Kapitel 12

Sie hatten schon jetzt keine Chance.

Jeden Tag wurde Dr. Volkmar mit einem Begleitkommando zum Altersheim gebracht und wieder abgeholt, wenn er anrufen ließ, daß seine Arbeit beendet sei.

Seine Arbeit: Herzverpflanzungen an Hunden und Schweinen, immer neue Versuchsketten mit Corticosteroiden, ACTH und Antihistaminika, um die Immunreaktion zu unterdrücken. Ein Laborteam hatte Versuche mit Zytostatika begonnen, also chemischen Präparaten zur Krebsbekämpfung und Tumorzerstörung. Eine dritte Gruppe arbeitete mit Antimetaboliten, chemischen Verbindungen, die den Stoffwechsel blockieren oder verändern können.

Die Erfolge zeigten sich nach zwei Monaten: Zum ersten Mal überlebte ein Hund mit einem neuen Herzen länger als drei Wochen.

Und auch dann starb er nicht an einer Immunreaktion, sondern durch einen Unglücksfall. Der Schimpanse Boco, bisher nur für medikamentöse Experimente mißbraucht, besuchte in der Nacht den operierten Hund, spielte mit ihm und drückte ihm dabei so hart auf den Brustkorb, daß die inneren Nähte einrissen. Er verblutete. Es war die Schuld des Tierwärters, der vergessen hatte, Bocos Käfig mit einem Schloß zu sichern, und nur den Riegel vorgeschoben hatte. Für den intelligenten Boco war es eine Freude gewesen, den Riegel wieder wegzuschieben und dann im Tierhaus herumzuspazieren.

Das Kinderheim bei Camporeale in den Bergen war vollendet. Auch die unterirdische Klinik war bis auf Kleinigkeiten eingerichtet und betriebsbereit. Ein paarmal besichtigte Dr. Volkmar seinen >Tatort<, wie er es nannte, immer begleitet von vier bewaffneten Männern oder von Dr. Soriano selbst. Außerdem war auch immer Dr. Nardo dabei, oder andere Ärzte erwarteten ihn in den drei OPs, den Labors, den technischen Räumen oder den später völlig sterilen Krankenzimmern.

Dr. Volkmar hatte nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Die technisch vollkommenste Klinik entstand hier in völliger Anonymität. Mit solchen Möglichkeiten arbeiten zu dürfen, war der Traum jedes Chirurgen. Unerfüllbare Wünsche, vor allem in Deutschland, wo die Krankenhäuser überaltert und überlastet waren, die Kranken auf den Gängen lagen, die Labors in Kellerecken arbeiteten und die Sterbenden noch immer in die Badezimmer gerollt wurden, abgestellt zum letzten Atemzug. Hier aber wurde eine Klinik eingerichtet, bei der Geldsummen keine Rolle spielten. Für zehn Betten — mehr sah auch Dr. Soriano als unrealistisch an — der Aufwand einer chirurgischen Universitätsklinik! Und mehr als das: Ein perfektioniert durchkonstruiertes System, von der Voruntersuchung bis zur Intensivstation nach erfolgter Operation, das eine reibungslose Herztransplantation gewährleistete.

Neue Herzen gewissermaßen am Fließband. Eine WahnsinnsVision, die Dr. Soriano in die Realität hob.

Der 1. Dezember 1967 war ein milder, sonniger Tag mit einem lichtblauen Himmel, einem dieser sizilianischen Himmel, von denen Soriano sagte: Sie sind aus Samt.

In dem Dorf Camporeale wehten aus allen Fenstern Fahnen oder hingen, wie bei der Fronleichnamsprozession, Teppiche und gestickte Tücher an den Hauswänden. Madonnenfiguren, Kruzifixe, ernst blik-kende Heilige aus buntbemaltem Gips standen auf den Fensterbänken, in den Türen, auf der Straße. Vom Eingang des Dorfes bis zur Kirche war die einzige feste Straße mit einem bunten Blumenteppich belegt. Der Pfarrer von Camporeale, Don Caesare, rannte wie ein aufgescheuchter Riesenvogel herum, ließ die Glocke probeläuten, hörte dem Kinderchor noch einmal die Lieder ab und übte mit dem gemischten Kirchenchor immer wieder den Hymnus, der zu Ehren dieses Tages und des hohen Besuches erklingen sollte. Denn viel wichtiger für Camporeale als die Einweihung des neuen, riesigen Kinderheimes, das sich wie eine leuchtendweiße, hypermoderne Burg auf dem Hügel, drei Kilometer vom Dorf entfernt, erhob und ebenfalls von einem Wald wehender Fahnen umgeben war, war der Besuch des Kardinals von Sizilien in der kleinen Kirche und die Messe, die er dort lesen wollte. So etwas kommt in einem Jahrhundert nur einmal vor und vielleicht nie wieder, denn wer Camporeale kennt, kann verstehen, daß Kardinäle solche Plätze nicht mit Begeisterung besuchen, auch wenn die Gläubigen hier gläubiger sind als anderswo.

