Cave canem!


Bulgakows bissiges Buch


Nachwort des Übersetzers

Erste Seite des Typoskripts mit den handschriftlichen Korrekturen Michail Bulgakows. Darauf ein handschriftlicher Vermerk des Chefredakteurs der Zeitschrift Nedra: »Darf nicht gedruckt werden.«


Mit seinem erzählerischen Frühwerk hat Michail Bulgakow der Welt ein buntes Puzzle hinterlassen. Bis heute widersetzt es sich vehement einer eindeutigen Zuordnung.

Der eben erst in Moskau zugezogene, an seinem Romandebüt Die weiße Garde (Belaja gvardija) arbeitende junge Autor beginnt, Anfang der 1920er Jahre im schillernden Literaturleben der Hauptstadt nach und nach Fuß zu fassen. Feuilletonistische Skizzen, Reportagen, lautstark geführte Debatten zu kunstästhetischen Fragen, die an der Tagesordnung sind, ziehen Bulgakow in ihren Bann und dringen in seine neue Sprache: Rasante Entwicklungen, plakative Gesten, stakkatoartige Rhythmen und Tempowechsel, groteske, wenn nicht gar bizarre Bilder prägen von da an seinen Stil. Auch die Schreibgeschwindigkeit wird gesteigert: Der Autor ist auf einmal fähig, innerhalb von nur wenigen Minuten einen druckreifen Text zu fabrizieren, und steht der pedantischen Lektoratsarbeit eher skeptisch gegenüber. Die entstehenden Werke leben von ihrem spontanen Impuls, sind flüchtige Momentaufnahmen, in denen sogar noch die Katachresen ihren eigenen Reiz haben, sodass jeder Ruf nach einem Rotstift beinahe schon provinziell und kleinkariert anmutet.

In dieser feuerwerkhaften Produktionsphase schleudert Bulgakow ab 1923 unter anderem drei sprühende Prosawerke hervor: Teufeliaden (D’javoliada), Die verhängnisvollen Eier (Rokovye jajca) und schließlich Das hündische Herz (Sobač’e serdce). Die Arbeit am letzteren dauert vom Januar bis März 1925. Und obwohl die drei Werke von der Redaktion des Almanachs Nedra und manch einem Schriftstellerkollegen mit Begeisterung aufgenommen werden, bleibt Das hündische Herz als einziges unveröffentlicht. Zu subversiv, ja konterrevolutionär erscheint die Gesamtausrichtung des Werks der Sowjetzensur. (Ein Vorwurf, den Bulgakow wohl mit den Worten Preobraschenskis auszuräumen hofft: »Ich sehe da keinerlei Gefahr! Auch keinerlei Konterrevolution! Apropos – noch so ein albernes Wort! Mir ist völlig schleierhaft, was es bedeuten soll! Weiß der Kuckuck! Und darum sage ich: Meine Reden enthalten nicht die leiseste Spur dieser elenden Konterrevolution. Nur gesunden Menschenverstand und eine Menge Lebenserfahrung …«) Doch selbst die Bemühungen des Nedra-Redakteurs Nikolai Angarski müssen an dieser Hürde letzten Endes scheitern. Es ist das erste Mal, dass Bulgakow den Eingriff der politischen Macht mit solcher Härte zu spüren bekommt. Ein Jahr später, im Mai 1926, werden bei einer Wohnungsdurchsuchung die beiden existierenden Kopien des kleinen Romans beschlagnahmt und erst drei Jahre später, im Oktober 1929, dank Maxim Gorkis Fürbitte, wieder zurückgegeben. Daher ist es nur zu verständlich, dass Bulgakow von weiteren Veröffentlichungsversuchen, ja von erzählender Prosa überhaupt Abstand nimmt und sich zunächst einmal dem Genre des Dramas zuwendet.

