Als die Schlacht vorüber war, trieb Dany ihren Silbernen durch die Felder der Toten. Ihre Dienerinnen und die Männer ihres khas folgten ihr, lächelten und scherzten miteinander.
Dothrakische Hufe hatten die Erde aufgerissen und Roggen und Linsen in Grund und Boden getrampelt, während arakhs und Bögen eine schreckliche, neue Frucht gesät und sie mit Blut bewässert hatten. Sterbende Pferde hoben den Kopf und schrien sie an, während sie vorüberritt. Verwundete Männer stöhnten und beteten. Jagga rhan liefen zwischen ihnen umher, die Gnadenmänner mit ihren schweren Äxten, welche die Köpfe der Toten und der Sterbenden gleichermaßen ernteten. Ihnen folgte ein Schwarm kleiner Mädchen, die Pfeile aus den Leichen zogen und ihre Körbe damit füllten. Schließlich kamen die Hunde schnüffelnd heran, mager und hungrig, das wilde Rudel, das nie weit hinter dem khalasar blieb.
Die Schafe waren lange schon tot. Es schien Tausende davon zu geben, schwarz von Fliegen, und Pfeile ragten aus den Kadavern auf. Khal Ogos Reiter hatten das getan, wie Dany wußte. Kein Mann aus Drogos khalasar wäre so dumm, seine Pfeile zu vergeuden, wenn noch Schafhirten zu töten waren.
Die Stadt stand in Flammen, schwarze Rauchwolken türmten sich bedrohlich auf und stiegen in den grellblauen Himmel. Unter zerbrochenen Mauern aus getrocknetem Lehm galoppierten Reiter hin und her, schwangen ihre langen Peitschen, indes sie die Überlebenden aus dem qualmenden Schutt trieben. Die Frauen und Kinder aus Ogos khalasar gingen mit verdrossenem Stolz, selbst noch in der Niederlage und in Fesseln. Sie waren nun Sklaven, doch schienen sie das nicht zu fürchten. Mit den Bewohnern war es anders. Mit ihnen hatte Dany Mitleid. Sie hatte nicht vergessen, wie sich das
Entsetzen anfühlte. Mütter stolperten mit leeren, toten Gesichtern vorüber, zerrten schluchzende Kinder mit sich. Es waren nur wenige Männer darunter, Krüppel und Feiglinge und Großväter.
Ser Jorah sagte, die Menschen in diesem Land nannten sich die Lhazareen, die Dothraki bezeichneten sie als haesh rakhi, die Lämmermenschen. Früher hätte Dany sie für Dothraki gehalten, denn sie hatten dieselbe bronzefarbene Haut und auch die mandelförmigen Augen. Inzwischen sahen sie in ihren Augen fremd aus, untersetzt und flachgesichtig, das Haar unnatürlich kurzgeschoren. Sie waren Schafhirten und aßen Gemüse, und Khal Drogo sagte, ihr Platz sei südlich der Flußbiegung. Das Gras des Dothrakischen Meeres sei für Schafe nicht gedacht.
Dany beobachtete, wie ein Junge floh und zum Fluß rannte. Ein Reiter schnitt ihm den Weg ab und trieb ihn zurück, und die anderen kreisten ihn ein, schlugen ihm die Peitschen ins Gesicht, jagten ihn hierhin und dorthin. Einer galoppierte ihm hinterher, peitschte seinen Hintern aus, bis die Schenkel rot vom Blut waren. Ein anderer schlang ihm die Peitsche um den Knöchel, daß er stürzte. Schließlich, als der Junge nur noch kriechen konnte, wurde ihnen das Spiel langweilig und er bekam einen Pfeil in den Rücken.
Ser Jorah empfing sie draußen vor dem zerstörten Tor. Er trug einen dunkelgrünen Wappenrock über seinem Kettenhemd. Panzerhandschuhe, Beinschienen und Helm waren aus dunkelgrauem Stahl. Die Dothraki hatten ihn als Feigling verspottet, während er seine Rüstung anlegte, doch der Ritter hatte ihnen zur Antwort nur Beleidigungen ins Gesicht gespuckt, die Wogen gingen hoch, Langschwert hatte sich mit arakh gekreuzt, und den Reiter, dessen Spott am lautesten gewesen war, hatten sie verblutend hinter sich zurückgelassen.
