1. Kapitel


Als Eddie Davis an jenem Montagmorgen erwachte, hatte er noch keine Ahnung, daß ihm an diesem Tag das aufregendste Abenteuer seines ganzen Lebens bevorstand, geschweige denn, daß in ein paar Tagen ein halbes Dutzend Leute, von denen er noch nie etwas gehört hatte, ihn zu ermorden versuchen würden.

Eddie Davis war Schauspieler. Kein großer und berühmter. Offen gesagt, er war nicht einmal ein besonders guter. Aber er war ein freundlicher und anständiger Mensch. Er war klein und dunkelhaarig, hatte braune Augen, dicke Brauen und trug einen kleinen Schnurrbart. Er lebte zusammen mit seiner Frau Mary, die gerade ihr erstes Baby erwartete, in einer kleinen Wohnung in New York.

Eddie hatte schon seit mehreren Monaten kein Engagement mehr und brauchte dringend eines, um Geld für das erwartete neue Familienmitglied zu verdienen. Er war bereits mit der Miete im Rückstand, und im Lebensmittelladen konnte er auch bald nicht mehr anschreiben lassen.

»Ich fahre mal heute nachmittag zu Johnson in die Stadt«, sagte er zu Mary, »und mache ihm klar, daß ich unbedingt Arbeit brauche.«

Johnson war sein Agent.

»Bis dann also.«

Er zog seinen besten Anzug an und ging los.

Johnson war ein sehr beschäftigter Mann. Er vertrat eine Anzahl bedeutender Schauspieler und hatte wenig Zeit für unbedeutende wie beispielsweise Eddie Davis.

Als ihm seine Sekretärin meldete: »Eddie Davis ist hier und will Sie sprechen«, winkte Johnson gleich ab: »Sagen Sie ihm, ich bin nicht da.«

Aber Eddie Davis wollte sich diesmal nicht so einfach abspeisen lassen. Er sagte zu der Sekretärin: »Sagen Sie Mr.

Johnson, daß ich hier im Vorzimmer sitzen bleibe, bis er mich empfängt.«

Johnson ließ Eddie tatsächlich bis sechs Uhr abends warten. Als er dann einsah, daß er ihn doch nicht loswerden würde, gab er schließlich auf und sagte zu seiner Sekretärin: »Also schön, schicken Sie ihn rein.«

Eddie Davis kam in sein Büro.

»Hallo, Eddie!« sagte Johnson. »Was kann ich für Sie tun?«

»Sie können mir ein Engagement verschaffen«, sagte Eddie Davis. »Dafür sind Sie schließlich da als Agent.«

Johnson setzte sich zurück und musterte ihn. »Ich muß Ihnen wohl mal die Wahrheit sagen«, erklärte er ihm. »Sie sind einfach nicht gefragt.«

»Gefragt« im Schaugeschäft bedeutet, daß einen alle haben wollen und daß Produzenten und Regisseure ganz wild darauf sind, einen für einen Film oder ein Fernsehprogramm zu engagieren.

»Jetzt passen Sie mal auf«, sagte Eddie Davis, »ich rede jetzt auch ganz offen mit Ihnen. Mary bekommt ein Baby. Wir sind mit sämtlichen Rechnungen im Rückstand.« Er war den Tränen nahe. »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll.«

Johnson seufzte. »Es sieht schlecht aus zur Zeit, Eddie. Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber -« Da fiel ihm plötzlich etwas ein. »Warten Sie, da ist eine Gastspielreise. Eine Truppe geht mit My Fair Lady auf Südamerikatournee. Eine kleine Rolle ist noch nicht besetzt. Wenn Sie die haben wollen? Die Tournee dauert sechs Wochen.«

»Südamerika?« sagte Eddie.

»Richtig. Als erstes ein kleines Land, das heißt Amador. Gleich neben Kolumbien.«

Eddie Davis war nicht so begeistert. Jetzt, kurz bevor Mary das Baby bekam, sollte er bis nach Südamerika? Andererseits hatte er gar keine andere Wahl. Sechs Wochen Verdienst, das löste immerhin ihre vordringlichsten Probleme.

»Ich nehme es«, sagte er.

Johnson sagte: »Dann will ich mal telefonieren.«

Als er danach wieder auflegte, wandte er sich Eddie zu und lächelte: »Alles klar. Sie haben die Rolle. Fünfhundert Dollar die Woche.«

Eddie überschlug rasch die Gesamtsumme. Fünfhundert pro Woche, sechs lange Wochen lang, das machte dreitausend Dollar. Ein Vermögen war es nicht gerade, aber er konnte ein paar Rechnungen damit bezahlen.

Er stand auf. »Danke«, sagte er.