So kursiert das Werk zu Lebzeiten Bulgakows und auch lange danach ausschließlich in Form von nicht autorisierten, oftmals stark entstellenden Samisdat-Abschriften. Der Originaltext existiert dagegen in drei von Bulgakow persönlich diktierten Typoskripten: Das erste ist die (bei der Durchsuchung konfiszierte) Urfassung mit zahlreichen Vermerken und Änderungen, die aber nicht nur von Bulgakow selbst, sondern ebenso vom Redakteur wie auch noch anderen, unbekannten Personen stammen. Die zweite Fassung ist die stark gemäßigte Variante, in ihr geht der Autor auf die Kompromissvorschläge Angarskis ein, was zur Streichung besonders scharfzüngiger Passagen führt. Die dritte Version schließlich ist in späteren Jahren (zwischen 1929 und 1940) entstanden: Hier macht Bulgakow die erzwungenen Eingriffe größtenteils wieder rückgängig und bessert stellenweise den Stil nach. Alle drei Fassungen befinden sich nach dem Tod des Autors im Besitz der Witwe Jelena Bulgakowa.

Zum ersten Mal erscheint Das hündische Herz auf Russisch 1968 in Frankfurt am Main in der Zeitschrift Grani des antisowjetischen Exilverlags Possew. Als Textvorlage fungiert dabei jedoch keine der drei authentischen Typoskriptfassungen, sondern eines jener vom Original erheblich abweichenden Samisdat-Manuskripte. Im selben Jahr kommt das Buch auch in London in der Zeitschrift Student heraus, dann 1969 in Paris bei YMCA -Press. Für die letztere Publikation liefert zwar Bulgakows Witwe die Vorlage, allerdings handelt es sich dabei um eine von ihr überarbeitete Fassung. Auf eine Veröffentlichung in Russland hoffend, distanziert sich Jelena Bulgakowa dann auch noch offiziell von der Pariser Publikation. Doch bis zum Erscheinen des Werks in Bulgakows Heimat müssen noch fast zwei Jahrzehnte vergehen: Der Text tritt vor den sowjetischen Leser erst im Jahr 1987 in der Zeitschrift Snamja, herausgegeben von Marietta Tschudakowa. Entgegen aller Erwartung stützt sich auch diese erste russische Veröffentlichung nicht auf eine der drei erhaltenen autorisierten Versionen. Stattdessen ähnelt sie in vielen Einzelheiten der unzulänglichen Frankfurter Fassung. Trotzdem werden ausgerechnet die ausländischen und die Moskauer Publikationen von da an zahllose Male nachgedruckt und in fremde Sprachen übersetzt, unter Umgehung der Originale. Die erste textologisch fundierte Ausgabe ist die 1989 in Moskau erschienene fünfbändige Edition der Werke Bulgakows, auf der auch die vorliegende Übersetzung beruht.

Das über den Roman seinerzeit verhängte Publikationsverbot sowie die komplizierte Veröffentlichungsgeschichte beeinflussen bis heute die Wahrnehmung des Hündischen Herzens. Es wird mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als ein antisowjetisches Werk gesehen und mit entsprechenden Augen gelesen. Das Problematische an dieser Haltung ist aber, dass sie unwillkürlich und stillschweigend die Position der Sowjetzensur übernimmt, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen bei der Wertung des Phänomens. Dabei ließe sich fragen, ob es wirklich gerechtfertigt ist, einen Künstler von Bulgakows Rang auf simple politische Attitüden hin zu reduzieren, ihm und vor allem seiner Literatur eindeutige Pro- oder Contra-Aussagen dem Sowjetsystem gegenüber zu unterstellen. Wäre es nicht denkbar, dass sich seine Kunst solchen Schwarz-Weiß-Schablonen entzieht? Immerhin ist es in dem bunten und durchaus liberalen sowjetischen Literaturklima der 1920er Jahre, das noch keine diktatorischen Kunstdogmen kennt, erst einmal nicht abzusehen, dass der Roman verboten wird, denn dieser versteht sich höchstwahrscheinlich nicht als Pamphlet, sondern als Teil einer allgemein geführten fruchtbaren Diskussion um die Fragen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft des Landes.

Bulgakow ist ein Sprachkünstler und seine Methode eine durch und durch modernistische: Stets zeigt er die Dinge in einer gesteigerten, überzeichneten Form und sorgt für groteske Konstellationen. Es gibt in dem Werk keine »Guten« und »Bösen«, alle erscheinen in demselben grellen Scheinwerferlicht und wirken, jeder auf seine Weise, bizarr und befremdlich. Der Autor schont niemanden, weder Lumpikow noch Filipp Filippowitsch samt seiner schlüpfrigen Kundschaft. Sie alle erweisen sich als polyphon, aus mannigfachen Facetten bestehend, die – wie auf Bildern von Otto Dix oder George Grosz – in einem schrillen Mosaik erschillern.

