1

Über dem Horizont tanzten wetterleuchtend grünliche Zackenblitze, und der Wind wehte messerscharf aus dem Osten, fegte das flache Land kahl und wirbelte graubraune Wolken von Staub auf. Gilgamesch lächelte breit. Bei Enlil, das war ein Prachtwind. Ein Löwentöterwind war das, ein Wind, der die Luft austrocknete und zum Knistern brachte. Die Jagd auf die wilden Tiere des Feldes bereitete die größte Lust, wenn der Wind so stand, so stark und scharf und grausam.

Er kniff die Augen zusammen und spähte in die Ferne, um seine Beute für diesen Tag auszumachen. Sein Bogen aus siebenerlei Hölzern, der Bogen, den kein Mann außer ihm zu spannen stark genug war — keiner außer ihm und Enkidu, dem geliebten und dreifach verlorenen Freund — hing locker von seiner Hand. Sein Leib war gespannt und bereit. Kommt schon, ihr Bestien! Kommt heran, auf daß ihr erschlagen werdet! Hier steht Gilgamesch, der König in Uruk, der heute mit euch seinen Spaß haben möchte!

Andere Männer in diesem seltsamen Land, wenn sie sich auf die Jagd begaben, benutzten Gewehre, diese schmutzigen Maschinen, welche die Späten Toten gebracht hatten, die den Tod aus großer Entfernung schleudern, verbunden mit viel Lärmen und Feuer und Rauch; oder sie verwendeten die noch tödlicheren Laserwaffen, aus deren häßlichen Mäulern weißblaue Flammen spritzen. Sachen für Feiglinge, alle diese Tötungsmaschinen! Gilgamesch verabscheute sie, ebenso wie er die meisten Instrumente der Später Toten haßte, dieser geleckten, aufdringlichen lauten Spätlinge der Nachwelt. Er nahm so etwas nie in die Hände, wenn er es vermeiden konnte. In all den Tausenden Jahren in dieser niederen Welt, diesem Land der Träume und Geister, in einem Leben jenseits des Lebens, hatte er niemals andere Waffen benutzt als jene, die ihm seit seinem ersten Leben vertraut waren: den Wurfspieß, den Speer, die Doppelaxt, den Jagdbogen, das gute Bronzeschwert. Mit solchen Waffen zu jagen, das erforderte einiges Können. Und es verlangte einem Mann körperliche Anstrengung ab und war mehr als nur ein bißchen riskant. Die Jagd war ein Wettkampf, oder nicht? Gut, dann mußte es dabei auch einige Ansprüche und Mühen geben. Denn wenn es nur darauf ankam, die Beute auf möglichst rasche, einfache und ungefährliche Art zu töten, dann wäre ja wohl die am besten geeignete Methode, hoch über den Jagdgründen in einer Fliegenden Festung zu schweben, ein kleines Atombömbchen abzuwerfen und mit einem Streich gleich die ganze Wildtierfauna von fünf Königreichen auszurotten, sagte Gilgamesch sich. Und er lachte und schritt weiter.


»Wenn du mal in Texas gewesen wärst, H. P. das hier ist so ziemlich genau so wie das, was du da zu sehen gekriegt hättest«, sagte der große breitschultrige Mann mit den mächtigen Armen und der dunklen sonnenverbrannten Haut. Mit einem Arm machte er schweifende Gesten, mit drei Fingern der anderen Hand, leicht auf das Lenkrad gelegt, steuerte er den Landrover in wildem Zickzack wie nebenbei über das flache unwegsame Gelände. Graugrünes knorziges Krüppelholz wuchs hier und da auf dem sandigen Boden. Der Himmel war von wirbelndem Staub geschwärzt. In weiter Ferne ragten kahle Bergzacken auf wie dunkle kariöse Zähne. »Wundervoll. Wundervoll. Fast wie Texas, sieht das aus, da merkste beinah’ fast keinen Unterschied, so wie das Land da aussieht.«

»Wundervoll?« sagte der andere Mann unsicher. »Die Nachwelt?«

»Also, das Stück da isses bestimmt. Aber wenn du die Nachwelt schön findest, dann hättste mal das echte Texas sehen sollen!«

Der Brocken am Steuer lachte und jagte den Motor hoch, und der Landrover raste und hüpfte mit atemberaubendem Tempo weiter.