Außer dem Kardinal, der die Grußbotschaft des Papstes mitbrachte, hatten sich aus Rom ein Staatssekretär und sieben Parlamentsabgeordnete angesagt. Was auf Sizilien einen Namen hatte, kam selbstverständlich, Dr. Sorianos neues Wunderwerk zu bestaunen. Der Vorsitzende des Komitees >Stiftung Camporeale< memorierte seit drei Tagen seine große Rede, denn er hatte das Vergnügen, Dr. Soriano einen Scheck zu überreichen mit dem Betrag, den die Sammlungen und Spenden für dieses wahrhaft einmalige Kinderheim erbracht hatten: 220.000.000 Lire. Eine Summe, auf die man stolz sein konnte, und doch geringfügig, dachte man daran, was die geheime Klinik gekostet hatte, die hinter wieder zugemauerten Türen auf Dr.

Volkmar und sein Team wartete.

Um 10 Uhr vormittags fuhr der Kardinal in einem offenen Wagen durch Camporeale, nach allen Seiten segnend und damit Freude spendend. Aus Palermo war eine Hundertschaft Polizei aufs Land gekommen und hatte alle Zufahrtswege abgesperrt. Nur Personen mit Einladungskarten durften passieren, aber auch sie wurden gründlich untersucht. Staatsanwalt Dr. Brocca hatte bekanntgegeben, daß eine Bombendrohung vorliege. Das war zwar gelogen, aber man verschaffte sich dadurch das Recht, das Kinderheim vor unliebsamem Besuch abzuriegeln.

Bis nachmittags um vier dauerten die Einweihungsfeierlichkeiten. Der Kardinal durchschritt mit Weihrauchkessel und Weihwasserbüschel alle Räume und segnete sie aus, weihte das Marienbild in der hauseigenen Kapelle und aß an der festlich gedeckten Tafel im großen Speisesaal des Heimes eine doppelte Portion Fasan mit Maronenmus.

«Dieses Werk wird Ihnen den Himmel öffnen, Dr. Soriano«, sagte der Kardinal zum Abschied und schlug das Kreuz über Sorianos geneigtem Haupt.

«Ich möchte es hoffen, Eminenz«, antwortete Soriano demütig.

«Haben Sie nicht eine Tochter?«

«Sehr wohl, Eminenz.«

«Sie ist heute, an diesem Freudentag, nicht dabei?«

«Loretta ist seit kurzem verlobt, Eminenz. «Soriano blickte wieder auf. Eine Lüge ins Gesicht eines Kardinals muß wenigstens von einem gläubigen Blick begleitet sein, zumal, wenn man, wie Soriano, ein guter Christ ist. Das war seine menschliche Seite; die geschäftliche hatte damit nichts zu tun.»Sie ist zur Zeit in Rom.«

«Dann gibt es bald eine Hochzeit?«

«Ich hoffe. wenn Gott es will.«

«Er will!«Der Kardinal lächelte milde.»Es wäre mir eine Freude, Ihre Tochter zu trauen.«

Dr. Soriano nickte, bückte sich über die Hand des Kardinals und küßte den Ring. Er war echt ergriffen, obwohl er wußte, daß der

Wunsch des Kardinals nie in Erfüllung gehen würde.

Am Festbankett, das Soriano am Abend im großen Speisesaal gab, nahm der Kardinal nicht mehr teil. Nach der Sondermesse in der kleinen Kirche von Camporeale fuhr er wieder weg, beeindruckt von dem sozialen Gewissen Dr. Sorianos. Im Saal, der mit Blumen und Girlanden geschmückt war, sang ein Kinderchor, hielten noch viele offizielle Vertreter von Staat, Stadt und Wissenschaft Lobesreden und wurde schließlich bis tief in die Nacht hinein getanzt. Das päpstliche Grußwort, von einem schweren Goldrahmen umrandet, den Soriano gestiftet hatte, prangte in der weiten Eingangshalle, allen sichtbar, die das Kinderheim betreten würden.

Noch während die Gäste tanzten und das riesige kalte Büfett plünderten, wurden unten im Keller II die vermauerten Türen zur Herzklinik wieder aufgebrochen. Es war eine leichte Arbeit; die Eingänge hatte man lediglich mit Preßspanplatten verkleidet und diese angestrichen. Man nahm die Platten heraus und eröffnete auf diese Weise heimlich die Mafia-Klinik. Dr. Soriano kam für eine halbe Stunde in den Keller und brachte eine Flasche Champagner mit. Dr. Volkmar und Loretta saßen in dem großen, luxuriös eingerichteten Chefarztzimmer, bedient — und bewacht — von dem treuen Worthlow.

Hier unten war es geisterhaft still. Der Lärm von oben, das Lachen und Tanzen, die Musik und die Anwesenheit von über dreihundert Menschen — nichts davon drang in diese vor Sauberkeit blitzende, sterile Unterwelt.

