5

Die Gastfreundschaft des Priesterkönigs, fand Gilgamesch bald heraus, war in der Tat keine unbedeutende Sache.

Man geleitete ihn zu einem Privatgemach, dessen Wände mit schwarzem Filz bedeckt waren — eine Art Zelt im Hause —, wo drei Sklavenmädchen, die ihm kaum bis zur Hüfte reichten, sich glucksend und kichernd um ihn drängten und ihm den Lendenschurz auszogen. Sanft drängten sie ihn dann in eine große marmorne Zisterne voll warmer Milch, wo sie ihn liebevoll badeten und seinen schmerzenden Leib auf höchst intime Art massierten. Und danach hüllten sie ihn in kostbare Gewänder aus gelber Seide.

Dann geleitete man ihn in den Großen Kaisersaal, in dem bereits der ganze Hof versammelt war, eine glänzende, prachtvolle Menge Menschen. Es war irgendeine Art Konzert im Gange, sieben feierlich-ernste Musiker produzierten eine kreischende, schrille und näselnde Musik. Gongs schepperten, eine Fanfare schmetterte, Trompeten tröteten, Pfeifen gaben gespenstische durchdringende Töne von sich. Diener geleiteten Gilgamesch zu einem Ehrenplatz auf einem Berg von pelzigen Decken, die mit Samtkissen übersät waren.

Lovecraft und Howard waren bereits anwesend, wie Gilgamesch in prächtige Seidenroben gekleidet. Beide wirkten ein wenig verwirrt, ja sogar außer sich. Howard war hochrot und übertrieben agil, er konnte kaum stillsitzen; er lachte und fuchtelte mit den Armen und trommelte mit den Fersen auf die Pelzdecken, ganz wie ein kleiner Junge, der etwas ganz Schlimmes angestellt hat und jetzt davon abzulenken versucht, indem er sich hyperaktiv aufführt. Lovecraft hingegen wirkte benommen und verwirrt und hatte den glasäugigen Blick wie einer, der gerade auf den Kopf geschlagen worden ist.

Die beiden sind wirklich sehr seltsame Männer, dachte Gilgamesch.

Der eine gibt sich riesige Mühe, laut und lustig zu wirken, und dann kriegst du plötzlich einen flüchtigen Einblick in eine Seele, die von wüsten Phantasieträumen mit zuckenden Schwertern und Strömen von Blut übersprudelt. Aber in Wirklichkeit hat er schreckliche Angst vor allem. Der andere dagegen, der ist so unheimlich abweisend und nüchtern und anscheinend nicht ganz so verrückt, doch auch er macht den Eindruck, als liege er im Krieg mit sich selber, als fürchte er sich entsetzlich davor, daß ein wirkliches echtes menschliches Gefühl die wohlkalkulierte Oberfläche seiner Manierismen durchbrechen könnte. Diese armen Narren müssen zu Tode erschrocken sein, als die Sklavenmädchen anfingen, sie auszuziehen, sie mit warmer Milch zu übergießen und ihre Körper zu streicheln. Bestimmt haben sie sich von dieser zweifelhaften Lustempfindung noch nicht wieder erholt, dachte Gilgamesch. Er konnte sich gut vorstellen, was für Entsetzensschreie sie ausstießen, als die kleinen Mongolenmädchen sich an sie heranzumachen begannen. Was machst du denn da? Laß die Finger von meiner Hose! Faß mich da nicht an! Bitte — oh, nein — oh, oh-ah-oh! Ohhh!

Der Priesterkönig saß auf einem hohen Thron aus Elfenbein und Onyx und winkte Gilgamesch mit ausladender Geste zu, eben wie ein König zu einem anderen. Gilgamesch nickte fast unmerklich betätigend zurück. Der ganze Pomp und die Zeremonien langweilten ihn gräßlich. Davon hatte er schließlich in seinem früheren Leben reichlich genug abbekommen. Damals hatte er auf dem hohen Thron gesessen, aber dennoch war ihm das einfach alles langweilig gewesen. Und nun…

Doch dies hier war auch nicht langweiliger als sonst etwas. Gilgamesch war schon lange zu der Überzeugung gelangt, daß dies der wahre Fluch sei, der über der Nachwelt lag: Alles Mühen war hier bedeutungslos, bloßes Wetterleuchten ohne reinigende Gewitter. Es war unmöglich, hier etwas Dauerhaftes zu errichten. Bloße Sandburgen waren das hier, und die Auslöschung kam mit den Gezeiten herangerollt, so sehr einer auch dagegen ankämpfen mochte. Man konnte keine Söhne zeugen, die den Namen des Vaters preisen und die Mauern seiner Stadt stärken würden; die Freunde und Bundesgenossen tauchten auf und verschwanden wieder wie spukhafte Traumgestalten; und du selbst lebtest die halbe Zeit in einem fieberigen Traum, ohne zu wissen, was du wirklich willst. Und das nahm kein Ende. Du konntest jetzt wieder sterben, früher oder später, wenn du unachtsam warst oder Pech hattest, aber trotzdem, früher oder später, warst du wieder da für eine neue Drehung des Rades. Es gab kein Aussteigen aus dem Kontinuum. Er, er hatte einst verzweifelt das ewige Leben gesucht, und er hatte schmerzhaft lernen müssen, daß ihm das nicht gegeben war, zumindest nicht in der Welt der sterblichen Menschen. Doch nun war er tatsächlich an einem Ort gelandet, wo er ewig leben würde, jedenfalls sah es so aus, aber dennoch brachte ihm das keine Freude. Seine derzeitige liebste Wunschvorstellung — ein Traum — war es einfach, seine Zeit hier in der Nachwelt abzudienen und danach vielleicht in Frieden ewig schlafen zu dürfen. Doch er sah bisher noch keine Möglichkeit, dies zu erreichen. Das Leben hier — oder was hier so als Leben galt — ging einfach weiter und immer weiter… ziemlich genau so wie dieses Hofkonzert mit den nicht enden wollenden Strängen von dröhnendem, zirpendem und kreischendem Lärm. Jemand mit dem weichen bartlosen Gesicht eines Eunuchen trat zu ihm heran und bot ihm ein Stück gegrilltes Fleisch an. Nun, da der stechende Schmerz in seiner Wunde mehr und mehr verebbte, verspürte er Hunger, und er aß das Fleischstück, und danach ein zweites und noch eins, und dazu trank er einen ganzen Krug fermentierter Stutenmilch.

