Daenerys

Das Herz dampfte in der kühlen Abendluft, als Khal Drogo es vor ihr ablegte, roh und blutig. Seine Arme waren bis zu den Ellenbogen rot. Hinter ihm knieten seine Blutreiter im Sand neben dem Kadaver eines wilden Hengstes, steinerne Messer in Händen. Im flackernden Orange des Fackelscheins, der die hohen Kreidewände der Grube umgab, wirkte das Blut des Rosses schwarz.

Dany berührte die weiche Wölbung ihres Bauches. Schweiß perlte auf ihrer Haut und tropfte an der Stirn herab. Sie konnte spüren, daß die alten Frauen sie beobachteten, die alten Weiber von Vaes Dothrak, mit Augen, die wie polierter Feuerstein in ihren faltigen Gesichtern glänzten. Sie durfte weder zucken noch ängstlich wirken. Ich bin das Blut des Drachen, sagte sie sich selbst, als sie das Herz des Hengstes in beide Hände nahm, es an den Mund hob und die Zähne in das zähe, sehnige Fleisch grub.

Warmes Blut füllte ihren Mund und lief ihr übers Kinn. Der Geschmack drohte sie zu ersticken, trotzdem zwang sie sich, zu kauen und zu schlucken. Das Herz eines Hengstes würde ihren Sohn stark und schnell und furchtlos machen — dies zumindest glaubten die Dothraki — , doch nur, wenn die Mutter es ganz essen konnte. Sollte sie vom Blut würgen müssen oder das Fleisch erbrechen, fielen die Omen ungünstiger aus. Das Kind mochte tot geboren werden oder schwach sein, deformiert oder weiblich.

Ihre Mägde hatten geholfen, sie für die Zeremonie vorzubereiten. Trotz des empfindlichen Magens, mit dem sie seit zwei Monaten geschlagen war, hatte Dany Schalen mit halb geronnenem Blut zu sich genommen, um sich an den Geschmack zu gewöhnen, und Irri hatte ihr Kaustreifen aus getrocknetem Pferdefleisch zu essen gegeben, bis ihr Unterkiefer schmerzte. Vor der Zeremonie hatte sie einen Tag und eine Nacht gefastet, in der Hoffnung, daß der Hunger helfen würde, das rohe Fleisch bei sich zu behalten.

Das Herz des wilden Hengstes bestand nur aus Muskeln, und Dany mußte es mit den Zähnen reißen und jeden Mundvoll lange kauen. Stahl war innerhalb der heiligen Schranken von Vaes Dothrak verboten, im Schatten der Mutter aller Berge. Sie mußte das Herz mit Zähnen und Fingernägeln zerreißen. Ihr wollte sich der Magen umdrehen, dennoch kaute sie weiter, das Gesicht mit Herzblut beschmiert, das manchmal an ihren Lippen zu explodieren schien.

Khal Drogo stand über sie gebeugt, während sie aß, das Gesicht hart wie ein Bronzeschild. Sein langer, schwarzer Zopf glänzte vom Öl. Er trug goldene Ringe im Bart, goldene Glöckchen im Zopf und einen schweren Gurt aus goldenen Medaillons um die Hüften, doch seine Brust war nackt. Sie sah ihn an, sobald die Kraft sie zu verlassen schien, sah ihn an und kaute und schluckte, kaute und schluckte, kaute und schluckte. Zum Ende hin glaubte Dany, grimmigen Stolz in seinen dunklen, mandelförmigen Augen zu erkennen, nur konnte sie sich dessen nicht sicher sein. Die Miene des khal verriet selten, was in ihm vorging.

Und schließlich war es vollbracht. Ihre Wangen und Hände klebten, als sie den Rest herunterwürgte. Da erst wandte sie die Augen wieder den alten Frauen zu, den alten Weibern der dosh khaleen.

«Khalakka dothrae mr'anha!«verkündete sie in ihrem besten Dothraki. Ein Prinz reitet in mir! Tagelang hatte sie diesen Satz mit ihrer Magd Jhiqui geübt.

Die Älteste, eine gebückte, verschrumpelte, spindeldürre Frau, hob die Arme in die Höhe.»Khalakka dothrae!«kreischte sie. Der Prinz reitet!

