Im Kommissariat von Cabras, einem uralten, gelbgestrichenen Haus mit schiefen grünen Schlagläden, in dem es immer muffig roch und dessen zwei Untersuchungszellen im Keller gefürchtet waren, weil hier der Schimmel an den Betonwänden hochkroch, empfing man Dr. Angela Blüthgen wie die Königin von Thailand. Der Kommissar küßte ihr die Hand, ein anderer höherer Offizier servierte Kognak, ein dritter Beamter in Zivil — er war der stellvertretende Bürgermeister, wie sich später herausstellte — brachte in einer großen geschnitzten Holzschale süßes sardisches Gebäck. Man tat also, mit südländischem Charme, alles, um Angela zunächst zu beruhigen, innerlich zu festigen, vielleicht sogar aufzuheitern. Sie nahm das alles ziemlich unbeteiligt hin und wartete nur darauf, den Toten zu sehen.
Es ließ sich nicht länger hinauszögern: Die drei Beamten setzten eine Trauermiene auf, und der Kommissar entledigte sich seiner Verpflichtung, zunächst das Protokoll der Auffindung vorzulesen. Auch dabei entwickelte er unbehördlichen Charme: Er ließ die Beschreibung des Toten aus. Nur am Rande, gewissermaßen als Vorbereitung für die Identifizierung, erwähnte er, daß eine exakte Personenbestimmung vielleicht nur noch durch einen Gebißvergleich möglich sein werde. Ob es in Deutschland einen Zahnarzt gäbe, der Dr. Volkmar ständig behandelt habe?
«Ja«, antwortete Angela gepreßt.»Dr. Weissner in München. Heinz war sehr genau mit seinen Zähnen. Jedes Vierteljahr ging er zur Kon-trolluntersuchung.«
«Sehr lobenswert!«Der Kommissar erhob sich.»Das hilft uns weiter. Möchten Sie Herrn Dr. Volkmar trotzdem sehen?«
«Ja. «Sie warf den Kopf weit in den Nacken. Gott, gib mir Kraft, dachte sie. Ich möchte zu ihm sagen, zu dem, was von ihm übriggeblieben ist, daß ich ihn wirklich geliebt habe. Ich war das größte Schaf unter den Liebenden. Alles wäre nicht passiert, wenn ich anders zu ihm gewesen wäre. Dann hätten wir zusammen in Sardinien Urlaub gemacht. Er wäre nie ertrunken. So bleibt gerade das rätselhaft: Ein Mann, der wie Volkmar schwimmen konnte, ertrinkt in einem fast unbeweglichen Meer. - Man wird es nie erklären können.
«Bitte!«Der Kommissar sah kurz die anderen Herren an. Der stellvertretende Bürgermeister verzichtete darauf, mit in den Keller zu gehen. Der Arzt hatte ihm 230 Blutdruck bestätigt. Aufregungen und Anblicke solcher Art konnten zu Komplikationen führen.»Ich möchte nur noch sagen, Signora.«
«Ich bin Ärztin, Herr Kommissar!«
«Trotzdem.«
«Ich habe auf Unfallstationen gearbeitet, bis ich mich spezialisierte für Innere Medizin.«
«Der vorliegende Fall.«
«Ich habe auch obduziert, Herr Kommissar. Bitte!«
Der Kommissar hob hilflos die Schulter und trat den schweren
Gang zum Keller an. Man hatte einen besonders kühlen Raum gewählt, der penetrant muffig roch. Das alte verrostete Schloß knirschte, als sich der Schlüssel drehte, die Tür quietschte in den schmiedeeisernen Angeln. Alles gute, alte Handarbeit aus dem vorigen Jahrhundert.
Der Tote lag auf einer einfachen Pritsche, mit einem weißen Tuch völlig zugedeckt. Nur die nackten Fußsohlen ragten hervor, vom Salzwasser wie angefressen. Ein Polizist, der sie von der Kellertreppe an begleitet hatte, stellte sich an das Kopfende der Pritsche und starrte die schöne Signora an. Der Kommissar stand hinter ihr, um sie mit geübtem Griff aufzufangen, wenn sie umkippte. Er hatte schon viele Hinterbliebene, die identifizieren mußten, in den Armen gehalten.