Eine Tanzgruppe erschien, Männer und Weiber in weiten durchsichtigen Gewändern. Sie vollführten Kunststücke mit Schwertern und lodernden Fackeln. Ein anderer Beschnittener brachte Gilgamesch eine Schale mit geheimnisvollen süßen Köstlichkeiten, und er griff mit beiden Händen zu. Er hatte rasenden Appetit. Sein Körper, der zu heilen begann, verlangte energisch nach Energiezufuhr. An seiner Seite schüttete der Mann Howard die Stutenmilch in sich hinein wie Wasser und wurde zusehends betrunkener, und der andere, der Lovecraft hieß, saß kränklich-trübsinnig da, sah den Gauklern zu und rührte nichts an. Es sah aus, als schüttelte es ihn, wie wenn er mitten in einem Schneesturm wäre.

Gilgamesch winkte ein zweites Gemäß vergorener Stutenmilch heran. Und in diesem Augenblick kam der Arzt an und ließ sich fröhlich auf dem Fellberg neben ihm nieder. Dr. Schweitzer lächelte breit und zustimmend, als Gilgamesch einen kräftigen Schluck trank. »Fühlst du dich jetzt besser? Der Arm, er schmerzt nicht mehr, ja? Die Wunde, sie schließt sich bereits. So rasch heilst du! Was für eine Stärke, was für ein Heilungspotential! Lieber Gilgamesch, du bist ein echtes Gotteswunder! Der Segen des Allmächtigen ruht auf dir.« Er ergriff ein Trinkgefäß von einem vorbeikommenden Diener, trank und verzog das Gesicht. »Ach! Dieses Milchbier, das sie hier als Wein servieren! Und ach, ach, dieses entsetzliche Getöse, ihre verfluchte Musik! Was würde ich nicht dafür geben, einen Schluck anständigen Moselweins auf der Zunge zergehen zu lassen, ja, und wenn ich die D-moll-Tokkata und Fuge noch einmal hören könnte! Von Bach — kennst du ihn?«

»Wen?«

»Bach. Johann Sebastian Bach. Der gewaltigste Musiker, Gottes höchst eigener Klangdichter. Ich habe ihn gesehen, nur einmal, vor Jahren.« Die Augen Albert Schweitzers leuchteten. »Ich war hier neu. Noch keine zwei Wochen hier. Es war im Landhaus von König Friedrich — Friedrich II. von Preußen, weißt du, den sie den Großen nennen. Du kennst ihn? Nein? Der Alte Fritz? Na, macht nichts, macht nichts. Jedenfalls kam ein Mann in den Saal, ganz gewöhnlich, er wäre einem unter anderen nie aufgefallen, verstehst du? Und er fängt an, auf dem Cembalo zu spielen, und er hat noch keine drei Takte gespielt, da sage ich: Das ist Bach, das muß der echte Bach sein. Und ich wäre gern auf die Knie gesunken vor ihm, hätte ich mich nicht so geschämt. Aber er war es. Ich sagte mir: Wieso ist Bach hier in der Nachwelt, wenn die Nachwelt die Hölle ist, wie einige uns glauben machen wollen? Doch dann sagte ich mir, wie du vielleicht dir selber auch und wie jeder das hier früher oder später wird tun müssen: Wie kommt es, daß ich, Albert Schweitzer, hier in der Hölle bin? Und ich begriff, daß Gott ein unendliches Rätsel ist. Vielleicht wurde ich hier hergesandt, um die Verdammten ärztlich zu versorgen. Und Bach vielleicht ebenfalls, um unseren Seelen Linderung zu bringen. Oder vielleicht sind wir ja auch Verdammte. Oder vielleicht ist keiner hier verdammt. Und das ist es, was ich schließlich glaube, daß jene, die diesen Ort hier die Hölle nennen, einfach Narren sind. Wer weiß denn, was dies für ein Ort ist, oder weshalb wir hier sind, heh? Sie führen zu nichts, diese ganzen Spekulationen. Es ist ein Fehler oder peut-être eine Sünde, sich einzubilden, wir könnten verstehen, was Gott denkt! Wir sind hier. Wir haben unsere Aufgaben. Mehr brauchen wir nicht zu wissen.«

»So dachte auch ich einst«, sagte Gilgamesch. »Als ich noch König war in Uruk, in der anderen Welt, als mir endlich bewußt wurde, daß ich sterben mußte und daß es unmöglich ist, sich vor dieser Tatsache zu verstecken. Aber wozu denn das Ganze, fragte ich mich. Und ich sagte mir: Die Götter haben uns hierher gesetzt, damit wir unsere Aufgaben erfüllen, und darin liegt der ganze Sinn. Und so lebte ich danach, tat, wozu ich bestimmt war, so gut ich verstand, was die Götter von mir erwarteten, bis ich schließlich starb.« Gilgameschs Gesicht umdüsterte sich. »Aber hier… hier…«

»Auch hier haben wir unsere Aufgaben und Pflichten«, sagte Dr. Schweitzer.