Jetzt mußte er Mary die Neuigkeit mitteilen.

»Amador?« rief Mary ungläubig. »Nach Südamerika fährst du? Und läßt mich hier allein, wenn ich das Baby bekomme?«

»Nein, Schatz«, sagte Eddie und besänftigte sie, »ich bin rechtzeitig wieder zurück. Meinst du etwa, ich mache das gerne? Ich tue es schließlich für dich und für das Baby! Mit dem Geld kommen wir wieder auf die Füße!«

»Ja, ich weiß, daß ich dumm bin«, sagte Mary, »aber du wirst mir so sehr fehlen.«

»Du mir doch auch, Schatz. Ich werde jede Minute an dich denken.«

»Wann mußt du los?« fragte Mary.

»Morgen früh.«

»So bald schon?«

»Ja. Der einzige Grund, warum ich die Rolle in letzter Minute bekam, war, daß jemand aus der Truppe krank wurde. Es sieht so aus, als sei meine Pechsträhne zu Ende.«

Am nächsten Morgen nahm Eddie ein Taxi zum Flughafen. Dort war die gesamte Tourneegruppe bereits versammelt und reisefertig. Eddie stellte sich allen vor.

»Ich war noch nie in Amador«, sagte die Hauptdarstellerin. »Das wird hochinteressant werden.«

»Ganz bestimmt«, sagte Eddie.

Er konnte nicht ahnen, wie hochinteressant und aufregend es tatsächlich werden sollte.

Amador ist ein kleines Land in Südamerika zwischen Kolumbien und Bolivien. Es wurde zu dieser Zeit regiert von einem brutalen Diktator namens Colonel Ramon Bolivar. Er war ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit braunen Augen und dicken Brauen. Das Volk haßte ihn, aber er war so mächtig, daß es nichts gegen ihn unternehmen konnte. Er hatte keine Opposition, weil er seine Gegner entweder ins Gefängnis warf oder gleich umbringen ließ.

Mehrere Gruppen hatten schon Mordanschläge gegen Colonel Bolivar versucht. Er eignete sich Land an, konfiszierte den Leuten ihre Häuser, vergewaltigte die Frauen und hielt das Volk in Not und Hunger, während er immer reicher wurde. Er besaß wirklich große Macht. Und er liebte es auch, mächtig zu sein.

Allerdings hatte er ein Problem.

Am gleichen Tag, an dem die My Fair Lady-Tourneetruppe auf dem Weg nach Amador war, mußte Colonel Ramon Bolivar, der Diktator von Amador, eine schlechte Nachricht von seinem Arzt entgegennehmen.

Der Arzt besah sich einige Röntgenaufnahmen. »Ich bedauere sehr, Colonel, aber es besteht leider kein Zweifel. Sie müssen einen Herz-Bypass bekommen.«

»Sie sind nicht bei Trost!« rief Bolivar mit Donnerstimme. »Ich habe ein Herz wie ein Löwe!«

»Sie haben ein Herz wie ein kranker Löwe. Ich muß Sie pflichtgemäß warnen. Wenn Sie sich der Operation nicht unterziehen, sind Sie in einer Woche ein toter Mann!«

»Ist die Operation gefährlich?«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Nein, das ist eine ziemliche Routinesache.« »Wie lange dauert es, bis ich danach wieder auf dem Damm bin?«

»Das«, sagte der Doktor, »ist schwer zu sagen. Ein paar Wochen, vielleicht auch ein paar Monate.«

Und das war der springende Punkt. Ramon Bolivar fürchtete sich vor der Operation eigentlich gar nicht, dafür um so mehr vor etwas anderem. Wenn sein Volk erfuhr, daß er krank darniederlag, hilflos in einer Klinik, dann gab es mit Sicherheit Revolten und Unruhen, und seine Regierung wurde gestürzt. Es war ihm durchaus nicht unbekannt, wie unbeliebt er war.

»Was also wollen Sie tun?« fragte ihn der Arzt.

Ramon Bolivar erhob sich. »Weiß noch nicht.«

Er stand in der Tat vor einem schwierigen Problem. Ließ er sich nicht operieren, starb er. Ließ er sich operieren, verlor er seine Macht. Aber ohne Macht bedeutete ihm das ganze Leben nichts.

»Schieben Sie es nicht zu lange hinaus«, warnte ihn der Doktor.

»Schon gut.«

Bolivars engster Mitarbeiter und der einzige Mensch, dem er wirklich vertraute, war Capitan Juan Torres. Allen anderen Leuten um sich herum mißtraute er.

Capitan Torres war ein Kleiderschrank von Mann, der Spaß daran hatte, Menschen zu quälen und zu foltern. Er hatte kalte braune Augen und einen brutalen Mund.