Ser Jorah schob das Visier seines flachen Helms hoch, als er heranritt.»Euer Hoher Gatte erwartet Euch in der Stadt.«
«Drogo ist nichts zugestoßen?«
«Ein paar Schnitte«, antwortete Ser Jorah,»nichts von Bedeutung. Heute hat er zwei khals erschlagen. Erst Khal Ogo und dann den Sohn Fogo, der khal wurde, nachdem Ogo gefallen war. Seine Blutreiter haben die Glocken aus ihrem Haar geschnitten, und jetzt klingt jeder von Khal Drogos Schritten lauter als zuvor.«
Ogo und sein Sohn hatten beim Namensfest, auf dem Viserys gekrönt wurde, bei ihrem Hohen Gatten auf der Bank gesessen, doch das war in Vaes Dothrak unter der Mutter aller Berge, wo alle Reiter Brüder waren und jeder Streit vergessen. Draußen im Gras war alles anders. Ogos khalasar hatte die Stadt angegriffen, als Khal Drogo ihn fand. Sie fragte sich, was die Lämmermenschen gedacht hatten, als sie den Staub der Hufe von ihren eingestürzten Mauern aus sahen. Vielleicht hatten einige wenige, die jüngeren und dümmeren, die noch daran glaubten, daß die Götter die Gebete der Verzweifelten erhörten, es für ihre Rettung gehalten.
Auf der anderen Straßenseite schluchzte ein Mädchen in Danys Alter mit hoher, dünner Stimme. Ein Reiter stieß sie auf einen Leichenstapel, bäuchlings, und drängte sich in sie. Andere Reiter stiegen ab und nutzten die Gelegenheit. Das war die Art von Rettung, welche die Dothraki den Lämmermenschen brachten.
Ich bin das Blut des Drachen, rief sich Daenerys Targaryen in Erinnerung und wandte sich ab. Sie preßte die Lippen aufeinander, verschloß ihr Herz und ritt davon.
«Die meisten von Ogos Reitern sind geflohen«, sagte Ser Jorah.»Dennoch könnten es um die zehntausend Gefangene werden.«
Sklaven, dachte Dany. Khal Drogo würde sie flußabwärts in eine der Städte an der Slaver's Bay treiben. Sie wollte weinen, doch sagte sie sich, sie müsse stark sein. Das ist der Krieg, so
sieht er aus, das ist der Preis für den Eisernen Thron.
«Ich habe dem khal gesagt, er solle sich auf den Weg nach Mereen machen«, sagte Ser Jorah.»Dort wird er einen besseren Preis erzielen als bei einer Sklavenkarawane. Illyrio schreibt, daß sie im letzten Jahr die Pest hatten, deshalb zahlen die Bordelle den doppelten Preis für gesunde, junge Mädchen und den dreifachen für Jungen unter zehn. Wenn genügend Kinder die Reise überleben, bekommen wir für das Gold alle Schiffe, die wir brauchen, und auch die Männer, sie zu steuern.«
Hinter ihnen stieß das Mädchen, das vergewaltigt wurde, einen herzzerreißenden Schrei aus, ein langes, schluchzendes Heulen, das nicht verstummen wollte. Danys Hand krallte sich fest um die Zügel, und sie drehte den Kopf des Silbernen.»Sie sollen damit aufhören«, trug sie Ser Jorah auf.»Khaleesi?«Dem Ritter fehlten die Worte.»Ihr habt gehört, was ich gesagt habe«, rief sie.»Gebietet ihnen Einhalt. «Sie sprach mit dem scharfen Akzent der Dothraki zu ihrem khas.»Jhogo, Quaro, Ihr werdet Ser Jorah helfen. Ich will keine Vergewaltigungen.«
Die Krieger wechselten verblüffte Blicke. Ser Jorah kam auf seinem Pferd näher heran.»Prinzessin«, sagte er,»Ihr habt ein weiches Herz, aber Ihr versteht nicht. So ist es von jeher Brauch. Diese Männer haben ihr Blut für den khal vergossen. Jetzt wollen sie ihre Belohnung.«
Auf der anderen Straßenseite weinte das Mädchen noch immer, und ihr hoher Singsang klang in Danys Ohren fremd. Der erste Mann war inzwischen mit ihr fertig, und ein zweiter war an seine Stelle getreten.