Unter diesem Aspekt betrachtet, wäre der Roman nicht nur die Schilderung eines fantastischen Laborversuchs, sondern selbst ein fantastischer Laborversuch, in dem Bulgakow die verschiedensten und widersprüchlichsten Gestalten zusammenbringt, um ihnen extreme Reaktionen zu entlocken. Es bereitet ihm gewiss Spaß, einen Hund über Begriffe wie Freiheit philosophieren zu lassen, Professor Preobraschenski mit Lumpikows Pöbeleien vor den Kopf zu stoßen oder die »vor Leidenschaft glühende« Darja Petrowna nachts mit dem angetrunkenen und halbnackten Hundemenschen zu konfrontieren. Wie sein großes Vorbild Nikolai Gogol konstruiert Bulgakow die absurdesten Situationen und legt den Finger in sämtliche Wunden.

Noch ein Wort zu Bulgakows Sprache. Während sein Romanerstling Die weiße Garde noch relativ traditionell geschrieben ist, nutzt der Autor im Hündischen Herzen die ganze Palette des modernen Erzählens. Am meisten setzt er dabei auf das Prinzip der Überraschung: Er beginnt oft in medias res, ohne Vorwarnung oder Kommentar. Ob abstruse sowjetische Abkürzungen, verworrene Zusammenhänge oder Überlappungen mit vollkommen anderen Kontexten und Stilebenen – jedes Mittel ist ihm recht, um den Leser zu irritieren und aus gewohnten Bahnen zu werfen.

– Nein, nein und nochmals nein! –, wiederholte Bormenthal hartnäckig. – Bitte erst umbinden!

– Na und? Wozu denn –, brummte Lumpikow missvergnügt.

– Haben Sie vielen Dank, Doktor –, sagte Filipp Filippowitsch mild, – ich bin des Ermahnens reichlich müde.

– Sie werden so lange nichts essen dürfen, bis sie umgebunden ist. Sina, würden Sie bitte Lumpikows Mayonnaise in Empfang nehmen?

– Wie »in Empfang nehmen«? –, winselte Lumpikow. – Ist ja gut, ich bind sie ja um.

Erst nach etlichen Sätzen klärt sich, dass von einer Serviette die Rede ist, die Lumpikow sich umbinden soll. Doch Bulgakow genießt es, den Leser erst lange im Dunkeln tappen zu lassen.

– Und warum sind Sie grün angelaufen?

Das Gesicht des Ankömmlings wurde umdüstert.

– Der verflixte Trufeknowi! Sie haben ja keine Ahnung, Professor, was diese Schlawiner mir statt Farbe angedreht haben.

Geradezu genialisch erscheint die voltenartige Rahmenstruktur mit ihrer kompletten Umkehrung der Realitäten: Die Sekretärin, die am Romananfang vom Hund Lumpi wegen ihres rücksichtslosen Liebhabers und ihrer Lohnkürzungen bemitleidet wird, ist am Ende Lumpikows Verlobte, und er selbst übernimmt die Rolle des rücksichtslosen Liebhabers, der ihr Lohnkürzungen androht, um sie zum Zusammenleben zu zwingen.

Bemerkenswert intensiv ist die klangliche Qualität des Werks. Während sich in seinem späten Hauptwerk Meister und Margarita die poetischen Elemente vor allem um die dramatischen Passagen herum konzentrieren, verwendet er sie hier exzessiv, in einer nicht enden wollenden Engführung: Reime, insistierende Alliterationen, scharfe Parenthesen, wie etwa: »… schreiben Sie es sich faustdick hinter beide Ohren … (übrigens, wieso ist die Zinksalbe wieder abgewischt? …): Sie haben zu schweigen und zuzuhören!«, sind im Text schon beinahe inflationär. Oft genug kapriziert sich Bulgakow auf einen einzelnen markanten Laut und schlägt ihn seitenweise an. Stellen, wo der Klang gelöster ist, sich etwas mehr der Normalität anpasst, bilden da eher die Ausnahme, sind gewissermaßen das retardierende Moment vor einer erneuten phonetischen Stretta. Und auch in der Kunst der Poetisierung folgt er dem in dieser Hinsicht richtungsweisenden Nikolai Gogol, der mit seinen Toten Seelen (deren Genrebezeichnung »Poem« lautet) ein Paradebeispiel lyrischer Prosa geschaffen hat.