»Du, vielleicht ja. Mir bleibt hier nichts anderes, als mir die Zeit zu vertreiben. Einst hatte ich einen Freund, der diese Bürde gemeinsam mit mir trug…«

»Enkidu.«

Gilgamesch ergriff mit plötzlicher Wildheit das kräftige Handgelenk des Arztes. »Du weißt von Enkidu?«

»Aus dem Epos, ja. Das Gedicht ist sehr berühmt.«

»Ach. Ach! Dieses Gedicht… Aber der Mann, der echte wirkliche Mann…«

»Von dem weiß ich nichts, nein.«

»Er ist von meiner Gestalt, sehr breit. Sein Bart ist dicht, sein Haupthaar zottig, seine Schultern sind sogar noch breiter als meine. Wir zogen überallhin gemeinsam. Doch dann zerstritten wir uns, und er verließ mich im Zorn und sagte: Komm mir nie wieder in die Quere. Und sagte: In mir ist keine Liebe mehr für dich, Gilgamesch. Und er sagte: Sollten wir einander wieder begegnen, will ich dich töten. Und seitdem habe ich nie wieder von ihm gehört.«

Dr. Schweitzer wandte sich ihm zu und sah ihn nachdenklich und forschend an. »Wie ist so etwas möglich? Alle Welt weiß doch von der Liebe Enkidus für Gilgamesch!«

Gilgamesch winkte einen weiteren Krug heran. Dieses Gespräch erweckte eine Pein in seiner Brust zum Leben, einen Schmerz, neben dem der Schmerz seiner Armverletzung nicht mehr war als ein leichtes Jucken. Und das Getränk half auch nicht, das wußte er, aber er würde dennoch trinken.

Nach einem tiefen Schluck sagte er düster: »Wir haben uns zerstritten. Es fielen hitzige Worte zwischen uns. Er hat gesagt, in ihm sei keine Liebe mehr für mich.«

»Das kann nicht wahr sein.«

Gilgamesch zuckte die Achseln, sagte aber nichts.

»Und du sehnst dich danach, ihn wiederzufinden?« fragte Dr. Schweitzer.

»Ja, nichts anderes.«

»Weißt du, wo er ist?«

»Die Nachwelt ist viel größer als die Welt, und diese ist schon so weit, daß ich Kopfschmerzen bekomme, wenn ich darüber nachdenke. Er könnte überall sein.«

»Du wirst ihn finden.«

»Wenn du wüßtest, wie sehr ich nach ihm gesucht habe…«

»Du wirst ihn wiederfinden. Ich weiß es.«

Gilgamesch schüttelte den Kopf. »Wenn die Nachwelt ein Ort der Strafe und Qualen ist, dann ist dies meine Strafe, daß ich ihn nie wiederfinden kann. Oder wenn ich es doch tue, wird er mir mit Verachtung begegnen. Oder die Hand wider mich erheben.«

»Nein, so ist das nicht«, erwiderte Dr. Schweitzer. »Ich denke, du fehlst ihm ebenso sehr wie er dir.«

»Warum hält er sich dann fern von mir?«

»Hier ist die Nachwelt«, sagte der Arzt sanft. »Ich vermute, wir sollen hier geprüft werden. Und so wirst vielleicht jetzt du geprüft, mein Freund; aber keine Prüfung dauert ewig. Nicht einmal in der Nachwelt. Nicht einmal hier. Selbst wenn du jetzt in der Nachwelt bist, vertraue auf die Güte des Herrn. Du wirst deinen Enkidu früh genug wiederfinden, um Himmels willen!« Dr. Schweitzer lächelte und sagte: »Der Kaiser wünscht dich zu sprechen. Geh zu ihm. Ich glaube, er hat dir etwas zu sagen, was du hören mußt.«


Der Priester Johannes sagte zu ihm: »Du bist doch ein Krieger, nehme ich an?«

»Das war ich«, antwortete Gilgamesch gleichgültig.

»Ein General? Ein Führer von Männern?«

»All dies habe ich weit hinter mir gelassen«, sagte Gilgamesch. »Hier ist das Leben danach. Ich gehe jetzt meiner Wege und übernehme keine Verantwortung mehr für andere. Es laufen hier genug Generäle herum!«

»Man hat mir gesagt, du warst ein alle überragender Heerführer. Man hat mir gesagt, du kämpftest wie der Gott des Krieges selbst. Wenn du auf dem Schlachtfeld erschienst, legten ganze Nationen die Waffen nieder und warfen sich vor dir in den Staub.«

Gilgamesch wartete und sagte nichts.

»Aber dir fehlt die Glorie des Schlachtfeldes, Gilgamesch, nicht wahr?«

»Fehlt sie mir?«

»Was würdest du sagen, wenn ich dir den Befehl über meine Streitkräfte anbieten würde?«

»Weshalb solltest du das tun? Was bedeute ich dir schon? Und was bedeutet mir dein Volk?«

»In der Nachwelt nehmen wir jede beliebige Nationalität an, die uns genehm ist. Mein Volk könnte das deine werden. Was würdest du dazu sagen, wenn ich dir das Oberkommando übertragen würde?«

»Ich würde sagen, du machst einen gewaltigen Fehler.«

»Aber es ist keine kleine Streitmacht. Zehntausend Mann. Entsprechende Luftunterstützung. Taktische Nuklearwaffen. Das stärkste Waffenpotential im Outback!«

»Du verstehst mich nicht«, sagte Gilgamesch. »Krieg interessiert mich nicht. Ich verstehe gar nichts von modernen Waffen, und ich will auch gar nichts darüber lernen. Und ich wünsche auch nicht zu irgendeines Mannes Nation zu gehören. Du hast den falschen Mann ausgesucht, Priester Johannes. Wenn du unbedingt einen General brauchst, warum schickst du nicht nach Wellington. Oder Malborough, Rommel. Tiglath-Pileser.«

»Oder nach Enkidu?«

Der Name kam ihm unerwartet und traf Gilgamesch wie ein Rammbock. Bei dem Namen schoß ihm die Röte ins Gesicht, und sein Leib begann krampfhaft zu zucken.