«Bitte den Kopf«, sagte Angela leise.»Nur ihn.«
«Signora!«Der Kommissar schluckte krampfhaft.»Gerade der Kopf.. Ich — ich habe etwas im Protokoll ausgelassen: Dr. Volkmar muß in eine Schiffsschraube geraten sein.«
«Bitte!«
Sie zog das Kinn an und stellte sich die Leichen in der Anatomie vor. Zum Teil schon von anderen Studenten seziert, zerschnippelt, teilweise wegpräparierte Fleischteile von Menschen auf Marmortischen und Zinkwannen. Aber da lag Heinz Volkmar, kein unbekannter Toter, vereist oder aus einer Formalinlösung gefischt. Da lag ihre Liebe, die sie immer unterdrückt hatte, die sie abgewertet hatte zu einem biologischen Akt.
«Bitte!«sagte sie wieder, kaum hörbar.
Der Polizist lüftete das weiße Laken über dem Kopf des Toten. Er wurde kalkig im Gesicht, aber er hielt durch.
Dr. Angela Blüthgen trat näher an die Leiche heran und blickte stumm auf den Kopf, der kein Kopf mehr war. Auch die gesamte Schulter- und Thoraxpartie war zerstört. Zerfetzt, zerschnitten, teilweise weggerissen. Es war wirklich nur noch möglich, diesen Menschen an seinem Gebiß zu erkennen.
«Ist die linke Hand noch vorhanden?«fragte sie tonlos.
«Signora?«
«Die linke Hand!«
«Ja.«
Der Polizist deckte schnell den Kopf wieder zu und lüftete die linke Seite. Am Ringfinger der Hand steckte ein schmaler goldener Ring mit einem Karneol.
Angela deckte selbst das weiße Tuch über den Körper und trat von der Pritsche zurück.»Es ist mein Ring«, sagte sie dumpf.»Ich habe ihn Heinz zu Weihnachten geschenkt. Der Tote ist Dr. Heinz Volkmar. «Und dann tat sie etwas, was den Kommissar und den Polizisten für den Rest ihres Lebens daran glauben ließen, daß im Ernstfall eine Frau mehr Stärke besitzt als jeder Mann.
Sie beugte sich über den zugedeckten Kopf und sagte ruhig:»Heinz… ich liebe dich!«
Mit einem Ruck trat sie darauf zurück und flüchtete fast bis zur Kellertür.
«Kann ich ihn mitnehmen?«fragte sie auf dem Rückweg.»Er soll in Deutschland begraben werden.«
«Wir werden die Sache so schnell und unbürokratisch wie möglich regeln, Signora. «Der Kommissar führte sie aus dem Keller und die Treppe hinauf.»Aber der Gebißvergleich ist nötig. Sie verstehen.«
Sie nickte, ließ sich in das Kommissarzimmer bringen, und dort erst brach sie zusammen, sank auf einen der Stühle und weinte haltlos.
Man ließ sie allein mit Wein, Kognak und Gebäck. Sie war unsäglich dankbar dafür, denn nur das Alleinsein konnte sie noch ertragen. Jetzt Menschen zu sehen, zu hören, hätte ihre Nerven zerrissen.
Im Nebenzimmer füllte der Kommissar die Formulare zur Freigabe der Leiche und zur Überführung nach Deutschland aus. Nur noch der Staatsanwalt mußte unterschreiben.
Name: Volkmar, Heinz. Dr. med. München. Unfalltod durch Ertrinken. Einwandfrei identifiziert durch seine Braut, Frau Dr. A. Blüth-gen, München, durch Badehose, Ring am linken Ringfinger und Gebiß. Der Raum für das Vergleichsfoto war noch frei — aber das war nur noch eine Formsache.
Der Zinksarg wurde bestellt.
Der Mann, den man dann hineinlegte, hieß Sergio Rappallo, 33 Jahre alt, Hafenarbeiter in Catania, ohne bekannte lebende Angehörige. Niemand vermißte ihn.