Dr. Soriano goß die Sektgläser voll und sah seine Tochter und Dr. Volkmar mit einem ehrlichen, glücklichen Lächeln an.»Wie soll ich beginnen?«sagte er.»Der heutige Tag bedeutet eine Wende in unser aller Leben. Die Klinik ist fertig, meine Tochter hat den Mann ihres Lebens gefunden, ich habe dadurch einen Sohn bekommen, der zudem noch der Chef dieser Klinik ist. Diese Fülle von Glück! Darf ich dich meinen Sohn nennen, Enrico?«

«Nein!«antwortete Dr. Volkmar hart.»Lassen wir Loretta völlig aus dem entsetzlichen Spiel, das hier beginnen soll!«»Wie ist das möglich?«Soriano setzte sich.»Eins greift ins andere. Gut! Ich darf Sie also nicht als meinen Sohn betrachten. Nur gestatten Sie mir eine Frage: Sie wollen Loretta doch heiraten?«

«Ja.«

«Und betrachten Ihren Schwiegervater weiterhin als Gegner?«

«Sie haben diesen Status selbst herbeigeführt.«

«Rechnen Sie unter diesen Umständen mit meiner Einwilligung?«

«Ich brauche sie nicht, Papa!«sagte Loretta plötzlich. Ihre Stimme klang seltsam hart.»Ich bin dreiundzwanzig. Ich kann allein entscheiden.«

«Welch eine Welt!«Soriano nippte an seinem Champagner.»Da hat man seine einzige Tochter in den besten Schulen und Internaten erziehen lassen, und was ist dabei herausgekommen? Aufsässigkeit gegen die alte Ordnung! Mißachtung aller Grundlagen von Moral.«

«Du lieber Himmel — Sie reden von Moral?«unterbrach ihn Dr. Volkmar.

«Trennen wir den Beruf vom Privaten. Das stammt doch von Ihnen, Enrico, nicht wahr? Gerade haben Sie es gesagt! Gleiches Recht für alle, mein Bester. Jetzt bin ich nur Vater, weiter nichts!«

«Ich liebe ihn!«sagte Loretta und legte ihren Arm um Volkmars Schulter.»Ich liebe ihn! Liebe ihn! Nur das allein ist für mich wichtig! Was ist deine >alte Ordnung< dagegen?! Was geht sie mich überhaupt an?! Sizilianische Ehre! O Maria, sind wir Menschen aus einer Verdi-Oper? Ich gehöre zu Enrico, das allein ist wichtig. Was er sagt, was er tut, das ist auch für mich richtig! Du bist mein Vater, und ich werde dich als meinen Vater lieben und ehren — doch mein Leben heißt von jetzt ab Enrico!«

«Sehr eindrucksvoll. «Soriano blickte in sein Champagnerglas.»Ich gebe die Hoffnung nicht auf, Enrico, daß Sie einsehen, wie weit Sie durch die Mittel, die ich Ihnen bereitstelle, der medizinischen Forschung vorausmarschieren können. Leider werden Sie nie den Nobelpreis bekommen können, aber Sie bekommen meine Tochter. Die ist hundert Nobelpreise wert.«

«Ihr Zynismus ist unüberbietbar«, sagte Dr. Volkmar gepreßt.»Wann

liefern Sie den ersten Herzpatienten?«

«Morgen kommt zunächst der ganze Tierpark vom Altersheim herüber, die Laboranten fangen in den neuen Räumen zu arbeiten an. Ich schätze, daß Sie die erste Ganzherzverpflanzung Ende nächster Woche ausführen.«

«Sie sind verrückt!«sagte Dr. Volkmar dumpf.

«Ich brauche eine gelungene Herztransplantation, um damit werben zu können.«

«Was wollen Sie?«fragte Volkmar erschüttert.

«Werben! Ich kann doch nicht meine Repräsentanten einfach zu den Herzkranken schicken: Wollen Sie ein neues, junges Herz, dann kommen Sie nach Camporeale! Für eine Million Dollar machen wir Sie wieder hüpffidel! Man würde uns für Idioten halten! Aber wenn wir Beweise vorlegen: Hier, dieser Mann hatte keine Chancen mehr, jetzt turnt er wieder am Reck! — dann können wir überzeugen.«

«Wann begreifen Sie endlich«, schrie Dr. Volkmar außer sich,»daß eine Herztransplantation keine Blinddarmoperation ist?! Die Überlebensaussichten stehen heute 1:99! Ein Prozent Chancen! Und die Zukunft liegt nicht bei einer Homotransplantation, also bei einem Austausch von Mensch zu Mensch bei einem genetisch fremden, jedoch artgleichen Spender, sondern beim Kunstherzen. Doch bis wir soweit sind, werden noch Jahre oder Jahrzehnte vergehen!«

«Draußen!«Soriano machte eine ausholende Armbewegung.»Nicht bei mir, Enrico. Wir können in der Stille schneller arbeiten. Wir alle wissen, daß Sie an einem Kunstherzen arbeiten aus der einfachen Überlegung heraus, daß das Herz nur eine motorisch betriebene Pumpe ist. Wenn Ihnen diese Konstruktion gelingt, und sie muß gelingen, wenn man alle anatomischen Gegebenheiten des echten Herzens in Kunststoff nachbaut und durch einen eingesetzten Motor in Bewegung hält, können Sie tausendfach Leben retten. «Soriano lächelte seine Tochter an. Sie blickte verschlossen, fast feindselig.»Wundern Sie sich nicht über meine Kenntnisse?«

«Auch mit einem Kunstherzen ist der Mensch kein vollwertiges Geschöpf mehr. Sein Leben wird ein einziger Kampf gegen die Im-munreaktion sein, und das heißt — da er Mittel schluckt, die alles abblocken, aber die Infektionsgefahr erhöhen, da dem Körper die Abwehr entzogen wird —: ein ständiger Kampf gegen Bakterien und Viren. Und mit ihnen ist unsere Umwelt bekanntlich verseucht!«