Der Beifahrer, ein hagerer Mann mit hohlwangigem Gesicht und ebenso bleich, wie der andere sonnenverbrannt war, kauerte sehr still daneben, die Knie zusammengedrückt, die Ellbogen in die Rippen gepreßt, als rechne er jeden Augenblick damit, daß der Wagen gegen etwas prallen könnte. Die beiden waren gemeinsam nun seit vielen Tagen quer durch die endlos scheinenden verbrannten Wüsten des Outback gezogen — seit wie vielen Tagen hätten nicht einmal die Alten Götter sagen können. Sie waren Gesandte, alle beide. Ihre Exzellenzen Robert E. Howard und H. P. Lovecraft aus dem Königreich des Neuen Heiligen Auferstandenen England, Botschafter Seiner Britannischen Majestät des Henry an den Hof des Priesterkönigs Johannes.

In einem früheren Leben waren Lovecraft und Howard Schreibarbeiter gewesen, Verfasser phantastischer Fabeln, doch jetzt sahen sie sich auf einmal verfangen in etwas, das weit phantastischer war als irgend etwas, das in ihren Fabeln vorkam, denn das hier war eben kein Märchen. Dies war die harte brutale Realität in der Nachwelt.

Der Landrover hüpfte, schlitterte und sprang weiter.

»Robert bitte«, sagte der blasse Mann ein wenig nervös.

Gilgamesch wußte, daß ein paar Leute ihn wegen seiner konservativen Einstellung für einen Trottel hielten. Caesar zum Beispiel. Der kaltschnäuzige Kotzbrocken Julius mit seinem Gurt von Splittergranaten um den Bauch und der Uzi über der Schulter — Caesar, der all das repräsentierte, was Gilgamesch am meisten verachtete. »Wieso gibst du’s nicht zu?« hatte Caesar ihn vor ziemlich langer Zeit gefragt, aus seinem Jeep heraus, als Gilgamesch seinen Abgang aus Nova Roma vorbereitete, der Stadt, in der er viel zu lange gelebt hatte, um in die offene Wildnis der Nachwelt, das gottverlassene Outback zu ziehen. »Das ist doch reine Affektiertheit, Gilgamesch, dieses ganze hartnäckige Beharren auf Pfeilen und Wurfspießen und Speeren. Du lebst eben nicht mehr im alten Sumer derzeit.«

Gilgamesch spuckte aus. »Jagen mit Neunmillimeter-Automatik? Jagen mit Granaten und Splitterbomben und Lasern? So was nennst du Sport, Caesar?«

»Ich nenn’ das die Realität akzeptieren. Lehnst du die technischen Errungenschaften ab? Was besteht für ein Unterschied zwischen dem Einsatz von Pfeil und Bogen und dem von einem Gewehr? Beides ist Technik, Gilgamesch. Und schließlich tötest ja auch du die Tiere nicht mit den bloßen Händen.«

»Auch das habe ich schon getan«, entgegnete Gilgamesch.

»Pah! Ich hab’ dich durchschaut. Der große Wonnebrocken Gilgamesch, der naive, schlichte übergroße Heros der Bronzezeit! Auch das ist nichts weiter als Affektiertheit, mein Freund. Du tust, als wärst du ein blöder, sturer und dickschädliger Barbar, weil es dir so paßt, daß man dich bei deiner Jagd und deinen Wanderungen in Ruhe läßt, und das ist alles, behauptest du, was du wirklich willst. Aber insgeheim hältst du dich allen überlegen, die in einer Ära leben, die leichter und bequemer ist als deine Welt. Du beabsichtigst, die schlechten alten dreckigen Methoden der Ururalten wieder einzuführen, stimmt’s nicht? Wenn ich dich richtig durchschaue, dann wartest du bloß deine Zeit ab und treibst dich derweil mit Pfeil und Bogen im trostlosen Outback herum, bis du den richtigen Moment für gekommen hältst, den Putsch zu starten, der dir hier die höchste Machtposition verschaffen soll. Stimmt’s nicht, Gilgamesch? Du hängst einer verrückten Wunschvorstellung nach, daß du uns alle beherrschen willst, als höchster Alleinherrscher und absoluter Diktator. Und dann leben wir wieder in Städten aus Lehmziegeln und kritzeln kleine Hühnerkrakeleien auf Tontäfelchen, so wie du denkst, daß Menschen das tun müssen. Was sagst du dazu?«