Als Bolivar von seiner Arztvisite zurückkam, unterrichtete er Capitan Torres von allem. Sie saßen in einem abgeschlossenen Raum beieinander.

»Was sagte der Doktor genau?« fragte Torres.

»Er sagte, wenn ich diese Herzoperation nicht machen lasse, sterbe ich.«

»Dann müssen Sie sie natürlich machen lassen.«

Colonel Bolivar aber schüttelte den Kopf. »Sie wissen doch genau, was passieren wird, wenn ich wochenlang nicht im Palast bin. Die Leute werden mißtrauisch, finden heraus, was los ist, und machen einen Aufstand. Sie stürmen den Palast und bringen mich um.«

Juan Torres wußte sehr gut, daß das stimmte. Er wußte auch, wie sehr das Volk seinen Diktator haßte.

»Wir müssen uns etwas überlegen«, sagte Colonel Bolivar. »Vielleicht gibt mir Gott eine Antwort ein.«

In eben diesem selben Augenblick saß die Antwort auf Colonel Bolivars Probleme noch im Flugzeug, das soeben auf dem Flughafen von Amador landete. Der Theatermanager hatte einen Bus geschickt, um die Schauspieler der Truppe von My Fair Lady abzuholen.

»Willkommen in unserem großen Land!« sagte er zur Begrüßung. »Das Volk von Amador ist glücklich, Sie hier zu haben, um von Ihnen erfreut zu werden.«

Auf der Fahrt zum Hotel bemerkte Eddie Davis, daß es hier einen Boulevard Bolivar gab und eine Bolivar-Schule und ein Bolivar-Bürogebäude, und daß den ganzen Weg entlang Bilder des Diktators am Straßenrand hingen.

Komisch, dachte Eddie Davis, der sieht aus wie ich.

Im Hotel Bolivar wurden den Schauspielern ihre Zimmer zugeteilt. Das erste, was Eddie Davis tat, war, daß er seine Frau anrief.

Sie antwortete schon beim ersten Klingeln. »Eddie? Hallo, Schatz! Seid ihr gut angekommen?«

»Ja.«

»Wie war der Flug?«

»Sehr schön. Ich habe auch schon alle Kollegen kennengelernt.«

»Sicher haben sie sich gefreut, daß du dabei bist.«

»Ja, sicher«, sagte Eddie.

»Hast du eigentlich eine große Rolle in dem Stück?«

Er wollte ihr nicht sagen, daß er tatsächlich nur ein paar Zeilen Text hatte. »Es ist eine sehr wichtige Rolle«, log er deshalb.

»Ich bin so stolz auf dich. Wie geht eure Tournee weiter?«

»Nun, wir spielen hier eine Woche lang, dann reisen wir weiter nach Chile und dann nach Kolumbien und Ecuador. Ich schicke dir noch den ganzen Reiseplan.«

Was Eddie zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht wissen konnte, war, daß er nie an allen diesen anderen Orten ankommen sollte.

Die My Fair Lady-Truppe versammelte sich am nächsten Morgen zur ersten Probe im Bolivar-Theater. Außer Eddie Davis hatten sie alle schon zuvor das Stück gespielt, so daß es keine Probleme bei der Probe gab. Die erste Vorstellung sollte am Abend sein.

Colonel Bolivar ging niemals ins Theater. Dafür versäumte Capitan Torres keine einzige Premiere. Er suchte sich dabei immer gerne die hübschen Mädchen aus dem Chor oder der Statisterie aus, die er dann in eine Hotel-Suite einlud, die stets für ihn bereitstand. Es gab keine, die es gewagt hätte, eine solche Einladung auszuschlagen.

Nun hatte er zwar seiner Frau versprochen, sie zur Premiere von My Fair Lady mitzunehmen, ging dann aber doch mit einer seiner Geliebten hin.

Er saß im Publikum und sah der Vorstellung zu, war jedoch innerlich ruhelos und nervös. Er mußte über das Problem des Diktators Colonel Bolivar nachdenken. Wurde Bolivar gestürzt, dann war es auch mit ihm vorbei. Und er hatte keinen Zweifel daran, daß bei einem Umsturz nicht nur zuerst Bolivar umgebracht würde, sondern gleich danach auch er. Es war eine böse Situation. Deshalb interessierte ihn auch, was gerade auf der Bühne vorging, nicht so übermäßig.

Er flüsterte seiner Geliebten zu: »Gehen wir!« »Aber es ist doch erst der erste Akt«, protestierte die Dame. »Warum bleiben wir denn nicht ...?«

»Halt den Mund und komm«, sagte Capitan Torres.

