7

Überall war Feuer. Rotes Feuer am Himmel, blaues Feuer im Wasser, grünes Feuer tanzte am Gestade hinter dem rasch davongleitenden Schiff. Die Luft roch stechend nach Schwefel und nach noch Unangenehmerem. Die Wolken hier waren dicht und schwer und hatten graue Bäuche, die sich an den nahen Bergen rieben. Und die Berge selbst waren steinerne Dämonen: ein Dutzend zorniger Vulkane, die Dünste und Flammen über die Küstenebene spuckten, soweit Gilgameschs Auge reichte. Hier draußen am westlichen Rand der Nachwelt, jenseits der kahlen Steppenwüsten des Outback, gewann er den Eindruck, als verbrennte die ganze Welt bis zu ihren tiefsten Wurzeln.

Das Schiff mit dem Delphin am Bug und dem Scharlachsegel stach weiter und tiefer in die von Riffen übersäte phosphoreszierende See auf die Insel Brasil zu. Es war die königliche Yacht Simons des Magiers, des Diktators, der irgendwo unter Deck weilte, stark vom Wein berauscht.

Es hörte sich an wie Wahnsinn, dieses ganze Gerede davon, daß man Uruk finden wollte. Vielleicht aber war es doch nicht so verrückt. Es lohnte sich vielleicht, wenigstens zu hören, was Simon zu sagen hatte. Warum also nicht? Gilgamesch überlegte. Er wußte nichts von diesem angeblichen Uruk; doch falls es wahr sein sollte, daß seine Heimatstadt in der Nachwelt wieder gegründet worden war, und wenn diese Brasilier irgendeine Mär vernommen hatten, die ihm helfen konnte, ihren jetzigen Ort zu entdecken, weshalb sollte er dann nicht mit Simon einen Handel machen? Was war schließlich das Leben anderes in diesem endlosen Leben nach dem Tod, wenn nicht ein langes endloses Warum nicht? Er war wieder von seinem Enkidu getrennt. Also spielte sonst fast nichts eine Rolle. Warum sollte er diese Forschungsfahrt also nicht mitmachen? Warum nicht?

Der dunkelhaarige sumerische Riese sah starren Blicks nach Brasil hinüber. In der Ferne schimmerte die Zauberinsel im Halbdunkel in ihrem eigenen seltsamen Licht.

»Warst du schon mal da?« fragte eine Stimme.

Gilgamesch sah nach links und nach unten, sehr weit nach unten. »Sprichst du zu mir?«

»Nein, zu meinem Schatten«, sagte der Mann, der neben ihm an der Reling stand. Klein mit scharfer Nase, dichtes gelocktes Haar, dunkle ölige Haut. »Ich versuche ein Gespräch zu führen. Das ist eine alte Sitte an Bord von Schiffen. Hast du was dagegen?«

Gilgamesch streifte den Kleinen mit einem drohenden Blick. Der Mann hatte etwas Weiches, Glattes, Verwöhntes an sich. Er war gut gekleidet, eine römisch geschnittene Toga und glänzend polierte italienische Lederschuhe, und auf dem Hinterkopf hockte keß ein kleines Brokatkäppchen. Ein schlaues Gesicht. Funkelnde Knopfaugen von unleugbarer Intelligenz. Dennoch, etwas an ihm war grundsätzlich abstoßend, fand Gilgamesch. Und er war aufdringlich. Er war doch bestimmt auf einen Blick hin in der Lage zu erkennen, daß Gilgamesch nicht zu der Sorte gehörte, die von Fremden angesprochen werden möchten.

Ajax, der große gescheckte Hund, der neben Gilgamesch schlief, erwachte, spähte nach oben und knurrte. Wie es aussah, hatte auch Ajax nicht viel für diesen kleinen Mann übrig.

Gilgamesch sagte finster: »Ich kenne dich nicht.«

»Wer kennt schon jemand an diesem gottverlassenen Ort? Ich heiße Herodes. Herodes Agrippa, um genau zu sein. Und ich fragte dich soeben, ob du früher schon einmal in Brasil warst.«

»Kann sein.« Gilgamesch zuckte die Achseln.

»Kann sein? Du weißt es nicht sicher?«

Gilgamesch dachte daran, den zudringlichen kleinen Plagegeist über Bord zu werfen.

»Vielleicht, vielleicht nicht. Wenn du lange genug hin und her über die Nachwelt gewandert bist, sehen allmählich alle Orte ziemlich gleich aus.«

»Also, für mich nicht«, sagte Herodes. »Und ich bin auch ganz schön viel herumgewandert. Mehr als mir lieb ist. Ein richtiger Ewiger Jude, das bin ich. Aber Brasil, das ist anders. Ich weiß, ich weiß, Erinnerung ist hier manchmal problematisch, doch wenn du einmal in Brasil gewesen wärest, dann würdest du dich daran erinnern. Es ist unvergeßlich. Du kannst es mir glauben.«

»Ein ewig wandernder Jude?« sagte Gilgamesch unbestimmt. »Ich glaube, ich habe so eine Geschichte einmal gehört.«