«Er reitet!« antworteten die anderen Frauen.»Rakh! Rakh! Rakh haj!« verkündeten sie. Ein Junge, ein Junge, ein kräftiger Junge.

Glocken läuteten, ein plötzliches Getöse von bronzenen Vögeln. Ein kehliges Kriegshorn gab einen langen, tiefen Ton von sich. Die alten Frauen fingen an zu singen. Unter ihren bemalten Lederwesten wiegten sich die welken Zitzen schimmernd von Öl und Schweiß. Die Eunuchen, die sie bedienten, warfen Bündel von trockenem Gras in eine große Bronzepfanne, und Wolken von duftendem Rauch stiegen zum Mond und zu den Sternen auf. Die Dothraki glaubten, die Sterne seien Pferde aus Feuer, eine große Herde, die bei Nacht über den Himmel galoppierte.

Als der Rauch aufstieg, erstarb das Singen, und die alte Frau schloß ihr eines Auge, um besser in die Zukunft blicken zu können. Vollkommene Stille herrschte. Dany konnte in der Ferne Nachtvögel hören, das Zischen und Knacken von Fackeln, das sanfte Plätschern von Wasser im See. Die Dothraki starrten sie mit nächtlichen Augen an und warteten.

Khal Drogo legte seine Hand auf Danys Arm. Sie konnte die Spannung in seinen Fingern spüren. Selbst ein khal, der so mächtig wie Drogo war, kannte die Angst, wenn die dosh khaleen einen Blick in den Rauch der Zukunft warfen. In ihrem Rücken flatterten ängstlich die Mägde herum.

Schließlich schlug die alte Frau ihr Auge auf und hob die Arme.»Ich habe sein Gesicht gesehen und den Donner seiner Hufe gehört«, verkündete sie mit dünner, bebender Stimme.»Donner seiner Hufe!«wiederholten die anderen.»Schnell wie der Wind, so reitet er, und hinter ihm überzieht sein khalasar die Erde, Männer ohne Zahl, mit arakhs, die wie Grashalme in seinen Händen schimmern. Wild wie ein Sturm wird der Prinz sein. Seine Feinde werden vor ihm zittern, um ihre Frauen werden Blut weinen und sich vor Trauer zerfleischen. Die Glocken im Haar werden von seinem Kommen künden, und die Milchmenschen in den Steinzelten werden seinen Namen fürchten. «Die alte Frau zitterte und sah Dany vorsichtig an, als fürchtete sie sich.»Der Prinz reitet, und er wird der Hengst sein der die Welt besteigt!«

«Der Hengst, der die Welt besteigt!«riefen die Zuschauer wie ein Echo, bis die Nacht vom Klang ihrer Stimmen widerhallte.

Das einäugige Weib blickte Dany durchdringend an.»Wie soll er heißen, der Hengst, der die Welt besteigt?«

Für die Antwort erhob sie sich.»Er soll Rhaego heißen«, sagte sie mit den Worten, die Jhiqui sie gelehrt hatte. Ihre Hände umfaßten schützend die Rundung unter ihren Brüsten, als ein Donnern von den Dothraki ausging.»Rhaego«, riefen sie.»Rhaego, Rhaego, Rhaego!«

Der Name klang noch in ihren Ohren, als Khal Drogo sie aus der Grube führte. Seine Blutreiter reihten sich hinter ihnen ein. Eine Prozession folgte ihnen auf den Götterpfad hinaus, die breite, grasbewachsene Straße entlang, die durch das Herz von Vaes Dothrak führte, vom Pferdetor zur Mutter aller Berge. Die alten Weiber der dosh khaleen kamen zuerst, mit ihren Eunuchen und Sklaven. Einige stützten sich auf lange, geschnitzte Stöcke, wenn sie sich auf zitternden Beinen vorwärts kämpften, während andere erhaben wie Reiterlords stolzierten. Jede dieser alten Frauen war einst eine khaleesi gewesen. Wenn ihre Männer starben und ein neuer khal seinen Platz vor allen Reitern einnahm, mit einer neuen khaleesi neben sich, schickte man sie hierher, damit sie über das riesige Land der Dothraki herrschten. Noch der mächtigste khal verneigte sich vor der Weisheit und Autorität der dosh khaleen. Dennoch lief Dany ein Schauer über den Rücken, wenn sie daran dachte, daß man sie eines Tages zu ihnen schicken würde, ob sie nun wollte oder nicht.