Er stand auf und begann in Richtung Mittelgang zu gehen. Dabei wandte er sich noch einmal einen Moment der Bühne zu - und erstarrte.

Was er da sah, war ganz unmöglich. Da war soeben Colonel Ramon Bolivar auf die Bühne gekommen! Er trug allerdings einen Schnurrbart.

Juan Torres stand da wie angewurzelt.

Großer Gott, dachte er, das ist ein Schauspieler. Aber er sieht genauso aus wie Colonel Bolivar!

In seinem Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander.

»Fahr du nach Hause«, befahl er seiner Geliebten. »Ich muß noch hinter die Bühne.«

Denn er hatte einen Einfall, der so gewagt war, daß ihm fast die Luft wegblieb vor Aufregung.

Der Mann dort auf der Bühne, der heruntergerissen wie der Diktator aussah, war ein Schauspieler, nicht wahr? Einmal angenommen - nur angenommen! -, er konnte Colonel Bolivar imitieren, während dieser zu seiner Herzoperation im Krankenhaus war .? Das würde doch alle Probleme lösen!

Capitan Torres überlegte fieberhaft.

Als Eddie Davis in seine Garderobe zurückkam, wartete dort Capitan Torres auf ihn.

Capitan Torres saß da, starrte ihn an und staunte. Aus der Nähe war die Ähnlichkeit noch verblüffender. Er hätte geradezu schwören können, seinen geliebten Diktator vor sich zu sehen.

»Hallo«, sagte Eddie Davis.

Capitan Torres stand auf und streckte ihm die Hand hin. »Mr. Davis, ich bin ein Bewunderer von Ihnen.«

»So?« sagte Eddie und strahlte.

»Ja. Ich habe Sie heute abend auf der Bühne gesehen. Sie waren ganz großartig.«

»Oh, vielen Dank!« sagte Eddie.

»Tatsächlich bin ich sogar so beeindruckt, daß ich Sie unserem großen Führer Colonel Ramon Bolivar vorstellen möchte. Ich habe bereits mit ihm über Sie gesprochen, und er bat mich, Sie zu ihm in den Palast zu bringen.«

Eddie konnte sein großes Glück gar nicht recht fassen. Man begann also tatsächlich, sein Talent zur Kenntnis zu nehmen!

»Das ist toll!« sagte er. »Kommt das ganze Ensemble mit?«

»Nein«, antwortete Capitan Torres, »nur Sie.«

»Das ist ja wunderbar!«

Fünf Minuten darauf waren sie schon auf dem Weg zum Bolivar-Palast.

Juan Torres hatte den Diktator bereits vom Theater aus angerufen. »Sie werden es nicht glauben«, sagte er ihm aufgeregt, »aber er sieht heruntergerissen aus wie Sie.«

»Niemand sieht mir gleich«, bellte Colonel Bolivar. »Das lasse ich nicht zu.«

Aber Capitan Torres sagte rasch: »Selbstverständlich sieht er nicht so gut aus wie Sie, das ist klar, oder so vornehm. Aber es ist doch eine sehr große Ähnlichkeit. Ich bin überzeugt, das klappt.«

»Na gut«, sagte Colonel Bolivar, »dann sehe ich mir Ihren Schauspieler halt einmal an.«

Eddie saß in der großen schwarzen Limousine auf dem Rücksitz neben Capitan Torres. Vorne saß der Chauffeur und neben ihm ein Leibwächter mit einer Maschinenpistole.

Das verwunderte ihn denn doch.

»Wieso«, fragte er, »hat der Mann eine Maschinenpistole?«

Capitan Torres sah ihn an und erklärte: »Es kommen manchmal wilde Tiere von den Bergen herab.«

»Ach so«, sagte Eddie.

Als sie am Palast ankamen, instruierte Capitan Torres den Chauffeur, zum Hintereingang zu fahren. Dort standen bewaffnete Wächter am Tor, aber als sie die Limousine von Capitan Torres erkannten, winkten sie sie ohne weiteres durch.

Eddie war fassungslos über die Größe des Palastes.

»Das ist ja riesengroß hier«, sagte er.

»Das ist noch gar nichts«, prahlte Capitan Torres, »Colonel Bolivar besitzt Häuser überall in ganz Amador.«

Sie stiegen aus und gingen auf den rückwärtigen Palasteingang zu. Sie betraten den Palast. Capitan Torres achtete darauf, daß niemand zugegen war, der den Schauspieler sehen konnte. Er führte ihn in das Arbeitszimmer Bolivars, in dem dieser schon die ganze Zeit nervös hin und her lief.

»Da ist er«, sagte Capitan Torres.

Colonel Ramon Bolivar starrte Eddie ungläubig an.