»Wer hätte nicht? Aber ich bin nicht der ewig wandernde Jude, weißt du? Der heißt Ahasver. Der zockelt immer noch kreuz und quer herum, droben, so wie es damals mit seiner Verfluchung bestimmt war. Muß über die Erde ziehen, bis das Ende der Welt gekommen ist, was anscheinend bisher noch nicht der Fall ist. Nein, ich bin einfach nur ein Jude, der umherwandert. Ein anderer. Und ich heiße Herodes.«

»Das hast du mir bereits gesagt.« Aufdringlicher kleiner Köter, wahrhaftig, dachte Gilgamesch. Nach seinen impertinenten Manieren allein müßte man ihn für einen der Späten Toten halten. Dennoch strahlte der Mann auch etwas wie eine Aura der Frühen Toten aus. Ein Grenzfall vielleicht. Aus der Zeit, die die Später Toten ungenau als die Periode ›vor Chr.‹, beziehungsweise den Übergang in die Zeit ›nach Chr.‹ bezeichneten. Gilgamesch grub in den etlichen tausend Jahren seiner Erinnerungen. »Einmal bin ich einem Herodes begegnet. Der war so eine Art kleinerer Wüstenfürst, denke ich.«

»Also eigentlich war er ja König von Judäa.«

»Wenn du es sagst.«

»Ein Mann mit feistem Gesicht, kahlem Schädel, blutgeröteten Augen?«

»Könnte sein. Er sah irgendwie halb verwest aus, so weit kann ich mich noch erinnern. Wie eine Frucht, die man zu lange im Regen hat liegen lassen.«

»Du meinst Herodes den Großen. Meinen Großvater. Ein höchst ekelhafter Mann, dieser Herodes. Nein, wirklich, ein sehr übler Typ. Zehn Weiber! — daraus allein kannst du schon sehen, wie unsolid er war. Und dazu noch andere Charakterschwächen. Im Grunde ein völlig paranoider Typ. Obwohl, diese ganzen häßlichen blöden Sachen mit Salome und dem Täufer Johannes, dem Tanz der Sieben Schleier und das mit dem silbernen Tablett — das war gar nicht er, mußt du wissen. Das war sein Sohn Herodes Antipas; aber der war genauso verrückt. Und in Wahrheit ist das alles auch überhaupt nicht so passiert. Das mit dem Silbertablett und dem Kopf darauf, das war eine bloße Erfindung, und was diese Salome angeht…«

»Silbertablett? Salome? Kleiner Mann, wovon schnatterst du denn da?«

»Andererseits«, fuhr Herodes fort, als hätte Gilgamesch nichts gesagt, »hat mein Großvater tatsächlich die Abschlachtung der Erstgeborenen befohlen, einschließlich seines eigenen Sohnes. Der Mann war verrückt. Es wundert mich nicht, daß du ihn nicht mochtest. Aber er hat sich persönlich mit Augustus ganz hübsch arrangiert. Augustus war immer bereit, Geschäfte mit Verrückten zu machen, wenn er dabei politische Vorteile für sich selber herausspringen sah. Und das dürfte die einzige vernünftige Erklärung dafür sein, wieso mein Großvater sich unter den Römern so lange auf dem Thron halten konnte. Aber wie ich höre, mag Augustus derzeit überhaupt nichts mehr mit ihm zu tun haben. Da steckt Cleopatra dahinter. Denn Cleopatra haßt ihn noch immer — der alte Knabe hat sie abfahren lassen, als sie ihm Avancen machte, mochte ihre Nase nicht oder so etwas in der Richtung, aber das muß man sich mal vorstellen, über weiß Gott wie viele Jahrhunderte so einen dummen kleinen Groll mitzuschleppen…«

»Du summst wie eine Wespe«, murrte Gilgamesch. »Hörst du nie auf zu reden?«

»Also ja, ich rede gern. Du anscheinend nicht, vermute ich. Der große starke Schweigsame. Bloße Stilvarianten, kein Grund sich deswegen zu ärgern. Oh, also wirklich, da sieh hin — da kommt unser Vesuv wieder!«

»Wer ist Vesuv?«

Herodes deutete auf die Inselstadt. »Unser Hausvulkan. Benannt nach dem, den sie damals in der anderen Welt über Pompeji hatten. Unsrer liegt mitten im Zentrum. Hast du je sowas Großartiges gesehen?«

Gilgamesch blickte über den Sund zu dem fernen Brasil hinüber. Im Firmament hing nun ein neues Feuer, ein einzelner hellscharlachroter Lichtpunkt, der durch die trübe rauchgeschwängerte Luft flammte wie eine Fackel, fünfzigmal heller als die Flammen, die aus den Vulkanschloten auf dem Festland züngelten. Wie von einem riesenhaften Blasebalg angefacht, stieg die Flammenfackel höher und höher bis ans Dach des Kosmos. Und die Türme und Wälle der Stadt erstrahlten in der blendenden Helle sinnverwirrend wie leuchtende Spiegel.