Das Textbild wird immer wieder von Ziffern und expressionistischen Ausrufezeichen durchbrochen, die auch die grafische Gestalt des Werks den Gepflogenheiten der russischen Literaturavantgarde angleichen.

Kein Wunder, dass experimentierfreudige Schriftsteller auf Bulgakow aufmerksam werden und in ihm einen Sinnverwandten erblicken. So nennt ihn der »Serapionsbruder« Jewgeni Samjatin »die einzige moderne Ausgrabung aus dem Almanach Nedra«. Über seine Teufeliaden schreibt er:

Der Autor hat zweifellos den richtigen Instinkt bei der Auswahl von kompositorischen Prämissen: Fantastik, die im Lebensalltag wurzelt, ein wie im Kino rasch abfolgender Bildwechsel – einer jener (wenigen) formalen Rahmen, in die unser Gestern – die Jahre 1919 und 1920 – sich überhaupt einzwängen lässt. […] Mit Bulgakow verliert Nedra offenbar seine klassische (und pseudoklassische) Unschuld, und, wie so oft, ist derjenige, der die betagte provinzielle Dame verführt, ein junger Mann aus der Hauptstadt.

Diese anerkennenden Worte lassen sich mühelos auch auf Das hündische Herz beziehen. Doch sie münden in eine Kritik, die in dieser Form auch unseren Roman treffen könnte: »Der Begriff Kino passt zu dem Werk umso mehr, als der Text flächenhaft zweidimensional ist, alles geschieht an der Oberfläche, und es gibt nicht den Ansatz einer szenischen Tiefe.« Dieser Vorwurf ist leicht ausgesprochen, wenn das Werk tatsächlich als eine bloße zeitkritische Schrift betrachtet wird. Gerade die Behauptung, Das hündische Herz sei eine in satirischer Verkleidung geäußerte Kritik auf die Anfänge der Sowjetära, legt eine solche Schwäche nahe, denn wer erwartet schon Tiefgang und überzeitlichen Bestand von einer feuilletonistischen Posse?

Aber neben der »zeitkritischen« besitzt Das hündische Herz auch eine eigentümliche mystische Dimension und kann somit auch als Vorläufer des späten Lebenswerks Meister und Margarita gelten. So weist Lumpikow einige Merkmale auf, die ihn zu einer diabolischen Figur machen, wenn nicht gar zu dem Antichristen selbst. Wie auch im Meister und Margarita wird dies unter anderem dadurch angedeutet, dass in seiner Umgebung permanent geflucht wird und der Name des Teufels ständig fällt. Während in Meister und Margarita die Handlung in die Osterwoche hineingelegt wird, spielen sich die im Hündischen Herzen geschilderten Ereignisse in der Weihnachtszeit ab: Die Operation findet am Vortag des katholischen Heiligabends (am 23. Dezember) statt, wobei eigentlich ein letaler Ausgang erwartet wird. Doch am 24. Dezember steht in Dr. Bormenthals Tagebuch das Wort »Besserung«, was in dem Zusammenhang einer Wieder- oder Neugeburt gleichkommt. Die endgültige Menschwerdung des Hundes erfolgt wiederum am orthodoxen Weihnachtstag (dem 6. Januar). An diesem Tag fällt dem zukünftigen Lumpikow der Schwanz ab, und er spricht das erste Wort aus: »Kneipe«.