«Aber er lebt! Aber er lebt! Zwei, drei oder vier Jahre Lebensverlängerung — das bezahlen viele mit einer Million Dollar! Und wenn es zehn Jahre mehr Leben sind, stehen Sie in Gottes Nähe, Enrico! Für einen Arzt muß diese Zukunftsvision doch ungeheuerlich sein! Ein Traumziel. Ich biete es Ihnen!«

«Mich schaudert bei dem Gedanken, daß hier bald Patienten liegen, die ein Vermögen für ein Experiment bezahlen! Don Eugenio, ich werde es jedem ins Gesicht sagen!«

«Das können Sie! Patienten in dieser tödlichen Lage leben in einem unerschütterlichen Vertrauen zu ihrem Arzt.«

Dr. Volkmar schwieg. Er hat recht, dachte er. Wir haben es immer gesehen, vor allem bei den desolaten Krebspatienten: Ihr Glaube an die Wunder der Medizin ist manchmal unbegreiflich. Erschütternd, ihre glänzenden Augen zu sehen, wenn irgend jemand zu ihnen sagt:»Du siehst aber schon viel besser aus. Paß auf, in ein paar Wochen läufst du wieder herum!«Und wir wissen genau, daß sie in ein paar Wochen unter der Erde liegen.

Aus diesem Glauben will Dr. Soriano jetzt Millionen ziehen.

«Ich werde nur operieren bei strengster Indikationsstellung!«

«Selbstverständlich. «Dr. Soriano hob prostend sein Champagnerglas.»Sie werden nur hoffnungsvollen Fällen begegnen!«

Die Entwicklung überholte Dr. Volkmar und alle Pläne Sorianos.

Am 4. Dezember 1967 sprach die ganze Welt nur über ein Ereignis, das alles überdeckte: Weltpolitik, Wirtschaftskrise, Aktienkurse, Sportleistungen oder Krisenherde irgendwo auf dem Erdball. Für einen Tag trat alles in den Hintergrund. Auf der ersten Seite der Zeitungen riefen es Riesenlettern aus, Rundfunk und Fernsehen überboten sich mit Originalberichten und Interviews. Ein bis zu diesem

Tag der Welt unbekannter und selbst in Kollegenkreisen nicht auffallender Mann, ein Arzt aus Südafrika, Chirurg am Groote-Schu-ur-Hospital in Kapstadt, tat einen großen Schritt in die Zukunft.

Dr. Soriano stürmte mit einem Packen Zeitungen am frühen Morgen in Volkmars Wohnung. Er warf die Zeitungen auf den Tisch und klopfte an die Schlafzimmertür.

«Trennen Sie sich von meiner Tochter!«rief er erregt.»Himmel, wie können Sie schlafen, während sich die Welt verändert?! Kommen Sie heraus!«

Dr. Volkmar öffnete die Tür. Er ließ sie provozierend weit offen, um Soriano einen Blick auf sein französisches Bett zu gönnen. Es war leer. Loretta hatte in dieser Nacht nicht bei ihm geschlafen.

«Die Zeitungen!«sagte Soriano heiser.»Da!«Er zeigte auf die Titelseiten.»Die Welt steht kopf!«

Dr. Volkmar griff nach einer Zeitung und faltete sie auf. Die dicke, rot unterstrichene Balkenschrift schrie ihm entgegen: Die erste Herzverpflanzung ist gelungen!

Professor Dr. Christaan Barnard aus Kapstadt setzte dem 55 Jahre alten Lebensmittelhändler Louis Waskansky ein neues Herz ein.

Darunter das erste undeutliche Funkbild von Louis Waskansky, wie er auf einem Rollbett zum OP gefahren wird. Er lächelte breit und hoffnungsvoll.

Dr. Volkmar las den Artikel aufmerksam durch, blickte dann auf die anderen Zeitungen und warf sie beiseite. Dr. Soriano, der auf eine Reaktion wartete, wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht.

«Das ist alles, was Sie dazu sagen?«rief er.»Nichts?!«

«Ich habe von Barnards Forschungen gehört«, sagte Volkmar.»Die kleine Gruppe der Mediziner, die an diesem Problem arbeitet, kennt sich untereinander mehr oder weniger. Ich wußte allerdings nicht, daß Barnard schon so weit ist. Ich freue mich für ihn. Endlich hat es einer gewagt! Und das am südlichsten Ende Afrikas! Gratulation, Christaan Barnard.«

Soriano lief hinaus auf den Dachgarten und warf sich in die Schaukel. Volkmar, der ihm gefolgt war, hockte sich auf einen Stuhl an der Gartenbar.

«Wissen Sie, was das für uns bedeutet?«fragte Soriano.

