2.
Lesenlernen kann man sich schenken, wenn Fleisch so stark riecht, dass man es bereits von Weitem erschnuppert. Und trotzdem, vorausgesetzt, Sie leben in Moskau und haben ein klein wenig was in der Birne, lernen Sie schon ganz beiläufig lesen, und zwar ohne irgendwelche schlauen Kurse. Von den zigtausend Moskauer Rüden kann sich höchstens ein vollkommener Trottel die Lettern WURST nicht zusammenreimen.
Zuerst hatte Lumpi nach Farben gelernt. Er ist knapp 4 Monate alt, da werden in ganz Moskau blaugrüne Schilder ausgehängt mit der Aufschrift M. S. P. O. METZGERWAREN Anmerkung. Wie gesagt, das alles spielt eh keine Rolle, denn Fleisch ist so oder so zu riechen. Auch ist es schon mal zu Verwechselungen gekommen: Als Lumpi, dessen Witterung ein Motor mit Benzindunst ausgeknockt hatte, im Vertrauen auf die giftig blaue Farbe statt in einem Fleischerladen im Geschäft für Elektrogeräte der Gebrüder Golubisner (Mjasnizkaja-Straße) landete. Die Gebrüder kredenzten ihm Isolierkabel, das nicht schlechter schmeckt als die Kutscherpeitsche. Diese berühmte Episode darf als Initialzündung für Lumpis Studium gelten. Bereits auf dem Gehsteig kapierte Lumpi: »Blau« muss nicht unbedingt »Fleisch« heißen, und seinen Schwanz vor scharfem Schmerz zwischen die zitternden Schenkel klemmend und laut heulend entsann er sich: Auf allen Metzgereien steht ganz links vorne so ein goldenes oder fuchsrotes Dingens, das einem Schlitten ähnlich schaut. – M
Mit der Zeit ging es immer besser. Das A lernte er dank AUSGABE auf dem FISCHMARKT Ecke Mochowaja, dann auch das B (es war bequemer, sich von der Schwanzseite des Wortes heranzupirschen – an dessen Anfang stand meist ein Milizmann).
Gekachelte Quadrate, welche in Moskau gewisse Häuserecken verkleideten, bedeuteten immer und unausweichlich »Käse«. Ein schwarzer Samowarhahn zu Beginn eines Wortes meinte den früheren Eigentümer TschitschkinAnmerkung, Berge von roten holländischen Rollern, Bestien von hundehassenden Händlern, Späne am Boden und ekligen, streng riechenden BacksteinerAnmerkung.
Wenn Harmonika gespielt wurde (nicht wirklich besser als »Celeste Aida«) und es nach Würstchen duftete, reihten sich die ersten Lettern der weißen Plakate wie von selbst zum Wort OBSZ, was so viel bedeutete wie OBSZÖNITÄTEN UND TRINKGELDER VERBOTEN. Hier brausten zuweilen Raufereien empor, Menschen wurden mit der Faust auf die Schnauze geschlagen, freilich selten – Hunde dagegen ständig – mit Servietten oder Stiefeln.
Wenn unfrischer Schinken im Schaufenster hing und sich lauter Orangen stauten, war es ein … na … rrr … rrr … war es ein Nahrrrungsmittelladen. Wenn trübe Flaschen mit grässlicher Brühe standen … ein wwwau … ein Wwweingeschäft … Frühere Gebrüder JelissejewAnmerkung …
Der fremde Herr, der den Köter zum Eingang seiner prächtigen Wohnung führte, die sich in der Beletage befand, klingelte, der Köter hob seinen Kopf und sah ein großes schwarzes Schild mit goldenen Buchstaben, seitlich der breiten, mit gewellten rosa Scheiben verglasten Tür. Die drei ersten Lettern fügte er sofort zusammen: P, R, O – PRO … Weiter ragte so ein hageres Gekrakel, gänzlich schleierhaft.
»Doch nicht etwa ein Proletarier?«, dachte Lumpi verblüfft. »Nein, ausgeschlossen.« Er reckte die Nase hoch, schnüffelte noch einmal am Pelz und kam zu der Überzeugung: »Nicht der leiseste Hauch eines Proletariers. Ein gelehrtes Wort, weiß Gott, was es heißt.«
Hinter der rosa Scheibe entflammte ein unverhofftes fröhliches Licht und stellte das schwarze Schild in den Schatten. Die Tür flog völlig geräuschlos auf, und ein hübsches Fräulein im weißen Schurz und mit Spitzenhäubchen trat vor den Hund und den Herrn. Ersterem schlug göttliche Glut entgegen, dem Rock des Fräuleins entströmten Maiglöckchen.
»Ich muss schon sagen. Gar nicht mal übel«, dachte der Rüde.
– Hereinspaziert, verehrter Monsieur Lumpi –, lud ihn der Herr ironisch ein, also spazierte Lumpi herein und wedelte dabei mit dem Schwanz.
Eine riesige Menge an Gegenständen überfüllte das luxuriöse Vorzimmer. Im Gedächtnis blieb der gewaltige Spiegel, der sogleich einen zweiten zerlumpten und verbummelten Lumpi zurückwarf, nebst Furcht einflößendem Hirschgeweih in der Höhe, unzähligen Pelzen, Galoschen sowie einer opalen elektrischen Tulpe an der Decke.
– Wo haben Sie denn dieses Prachtexemplar aufgetrieben, Filipp Filippowitsch? –, fragte lächelnd das Fräulein und half, den schweren Pelz abzulegen (schwarzbrauner Fuchs mit bläulichem Schimmer). – Wie räudig der ist! Du liebe Zeit!