»Was weißt du von Enkidu?«

Der Priesterkönig hob eine seiner wundervoll manikürten Hände. »Gestatte mir doch das Vorrecht, die Fragen zu stellen, Großer König.«

»Du hast den Namen Enkidu ausgesprochen. Was weißt du von Enkidu?«

»Laß uns zunächst die anderen Punkte abhandeln, die von größerer Bedeu…«

»Enkidu!« fiel Gilgamesch ihm starrsinnig ins Wort. »Weshalb hast du seinen Namen genannt?«

»Ich weiß, er war dein Freund.«

»Er ist mein Freund.«

»Schön, also, er ist dein Freund. Und ein Mann von hohem Wert und großer Kraft. Der zu dieser Stunde als Gast am Hofe des größten Feindes meines Reiches weilt. Und der, wie ich erfahre, sich soeben anschickt, mich zu bekriegen.«

»Was?« Gilgamesch sah ihn wie erstarrt an. »Enkidu in den Diensten der Queen Elizabeth?«

»Ich erinnere mich nicht, dies gesagt zu haben.«

»Ja hat denn nicht diese Königin gerade eine Armee gegen dein Reich ausgeschickt?«

Yeh-lu Ta-shih lachte. »Raleigh und seine fünfhundert Narren? Diese Expedition ist absurd. Um die kümmere ich mich an einem Nachmittag nach dem Mittagsschläfchen. Nein, ich spreche von einem ganz anderen Feind. Sag mir eins: Weißt du von Mao Tse-tung?«

»Diese Fürsten unter den Später Toten — es gibt dermaßen viele davon, und ihre Namen bedeuten mir nichts.«

»Ein Chinese, ein Han. Kaiser der Marx-Dynastie, lange nach meiner Zeit. Ein geschickter, hartnäckiger und zäher Mann. Mehr als nur leicht verrückt. Er herrscht über ein Ding, das sich Himmlische Volksrepublik nennt. Direkt nördlich von hier. Und er redet seinen Untertanen ein, man könnte die Nachwelt zum Himmel machen, indem man sie kollektiviert.«

»Kollektiviert?« fragte Gilgamesch verständnislos.

»Indem man alle Bauern zu Königen macht und die Könige zu Bauern. Wie ich bereits sagte, er ist mehr als nur leicht verrückt. Doch er hat Myriaden loyaler Anhänger, die alles tun, was er befiehlt. Er gedenkt das ganze Outback zu erobern, und damit beginnen will er hier bei mir. Und danach soll die gesamte Nachwelt, Provinz nach Provinz, seinen verrückten Ideen unterworfen werden. Ich fürchte, diese Elizabeth ist im Bündnis mit ihm — daß diese absurde Unternehmung, angeblich einen Weg aus der Nachwelt finden zu wollen, weiter nichts ist als ein trickreicher Vorwand, daß ihr Raleigh meine Schwachstellen für sie ausspionieren soll, damit sie dann diese Informationen an Mao weitergeben kann.«

»Aber wenn dieser Mao der Feind aller Könige ist, weshalb sollte Elizabeth ein Bündnis mit…?«

»Beide wollen sich offenbar gegenseitig benutzen. Elizabeth hilft Mao, mich zu stürzen, Mao hilft Elizabeth, ihren Vater vom Thron zu vertreiben. Und was danach kommt, wer weiß? Ich jedenfalls gedenke zuzuschlagen, ehe die beiden mir Schaden zufügen können.«

»Aber was ist mit Enkidu«, sagte Gilgamesch. »Sag mir etwas über Enkidu.«

Der Priesterkönig entrollte einen Computerausdruck. Er überflog den Inhalt und las dann laut: »Der Kriegsheld Enkidu von Sumer aus den Reihen der Frühtoten — Sumer, so heißt doch dein Reich, nicht wahr? — langte an dem und dem Tag am Hofe Mao Tse-tungs an — offiziell angegebener Grund des Besuchs: ein Jagdausflug ins Outback — in Begleitung eines amerikanischen Spions, der sich als Journalist und Jäger tarnt, eines gewissen Ernest Hemingway — Geheime Treffen mit Kublai Khan, dem Kriegsminister der Himmlischen Volksrepublik — derzeit damit beauftragt, die kommunistische Armee auszubilden und für die Invasion in New Kara-Hitai vorzubereiten…« Der Kaiser blickte auf. »Erweckt das deine Aufmerksamkeit, Gilgamesch?«

»Was erwartest du dir von mir?«

»Dieser Mann ist dein berühmter Freund. Du kennst seine Gedanken wie deine eigenen. Beschütze uns vor ihm, und ich werde dir alles geben, was du dir wünschst.«

»Was ich mir wünsche«, sagte Gilgamesch, »ist nur die Freundschaft Enkidus.«

»Dann werde ich dir Enkidu auf einem silbernen Tablett servieren. Zieh für mich ins Feld gegen die Truppen Maos. Hilf mir, den Strategien, die dein Enkidu ihnen beigebracht hat, zuvorzukommen. Wenn wir diese Marxistenhunde wegfegen und ihre Generäle gefangennehmen, und dann gehört Enkidu dir. Ich kann dir natürlich nicht garantieren, daß er wieder dein Freund sein will, aber er wird dir gehören. Was sagst du dazu? Was sagst du, Gilgamesch?«


Von einem Horizont zum anderen breiteten sich die Legionen des Priesters Johannes über die grauen Ebenen der Nachwelt. Vor dem düsteren Firmament zuckten scharlachrot und gelb die Feldbanner. Im Zentrum der Formation stand ein Keil von Berittenen in Lederrüstung; an beiden Flanken eine Abteilung Schwerer Infanterie; die Panzerspitze des Kaisers bildete die Vorhut und rollte gemächlich über das unebene zerklüftete Terrain vorwärts. Eine Phalanx von transatmosphärischen Waffenträgern sorgte hoch droben für Deckung aus der Höhe.

Eine Staubwolke in der Ferne verriet das Anrücken der Armee der Himmlischen Volksrepublik.