»Herr im Himmel«, stammelte er, »Sie haben völlig recht. Er ist ich!«

»Ja, wir sehen uns wohl ein wenig ähnlich, wie?« erklärte Eddie Davis unbefangen.

»Ein wenig? Wenn Sie Ihren Schnurrbart abrasieren, kann kein Mensch mehr den Unterschied zwischen uns feststellen!«

Er betrachtete sich Eddie nun näher. »Unglaublich«, sagte er schließlich aufgeregt. »Wenn Sie uns vielleicht für einen Moment entschuldigen?«

»Klar doch«, sagte Eddie. Er verstand nicht, warum dieser Colonel so aufgeregt war.

Colonel Bolivar faßte Capitan Torres am Arm und führte ihn in das Nebenzimmer.

»Nun, was meinen Sie?« fragte der Capitan.

»Es könnte tatsächlich klappen«, sagte der Diktator. »Allerdings bestehen natürlich gewisse Probleme. Es kann Leute geben, die etwas ahnen und ihm dann Fragen stellen, und er wüßte nicht, was er sagen oder wie er sich verhalten soll.«

»Das lassen Sie meine Sorge sein«, versicherte Capitan Torres seinem Colonel. »Ich weiche ihm nicht von der Seite, Tag und Nacht. Und wie viele Leute stehen Ihnen schon nahe? Außer mir doch niemand. Also. Wenn wir ihm seinen Schnurrbart abrasieren und ihm einstudieren, wie Sie zu gehen und zu sprechen, wer sollte da einen Unterschied bemerken können? Ich halte ihn ohnehin soweit wie nur möglich von den Leuten fern.«

Colonel Bolivar dachte nach. »Ja«, sagte er schließlich, »ich glaube, das könnte klappen. Kommen Sie, wir reden mit ihm.«

Sie begaben sich zusammen zurück in das Arbeitszimmer.

Colonel Bolivar sagte: »Ich höre von Capitan Torres, was für ein grandioser Schauspieler Sie sind.«

»Ja, ich habe schon einige ganz gute Kritiken gehabt«, nickte Eddie. »Zum Beispiel schrieb die Wochenzeitung von Long Island, daß ich -«

»Wären Sie an einer Stellung interessiert?«

»An einer Stellung?«

»Bei mir.«

»Oh, das ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich habe ja schon eine Beschäftigung. Ich kann mein Ensemble nicht gut einfach verlassen.«

»Ja, aber die Arbeit hier könnte sehr viel interessanter sein. Sie dauert zwar nur ein paar Wochen, aber sie wird sehr gut bezahlt.«

»Vielen Dank«, sagte Eddie, »aber ich kann doch die Truppe nicht im Stich lassen.«

»Hunderttausend Dollar«, sagte der Diktator.

Eddie Davis brachte den Mund nicht mehr zu. »Wie bitte?« sagte er schließlich.

»Ich bezahle Ihnen hunderttausend Dollar.«

Eddie schluckte schwer. »Und was müßte ich dafür tun?«

Colonel Bolivar lächelte. »Es ist ganz einfach. Fast nicht der Rede wert. Nur Ihren Schnurrbart abrasieren.«

»Was denn, Sie wollen mir hunderttausend Dollar bezahlen, nur damit ich mir den Bart abnehme?« »Und so tun, als seien Sie ich.« Der Colonel sprach ganz sanft auf ihn ein. »Sehen Sie, es ist so. Ich muß eine kleine Geschäftsreise unternehmen, und das Volk macht sich Sorgen, wenn ich weg bin. Denn es liebt mich sehr. Alles, was Sie deshalb zu tun haben, ist, während ich weg bin, hier im Palast zu sein und so zu tun, als seien Sie ich.«

»Ja, aber alle Ihre Freunde werden das doch merken?«

»Nein«, sagte Colonel Bolivar. Und da sprach er durchaus die Wahrheit. Denn er hatte ja gar keine Freunde. Der einzige, der in das Geheimnis eingeweiht sein würde, war Capitan Torres. Nicht einmal seine Frau und seine Geliebte sollten es erfahren.

»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«

Colonel Bolivar ging zu einem in die Wand eingelassenen Safe, öffnete ihn, nahm hunderttausend Dollar heraus, kam wieder zu Eddie und gab sie ihm.

»Hier«, sagte er, »Ihr Honorar im voraus. Nehmen Sie jetzt an?«

In Eddies Kopf drehte sich alles. Er dachte daran, was er alles mit dem Geld für sich und für Mary und für das Baby kaufen könnte.