– Dummes Zeug. Wo siehst du, dass er räudig ist? –, sprach der Herr recht bestimmt und abgehackt.
Den Pelz abgelegt, stand er da in einem schwarzen englischen Anzug, und auf seinem Bauch erschillerte matt und fröhlich eine goldene Kette.
– Halt still, ist ja gut, hiiier … halt doch still, Dummerchen. Hmmm! … Von wegen räudig … Jetzt halt still, verflixt … Hmmm … Aha. Das ist eine Verbrennung. Welch ein Scheusal hat dich denn verbrüht? Na, bleibst du wohl stehen!
»Der Koch, der Halunke. Es war der Koch!«, sagte mit flehenden Augen der Hund und jaulte ein wenig.
– Sina –, veranlasste der Herr, – in den Untersuchungsraum mit ihm und für mich einen Kittel!
Das Fräulein pfiff einige Male, schnippte mit den Fingern, und der Köter zögerte etwas und folgte ihr nach. Zusammen durchquerten sie einen schmalen, schwach beleuchteten Korridor (vorbei an einer lackierten Tür, bis zum Ende, dann nach links) und landeten in einer dunklen Kammer, die Lumpi auf Anhieb stark missfiel wegen ihres heiklen Geruchs. Das Finstre knipste, wurde helllichter Tag, wobei es auf einmal von allen Seiten her nur so blitzte, glitzerte, blendend weiß strahlte.
»Nein … nicht mit mir …«, heulte im Stillen der Hund, »besten Dank! Da machen wir einfach nicht mit! So, so, ihr also mit eurer Wurst! Ködert mich in ein Hundespital. Gleich werde ich Rizinusöl fressen müssen, und ihr stochert mit scharfen Messern in meiner Flanke herum, die ohnehin schon bei jeder Berührung zuckt!«
– He! Wohin des Wegs, Freundchen?! –, rief die Sina Geheißene.
Der Hund wand sich frei, zog sich zusammen, wummerte voll Wucht mit seiner heilen Seite gegen die Tür, was einen Widerhall in der gesamten Wohnung bewirkte. Zurückgeprallt, ein gepeitschter Kreisel, purzelte er und warf dabei noch einen weißen Kübel um, ganze Büschel von Watte aufwirbelnd. Während er vom Strudel erfasst wurde, kamen Wände herangewedelt, Schränke mit funkelnden Instrumenten, Schürzen, verkrampfte Frauenfratzen.
– Halt, hiergeblieben, du struppiges Biest! –, schrie Sina verstört. – Na, bleibst du wohl stehen!
»Wo ist hier der Hinterausgang? …«, überlegte der Hund. Und mit plötzlichem Schwung prallte er, ein Knäuel, spontan, gegen die Scheibe, eine Zweittür wähnend. Wolken von Splittern krachten klirrend heraus, eine korpulente Glasdose hopste hervor voll fuchsroten Zeugs, welches unverzüglich den Boden flutete und zu stinken begann. Da aber sprang die echte Tür auf.
– Sitz mmmachen! Mmmistviech! –, rief der Herr, im Kittel hüpfend, der bislang nur über einen Ärmel gezogen war, und fasste Lumpi bei den Beinen. – Los, Sina, pack das Schwein am Schlafittchen!
– He … Herrgott! Was für ein Vieh!
Da sprang die Tür noch weiter auf und herein platzte eine andere Person männlichen Geschlechts in einem Kittel. Das zerbrochene Glas zerdrückend, stürzte sie sich, nein, nicht auf den Hund, vielmehr auf den Schrank, öffnete diesen und erfüllte das Zimmer mit einem süßlichen, Übelkeit weckenden Geruch. Dann schmiss sich besagte Person bäuchlings auf den Köter, wobei der Köter sie mit dem allergrößten Vergnügen oberhalb der Schuhbänder biss. Die Person stöhnte auf, aber ließ nicht locker. Die Übelkeit weckende Flüssigkeit lähmte auf einmal den Atem des Köters, in dessen Kopf sich alles zu drehen begann, dann fielen die Beine ab, und er glitt irgendwohin schräg zur Seite.
»Danke, das war’s«, dachte er träumerisch und plumpste mitten in die scharfen Scherben: »Ade, Moskau! Nie wieder sehe ich Tschitschkin, Proletarier oder Krakauer Wurst. Ich ziehe dahin ins Paradies als Lohn für meinen hündischen Langmut. Ihr Menschenbrüder, ihr Schinder, weshalb nur?«
Da rollte er endgültig auf die Seite und verstarb.
Bei seiner Wiederauferstehung litt er an leichtem Schwindelgefühl und etwas Übelkeit im Magen, allein die Seite war wie verschwunden, ja, die Seite schwieg wohltuend. Der Köter öffnete ein klein wenig das rechte verträumte Auge und sah aus dessen Winkel: Er ist fest um Flanken und Bauch verbunden. »Haben mich also doch noch drangekriegt, die Schweinehunde«, dachte er trübe, »im Übrigen aber schön flink die Burschen, ich muss schon sagen.«
Von Sevilla bis Grrranada
klingt im Dämmerschein der Nacht …Anmerkung
sang falsch und zerstreut über ihm eine Stimme.