«Sie ist ein Lämmermädchen«, sagte Quaro auf dothrakisch.»Sie ist nichts, Khaleesi. Die Reiter ehren sie. Die Lämmermenschen lieben sogar Schafe, das ist bekannt.«
«Das ist bekannt«, wiederholte ihre Dienerin Irri.»Das ist bekannt«, stimmte Jhogo mit ein, oben auf dem hohen, grauen
Hengst, den Drogo ihm geschenkt hatte.»Falls ihr Geheul Euch in den Ohren schmerzt, Khaleesi, wird Jhogo Euch ihre Zunge bringen. «Er zückte sein arakh.
«Ich will nicht, daß ihr etwas geschieht«, sagte Dany.»Tut, was ich Euch befehle, oder Khal Drogo wird davon erfahren.«
«Sehr wohl, Khaleesi«, erwiderte Jhogo und trieb sein Pferd an. Quaro und die anderen folgten ihm, und die Glöckchen in ihren Haaren klingelten.
«Geht mit ihnen«, sagte sie zu Ser Jorah.
«Ganz wie Ihr befehlt. «Der Ritter warf ihr einen seltsamen Blick zu.»Dir seid wahrlich Eures Bruders Schwester.«
«Viserys?«Sie verstand nicht.
«Nein«, antwortete er.»Rhaegar. «Er galoppierte davon.
Dany hörte Jhogo rufen. Die Vergewaltiger lachten ihn aus. Ein Mann schrie zurück. Jhogos arakh blitzte, und der Kopf des Mannes rollte von seinen Schultern. Lachen wurde zu Flüchen, als die Reiter nach ihren Waffen griffen, doch schon waren Quaro und Aggo und Rakharo da. Sie sahen, daß Aggo zur anderen Straßenseite deutete, wo sie auf ihrem Silbernen saß. Die Reiter sahen sie mit kalten, schwarzen Augen an. Einer spuckte aus. Die anderen zerstreuten sich knurrend und gingen zu ihren Pferden.
Währenddessen rammte der Mann auf dem Lämmermädchen ungehemmt in sie hinein, derart von seinem Vergnügen eingenommen, daß er gar nicht mitzubekommen schien, was um ihn herum geschah. Ser Jorah stieg ab und riß ihn mit einer Hand herunter. Der Dothraki ging im Lehm zu Boden, sprang mit einem Messer in der Hand auf und starb mit Aggos Pfeil in seiner Kehle. Mormont zog das Mädchen vom Leichenhaufen und wickelte sie in seinen blutbespritzten Umhang. Er führte sie über die Straße zu Dany.»Was soll mit ihr geschehen?«
Das Mädchen zitterte, die Augen groß und leer. Ihr Haar war von Blut verkrustet.»Doreah, kümmere dich um ihre Verletzungen. Du siehst nicht wie ein Reiter aus, vielleicht fürchtet sie sich nicht vor dir. Der Rest mit mir. «Sie zwang den Silbernen durch das geborstene Holztor.
In der Stadt stand es noch schlimmer. Viele Häuser brannten, und die jagga rhan hatten ihr grausiges Werk bereits verrichtet. Die schmalen, gewundenen Gassen lagen voll kopfloser Leichen. Sie kamen an anderen Frauen vorüber, die vergewaltigt wurden. Jedesmal hielt Dany an, sandte ihr khas aus, um dem ein Ende zu bereiten, und beanspruchte das Opfer als Sklavin. Eine von ihnen, eine fettleibige, flachnasige Frau von vierzig Jahren, segnete Dany stockend in der Gemeinen Zunge, doch von den anderen erntete sie nur leere, schwarze Blicke. Sie waren mißtrauisch, wie sie traurig merkte, fürchteten, man habe sie gerettet, um ihnen ein noch schlimmeres Schicksal angedeihen zu lassen.
«Ihr könnt sie nicht alle mitnehmen, Kind«, sagte Ser Jorah, als sie zum vierten Male hielten, während die Krieger ihres khas die neuen Sklavinnen hinter ihr hertrieben.