»Bei allen stygischen Dämonen!« rief Robert Howard laut. »Hast du jemals sowas Verrücktes gesehen?« Lovecraft und er genossen einen speziellen Ausblick auf das Geschehen von ihren Plätzen im kaiserlichen Kommandoposten, einer von einem glühenden Kraftfeld abgeschirmten großartigen Pagode. Auch Gilgamesch war da, gleich nebenan, mit dem Priester Johannes und den Generalstabsoffizieren von Kara-Khitai. Der Kaiser klebte vor einer Batterie von Fernsehmonitoren, und einer seiner Adjutanten hämmerte fieberhaft Befehle in die Tastatur eines Computerterminals. »Das ergibt doch keinen Sinn, verdammt«, sagte Howard. »Kavallerie, Panzer, fliegende Festungen, alles gleichzeitig — ist das die Vorstellung von diesen Hundesöhnen, wie man einen Krieg führt?«

Lovecraft legte den Zeigefinger über die Lippen. »Brüll hier nicht so rum, Bob! Oder willst du, daß der Priester dich hört? Wir sind hier Gäste, vergiß das nicht. Und Gesandte von König Heinrich.«

»Also, mir ist das egal, wenn er mich hört, soll er mich doch hören. Schau dir dieses irrsinnige Durcheinander an! Kapiert denn dieser Priester Johannes nicht, daß da ein chinesischer Bolschewik aus dem zwanzigsten Jahrhundert zum Angriff anrückt, mit Waffen aus dem zwanzigsten Jahrhundert? Was könnten Reiterformationen dagegen ausrichten, um Himmels willen? Eine Kavallerieattacke gegen schwere Geschütze? Pfeil und Bogen gegen Haubitzen?« Howard keckerte höhnisch. »Pfeile mit nuklearen Spitzen, ja? Ist das der Trick?«

Leise sagte Lovecraft: »Soweit wir das wissen können, ist es genau das.«

»Aber du weißt doch, daß das unmöglich ist, H. P. Ich bin erstaunt über dich. Ein Mann mit deinem wissenschaftlichen Rüstzeug. Mir ist klar, daß dieses ganze Atomzeug nach unserer Zeit kam, aber du hast dich ja bestimmt theoretisch auf dem laufenden gehalten. Eine kritische Masse auf einer Pfeilspitze? Nein, H. P. du weißt so gut wie ich, daß das nicht funktionieren kann. Und selbst wenn es möglich wäre…«

Höchst ärgerlich winkte Lovecraft ihm zu, er solle den Mund halten. Er zeigte durch den Raum zum Hauptmonitor vor dem Priester Johannes. Auf dem Bildschirm war das blühende Gesicht eines untersetzten Mannes mit dichtem weißen Backenbart zu sehen.

»Ist das nicht Hemingway?« fragte Lovecraft.

»Wer?«

»Ernest Hemingway. Ein Schriftstellerkollege. A Farewell to Arms — The Sun Also Rises…«

»Hab’ sein Zeug noch nie gemocht«, sagte Howard. »Angekränkelte Scheiße über einen Haufen besoffener Schwächlinge. Bist du sicher, er ist es?«

»Schwächlinge, Bob?« fragte Lovecraft erstaunt.

»Also, ich habe bloß dies eine Buch von ihm gelesen, über diese Amerikaner in Europa, die zum Stierkampf rennen und sich besaufen und mit den Weibern der anderen herumhuren — und das reichte mir an Erfahrungen mit Mr. Hemingway. Ich sage dir, H. P. es war mir widerlich. Und wie das Zeug geschrieben war! Ständig diese kurzen, knappen Sätze. Kein Zauber, keine Poesie, H. P. nichts.«

»Diskutieren wir ein andermal darüber, Bob.«

»Keinerlei Vision von Heldentum — kein Gespür für die erhabeneren Leidenschaften, die uns edler machen und…«

»Bob, ich bitte dich!«

»Fixiert auf das Gemeine, das Schleimige, das Verwerfliche…«

»Du liegst völlig daneben, Bob. Du interpretierst seine Lebensauffassung vollkommen falsch. Wenn du dir nur die Mühe gemacht hättest, A Farewell to Arms zu lesen…« Lovecraft schüttelte empört den Kopf. »Aber jetzt ist nicht die Zeit für ein literarisches Colloquium. Da, sieh lieber dorthin!« Er machte eine Kopfbewegung zur anderen Seite des Raums. »Einer der Adjutanten des Kaisers winkt uns, daß wir hinüberkommen sollen. Etwas tut sich da.«

Tatsächlich hatte es eine Entwicklung gegeben, sozusagen. Yeh-lu Ta-shih schien sich mit drei, vier Adjutanten gleichzeitig zu besprechen. Gilgamesch stampfte mit hochrotem Gesicht erregt vor der Computerbank auf und ab. Hemingways Gesicht war noch auf dem Schirm, und auch er wirkte aufgeregt.

Howard und Lovecraft eilten hinüber. Der Herrscher wandte sich zu ihnen um. »Es kam das Angebot einer Unterhandlung auf dem Kampffeld«, sagte er. »Kublai Khan ist auf dem Weg herüber. Dr. Schweitzer wird als mein Parlamentär fungieren. Ein Mr. Hemingway übernimmt die Rolle des neutralen Beobachters — ihres Unparteiischen. Auch ich benötige einen Unparteiischen. Würdet ihr zwei ebenfalls hingehen und als Diplomaten einer neutralen Macht ein Auge auf die Dinge haben?«

»Es ist uns eine Ehre, Euch zu Diensten zu sein, Majestät«, verkündete Howard großspurig.

»Und zu welchem Zweck, mein Lord, wurde die Unterhandlung vorgeschlagen?« fragte Lovecraft.

