Anna hatte mit dem Taxi die Halbinsel Zafferano erreicht und stand stumm vor Staunen vor dem riesigen Komplex, der eine Villa sein sollte, die ein einzelner Mann bewohnte.
«Hier ist es!«sagte der Taxifahrer.»Wer bezahlt? Die da drinnen oder du?«
«Ich.«
Sie holte aus dem Brotbeutel die Lire-Scheine und gab sie dem Fahrer. Aber sie rechnete genau ab, gab keinen Lire Trinkgeld. Der Chauffeur hatte das auch nicht erwartet — er hatte seine Prozente schon im Preis einkalkuliert.
Anna stieg aus, stellte die Reisetasche vor ihre Füße und hängte sich den Brotbeutel mit dem kleinen Vermögen wieder um den Hals. Das Taxi wendete und fuhr zurück nach Palermo. Hausmädchen, die eine neue Stelle antreten, sind keine begehrten Kunden.
Anna betrachtete das riesige Gittertor aus wertvollem Schmiedeeisen, die lange, hohe Mauer, die Ruinen gleich nebenan, das Meer und den Strand und legte beide Hände flach gegen den Brotbeutel. Sie spürte das Messer und war ganz ruhig. Dann drückte sie auf den Klingelknopf und schrak zusammen, als neben ihr aus der Mauer eine Stimme tönte. Was wußte sie von Haussprechanlagen?
«Sie wünschen?«fragte die Stimme. Es war ein Mann, der sprach. Anna nahm an, daß er sie durch irgendwelche Tricks auch sehen konnte, und machte einen artigen Knicks. Ihre Vermutung war gar nicht so abwegig, denn nicht nur die Einfahrt zur Villa, auch die Mauer wurde an vielen Stellen von Fernsehkameras überwacht.
«Ich bin das neue Hausmädchen«, sagte sie und starrte auf das Metallgitter, hinter dem die Stimme hervorkam.»Ich soll mich heute hier melden.«
Der unsichtbare Mann schien zu überlegen, oder er war einfach nur ratlos. Von der Einstellung eines neuen Mädchens hatte er nichts gehört. Andererseits war es bekannt, daß Don Eugenio Handlungen beging, die man hinnehmen mußte, ohne zu fragen. Auf jeden Fall war es nicht alltäglich, daß ein Mädchen mit Reisegepäck, dazu noch ein Mädchen vom Land, wie unschwer zu hören war, sich als neue Angestellte meldete. Es mußte also stimmen. Vielleicht wußte Worthlow darüber Bescheid — bei ihm liefen alle >domestikischen< Dinge (wie er es nannte) zusammen.
Im großen Gittertor summte es, und Anna ahnte, daß sie es nun aufdrücken und in dieses geheimnisvolle Reich eintreten konnte. Sie nahm ihre Reisetasche, sagte zu dem Gitter in der Mauer:»Danke,
Signore!«und betrat die breite Auffahrt zum Hauptgebäude. Es schimmerte in der Ferne zwischen Blütenbüschen und Palmenhainen, Pinien und schlanken, dunkelgrünen Säulenzypressen.
Als das große Tor hinter ihr zufiel, schrak sie zusammen, und eine ihr fremde Beklemmung legte sich um ihr Herz.
Hier also lebt Enrico jetzt, dachte sie. Wie ein König! Und ich komme daher wie eine Schweinemagd. Und dort in dem Palast lebt auch der Mann, der Luigi aufgeschlitzt hat! Es ist gar nicht so sicher, daß ich hier wieder rauskomme.
Sie bekreuzigte sich und ging die Auffahrt hinauf bis zu dem Säulenvorbau, hinter dem die Eingangshalle lag.
Es war bezeichnend für Dr. Sorianos Lebensstil, daß niemand Anna fragte, was sie eigentlich hier wolle. Wie dem Mann, der das Tor bewachte, so erging es auch der Hausdame, der das weibliche Personal unterstand: Sie nahm an, daß Anna über die Anwaltszentrale in Palermo engagiert worden war. Es gab nur eine kurze Unterhaltung.
«Wo kommst du her?«
«Aus Sardinien, Signora. «Anna sagte es unterwürfig, mit gesenktem Blick.
«Wer hat dich engagiert?«
«Ein Mann. Wie er heißt, weiß ich nicht. Er sagte, Don Eugenio suche ein tüchtiges Mädchen.«
«In Sardinien?«
«Ich habe mich auch gewundert, Signora. Aber er gab mir das Fahrgeld, die Adresse und den genauen Antrittstermin. Heute sollte ich anfangen. Und hier bin ich.«
Das genügte. Erstens der Name Don Eugenio. Wenn der Mann den genannt hatte und nicht Dr. Soriano, dann war das eine Art Legitimation. Dann Fahrgeld, Adresse, Datum. Worthlow wußte bestimmt mehr.
Man zeigte Anna ihre Kammer, die ihr wie ein Palastzimmer vorkam im Vergleich zu ihrem Felsenhaus in den Bergen von Gen-nargentu. Nur das Löwengebrüll störte sie. Das Gesindehaus lag mit einer Mauer zum Löwenhof hin, und wenn es auch nach dort hinaus keine Fenster gab, das Brüllen hörte man auch durch die Wand.
Sie bekam ihre Dienstkleidung, eine Art Uniform mit kurzem, plissiertem Rock und blauer Bluse. Der Rock war schneeweiß. Dergleichen hatte Anna bisher immer für ein Festkleid gehalten, nicht für eine Arbeitstracht.
«Du wirst zunächst als Dritte Zofe bei der Signorina eingesetzt«, sagte die Hausdame, nachdem Anna gebadet und sich eingekleidet hatte. Sie sah adrett aus. Ihre vollen Brüste spannten die Bluse, ihre braunen, schlanken Beine und das runde, pralle Gesäß unter dem kurzen Plisseerock bewiesen, daß auch in den wilden Bergen Sardiniens besonders schöne Blumen gedeihen können.
Die Hausdame hielt es deshalb für nötig, sie zu belehren:
«Das ist ein sittenstrenges Haus, Anna!«sagte sie.»Ein frommes Haus, in das sogar der Bischof zum Essen kommt. Du bist hübsch! Aber wenn du hier herumhurst, fliegst du sofort!«
«Bestimmt nicht, Signora.«, sagte Anna verschämt. Sie spielte sehr gut.
«Melde mir sofort, wenn einer der Burschen dich anfaßt!«
«Sofort, Signora.«
«Hast du einen Geliebten?«
«Ich bin noch jungfräulich, Signora.«
Die Hausdame nickte und gab keinen Kommentar dazu. So etwas ist anscheinend nur noch in sardischen Bergen möglich, dachte sie. Eine echte Jungfrau, in diesem Haus! Es war ein guter Gedanke gewesen, sie als Dritte Zofe für Signorina Loretta einzusetzen. Dort war sie sicher.
Am Abend traf Worthlow mit Anna zusammen. Er beachtete sie gar nicht. Zwar stellte er fest, daß dieses Mädchen neu im Hause war, aber weibliches Personal ging nur die Hausdame an. Auch Loretta fragte nicht, als sich Anna bei ihr vorstellte und die Schönheit der Signorina bewunderte wie eine Himmelserscheinung. Später, als Loretta im großen Speisesaal Mittelpunkt einer Gesellschaft war, saß Anna in dem großen Ankleidezimmer, hatte alle Schrän-ke geöffnet und musterte die Unzahl der Kleider und Abendkleider. Wie kann man so reich sein! Wie kann man soviel Prunk bezahlen? Wie kann ein Mann allein soviel Geld verdienen?