»Ja«, sagte er erregt, »natürlich. Ich mache es.«

Colonel Bolivar gab ihm die Hand. »Gut. Dann ist es also abgemacht.«

»Toll«, sagte Eddie, »dann fahre ich jetzt zurück in mein Hotel und hole dort meine Sachen und -«

»Sie brauchen nichts«, erklärte ihm Colonel Bolivar. »Sie tragen meine Sachen und meine Uniformen. Sie passen Ihnen ja auch wie angegossen.«

»Ja, aber ich muß doch meiner Truppe sagen, daß ich sie verlasse. Ich kann doch nicht einfach verschwinden ...«

»Machen Sie sich darüber keine Sorgen«, sagte Capitan Tor-res. »Darum kümmere ich mich«, log er.

»Oh, sehr freundlich!« sagte Eddie. »Und wann soll es losgehen?«

»Es ist schon losgegangen.« Colonel Bolivar lächelte ihn an. »Ich glaube, die Rolle wird Ihnen gut gefallen.«

»Da bin ich ganz sicher«, nickte Eddie.

Colonel Bolivar deutete auf eine Tür. »Dort drinnen sind meine Kleider. Sehen Sie sich doch schon einmal um.«

»Vielen Dank.«

Sie sahen ihm hinterher, wie er durch die Tür in das Schlafzimmer verschwand.

Dann wandte Colonel Bolivar sich an Capitan Torres. »Wenn ich aus dem Krankenhaus zurückkomme, nehmen Sie ihm die hunderttausend Dollar wieder ab und bringen ihn unauffällig um.«

2. Kapitel

Eddie Davis ging wie auf Wolken. Er hatte hunderttausend Dollar - mehr als er in seinem ganzen Leben jemals zu besitzen hatte träumen können! - und die Chance, die größte Rolle seiner Karriere zu spielen! Er würde alle Welt glauben machen, er sei der Diktator Bolivar! Es war eine große Aufgabe, der er sich jedoch absolut gewachsen fühlte.

Capitan Torres wartete auf ihn. Er führte ihn in einen Raum voller Uniformen.

»Wollen mal sehen«, sagte er, »wie die Ihnen passen.«

Er probierte mehrere an, und alle paßten ihm tatsächlich wie angegossen. Weil er ja exakt die gleiche Figur hatte wie Colonel Bolivar.

»Perfekt«, erklärte Capitan Torres. »Und jetzt nehmen wir Ihnen den Bart ab.«

Er führte ihn zu einem Stuhl und ließ ihn sich dort setzen, dann holte er Rasierzeug und begann Eddie zu rasieren. Dabei dachte er für sich: Wenn wir mit dieser Scharade fertig sind, könnte ich ihm die Kehle durchschneiden. Oder vielleicht erschieße ich ihn doch lieber. Ach was, das kann ich mir immer noch überlegen, wenn es soweit ist.

Als der Bart ab war, sah sich Capitan Torres total dem Gesicht von Colonel Bolivar gegenüber. Und er dachte: Das ist einfach unglaublich.

»Sie könnten Zwillinge sein!«

»Glaube ich eher nicht«, meinte Eddie. »Meine Mutter ist aus Chicago, wissen Sie.«

»Na schön«, sagte Capitan Torres, »also dann muß ich Ihnen jetzt beibringen, wie der Colonel geht und spricht.«

In diesem Augenblick kam Colonel Bolivar herein. Auch er starrte wieder verblüfft auf Eddie. »Das bin ich, wie ich leibe und lebe«, sagte er. »Unfaßbar. Zeigen Sie mir mal, wie Sie gehen.«

Eddie ging quer durch den Raum.

»Nein, nein, nein!« dröhnte Colonel Bolivar nun jedoch sofort. »Schauen Sie, so!«

Eddie sah zu, wie der Colonel durch den Raum schritt, fast, als marschierte er.

»So gehe ich. Können Sie das?«

»Ich kann jeden imitieren«, versicherte Eddie selbstbewußt. »Schließlich bin ich Schauspieler.«

Sie beobachteten ihn, wie er versuchte, den Gang des Diktators zu imitieren.

»Schon besser«, nickte Colonel Bolivar, »aber noch nicht perfekt.«

Er zeigte es ihm noch einmal. »So müssen Sie gehen.«

Diesmal konnte es Eddie schon besser.