Yeh-lu Ta-shih wies auf den Bildschirm. »Dieser Mr. Hemingway hatte die brillante Idee, wir könnten die Angelegenheit durch einen Zweikampf entscheiden — Gilgamesch gegen Enkidu. Es würde eine Menge Munition sparen und einer Menge Kriegern die Mühe ersparen, sterben und wieder auferstehen zu müssen. Aber es gibt noch Meinungsverschiedenheiten über die Einzelheiten.« Geziert unterdrückte er ein Gähnen. »Vielleicht läßt sich das alles ja bis zum Mittagessen erledigen.«

Es war eine seltsame Gruppierung. Mao Tse-tungs Chefunterhändler war der kurzbeinige Kublai Khan in prachtvoller Robe, dessen dunkle schlaue Augen großen Scharfsinn und Willenskraft verrieten. In seinem früheren Leben war er selbst ein bedeutender Herrscher gewesen, hatte jedoch anscheinend für hier weniger mühsame Aufgaben vorgezogen. Neben ihm stand Hemingway, massig und schwer von Gestalt, mit tiefer Stimme und von einer unbekümmerten, beinahe überheblichen Art. Mao hatte auch vier Männchen in identischen blauen Uniformen mit einem roten Sternabzeichen auf der Brust mitgeschickt — »Parteibonzen«, murmelte jemand —, und merkwürdigerweise einen Haarmenschen, einen kurzbeinigen Mann mit breiter Stirn, kinnlos, eines dieser kuriosen Geschöpfe aus den frühesten Urzeiten der anderen Welt. Auch der Haarmensch trug das Kommunistenemblem auf der Uniform.

Und noch einer gehörte zu der Gruppe — der mächtige breitbrüstige Mann mit der umdüsterten Stirn und den wilden glühenden Augen, der allein und beiseite stand…

Gilgamesch konnte sich kaum dazu bewegen, ihn anzuschauen. Auch er stand ein wenig entfernt von der Gruppe und genoß den scharfen Wind, der über das Kampffeld wehte. Er sehnte sich danach, zu dem Mann — zu Enkidu hinüberzugehen, ihn in die Arme zu reißen, um mit dieser einen heftigen jubelnden Umarmung die ganze Bitterkeit wegzuschleudern, die sich trennend zwischen sie gestellt hatte…

Ach, wenn es nur so einfach hätte sein können!

Die Stimmen der Unterhändler von Mao und der fünf Personen, die der Priester Johannes ins Feld geschickt hatte — Dr. Schweitzer, Lovecraft, Howard und zwei Offiziere aus Kara-Khitai — wehten über dem heulenden Wind zu Gilgamesch herüber.

Hemingway schien das große Wort zu führen. »Ah, Schriftsteller seid ihr? Mr. Howard? Mr. Lovecraft? Ich bedaure, aber ich hatte nicht das Vergnügen, euren Arbeiten zu begegnen.«

»Es handelte sich um sogenannte Fantasy«, sagte Lovecraft. »Um Märchen. Visionen.«

»Ach so? Ihr veröffentlicht in Argosy? The Post?«

»Fünf in Argosy, aber das waren Westerngeschichten«, sagte Howard. »Hauptsächlich schreiben wir für Weird Tales. Und H. P. hat ein paar in Astounding Stories untergebracht.«

»Weird Tales«, sagte Hemingway. »Astounding Stories.« Der Schatten von Ekel zuckte über Hemingways Gesicht. »Hmmm. Glaube nicht, daß ich diese Zeitschriften kenne. Aber ihr habt anständig gearbeitet, Gentlemen, ja? Ihr habt aufs Papier gebracht, was ihr wirklich gesehen habt, die wirkliche Wahrheit, und ihr habt die Wahrheit sauber gesagt? Gewiß habt ihr das. Ich weiß, daß es so ist. Ihr wart anständige Schreiber. Das versteht sich fast von selbst. Man muß selber schreiben können, um einen anderen Schriftsteller erkennen zu können, meint ihr nicht auch? Möglicherweise hatte auch ich Zeiten, wo ich nicht in Bestform war, aber ich versuchte trotzdem immer, mein Bestes zu geben, würdet ihr nicht auch sagen? Ich habe mich immer um mein Bestes bemüht!« Er lachte, rieb sich fröhlich die Hände und legte den beiden die Arme auf die Schultern. Howard wirkte etwas bestürzt dabei, und Lovecraft sah aus, als würde er am liebsten im Boden versinken. »Well, Gentlemen«, röhrte Hemingway, »wie wollen wir die Geschichte hier anpacken? Wir haben ein kleines Problem. Der eine Held wünscht mit den bloßen Händen zu kämpfen, der andere mit — wie hat er das genannt? — einer Disruptionspistole. Ihr dürftet mehr darüber wissen als ich; irgend so eine Waffe aus Astounding Stories nehme ich an. Aber das können wir nicht gestatten, oder? Nackte Fäuste gegen phantastische Zukunftstechnologie? Es gibt eine anständige Art zu kämpfen, und die ist von Gleich zu Gleich, und alle anderen Arten sind einfach Mist.«

»Er möge zu mir mit seinen Fäusten kommen!« rief Gilgamesch aus der Ferne. »So, wie wir uns beim erstenmal im Kampf begegnet sind, auf dem Markt-desLandes, in Uruk, als mein Weg den seinigen kreuzte.«

»Er schreckt vor den neuen Waffen zurück«, rief Enkidu und warf einen bösen Blick in Gilgameschs Richtung.

»Er fürchtet sich?«

»Ich brachte ihm ein Gewehr, eine wundervolle zwölfkalibrige Waffe, ein Geschenk für meinen Bruder Gilgamesch, und er fuhr davor zurück, als hätte ich ihm eine Giftschlange gegeben.«

»Lüge!« brüllte Gilgamesch. »Ich hatte keine Angst davor! Ich verachtete das Ding, weil es eine Waffe für Feiglinge ist!«

»Er schreckt vor allem zurück, was neu ist«, erklärte Enkidu. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß Gilgamesch von Uruk Furcht kennen könnte, doch er fürchtet sich vor dem, was ihm unvertraut ist. Er nannte mich einen Feigling, weil ich mit einem Gewehr auf die Jagd ging. Doch ich denke, er war feige. Und jetzt fürchtet er sich auch wieder vor dem Unbekannten. Er weiß, daß ich ihn schlagen werde. Sogar hier noch fürchtet er den Tod, das sollt ihr wissen! Der Tod war für ihn schon immer der größte Schrecken. Und warum? Weil das seinen Stolz beleidigt? Ja, ich denke, das ist es. Er ist zu stolz zu sterben — zu sehr voller hochmütigem Stolz, um den Beschluß der Götter hinzunehmen…«

»Ich werde dich mit meinen bloßen Händen zerreißen!« brüllte Gilgamesch.