Sie dachte an die Bergbauern auf Sardinien, an die Hirten und Kleinhandwerker, die Händler und Tagelöhner. An die Welt, in der sie aufgewachsen war und die sie nie verlassen hätte, wenn nicht ein Mann gekommen wäre, der Luigis Körper aufschlitzte.
Der Mann!
Sie schlich sich aus dem Zimmertrakt Lorettas und versuchte, einen Blick in den Speisesaal zu werfen. Sie hörte Gelächter. Livrierte Diener eilten mit silbernen Tabletts hinein und heraus. Worthlow kommandierte seine Garde wie ein Feldherr und sah Anna erstaunt an. Da rannte sie wieder weg, hinaus in den Park, und drückte das Gesicht gegen die Scheibe einer der großen Glastüren.
Funkelndes Geschmeide, Abendkleider, nackte Rücken, halb verhüllte Busen, weiße Smokings, sogar ein paar Fräcke, gleißendes Licht aus venezianischen Kristalleuchtern, schimmernde Seidentapeten, Marmorverkleidungen, blitzender Mosaikboden im altrömischen Stil, ein langes Buffet mit kunstvollen Aufbauten aus eßbaren Dingen, die Anna noch nie gesehen hatte. Und dann erkannte sie Enrico.
In einem weißen Smoking stand er neben der Signorina Loretta, trank ein Glas Champagner und lachte. Er war braun gebrannt und so männlich schön, daß Annas Atem schneller ging.
Er ist da, dachte sie. Ich bin doch im richtigen Haus. Wenn Enrico hier ist, dann ist hier auch der Mann, der Luigi aufgeschlitzt hat. Freue dich, Luigi. Gesegnet sei dein Steingrab hinter unserer Hütte. Du kannst gerächt werden.
In den folgenden Tagen tat Anna ihre Arbeit still, bescheiden, fleißig und demütig. Loretta war mit ihr zufrieden, sie bemerkte Anna kaum, so lautlos war sie.
Aber immer, wenn Loretta sie nicht mehr brauchte, war sie auf der Jagd nach einer Möglichkeit, Dr. Volkmar zu sehen oder gar ihn zu treffen. Sie hatte nach zwei Tagen entdeckt, daß man von einem Flachdach des Flügels, in dem der große Saal lag, ungehindert in den Park, zum Swimming-pool und zum Tennisplatz blicken konnte. Hier lag Anna in jeder freien Minute hinter Blumenkübeln oder Steinstatuetten, gegen die stechende Sonne ein Tuch über dem Kopf, und starrte hinunter zu Enrico, sah, wie er schwamm, wie er Loretta auf dem Tennisplatz besiegte, wie er mit Dr. Soriano auf der Terrasse diskutierte, wie Besucher mit ihm sprachen oder wie er mit Loretta nach Stereomusik tanzte. Es sah alles wunderschön aus, aber Anna tat es im Herzen weh.
Sie knirschte mit den Zähnen, wenn Loretta mit Enrico eng umschlungen tanzte, und sie biß sich in ihre Fäuste, wenn er sie nach einem Tennismatch an sich zog und küßte.
Natürlich liebt sie ihn, dachte Anna. Sie muß ihn lieben. Wer könnte Enrico nicht lieben? Und so schön, wie sie ist — wer kann es Enrico übelnehmen, wenn er ihr nicht ausweicht? Aber das wird sich ändern, wenn er mich sieht! Mich hat er zuerst geküßt, in unserer Steinhütte auf dem Gennargentu. Und auch ich bin hübsch, auch wenn du es nicht bemerkst, Signorina Loretta!
Sie begann, mit ihrem Schminkkasten zu üben, tuschte die Lider, legte Lidschatten auf, umzog die Augen mit einem Strich, daß sie mandelförmig aussahen, zog die Umrisse ihrer roten Lippen mit einem Konturstift nach und verrieb Make-up auf ihrem Gesicht, damit es nicht so glänzte, sondern so vornehm samtig wirkte wie bei der Signorina.
Loretta fiel das am fünften Tage auf.
«Bist du verliebt?«fragte sie beiläufig, als Anna ihr das Haar bürstete.
«Ja, Signorina.«
«Das ist schön!«Loretta lächelte und dachte an Volkmar.»Ist man da nicht gleich ein anderer Mensch?«
«Ein ganz anderer, Signorina.«
«Leider hast du wenig Freizeit, nicht wahr?«
«Es reicht, Signorina. Es ist so schön bei Ihnen.«
«Wenn du einen besonderen freien Tag haben willst — sag es mir ruhig, Anna.«
«Danke, Signorina. Ich bin glücklich, wenn ich hier sein kann.«
Und dann lag sie wieder auf dem Flachdach, sah Volkmar beim Schwimmen zu, und an einem frühen Morgen sah sie ihn sogar nackt aus dem Wasser kommen und ein paarmal um den Pool laufen. Im Haus schlief noch alles.
Von da an träumte sie von diesem Anblick: Der nackte Männerkörper, der beim Laufen jeden Muskel spielen ließ und eine wilde Kraft verriet.
Nur den Mann, der Luigi aufgeschlitzt hatte, sah sie nicht.
Paolo Gallezzo war auf dem Festland, um feinmechanische Maschinen aufzukaufen, mit denen man Gefäßnahtmaschinen auf Klammerbasis herstellen konnte.
Im Tierkeller des Trakts III des >Altersheimes< gingen die Transplantationsversuche weiter. Affen, Schweine, Hunde, Katzen und gemästete Ratten lagen auf den Steintischen und bekamen fremde Herzen eingepflanzt.
Dr. Nardo und sein Team arbeiteten jetzt nach den Methoden Dr. Volkmars, aber es war deutlich, daß Dr. Nardo damit überfordert war. Die technischen Voraussetzungen waren vorhanden, man hatte die Methoden genau studiert, die Publikationen Volkmars immer wieder gelesen und durchgesprochen. Aber was ist die beste Theorie wert, wenn nicht ein Könner sie in die Praxis umsetzt!
Am längsten überlebten die Ratten und Kaninchen. Ihre Herzen waren leicht genug, um an den Gefäßen zu hängen, bis auch hier die Nähte nach einiger Zeit rissen und die Tiere, wie damals der Mensch Melata, nach innen verbluteten. Zu Abstoßungserscheinungen kam es erst gar nicht; die Gefäßwände kapitulierten früher.
Dr. Nardo erschien nach neun Tagen bei Dr. Soriano im Stadtbüro, also in der Anwaltskanzlei, und gab seine Berichte ab. Tagebücher, Filme, Fotos, Röntgenaufnahmen und Tonbänder, auf die alle Beobachtungen gesprochen worden waren.
«Es ist unmöglich!«sagte Dr. Nardo nach seinem Vortrag zu Dr.