»Ich sage, du redest großen Quatsch, Caesar.«

»Ah, ja? Es wimmelt hier nur so von Königen und Kaisern und Sultanen und Pharaonen und Schahs und Präsidenten und Diktatoren, und jeder von denen möchte wieder die Nummer Eins sein. Ich vermute, du bist da auch keine Ausnahme.«

»Darin irrst du dich gewaltig. Es ist jedermann wohlbekannt, daß mich nicht danach gelüstet, ein zweites Mal über Menschen zu herrschen.«

»Das bezweifle ich eben. Ich hege den Verdacht, daß du dich für den Nobelsten von uns allen hältst: Du, der kühne Krieger, der große Jäger, der Ziegelmacher, der Erbauer weiter Tempel und erhabener Wallmauern, der strahlende Musterknabe des antiken Heldentums.« Caesar lachte. »Ehe es Rom gab, da warst du und dein erbärmliches kleines von der Sonne versengtes Mesopotamien, das Land zwischen den Flüssen, tatsächlich eine große Show, und das kannst du uns einfach nicht vergessen lassen, wie? Du hältst uns alle für degenerierte verkommene miese Schufte und dich für den einzigen echten tugendhaften Mann. Dabei bist du genauso stolz und überheblich und ehrsüchtig wie nur einer von uns. Trifft das nicht zu? Diese Sache, daß du deine Königsmacht abgelegt hast, wofür du so gepriesen wurdest, das ist doch nur Pose. Du bist ein Schwindler, Gilgamesch, ein gewaltiger muskelbepackter Schwindler!«

»Wenigstens bin ich aber keine glatte heimtückische Schlange wie du, Caesar, der sich seine Freunde kauft und zum jeweils günstigsten Preis wieder verkauft.«

Caesar schien der Anwurf nicht zu beunruhigen. »Und du verbringst also zwei Drittel deiner Zeit damit, stumpfsinnige schwerfällige Ungeheuer im Outback zu killen, und du sorgst dafür, alle wissen zu lassen, daß du zu gottesfürchtig bist, als daß du dabei etwas mit modernen Waffen zu tun haben möchtest. Aber mich täuschst du nicht. Es ist nicht männliche Tugend, was dich davon abhält, deine Abschüsse mit einer anständigen doppelläufigen 470er Springfield zu erledigen. Es ist geistiger Hochmut, vielleicht auch schlichte geistige Trägheit. Der Bogen ist zufällig die Waffe, mit der du aufgewachsen bist, vor wer weiß wie vielen tausend Jahren. Und du liebst ihn, weil er dir vertraut ist. Aber welche Sprache redest du denn jetzt, heh? Dein schwerfälliges plumpes Kauderwelsch vom Euphrat? Nein, anscheinend doch Englisch, oder? Hast du damals auch diese Sprache gesprochen, Gilgamesch? Bist du als Junge in Jeeps herumgefahren oder in Hubschraubern herumgeflogen? Offenbar sind ein paar der modernen Annehmlichkeiten für dich doch akzeptabel.«

Gilgamesch zuckte die Achseln. »Ich spreche englisch mit dir, weil das hier die hauptsächliche gängige Sprache ist. Aber in meinem Herzen, Caesar, rede ich immer noch in der alten Zunge. In meinem Herzen bin ich noch immer der Gilgamesch aus Uruk, und ich gedenke zu jagen, wie ich es will.«