Genau zwölf Stunden war Anna mit dem Schiff unterwegs gewesen, als es im Hafen von Palermo einfuhr — eine Stunde länger als auf dem Kurszettel, aber das kümmerte sie nicht so sehr wie die Passagiere, denen die Offiziere erklärten, daß eine elektronische Ruderanlage ausgefallen sei. Man hatte den Schaden unbemerkt auf See repariert, während auf Deck gespielt, geschwommen, zum 5-Uhr-Tee getanzt wurde und unter Deck, in vielen Kabinen, die Betten nicht zur Ruhe kamen. Zwischen Neapel und Palermo muß das Meer besonders jodhaltig sein.
Auf jeden Fall fehlte nun eine Stunde im Ausflugsprogramm. Das schöne, weiße Luxusschiff war ja ein Vergnügungskreuzer, der im Mittelmeer rundherum fuhr, vielerlei Häfen anlief, den Touristen die Kultur des Altertums zeigte und den ungeheuren Fortschritt, den der Kitsch der Andenkenkultur in 2.500 Jahren entwickelt hatte. Da viele Amerikaner an Bord waren, die den Sinn ihres Europatrips nur im Sammeln von möglichst bunten Souvenirs sahen, war die Reise bisher ein voller Erfolg gewesen. Man fand sich halb auch mit der verlorenen Stunde ab, verzichtete auf die Besichtigung der Ruinen von Erice bei Trapani, zumal ja für die meisten jede Ruine im Grunde aussah wie die andere. Säulenreste, Tempelanlagen, Bäder — die man hier Thermen nannte —, Grundmauern von Villen, Mosaike mit nackten Weibern, dazwischen Andenkenbuden.
Daß man Palermo erreicht hatte, merkte Anna unten im Schiffsleib an dem langsameren Lauf der Motoren und an dem Rückstau, den die gewaltigen Schiffsschrauben erzeugten, als man am Kai an-legte. Sie hörte den Aufprall gegen die dicken Sandsäcke und Holzstämme, hörte, wie die Gangways angelegt wurden und wie auf dem Oberdeck I die Bordkapelle einen flotten Marsch zu spielen begann.
Anna hatte ihre wenigen Sachen schon gepackt und wartete, auf dem schmalen Bett sitzend, bis die Passagiere das Schiff verlassen hatten und mit den im Hafen bereitstehenden Bussen weggekarrt wurden. Dann stieg sie die Eisentreppen hinauf in die Sonne und sah sich um. Es gibt kaum etwas Einsameres als ein Riesenschiff, das von den Passagieren und einem großen Teil der Mannschaft verlassen worden ist. Ein paar Deckstewards räumten noch Liegestühle auf, die Wache auf der Brücke langweilte sich, und dem Matrosen an der Gangway III fiel es nicht ein, Anna zu fragen, wohin sie wolle und warum sie an Land gehe mit einer Reisetasche und einer Art Brotbeutel um den Hals.
Als sie auf dem Kai stand und über dem Gebäude der Hafenkommandantur das Schild Palermo las, als sie der verwirrende Lärm des Hafens umfing, verspürte sie ein großes Glücksgefühl.
Was hatte Ernesto, der daheim gebliebene Bruder, gesagt?» Wende dich nie an Leute, die höher stehen als du. Geh immer zu deinesgleichen. Die Großen belügen dich doch! Für sie bist du eine Wanze! Aber die Frau, die in Palermo Fisch verkauft, die wird dich verstehen.«
Sie hielt sich wortgetreu daran. Und sie erfuhr ebenso eindringlich, was es heißt, sich nach Namen zu erkundigen, die man kennen muß, doch die man lieber nicht durch die Gegend schreit.