Soriano.»Trotz Teflon und anderen prothetischen Hilfen. Dr. Volkmars Gegner haben recht: So kann man kein Herz transplantieren! Unmöglich! Die Gefäßwände müssen immer einreißen! Es gibt nur die Möglichkeit, die bisher am weitesten im Experiment fortgeschritten ist: die Teilverpflanzung. Da haben wir festes Muskelfleisch, da halten die Nähte! Hier ist unsere Grenze allein nur gezogen durch die Immunreaktion. Aber das ist kein chirurgisches Problem, sondern ein biochemisches. Chirurgisch können wir partielle Herztransplantationen vornehmen, die sitzen wie eine Zahnprothese! Das ist nur Technik, Don Eugenio. Wir müssen auf den Mann warten, der es fertigbringt, die Koagulationsnekrose aufzuhalten! Dr. Volkmars Operationstraum bleibt ein Traum.«
«Für Sie, Pietro!«Dr. Soriano legte beide Hände auf den Stapel der Forschungsberichte.»Ich glaube an Dr. Volkmar, und ich irre mich da nicht. Ich habe mich bisher noch nie geirrt, so eingebildet das auch klingen mag!«
«Bringen Sie Dr. Volkmar an den OP-Tisch, Don Eugenio. Sie werden dann auch seine Niederlagen akzeptieren müssen. Bei Melata.«
«Der Fall war von Beginn an aussichtslos. Das wissen wir doch alle. Wir wollten doch bloß sehen, wie Dr. Volkmar ein solches Problem angeht! Wir haben ihn überrumpelt, und er hat uns gezeigt, wie mutig er sein kann, wenn er ein Skalpell in der Hand hält.«
«Er ist bis an die natürliche Grenze gegangen. Weiter kann er nicht kommen!«
«Grenzen! Wer hat vor ein paar Jahren daran gedacht, daß man Satelliten in den Weltraum schießen kann?! Wer hat geglaubt, daß es jemals möglich sein wird, einen Lichtstrahl so zu bündeln wie den Laserstrahl, daß er Panzerplatten schmelzen kann?! Und da soll der Mensch vor seinem eigenen Herzen kapitulieren?! Alles ist nur eine Frage der Zeit.«
«Und Sie haben Zeit, Don Eugenio?«
«Ja, ich habe sie!«sagte Dr. Soriano laut.»Und Dr. Volkmar auch! Weihnachten weihen wir das Kinderkrankenhaus in Camporeale ein. Ein Kardinal wird den Segen des Heiligen Vaters überbringen. Schon im Januar wird Dr. Volkmar mit seiner Herztransplantation beginnen. Nicht am Tier. Von Mensch zu Mensch!«
«Weiß er das schon?«
«Nein.«
«Er wird nicht wollen.«
Dr. Soriano schüttelte langsam den Kopf.»Er wird! Bis dahin sind es noch fünf Monate. Sie trauen mir doch zu, Dr. Nardo, in fünf Monaten einen Menschen umzuwandeln, der meine Tochter liebt?«
Vierzehn Tage nach der mißglückten Herztransplantation bei Arrigo Melata weigerte sich Dr. Volkmar, zu frühstücken.
Wie immer hatte Worthlow den Tisch auf der Terrasse vor der Säulenhalle gedeckt, doch überspannte jetzt eine Art Sonnensegel aus orangefarbenem Stoff den Sitzplatz. Die Augustsonne brannte aus dem wolkenlosen, blaßblauen Himmel, und auch die unmittelbare Nähe des Meeres bot keine Kühlung mehr. Sizilien im Hochsommer kann eine Bratpfanne sein. Volkmar lief deshalb auch meistens nur in Badehose und einem dünnen Frotteehemd herum, schwamm im Pool oder stellte sich unter die kalte Dusche und trank — entgegen aller ärztlichen Erkenntnis — eimerweise eiskaltes Mineralwasser, ab und zu mit etwas Wein vermischt.
In den Schränken seines Ankleidezimmers hingen die modernsten Maßanzüge der besten Schneider aus Palermo, weiße Smokingjacken und Seidenjacketts, und auch bei den Schuhen hatten die Herrenausstatter darauf geachtet, daß dank feinster Farbunterschiede die Fußbekleidung stets mit der Oberbekleidung harmonierte. Wenn Volkmar sich am Abend in einen der Anzüge warf, wobei ihn Worth-low bei der Wahl der Hemden und Krawatten wortlos beriet, war er wirklich einer der elegantesten Männer, die er je gesehen hatte. Auch Loretta fand das. Sie sagte:»Man könnte immer nur dasitzen und dich ansehen…«Und er antwortete:»Das alles gehört mir doch gar nicht!«
Dr. Soriano saß schon unter dem Sonnensegel. Als Volkmar durch den Säulengang auf die Terrasse kam, erhob er sich sofort. Volkmar winkte ab, als Worthlow mit dem Kaffee an den Tisch trat, und lehnte sich gegen eine der Marmorsäulen.
«Ich esse nichts und ich trinke nichts!«sagte er laut.
Dr. Soriano hob leicht die Augenbrauen und nickte Worthlow zu. Der Butler trug die Kanne zurück zu dem Anrichtetisch und verzog sich ins Haus.
«Ein Streik?«fragte Soriano milde.
«Nennen Sie es, wie Sie wollen.«
«Oder eine Trotzreaktion? Mein lieber Dottore, wir sind doch keine dickköpfigen Jungen mehr! Was mißfällt Ihnen?«
«Alles!«
«Rätselhaft. Alles in diesem Hause dreht sich doch nur noch um Sie!«
«Glauben Sie, daß es eine Lebensaufgabe ist, zu faulenzen, zu schwimmen, abends auf Partys herumzustehen und der Zeit nachzublicken, wie sie verrinnt?«
«Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die nichts anderes tut, als das Nichtstun zu kultivieren. «Dr. Soriano winkte ab, als Volkmar etwas sagen wollte.»Ich verstehe Sie recht gut, Dottore. Auch ich gehöre nicht zu den Männern, die ihren Lebensinhalt auf ein charmantes Lächeln und mehr oder weniger geistvolle Konversation reduziert haben. Ich arbeite in meiner Anwaltspraxis und auf meinen anderen — Interessengebieten wie ein Pferd. Ich wäre unglücklich, einen Tag ohne Arbeit verbringen zu müssen.«
«Aber von mir verlangen Sie es!«
«Verlangen? Aber Enrico. Sie wollen nicht! Alles steht Ihnen zur Verfügung. OPs, Laboratorien, Ärzteteams, Versuchstiere, Leichen. «Soriano machte mit einer weiten Armbewegung klar, daß es keinerlei Grenzen für ihn gab.»Sie können Ihre Forschungen weiterführen, bis Ihnen der Schädel raucht. Aber Sie wollen ja nicht.«
«Nicht unter diesen Bedingungen!«
«Sind sie nicht ideal? Kann eine Universitätsklinik Ihnen das bie-ten, was ich kann?!«
«Materiell gesehen — nein!«
«Ich habe immer geglaubt, jeder Forscher sei glücklich, materiell unabhängig zu sein, um seine Forschungen unbelastet von wirtschaftlichen Querelen durchführen zu können. Habe ich mich da geirrt?«
«Don Eugenio, warum spielen wir hier eine Commedia dell' arte? Sind wir Harlekine mit Masken vorm Gesicht? Ich bin offiziell tot, an Sardiniens Küste gefunden, identifiziert durch meinen Zahnarzt, in München begraben. Es gibt für mich kein Zurück mehr ins freie Leben. Ich bin Ihr Geschöpf. Ein Dr. Ettore Monteleone, den man beneidet, weil er mit der schönen Loretta tanzen darf.«
«Vergessen wir einmal meine Tochter!«sagte Dr. Soriano.»Sie lebt außerhalb unserer Probleme.«
«Das glauben Sie.«
«Wäre es anders, würde ich Loretta sofort aus Palermo entfernen.«
«Soll das eine Warnung sein?«
«Nur eine Feststellung, Dottore. Also bitte! Eine Bewältigung der Zukunft ohne Loretta.«
«Ich lebe hier als Ihr Gefangener!«
«Als mein liebster Gast!«
«Sie wollen mich zwingen, Herzen zu transplantieren, aber nicht, um der medizinischen Wissenschaft, und damit der ganzen Menschheit, einen Nutzen zu bringen — denn es wird ja alles im Anonymen stattfinden —, sondern um aus dem Verpflanzen von Herzen ein heimliches Geschäft zu machen.