Der Köter wunderte sich, öffnete weit beide Augen und sah keine zwei Schritte entfernt ein männliches Bein auf einem weißen Hocker. Die Hose und die Unterhose, die es bedeckten, waren hochgekrempelt, und der gelbe Schenkel mit Jod und geronnenem Blut verschmiert.
»Du liebes bisschen!«, dachte der Hund. »Hab ich den etwa so angeknabbert? Saubere Arbeit. Autsch, das gibt Schläge!«
Degenkampf und Serrrenada,
ehrt man so der Liebe Macht …
– Weshalb um alles in der Welt beißt du hergelaufener Bengel den guten Onkel Doktor? Hmmm? Und machst Glas kaputt? Hmmm?
– U-u-uh –, jaulte der Rüde voll Wehmut.
– Ist ja gut, ist ja gut. Na, dann wach du schön auf und bleib liegen, Blödmann.
– Sagen Sie mal, Filipp Filippowitsch, wie ist es Ihnen eigentlich gelungen, einen so nervösen Köter zu ködern? –, fragte eine wohlklingende Männerstimme, und die Trikotunterhose senkte sich. Schon roch es nach Tabak, und im Schrank begannen die Dosen zu klirren.
– Tja, mit viel Liebe. Der einzige Weg im Umgang mit einem Lebewesen. Mit Terror lässt sich da gar nichts erreichen, egal, auf welcher Entwicklungsstufe sich das Tier befindet. Das war, ist und bleibt meine Meinung. Die glauben vergeblich, dass der TerrorAnmerkung ihnen weiterhilft. Nein, tut er nicht. Ganz gleich, welcher: Ob weiß oder rot, von mir aus kann er selbst lila sein! Anmerkung Terror lähmt das Nervensystem. Sina! Ich habe diesem Rabauken ein Stück Krakauer Wurst gekauft, für 1 Rubel und 40 Kopeken. Wenn Sie bitte die Güte hätten, ihn zu füttern, sobald die Übelkeit nachlässt?
Die Glasscherben knirschten unter dem Besen, eine weibliche Stimme bemerkte kokett:
– Kra-kauer! Du meine Güte, dem reichten auch Wurstreste, für 20 Kopeken, aus der Metzgerei. Krakauer kann ich auch selber essen.
– Bist du noch zu retten? Selber essen! Das ist Gift für den menschlichen Körper. Eine erwachsene Frau und steckt sich, wie so ein kleines Kind, lauter Müll in den Mund. Lass die Finger davon! Nur dass du es weißt: Weder ich noch Doktor Bormenthal werden uns mit dir herumplagen, wenn du plötzlich Magenkrämpfe bekommst.
Sollte wer zu preisen wagen
eine andere als dich …Anmerkung
Währenddessen wurde ein sanftes Scheppern in der Wohnung ausgestreut, und von ferne, aus dem Vorzimmer, schwirrte immer wieder ein Stimmengewirr. Das Telefon schellte. Sina verschwand.
Filipp Filippowitsch warf die Zigarettenkippe in einen Kübel, knöpfte den Kittel zu, bauschte vor dem Spiegel an der Wand seinen Schnauzer auf und rief nach dem Hund:
– Hiiier, hiiier … Na, schon gut, schon gut! Komm, gehen wir zu den Patienten.
Der Hund hob sich auf die schwankenden Pfoten, humpelte, hampelte ein wenig, erholte sich jedoch flugs und folgte Filipp Filippowitschs wehenden Schößen. Und wieder durchquerte er den schmalen Korridor, nur – diesmal erkannte er, dass derselbe von einer oben befestigten Rosette hell erleuchtet war. Als sich aber die Lacktür öffnete, betrat er zusammen mit Filipp Filippowitsch die Praxis, deren Ausstattung ihn augenblicklich blendete. Überall flammte es lichterloh: Es strahlte die Stuckdecke, es strahlte der Tisch, es strahlten die Wände, die Scheiben der Schränke. Das Licht überflutete eine Unzahl von Objekten, deren ulkigstes ein ungeheurer Uhu war, unter ihm ein Ast, aus der Wand wachsend.
– Platz –, befahl Filipp Filippowitsch.
Die gegenüberliegende geschnitzte Tür ging auf und herein trat der Eine, Angeknabberte, der im allenthalben schillernden Schein, zumal mit seinem spitzen Bärtchen, auf einmal sehr hübsch und jugendlich wirkte. Er gab irgendein Blatt ab und sprach:
– Der von vorhin … –, und verschwand wieder lautlos, während Filipp Filippowitsch, die Schöße des Kittels ausbreitend, sich hinter den riesigen Schreibtisch setzte und sogleich außerordentlich imposant und respektabel ausschaute.
»Nein, kein Spital, bin woanders gelandet«, dachte der Köter ein wenig ratlos und warf sich auf eine Figur auf dem Teppich direkt neben dem Ledersofa, »und diesen Uhu nehmen wir uns später mal unter die Lupe …«
Die Tür ging weich auf und herein trat ein Jemand und verblüffte den Hund in solchem Maße, dass er kläffte, wenn auch verschüchtert.
– Aus! Ho-ho! Sie sind ja gar nicht wiederzuerkennen, mein Bester.
Der Eingetretene verneigte sich vor Filipp Filippowitsch voll Ehrfurcht und Scheu.
– Hi-hi! Sie sind ein Magier, ein Hexer, Professor –, brachte er schamhaft hervor.
– Machen Sie sich unten frei, mein Bester –, befahl Filipp Filippowitsch und erhob sich.