In der als »Pretschistenka-Nacht« bezeichneten Szene ist am Himmel ein einsamer Stern, ein Pendant zum Bethlehem-Stern, zu sehen. Und der Straßenname »Pretschistenka« spielt auf die biblische Maria an, denn »prečistaja« (die Allreine) ist ein der Gottesmutter vorbehaltenes Epitheton. Hinzu kommt die Tatsache, dass »Köter« (»pes«) beim Fluchen im Russischen oft als Platzhalter für »Teufel« dient (vergleichbar dem deutschen »Kuckuck« oder »Geier«), was die blasphemische Parodie auf die Geburt des Gottessohnes abrundet. Und schließlich ist ja der Antichrist, wie ihn die Offenbarung des Johannes beschreibt, nichts anderes als eine Karikatur Gottes.

Des Weiteren fällt auf, dass der Hund Lumpi an der Preobraschenskaja Sastawa (einer Moskauer Stadtgrenze) zur Welt kommt, dem Ort, wo Klim Tschugunkin seinerseits nach einer Messerstecherei stirbt. »Preobraschenski« (von »preobraženie«, Wandlung) ist wiederum der Name Filipp Filippowitschs. Während der gesamten Operationsszene, die als ein blutiges Ritual (eine Art schwarze Messe) gestaltet ist, fungiert dieser als diabolischer Hoherpriester.

Außerdem enthält die Wohnung des Professors eine hauseigene Hölle, nämlich die Küche, von der es heißt:

In dem oben schwarzen, gekachelten Herd brauste und brodelte stets eine Flamme. Der Ofen knarrte. Zwischen Purpursäulen brannte in ewigen Feuerqualen und einer ungestillten Leidenschaft Darja Petrownas Gesicht. […] Mit einem schmalen und scharfen Messer schlug sie den wehrlosen Haselhühnern die Köpfe und die Füße vom Leib, und dann, wie ein bluttrunkner Henker, zerrte sie das Fleisch von den Knochen, riss die Innereien aus der Brust heraus, drehte fortwährend was durch den Wolf. Währenddessen zermarterte Lumpi einen Perlhuhnkopf. […] Im Herd brummte es wie beim Hausbrand, in der Pfanne ein Murren, ein Blubbern, ein Brutzeln. Die Ofenklappe sprang donnernd auf, dahinter – ein fürchterliches Inferno. Und dessen Geloder flirrte und flackerte.

Auf eine ganz ähnliche Weise beschreibt Bulgakow in seinem Spätwerk die Küche des Schriftstellerhauses als Hölle und platziert in dieser mit seiner typischen Ironie einige orthodoxe Heilige. Aber wird dieser Kunstgriff nicht bereits hier, im Hündischen Herzen, erprobt, indem die Hölle des Kalabuchow-Hauses als »Hauptabteilung des Paradieses« gilt?

Und erinnert die Szene mit dem sprechenden Hund nicht stark an die mit dem sprechenden Teufelskater Behemoth in Meister und Margarita?

Wie ein dressiertes Zirkustier lief er auf seinen Hinterpfoten, ging dann nieder auf alle viere und blickte sich um. […] Der Hund von furchtbarem Aussehen mit einer purpurnen Schramme um die Stirn stellte sich wieder auf die Hinterpfoten, grinste und nahm im Sessel Platz.

Der zweite Milizmann bekreuzigte sich mit einer ausladenden Armbewegung, wich zurück und trat dabei Sina gleich auf beide Füße. […].

– Keine obszönen Ausdrücke! –, schnauzte plötzlich der Hund und erhob sich vom Sessel.

Der schwarze Mann wurde kreidefahl, ließ seine Aktentasche fallen und sank zur Seite […].

Auf dem Sitzkissen der Juwelierswitwe machte sich lässig ein Dritter breit – ein ungeheuerer schwarzer Kater. In der einen Pfote das Wodkaglas. In der anderen die Gabel und darauf gespießt ein marinierter Pilz. […]

– Husch, husch!! –, fauchte auf einmal der Kater und sträubte sein Fell.