Sie fragte eine Frau, die einen Stand mit bunten Bonbonketten und Dauerlutschern am Hafen hatte, nach Don Eugenio und wo er wohne. Die Reaktion war ihr fremd. Die Frau, eine dicke, gutmütig aussehende Mama, musterte sie, schob die Unterlippe vor, als wolle sie das Mädchen anspucken, und antwortete dann abweisend:»Geh weiter. Los! Melde dich in der Clinica Santa Barbara. Da haben sie ein paar Zimmer für Verrückte.«
«Ich muß zu ihm«, sagte Anna ruhig.»Nonna, ich bin extra deswegen nach Palermo gekommen.«»Woher?«
«Von Sardinien. Aus den Bergen. Don Eugenio ist doch ein großer Mann in der Stadt, nicht wahr? Wo wohnt er?«
«Was willst du von ihm?«
«Ich möchte bei ihm arbeiten.«
«Verrückt! Verrückt!«Die gute, dicke Mama mit ihren bunten Bonbonketten lachte rauh.»Total verrückt. Wenn alle Mädchen von Sardinien nach Palermo kämen, um bei Dr. Soriano zu arbeiten. Verrückt!«
«Ich danke, Nonna. «Anna machte einen Knicks und ging weiter, hinein in den Lärm der Stadt. Sie wußte nun schon etwas mehr. Don Eugenio hieß Dr. Soriano. Sie blieb mitten auf der großen Piazza am Hafen stehen und breitete die Arme weit aus, als könne sie Palermo umarmen. Noch nie hatte sie eine so große Stadt gesehen, so hohe Häuser, so prächtige Parkanlagen, so viele Autos, eine solche Menge gut angezogener Menschen. Die Welt könnte wirklich schön sein, wenn es keine Mörder gäbe wie jenen Mann, der Luigi mit einem Messer aufgeschlitzt hatte.
Dr. Soriano.
Anna fragte den nächsten Polizisten, der gelangweilt an einer Straßenecke stand und sich von dem Gewimmel um sich herum nicht aus der Ruhe bringen ließ.
«Der Rechtsanwalt?«fragte er zurück.
«Ja«, sagte Anna. Sie sagte einfach ja, weil sie spürte, ein so großer, mächtiger Mann müsse auch einen imponierenden Beruf haben.
«Corso Vittorio Emanuele. «Der Polizist zeigte mit dem Daumen hinter sich.»Die Hausnummer weiß ich nicht. Aber da kennt ihn jeder. Frag dort noch mal.«
Anna bedankte sich, drückte den Brotbeutel mit den fünfhunderttausend Lire an ihre Brust, hob ihre Reisetasche auf und ging in die Stadt hinein. Eine glückliche Stimmung überflutete sie, fuhr ihr bis in die Beine; es sah aus, als hüpfe, als tanze sie über den Asphalt, getrieben von einer heimlich in ihr erklingenden Melodie.
Auf den Lire-Scheinen lag das beidseitig geschliffene lange Messer, daneben ein billiges Kästchen aus eloxiertem Blech, gefüllt mit Lippenstift, Puderdose, Augenschatten, Lidstift und drei verschiedenen, aufeinander abgestimmten Make-ups. Sie hatte das Kästchen auf dem Schiff im Shop der III. Klasse gekauft. Wenn sie Enrico gegenübertrat, wollte sie aussehen wie eine der feinen Damen, geschminkt und modern frisiert, mit roten Nägeln an Händen und Füßen und blaugrünen Schatten auf den Liddeckeln. Vor dem kleinen Spiegel in ihrer Kabine hatte sie das alles ausprobiert und sich gründlich bestaunt.
«Ich bin so schön wie sie!«hatte sie zu sich gesagt.»Ich bin viel schöner als sie! Enrico soll sehen, wie schön ich bin!«
Auf dem Corso Vittorio Emanuele kannte natürlich jeder das palastähnliche Bürohaus des Dr. Soriano. Anna hatte zwei Vorzimmerdamen zu überstehen, die sie mit merkwürdigen Blicken musterten, denn Klienten Don Eugenios sahen meist anders aus. Aber man kann sich da leicht irren, vor allem, wenn einer vom Lande kommt. Da gibt es Typen, die wie wandelnde Felssteine aussehen und doch halb Palermo kaufen könnten.
Schließlich empfing ein junger Anwalt Anna, wies auf einen Lederstuhl und lächelte sie freundlich an.
«Wie können wir Ihnen helfen?«fragte er. Auch er musterte mit unterdrücktem Erstaunen die Besucherin und schätzte, daß es sich um eine Eheschwierigkeit oder um Zahlungsunfähigkeit handelte. Bagatellsachen, die man nach geduldigem Anhören dem Bürovorsteher oder einem anderen Angestellten zur routinemäßigen Bearbeitung übergeben würde.
«Ich bin da!«antwortete Anna ruhig. Sie hatte sich das so ausgedacht und lag damit richtig. Man war verblüfft. Gegen die Feststellung ihrer Anwesenheit gab es kaum ein Argument.