»Jesses!«, dachte der Hund. »Was für ein Früchtchen!«
Das Früchtchen hatte auf seinem Kopf rein grünes Haar, das weiter im Nacken rostrot und tabakfarben erschimmerte. Im Gesicht des Früchtchens krochen Falten umher, doch die Haut war rosig, war die eines Säuglings. Das linke Bein ließ sich nicht beugen, schleifte auf dem Teppich hinterher, das rechte jedoch zappelte zackig, ganz wie bei einer Gliederpuppe. Aus dem Aufschlag des allerherrlichsten Anzugs glotzte als Auge ein Edelstein.
Da wich auch gleich die Übelkeit, derart teilnahmsvoll zeigte sich der Hund.
– Wau, wau … –, maulte er leise.
– Aus! Und? Gut geschlafen, mein Bester?
– He-he … Jetzt unter vier Augen, Professor? Also, das ist schlicht unbeschreiblich –, sagte verlegen der Besucher. – Parole d’honneur, 25 Jahre lang nichts dergleichen mehr erlebt –, und das Subjekt nestelte an seinem Hosenknopf herum, – ob Sie mir glauben oder nicht: Jeden Abend nackte Fräuleins – in Scharen … Muss sagen, ich bin schwer beeindruckt. Sie, Professor, sind wahrlich ein Wundertäter.
– Hmmm –, murrte Filipp Filippowitsch besorgt und fixierte die Pupillen des Gastes.
Dieser wurde endlich mit den Knöpfen fertig und zog das gestreifte Beinkleid aus. Die lange Unterhose darunter bot etwas absolut Kurioses. Cremefarben, bestickt mit seidenen schwarzen Katzen und parfümiert.
Katzen, das war zu viel – der Hund schnauzte so stark, dass jenes Subjekt unwillkürlich hochfuhr.
– Huch!
– Du bekommst gleich Haue! Nur keine Angst, der beißt nicht.
»Wer? Ich? Ich beiße nicht? …«, staunte der Köter.
Aus der Hosentasche fiel dem Ankömmling ein kleiner Umschlag heraus, darauf eine Schönheit mit aufgelöstem Haar. Das Subjekt tat einen Satz, beugte sich, nahm sie vom Boden auf und lief puterrot an.
– Sie sollten schon etwas aufpassen –, warnte finster Filipp Filippowitsch mit erhobenem Zeigefinger, – nichts überstürzen, nicht übertreiben!
– Ich übertrei… –, brabbelte zaghaft das Subjekt und zog sich weiter aus, – war nur versuchshalber, Professor.
– Und? Wie lautet das Ergebnis? –, fragte streng Filipp Filippowitsch.
Das Subjekt winkte ekstatisch ab.
– 25 Jahre lang, ich schwöre bei Gott, nichts Vergleichbares! Das letzte Mal war 1899 in Paris in der Rue de la Paix.
– Und warum sind Sie grün angelaufen?
Das Gesicht des Ankömmlings wurde umdüstert.
– Der verflixte Trufeknowi! Anmerkung Sie haben ja keine Ahnung, Professor, was diese Schlawiner mir statt Farbe angedreht haben. Da, schauen Sie nur –, brummelte das Subjekt und suchte mit den Augen nach dem Spiegel, – ja, ist das nicht schrecklich? Man müsste denen die Fresse polieren! –, fuhr er sichtlich verärgert fort. – Ach, was soll ich bloß tun, Professor? –, lamentierte er.
– Hmmm … Sich kahl rasieren.
– Ich bitte Sie, Professor –, quengelte der Gast, – die werden doch wieder grau nachwachsen! Dann kann ich mich unmöglich im Dienst zeigen, ich fahre eh schon seit 3 Tagen nicht hin. Mein Fahrer kommt, und ich schicke ihn fort. Ach, Professor, warum haben Sie kein Mittel entdeckt, um auch die Haare zu verjüngen!
– Nur Geduld, nur Geduld, mein Bester –, murmelte Filipp Filippowitsch. Vorgebeugt und glänzenden Auges untersuchte er den nackten Bauch des Patienten: – Prima, prima, einfach perfekt … Hand aufs Herz, ich hätte niemals gedacht, dass alles so prächtig nach Plan läuft.
Viele Lieder, fließt auch Blut …
Sie können sich wieder anziehen, mein Bester!
Doch der herrlichsten von allen …
fiel mit einer brüchigen Stimme, vibrierend wie eine Bratpfanne, der Patient mit ein und zog, vor schierer Freude entbrannt, seine Beinkleider wieder an. Er brachte sich in Ordnung, sprang dabei, rings Parfumaroma verbreitend, blätterte Filipp Filippowitsch ein Bündel blanker Banknoten hin und drückte ihm zärtlich beide Hände.
– Sie brauchen erst in 2 Wochen wiederzukommen –, sagte Filipp Filippowitsch, – doch ich bitte Sie trotzdem, brav zu sein.
– Professor! –, brauste hinter der Tür die begeisterte Stimme auf. – Seien Sie ganz unbesorgt –, ein brünstiges Gurren, und weg war er.
Das Klingeln prasselte durch die ganze Wohnung, die Lacktür ging auf, der Angeknabberte trat ein, reichte Filipp Filippowitsch ein Blatt und bemerkte:
– Das Alter dürfte falsch sein. Ich tippe auf 54 oder 55. Die Herztöne sind ein wenig dumpf.