»Dein Uruk ist vor langer Zeit zu Staub zerfallen. Das hier ist das Leben nach dem Leben, mein Freund, der kleine Scherz, den sich die Götter mit uns allen erlaubt haben. Wir sind schon recht lange hier. Und wir werden für alle künftige Zeit hier sein, wenn ich mich nicht irre. Neue Leute bringen andauernd neue Vorstellungen hierher, und man kann sie unmöglich einfach ignorieren. Nicht einmal du kannst das. Neuerungen setzen sich fest und verändern dich, wie sehr du auch vorzugeben versuchst, daß es unmöglich ist.«

»Ich will jagen, wie ich es will«, sagte Gilgamesch. »Es ist unsportlich, wenn man es mit Gewehren tut. Es hat keine Würde, keine Eleganz.«

Caesar schüttelte den Kopf. »Ich habe ja sowieso nie verstanden, was an der Jagd sportlich sein soll. Ein paar Hirsche töten, ja, oder ein, zwei Wildschweine, wenn du in irgendeinem gräßlichen Wald in Gallien das Lager aufgeschlagen hast und deine Männer Fleisch haben wollen. Aber Jagen aus Lust, als Sport? Gräßliche Tiere abschlachten, die noch nicht einmal eßbar sind? Bei Apollo, mir kommt das völlig unsinnig vor!«

»Genau, was ich behaupte.«

»Aber wenn du jagen mußt, dann ist es doch ziemlich blöd, ein anständiges Jagdgewehr abzulehnen als…«

»Du wirst mich niemals dazu bringen.«

»Nein.« Caesar seufzte. »Wahrscheinlich nicht. Ich sollte eigentlich gescheiter sein und nicht mit einem Reaktionär zu argumentieren versuchen.«

»Reaktionär! In meinen Tagen galt ich als Radikaler«, sagte Gilgamesch. »Als ich noch König war in Uruk…«

»Eben«, sagte Caesar und grinste. »König in Uruk! Hat es je einen König gegeben, der nicht reaktionär gewesen wäre? Du stülpst dir eine Krone auf den Kopf, und sofort fängt dein Hirn an zu verfaulen. Dreimal hat Antonius mir die Krone angeboten, Gilgamesch, dreimal, und…«

»…du hast sie dreimal zurückgewiesen, sicher. Das ist mir alles bekannt. ›War dies Herrschsucht?‹ Du dachtest einfach, du kannst die Macht bekommen, ohne das Symbol der Macht. Wen wolltest du damit hinters Licht führen, Caesar? Brutus jedenfalls nicht, wie ich höre. Brutus sagte, du steckst voller Ehrsucht. Und Brutus…«

Dies traf tiefer als alles andere zuvor Gesagte. Caesar ballte drohend die Faust. »Verdammt, sprich es nicht aus!«

»…war ein ehrenwerter Mann«, schloß Gilgamesch dennoch. Er genoß Caesars deutliches Unbehagen.

Der Römer stöhnte: »Wenn ich diese Zeile noch einmal zu hören kriege…«

»Einige sagen, hier ist ein Ort der Peinigung«, sagte Gilgamesch gelassen. »Und wenn dies wahrhaftig so ist, dann besteht deine Pein darin, daß du von der Dichtung eines anderen Mannes aufgesogen und zum Verschwinden gebracht bist. Laß mich also mit meinem Bogen und meinen Pfeilen allein, Caesar, und wende du dich deinem Jeep zu und deinen kleinen Intrigen. Ich bin ein Narr und ein Reaktionär, möglich. Aber du hast keine Ahnung von der Jagd. Und du hast auch keine Ahnung, wer ich bin.«