»Aber die Stadt?« fragte Gilgamesch. »Wird sie zerstört werden?«

Herodes lachte. »So einen Ausbruch wie den gibt es fast jede Woche einmal. Manchmal auch öfter. Die Brasilier möchten das nicht missen. Aber es wird dabei kein Schaden angerichtet. Bloße Lichtspiele und keine Hitze, so lautet die Vertragsklausel. Und nie jemals irgendwelche feste Materieteilchen. Du hast doch von Pompeji gehört, ja? Das gehörte zu Rom. Ich meine, zu dem echten alten Rom, dem Original. Und wir haben eine Menge ehemaliger Pompejaner, die jetzt hier in Brasil leben. Und so wie seinerzeit im neunundsiebziger Jahr Pompeji niedergewalzt worden ist, kann es einen ja nicht sehr erstaunen, daß die Brasilier hier nicht unbedingt scharf sind auf eine Wiederholung. Ich spreche vom Jahr 79 n. Chr. verstehst du? Also nach der Jahresberechnung der Später Toten. Falls dir überhaupt daran liegt, deine Jahre zu berechnen. Jedenfalls war es nach meiner eigenen Zeit, wahrscheinlich auch nach der deinigen. Aber wenn du mit einem sprichst, der damals dabei war und jetzt in Brasil lebt, dann sagt der dir, es war ein absoluter Horror, aber er wird dir ebenfalls sagen, er kann nachts nicht richtig schlafen, wenn nicht in der Nähe ein mittelprächtiger Vulkan vor sich hingrummelt. Verblüffend, wie sich manche Leute nicht nur an Gefahr gewöhnen, sondern geradezu davon abhängig werden, ständig bedroht…«

Gilgamesch hörte ihm kaum zu. Er starrte in den vom Vulkanfeuer zerfetzten Nachthimmel. Durch die plötzliche glühende Illumination waren Scharen von Ungeheuern und Dämonen der Luft sichtbar geworden. Wesen, die nur Maul waren, ohne Leib; Wesen, die nur kopflose Flügel waren; Wesen, die nichts waren als Krallen und Klauen; Wesen, die aus riesigen gelben, rotgeäderten Augen bestanden, die auf grünen Gasschwaden trieben, und alles wirbelte durcheinander und kreischte hoch über der See. Ajax knurrte und bellte und rannte über das Deck hin und her, sprang wild in die Luft, als wollte er die Ungeheuer angreifen, die sich am Himmel tummelten.

Herodes lachte. »Simons Schoßtierchen. Ich habe es dir ja gesagt, wenn du Brasil einmal erlebt hast, vergißt du es nie wieder. Wohin du schaust, Dämonen. Und Genies. Zauberer. Magier, Traumdeuter. Wahrsager. Simon sammelt sie, verstehst du? Du kannst keine neun Schritte tun, ohne daß einer von denen versucht, dich mit seinen Tricks umzukrempeln.«

»Sie mögen es versuchen«, sagte Gilgamesch.

Er zielte mit einem imaginären Bogen und schoß einen imaginären Pfeil in die Gurgel eines der widerlichsten Ungeheuer in der Höhe.

»Oh, dich würden sie in Frieden lassen, glaube ich. Ein Mann von deiner Größe, wer würde es wagen, sich mit dem anzulegen? Außerdem siehst du mir so aus, als verfügtest du selbst über ein Quantum magischer Kräfte. Simon hat dich als seinen Leibwächter engagiert, ja?«

»Ich bin kein Söldner«, erwiderte Gilgamesch scharf.

»Nein? Du siehst aber aus wie ein Kämpfer.«

»Ein Kämpfer, das ja. Aber niemals für Geldeslohn. Außer einmal, als ich noch ein Junge war und im Exil. Ich war ein König.«

»Ach. Ein König! Dann haben wir ja etwas gemeinsam. Ich war nämlich auch König, weißt du.«

»Wirklich?« fragte Gilgamesch desinteressiert.

»Ja, so vier, fünf Jahre lang, nachdem Caligula meinen elenden Onkel Antipas endlich aus Judäa verjagt hatte und mir die Herrschaft übergab. Bei meinen Untertanen war ich ziemlich beliebt, wenn es dich nicht stört, daß ich das sage. Ich denke, ich habe meine Arbeit recht gut gemacht, und wenn ich nur ein wenig länger gelebt hätte, ich glaube, es wäre mir gelungen, die Christenbrut auszulöschen, bevor sie richtig in Fahrt kam, und damit hätte ich der ganzen Welt sechs Scheffel voll Ärger erspart, aber…« Herodes brach ab. »Du bist nicht etwa selber zufällig einer von denen, oder? Nein, nein, so siehst du wirklich nicht aus. Aber du sagst, du warst ein König. Wo denn, wenn ich fragen darf? Irgendwo draußen, Richtung Armenien vielleicht? Kilikien?«

Der Mann wurde allmählich ätzend.