Er verschwand, statt seiner erschien auf der Stelle eine raschelnde Dame mit einem keck auf die Seite geschwungenen Chapeau und einem schillernden Collier um den welken und knittrigen Hals. Schreckliche schwarze Säcke hingen ihr unter den Augen, die Wangen dagegen schienen von puppenhaftem Orange.
Sie war stark erregt.
– Madame verraten mir bitte ihr Alter? –, fragte Filipp Filippowitsch streng.
Die Dame erschrak, wurde kreidebleich unter dem stark verkrusteten Rouge.
– Ich schwöre, Professor … Wenn Sie doch nur von meiner prekären Lage wüssten …
– Ihr Alter, Madame? –, wiederholte Filipp Filippowitsch noch strenger.
– Ehrenwort … Nun, sagen wir 45 …
– Madame! –, stöhnte Filipp Filippowitsch. – Ich werde erwartet! Sie halten mich auf! Und sind nicht die Einzige!
Der Busen der Dame bäumte sich stürmisch.
– Nur weil Sie es sind, eine Leuchte der Wissenschaft, doch ich schwöre Ihnen, ach, wie entsetzlich …
– Ihr Alter? –, rief Filipp Filippowitsch jähzornig und piepsend aus, und seine Brille erglänzte kurz.
– 51! –, verkrampfte sich zaghaft die Frau.
– Machen Sie sich unten frei, Madame –, fiel Filipp Filippowitsch ein Stein vom Herzen, und er wies ihr das hohe weiße Schafott in der Ecke.
– Professor, ich schwör es –, schnatterte die Frau, während sie zitternd an irgendwelchen Knöpfen am Gürtel fingerte, – dieser MoritzAnmerkung … So wahr ich hier stehe …
Von Sevilla bis Granada …
trällerte Filipp Filippowitsch zerstreut und drückte aufs Pedal am marmornen Waschbecken. Schon rauschte Wasser.
– Ich schwöre bei Gott! –, sagte die Dame, und echte Flecken brachen sich Bahn durch die falschen auf ihren Wangen. – Meine allerletzte Passion … Er ist ein so phänomenaler Schurke! Ach, Professor! Er ist ein stadtbekannter Falschspieler, ganz Moskau weiß es. Nicht eine einzige schäbige Putzmacherin lässt er aus. Schließlich ist er so teuflisch jung! – Und brummend entrupfte sie den rauschenden Röcken ein Büschel von verhutzelten Spitzen.
Der Köter war jetzt gänzlich vernebelt, in seinem Schädel schwebte nun alles mit den Beinen nach oben.
»Zur Hölle mit euch«, dachte er trübe, die Schnauze auf die Pfoten gelegt und vor lauter Scham in Schlummer fallend, »ich werde es gar nicht erst versuchen, zu verstehen, was das hier soll – ich verstehe es ja doch nicht.«
Da klirrte etwas, er fuhr aus dem Schlaf und sah, wie Filipp Filippowitsch irgendwelche leuchtenden Röhren in eine Schüssel warf.
Die scheckige Dame hielt ihre Hände an die Brust gepresst und sah hoffnungsvoll zu Filipp Filippowitsch herüber. Jener schob sich mit gerunzelter Stirn an den Tisch und schrieb etwas auf.
– Also, Madame, ich verpasse Ihnen die Eierstöcke eines Affen –, verkündete er und blickte herrisch.
– Ach, Professor, muss es ein Affe sein?
– Muss es –, antwortete Filipp Filippowitsch unerbittlich.
– Und wann wird operiert? –, fragte erblassend und mit schwacher Stimme die Dame.
Von Sevilla bis Granada …
Hmmm … Am Montag. Sie kommen frühmorgens in die Klinik, mein Assistent bereitet Sie vor.
– Ach, ich mag nicht in die Klinik. Geht es nicht auch bei Ihnen, Professor?
– Sehen Sie, ich operiere hier nur in ganz speziellen Fällen. Es ist außerdem sehr kostspielig – 500 Rubel.
– Einverstanden, Professor!
Wieder dröhnte das Wasser, wieder wedelte die Plumage auf dem Chapeau hin und her, dann erschien ein Kopf, kahl wie ein Teller, und umarmte Filipp Filippowitsch. Der Hund schlummerte, das Schwindelgefühl verschwunden, der Hund genoss die betäubte Seite und die Wärme, ja, schnarchte sogar leicht und schaffte es so eben noch, den Zipfel eines wohltuenden Traums zu erhaschen: Dort reißt er dem Uhu einen ganzen Federbusch aus dem Schwanz heraus … Dann eine aufgeregte Stimme, die über seinem Kopf kläfft.
– Ich bin doch eine öffentliche PersonAnmerkung, was soll ich bloß tun, Professor?
– Meine Herren! –, rief Filipp Filippowitsch empört. – Das geht wirklich zu weit! Reißen Sie sich gefälligst am Riemen! Wie alt ist sie denn?
– 14, Professor … Begreifen Sie doch, wird das bekannt, bin ich geliefert. In ein paar Tagen will man mich auf eine Dienstreise schicken, nach London …
– Bin ich denn Jurist, mein Bester? … Sie warten 2 Jährchen und heiraten sie.
– Ich bin schon verheiratet, Professor!
– Ach, meine Herren, meine Herren! …
Die Tür ging immer wieder auf, die Gesichter wechselten sich ab, die Instrumente im Schrank polterten, und Filipp Filippowitsch arbeitete wie am Fließband.