«Ich ahne es.«

«Die ganze Welt ist voller Begeisterung. Zum ersten Mal wird allen bewußt, daß es möglich ist, ein Herz zu verpflanzen! Ich weiß, ich weiß, ihr Mediziner wißt das schon lange. Aber gewagt hat es noch keiner! Nur an Tieren. Aber jetzt endlich läuft ein Mensch mit einem fremden Herzen herum.«

«Noch läuft Mr. Waskansky nicht wieder.«

«Er wird!«

«Abwarten!«

«Und wenn er nur eine Woche lebt — die Welt, jeder Mensch lebt ab heute in der Gewißheit, daß auch ein Herz austauschbar ist. Barnard wird überlaufen werden von herzkranken Patienten. Andere Chirurgen werden es ihm nachtun. Wenn einmal die Schranke durchbrochen ist, strömen alle in das Neuland! Das bedeutet für uns: In kürzester Zeit haben wir die Klinik voll, denn Professor Barnard wird jetzt bestimmt nicht am laufenden Band Herzen verpflanzen.«

«Das wird er nie tun!«

«Sehen Sie! Aber wir werden es!«Soriano begann, nervös zu schaukeln. Er faltete die Hände, löste sie wieder und trommelte mit den Fingerspitzen gegeneinander.»Ich habe schon Auftrag gegeben, alles, was mit dem Groote-Schuur-Hospital zusammenhängt, zu sammeln und herüberzufunken. Barnard gibt ausführliche Interviews, natürlich genießt er seinen Erfolg! Wir werden spätestens morgen wissen, wie Barnard operiert hat, wie seine Chirurgie eingerichtet ist, was man zur Überwindung der Immunschranke getan hat. Ich garantiere: Wir sind besser, moderner und vollkommener eingerichtet! Und wir haben einen Dr. Volkmar!«

«Barnard hat nur einen Teil des Herzens verpflanzt«, sagte Volkmar ruhig.»In seinem ersten Interview steht, daß er ein Stück Restherz belassen hat und das neue Herz, auch nur ein Teil, aufgenäht hat. Aus zwei mach eins. das ist die Methode, an der wir alle ex-perimentierten. Barnard hat es technisch brillant gelöst. Aber die Gefahr der Immunreaktion ist dadurch ungeheuer groß geworden. Das will ich vermeiden, indem ich ein ganzes Herz transplantiere und in alle zum Herzen führenden Hohlgefäße Zwischenstücke aus Teflon einsetze, Verbindungen aus Kunststoffschläuchen, die wie eine Bremse, eine Schleuse wirken. Ich weiß: das Blut. Die Eiweißreaktion. Aber die Gefahr der schnellen Abstoßung ist nicht mehr so groß, wenn wir nicht mehr fremde Muskel aufeinander nähen, sondern ein ganzes Organ ohne unmittelbare Verbindung zu anderen abwehrbereiten Körperteilen transplantieren.«

«Und das werden Sie in Kürze tun, Enrico. «Sorianos Gesicht hatte sich vor Erregung gerötet.»Mein Gott, wenn das gelingt.«

«Lassen Sie Gott weg!«

«Wie Sie wünschen! Professor Barnard hat — ohne es zu wissen — den Startschuß zu unserer Klinik gegeben! Solange die Euphorie über dieses medizinische Wunder anhält.«

«Sie wird nicht lange dauern. Auf nichts reagieren Mediziner allergischer als auf den spektakulären Erfolg eines Kollegen. Warten Sie die Kommentare der nächsten Tage ab. Es wird für Barnard mehr Minus- als Pluspunkte geben! Man wird die Notwendigkeit solcher Eingriffe in Zweifel ziehen, von Verfrühung sprechen, von Operationswut, von Geltungsbedürfnis, von persönlicher Eitelkeit, von Mißachtung des ärztlichen Ethos. Die Palette der Beschimpfungen mit akademischer Verkleidung ist gerade bei uns Medizinern unerschöpflich. Und wenn Waskansky stirbt. oje!«

«Barnards revolutionäre Tat ist unsere Reklame!«sagte Dr. Soriano tief atmend.»Wir werden jeden sich jetzt bei Barnard meldenden Patienten, den er abweisen muß, unter die Lupe nehmen und ihm, wenn er kapitalkräftig genug ist, unser Angebot unterbreiten. Ich rechne mit dem ersten Patienten in spätestens einer Woche.«

«Und wo nehmen wir das passende Spenderherz her?«

Soriano winkte großzügig ab.»Das ist meine Aufgabe, Enrico! Ich habe Ihnen versprochen, alles zu beschaffen, was Sie brauchen! Ein Herz gehört auch dazu. Um so etwas brauchen Sie sich nicht zu sorgen!«

Und wieder spürte Dr. Volkmar, wie es ihm trotz der warmen Morgensonne eiskalt über den Rücken lief. Er war wie gelähmt, als Worth-low mit dem Frühstück kam.

Der erste Patient traf sechs Tage nach Barnards Herztransplantation ein. Mit einem eigenen Flugzeug landete er in Palermo. Ein Großkaufmann aus Beirut, der erst in Kapstadt gewesen und dort von Professor Barnard abgewiesen worden war, weil die Liste der Herzanwärter bereits jetzt schon so lang war, daß auch ein Millionenscheck nichts mehr bewirkte. Sorianos Kontaktmann in Kapstadt hatte den Schwerkranken in seinem Hotel aufgesucht und ihm das Angebot unterbreitet, nachdem man einig geworden war, völliges Stillschweigen über dieses Gespräch zu bewahren.