»Schon besser«, nickte Colonel Bolivar wieder. »Jetzt passen Sie auf, was ich sage, und sagen Sie es nach: Du räudiger Hund, du wirst mir gehorchen oder du stirbst!«

»Du räudiger Hund«, sagte Eddie, »du wirst mir gehorchen oder du stirbst.«

»Nein, nein!« schrie der Colonel. »Das klingt ja wie ein kleines Mädchen. Das müssen Sie ernst meinen. Daß Sie ihn wirklich töten.«

Eddie versuchte es noch einmal. »Du räudiger Hund, du wirst mir gehorchen oder du stirbst!«

»Das kommt der Sache schon näher«, sagte der Colonel. »Capitan Torres wird sich um alles weitere kümmern. Ich muß bald weg. Er zeigt Ihnen meine Wohnräume, wo Sie einziehen werden. Denken Sie daran, bis zu meiner Rückkehr sind Sie ich! Capitan Torres wird stets an Ihrer Seite sein und aufpassen und dafür sorgen, daß Sie in keine Schwierigkeiten geraten.«

»Machen Sie sich keine Sorgen«, versicherte ihm Eddie. »Ich bin schließlich Schauspieler.«

Und bald ein toter, dachte Colonel Bolivar im stillen dazu.

Eddie betrachtete sich im Spiegel. Er hatte eine prächtige Uniform an mit Goldtressen und vielen Orden. Er sah aus wie ein richtiger Held. Unwillkürlich richtete er sich höher auf. Ich denke, ich werde mal den Palast erkunden, dachte er.

Er ging hinaus auf den großen Korridor. Dieser schien sich meilenweit hinzuziehen. Als er ihn entlangging, sah er, daß links und rechts überall Zimmer waren. Arbeiter waren eifrig dabei, den Boden und die Lampen zu putzen. Im Vorbeigehen nickte er ihnen allen zu und sagte: »Guten Morgen. Guten Morgen. Guten Morgen.«

Da wunderten sich alle sehr, und der Mund blieb ihnen offen. Noch nie hatte Colonel Bolivar sie auch nur eines Wortes gewürdigt!

Wieso die alle so still sind, dachte Eddie.

Er kam an einem wunderschönen Dienstmädchen in einem kurzen Kleidchen vorüber.

»Es hat mir sehr gut gefallen gestern nacht«, flüsterte sie und eilte davon.

Eddie starrte ihr verwundert hinterher.

Dann ging er weiter. An einem Tisch saß ein alter Mann und putzte Silber.

»Guten Morgen«, sagte Eddie freundlich.

Der alte Mann blickte auf, wurde weiß wie die Wand und fiel in Ohnmacht. Zwei andere Diener eilten herbei, hoben ihn hoch und trugen ihn weg.

Was ist denn hier los? fragte sich Eddie stirnrunzelnd.

Er schlenderte weiter den schier endlosen Korridor entlang. Ein weiteres hübsches Mädchen in kurzem Dienstmädchen-röckchen kam vorbei, hauchte ihm ebenfalls knicksend zu: »Vergangene Nacht war wunderbar«, und eilte schon wieder davon.

Meine Güte, dachte Eddie, dieser Colonel Bolivar scheint ja wirklich ein sehr beschäftigter Mann zu sein. Wann hat der eigentlich noch Zeit zum Regieren?

Er blieb stehen und überlegte, ob es nicht Zeit sei, zurück in sein Zimmer zu gehen, um sich dort mit Capitan Torres zu treffen. Er drehte sich um und entdeckte, daß er sich verlaufen hatte und nicht mehr wußte, wo er war. Überall, wohin er auch sah, ging es in andere Räume. Direkt vor ihm allerdings war eine geschlossene Tür. Er ging hin, stieß sie auf und fand sich in einer riesigen Küche. Ein halbes Dutzend Leute vom Dienstpersonal waren gerade beim Essen.

Sie sahen auf, als er eintrat und sprangen erschrocken hoch. Einer sagte: »Bitte, Herr, wir haben das Essen nicht gestohlen. Wir haben mit unserem eigenen Geld dafür bezahlt.«

Und eine Frau sagte: »Wir haben unsere eigenen Lebensmittel gekauft, wir haben nichts von den Ihrigen genommen.«

Alle waren sie in heller Panik.

»Beruhigen Sie sich alle«, sagte Eddie. »Niemand hat Sie des Diebstahls beschuldigt.«

»Aber Sie sagen doch immer, daß wir Ihnen das Essen vom Mund wegstehlen.«

»So, sage ich das?« Eddie konnte gar nicht glauben, was er da hörte.

»Ja, Herr! Bitte«, flehten sie alle, »bestrafen Sie uns nicht.«

»Ich bestrafe Sie doch gar nicht«, sagte Eddie. »Wir wollen das mal klären. Also, Sie alle arbeiten hier, und Sie müssen Ihr eigenes Essen kaufen und mitbringen?«

»Ja, Herr.«

»Aber das ist ja schlimm!«

»Sie selbst haben es doch angeordnet!«

»Na ja«, sagte Eddie, »dann ändere ich das eben wieder. Ich nehme an, es gibt genug Lebensmittel hier im Palast.«

»O ja, Herr. Die Speisekammer ist voll bis obenhin. Aber das ist alles für Sie und Ihre Freunde.«

»Also von jetzt an«, erklärte Eddie, »nehmen Sie sich davon eben, was Sie brauchen.«

Alle Gesichter hellten sich auf. »Ist das ernst gemeint, Herr?«

»Selbstverständlich ist es das«, sagte Eddie. »Habe ich Sie jemals angelogen?«

»Nein, Herr.«

Man darf ja nicht vergessen, Eddie war Schauspieler, und die Rolle, die er spielte - die des großen Diktators, der auf einmal freundlich zu den Leuten ist, die für ihn arbeiten -, begann, ihm Spaß zu machen.