All das war vor einem Jahr geschehen, oder auch vor zwei Jahren, oder möglicherweise fünf — sogar die Leute, die sich Uhren und Armbanduhren leisteten, besaßen keine Möglichkeit der genauen Zeitbestimmung in der Nachwelt, über der das rötliche niemals schlafende Sonnenauge willkürlich kreisend über den Himmel zog — und nun war Gilgamesch weit fort von Caesar und all seinen Gehilfen, weit weg von Nova Roma, der lästig turbulenten Hauptstadt der Nachwelt, weit fort von den lächerlichen Querelen solcher Leute wie Caesar und Bismarck und Cromwell und diesem kleinen Dreckskerl Lenin, die sich an diesem Ort um die Macht stritten. Er war mitten unter diesen Leuten gelandet, weil — er konnte sich kaum noch erinnern, weshalb — weil er einem von denen begegnet war, oder Enkidu war einem begegnet, und fast ohne zu merken, was passierte, waren sie da hineingezogen und in die Intrigen und Gegenintrigen verwickelt worden, in ihre Träume von einem Reich, der erhofften Revolution, dem Umsturz und Umbruch und der Umgestaltung. Bis es ihn schließlich gelangweilt hatte, wie töricht diese Leute waren, und er sich von ihnen entfernt hatte, für immer. Wie lange her war das? Ein Jahr? Ein Jahrhundert? Er wußte es nicht.

Sollten sie doch soviel herummanövrieren, wie es ihnen Spaß machte, diese langweiligen Neulinge aus den jüngeren aufgeblähten Spätzeiten. Ihr ganzes Tun und Treiben war hohl, leer und eitel, aber sie erkannten es nicht. Doch eines Tages mochten sie lernen, was Weisheit ist, und war nicht dies der Zweck dieses Ortes, sofern er überhaupt einen Zweck erfüllte?

Gilgamesch zog es jedenfalls vor, sich aus dem Mittelpunkt des Kampfplatzes zu entfernen. Das Streben nach Macht ödete ihn an. Das hatte er lange schon hinter sich gelassen, hatte es zurückgelassen in jener anderen Welt, in der seine erste fleischliche Existenz empfangen worden und zu Staub und Asche geworden war. Und anders als die übrigen gestürzten Potentaten, die Kaiser und Könige und Pharaonen und Schahs, verspürte er keinerlei Verlangen danach, die Nachwelt nach seinem Wunsch und Bild neuzugestalten, oder hier die Pracht und den Glanz zurückzugewinnen, die er einst gekannt hatte. Caesar irrte sich, was Gilgameschs Ehrgeiz und Herrschaftsstreben betraf, ebenso wie er in der Beurteilung seiner Jagdausrüstung falsch lag. Hier draußen, in dem kahlen, vertrockneten, kalten Hinterland der Nachwelt, hoffte er, Gilgamesch, nur seinen Frieden zu finden, sonst nichts. Einst hatte er sehr viel mehr gewünscht, doch das war lange her und an einem ganz ‘ anderen Ort.

In dem dürren Unterholz bewegte sich etwas.

Vielleicht ein Löwe?

Nein, sagte er sich. In der Nachwelt gab es keine Löwen mehr, nur diese fremdartigen Unterwelttiere, von Dämonen gezeugt, in Alpträumen gelaicht, die in den toten Zonen zwischen den Städten lauerten — scheußliche behaarte Wesen mit flachen Nasen, zahlreichen Beinen und trüben bösartigen Augen und glatte schimmernde Geschöpfe mit den Gesichtern von Weibern und den Körpern mißgebildeter Hunde, und Schlimmeres, viel Übleres noch. Manche besaßen schlaffe lederartige Schwingen, und manche waren mit stacheligen Schwänzen bewehrt, die emporragten wie die von Skorpionen, und manche hatten Mäuler, die so groß waren, daß sie einen ganzen Elefanten auf einmal verschlingen konnten. Gilgamesch wußte, sie alle waren Dämonen der einen oder der anderen Art. Doch das spielte keine Rolle. Jagd war Jagd, die Beute war die Beute, und auf dem weiten Kampffeld der Bewährung waren alle gleich. Und das würde dieser Geck von einem Caesar niemals auch nur ahnen.

Gilgamesch zog einen Pfeil aus seinem Köcher, setzte ihn sacht an den Bogen und wartete.