Schon drehte das Schlafzimmer sich um Stjopa. Er schlug den Kopf am Türrahmen auf und dachte, das Bewusstsein verlierend: »Ich sterbe …«

Wie auch bei Meister und Margarita bildet einen wichtigen literarischen Bezugspunkt Johann Wolfgang Goethes Faust. Die Verwandlung Lumpis in einen Menschen wird ausdrücklich mit der Erschaffung des Homunkulus in Fausts Retorte verglichen. »Bei Gott, ich glaube, ich tue es!«, ruft Filipp Filippowitsch »wie der greise Faust aus«. In Erinnerung an das »enge gotische Zimmer« erwähnt Bulgakow mehrfach die »gotische Sessellehne« des Professors. Und schließlich darf nicht vergessen werden, dass sich Mephisto dem Faust als Erstes in der Gestalt eines Hundes zeigt …

Weitere literarische Vorlagen bilden natürlich Mary Shelleys Frankenstein und Gustav Meyrinks Roman Der Golem. An den Letzteren gemahnt der Name »Tschugunkin«. Denn während das hebräische Wort »Golem« übersetzt »Klumpen« bedeutet, heißt das russische Wort »čugun« »Gusseisen«, ein Material also, aus dem sich ein neues Wesen gießen lässt. Vom selben Stamm ist auch der Ausdruck »čugunok« (Topf, Gefäß) abgeleitet.

Eher ironisch wirkt der Bezug zu Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes, der in den Dialogen zwischen Preobraschenski und Bormenthal immer wieder zutage tritt.

Aber mehr als all die westlichen Vorbilder steht möglicherweise noch eine andere Gestalt für Professor Preobraschenski Pate: Graf Jakov Brjus, oder in englischer Schreibung: James Bruce (1669–1735), ein Regierungsbeamter von Peter dem Großen, Generalfeldmarschall, Gründer der russischen Artillerie, Ingenieur und Universalgelehrter. Brjus, ein aktiver Astrologe, hat sich 1702 in Moskau im sogenannten Sucharew-Turm ein Observatorium eingerichtet. Seither stehen er und der Sucharew-Turm im Zentrum der Moskauer Großstadtfolklore. Die Legende erzählt, dass der besagte Turm (1934 auf Stalins Befehl abgerissen) der Aufbewahrungsort des geheimnisumwitterten Schwarzen Buchs ist. Brjus selbst jedoch, wie Alexander Puschkin in seinem Roman Der Mohr von Peter dem Großen schreibt, »gilt im Volk als der russische Faust«.

Neben der Erstellung eines Kalenders werden Brjus zahlreiche weitere Erfindungen zugeschrieben, darunter die eines künstlichen Menschen, eines Roboters, eines Fluggeräts, eines Perpetuum mobile etc. Unter anderem beschäftigt er sich auch mit der Frage der Verjüngung des Menschen. Eine mündlich überlieferte Legende, notiert vom Ethnografen Jewgeni Baranow in einer Moskauer Teestube am Arbat im März 1923, lautet dazu wie folgt:

Aber das alles spielt keine Rolle. Doch wie er aus einem alten Mann einen jungen gemacht hat – das ist wirklich ein großes Wunder. […] Er arbeitet und arbeitet und kommt schließlich zu einem Ergebnis – erfindet besondere Mixturen. Als Erstes probiert er die an einem Hund aus: Er findet also einen alten Hund, ganz klapperdürr – nichts als Haut und Knochen. Er schleppt den Köter in seinen Keller, hackt ihn in Stücke, wäscht die in drei Lösungen. Dann bestreut er die Stücke mit einem Pulver, und die wachsen zusammen, ganz wie es sein soll. Dann begießt er den Hund aus einem Fläschchen mit irgendeiner Flüssigkeit, und sofort wird daraus ein junger Welpe von ungefähr sechs Monaten. Der springt hoch, wedelt mit dem Schwanz und beginnt um Brjus herumzuhüpfen. Ist doch klar, der ist jung: Der muss ja noch spielen. Da freut sich Brjus:

– Die Sache steigt! –, sagt er. – Jetzt mache ich alle Alten jung, sollen die bitte schön leben.

Der Welpe aber bleibt bei ihm; kaum wird es Abend, steigt er zu ihm hinauf, und los geht’s mit dem Gekläff: Wau-wau … wau-wau …

Und das Volk, das vorbeigeht, läuft gleich davon: Die denken, der Brjus hat sich in einen Hund verwandelt und bewacht seinen Turm.

Legenden wie diese werden also noch weit in die 1920er Jahre hinein in Moskauer Teestuben und Kneipen erzählt und nicht nur erzählt, sondern auch geglaubt.