Hinter den weisen Frauen folgten die anderen. Khal Drogo und sein Sohn, der khalakka Togo, Khal Jommo und seine Frauen, die wichtigsten Männer aus Drogos khalasar, Danys Mägde, die Diener und Sklaven des khal und viele mehr. Glocken läuteten, und Trommeln schlugen einen würdevollen Rhythmus, während sie über den Götterpfad marschierten. Gestohlene Helden und die Götter toter Völker brüteten in der Dunkelheit jenseits der Straße. Neben der Prozession liefen Sklaven leichten Fußes mit Fackeln in Händen durch Gras, und die flackernden Flammen ließen die großen Monumente fast lebendig erscheinen.

«Was bedeutet der Name Rhaego?«fragte Khal Drogo, während sie gingen, in der Gemeinen Zunge der Sieben Königslande. Sie hatte ihn ein paar Worte gelehrt, wenn sie konnte. Drogo lernte schnell, wenn er sich auf etwas einließ, nur war sein Akzent so breit und barbarisch, daß weder Ser Jorah noch Viserys ein Wort von dem verstehen konnten, was er sagte.

«Mein Bruder Rhaegar war ein wilder Krieger, meine Sonne, meine Sterne«, erklärte sie ihm.»Er starb, bevor ich geboren wurde. Ser Jorah sagt, er sei der letzte Drache gewesen.«

Khal Drogo sah auf sie herab. Sein Gesicht war eine kupferne Maske, unter dem langen, schwarzen Bart, der vom Gewicht seiner goldenen Ringe in die Tiefe gezogen wurde, meinte sie jedoch den Anflug eines Lächelns ausgemacht zu haben.»Ist gute Name, Dan Ares Frau, Mond meines Lebens«, sagte er.

Sie ritten zu dem See, den die Dothraki» Schoß der Welt «nannten, ein von Schilf umgebenes, stilles Wasser. Vor tausend Jahren, soviel hatte Jhiqui ihr erzählt, war der erste Mensch aus seiner Tiefe aufgestiegen, reitend auf dem ersten Pferd.

Die Prozession wartete am grasbewachsenen Ufer, während Dany sich entkleidete und ihre verschmutzten Sachen auf die Erde fallen ließ. Nackt stieg sie vorsichtig ins Wasser. Irri behauptete, der See habe keinen Grund, doch Dany spürte, wie der weiche Schlamm zwischen ihren Zehen hervorquoll, als sie sich durch das hohe Schilf schob. Der Mond trieb auf den stillen, schwarzen Fluten, zersprang und formte sich erneut, wenn die Wellen über sein Spiegelbild hinwegglitten. Sie bekam eine Gänsehaut, als die Kälte an ihren Oberschenkeln hinaufkroch und ihre unteren Lippen küßte. Das Hengstblut an ihren Händen und um den Mund herum war getrocknet. Dany schöpfte heiliges Wasser, hob es über ihren Kopf und reinigte sich und das Kind in ihrem Inneren, während der khal und die anderen zuschauten. Sie hörte, wie die alten Frauen der dosh khaleen sich murmelnd miteinander unterhielten, während sie zusahen, und fragte sich, worüber sie wohl sprachen.

Als sie aus dem See stieg, zitternd und tropfend, eilte ihr die Magd Doreah mit einem Umhang von bemalter Seide entgegen, doch Khal Drogo winkte sie fort. Anerkennend betrachtete er ihre geschwollenen Brüste und die Rundung ihres Bauches, und Dany konnte sehen, wie sich seine Männlichkeit in den Hosen aus Pferdeleder abzeichnete, gleich unter den schweren Goldmedaillons seines Gürtels. Sie ging zu ihm und half ihm, sie aufzuschnüren. Dann nahm ihr mächtiger khal sie bei den Hüften und hob sie in die Luft, als wäre sie ein Kind. Die Glöckchen in seinem Haar klingelten leise.