»Ziemlich ähnlich wie Texas, ja«, sprach Howard weiter, »nur daß diese Nachwelt nur eine bläßliche Kohlekopie der Wirklichkeit ist. Bloß ein unbeholfener erster Entwurf, weiter nichts. Siehst du den Sandsturm, der sich da drüben zusammenbraut? Die Sandstürme, die wir hatten, die bedeckten ganze Bezirke! Du siehst das Wetterleuchten da? In Texas wäre sowas als unbedeutendes Flimmern angesehen worden!«

»Wenn du nur einfach ein bißchen langsamer fahren könntest, Bob…«

»Langsamer? Bei Chthulus Schnurrhaaren, Mann, ich fahre doch langsam!«

»Ja, mir ist durchaus bewußt, daß du das denkst.«

»Und wie ich immer gehört habe, H. P. konnten dich die Leute für deinen Geschmack nie schnell genug rumkutschieren, immer Topgeschwindigkeit, siebzig, achtzig Stundenmeilen, das härteste doch am liebsten, erzählt man sich jedenfalls.«

»Im anderen Leben stirbt man nur einmal, und damit endet jeglicher Schmerz«, erwiderte Lovecraft. »Aber hier, wo man sein Leben immer und immer wieder verlieren kann, wo man jedesmal aus der Finsternis wieder zurückkehrt, und wenn du zurückkehrst, erinnerst du dich höchst farbig und lebhaft an jede einzelne Todesagonie — hier, mein lieber Freund Bob, hier ist der Tod viel erschreckender, denn der Schmerz des Sterbens bleibt dir ewig erhalten, und du kannst tausend Tode sterben.« Lovecraft brachte ein blasses giftiges Lächeln zustande. »Rede darüber mal mit einem Profikämpfer, Bob, einem der Krieger von Troja, oder mit einem Hunnen, einem Assyrer — oder mit einem der Gladiatoren vielleicht, mit Leuten, die wieder und wieder und immer wieder gestorben sind. Frage die danach, wie das ist, das Sterben und die Wiedergeburt, wie schmerzlich es ist, was für eine grauenhafte Folter, jede Einzelheit aufs neue zu durchleben. Es ist schrecklich, wenn man in der Nachwelt sterben muß. Ich fürchte mich hier vor dem Tod viel mehr, als ich das je im Leben tat. Hier will ich keine unnötigen Risiken eingehen.«

Howard schniefte durch die Nase. »Allmächtiger, dich soll mal einer zu begreifen versuchen! Damals, als du dachtest, daß du nur einmal lebst, hast du die Leute über den Highway gehetzt, mit einer Meile pro Minute. Und hier, wo keiner sehr lange tot bleibt, verlangst du von mir, ich soll fahren wie ein altes Weib! Schön, ich will’s versuchen, H. P. aber alles in mir schreit danach, loszubrausen wie der Wind. Wenn du in einem weiten Land lebst, lernst du eben, Entfernungen zu durchfahren, wie es nötig ist. Und Texas ist das größte Land, das es gibt. Es ist nicht bloß eine Gegend, es ist ein Geisteszustand.«

»Genau wie die Nachwelt«, sagte Lovecraft. »Allerdings gebe ich dir gern zu, daß die Nachwelt nicht Texas ist.«

»Texas!« röhrte Howard. »Also, das war noch was! Verdammt, ich wollte, du hättest das sehen können! Bei Gott, H. P. was wir für einen Spaß gehabt hätten, wir beide, wenn du nach Texas gekommen wärst. Zwei literarische Gentlemen wie wir, und wir fahren zusammen bis in die Hölle und zurück, von Corpus Christi nach El Paso und umgekehrt, und wir schauen uns das alles an und erzählen uns gegenseitig die ganze Zeit wundervolle Geschichten! Ich schwör’s dir, H. P. das hätte dir das Herz weit gemacht. Soviel Schönheit, wie nicht einmal du sie dir hättest vorstellen können. Der riesige weite Himmel. Diese flammende Sonne. Und diese Weite! Ganze Reiche hätten da Platz gehabt in Texas und hätten spurlos verschwinden können! Dieses Rhode Island von dir, H. P. also — das könnten wir einfach da gleich hinter Cross Plains absetzen, und es würde sofort hinter einem mittelgroßen Feigenkaktus verschwinden! Aber was du jetzt hier siehst, das gibt dir bloß einen schwachen Eindruck von der grandiosen Schönheit. Aber ich gebe zu, auch das hier ist schon an sich massig schön, so wie es hier ist.«