Gilgamesch richtete sich zu seiner vollen stolzen Größe auf und rezitierte: »So wisse denn, ich bin Gilgamesch von Uruk, Großkönig, König von Uruk, König der Könige, Herrscher des Landes Zwischen den Zwei Flüssen.«

»König der Könige?« wiederholte Herodes. »Herrscher des Landes zwischen zwei Flüssen?« Er nickte, als wäre er höchst beeindruckt. »Aha. Wahrhaftig. Und was für zwei Flüsse wären das, bitteschön?«

»Das weißt du nicht?«

»Du mußt mir vergeben, mein Freund. Ich bin bloß ein Provinzler aus Judäa, obwohl ich das große Glück hatte, am kaiserlichen Hof in Rom erzogen zu werden. Und obwohl man mir wahrscheinlich etwas von deinen zwei Flüssen beigebracht hat, es scheint mir durch eines der verflixten zahlreichen Löcher in meinem Gedächtnis entschlüpft zu sein, und darum…«

Derartige Rederei hatte Gilgamesch schon vielmals vorher gehört. Die Nachwelt steckte voll von solchen Spätlingen.

Kühl sagte er. »Mein Land war euch Römern als Mesopotamien bekannt.«

»Ach, diese Flüsse!« rief Herodes. »Warum sagst du das nicht gleich? König von Mesopotamien! Also ein Parther. Irgendwie mit Mithridates verwandt?«

Gleich werfe ich den Kerl doch noch über die Reling, dachte Gilgamesch, der jetzt richtig wütend wurde.

Mit großer Beherrschung sagte er: »Nein, kein Parther. Ein Sumerer! Wir waren vor den Parthern da. Vor den Babyloniern und Akkadiern. Und lange vor den Römern natürlich. Lange vor den Römern.«

»Bitte tausendmal um Vergebung«, sagte Herodes.

Gilgamesch funkelte ihn an, dann wandte er sich ab. Er starrte düster in die flammendurchzuckte Nacht. Die Eruption über Brasil wurde schwächer. Er überlegte, wie lange sie noch bis zur Insel brauchen würden. Es konnte nicht schnell genug gehen, wenn er sich das nervtötende Geplapper dieses Herodes während der ganzen Überfahrt anhören mußte!

Nach einiger Zeit sagte Herodes: »Gedenkst du erneut König zu sein?«

»Was? Weshalb sollte ich?«

»Nun, die meisten Könige, die hierher kommen, wollen das.«

»Und bist du wieder König geworden?« fragte Gilgamesch, ohne sich umzuwenden.

»Ich ziehe es vor, darauf zu verzichten. Um dir die Wahrheit zu sagen, ich fand den Job nie besonders faszinierend. Und mir gefällt das Leben in Brasil viel zu gut. Seit meinem Tod ist das der erste Ort, an dem ich mich fast wie daheim fühle. Aber Brasil ist die Stadt Simons, und ich verspüre kein Verlangen nach einem Versuch, sie ihm wegzunehmen, ganz abgesehen davon, daß ich das gar nicht könnte. Wenn es ihm Spaß macht, hier den Boss zu spielen, soll er doch. Sage ich.«

»Ich verstehe. Du bist über solcherlei Ehrgeiz hinaus.«

»Also, du kennst sicher den alten Spruch, daß es besser ist, König am Arsch der Welt zu sein, als Sklave im Himmel. Das mag ja stimmen, allerdings weiß ich wirklich nicht viel über den Himmel. Angenommen, es gibt solch einen Ort, was ich sehr stark bezweifle. Jedenfalls, was mich betrifft, mir ist es angenehmer, einen anderen hier regieren zu lassen. Mein Wunsch ist es, weder zu herrschen, noch zu dienen, sondern mich nur um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Aber vermutlich findest du das nicht besonders klug, ja? Wenn du so ähnlich bist wie alle die anderen gewaltigen säbelschwingenden Gojim, die ich hier kennengelernt habe, dann juckt’s dich mächtig, dich wieder auf den Thron zu setzen, egal welchen, wenn es nur ein Thron ist.«

»Nein!« sagte Gilgamesch.

»Nein?«

»Was sagtest du? Sich nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern? Das gefällt mir. Mich um meinen Kram scheren, ja? Für mich war das — wie für dich auch — die Aufgabe, König zu sein, doch das ist lange her und war in einem anderen Leben. Jetzt und hier interessiert mich das nicht mehr. Worüber könnte man hier herrschen? In diesem Land der Betrüger und Schwindler, wo Orte auftauchen und verschwinden wie in Träumen, und wo die Zeit selbst schnell verfliegt oder langsam schleicht, wie es die Laune irgendeines Dämons will?« Gilgamesch spuckte über die Reling. »Nein, Herodes, du verkennst mich, wenn du denkst, ich würde je wieder König sein wollen! Laßt mich frei umherschweifen, jagen, wo ich will. Und laßt mich meinen einzig geliebten Gefährten wiederfinden, den ich hier in diesem Land der Nachwelt verloren habe, wie schon einmal im Land der Lebenden. Ich will nur wieder mit Enkidu vereint sein, meinem wahren Bruder, dem Freund meines Herzens, den ich als einzigen je geliebt habe. Mehr ersehne ich nicht. Sollen andere hier König spielen. Und Männer wie du und ich, wir kümmern uns um unsere eigenen Angelegenheiten, ja?« Gilgamesch lächelte breit und schlug Herodes freundschaftlich mit der flachen Hand auf den Rücken, wobei er den kleinen Mann heftig gegen die Reling schleuderte. »Was, Herodes? Ich glaube, du und ich, wir zwei, wir haben mehr gemeinsam, als es zunächst den Anschein hatte. Ist es nicht so, König Herodes?«

Das Festland und die bedrohliche Raserei der dortigen rülpsenden brüllenden Vulkane verschwanden achtern, und die königliche Jacht schnitt graziös durch das schimmernde Wasser auf Brasil zu. Und nun erhob sich vor ihnen breit die Inselstadt. Grüne Elmsfeuer tanzten flackernd auf den vieltürmigen Wällen.