«Das stimmt!«sagte der junge Anwalt denn auch.»Und nun?«
«Don Eugenio ist nicht da?«
«Nein.«
«Ich bin aber pünktlich gekommen.«
«Hat er Ihren Fall übernommen? Ich meine: er persönlich? Wie war Ihr Name, Signorina?«
«Anna Talana. «Sie sah den jungen Anwalt treuherzig an.»Tala-na aus Sardinien.«
«Sardinien?«Der Anwalt kam wieder einmal zu der Überzeugung, daß wichtige Fälle zunächst oft unscheinbar aussehen, was eine alte Juristenweisheit ist.»Ich lasse sofort aus der Kanzlei Ihre Akte holen.«
Er wollte zum Telefon greifen, aber Anna winkte ab.»Es gibt keine Akte, Signore dottore.«
«Dann muß eine angelegt werden. Natürlich. Sie sind heute angekommen?«
«Vor einer Stunde mit dem Schiff.Pünktlich.«
«Wer zweifelt daran! Leider ist Dr. Soriano — Sie wissen, wie sehr er politisch engagiert ist — gerade heute zu wichtigen Sitzungen weg. Wann er zurückkommt. ob er heute überhaupt noch in die Kanzlei kommt. wer weiß das?«
«Dann kann ich zu ihm fahren.«
«Privat?«
«Warum nicht?«
«Sie kennen Dr. Soriano so gut? Verzeihen Sie, Signorina, aber es ist außergewöhnlich, daß Dr. Soriano in seinem Privathaus Klienten empfängt. Es sei denn.«
«Das ist es!«Anna schnitt dem jungen, nun doch reichlich verwirrten Anwalt das Wort ab.»Dr. Soriano erwartet mich. Ich bin das neue zweite Zimmermädchen.«
«Was sind Sie?«fragte der Anwalt erschüttert.»Das — Zimmermädchen? Und da kommen Sie so einfach in die Kanzlei und blok-kieren den Verkehr? Was fällt Ihnen ein?!«
«Wo sollte ich mich sonst melden? Mir hat bei meiner Anstellung nur ein breiter, starker Mann gesagt: Melde dich bei Dr. Soriano! — Und da bin ich nun. Ich weiß ja auch nicht, was ich tun soll!«
«Du mußt nach Solunto!«Der Anwalt hielt es nicht mehr für nötig, >Sie< zu Anna zu sagen.»Weißt du, wo Solunto ist?«»Nein.«
«Auf dem Capo Zafferano.«
«Wo ist Zafferano?«
«Das weiß jeder Taxifahrer. Hast du Geld fürs Taxi?«
«Ja.«
«Na, dann los!«Der junge Anwalt winkte lässig, als wolle er eine Fliege verscheuchen.»Du hältst Leute auf, die Geld verdienen müssen.«
Anna verließ das Bürogebäude, stieg in eine Taxe, klemmte Reisetasche und Brotbeutel zwischen ihre Knie und sagte:»Zur Villa Dr. Soriano auf Solunto.«
«Vorkasse!«antwortete der Fahrer und betrachtete sie im Rückspiegel.»Das kostet etwas.«
«Ich bin das neue Hausmädchen von Don Eugenio.«
«Trotzdem. Leg erst 1.000 Lire hin. Soviel kostet schon das Herumdrehen des Zündschlüssels.«
Anna holte aus dem Brotbeutel einen 1.000-Lire-Schein und warf ihn auf den Beifahrersitz. Der Chauffeur steckte den Schein ein, startete und fuhr nach Solunto. - Ob ich Enrico sofort sehe, dachte Anna. Was wird er sagen? Wie wird er sich benehmen? Es kommt darauf an, wer bei ihm ist. Natürlich muß er sich in der feinen Gesellschaft zurückhalten, aber es wird sich die Gelegenheit bieten, ihm zu sagen, wo ich in der Villa mein Zimmer haben werde. Und daß ich die Tür nicht abschließe.
Sie lehnte sich in die Polster zurück, hatte keinen Blick für die Schönheit Palermos, die an ihr vorbeizog, sondern dachte nur daran, wie es sein würde, wenn seine Hände zum erstenmal ihren nackten Leib streichelten.