«Ich bin Khaleesi, Erbin der Sieben Königslande, das Blut des Drachen«, erinnerte Dany ihn.»Es ist nicht an Euch, mir zu sagen, was ich nicht tun kann. «Auf der anderen Seite der Stadt brach ein Gebäude unter einer mächtigen Wolke von Feuer und Rauch in sich zusammen, und sie hörte Schreie und das Weinen verängstigter Kinder aus der Ferne.
Sie fanden Khal Drogo sitzend vor einem eckigen, fensterlosen Tempel mit dicken Lehmwänden und einer wulstigen Kuppel, die wie eine mächtige, braune Zwiebel aussah. Neben ihm häuften sich Schädel höher, als er selbst war. Einer der kurzen Pfeile der Lämmermenschen steckte im Fleisch seines Oberarmes, und Blut klebte an der linken Seite seiner nackten Brust wie ein Spritzer Farbe. Seine drei Blutreiter waren bei ihm.
Jhiqui half Dany beim Absteigen. Sie war unbeholfener geworden, da ihr Bauch immer größer und schwerer wurde. Sie kniete vor dem khal.»Meine Sonne, meine Sterne, er ist verwundet. «Der Schratt des arakh war breit, aber nicht tief. Seine linke Brustwarze fehlte, und ein Stück von blutigem Fleisch hing wie ein feuchtes Tuch von seiner Brust.
«Ist nur Kratzer, Mond meines Lebens, vom arakh der Blutreiter Khal Ogos«, sagte Khal Drogo in der Gemeinen Zunge.»Ich habe ihn dafür getötet, und Ogo auch. «Er drehte den Kopf, und die Glöckchen in seinem Zopf klingelten leise.»Ist Ogo, den du hörst, und Fogo, sein khalakka, der khal war, als ich ihn erschlug.«
«Kein Mensch kann vor der Sonne meines Lebens bestehen«, sagte Dany,»der Vater des Hengstes, der die Welt besteigt.«
Ein berittener Krieger kam heran und sprang aus dem Sattel. Er sprach mit Haggo, ein Sturzbach von wütendem Dothrakisch, zu schnell, als daß Dany es verstehen konnte. Der mächtige Blutreiter sah sie mit schwerem Blick an, bevor er sich seinem khal zuwandte.»Dieser hier ist Mago, der im khas von Ko Jhaqo reitet. Er sagt, die Khaleesi hat ihm seine Beute genommen, eine Tochter der Lämmer, die zu besteigen ihm zustand.«
Khal Drogos Gesicht war still und hart, doch sein Blick ging voller Neugier zu Dany.»Sag mir, was Wahres daran ist, Mond meines Lebens«, befahl er auf dothrakisch.
Dany erzählte ihm, was sie getan hatte, in seiner eigenen Sprache, damit der khal sie besser verstand, mit einfachen und direkten Worten.
Als sie fertig war, sah Drogo sie fragend an.»So geht es im Krieg zu. Diese Frauen sind jetzt unsere Sklavinnen, und wir können mit ihnen tun, was uns gefällt.«
«Mir gefällt es, sie in Sicherheit zu wissen«, erwiderte Dany und fragte sich, ob sie zuviel wagte.»Wenn Eure Krieger diese Frauen besteigen wollen, laßt sie sanft vorgehen und sie zur Frau nehmen. Gebt ihnen einen Platz im khalasar und laßt Euch von ihnen Söhne schenken.«
Qotho war der grausamste unter den Blutreitern. Er war es, der lachte.»Paart sich das Pferd mit dem Schaf?«
Irgend etwas in seinem Tonfall erinnerte sie an Viserys. Zornig wandte Dany sich ihm zu.»Der Drache frißt Pferd und Schafe gleichermaßen.«
Khal Drogo lächelte.»Seht nur, wie wild sie sein kann!«sagte er.»Das ist mein Sohn in ihr, der Hengst, der die Welt besteigt; er erfüllt sie mit seinem Feuer. Reite langsam, Qotho… wenn die Mutter dich nicht versengt, wo du sitzt, wird der Sohn dich in den Schlamm treten. Und du, Mago, hüte deine Zunge und such dir ein anderes Lamm, das du besteigen kannst. Dieses hier gehört meiner Khaleesi. «Er wollte eine Hand zu Daenerys ausstrecken, doch als er seinen Arm hob, verzog Drogo vor plötzlichem Schmerz das Gesicht und drehte seinen Kopf.