Dany legte die Arme um seine Schultern und drückte ihr Gesicht an seinen Hals, als er sich in sie drängte. Drei kurze Stöße, und es war vorüber.»Der Hengst, der die Welt besteigt«, flüsterte Drogo heiser. Noch immer rochen seine Hände nach Pferdeblut. Er biß sie in den Hals, fest, im Augenblick seiner Freude, und als sie ihn von sich hob, war sein Same in ihr und tropfte innen an ihren Schenkeln herab. Da erst erlaubte man Doreah, sie in duftende Seide zu hüllen, und Irri, ihr weiche Pantoffeln überzustreifen.

Khal Drogo verschnürte sich, rief einen Befehl, und Pferde wurden zum Ufer des Flusses gebracht. Cohollo wurde die

Ehre zuteil, der khaleesi auf ihren Silbernen zu helfen. Drogo gab seinem Hengst die Sporen und machte sich auf den Weg, den Götterpfad hinab, unter Mond und Sternen. Auf ihrem Silbernen hielt Dany leicht Schritt.

Das Seidenzelt, welches das Dach der Halle Khal Drogos darstellte, war heute abend eingerollt, und der Mond folgte ihnen hinein. Flammen sprangen aus drei mächtigen, steinernen Feuerstellen jeweils drei Meter in die Luft. Dicht hing der Duft von brutzelndem Fleisch und geronnener, gegorener Stutenmilch in der Luft. In der Halle war es voll und laut, als sie eintrafen, auf den Kissen drängten sich jene, deren Rang und Name nicht genügte, der Zeremonie beizuwohnen. Während Dany durch den Eingangsbogen und den Gang hinauf ritt, waren alle Blicke auf sie gerichtet. Die Dothraki riefen ihr Bemerkungen über ihren Bauch und ihre Brust zu, grüßten das Leben, das darin ruhte. Sie konnte nicht alles verstehen, einen Satz hingegen hörte sie deutlich heraus.»Der Hengst, der die Welt besteigt«, wurde von tausend Stimmen gebellt.

Trommeln und Hörner schwangen sich in die Nacht auf. Halbnackte Frauen drehten sich und tanzten auf den flachen Tischen, inmitten von Bratenplatten und Tellern, auf denen sich Pflaumen und Datteln und Granatäpfel stapelten. Viele der Männer waren betrunken von gegorener Stutenmilch, aber Dany wußte, daß sich heute abend keine arakhs kreuzen würden, nicht hier in der heiligen Stadt, wo Klingen und Blutvergießen verboten waren.

Khal Drogo stieg ab und nahm seinen Platz auf der Hohen Bank ein. Khal Jommo und Khal Ogo, die mit ihren khalasars bereits in Vaes Dothrak gewesen waren, nahmen die Ehrenplätze links und rechts von Drogo ein. Die Blutreiter der drei khals saßen gleich darunter, und weiter unten Khal Jommos vier Frauen.

Dany stieg von ihrem Silbernen und überließ die Zügel einem der Sklaven. Während Doreah und Irri ihre Kissen ordneten, suchte sie nach ihrem Bruder. Selbst noch auf der anderen Seite der Halle wäre Viserys mit seiner hellen Haut, dem silbernen Haar und seinen Bettlerlumpen aufgefallen, doch sah sie ihn nirgendwo.

Ihr Blick wanderte umher, wo Männer, deren Zöpfe kürzer als ihre Männlichkeit waren, auf ausgefransten Teppichen um flache Tische saßen, alle Gesichter, die sie sah, hatten allerdings schwarze Augen und kupferfarbene Haut. Sie entdeckte Ser Jorah Mormont in der Mitte der Halle, nahe der mittleren Feuerstelle. Der Platz zeugte von hoher Achtung, wenn nicht von großer Ehre. Die Dothraki schätzten das Können des Ritters mit dem Schwert. Dany schickte Jhiqui, um ihn an ihren Tisch zu holen. Mormont kam eilig und sank vor ihr auf die Knie.»Khaleesi«, sagte er,»ich stehe zu Eurer Verfügung.«

Sie strich über das dicke Kissen aus Pferdeleder neben sich.»Nehmt Platz und unterhaltet Euch mit mir.«

«Ihr ehrt mich. «Der Ritter sank mit gekreuzten Beinen auf das Kissen. Ein Sklave kniete vor ihm, bot einen hölzernen Teller mit reifen Feigen an. Ser Jorah nahm eine und biß sie in zwei Hälften.