Gilgamesch spürte eine leise Erregung. Nichts weiter als den Schatten seiner früheren Neugier, dieses Welten in sich hineinschlingenden Hungers nach Erfahrung und Erlebnissen, der ihn in seinem ersten Leben überall hin durch das LAND und über die Grenzen des LANDES weit hinaus getrieben hatte. Einst hatten die Sänger von Sumer und Akkad ihn besungen als den Mann, dem alle Dinge geoffenbart worden waren, die Geheimnisse und die Wahrheiten über das Leben und den Tod.

So ganz falsch hatten die Barden damals in uralter Zeit nicht gelegen. Er hatte alles erfahren und wissen wollen, alles sehen, alles schmecken, alles ausprobieren.

Das war zum großen Teil inzwischen von ihm abgefallen, war in den Tausenden Jahren seiner Streifzüge durch diese unermeßliche und unverständliche Nachwelt aus seinem Herzen ausgebrannt worden. Aber dennoch mußte da noch ein Rest von dem alten verschwundenen Gilgamesch in ihm lebendig geblieben sein; weshalb sonst hatte er so gebannt zu der bizarren Inselstadt hinüberstarren sollen, die aus der leuchtenden See vor ihm auftauchte?

»Bereitmachen zur Landung!« rief eine Stimme. »Alle Mann bereitmachen!«

Herodes verschwand unter Deck. Matrosen tauchten aus dem Nichts auf, eine halbes Dutzend kleiner, ölig wirkender Levantiner, und liefen umher und werkten eifrig an Spills und Tauen herum. Verblüffenderweise tauchte aus den Tiefen des Schiffsrumpfes ein Haarmensch auf, ein untersetzter dickleibiger Mann mit gewaltigen Kiefern und fast keinem Kinn, aber dicken vorgewölbten Brauen. Er trug römische Kleidung. Man stieß an den unwahrscheinlichsten Orten auf diese grobstimmigen Geschöpfe aus der Zeitendämmerung, aus der verschwundenen, vergessenen Welt vor der Großen Flut. Dieser hier schien in Simons Diensten zu stehen, nach seiner Kleidung zu urteilen und den prunkvollen Orden, die er trug.

Simon der Magier selbst erschien danach, schleppenden Schritts, auf den Arm des Herodes gestützt. Es war offensichtlich, daß der Beherrscher Brasils sehr zu körperlichen Ausschweifungen neigte; dennoch war die Stärke seines Geistes hinter der schwammigen Aufgeschwemmtheit erkennbar; spürte man den eisernen Willen, die unersättliche Gier nach Macht. Dieser Machthunger hatte seinen Tod überdauert. Wie bedauerlich, dachte Gilgamesch, daß ein Mann von seinem Format nicht fähig war, seine Gelüste unter Kontrolle zu bekommen. Gilgamesch selbst wußte einigermaßen Bescheid über Gelüste und über Gier und Ausschweifung; doch er hatte nie zugelassen, daß dies äußerlich sichtbar wurde, wie dieser Mann hier das getan hatte. Sein Leib war für ihn sein Heiligtum, und sein ganzes Leben lang hatte er ihn in Ehren und Würde heilig gehalten. Und während seines langen Lebens als Toter ebenso.

»Ah«, sagte Simon. »Unser König von Uruk. Nun, das da vorn, ein paar hundert Yards vor dem Bug ist Brasil. Dein erster Eindruck von meiner kleinen Stadt? Wie gefällt sie dir, Gilgamesch?«

»Sie hat gewisse Reize«, sagte Gilgamesch.

»Gewisse Reize? Mehr fällt dir nicht dazu ein, König von Uruk? Gewisse Reize!« Die roten Gesichtsflecken färbten sich zu einem dunkleren zornigen Scharlachrot. Dann sagte er mit geschmeidigerem, diplomatischerem Ton: »Aber natürlich, mein kleines Brasil ist ein Nichts im Vergleich mit deiner grandiosen Hauptstadt. Das verstehe ich durchaus.«

»Deine Stadt ist höchst beeindruckend«, gab Gilgamesch zu.

In Wahrheit hatte er schon fast vergessen, wie sein Uruk ausgesehen hatte. Nach all der verstrichenen Zeit. Einzelheiten der Anlage und der Gebäude entfielen ihm mehr und mehr; er erinnerte sich fast nur noch an allgemeine Umrisse, an niedere Ziegelbauten mit flachem Dach, an enge Straßen, an einen hohen Tempel über einem Fundament aus weißgetünchten Ziegeln.