Millionen in die Kasse der Ehrenwerten Gesellschaft! Durch einen Handel mit Herzen! Das ist doch Ihr Ziel, Don Eugenio!«
«Ist es nicht legitim, aus jeder Möglichkeit ein Geschäft zu machen? Nur vergröbern Sie jetzt alles, Dottore. Wenn Ihnen die vollkommene Herzverpflanzung gelingt — und ich zweifle nicht im geringsten daran, daß sie Ihnen gelingt —, dann haben Sie die Medizin um ein Jahrhundert weitergebracht.«
«Aber wer weiß das?«schrie Volkmar.»Wem nutzt es? Nur Ihnen!«
«Und den Herzkranken, die unter Ihrem Messer liegen werden.«
«Millionenschwere Herzen.«
«Richtig.«
«Ich forsche und arbeite nicht für einen Millionärsclub, sondern für alle Kranken! Das aber wird mir unmöglich gemacht, weil ich ja tot bin! Mein Gott, was muß in Ihrem Gehirn vorgehen, daß es sich so etwas ausdenken kann?! Sie wollen mich zu einer Operationsmaschine machen, die nur für Sie arbeitet!«
«Warum vergröbern Sie immer alles, Enrico?!«Dr. Soriano zeigte auf den Frühstückstisch.»Wollen wir nicht doch etwas zu uns nehmen?«
«Nein!«
«Bitte. Wie Sie wollen, Dottore. «Soriano ging unter das Sonnensegel, setzte sich in den gepolsterten Korbsessel und griff nach dem obligatorischen Glas Milch, das er jeden Morgen als erstes trank.»Ich habe Hunger und bin so unhöflich, trotz Ihrer Weigerung dennoch zu essen. Enrico, ich weiß, daß Ihnen die Decke auf den Kopf fällt, und es nutzt gar nichts, daß sie mit Seide bespannt ist. Sie brauchen nur einen Ton zu sagen: Ein Wagen steht zur Verfügung, und in einer halben Stunde befehlen Sie über eine chirurgische Klinik. Sie wissen, wie komplett wir eingerichtet sind. Nein, Sie wissen es nicht. In den vergangenen vierzehn Tagen haben wir alles herangeschafft, was uns noch fehlte. Technisch sind wir jetzt unschlagbar. Es fehlt nur noch das Genie, das mit dieser Technik zaubern kann. Sie kasteien sich selbst und wissen ganz genau, daß es ein Protest in einem Vakuum ist.«
«Wo ist Loretta?«fragte Dr. Volkmar heiser.
«Sie ist schon früh nach Palermo gefahren. Ich glaube, sie will Sie mit einem Geschenk überraschen. Bitte, verraten Sie nicht, daß ich das ausgeplaudert habe, aber Sie hätten es mir sonst nicht geglaubt. Enrico, blicken Sie mich nicht mit tötenden Blicken an! Sie sind Arzt, Sie müssen Leben erhalten!«
«Ihr Zynismus ist unüberbietbar, Dr. Soriano!«sagte Volkmar dumpf.
«Sie sollten wirklich die Forschungsberichte Dr. Nardos lesen, Dot-tore. Eine Katastrophe! Trotz Ihrer Teflon-Idee! Aber seit drei Tagen sind wir auch im Besitz einer Gefäßklammermaschine a la De-michow.«
«Wie kommen Sie denn an die heran?«fragte Volkmar entgeistert.
Dr. Soriano lächelte milde. Die Mauer um seinen Gast bröckelte schon ab.»Warum glauben Sie mir nicht, daß für mich nichts unmöglich ist? Kommen Sie her, Enrico. Frühstücken Sie! Worth-low hat Jasminhonig besorgt, eine Köstlichkeit, sage ich Ihnen! Ein Duft…«Soriano klopfte mit dem Löffel gegen ein kleines Glas auf dem Tisch.»Seit zwei Tagen übt Dr. Nardo mit der Gefäßklammermaschine an Leichen, Hunden und Katzen. Im Kühlkeller stehen — oder besser: liegen zur Zeit zehn Tote zur Verfügung.«
Volkmar war es, als rinne ihm ein Eisstück auf der blanken Haut den Rücken herunter. Er schluckte, ehe er weitersprach.
«Sie haben Leichen? Woher haben Sie Leichen?«
«Ich habe sie gekauft«, antwortete Soriano leichthin.
«Was haben Sie?«
«Enrico, versuchen Sie, sizilianisch zu denken. Sizilien ist ein wunderschönes, aber auch armes Land. Je tiefer Sie ins Innere vordringen, in die winzigen Dörfer vor allem, desto lauter schreit Ihnen das Elend entgegen. Geburt und Tod ist für jeden ein natürlicher Vorgang, und beides kostet Geld. Da ist nun ein Mann gestorben oder eine Frau, und zu den Hinterbliebenen kommt jemand und sagt: >Wenn ihr den lieben Toten morgen in die Erde senkt, ist er weg und ihr habt nichts. Wenn ich ihn aber mitnehme, ist er auch weg, aber ihr habt 250.000 Lire auf dem Tisch liegen. Außerdem wird euch der Sarg bezahlt und ein gutes Essen in der Taverne.< Was, glauben Sie, werden die armen Bauern tun? Sie lassen den Toten vom Pfarrer aussegnen, aber bevor sie den Deckel schließen, tauschen sie die Leiche gegen Feldsteine aus. Reden Sie jetzt nicht von Pietät, Enrico! Ob wir einen Toten kaufen, oder man liefert, wie das bei Ihnen in den Unikliniken üblich ist — Landstreicher, Unbekannte, Menschen ohne Verwandte oder andere überflüssige Tote bei der Anatomie ab — wo ist da der Unterschied? Im Gegenteil, wir erfreuen sogar noch die Hinterbliebenen! Sie umarmen meine Aufkäufer wie den reichen Onkel aus Amerika. «Soriano ließ auf seine Toastschnitte einen dünnen Streifen des goldvioletten Honigs laufen. Seine Nasenflügel weiteten sich.»Ich wollte Ihnen damit nur sagen, Enrico, daß wir an Leichen nie Mangel haben werden wie ihr in Deutschland.«
«Das ist ungemein beruhigend«, sagte Volkmar heiser.»Ich bleibe dabei: Ich operiere nicht!«
«Und Sie treten ab sofort in den Hungerstreik?«
«Ja!«
«Sie sind ein glücklicher Mensch. Sie haben sich mit zweiundvierzig Jahren noch viel von Ihrer Jungenhaftigkeit erhalten.«
«Ihr Sarkasmus nutzt Ihnen gar nichts!«schrie Volkmar und stieß sich von der Säule ab.»Nichts! Sie investieren Millionen in mich — es ist verlorenes Geld! Ab sofort werde ich mich generell weigern. Ich bin gespannt, wie Sie mich zwingen wollen!«
Er wandte sich ab und lief den Säulengang hinunter zum Gästehaus.