Fast konnte Dany seine Qualen spüren. Die Wunden waren schlimmer, als Ser Jorah sie hatte glauben machen wollen.»Wo sind die Heiler?«verlangte sie zu wissen. Im khalasar gab es zwei Arten davon: unfruchtbare Frauen und Eunuchensklaven. Die Kräuterfrauen gingen mit Arzneien und Zaubersprüchen um, die Eunuchen mit Messer, Nadel und Feuer.»Warum kümmern sie sich nicht um den khal?«
«Der khal hat die haarlosen Männer fortgeschickt, Khaleesi«, versicherte ihr der alte Cohollo. Dany sah, daß der Blutreiter selbst eine Wunde davongetragen hatte, einen tiefen Schnitt in seiner linken Schulter.
«Viele Reiter sind verletzt«, sagte Khal Drogo halsstarrig.»Laßt sie zuerst behandelt werden. Dieser Pfeil ist nicht mehr als ein Fliegenbiß, dieser kleine Schnitt nur eine neue Narbe,
mit der ich mich vor meinem Sohn brüsten kann.«
Dany konnte die Muskeln an seiner Brust sehen, wo die Haut weggeschnitten war. Blut tropfte von dem Pfeil, der in seinem Arm steckte.»Ein Khal Drogo sollte nicht warten«, verkündete sie.»Jhogo, geh und suche die Eunuchen und bring sie augenblicklich her.«
«Silberdame«, sagte eine Frauenstimme hinter ihr,»ich kann dem Großen Reiter mit seinen Schmerzen helfen.«
Dany wandte sich um. Es kam von einer der Sklavinnen, die sie für sich beansprucht hatte, der schweren, flachnasigen Frau, die sie gesegnet hatte.
«Der khal braucht keine Hilfe von Frauen, die mit Schafen schlafen«, bellte Qotho.»Aggo, schneid ihr die Zunge raus.«
Aggo packte sie beim Haar und drückte ihr ein Messer an die Kehle.
Dany hob die Hand.»Nein, sie gehört mir. Laßt sie sprechen.«
Aggo sah von ihr zu Qotho. Er ließ das Messer sinken.
«Ich wollte nichts Böses, wilde Reiter. «Die Frau sprach gut Dothrakisch. Die Kleider, die sie trug, waren einst von leichtesten und feinsten Stoffen gewesen, reichverziert, doch nun waren sie lehmverkrustet und blutig und zerrissen. Sie hielt das zerfetzte Tuch ihres Oberteils an ihre schweren Brüste.»Ich habe etwas Erfahrung in der Heilkunst.«
«Wer bist du?«fragte Dany.
«Ich heiße Mirri Maz Duur. Ich bin das Götterweib dieses Tempels.«
«Maegi«, knurrte Haggo und griff nach seinem arakh. Seine Miene hatte sich verfinstert. Dany kannte dieses Wort aus einer schrecklichen Geschichte, die Jhiqui ihr eines Abends am Feuer erzählt hatte. Eine maegi war eine Frau, die mit Dämonen schlief und die schwärzeste aller Magien praktizierte, ein übles Weib, böse und seelenlos, die im Dunkel der Nacht zu Männern kam und ihnen Leben und Kraft aus den Leibern sog.
«Ich bin Heilerin«, sagte Mirri Maz Duur.