Dieses Brasil da wies schlanke Türme auf, die mit Schmuckbändern aus kostbaren Steinen verziert waren, Mauerkronen in unglaublichen Schrägungen, Straßen, die in verwirrenden scharfen Windungen in die Hänge des lavabedeckten Berges, der die Insel überragte, gebaut waren. Wirklich ein befremdlicher Ort, zweifellos im Laufe der Zeiten beträchtlichen Veränderungen unterworfen gegenüber dem alten Städtchen aus römischen Tagen, nach dem das ursprünglich erbaut worden war. Aber nichts in der Nachwelt blieb ja lange, wie es vorher war. Nicht einmal die Berge und die Flüsse.

Der Magier Simon sagte: »Unser Premierminister, der Jude Herodes.«

»Wir sind uns bereits begegnet«, sagte Gilgamesch.

Also war Herodes, dieser Biedermann, der behauptete, an Macht nicht interessiert zu sein, trotz allem Premierminister in Brasil? Nun, vielleicht war das ja seine Art — wie hatte er das ausgedrückt? —, sich um seinen persönlichen Kram zu kümmern. Sollen andere König spielen, und dennoch war es ihm gelungen, sich unter diesen Römern bis in eine ziemlich hohe Position hinaufzuarbeiten. Gilgamesch fühlte sich an diesen Mongolenfürsten erinnert, an Kublai Khan, dem er auf seinen Streifzügen durch die Reiche im Outback begegnet war. Von dem ging die Sage, daß dieser Khan in seinem Erdenleben einer der grandiosesten Herrscher gewesen war, aber hier behauptete er, keinerlei Machtambitionen zu haben, und gab an, völlig damit zufrieden zu sein, als Kriegsminister für die Himmlische Volksrepublik dieses Mao Tse-tung seines Amtes zu walten. Zweifellos war das ein leichterer Job als der eines Kaisers — aber dennoch war es eine Position in der Machtspitze.

Anscheinend bestimmte also das Leben auf der Erde auch den Lebensmodus hier. Ja, vielleicht. Berge und Flüsse mochten sich hier beständig verändern und umformen, doch die Seelen der Menschen, so schien es, veränderten sich nie grundsätzlich. Man betrachte sich nur alle diese Römer und Karthager, die da draußen irgendwo immer wieder und wieder ihre grotesken Punischen Kriege ausfochten. Oder dieser kleine Mann Lenin, wie er fieberhaft Umstürze und Gegenumstürze plante in seiner unablässigen, fruchtlosen Auflehnung gegen jeden, der gerade von sich behauptete, Regierungschef in Nova Roma zu sein. Und alle diese Könige und Kaiser, die versuchten, hier in der Anderen Welt ihre alten Reiche wieder zu etablieren: Caesar und Mao und Elizabeth und der Priester Johannes und all die übrigen. Und sogar jene, die von sich behaupteten, ihr Machtstreben abgelegt zu haben, hatten die Tendenz, immer irgendwie unter denen aufzutauchen, die die Befehle erteilten, und nicht unter jenen, die Befehlen gehorchen mußten.

Nein, dachte Gilgamesch, auch in der Nachwelt ändert niemand sich wirklich von Grund auf. Außer mir. Außer mir. Ich war der König über das gesamte Land, und ich gefiel mir in meiner Pracht und Herrschaft und brachte alle Männer dazu, sich vor mir zu neigen. Ich eroberte Städte. Ich baute Tempel. Ich baute Mauern und Kanäle. Aber hier habe ich seit etlichen Jahrtausenden nichts getan, als umherzuziehen, zu jagen und zu wandern, und das war mir genug. Und ob man es mir nun glaubt oder nicht — es war mir genug.

»Und dies«, sagte Simon nun, »ist mein Großmagier und Oberweiser, dessen Namen ich dir natürlich nicht preisgeben kann.«

Er wies auf den Haarigen Mann.

»Frieden und Freude dir, König von Uruk«, sagte der Haarige. Zumindest verstand ihn Gilgamesch so. Es war ihm noch nie leichtgefallen, die Redeweise dieser seltsamen Leute zu verstehen. Hier sprachen sie, wie nahezu jedermann, eine Art Englisch; früher war es Lateinisch gewesen, als dies die Hauptsprache der Nachwelt war; doch welche Sprache sie auch benutzten, es klang tief, rauh, pelzig und nahezu unverständlich, wie durch einen dicken Ballen von Ochsenhäuten und als lägen die Zungen irgendwie falsch im Mund. Möglicherweise klang ja auch ihre ureigene Sprache so.

Für Gilgamesch waren die Haarmänner ein Rätsel. Sie trugen keinen Namen, oder doch jedenfalls keinen Namen, den sie irgend jemandem, außer ihresgleichen, preisgeben wollten. Und sie verehrten auch namenlose Götter. Sie sahen beinahe aus wie Tiere, bewachsen wie sie waren von dichten, rauhen, pelzigen Zottelhaaren, einem braunen, oder häufiger rötlichen Fell. Enkidu war berühmt unter den Männern für seinen dichtbehaarten Leib, doch sogar er, so behaart er war, würde neben einem Haarmenschen beinahe so glatt gewirkt haben wie eine Frau. Aber obwohl sie wie Tiere aussahen und sprachen, betrugen sie sich doch wie Menschen unter anderen Menschen, und wenn du dich eine Weile mit ihnen beschäftigt hattest, mußtest du bald begreifen, daß sie klug waren und weise und sehr geschickt in der Meisterschaft vieler verborgener Fähigkeiten.