»Eine ziemlich schweinische Wohnung«, dachte der Köter, »und doch: wie gut! Aber was zum Teufel braucht er meinesgleichen? Lässt er mich etwa für immer bei sich? Komischer Kauz! Für so jemanden ist es ein Klacks, einen Hund zu erwerben, der einfach absolut umwerfend ist! Oder bin ich etwa tatsächlich schön? Scheint jedenfalls mein Glückstag zu sein! Nur der Uhu ist eine Nervensäge. Frech wie Oskar.«
Erst am späten Abend kam Lumpi vollends zu sich, als das Geklingel aufhörte und in just jenem Augenblick, als die Tür ganz besondere Gäste hereinließ. Sie kamen gleich zu viert. Junge Leute, und jeder von ihnen recht dürftig gekleidet.
»Was haben die denn hier verloren?«, dachte der Hund unfreundlich und voller Verwunderung. Aber noch sehr viel unfreundlicher empfing die Besucher Filipp Filippowitsch. Er stand an seinem Schreibpult und betrachtete die Ankömmlinge wie ein Feldherr den Feind. Die Flügel seiner Habichtsnase weiteten sich. Die Eingetretenen traktierten den Teppich unschlüssig mit ihren Schuhen.
– Tja, Professor, wir suchen Sie auf –, sagte jener von ihnen, aus dessen Haar eine circa 20 Zentimeter lange, dichte und geschwungene schwarze Strähne herausragte, – und zwar in folgender Angelegenheit …
– Herrschaften, Sie sollten bei solch einem Wetter besser nicht ohne Galoschen laufen –, fiel ihm Filipp Filippowitsch dozierend ins Wort, – denn, erstens, werden Sie sich erkälten und, zweitens, hinterlassen Sie überall Spuren auf meinen Teppichen – allesamt echte Perser.
Der mit dem Schopf wurde gleich still, und alle vier starrten völlig verdattert Filipp Filippowitsch an. Das Schweigen dauerte einige Sekunden und wurde allein von Filipp Filippowitsch unterbrochen, der mit den Fingern gegen einen bemalten Holzteller auf der Tischplatte trommelte.
– Zunächst einmal sind wir keine Herrschaften –, sagte endlich der Jüngste von den vieren, der einem Pfirsich ähnlich sah.
– Zunächst einmal –, parierte Filipp Filippowitsch, – sind Sie ein Mann oder eine Frau?
Und schon wieder schwiegen die vier und sperrten ihre Mäuler weit auf. Dieses Mal besann sich der Erste, der mit dem Schopf.
– Wo ist da bittschön der Unterschied, Genosse? –, fragte er hochmütig.
– Ich bin eine Frau –, gab der Pfirsichjüngling in der Lederjacke zu und lief sogleich tiefrot an. Mit ihm zusammen errötete stark ein anderer Besucher – der Blonde mit Fellmütze.
– In dem Fall können Sie das Mützchen aufbehalten, und Sie, gnädiger Herr, bitte ich, Ihre Kopfbedeckung abzunehmenAnmerkung –, sagte mit Nachdruck Filipp Filippowitsch.
– Nennen Sie mich nicht »gnädiger Herr« –, murmelte der Blonde verschämt vor sich hin, während er seine Fellmütze abnahm.
– Wir suchen Sie auf –, begann schon wieder der Schwarze mit dem Schopf.
– Zunächst einmal, was heißt hier wir?
– Wir sind die neue Hausverwaltung in diesem selbigen Gebäude –, erklärte in kaum gezähmtem Zorn der Schwarze. – Ich bin der Schwonder, das da ist die Wjasemskaja, der da ist Genosse Knallikow und der da ist PfannkinAnmerkung. Und nun sind wir …
– Hat man Sie etwa in der Wohnung von Fjodor Pawlowitsch Sablin einquartiert?
– Uns –, antwortete Schwonder.
– Gott! So ist das Kalabuchow-Haus verloren!Anmerkung –, rief verzweifelt Filipp Filippowitsch und schlug die Hände zusammen.
– Professor, Sie machen wohl Scherze? –, empörte sich Schwonder.
– Ich? Scherze machen?! Von wegen! Ich bin vollkommen am Boden zerstört –, lamentierte Filipp Filippowitsch, – was wird aus unsrer guten alten Dampfheizung?
– Die Gemeinheiten können Sie sich sparen, Professor Preobraschenski!Anmerkung
– Also, was genau führt Sie her? Machen Sie schnell, denn ich werde gleich essen.
– Wir, die Hausverwaltung –, sagte Schwonder voll Hass, – kommen zu Ihnen nach der Generalversammlung der Mieter unseres Hauses, und auf dieser wurde die Frage aufgestellt bezüglich der Kürzung der WohnflächeAnmerkung …
– Wer wurde auf wem aufgestellt? –, schrie Filipp Filippowitsch. – Dürfte ich bitten, sich etwas klarer auszudrücken!
– Aufgestellt wurde die Frage bezüglich der Kürzung der Wohnfläche.
– Das reicht! Ich verstehe! Ist Ihnen die Tatsache bekannt, dass, mit Beschluss vom 12. August dieses Jahres, meine Wohnung von allen etwaigen Wohnflächenkürzungen oder Einquartierungen befreit ist?
– Es ist uns sehr wohl bekannt –, antwortete Schwonder, – aber die Generalversammlung hat über Ihren Antrag beraten und entschieden, dass Sie alles in allem eine unverhältnismäßige Wohnfläche einnehmen. Eine ganz und gar unverhältnismäßige. Sie allein wohnen in 7 Zimmern.