Dr. Soriano sah ihm nach und schüttelte den Kopf. Worthlow kam und bediente Don Eugenio mit dem dampfenden, ungemein starken Kaffee.
«Laden Sie alle aus, Worthlow«, sagte Soriano nachdenklich.»Sagen Sie alle Partys ab! Bis Ende September.«
«Sehr wohl, Sir. «Worthlow reichte eine warm angefeuchtete Serviette hin, damit sich Soriano den Honig aus den Mundwinkeln wischen konnte.»Auch die Geburtstagsparty für Miß Loretta?«
«Auch die!«
«Es wird zu einer großen Diskussion kommen, Sir.«
«Verweisen Sie meine Tochter an Dr. Volkmar. Er tritt ab sofort in den Hungerstreik.«
Soriano lehnte sich zurück. Das Sonnenlicht durchdrang das orangenfarbene Gewebe des Schutzdaches und überzog alle Gegenstände unter ihm mit einem mildroten Schimmer. Man kann ihn wirklich nicht zwingen, dachte Soriano. Nicht mit Maßnahmen gegen seinen Körper, denn jeder Nerv in ihm ist wertvoll. Das weiß er ganz genau, und insofern hat er mir gegenüber die bessere Position. Er kann mich tanzen lassen, wochenlang, monatelang, und es gibt keinen anderen Weg als den der Güte, um ihn an den OP-Tisch zu bringen. Ihn, wie bei Melata, zu überlisten, gelingt nur einmal, und selbst wenn er sich bereit findet, zu operieren und für die Klinik zu arbeiten, kann er alle Pläne zunichte machen, indem ihm jede Operation mißlingt. Zwei, drei Todesfälle — das spricht sich in den Kreisen, auf die es uns ankommt, sofort herum. Dann stehen wir vor leeren Betten, und die >Gesellschaft< wird Rechenschaft von mir fordern. So einfach ist das. Theoretisch. Wer Leben und Sterben mit seiner Hand beherrscht, ist immer der Stärkere. Wer weiß das besser als ich?! Und hier, am OP-Tisch, ist Dr. Volkmar unbestritten der Stärkere.
«Was meinen Sie, Worthlow?«fragte Soriano.»Bekäme es Enrico fertig, fehlerhaft zu operieren, um mir zu schaden?«
«Nein, Sir. Nie!«Worthlow sagte es fast mit Empörung.»Dr. Volkmar ist Arzt!«
«Was heißt das schon? Es gibt genug korrupte Ärzte. Warum soll es nicht Ärzte geben, die ihren Patienten als Waffe benutzen?«
«Das trauen Sie Dr. Volkmar zu, Sir?«
«Nein! Aber wenn man bedenkt, was er tun könnte…«
«Wenn Dr. Volkmar einen Kranken vor sich hat, so ist das ein Mensch, der Hilfe braucht — weiter nichts. Ein Mensch, der gerettet werden will. Alles andere tritt zurück.«
«Das ist meine große Hoffnung, Worthlow. «Soriano schloß die Augen. Er wirkte plötzlich älter als Fünfzig. Das vom Sonnensegel gefilterte Licht warf Schatten in die Rillen seiner Haut.»Er wird dem Elend einer Krankheit nicht weglaufen, wenn wir ihm dieses Elend richtig präsentieren. Aber keiner, Worthlow, keiner kann ihn zwingen, Herzen zu transplantieren, wenn er behauptet, das sei medizinisch unvertretbar. Mit seinem Ethos kann er uns fertigmachen.«
«Sir, das haben Sie sicherlich vorher gewußt«, sagte Worthlow steif. Stellungnahmen erwartete man von ihm nicht. Er war als Butler auch so etwas wie die Klagemauer seines Herrn. Gegen sie konnte man anbrüllen, sie nahm alles auf, schluckte es und antwortete nie. Aber sie verschaffte Befreiung, indem sie zuhörte.»Aber mit Miß Lorettas Geburtstagsparty.«
«Absagen, Worthlow. Es bleibt dabei. Mir bleibt nur der Angriff mit kleinen Nadelstichen.«
Dr. Soriano erhob sich und ging ins Haus. Worthlow räumte den Tisch ab und überließ es den untergeordneten Dienern, das Geschirr wegzurollen. Er selbst ging gemessenen Schrittes zum Gästehaus II, überzeugte sich in der großen Zentralhalle, daß die Abhörgeräte abgestellt waren, und trat hinaus auf den Dachgarten. Dr. Volkmar lag unter der Markise in einer Gartenschaukel und las die deutsche Zeitung, die Soriano jeden Morgen vom Flughafen Palermo herüberbringen ließ. Sie war zwar immer einen Tag alt, aber Zeit spielte für Volkmar keine große Rolle mehr. Es war so unwichtig geworden, Neuigkeiten aus der Politik oder über Menschen noch brandaktuell zu empfangen. Früher hatte man am Fernseher gehockt und auf die Nachrichten gewartet. Beim Morgenkaffee galt der erste Blick den Zeitungen. Was hat sich in der Welt getan?! Der erdumspannende Klatsch war wie eine Droge, die man am Morgen einnehmen mußte, um zufrieden und stark auf beiden Beinen stehen zu können.
Wie banal, wie unwichtig war das alles geworden! Es las sich wie Nachrichten von einem anderen Stern.
«Sollen Sie mich jetzt zwangsweise ernähren, Worthlow?«fragte Dr. Volkmar, als der Butler in seiner weißen Uniform vor ihm stand.
«Darüber wurde nicht gesprochen, Sir. Außerdem bekäme Ihnen eine Diät gut. Sie haben neun Pfund über dem Idealgewicht, Sir. «Worthlow ging zu der Gartenbar und holte Mineralwasser und Eis heraus.»Auch das nicht, Sir?«
«Nein!«Volkmar richtete sich in seiner Gartenschaukel auf.»Worth-low, ich werde verrückt, wenn ich hier untätig herumsitze. Nicht heute — aber in zwei, drei Monaten! Ich komme hier ja nie wieder heraus.«»Nicht auf diese Art, Sir«, sagte Worthlow mit britisch unterkühltem Ton.
«Was heißt das?«
«Ihre Chancen sind größer, wenn Sie als Arzt arbeiten.«
«Für die Ehrenwerte Gesellschaft?! Als Mafia-Arzt?! Worthlow!«
«Es ist mir nicht bekannt, Sir, daß die Zugehörigkeit zur Mafia einen umfassenden Gesundheitsschutz garantiert. Ich würde mich um diese kranken Menschen kümmern, Sir. Das Altersheim stellt die Ärzte immer wieder vor medizinische Probleme — wenn man Dr. Nardo hört. Allein neununddreißig Krebsfälle.«
«Sie werden alle im Haus behandelt?«
«Nein! Zur Operation kommen sie nach Neapel. Inoperable oder Pflegefälle werden in einen anderen Flügel des Hauses verlegt. Man nennt ihn ganz offen das Sterbeabteil. Dort pflegt man die Alten mit wirklicher Hingabe. Das Heim hat ja auch einen eigenen Pfarrer und eine Kapelle und einen Friedhof für die Alleingebliebenen. Wenn ein Chirurg wie Sie, Sir.«
«Halt, Worthlow!«Dr. Volkmar erhob sich aus der Gartenschaukel und trat an die Brüstung des Dachgartens. Das tiefblaue Meer schien greifbar nahe, ein gleißendes Flimmern lag über ihm. Die Sonne sog Wasser hinauf in die Unendlichkeit.»Sie nehmen biblisches Format an: Die Versuchung in der Wüste.«
«Sir, Sie vergessen, daß ich nicht der Satan bin und Sie nicht Jesus sind. Sie sind Arzt. «Hinter Volkmar klingelte das Eis im Glas. Worthlow war doch mit einer Erfrischung gekommen. Aber Volkmar drehte sich nicht um.