«Wo ist mein Bruder?«fragte Dany.»Er hätte längst da sein sollen, zum Fest.«

«Ich habe Seine Majestät heute morgen gesehen«, erklärte er.»Er sagte, er wolle zum Westlichen Markt, um sich Wein zu beschaffen.«

«Wein?«sagte Dany zweifelnd. Viserys konnte den Geschmack der gegorenen Stutenmilch nicht ertragen, welche die Dothraki tranken, das wußte sie, und in letzter Zeit war er oft auf den Basaren und soff mit den Händlern, die in großen Karawanen aus Ost und West kamen. Deren Gesellschaft schien er mehr zu genießen als die ihre.

«Wein«, versicherte Ser Jorah,»und er denkt daran, unter den Söldnern, die die Karawanen schützen, Männer für seine Armee zu rekrutieren. «Ein Dienstmädchen stellte einen Blutauflauf vor ihm ab, und er machte sich mit beiden Händen darüber her.

«Ist das klug?«fragte sie.»Er hat kein Gold, um die Soldaten zu bezahlen. Was ist, wenn er betrogen wird?«Karawanenwächter sorgten sich nur selten um Fragen der Ehre, und der Usurpator in King's Landing würde für den Kopf ihres Bruders gut bezahlen.»Ihr hättet mit ihm gehen sollen, damit er in Sicherheit ist. Ihr seid seine Leibwache.«

«Wir sind in Vaes Dothrak«, erinnerte er sie.»Hier darf niemand eine Klinge bei sich tragen oder das Blut eines anderen vergießen.«

«Dennoch sterben Menschen«, sagte sie.»Jhogo hat es mir erzählt. Einige Händler haben Eunuchen bei sich, hünenhafte Männer, die Diebe mit Seidenfetzen strangulieren. So wird kein Blut vergossen, und die Götter zürnen nicht.«

«Dann laßt uns hoffen, daß Euer Bruder klug genug ist, nichts zu stehlen. «Ser Jorah wischte sich das Fett mit dem Handrücken vom Mund und beugte sich weit über den Tisch.»Er plante, Eure Dracheneier zu stehlen, bis ich ihn gewarnt habe, ich würde ihm die Hand abhacken, sollte er sie auch nur anrühren.«

Einen Moment lang war Dany so schockiert, daß ihr die Worte fehlten.»Meine Eier… aber sie gehören mir. Magister Illyrio hat sie mir geschenkt, als Brautgabe, wieso sollte Viserys… es sind nur Steine…«

«Dasselbe könnte man auch von Rubinen und Diamanten und Feueropalen sagen, Prinzessin… und Dracheneier sind noch weit seltener. Diese Händler, mit denen er getrunken hat, würden sogar ihre Männlichkeit für einen dieser Steine geben, und mit allen dreien könnte Viserys so viele Söldner kaufen, wie er braucht.«

Das hatte Dany nicht gewußt, nicht einmal geahnt.»Dann… er soll sie bekommen. Stehlen muß er dafür nicht. Er hätte nur zu fragen brauchen. Schließlich ist er mein Bruder und mein wahrer König.«

«Er ist Euer Bruder«, räumte Ser Jorah ein.

«Ihr versteht nicht, Ser«, sagte sie.»Meine Mutter starb, als ich geboren wurde, und mein Vater und mein Bruder Rhaegar noch davor. Ich hätte nicht einmal ihre Namen gekannt, wenn Viserys nicht gewesen wäre und sie mir gesagt hätte. Er war als einziger noch übrig. Der einzige. Er ist alles, was ich habe.«

«Früher einmal«, entgegnete Ser Jorah.»Jetzt nicht mehr, Khaleesi. Ihr gehört zu den Dothraki. In Eurem Schoß reitet der Hengst, der die Welt besteigt. «Er hielt seinen Becher einer Sklavin hin, die ihn mit gegorener Stutenmilch, säuerlich mit dicken Klumpen, füllte.