Das Befinden Louis Waskanskys trug sehr zu dem Entschluß bei, sich der Klinik in Camporeale anzuvertrauen. Waskansky, das brachten alle Zeitungen und Fernsehstationen, saß bereits in seinem Bett, aß mit gutem Appetit, hatte die ersten Schritte in seinem Zimmer gemacht, gab Interviews und erzählte der staunenden Welt, daß er sich mit dem neuen Herzen fabelhaft fühle, wie neugeboren, geradezu verjüngt, und hob, breit lächelnd, Zeige- und Mittelfinger hoch in Churchill-Manier: Victory! Sieg über den Tod! Ein Bild, das Geschichte machte.

Professor Barnard verbreitete nur gedämpften Optimismus. Er kannte die Laborwerte, die ihm viermal täglich vorgelegt wurden und die bisher nur schwache Abwehrreaktionen signalisierten. Er wartete. Er war, wie jeder Arzt, vor allem der Chirurg, auf die Natur des Kranken angewiesen. Die Medikamente, mit denen man Was-kansky vollpumpte, stoppten die Immunreaktionen bis auf ein Minimum, aber gerade dieses Minimum konnte auf die Dauer gefährlich werden. Ob der Körper nun ein fremdes Organ sofort massiv oder langsam, schleichend abstößt — der Endeffekt ist der gleiche.

Die Welt erfuhr von diesem stillen Kampf nichts. Sie sah nur die gelungene Operation. Der Anbruch eines neuen Zeitalters der Medizin! Ohne es gewollt zu haben, wurde Barnard zu einem Idol, zu einem Vorbild, das sofort von cleveren Managern vermarktet wurde. Barnard — das war die neue Zeit! Der erste gelungene Vorstoß in die phantastische Zukunft.

Dr. Soriano war selbst auf dem Flugplatz, als Achmed ibn Tha-leb, der Großkaufmann aus Beirut, Mekkapilger und daher berechtigt, sich >Hadschi< zu nennen, mit seinem Privatflugzeug landete. Auf zwei Leibwächter gestützt, verließ er langsam, Schritt um Schritt, die Maschine, mühsam Stufe um Stufe der kleinen Gangway nehmend.

Dr. Soriano erschrak. Was ihm da entgegenwankte, war ein menschliches Wrack. Ein schmaler Körper in einem viel zu weit gewordenen Anzug. Nur keuchend konnte er sich noch vorwärts bewegen. Wieso dieses kaputte Herz überhaupt noch schlug, war Soriano ein Rätsel. Den bekommt auch Dr. Volkmar nicht mehr hin, dachte er, als er Achmed ibn Thaleb so herzlich begrüßte, als sei er sein Bruder. Da nützen auch alle Millionen nichts mehr. Wenn man den ansieht, weiß man, daß er nicht einmal die Narkose überleben wird, geschweige denn den Eingriff. Aber weshalb daran denken? Thaleb hatte zwei Millionen Dollar für ein gesundes Herz geboten. Er sollte es bekommen, auch wenn er es nicht überlebte.

Ibn Thaleb bekam das beste Zimmer: Einen großen Raum, zu dem man erst durch eine Sterilschleuse und dann noch durch ein anderes steriles Zimmer gelangen konnte. Es war die totalste Isolierung, die im medizinischen Sinne möglich ist. Wer zu Thaleb wollte, später, nach der Operation, war wirklich keimfrei. Um alle Bakterien abzutöten, mußte jeder Besucher auch noch durch einen stählernen Bogengang gehen, in dem er von allen Seiten bestrahlt wurde.

«Das hat Barnard nicht!«sagte Soriano, als er die Berichte aus Kapstadt studiert hatte.»Ein gewöhnlicher OP, ohne technische Sensation! Für unsere Begriffe sogar primitiv eingerichtet. Im Vergleich zu diesem OP, lieber Enrico, arbeiten Sie hier bereits im 21. Jahrhundert!«

Achmed ibn Thaleb betrachtete Dr. Volkmar sehr genau, als er ihm zur ersten Untersuchung gegenüberstand. Man sprach französisch miteinander. Dr. Volkmar war, im Gegensatz zu Soriano, über Tha-lebs Zustand nicht entsetzt. Die Untersuchung war Routine: Röntgenaufnahmen, Laborwerte, genetische Tests, Eiweißbestimmungen, Blutanalysen, Funktionsprüfangen. Das dauerte drei Tage, die Soriano voller Ungeduld verbrachte.

«Was ist?«fragte er am dritten Tag.»Gibt es da überhaupt noch Hoffnung? Wie der aussieht!«

«Die Indikation für eine Herztransplantation ist gegeben«, sagte Dr. Volkmar.»Nur habe ich kein Spenderherz.«

«Wann wollen Sie operieren?«fragte Soriano ruhig.

«In vier Tagen. So lange brauche ich, um Thaleb auf den Eingriff vorzubereiten. Er ist sehr klapprig.«

«Und wie! Enrico, Sie müssen es schaffen, daß er wenigstens noch drei Tage nach der Operation lebt.«

«Verdammt, ich will, daß er ein paar Jahre lebt!«sagte Volkmar laut.»Glauben Sie, ich würde sonst das Messer anrühren?! Was hat er Ihnen geboten?«

«Zwei Millionen Dollar!«antwortete Soriano ehrlich.