«Es wäre eine Kapitulation!«sagte er leise.
«Aber ein Segen für die Kranken, Sir. Ist es nicht gleichgültig, wo Sie Kranke behandeln?«
«Das Bewußtsein, für einen Mann zu arbeiten, der.«
«Sir, Sie sind tot!«sagte Worthlow steif.»Ein Toter darf keine Empfindungen mehr haben.«
An einem Freitagvormittag sah Anna den Mann, der Luigi aufgeschlitzt hatte.
Paolo Gallezzo war vom Festland herübergekommen und hatte seine Aufträge zur Zufriedenheit des Don erfüllt. Er hatte über ein neu eingerichtetes Importbüro für medizinische Einrichtungen Kontakt zu allen maßgebenden Lieferanten und Fabriken dieser Branche aufgenommen und auch einen jungen Kaufmann eingestellt, den er bei einer medizinischen Fachhandlung auf einfachste Art abgeworben hatte. Er hatte ihm das doppelte Gehalt geboten und eine Sekretärin bewilligt, die ein geschminktes Püppchen war und auf horizontales Arbeiten eingeschworen schien.»Damit du keine Langeweile hast, mein Lieber!«hatte Gallezzo gesagt.»Wir werden wenig von uns hören lassen. Aber wenn du etwas von uns hörst, mußt du schneller als der Schall sein! Ist das klar?«
In den folgenden Tagen überwachte er das Sortieren und Archivieren der eingehenden Prospekte und Angebote und reiste dann mit einer dicken Aktentasche voller Kataloge zurück nach Sizilien. In Rom blieben zwei verstörte junge Menschen zurück, die ein wunderschönes Gehalt dafür bekamen, Prospekte zu bewachen, anfragende Firmen hinzuhalten und mindestens jeden Tag einmal aufeinander zu liegen.
«Sehr gut«, sagte Dr. Soriano, als Gallezzo seine Aktentasche ausleerte. Die Prospekte sah er nicht an — sie waren als Spielzeug für Dr. Volkmar gedacht. Die Architekten, die in Tag- und Nachtschichten das große Kinderheim in den Bergen von Camporeale erbauen ließen, hatten längst mit den besten Klinikausstattern Kontakt aufgenommen und den unter der Erde liegenden chirurgischen Teil des großen Baues nach den Ratschlägen der Fachleute umgestaltet, vor allem die bakterienfreien Schleusen zwischen OP und Krankenzimmern, die Röntgenabteilung und die Entkeimungsanlagen. Kurzum: die totale Sterilität, die Dr. Volkmar in seinen medizinischen Veröffentlichungen gefordert hatte, wurde erreicht. Was Gallezzo da in Rom aufgezogen hatte, war nur optischer Natur, gleichsam eine psychologische Angel, an der Volkmar zappeln sollte. Wenn er zu arbeiten begann, sollte er das Gefühl haben, die Klinik sei allein sein Werk. Und es stärkte Sorianos Position: Ein Wunsch, von Volkmar geäußert, wurde umgehend erfüllt, obwohl man sonst wochenlange Wartezeiten einkalkulierte. Das war eine Demonstration von Sorianos Stärke — daß alles längst auf Abruf in den Kellern lagerte, brauchte keiner zu wissen. Auch Dr. Nardo nicht.
Es war also ein Freitag, als Anna das Schlafzimmer Lorettas aufräumte und dabei auf einen der kleinen zum Park hinaus gelegenen Balkone trat. Unter ihr lag der Teil des großen Besitzes, auf dem Soriano einen Neun-Löcher-Golfplatz angelegt hatte. Er benutzte ihn wenig, aber er wurde gepflegt, wie ein Golfplatz gepflegt werden muß. Ein sattgrüner Rasenteppich erstreckte sich bis zu einem kleinen künstlichen See, und über diesen Grasteppich schritt zufrieden, in Hemdsärmeln, einen fahrbaren Golfköcher hinter sich herziehend, Paolo Gallezzo. Er trug eine runde, weiche Mütze mit einem langen Plastikschirm, blieb am Anfang der Spielbahn stehen, überblickte die Hindernisse und die Lochflaggen und wählte dann, nachdem er den Golfball plaziert hatte, aus dem Köcher den nach seiner Ansicht günstigsten Driver.
Anna umklammerte das kunstvoll geschmiedete Eisengitter des Balkons und starrte hinunter in den Park. Sie erkannte den Mann, der Luigi aufgeschlitzt hatte, sofort wieder. Einen solchen Menschen vergißt man nicht.
«Es ist soweit«, sagte sie leise.»Maria, hilf mir!«
Sie ging zurück ins Haus, betrat den großen Salon Lorettas und sah sich um. Drei Madonnen, Gemälde von Tintoretto und anderen berühmten Malern, hingen an den Wänden. Sie suchte sich die Madonna aus, die am gütigsten blickte, am mütterlichsten, am ver-zeihendsten, bekreuzigte sich und kniete vor ihr nieder. Sie betete stumm, senkte den Kopf tief und beichtete ebenso stumm, alles was nach der Ansicht des Pfarrers von Sorgono des Beichtens würdig war. Die sündigen Gedanken an Enrico gehörten dazu, ihre Sehnsucht nach seiner Umarmung, das Kopfkissen, das sie sich manchmal nachts zwischen die Schenkel klemmte, wenn ihr Drang zu übermächtig wurde, die Lauscherposten, an denen sie ihre freien Stunden verbrachte, nur um einen Blick auf Dr. Volkmar werfen zu können. alles breitete sie aus und kam sich hinterher so leicht vor und zugleich so fremd vor sich selbst, daß sie in einen Spiegel blickte, um zu sehen, ob sie noch Anna Talana war.
Sie ging in ihr Zimmer unter dem heißen Dach des Hauses, wühlte unter der Matratze ihres Bettes das zweiseitig geschliffene Messer heraus und steckte es in ihre Bluse. Der kalte Stahl lag auf ihren Brüsten, und diesen Druck empfand sie geradezu wollüstig, er pflanzte sich fort durch den ganzen Körper, ihre Brustwarzen steiften sich, die Innenseiten der Schenkel vibrierten, ein betörendes Ziehen durchzuckte ihren Unterleib, sie lehnte sich an die Wand und atmete heftig, als käme sie gerade aus den Armen Enricos, lustvoll gefoltert durch seine Männlichkeit.