«Eine Schafsheilerin«, höhnte Qotho.»Blut von meinem Blut, ich sage, tötet diese maegi und wartet auf die haarlosen Männer.«
Dany überhörte den Ausbruch des Blutreiters. Diese alte, freundliche, dickleibige Frau sah in ihren Augen nicht wie eine maegi aus.»Wo hast du die Heilkunst erlernt, Mirri Maz Duur?«
«Meine Mutter war Götterweib vor mir, und sie hat mich alle Lieder und Sprüche gelehrt, die dem Großen Hirten gefallen, und wie man den heiligen Rauch und Salben aus Blättern und Wurzeln und Beeren macht. Als ich jünger und noch hübscher war, bin ich mit der Karawane nach Asshai gereist, um von den dortigen Magiern zu lernen. Schiffe aus vielen Ländern kommen nach Asshai, also blieb ich lange, um die Heilkünste ferner Völker zu erlernen. Eine Mondsängerin von den Jogos Nhai hat mir ihre Geburtslieder vermacht, eine Frau aus Eurem reitenden Volk hat mich den Zauber von Gras und Korn und Pferd gelehrt, und ein Maester aus den Abendländern hat eine Leiche für mich geöffnet und mir alle Geheimnisse gezeigt, die unter der Haut liegen.«
Ser Jorah Mormont meldete sich zu Wort.»Ein Maester?«
«Marwyn nannte er sich selbst«, antwortete die Frau in der Gemeinen Zunge.»Vom Meer. Von jenseits des Meeres. Die Sieben Länder, sagte er. Abendländer. Wo Männer aus Eisen sind und Drachen herrschen. Er hat mich diese Sprache gelehrt.«
«Ein Maester in Asshai«, überlegte Ser Jorah.»Sagt mir, Gottesweib, was trug dieser Marwyn um seinen Hals?«
«Eine Kette, die so eng war, daß sie ihn fast erwürgte,
Eisenlord, mit Gliedern aus mancherlei Metall.«
Der Ritter warf Dany einen Blick zu.»Nur jemand, der in der Citadel von Oldtown ausgebildet wurde, trägt eine solche Kette«, sagte er,»und solche Männer verstehen tatsächlich viel vom Heilen.«
«Warum solltest du meinem khal helfen wollen?«
«Alle Menschen sind eine Herde, das zumindest lehrt man uns«, erwiderte Mirri Maz Duur.»Der Große Hirte hat mich auf die Erde gesandt, um seine Lämmer zu heilen, wo immer ich sie finde.«
Qotho versetzte ihr eine brennende Ohrfeige.»Wir sind keine Schafe, maegi.«
«Hör auf damit«, sagte Dany zornig.»Sie gehört mir. Ich will nicht, daß man ihr etwas antut.«
Khal Drogo murrte.»Der Pfeil muß entfernt werden, Qotho.«
«Ja, Großer Reiter«, antwortete Mirri Maz Duur und berührte ihr schmerzendes Gesicht.»Und Eure Brust muß gewaschen und genäht werden, damit die Wunde nicht eitert.«
«Dann tu es«, befahl Khal Drogo.
«Großer Reiter«, sagte die Frau,»meine Instrumente und Arzneien befinden sich im Gotteshaus, wo die Heilkräfte am stärksten sind.«
«Ich werde Euch tragen, Blut von meinem Blut«, bot Haggo ihm an.
Khal Drogo winkte ab.»Man muß mir nicht helfen«, sagte er mit stolzer, harter Stimme. Er stand auf, ohne Beistand, ragte über allen auf. Frisches Blut lief über seine Brust, dort wo Ogos arakh ihm die Brustwarze abgeschnitten hatte. Eilig trat Dany an seine Seite.»Ich bin kein Mann«, flüsterte sie,»also kannst du dich auf mich stützen. «Drogo legte ihr die mächtige Hand auf die Schulter. Sie nahm ihm etwas von seinem
Gewicht, während sie dem großen Lehmtempel entgegengingen. Die drei Blutreiter folgten. Dany befahl Ser Jorah und den Kriegern ihres khas, den Eingang zu bewachen.
Sie kamen durch eine Reihe von Vorkammern in den hohen Mittelraum unter der Zwiebel. Schwaches Licht fiel von oben durch verborgene Fenster. Ein paar Fackeln brannten qualmend in Halterungen an den Wänden. Schaffelle lagen über den erdigen Boden verteilt.»Dort«, sagte Mirri Maz Duur und deutete auf den Altar, einen massiven, blau geäderten Stein, in den Bilder von Schafhirten und ihren Herden gemeißelt waren. Khal Drogo legte sich darauf. Die alte Frau warf eine Handvoll getrockneter Blätter auf einen flachen Rost, was den Raum mit duftendem Rauch erfüllte.»Am besten wartet Ihr draußen«, sagte sie den anderen.