So greift Bulgakow im Hündischen Herzen Versatzstücke der lebenden Überlieferung auf und schreibt sich dadurch ganz bewusst in die Moskauer Folklore ein (was später mit Meister und Margarita, deren Schauplätze bis heute von Touristen besichtigt werden, noch überboten wird). Und so ist es nur logisch, dass im Roman selbst die Gerüchteküche um Lumpikow von den Händlern der Sucharewka zum Brodeln gebracht wird – eben jenen Marktschreiern, die sich im Schatten des berüchtigten Sucharew-Turms als Sprachrohr der Moskauer Urgemeinde begreifen.

Die Stadt Moskau und ihre vom Rumor erfassten Menschenmassen sind denn auch ein wichtiges Element des Romans. Nichts geschieht heimlich, alles gelangt nach außen und wird vom Volksmund sofort aufgegriffen, ausgeziert bis zum Hanebüchenen und sorgt so für spürbare allgemeine Bewegtheit. Auf einmal sieht sich Professor Preobraschenski mit seinem gescheiterten Experiment einer ganzen Stadt gegenüber, die von allen Seiten auf ihn zuströmt und ihn gleichsam vor dem eigenen Gewissen Rechenschaft ablegen lässt. – Die Konfrontation zwischen einem Intellektuellen und dem gesellschaftlichen Kollektiv.

Auch sonst ziehen sich seltsame Fäden vom Hündischen Herzen zu Meister und Margarita. Eine Beziehung scheint zum Beispiel zwischen Lumpi und dem Dichter Iwan Besdomny zu existieren. Allein der Vergleich der beiden Ausbruchsversuche ist in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich. Im Hündischen Herzen:

»Wo ist hier der Hinterausgang? …«, überlegte der Hund. Und mit plötzlichem Schwung prallte er, ein Knäuel, spontan, gegen die Scheibe, eine Zweittür wähnend. Wolken von Splittern krachten klirrend heraus, eine korpulente Glasdose hopste hervor voll fuchsroten Zeugs, welches unverzüglich den Boden flutete und zu stinken begann. Da aber sprang die echte Tür auf […] und herein platzte eine andere Person männlichen Geschlechts in einem Kittel.

In Meister und Margarita:

– Ach so?! –, sagte Iwan und sah sich wild und abgehetzt um. – Na schön, wie ihr wollt! Gehabt euch wohl!! –, und er warf sich kopfüber in die Gardine.

Es krachte ganz ordentlich, aber das Fensterglas hinter den Vorhängen gab keinen Deut nach. Einen Augenblick später zappelte Iwan bereits in den Händen der Sanitäter. Er keuchte, versuchte zu beißen, schrie:

– Ich muss schon sagen! Tolle Scheibchen habt ihr! … Loslassen! Loslassen! …

Eine Spritze erglänzte in den Händen des Arztes.

Im Hündischen Herzen sieht Lumpi im Traum:

… die Visage des dämlichen Scharfrichters in der weißen schmuddeligen Haube …

Und das, was den Dichter Iwan Besdomny

in der Vollmondnacht weckt und ihm den kläglichen Schrei entreißt, ist jedes Mal ein und dasselbe: Ein Scharfrichter – unnatürlich und nasenlos …

Wenn schließlich Professor Preobraschenski vom »allgemeinen Verfall« spricht, reibt sich der aufmerksame Leser doch einigermaßen verblüfft die Augen:

– Was ist denn Ihr allgemeiner Verfall? … Eine Hexe, die sämtliche Scheiben einschlägt, die sämtliche Lampen zum Erlöschen bringt?

Ist das nicht eine noch ganz und gar im Unterbewusstsein schlummernde Vorwegnahme auf die spätere Margarita, die, in eine Hexe verwandelt, eben Scheiben einschlägt und Straßenlaternen zerplatzen lässt?