»Man gebe uns Disruptoren«, rief Enkidu. »Dann wollen wir sehen, ob er sich zutraut, eine solche Waffe in die Hand zu nehmen.«

»Die Waffe von Feiglingen!«

»Nennst du mich noch einmal feige? Du, Gilgamesch, du bist es, der vor Furcht bebt…«

»Meine Herren, bitte! Gentlemen!«

»Du fürchtest dich vor meiner Kraft, Enkidu!«

»Du fürchtest dich vor meiner Geschicklichkeit. Du — mit deinem kläglichen alten Schwert, mit deinem erbärmlichen alten Bogen…«

»Ist das der Enkidu, den ich liebte, der mich jetzt so verhöhnt?«

»Du hast mich zuerst verhöhnt, als du mir die Waffe hingeworfen hast, mein Geschenk verächtlich verschmäht hast und mich feige nanntest!«

»Die Waffe, sagte ich, ist feige. Nicht du, Enkidu.«

»Es war ein und dasselbe.«

»Bitte, bitte, so geht das nicht«, sagte Dr. Schweitzer.

Und von Hemingway wieder: »Gentlemen, please!«

Sie achteten nicht darauf.

»Ich meinte nur…«

»Du sagtest…«

»Schmach…«

»Furcht…«

»Ein dreifacher Feigling!«

»Ein fünffacher Verräter!«

»Treuloser Freund!«

»Eitler Prahlkropf!«

»Meine Herren, ich muß doch sehr bitten!«

Aber so laut und kräftig die Stimme von Ernest Hemingway sein mochte, das Brüllen, das aus der Kehle Gilgameschs wütend hervorbrach, übertönte ihn. In Gilgameschs Brust, in seiner Kehle, in seinen Schläfen hämmerte es laut und betäubend. Es war mehr, als er ertragen konnte. Es war genau wie damals, als ihr erster Zwist ausgebrochen war, als Enkidu mit diesem Schießgewehr zu ihm gekommen war, und er hatte es zurückgewiesen, und sie hatten zu zanken begonnen. Zu Beginn war es nur eine Meinungsverschiedenheit gewesen, dann wurde es ein heißer Streit, dann ein zänkisches Zerwürfnis voller scharfer ätzender gegenseitiger Beschuldigungen. Und dann waren Worte voll Wut zwischen ihnen gewechselt worden wie niemals zuvor zwischen ihnen, die doch intimer waren miteinander als Brüder.

Sie hatten sich nicht zu Handgreiflichkeiten hinreißen lassen, damals. Enkidu war einfach stolz davongestapft, hatte ihre Freundschaft für beendet erklärt. Aber jetzt — die gleichen Worte wieder zu hören — in die Enge getrieben wegen der Wahl der Waffen, mit denen sie gegeneinander kämpfen sollten —, vermochte Gilgamesch sich nicht länger in Zaum zu halten. Von Zorn und Enttäuschung übermannt, stürzte er vorwärts.

Enkidu erwartete ihn mit funkelnden Augen.

Hemingway machte den Versuch, zwischen sie zu treten. Doch so massiv er auch war, neben Gilgamesch und Enkidu wirkte er wie ein Kind, und sie schoben ihn mühelos beiseite. Mit einem Satz, der den Boden erzittern ließ, sprang Gilgamesch auf Enkidu zu und packte ihn mit beiden Händen.

Enkidu lachte. »Es soll also doch wieder nach deinem Kopf gehen, König Gilgamesch! Also mit bloßen Fäusten!«

»Es ist die einzige anständige Art. Bist du zum Kampf bereit?«

»Ich brenne darauf zu kämpfen, König Gilgamesch!«

Gilgamesch nickte. Endlich! Endlich! Die Wut, die schäumend in ihm tobte, würde ins Freie brechen können. Es gab in dieser und auch in der anderen Welt keinen Ringer, der sich mit Gilgamesch von Uruk messen konnte. Ich will ihn entzweibrechen, so wie er unsere Freundschaft zerbrochen hat. Ich werde ihm das Rückgrat zerreißen. Ich werde ihm die Brust zerquetschen. Er sammelte alle seine Kräfte und drückte und fühlte Enkidus Widerstreben wie von einer Mauer in der Hand, und er preßte erneut. Und wieder stieß er auf diesen Widerstand. Und erneut nahm er seine Kräfte zusammen.

Wie einst vor langer Zeit kämpften sie wie rasende Stiere. Sie glosten sich mit wütenden Augen an. Sie grunzten, schnaubten, brüllten. Gilgamesch schrie in der Sprache von Uruk und allen anderen Sprachen, die ihm einfielen, scharfe Herausforderungen; und Enkidu knurrte und fauchte ihm in der Sprache der Tiere ins Gesicht zurück, die einst sein Ausdrucksmittel gewesen war, als er noch ein Wilder war, mit dem heiseren Brüllen des Steppenlöwen.

Rasende Wut beherrschte nun beide. Gilgamesch verlangte es nach Enkidus Leben. Er liebte diesen Mann mehr als das Leben selbst, und dennoch betete er darum, daß es ihm vergönnt sein möge, Enkidus Rücken zu zerbrechen, das scharfe Knacken hören zu dürfen, wenn ihm die Wirbel zersplitterten, den Leib von sich zu schleudern wie einen alten abgetragenen Mantel. So stark war seine Liebe, daß sie sich in den glühendsten Haß verwandeln konnte. Ich werde ihn in die Finsternis und das Vergessen stürzen, dachte Gilgamesch. Ich werde ihn aus der Nachwelt hinausschleudern.