Paolo Gallezzo blieb verblüfft stehen und starrte auf das Hindernis, das mit einem Golfplatz nichts zu tun hatte. Dann schnaufte er durch die Nase und fragte sich, ob er weiterspielen sollte oder sich der neuen Situation anpassen: Vor ihm, am Eingang einer Zypressenhecke, die einen Rosengarten umrandete, streckte sich ein blanker Mädchenhintern in die Sonne. Schlanke Beine, kräftige Schenkel, ein rundes Gesäß, zusammengekniffen, aber doch einen Busch schwarzer Locken verratend. Das Mädchen schien nicht zu merken, daß es beobachtet wurde — es blieb tief nach vorn gebückt und pflückte die Blumen, die wild in der Hecke wuchsen.
Gallezzo spürte ein Jucken auf der Kopfhaut, warf seinen Driver hin, leckte sich über die Lippen und schwenkte vom Golfplatz weg zum Rosengarten. Im gleichen Moment richtete sich das Mädchen auf und ging mit wiegenden Hüften durch den Eingang der Hecke. Die war in zwei Meter Höhe beschnitten, und was dahinter geschah, sahen nur Himmel und Sonne.
«Bleib stehen!«rief Gallezzo und begann zu laufen. Das Blut klopfte in seinen Schläfen, und wie immer, wenn er an bestimmte Dinge dachte, ärgerte er sich über die eng geschnittenen Hosen.»Nur einen Moment.«
Das Mädchen drehte sich nicht um, aber es schüttelte den Kopf und verschwand hinter der Hecke. So ein kleines, geiles Aas, dachte Gallezzo und stampfte über das Gras. Sie wußte genau, daß sie nicht allein war! Und sie hat mir ihren Hintern hingestreckt wie eine Einladungskarte. Ich nehme die Partie an, mein schwarzes Kätzchen! Du sollst satt werden bis zum Platzen.
Er riß die Mütze von seinem Kopf und knöpfte beim Laufen sein Hemd auf. Als er die Hecke erreichte, hörte er sie auf der anderen Seite kichern. Das steigerte ihn in einen Erwartungsrausch hinein, der alle Vernunft umnebelte. Er schleuderte sich fast um die Hecke herum, sah das Mädchen vor sich stehen, mit aufgerissener Bluse, mit bloßen, strotzenden Brüsten, aber er sah auch ihre schwarzen, kalten, tierhaften Augen — und erkannte sie wieder.
Der Stoß des Messers traf ihn genau in diesem Erkennen. Die lange Klinge fuhr in seinen Hals, unterhalb des Kehlkopfes, zerschnitt jeden Laut, tötete jede Reaktion, vernichtete seinen Willen. Er blieb einen Augenblick stehen, als Anna das Messer wieder aus seiner Kehle riß, knickte dann in den Knien ein und fiel nach hinten auf den Rasenstreifen zwischen Hecke und Rosenbeetweg. Ein Blutstrom überflutete ihn, der ganze Körper begann zu zucken, aber er starb nicht sofort. Mit weit aufgerissenen Augen sah er Anna, wie sie sich über ihn beugte und ihn anblickte, als sei er ein halb zertretenes Rieseninsekt.
«Wie war es bei Luigi?«sagte sie ganz ruhig.»Wir haben ihn gewaschen und die Wunden gezählt. Neunzehn Stiche! Neunzehn! Ich habe noch achtzehn gut! Aber ich glaube, du kannst sie nicht mehr mitzählen. «Sie kniete sich neben Gallezzo hin und knöpfte die Bluse zu.»Du stirbst langsam. Aber Luigi ist noch langsamer gestorben. Neunzehn Stiche! Du kannst dich nicht beklagen!«
Sie umfaßte den Messergriff mit beiden Händen und stieß dann mit aller Kraft zu, legte ihr ganzes Gewicht in den Stoß. Die Schneide zerteilte Gallezzos Herz. Er starb, ohne das heiße Brennen in seiner Brust noch wahrnehmen zu können.
Im Haus stellte sich Anna unter die Dusche und ließ das Wasser erst heiß, dann eiskalt über sich prasseln. Sie zog sich um, legte die Hausmädchenkleidung an und ging noch einmal in den Salon, um vor dem Gemälde der Madonna niederzuknien und sich zu bekreuzigen. Dann setzte sie ihre Arbeit fort und räumte Lorettas Schlafzimmer weiter auf.
An diesem Tag erlebte Dr. Volkmar, was es heißt, wenn in Sorianos Haus Alarm ausgelöst wird.
Nur einmal ertönte eine helle Sirene — aber dann wurde aus dem Haus eine Festung. Von seinem Dachgarten aus sah Volkmar verblüfft, wie Männer mit entsicherten Maschinenpistolen herumliefen und den weiten Park durchkämmten, jenseits der Mauer erschienen Bewaffnete mit Spürhunden an langen Leinen und sperrten das ganze Gelände ab.
Volkmar rannte zurück in seine Wohnung und versuchte, über das Haustelefon Worthlow zu erreichen. Aber niemand meldete sich. Als er aber seine Wohnung verlassen wollte, war die Ausgangstür verriegelt. Er rüttelte daran, trat gegen das dicke, geschnitzte Holz und lief dann zurück auf den Dachgarten.
Über eine Stunde blieb Dr. Volkmar eingeschlossen, bis Dr. Soriano selbst erschien und sich in der Halle in einen der tiefen Sessel fallen ließ.
«Sie werden sich wundern«, sagte er.