Dany verscheuchte sie mit einer Handbewegung. Der bloße Geruch bereitete ihr Übelkeit, und sie wollte nicht riskieren, daß ihr das Pferdeherz, das sie sich mühsam hereingezwungen hatte, wieder hochkam.»Was bedeutet das?«fragte sie.»Was ist dieser Hengst? Alle rufen es mir zu, aber ich verstehe nicht.«

«Der Hengst ist der khal der khals, von dem in alten Prophezeiungen die Rede ist, mein Kind. Er wird die Dothraki zu einem einzigen khalasar einen und an die Enden der Welt reiten, so zumindest wird es vorhergesagt. Alle Völker dieser Welt werden seiner Herde angehören.«

«Oh«, sagte Dany mit leiser Stimme. Sie strich den Umhang auf der Wölbung ihres Bauches glatt.»Ich habe ihn Rhaego genannt.«

«Ein Name, bei dem das Blut des Usurpators gefrieren dürfte.«

Plötzlich zupfte Doreah an ihrem Ellbogen.»Mylady«, flüsterte die Magd dringlich,»Euer Bruder…«

Dany sah durch die lange, dachlose Halle, und dort kam er, strebte ihr entgegen. Am Schlurfen seiner Schritte erkannte sie, daß Viserys Wein gefunden hatte… und etwas, das wie Mut aussah.

Er trug rote Seide, verschmutzt und fleckig von der Reise. Sein Umhang und die Handschuhe waren aus schwarzem Samt, den die Sonne gebleicht hatte. Die Stiefel waren ausgetrocknet und brüchig, das silberblonde Haar matt und verfilzt. Ein Langschwert hing in einer ledernen Scheide an seinem Gürtel. Die Dothraki musterten das Schwert, als er an ihnen vorüberging. Dany hörte, daß sich um sie herum Flüche und Drohungen und wütendes Gemurmel erhoben wie ein Sturm. Die Musik erstarb.

Furcht schloß sich um ihr Herz.»Geht zu ihm«, befahl sie Ser Jorah.»Haltet ihn auf! Bringt ihn her! Sagt ihm, die Dracheneier gehören ihm, wenn er sie unbedingt haben will. «Eilig erhob sich der Ritter.

«Wo ist meine Schwester?«rief Viserys, und seine Stimme war belegt vom Wein.»Ich bin zu ihrem Fest gekommen. Wie könnt Ihr Euch erdreisten, ohne mich zu speisen? Niemand ißt, solange der König noch nicht gegessen hat. Wo ist sie? Die Hure kann sich vor dem Drachen nicht verstecken.«

Er blieb neben der größten der drei Feuerstellen stehen, sah in die Gesichter der umstehenden Dothraki. Fünftausend Mann hatten sich in der Halle versammelt, davon war nur eine Handvoll der Gemeinen Zunge mächtig. Aber selbst wenn seine Worte unverständlich sein mochten, mußte man ihn nur ansehen, um zu wissen, daß er betrunken war.

Eilig ging Ser Jorah zu ihm, flüsterte ihm etwas ins Ohr und nahm ihn beim Arm, doch Viserys riß sich los.»Nehmt Eure Hände weg! Niemand rührt den Drachen ohne Erlaubnis an.«

Ängstlich sah Dany zur Hohen Bank auf. Khal Drogo sagte etwas zu den anderen khals an seiner Seite. Khal Jommo

grinste, und Khal Ogo brach in schallendes Gelächter aus.

Das Lachen ließ Viserys aufmerken.»Khal Drogo«, sagte er mit belegter Stimme, fast höflich.»Ich bin gekommen, um zu feiern. «Er taumelte von Ser Jorah fort und wollte sich zu den drei khals auf der Hohen Bank gesellen.