«Dafür können Sie beten, Don Eugenio. Welche Voraussetzungen der Herzspender haben muß, kann Ihnen Dr. Nardo sagen. Er hat die Checkliste. Ich glaube kaum, daß wir in vier Tagen das richtige Herz bekommen. Gesund und kräftig. So viele Unglücksfälle gibt's in Palermo nicht.«

Er sollte sich irren.

In den nächsten drei Tagen geschah Merkwürdiges auf Sizilien.

Im Hochland bei Mussomeli und Casteltermini, bei Leonforte und Sperlinga, aber auch an der Küste bei Pizzolato und Bonagia verschwanden ohne jeden Grund kräftige Bauernburschen und windgegerbte Küstenfischer. Keiner war über fünfundzwanzig Jahre alt, und keiner von ihnen hatte jemals den Wunsch geäußert, Sizilien zu verlassen und auszuwandern in ein Land, wo man mehr verdienen konnte. Zum Beispiel Deutschland.

Sie waren morgens zu ihrer Arbeit gegangen — die einen auf die Felder, die anderen mit dem nächtlichen Fang zum Fischmarkt. Keiner aber erreichte sein Ziel — sie alle schienen sich in Luft aufgelöst zu haben.

Da war Domenico Barnazzi, vierundzwanzig Jahre, kerngesund, ein Brocken von einem Mann, immer fröhlich, ein Mensch, der gern sang und liebte, was einige Mädchen aus Leonforte bestätigen konnten. Im Sommer, in der Reisezeit, fuhr er mit seinem alten Fiat oft an den Badestrand von Cefalo, nicht nur, um im Meer zu schwimmen, sondern wegen der Touristinnen, die beim Anblick seines Lok-kenkopfes und seines durchtrainierten Körpers runde Augen bekamen. Meistens waren es Deutsche, Schwedinnen oder Engländerinnen, mit denen er später auf einer Decke hinter Büschen und Dünenhügeln lag, manchmal auch in Hotelzimmern, Zelten oder Wohnwagen. Er war in dieser Beziehung unermüdlich, erfüllte stets, was sein Körper versprach, und wunderte sich nur über die Frauen, die wie ausgehungert schienen. Waren die deutschen Männer solche Schlafmützen?! Domenico genoß es jedenfalls, drei Monate lang, in der Hochsaison, bald jeden Tag eine ausländische Frau mit südlichem Temperament zu beglücken.

Ein Beweis, wie stark sein Herz war!

Aber alle Stärke nutzt nichts, wenn drei Männer mit sandgefüllten Strümpfen zuschlagen und einen unblutig, aber nachhaltig damit betäuben. Als Domenico Bernazzi wieder zu sich kam, lag er gefesselt im Kofferraum eines sehr schnell fahrenden Autos, mit einem dicken Pflaster über dem Mund. Ein paarmal zog er die Beine an und trat mit voller Wucht gegen den Kofferraum, aber auch das wurde unterbunden. Der Wagen bremste, der Kofferraumdeckel klappte auf, wieder krachte der sandgefüllte Strumpf auf den Schädel und schickte ihn in die Bewußtlosigkeit zurück.

Das geschah noch viermal. Als Domenico zum fünftenmal aufwachte, lag er in einem schönen, weißen Bett, das Zimmer war lindgrün gekachelt, über der Tür, die keine Klinke hatte, hing ein sehr schönes hölzernes Kruzifix, an der Decke lief ein Lichtband entlang und verbreitete helles, dennoch mildes, durch die Milchglasverkleidung gedämpftes Licht. Der Raum hatte keine Fenster, aber eine Klimaanlage sorgte für angenehme Temperatur.

Domenico stand auf, lief zur Tür und hieb mit den Fäusten dagegen. Er konnte sich nicht erklären, wo er sich befand. Fetzen der Erinnerung ergaben kein Bild: Er war auf dem Wege zum Maisfeld gewesen, als ihn die drei Männer niederschlugen. Dann hatte er in einem Auto gelegen und war noch einige Male betäubt worden. Und jetzt war er in einem Krankenhaus… aber wo? Wer hatte ihn hierher gebracht? Warum gab es keine Türklinken? Gibt es Krankenzimmer ohne Fenster? Er hatte bisher nur einmal im Krankenhaus gelegen, in dem kleinen Spital von Enna, als er sich den Fuß angebrochen hatte. Da lag er mit neun Mann auf einem Zimmer, strenge Nonnen pflegten ihn, und abends mußten sie alle vor dem Schlafen die Finger in das Weihwasserbecken neben der Tür tauchen und sich bekreuzigen.

Aber hier war niemand. Hier war vollkommene Stille. Eine fast erdrückende Sauberkeit. Einsamkeit, die sich wie ein pressender Ring um sein Herz legte.

Er hämmerte wieder gegen die Tür, trat gegen das dicke, mit Kunststoff belegte Holz, schrie und schrie und begann dann, als sich niemand meldete, das Bett zu demolieren und mit dem eisernen Fußteil gegen die Wand zu rennen. Die Kacheln platzten ab, er zerhieb alles, was zerstörbar war — aber keiner kam. Schließlich war auch Domenico erschöpft, hockte sich auf die Trümmer seines Bettes und wartete.

Er wußte für alles keine Erklärung.

Nicht anders erlebten die anderen jungen Burschen ihr Erwachen nach langer Betäubung. Auch sie klopften, trommelten und brüllten, aber die Wände schienen jeden Laut zu schlucken.