– Ich allein wohne und arbeite in 7 Zimmern –, erwiderte Filipp Filippowitsch, – und wünsche mir unbedingt noch ein weiteres, 8.! Es ist absolut vonnöten – als Bibliothek.
Die vier erstarrten.
– Ein weiteres, 8.! He-he –, sagte der Blonde, der seine Kopfbedeckung los war, – also, das ist ja fa-bel-haft!
– Also, das ist ja unbeschreiblich! –, rief der Jüngling, der sich als eine Frau entpuppt hatte.
– Mein Wartezimmer – bitte, dies zu beachten – ist zugleich die Bibliothek, dann das Esszimmer und mein Kabinett – macht zusammen 3! Das Untersuchungszimmer – 4. Der OP-Raum – 5. Mein Schlafgemach – 6, und der Raum für das Personal – 7. Kurzum, es sind einfach zu wenig Zimmer … Aber das spielt auch gar keine Rolle. Es gibt den Beschluss, Ende der Debatte. Dürfte ich jetzt wohl essen gehen?
– Mooomentchen –, meinte der Vierte (er ähnelte einem harten Käfer).
– Mooomentchen –, fiel ihm Schwonder ins Wort, – das Esszimmer und das Untersuchungszimmer sind genau der Grund, weshalb wir hier sind. Die Generalversammlung bittet Sie, freiwillig, im Sinne der Arbeitsdisziplin, auf das Esszimmer zu verzichten. Niemand in Moskau hat ein Esszimmer.
– Noch nicht einmal Isadora DuncanAnmerkung! –, rief schallend die Frau.
Mit Filipp Filippowitsch war etwas geschehen, infolge dessen sein Gesicht sanft scharlachrot anlief, er gab keinen Laut von sich und wartete ab, was weiter passiert.
– Und ebenso auf das Untersuchungszimmer –, fuhr Schwonder fort, – das Untersuchungszimmer lässt sich prima mit dem Kabinett kombinieren.
– Ja ja –, sagte Filipp Filippowitsch mit irgendwie seltsamem Tonfall, – und wo soll ich Ihrer Meinung nach speisen?
– Im Schlafzimmer –, sprachen alle vier im Chor.
Filipp Filippowitschs Scharlachfarbe nahm einen leicht grauen Farbton an.
– Im Schlafzimmer speisen –, begann er mit etwas gedrosselter Stimme, – im Untersuchungszimmer lesen, im Wartezimmer sich ankleiden, im Raum für das Personal operieren und im Esszimmer untersuchen?! Schon möglich, dass Isadora Duncan so etwas tut. Vielleicht isst sie im Kabinett und seziert Karnickel in der Badewanne. Sogar sehr gut möglich. Doch ich bin nicht Isadora Duncan!! –, brüllte er plötzlich, und seine Scharlachfarbe wurde gelb. – Ich werde im Esszimmer speisen und im OP-Raum operieren! Richten Sie das Ihrer Generalversammlung aus, machen Sie sich doch bitte gütigerweise an die Arbeit und gestatten Sie mir zu speisen, und zwar dort, wo normale Menschen dies tun, das heißt im Esszimmer und nicht etwa auf dem Flur oder im Kinderzimmer.
– In dem Fall, Professor, angesichts Ihrer hartnäckigen Zuwiderhandlung –, sagte der aufgeregte Schwonder, – werden wir eine Beschwerde bei den höheren Instanzen einreichen.
– Aha –, brachte Filipp Filippowitsch hervor, – so? –, und seine Stimme nahm eine verdächtig höfliche Note an, – würden Sie sich einen Augenblick gedulden?
»Also, das ist ein Kerl«, dachte begeistert der Köter. »Haargenau meine Größenordnung. Ha, gleich wird er kräftig zupacken! Noch weiß ich zwar nicht, auf welche Weise, aber er wird so richtig zupacken! … Los, mach sie fertig! Diesen Langbeinigen zum Beispiel, fass ihn ein wenig oberhalb des Stiefels, dort am Kniesehnenstrrrang! …«
Filipp Filippowitsch hob lautstark den Hörer und sagte Folgendes hinein:
– Wären Sie so freundlich … ja … besten Dank. Dürfte ich Witali Alexandrowitsch sprechen? Professor Preobraschenski. Witali Alexandrowitsch? Ich bin sehr froh, dass ich Sie erreiche. Ja, vielen Dank, ich kann nicht klagen. Witali Alexandrowitsch, Ihre Operation muss leider ausfallen. Wie bitte? Nein, leider ganz ausfallen, wie auch alle anderen Operationen. Der Grund ist: Ich schließe meine Praxis in Moskau beziehungsweise überhaupt in Russland … Soeben kommen die her – zu viert – eine Frau ist dabei, die als Mann verkleidet ist, und zwei davon tragen einen Revolver, sie terrorisieren mich in meiner Wohnung mit dem Ziel, einen Teil davon einzukassieren …
– Mooomentchen, Professor –, fing Schwonder an, wobei sein Gesicht an Farbe verlor.
– Tut mir leid … Es geht über meine Kräfte, alles zu wiederholen, was die sagten, ich bin wahrlich kein Freund von dummem Geschwätz. Es reicht zu erwähnen, dass die mir vorschlugen, auf mein Untersuchungszimmer zu verzichten, das aber heißt, die verlangen von mir, Sie dort zu operieren, wo ich bisher ausschließlich Kaninchen seziert habe. Nicht nur vermag ich unter solchen Bedingungen nicht zu arbeiten, sondern würde damit auch gegen geltendes Recht verstoßen. Darum beende ich meine Tätigkeit, gebe die Wohnung auf, ziehe nach Sotschi. Die Schlüssel händige ich Schwonder aus, soll doch er operieren.