»Ich wünschte, ich könnte deine Begeisterung für die Landschaft teilen, Robert«, sagte Lovecraft ruhig, als es den Anschein hatte, daß Howard alles gesagt hatte, was er zu sagen hatte.

»Es gefällt dir nicht besonders?« fragte Howard überrascht und in leicht verletztem Ton.

»Ein Gutes hat es immerhin — es ist weit weg vom Meer.«

»Ah! Immerhin das findest du gut, ja?«

»Du weißt doch, wie ich das Meer verabscheue und alles, was sich im Meer tummelt! Diese abscheulichen Kreaturen — der salzige Gestank, der darüber liegt…« Lovecraft schüttelte sich geziert. »Aber dieses Land hier, diese bittere Wüste — findest du die nicht trostlos? Findest du nicht, es ist ziemlich abstoßend, dieses Outback?«

»Es ist die schönste Gegend, die ich gesehen habe, seit ich in der Nachwelt gelandet bin.«

»Möglicherweise ist das, was du als schön bezeichnest, meinem groben Blick nicht so recht erkenntlich und entgeht mir völlig. Ich selbst war stets ein Städter.«

»Was du mir zu sagen versuchst, nehme ich an, ist, daß du das alles hier scheußlich findest. Stimmt’s? So gräßlich und gespenstisch wie das Plateau von Leng, was, H. P.?« Howard lachte. ›»Unfruchtbare graue Granitberge… verschwommene Wüsten aus Stein und Eis und Schnee…‹« Als er sich so zitiert hörte, lachte Lovecraft ebenfalls, wenn auch nicht überschwenglich. Howard redete weiter: »Ich schaue mich um im Outback der Nachwelt und sehe etwas, das in vielem Texas ähnelt, und ich liebe es. Für dich ist es so unheimlich wie das dunkle frostige Leng, wo die Bewohner Hörner tragen und Hufe haben und an Leichen knabbern und Hymnen zu Nyarlathotep singen. Ach, H. P. H. P. über Geschmäcker läßt sich halt nicht streiten, oder? Es soll ja sogar Leute geben, die — holla! Ja, schau dir das an!«

Er trat plötzlich auf die Bremse und brachte den Landrover scharf zum Stehen. Ein kleines bösartig aussehendes Etwas mit funkelnden Augen und schuppigem Leib war aus der Deckung hervorgekommen und dicht vor ihnen über den Pfad geglitten. Jetzt hatte es sich umgewandt funkelte sie von der Straße herauf knurrend und flammenspeiend an.

»Höllenkatze!« rief Howard. »Höllencojote! Schau dir das Mistvieh an, H. P.! Hast du schon mal soviel Scheußlichkeit in so ‘nem kleinen Päckchen gesehen? Das Ding da könnte einen Shoggoth dazu bringen, vor Schreck die Zehennägel zu verlieren!«

»Könntest du daran vorbeifahren?« bat Lovecraft angewidert.