Khal Drogo erhob sich, spie ein Dutzend Worte auf dothrakisch aus, zu schnell, als daß Dany sie verstehen konnte, und zeigte mit dem Finger zur anderen Seite des Raums.»Khal Drogo sagt, Euer Platz wäre nicht auf der Hohen Bank«, übersetzte Ser Jorah für ihren Bruder.»Khal Drogo sagt, Euer Platz ist hier.«

Viserys sah, wohin der Khal deutete. Zum anderen Ende der langen Halle, in eine Ecke an der Wand, weit im Schatten, damit die besseren Männer ihren Anblick nicht ertragen mußten, saßen die Geringsten der Geringen: grobe, gemischtrassige Jungen, alte Männer mit umnebelten Augen und steifen Gelenken, die Geistesschwachen und Verkrüppelten. Weit vom Fleisch und weiter noch von der Ehre.»Das ist kein Platz für einen König«, erklärte Danys Bruder.

«Ist Platz«, antwortete Khal Drogo in der Gemeinen Zunge, die Dany ihn gelehrt hatte,»für König Wundfuß. «Er klatschte in die Hände.»Eine Karre! Bringt Karre für Khal Rhaggat!«

Fünftausend Dothraki fingen an zu grölen. Ser Jorah stand neben Viserys, schrie ihm ins Ohr, durch das donnernde Gebrüll in der Halle konnte Dany jedoch nicht verstehen, was er sagte. Ihr Bruder schrie zurück, und die beiden Männer wurden handgreiflich, bis Mormont Viserys zu Boden schlug.

Der Drache zog sein Schwert.

Gefährlich rot leuchtete der nackte Stahl im Licht der Feuerstellen.»Haltet Euch fern von mir!«zischte Viserys. Ser Jorah trat einen Schritt zurück, und ihr Bruder kam wankend auf die Beine. Er schwenkte das Schwert über seinem Kopf, die geliehene Klinge, die Magister Illyrio ihm überlassen hatte, damit er königlicher wirkte. Von allen Seiten schrien ihn Dothraki an, stießen böse Flüche aus.

Dany gab einen wortlosen Entsetzensschrei von sich. Sie wußte, was ein gezücktes Schwert an diesem Ort bedeutete, auch wenn ihr Bruder sich dessen nicht im klaren war.

Beim Klang ihrer Stimme drehte sich Viserys um und sah sie zum ersten Mal.»Da ist sie«, sagte er lächelnd. Er stakste ihr entgegen, hieb durch die Luft, als kämpfte er sich durch eine Mauer aus Feinden, obwohl niemand versuchte, ihm den Weg zu verstellen.

«Die Klinge… das darfst du nicht«, flehte sie ihn an.»Bitte, Viserys. Es ist verboten. Steck das Schwert weg und setz dich mit auf meine Kissen. Hier gibt es zu trinken, zu essen… willst du die Dracheneier? Du kannst sie haben, nur wirf das Schwert weg.«

«Tut, was sie sagt, Dummkopf«, rief Ser Jorah,»bevor es uns alle das Leben kostet,«

Viserys lachte.»Sie können uns nicht töten. Sie dürfen in der heiligen Stadt kein Blut vergießen… aber ich darf es. «Er setzte die Spitze seines Schwertes zwischen Daenerys Brüste und ließ sie herabgleiten, über die Rundung ihres Bauches.»Ich will haben, wozu ich hergekommen bin«, erklärte er ihr.»Ich will die Krone, die er mir versprochen hat. Er hat dich gekauft, aber er hat nie für dich bezahlt. Sag ihm, ich will, was wir vereinbart haben, sonst nehme ich dich wieder mit. Dich und die Eier. Seinen verdammten Balg kann er gern behalten. Ich schneid den Bengel raus und laß ihn da. «Das Schwert drang durch die Seide und stach in ihren Nabel. Viserys weinte, das sah sie, weinte und lachte gleichzeitig, dieser Mann, der einst ihr Bruder gewesen war.