Die Übertragung des Romans bemüht sich um eine möglichst präzise Wiedergabe der besonderen Stilmittel des Originals. Die rhythmischen, klanglichen, reimtechnischen und metaphorischen Eigenarten werden beachtet und nach Möglichkeit nachgebildet: »… posredi smotrovoj predstavilos’ ozero, a na nem v lodkach očen’ veselye zagrobnye nebyvalye psy …« wird im Deutschen beispielsweise zu: »Da zeigte sich mitten im Untersuchungszimmer unvorhergesehen ein See und darauf saßen in Segelbooten seltsame jenseitige und glückselige rosige Hunde …« Oder: »… On by prjamo na mitingach mog den’gi zarabatyvat’, – mutno mečtal pes, – pervoklassnyj deljaga …« – »… Er könnte auf Meetings Moneten verdienen, träumte der Rüde matt vor sich hin, – ein meisterhafter Geschäftemacher übrigens …« Wenn Bulgakow Wladimir Majakowskis gereimte Mosselprom-Reklame parodiert, klingt das so: »Nigde krome takoj otravy ne polučite, kak v Mossel’prome« – »Das eklige Zeug kommt ausschließlich vom – na, woher denn sonst? – Mosselprom«.

Im Gegensatz zur Übertragung von Meister und Margarita, in welcher der Übersetzer die Satzstrukturen des Originals stellenweise auflöste, um dem Text auch im Deutschen jenen Anstrich von Moderne zu geben, den er im Russischen hat, schien dies im vorliegenden Fall nicht erforderlich: Die überdeutliche Dynamik des Hündischen Herzens braucht in der Nachbildung nicht verstärkt zu werden, um adäquat wirken zu können.

Es handelt sich hierbei um die dritte deutsche Übersetzung des Werks. Zum ersten Mal wird es 1968 von Gisela Drohla für den Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt und Neuwied übersetzt. Zum zweiten Mal 1994 von Thomas Reschke für Volk und Welt, Berlin. Der Ausgabe von Drohla liegt die 1968 erschienene Frankfurter Fassung der Zeitschrift Grani zugrunde, die, wie bereits gesagt, massiv vom Urtext abweicht. Reschke benutzt offenbar mehrere verschiedene Vorlagen, denn auch seine Version unterscheidet sich in vielen Details von den drei bekannten Manuskriptfassungen. Daneben ist im vergangenen Jahr im Philipp Reclam Verlag, Stuttgart der russische Text des Werks in der ersten Typoskriptfassung erschienen (der Herausgeber ist Wolfgang Schriek). Die Ausgabe enthält keine deutsche Übersetzung, dafür aber viele Hintergrundinformationen sowie einen sehr ausführlichen und kenntnisreichen Kommentar.

Die vorliegende Übertragung folgt nun erstmalig dem dritten und letzten Originaltyposkript des Romans, welches vermutlich aus den Jahren 1929–1940 stammt (eine exakte Datierung ist derzeit nicht möglich) und laut Auskunft von Jelena Tjurina (einer Expertin für textologische Fragen in Bulgakows Werk) der künstlerischen Absicht des Autors am nächsten kommt und somit als »Fassung letzter Hand« gelten darf. Es befindet sich in Moskau im Michail-Bulgakow-Archiv der Handschriftenabteilung der Staatlichen Lenin-Bibliothek.

Und warum nun Das hündische Herz und nicht einfach nur »Hundeherz«? Der Titel Sobač’e serdce wirkt im Russischen weniger gewöhnlich. Rückübersetzt würde »Hundeherz« wohl eher »Serdce sobaki« (Das Herz eines Hundes) lauten. Schließlich geht es dem Autor in seinem Roman nicht so sehr um den Unterschied zwischen Mensch und Hund (»… lieber Doktor, Sie begehen einen schweren Fehler, um Gottes willen, verhöhnen Sie mir nicht den Hund …«), sondern zwischen dem Menschlichen und dem »Hündischen«. Wobei das russische Adjektiv »hündisch« (»sobač’e«) stark mit moralischem Fehlverhalten assoziiert wird. Im Wörterbuch Wladimir Dahls bedeutet das davon abgeleitete Verb »sobačit’« beziehungsweise »sobačit’sja« unter anderem: Streiche spielen, albern sein, Gemeinheiten begehen, etwas aus Spaß beschädigen, flegeln, etwas zerstören oder kaputt machen, zanken, fluchen, jemanden schmähen. – Alles Dinge, die exakt zu Lumpikows Charakterbild passen.

Alexander Nitzberg

Wien, März 2013

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