»Zuerst möchte ich mir das mal näher anschauen.« Howard kramte zwischen seinen Stiefeln auf dem Boden herum und brachte eine Pistole zum Vorschein. »Läuft’s dir da nicht kalt über’n Rücken, Mann, so durch eine Gegend zu fahren, in der es von Scheusalen wimmelt, die direkt aus einer von deinen Geschichten entsprungen sein könnten — oder aus einer von meinen? Ich möchte die kleine Ghoulkatze mal aus der Nähe in Augenschein nehmen.«

»Robert…«

»Du wartest hier. Es dauert bloß ‘ne Minute.«

Howard hievte sich aus dem Wagen und marschierte stur auf das fauchende kleine Ungeheuer zu, das sich zum Kampf stellte. Lovecraft beobachtete das nervös. Jeden Augenblick konnte das Geschöpf Bob Howard anspringen und ihm mit einem Hieb der gräßlichen gelben Krallen den Hals zerfetzen, vielleicht — oder sich tief in seine Brust verbeißen, um das warme pulsende Herz des Texaners zu finden…

Da standen sie und starrten sich gegenseitig an, Howard und das kleine Ungeheuer, nicht mehr als vier Meter voneinander entfernt. Lange bewegte sich keiner von beiden. Howard hatte die Waffe gezogen und beugte sich vor, um das Tier zu betrachten, wie man vielleicht eine verwilderte Katze betrachtet, die den Eingang zu einer Hintergasse bewacht. Hatte er vor, das Tier zu töten? Nein, dachte Lovecraft, unter seinem aufgeplusterten Gehabe schien der robuste Howard erstaunlich zimperlich, wo es um Blutvergießen und irgendwie geartete Gewalt ging.

Und dann geschah alles sehr schnell. Aus einem Dickicht links brach plötzlich ein viel größeres Tier hervor: ein monströses wütendes Geschöpf mit Krokodilskopf und mächtigen dickschenkligen Beinen, die in schrecklichen Sichelkrallen endeten. Quer durch die bebende Wamme der breiten Kehle steckte ein Pfeil, und aus der Wunde triefte scheußlicher dunkler Ichor in den abstoßenden blaugrauen Pelz des Tieres. Als das kleinere Tier das größere, so schwer verwundete erblickte, sprang es ihm sofort auf die Schulter und verbiß sich dort genüßlich mit den Fangzähnen. Doch unmittelbar darauf brach aus dem selben Dickicht ein Mann von verblüffender Größe hervor, ein großer dunkelhaariger Mann mit blauschwarzem Bart, der nur mit einem Fetzen Stoff um die Hüften bekleidet war. Das war unzweifelhaft der Jäger, der das größere Tier angeschossen hatte, denn er hielt einen erstaunlich großen Bogen in der Hand, und auf dem Rücken hing ihm ein Köcher mit Pfeilen. Völlig furchtlos packte der Riese das bösartige kleine Geschöpf, riß es vom Rücken des verwundeten Tiers und schleuderte es gewaltig außer Sichtweite; dann wirbelte der Mann herum, zückte einen schimmernden Bronzedolch und trieb ihn mit einem einzigen heftigen Stoß in die Brust seiner Beute, der Coup de grâce, der das Tier dann schwer niederbrechen ließ.

Das alles hatte nur Augenblicke gedauert. Lovecraft spähte durch die Windschutzscheibe und war bestürzt, wie stark und wie schnell die Tötung erfolgte, und er war tief beeindruckt von der körperlichen Größe und Gewandtheit des halbnackten Jägers. Dann blickte er zu Howard, der daneben stand und der, trotz seiner beachtlichen Körperlichkeit, neben dem Schwarzbärtigen wie ein lächerlicher Zwerg wirkte.

Einen Moment lang wirkte Howard wie vom Blitz getroffen, wie gelähmt vor bestürztem Staunen. Aber dann fand er doch zuerst die Sprache wieder.

»Bei Crom«, stammelte er und starrte den Riesen an. »Das ist bestimmt Conan von Aquilonia und kein anderer!« Er zitterte. Er trat unsicher einen Schritt auf den Riesen zu, reckte ihm in einer seltsamen Geste beide Hände entgegen — war es eine Geste der Unterwerfung? — und murmelte: »Lord Conan? Großer König, bist du es? Conan? Conan?« Und vor den verblüfften Augen Lovecrafts fiel Howard neben dem verröchelnden Her auf die Knie und schaute bestürzt und irgendwie gleichzeitig hingerissen zu dem gewaltigen Jäger empor.

Загрузка...