In einem anderen Teil der Klinik, einem Keller über der Abteilung HS<, wie man die Einzelzimmer tief unter der Erde nüchtern nannte, saßen Dr. Nardo und Benjamino Tartazzi, ein bulliger Kerl und Leiter der >Einsatztruppe<, an einem runden Tisch einander gegenüber.

«Wir haben acht Knaben gesammelt!«sagte Tartazzi fröhlich.»Kraftstrotzend und gesund, soviel man von außen sehen kann. Jeder wäre gut als Zuchtbulle! Brauchen Sie noch mehr, Dottore?«

«Das wird die Untersuchung ergeben«, antwortete Dr. Nardo.»Wir brauchen einen besonderen Eiweißtyp.«

«Was braucht ihr?«fragte Tartazzi verblüfft zurück.»Eiweiß?«

«Schon gut. «Dr. Nardo winkte ab.»Hat es Schwierigkeiten gegeben?«

«Überhaupt nicht. Warum auch? Das geht alles ruckzuck! Auf diese Weise ist Nachschub gar kein Problem.«

Während auf den Polizeistationen die Vermißtenmeldungen eingingen und die Verwandten der Verschwundenen lamentierten, begannen in der unterirdischen Klinik von Camporeale die ersten Untersuchungen der Kandidaten, wie Dr. Nardo die noch ahnungslosen jungen Burschen nannte. Mit einem unschädlichen Gas, das durch die Luftschächte der Klimaanlage geblasen wurde, machte man die Männer willenlos und transportierte sie dann zum Röntgen, entnahm ihnen Blutproben, Liquor und Muskelfleisch und stellte ihnen dann ein opulentes Mahl auf den Tisch. Als sie aufwachten, fehlte nichts, vom Wein bis zum Käse, von der Minestrone auf einem Wärmeteller bis zum Lammbraten mit grünen Nudeln.

Das Labor arbeitete die ganze Nacht durch. Am nächsten Morgen gab Dr. Nardo nach Solunto durch, daß man nach seiner Meinung den richtigen Herzspender für Achmed ibn Thaleb gefunden habe. Einen Fischer aus Pizzolato. Seine Eiweißmoleküle reagierten am freundlichsten auf Thalebs Gewebe — soweit das labortechnisch nachweisbar war.

Dr. Soriano besuchte Dr. Volkmar vor dem Frühstück. Diesmal war Loretta noch in Volkmars Bett gewesen. Sie kam, in einem traumhaften Neglige, das ihre herrliche Figur durchschimmern ließ, mit Volkmar in die Halle. Dr. Soriano zog die Unterlippe durch die Zäh-ne. Für einen Vater ist das kein besonders erfreulicher Anblick. Lorettas Schamlosigkeit trieb ihm das Blut pochend in die Schläfen.

«Wir haben das richtige Herz«, sagte er ohne Begrüßung.»Sie können operieren!«

«Wer ist es?«

«Ein vierundzwanzigjähriger Motorradunfall. Dr. Nardo kann Ihnen alle Daten geben. Auch die Einverständniserklärung der Eltern. Der junge Mann ist — ich verstehe davon nichts, ich verlasse mich auf die Aussagen der Ärzte — klinisch tot, das heißt, seine Hirn-fanktion ist erloschen. Nur sein Herz wird noch durch medizinische Tricks am Schlagen gehalten. Wie lange das möglich ist, weiß ich nicht. Können Sie sofort operieren?«

Dr. Volkmar blickte auf seine Armbanduhr.»In zwei Stunden?«

«Erst?«

«Ich muß ja hinaus nach Camporeale.«

«Ein Hubschrauber bringt Sie hin!«Soriano deutete auf das Telefon.»Wenn Sie Dr. Nardo anrufen und Anweisungen geben, kann er schon alles vorbereiten. Er steht Gewehr bei Fuß.«

«Und der Herzspender?«

«Ist bereits überführt und liegt an einem Gewirr von Schläuchen — wie Dr. Nardo sagt.«

In der Klinik war tatsächlich alles zur Operation bereit. Als Volkmar mit Nardo sprach, hatte er den Eindruck, als liege Achmed ibn Thaleb schon zur Narkose präpariert im Vorraum von OP I. Die Laborwerte, die Nardo schnell durchgab, waren ideal. Man konnte sich keinen besseren Herzspender denken.

«Sie haben unverschämtes Glück, Don Eugenio!«sagte Dr. Volkmar stockend.

«Mehr als Professor Barnard. Sein Louis Waskansky baut ab. Er hat eine Infektion bekommen, Lungenentzündung. So die letzten Rundfunkmeldungen.«

«O Gott! Ich kann nachempfinden, wie es jetzt in Barnard aussieht.«

«Er kämpft bis zum Umfallen um seinen Patienten. «Soriano er-hob sich aus dem Sessel.»Wir haben bessere Ausgangspositionen. Bei uns gibt es keine Infektionen! Vor allem aber Ihre eigene Operationsmethode, Enrico!«

Eine halbe Stunde später betrat Dr. Volkmar die unterirdischen Operationsräume. Zwei Ärzte mit den Röntgenbildern des Herzspenders erwarteten ihn bereits.

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