Doch obwohl er kämpfte wie nie zuvor in einem Zweikampf, er vermochte Enkidu nicht zu bewegen. Die Adern auf seiner Stirn schwollen an, die Nähte an seiner Armwunde barsten und das Blut floß ihm den Arm hinab; aber er rang weiter und wollte Enkidu zu Boden werfen, aber Enkidu hielt ihm immer noch stand. Und war ihm an Stärke gewachsen und konterte jeden Griff mit gleicher Kraft. Und so standen sie lange ineinander verschlungen da, starrten einander in die Augen, verfangen in einem nicht zu durchbrechenden Patt.

Und dann, viel, viel später, grinste Enkidu wild, und der harte Ringergriff verwandelte sich — behutsam, aber unmißverständlich in die warme Umarmung eines unverbrüchlichen Freundes. Und Enkidu sagte, wie er dies einst vor langer Zeit gesagt hatte: »Ach, mein Gilgamesch! Es gibt nicht einen deinesgleichen auf der ganzen Welt! Preis der Mutter, die dich getragen hat!«

Es war, als wäre ein Damm gebrochen, als stürzten die lebenspendenden Wasser wieder über die von der Sommerglut ausgebrannten Gefilde des Landes.

Auch Gilgamesch lockerte und veränderte seinen Griff. Und auch aus ihm kamen in diesem gesegneten Augenblick der Preisgabe und Erlösung Worte, wie sie schon zweimal gesprochen worden waren:

»Es gibt einen, der mir gleicht. Aber nur einen.«

»Nein. Denn dir hat Enlil das Königtum gegeben.«

»Doch du bist mein Bruder«, sagte Gilgamesch, und sie lachten und gaben einander frei aus ihrer Umarmung und traten zurück, als betrachteten sie sich zum erstenmal, und dann lachten sie erneut laut, und jene, die im Kreis um sie herumstanden, schienen sich in Dunst aufzulösen und aus ihrer Sicht zu verschwinden, so daß es in der ganzen Welt nur Gilgamesch und Enkidu und Enkidu und Gilgamesch gab.

»Das ist eine große Torheit«, sagte Enkidu leise, »dieser Kampf zwischen uns.«

»Wahrhaftig, eine ganz gewaltige Torheit, Bruder.«

»Wozu braucht man schon Waffen und Disruptoren.«

»Und warum sollte es mich ärgern, wenn es dir Spaß macht, mit derlei Spielzeug herumzuhantieren?«

»Wahrhaftig, Bruder.«

»Ja, wahrhaftig.«

Gilgamesch blickte sich um. Alle waren verstummt und starrten zu ihnen herüber — die vier Parteibonzen, Lovecraft, Howard, der Haarmensch, Kublai Khan, Hemingway… alle verblüfft und mit offenen Mäulern, wie in einer Betäubungsstarre gefangen. Nur dieser Dr. Schweitzer schien die Bedeutung dieses Moments begriffen zu haben. Er strahlte sie herzlich an. Er kam zu ihnen herüber, spähte zu ihnen herauf und sagte gelassen: »Ihr habt einander nicht verletzt? Gut, sehr gut. Aber dann müßt ihr jetzt gehen. Geht von hier fort, ihr zwei. Gemeinsam! Jetzt! Ihr habt einander gefunden — ihr müßt einander festhalten. Was geht euch der Priester Johannes an und seine Kriege? Oder Mao und seine? Das ist nicht eure Sache. Geht schon. Geht!«

Enkidu grinste. »Was hältst du davon, Bruder? Ziehen wir los und jagen zusammen?«

»Bis ans Ende des Outback und wieder zurück! Du und ich, und sonst keiner!«

»Und wir jagen nur mit unseren Bogen und den Speeren?«

Gilgamesch zuckte die Achseln. »Mit Disruptoren, wenn du es so haben willst. Mit Kanonen. Mit Nuklearsprengköpfen, wenn du das so haben willst. Ach, Enkidu, Enkidu…«

»Gilgamesch!«

»Geht schon!« flüsterte Schweitzer. »Los jetzt! Verschwindet von hier und seht euch nicht um! Auf Wiedersehen! Glückliche Fahrt! In Gottes Namen, geht! Verschwindet jetzt!«



Während er ihnen nachsah, wie sie Seite an Seite durch die wirbelnden Sturmwinde ins Outback stapften, verspürte Robert Howard auf einmal ein Gefühl von schmerzlichem Verlust und Bedauern. Wie wundervoll hatten sie ausgesehen, diese beiden Helden, diese zwei Giganten, als sie miteinander rangen und sich maßen! Und dann, dieser urplötzliche Augenblick, als sie begriffen, wie wahnsinnig ihr Zwist war, und sie nicht länger Feinde waren, sondern wieder Brüder…

… Und nun waren sie fort. Und er stand da inmitten all dieser anderen, dieser Fremdlinge…

Er hatte sich so gewünscht, Gilgamesch ein Bruder zu sein, oder vielleicht — aber das begriff er nicht so ganz — etwas anderes und mehr als ein Bruder. Doch so etwas war natürlich vollkommen ausgeschlossen… Und da er wußte, daß es völlig unmöglich war, und weil er erkannte, daß der Mann, der seinem Conan so ähnlich war, ihm für immer verloren sein würde, spürte Howard, wie ihm unkontrollierbar die Tränen in die Augen stiegen.

»Bob?« fragte Lovecraft. »He, Bob. Ist was?«

Schei-heiße, dachte Howard. Ein Mann darf doch nicht weinen. Besonders nicht vor anderen Männern.

Er wandte sich ab, das Gesicht dem Wind zu, so daß Lovecraft es nicht sehen konnte.

»Bob? Bob!?«

Oh, Scheiße, dachte Howard. Und dann ließ er seinen Tränen freien Lauf.

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