danke«, sagte sie, als er fertig war. Sie war ein braves Mädchen und wußte sich stets zu benehmen.

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