Die vier erstarrten. Und der Schnee begann auf ihren Stiefeln zu schmelzen.
– Was bleibt mir denn übrig? … Das Ganze ist auch für mich selbst höchst unerquicklich … Bitte? Nein, nein, Witali Alexandrowitsch! Nein, nein! Diesmal geht es mir entschieden zu weit. Meine Geduld ist wirklich am Ende. Das ist schon das zweite Mal seit August. Bitte? Hmmm … Nun, wie Sie wünschen. Wenigstens etwas … Aber nur unter einer Bedingung: Von wem auch immer, wo auch immer, was auch immer – doch das Papier muss so beschaffen sein, dass Schwonder und Co. keine Chance haben, sich auch nur meiner Schwelle zu nähern. Ein Papier, das endgültig ist. Hieb- und stichfest. Bombensicher. Wasserdicht. Dass nicht einmal mein Name mehr fällt. Und Punktum. Für die bin ich jetzt gestorben. Ja, ja. Einverstanden. Mit wem? Aha … Na bitte. Aha. In Ordnung. Ich gebe ihm jetzt den Hörer. Wären Sie so freundlich? –, wandte sich Filipp Filippowitsch heuchelnd an Schwonder. – Sie werden verlangt.
– Mooomentchen, Professor –, sagte Schwonder, mal aufflammend, mal wieder erlöschend, – Sie verdrehen ja unsere Worte.
– Hüten Sie sich vor solchen Behauptungen.
Schwonder ergriff irritiert den Hörer und sprach:
– Am Apparat. Jawohl … Der Vorsitzende der HV … Wir haben doch ganz nach Vorschrift gehandelt … Aber der Professor genießt ohnehin schon einen präzedenzlosen Sonderstatus … Wir kennen und schätzen seine Arbeit … Wir wollten ihm ganze 5 Zimmer lassen … Na gut … Wenn das so ist … Von mir aus …
Das Gesicht knallrot, hängte er auf und drehte sich um.
»Da steht er, ein begossener Pudel! Dem hat er’s gezeigt! Also, das ist ein Kerl!«, dachte der Hund mit Begeisterung. »Kennt er vielleicht so ein Zauberwort? Nun, von jetzt an dürft ihr mich schlagen – tut, was ihr wollt, ich bleibe hier.«
Die drei öffneten ihre Münder und blickten den begossenen Pudel an.
– Welch eine Schande! –, sprach jener kleinmütig.
– Hätten wir eine Diskussion geführt –, begann die Frau in Aufregung und mit rot erglühenden Wangen, – hätte ich Witali Alexandrowitsch argumentativ überzeugt …
– Pardon, gedenken Sie etwa, die Diskussion hier und jetzt zu führen? –, erkundigte sich höflich Filipp Filippowitsch.
Die Augen der Frau flammten auf.
– Ich verstehe Ihren Sarkasmus, Professor, keine Angst, gleich sind Sie uns los … Dennoch … will ich als Vorsitzender unserer hausinternen Kulturabteilung …
– Als Vor-sit-zen-de –, korrigierte sie Filipp Filippowitsch.
– … Ihnen vorschlagen –, nun holte die Frau aus dem Inneren der Lederjacke einige Zeitschriften hervor, die grell und nass vom Schnee waren, – einige Zeitschriften abzunehmen zur Unterstützung der Kinder in Frankreich. Die kosten 50 Kopeken das Stück.
– Nein, ich werde sie nicht abnehmen –, versetzte Filipp Filippowitsch karg mit einem scheelen Blick auf die Zeitschriften.
Eine vollkommene Verwunderung zeigte sich auf allen Gesichtern, und die Frau bekam einen Moosbeer-Anstrich.
– Sie lehnen es ab? Wieso denn das?
– Nur so.
– Haben Sie etwa gar kein Mitleid mit den Kindern in Frankreich?
– Doch.
– Ist es Ihnen schade um die 50 Kopeken?
– Nein.
– Und warum dann?
– Nur so.
Allgemeines Schweigen.
– Nichts für ungut, Professor –, sprach die Frau mit schwerem Seufzen, – wären Sie nicht eine europaweit anerkannte Kapazität und stünden Sie nicht auf die denkbar empörendste Weise unter persönlichem Schutz – (da zog sie der Blonde am Saum der Jacke, doch sie riss sich frei) – von jemandem, dessen Identität wir noch feststellen werden, man sollte Sie auf der Stelle verhaften!
– Und weswegen? –, rätselte Filipp Filippowitsch.
– Sie verachten das Proletariat! –, verkündete voller Stolz die Frau.
– Ja, ich bin nicht gerade ein Freund des Proletariats –, stimmte Filipp Filippowitsch traurig zu und betätigte einen Knopf. Irgendwo läutete es. Schon öffnete sich die Tür zum Flur.
– Sina! –, rief Filipp Filippowitsch. – Mittagessen servieren. Herrschaften, wären Sie so lieb?
Schweigend verließen die vier das Kabinett, schweigend marschierten sie durchs Wartezimmer, ebenso schweigend durchs Vorzimmer und hinter ihnen schloss sich schwer und lautstark die Eingangstür.
Der Hund stellte sich auf die Hinterpfoten und vollzog vor Filipp Filippowitsch eine Art Namaz. Anmerkung