«Allerdings!«
«Ich muß Sie zunächst als Hausherr um Verzeihung bitten, daß Sie von dem Lärm belästigt und eingeschlossen wurden. Es war nur eine Sicherheitsmaßnahme. «Soriano blickte auf seine schönen schmalen Hände.»Gallezzo ist ermordet worden.«
«Ermordet?«Volkmar sah Soriano entgeistert an.»Hier im Haus?«
«Im Rosengarten. Hinter der Hecke. Mit zwei ungeheuren Stichen: Einer in den Hals, einer direkt ins Herz. Sie werden ihn sich gleich ansehen können und mir sagen, wie ein Mörder beschaffen sein muß, um mit einer solchen Kraft einen Bullen wie Gallezzo erstechen zu können. Es gibt im Haus, unter dem Personal, unter meinen Leuten, die hier stationiert sind, keinen Mann, der das fertiggebracht hätte. Keinen! Sie ahnen, was das bedeutet?«
«Jemand von draußen? Unmöglich! Bei diesen Sicherungen.«
«Es muß eine Lücke geben. Sehen Sie sich Gallezzo an, und Sie müssen mir recht geben. Ich habe Loretta und ihre Zofe sofort wegschaffen lassen, an einen Ort, den nur ich und mein Fahrer kennen. «Er faltete die Hände und legte das Kinn darauf.»Mir ist das alles noch ein Rätsel, Enrico. Sie sind der einzige, der mich so ratlos sieht. Einer meiner Gärtner fand Gallezzo; er muß schon mindestens zwei oder drei Stunden tot gewesen sein. Das können Sie doch feststellen, Enrico? Jeder Polizeiarzt kann das.«
«Ich wollte gerade vorschlagen, diesen Kollegen rufen zu lassen.«
«Ich bin jetzt nicht zu Späßen aufgelegt, Dottore, wirklich nicht. «Dr. Soriano lehnte sich zurück und drückte die gefalteten Hände vor seine Brust.»Ich mache mir Sorgen. Wer wollte mich durch diesen Mord warnen?«
«Ihre Feinde.«
«Ich habe keine Feinde. Ich werde geliebt, geachtet oder gefürchtet. Aber Feinde habe ich nicht. Das ist es, was ich nicht verstehe. Man ermordet Gallezzo — und meint mich!«
«Das nehmen Sie an.«
«Wissen Sie eine andere Erklärung?«
«Bei Gallezzo fällt mir vieles ein. Wenn es einen Menschen ohne Mitleid und Skrupel gab, dann war er es!«
«Das war sein Beruf.«
«Also sind seine Feinde unzählbar.«
«Draußen vielleicht. Aber nicht innerhalb meines Hauses! Gallezzo spielte Golf, als er ermordet wurde.«
«Ich denke, er lag im Rosengarten?«
«Der Rosengarten begrenzt eine Seite des Golfplatzes.«
«Was macht ein Golfspieler in einem Rosengarten, wenn er mitten im Spiel ist? Oder war Gallezzo ein so miserabler Spieler, daß er den Ball wild durch die Gegend feuerte und ihn in den Rosen suchen mußte?«
«Enrico! Sie zünden ein Lämpchen an! Da ist ein Lichtblick! Natürlich! Wie kommt ein guter Golfspieler wie Gallezzo in den Rosengarten?!«Dr. Soriano sprang auf.»Er muß weggelockt worden sein!«
«Also doch ein Täter, der von draußen gekommen ist!«Volkmar griff nach seinem Hemd, das über einer Sessellehne lag, und zog es über.»Ich sehe mir Gallezzo an.«
«Ich bin Ihnen sehr dankbar.«
«Ich mache mir allein Sorgen um Loretta! Sie haben doch Feinde, Don Eugenio. «Volkmar holte aus der Gartenschaukel seine weißen Jeans und streifte sie über. Dr. Soriano ging unruhig in der großen Halle hin und her, als er aus dem Schlafzimmer zurückkam.»Sie sehen: So sicher ist nichts! Das hier ist noch lange nicht Fort Knox! Wo ist Loretta?«
«An einem geheimen Ort, ich sagte es schon. Auch Sie brauchen es nicht zu wissen! Ihre Zofe, ein nettes Bauernmädchen, treu und ergeben, ist bei ihr. Loretta hält viel von ihrer Anna.«
Dr. Volkmar nahm den Namen hin, ohne irgendeine gedankliche Verbindung herzustellen. Diesen Allerweltsnamen in Zusammenhang zu bringen mit der Anna aus den sardischen Bergen von Gennar-gentu war so absurd, daß daran gar nicht gedacht werden konnte.
Paolo Gallezzo hatte man im Keller aufgebahrt. Er lag auf einem alten, zerschlissenen Billardtisch. Man hatte ihn gewaschen, und so sah er nicht mehr ganz so schrecklich aus wie vor einer Stunde, als der Gärtner ihn an der Hecke gefunden hatte. Die beiden Wunden waren auf der auch im Tode noch bräunlichen, aber fahlen Haut mit einem Blick zu erkennen… zwei blutverkrustete Spalten, zwei saubere Schnitte. Dr. Soriano trat an den Toten heran und deckte ein Handtuch über den Kopf. Das Weiße der Augen unter den halbgeschlossenen Lidern störte ihn. Soriano war ein Ästhet.
«Ein beidseitig scharf geschliffenes Messer«, sagte er zu Volkmar, der sich über die Einstiche beugte.»Nennen wir es laienhaft: Ein Profimesser. Mit einer sechs Zentimeter breiten Klinge.«
Volkmar erfaßte einen Arm Gallezzos. Die Totenstarre war längst eingetreten, ein grober Anhaltspunkt.
«Er ist seit mindestens vier Stunden tot«, sagte Volkmar.»Um genauer zu sein, müßte ich ihn obduzieren. «Er betrachtete den Halsstich und die Wunde genau über dem Herzen und schüttelte den Kopf. Dr. Soriano sah ihn fragend an.»Was fällt Ihnen auf, Enrico?«
«Der Herzstich war sofort tödlich, das wird die Obduktion zeigen. Warum dann noch der Halsstich?«
«Und umgekehrt?«
«Wenn erst der Halsstich war, der nach grober Beurteilung zu einem Verblutungstod geführt hätte, und hinterher erst der tödliche Herzstich, dann haben Sie einen ungemein kaltblütigen, gnadenlosen, eiskalten Feind in Ihrer Nähe, Don Eugenio. Ein Profi, wie Sie schon sagten.«
Dr. Volkmar trat vom Billardtisch zurück. Einer der Diener breitete ein Bettuch über den nackten Körper. Von draußen, aus dem riesigen Park, hörte man durch das vergitterte Kellerfenster das Bellen der Spürhunde. Sie hatten eine Spur aufgenommen, aber sie endete an dem kleinen Teich am Golfplatz. Hier hatte der Mörder etwas Kluges getan: Er war durch das Wasser gelaufen und hatte damit seinen Geruch vernichtet. Die Hunde liefen winselnd um den Teich herum und nahmen kein Gespür mehr auf.
«Gehen wir«, sagte Dr. Soriano.»Ich lasse Gallezzo ins Altersheim bringen. Wir fahren gleich hinterher. «Sie stiegen hinauf in die weite Zentralhalle mit den maurischen Säulen und Wänden und trafen dort Worthlow, der auf sie wartete, ein Tablett mit Kognakgläsern auf der flachen Hand. Soriano und Volkmar tranken ein Glas und atmeten danach tief auf.
«Tote erschüttern mich immer, ist das nicht merkwürdig?«sagte Soriano.»Ich kann mich an ihren Anblick nie gewöhnen, ganz gleich, wer es auch ist. Ich habe meine Frau sehr geliebt — ich erzählte es Ihnen schon —, aber als sie starb und ich an ihrem Sarg saß, habe ich wie im Schüttelfrost gezittert. «Er blieb stehen und griff noch einmal zu dem Tablett, mit dem Worthlow ihnen nachgegangen war. Nach dem zweiten Kognak schien Soriano ruhiger zu werden.»Ist es nicht merkwürdig, Enrico, daß ich Sie nur an den OP-Tisch bekomme, wenn schon alles verloren ist?«
«Fangen Sie schon wieder davon an?«Sie traten auf die Terrasse unter den Säulenvorbau, und Volkmar zog sein Hemd über den Kopf und hängte es über seinen Arm. Die Hitze war fast unerträglich. Selbst der sonst immer vom Meer her wehende leichte Wind war völlig eingeschlafen. Sizilien briet in der Sonne.»Sie wollen keine Polizei einschalten?«
«Nein.«
«Und Gallezzo?«
«Wird in einer Ecke des Parks begraben. Für seine Familie wird gesorgt werden.«
«Er hat Familie?«
«Eine Frau und drei Kinder. Sie werden keine Sorgen haben.«
«Und wenn sie reden?«
Soriano lächelte müde.»Dottore, es gibt ungeschriebene Gesetze, die mit größerer Akribie befolgt werden als die geschriebenen. Gallezzo ist nicht mehr da. Warum also sollte man reden?«
Zwei Stunden später stand Dr. Volkmar im Keller des Altersheims vor dem Seziertisch und öffnete den Körper Gallezzos. Man hatte den Toten auf den Tisch gelegt, auf dem sonst die Hunde und Affen lagen, an denen Dr. Nardo experimentierte. Eine letzte Station, die Gallezzo sich nicht hätte träumen lassen.