Es wurde erzählt, daß sie von den Anfängen der Zeit herkamen, jenen frühen Tagen vor der Großen Flut, als das Menschenkönigtum erstmals von Himmel herabstieg. Vielleicht war es so. Doch als Gilgamesch einst einen von ihnen darüber befragt hatte, was er über Alulim wisse, den ersten König, der im heiligen Eridu herrschte, oder seinen Nachfolger, Alalgar, oder über En-men-lu-Anna, der danach König war in seiner Hauptstadt Babtibira, schüttelte der Haarmensch nur den Kopf.

»Das sind nur Namen«, hatte der Haarmensch gesagt. »Namen bedeuten nichts.«

»Es sind Könige! Alulims Herrschaft währte 28800 Jahre! Alalgars 36000! In Babtibira herrschte En-men-lu-Anna 43200 Jahre lang! Das lernt doch jeder Schulknabe. Und du, der du vor der Flut lebtest, der aus der tiefsten alten Ferne kommt — wieso kanntest du die Namen der Könige nicht?«

»Für mich waren sie keine Könige«, hatte der Haarmensch gleichgültig geantwortet. »Sie waren es nie. Sie waren nichts!« So ähnlich jedenfalls hatte das schwerzüngige, undeutliche Gerede geklungen. Und als Gilgamesch andere Haarmenschen in dieser Richtung befragte, waren auch da die Antworten stets die gleichen.

Nun, vielleicht hatten sie alles vergessen. Schließlich war es ja schon sehr lange her. Vor der Großen Flut, oder war es denkbar, daß die Haarmenschen vielleicht gar keine Menschen waren, sondern heimische Dämonen von hier aus der Anderen Welt? In keiner der Schriften, die er studierte, als er König war in Uruk, hatte er einen Hinweis darauf gefunden, daß in den Zeiten vor der Flut die Menschen ausgesehen hätten wie die Tiere. Es war ein Rätsel, ja. Vielleicht würde er während seines Aufenthalts in Brasil versuchen, von Simons weisem Haarmenschen etwas mehr darüber zu erfahren.

Er wandte sich dem Gestade zu und sah die Pier von Sklaven wimmeln; einige winkten mit Flaggen die königliche Jacht in ihren Slip, andere entrollten einen beachtlich langen magentaroten Teppich für Simon. Ein Trio von Kanonieren ließ helle Rauchbomben detonieren, vielleicht als Salut für den heimkehrenden Monarchen, vielleicht auch, um diese bösartig aussehenden Fluggeschöpfe mit den langen gelben Schuppenhälsen und den langen blitzenden Greifklauen zu vertreiben, die kreischend und wild mit den Schwingen schlagend über dem Hafen kreisten.

Simon sagte: »Grandios, nicht wahr?«

»Ja, wirklich.«

»Du hast natürlich von mir gehört, ja?«

»Um ehrlich zu sein, Simon, ganz und gar nichts«, erwiderte Gilgamesch.

Simon der Magier blickte ärgerlich drein, aber nur einen flüchtigen Moment lang. »Jedenfalls bist du ehrlich. Und außerdem spielt das weiter keine Rolle. Das meiste, was du über mich hättest hören können, sind sowie lauter Lügen.«

»Wirklich?« sagte Gilgamesch noch einmal.

»Daß ich der Erzvater aller Häresie sein soll. Daß ich nach Rom reiste, um vor dem Kaiser Claudius Wundertaten zu vollbringen. Daß ich gesagt haben soll, ich sei Vater, Sohn und Heiliger Geist in einer Person und hätte verkündigt, daß ich zum Himmel aufsteigen würde, ja daß ich bereits in halber Höhe schwebte, als die Heiligen Peter und Paul niederknieten und beteten und mich so mit einem Knall aufs Pflaster sausen ließen. Nichts als Lügen, weißt du. Genau wie die Geschichte, daß ich mich lebendig begraben ließ und ankündigte, ich würde am dritten Tag aus dem Grab auferstehen, genau wie Er. Pure Lügen!«

»Ich zweifle nicht daran.«

Simon gluckste. »Zauberei, das ja, dazu bekenne ich mich. Ich vollführte exzellente Zauberkunststückchen. Aber Wunder? Aber Ketzerei? Nein, mein Gilgamesch, das niemals. Ich begriff sofort, daß Jesus aus Nazareth stärkere Magie besaß als ich, eine Zauberkraft von erschreckender Gewalt, also lief ich sofort auf seine Seite über. Ich verhielt mich ihm gegenüber stets loyal — es war einfach vernünftig, verstehst du, absolut und von Grund auf vernünftig, sich mit dem besten Zauberer zusammenzutun, statt mit ihm in Wettbewerb zu treten. Das war in Samaria damals, weißt du — warst du schon mal dort? Wunderschöner Ort, nicht weit von Jerusalem. Aber ich war niemals in Rom, kein einziges Mal. Pompeji, ja, dort war ich, deshalb habe ich Brasil ja nach dem Vorbild von Pompeji gestaltet. Aber Rom, nein. Und Claudius kannte ich auch nicht. Und er hat auch nie zu meinen Ehren eine Statue im Tiberfluß aufstellen lassen und was derlei Legenden sonst noch sind.« Simon schüttelte den Kopf. »Sie sagten mir auch nach, ich hätte in einem römischen Bordell die reinkarnierte Helena von Troja entdeckt und ihr die Rettung ihres Seelenheils versprochen, wenn sie meine Geliebte würde. Völlig aus der Luft gegriffen! Kennst du Helena, Gilgamesch? Bist du ihr jemals begegnet?«

»Nie«, antwortete Gilgamesch.