Wie aus weiter Ferne hörte Dany, daß ihre Magd Jhiqui vor Angst schluchzte, flehte, daß sie nicht wagte, zu übersetzen, daß der khal sie fesseln und mit seinem Pferd den ganzen Weg zur Mutter aller Berge schleifen würde. Sie legte ihren Arm um das Mädchen und tröstete es:»Hab keine Angst! Ich werde es ihm sagen.«

Sie wußte nicht, ob sie genügend Worte kannte, doch als sie fertig war, erwiderte Khal Drogo ein paar barsche Sätze auf dothrakisch, und sie wußte, daß er verstanden hatte. Die Sonne ihres Lebens trat von der Hohen Bank herab.»Was hat er gesagt?«fragte der Mann, der ihr Bruder gewesen war, und zuckte dabei.

In der Halle war es so still geworden, daß sie die Glöckchen in Khal Drogos Haar hören konnte, die bei jedem Schritt leise klingelten. Seine Blutreiter folgten ihm wie drei kupferne Schatten. Daenerys war kalt geworden.»Er sagt, du sollst eine prächtige, goldene Krone bekommen, damit die Menschen erzittern, wenn sie dich sehen.«

Viserys lächelte und ließ das Schwert sinken. Das war das Traurigste, das später noch lange an ihr nagen sollte… wie er lächelte.»Mehr wollte ich nicht«, sagte er.»Nur was vereinbart war.«

Als die Sonne ihres Lebens zu ihr kam, schlang Dany einen Arm um seine Hüfte. Der khal sagte ein Wort, und seine Blutreiter sprangen vor. Qotho packte den Mann, der ihr Bruder gewesen war, beim Arm. Haggo zertrümmerte sein Handgelenk mit einer einzigen, scharfen Drehung seiner mächtigen Hände. Cohollo zog das Schwert aus seinen kraftlosen Fingern. Noch immer verstand Viserys nicht.»Nein«, rief er,»ihr dürft mir nichts tun, ich bin der Drache, der Drache, und man wird mich krönen!«

Khal Drogo löste seinen Gürtel. Die Medaillons waren aus gediegenem Gold, massiv und verziert, jedes davon groß wie eine Menschenhand. Er rief einen Befehl. Kochsklaven zogen einen schweren, eisernen Topf vom Feuer, kippten dessen

Inhalt auf den Boden und stellten den Topf aufs Feuer zurück. Drogo warf den Gurt hinein und sah mit ausdrucksloser Miene zu, wie die Medaillons rot wurden und ihre Form verloren. Sie sah, wie Feuer im Onyx seiner Augen tanzte. Ein Sklave reichte ihm ein Paar dicke Handschuhe aus Pferdehaar, und er zog sie an, würdigte den Mann dabei keines Blickes.

Viserys fing an, wortlos, schrill zu schreien wie der Feigling, der dem Tod ins Auge blickt. Er zappelte und trat um sich, wimmerte wie ein Hund und weinte wie ein Kind, aber die Dothraki hielten ihn zwischen sich. Ser Jorah hatte sich einen Weg an Danys Seite gebahnt. Er legte ihr die Hand auf die Schulter.»Wendet Euch ab, Prinzessin, ich bitte Euch.«

«Nein. «Sie verschränkte die Arme schützend auf ihrem runden Bauch.

Schließlich starrte Viserys sie an.»Schwester, bitte… Dany, sag ihnen… befehle ihnen… süßes Schwesterchen…«

Als das Gold halbwegs geschmolzen war und zu fließen begann, griff Drogo in die Flammen, nahm den Topf hervor.»Krone!«brüllte er.»Hier. Eine Krone für den Karrenkönig!«Und kippte den Topf über dem Kopf des Mannes aus, der einst Danys Bruder gewesen war.

Das Geräusch, das Viserys Targaryen von sich gab, als dieser gräßliche, eiserne Helm sein Gesicht verhüllte, hatte nichts Menschliches an sich. Seine Füße trampelten in Panik auf dem erdigen Boden umher, dann langsamer, dann kamen sie zur Ruhe. Dicke Rinnsale von geschmolzenem Gold liefen auf seine Brust, setzten die rote Seide in Brand.. dennoch wurde kein Tropfen Blut vergossen.

Er war kein Drache, dachte Dany eigentümlich gelassen. Feuer kann einen Drachen nicht töten.

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