«Wir sind das Blut von seinem Blut«, erwiderte Cohollo.»Wir warten hier.«
Qotho trat nah an Mirri Maz Duur heran.»Wisse, Frau des Lämmergottes, wenn dem khal etwas geschieht, geschieht dir dasselbe. «Er zog sein Messer und zeigte ihr die Klinge.
«Sie wird ihm nichts tun. «Dany spürte, daß sie dieser alten Frau mit der flachen Nase und dem offenen Gesicht vertrauen konnte. Schließlich hatte sie die Frau aus den mehr als groben Händen ihrer Vergewaltiger gerettet.
«Wenn Ihr bleiben müßt, dann helft«, erklärte Mirri den Blutreitern.»Der Große Reiter ist zu stark für mich. Haltet ihn fest, wenn ich den Pfeil aus seinem Fleisch ziehe. «Sie ließ die Fetzen ihres Kleides bis auf die Hüften fallen, als sie eine geschnitzte Truhe öffnete, und war mit Flaschen und Kästen beschäftigt, mit Messern und Nadeln. Damit fertig, brach sie die mit Widerhaken versehene Pfeilspitze ab und zog den Schaft heraus, wobei sie einen Singsang in der Sprache der Lhazareen von sich gab. Sie erhitzte Wein auf dem Rost, bis er kochte, und goß ihn über die Wunden. Khal Drogo verfluchte sie, doch zuckte er nicht. Sie verband die Pfeilwunde mit einem Pflaster aus feuchten Blättern und wandte sich dem Schnitt an seiner Brust zu, verschmierte eine hellgrüne Paste darauf, bevor sie den Hautlappen wieder an Ort und Stelle brachte. Der khal knirschte mit den Zähnen und schluckte einen Schrei herunter. Das Götterweib nahm eine Silbernadel und eine Spule mit Seidenfaden und begann, das Fleisch zu nähen. Anschließend bestrich sie die Haut mit roter Salbe, bedeckte sie ebenfalls mit Blättern und verband die Brust mit einem Fetzen Lammfell.»Ihr müßt die Gebete sagen, die ich Euch nenne, und das Lammfell zehn Tage und zehn Nächte dort behalten«, sagte sie.»Ihr werdet Fieber bekommen und Juckreiz und eine große Narbe, wenn die Heilung vollendet ist.«
Khal Drogo setzte sich auf, und seine Glöckchen klingelten.»Ich singe von meinen Narben, Schafsfrau. «Er spannte seinen Arm und sah sie finster an.
«Trinkt weder Wein noch Mohnblumensaft«, warnte sie ihn.»Ihr werdet Schmerzen haben, aber Ihr müßt Euren Körper stark genug erhalten, daß er sich gegen die bösen Geister wehren kann.«
«Ich bin khal«, sagte Drogo.»Ich spucke auf den Schmerz und trinke, was mir gefällt. Cohollo, bring meine Weste. «Der alte Mann eilte davon.
«Vorhin«, sagte Dany zu der häßlichen Frau der Lhazareen,»habe ich gehört, wie du von Geburtsliedern gesprochen hast… «
«Ich kenne alle Geheimnisse des Blutbettes, Mylady, und ich habe noch nie ein Kind verloren«, erwiderte Mirri Maz Duur.
«Meine Zeit ist bald gekommen«, sagte Dany.»Vielleicht wärst du so freundlich und würdest mir helfen, wenn er herausdrängt.«
Khal Drogo lachte.»Mond meines Lebens, man bittet eine
Sklavin nicht, man befiehlt es ihr. Sie wird tun, was du sagst. «Er sprang vom Altar.»Komm, mein Blut. Die Hengste rufen, dieser Ort ist Asche. Es wird Zeit zu reiten.«
Haggo folgte dem khal zum Tempel hinaus, doch Qotho blieb noch so lange, daß er Mirri Maz Duur einen bohrenden Blick schenken konnte.»Vergiß nicht, maegi, wie es dem khal ergeht, ergeht es auch dir.«
«Ganz wie Ihr sagt, Reiter«, antwortete die Frau, während sie ihre Gefäße und Flaschen einsammelte.»Der Große Hirte wacht über seine Herde.«