»Ich schon, einmal vor langer Zeit in Theleme. Und wir lachten herzlich über diese Geschichte, ich würde sie sehr gern eines Tages wiederfinden. Aber ich möchte, daß du verstehst, mein Freund, daß es ein ganz anderer Simon war, der all diese Spielchen mit den falschen Wundern abzog. Lange nach meinem Tod. Ich war nur an Macht interessiert — und deshalb auch an Zauberei und Religion, weil sie Mittel zur Erlangung der Macht darstellen. Der Jesus aber — der war der beste Zauberer von allen. Neben ihm war ich ein Nichts.« Simon lächelte und wies mit ausholender Geste auf die näherrückende Inselstadt hin. »Brasil! Hier ist sie! Und wir wollen uns einige Ruhetage gönnen, die Bäder genießen, ja, König von Uruk? Ein Fest feiern, eine Theatervorstellung, einen Zirkus zu deinen Ehren mit hundert Gladiatoren. Und danach müssen wir uns an die Arbeit machen und über die Expedition reden, die wir unternehmen wollen, um das Königreich zu finden, das rechtmäßig dir gehört.«

Gilgamesch runzelte die Stirn. »Aber mich gelüstet nicht nach…«

Herodes stieß ihn hastig an, er solle still sein.

»Was sagtest du gerade, großer König?« fragte Simon.

Er hatte keine weitere Warnung seitens Herodes nötig. »Ich sagte, wie angenehm es sein wird, deine Bäder zu genießen, Simon. Und das Fest, das Theater, die Gladiatoren.«

»Und danach machen wir uns auf die Suche nach deiner Stadt Uruk, was?«

Gilgamesch antwortete nicht. Beschwingt glitt die Königsjacht an ihren Ankerplatz. Ganze Schwärme von Sklaven und Speichelleckern stürmten jubelnd zu Simons Begrüßung vorwärts.

Die Suche nach Uruk, dachte Gilgamesch. Welches Uruk? Und wo? Uruk war in den Nebelschwaden der Zeit untergegangen. Und es würde nie wieder ein zweites Uruk geben. Er, er wollte nur nach Enkidu suchen; Enkidu, der fortgeschleppt worden war, der vielleicht sogar von den Leuten getötet worden war, die die Karawane van der Heydens überfallen hatten. Er würde Simons Hilfe bei der Suche nach Enkidu annehmen, ja. Aber Uruk? Uruk? Das alles war Irrsinn.

»Unser Zirkus wird dir gefallen«, sagte Herodes an seiner Seite. »Wir werden zu deinen Ehren die hundert stärksten Gladiatoren von Brasil in ihr künftiges Leben schicken.«

Gilgamesch warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Das bedeutet mir nicht viel. Weshalb sollten hundert Männer für meinen Spaß sterben? Ihr Römer mit euren blutigen Spielen…«

»Bitte«, sagte Herodes. »Du nennst mich dauernd einen Römer, aber ich ziehe es vor, mich als Juden zu betrachten, weißt du. Obwohl, technisch gesehen könnte man mich als Römer bezeichnen — Julius Caesar machte meinen Urgroßvater Antipater zum römischen Bürger —, aber wir Juden können schließlich unsere Herkunft viel weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen als die Römer, und…«

»Hörst du eigentlich niemals auf zu plaudern? Nicht einmal für eine Minute?« brach es aus Gilgamesch hervor.

»Habe ich dich erzürnt, großer König?«

»Dieses Geschnatter über Juden und Römer. Wen kümmert schon ein Dämonenfurz, wer du bist und wieviele Ahnen du hast? Ich war König zu einer Zeit, da euer Land nichts war als ein Sumpf!«

Herodes lächelte. »Ach, Gilgamesch, Gilgamesch, vergib mir! Natürlich ist dein Land viel älter als Rom, sogar als Judäa. Aber andererseits sind hier Leute, für die sogar das grandiose ruhmreiche Sumerische Reich nichts weiter ist als eine Episode ziemlich jungen Datums.« Er blickte verstohlen zu dem Haarmenschen. »Angesichts der Ewigkeit, Gilgamesch, befinden sich die meisten von uns erst seit ein, zwei Stunden in der Nachwelt. Im Vergleich zu dem da, meine ich. Doch vergib mir. Vergib mir. Ich rede wirklich zu viel. Dennoch beschwöre ich dich, die Wettkämpfe in unserem Stadium zu besuchen. Und ich heiße dich hiermit in Brasil, meiner Wahlheimat willkommen, König Gilgamesch. Als Römer und als Jude heiße ich dich hier herzlich willkommen.«

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