»Ja«, sagte er deshalb bestätigend, »von jetzt an dürfen Sie essen, soviel Sie wollen.«

»Danke, Herr, wir sind sehr dankbar.«

»Schon gut«, sagte Eddie, »keine Ursache.«

Er verließ die Küche wieder und begab sich auf den Rückweg zu dem Zimmer, wo er den Capitan treffen sollte. Dabei begegnete ihm ein drittes Dienstmädchen in dem gleichen knappen Röckchen, sah ihn an, kicherte und eilte weiter.

Capitan Torres war im Arbeitszimmer von Colonel Bolivar. »Ich mache Sie dafür verantwortlich«, sagte dieser, »daß der ganze Plan reibungslos funktioniert. Wenn irgend etwas dabei schiefgeht, ist das unser aller Ende.«

Er reckte eine Faust in die Höhe. »Man darf dem Volk nicht die geringste Schwäche zeigen, sonst fällt es sofort über einen her. Man muß es mit eiserner Hand regieren.«

»Jawohl, Colonel.«

»Ich werde wohl nicht länger als eine Woche oder höchstens zwei im Krankenhaus sein. Dieser Schauspieler hat nichts weiter zu tun, als in dieser Zeit dafür zu sorgen, daß alle glauben, er sei ich. Niemand wird auf diese Weise erfahren, daß ich mich einer Herzoperation unterziehen mußte.«

»Ja, aber was ist mit dem Arzt und seinem Stab?«

Colonel Bolivar lächelte, aber es war kein angenehmes Lächeln. »Darum kümmern Sie sich dann«, sagte er.

»In Ordnung, Colonel. Schon verstanden.«

»Gut, dann fahre ich jetzt in die Klinik. Ich schleiche mich zum Hintereingang hinaus, damit mich niemand sieht. Sehen Sie zu, daß Sie diesem Schauspielernarren nicht von der Seite weichen und daß er nichts tut, was die Leute mißtrauisch machen könnte.«

»Keine Sorge, Colonel. Ich passe schon auf, daß er keinen Schritt ohne mich tut.«

»Wenn alles glattgeht, sollte ich bald wieder da sein. Sollte ich aber sterben, dann töten Sie den Schauspieler und fliehen außer Landes.«

»Ich bin ganz sicher, daß die Operation erfolgreich verläuft«, versicherte ihm Capitan Torres.

Ganz gleich aber, ob sie gelang oder nicht, Eddie war auf jeden Fall der Tod gewiß, so oder so.

Capitan Torres beobachtete, wie sein Diktator Colonel Ra-mon Bolivar sich heimlich zum Hintereingang des Palastes hinaus und durch den großen Park schlich, ehe er sich Eddie widmete.

»So«, sagte er zu ihm. »Also, da ist noch ein Punkt, der von größter Bedeutung ist. Niemals, ganz gleich unter welchen Umständen, dürfen Sie irgend jemandem sagen, wer Sie wirklich sind.«

»Na ja, meiner Frau möchte ich es natürlich schon sagen, aber die wird -«

»Nein, auch nicht Ihrer Frau. Niemandem!«

Er beugte sich ganz nahe über Eddie, und sein Gesicht war ernst und hart. »Haben Sie mich verstanden? Absolut niemandem!«

Eddie schluckte. »Na schön, wenn Sie darauf bestehen.«

Capitan Torres lächelte, und auch sein Lächeln war nicht sehr angenehm. »Genau, darauf bestehe ich. Gehen Sie jetzt schlafen. Morgen ist ein wichtiger Tag für Sie.«

Eddie sah dem Capitan nach, wie er fortging. Diese Leute hier gaben ihm Rätsel auf. Einmal waren sie die Freundlichkeit selbst und dann gleich wieder richtig zum Fürchten. Irgend etwas war da schon reichlich seltsam an ihnen.

In einem Haus in den Außenbezirken von Amador war ein Treffen im Gange. Ein Dutzend Leute waren versammelt, alle waren sie im Schutz der Nacht gekommen und darauf bedacht gewesen, nicht gesehen zu werden. Colonel Bolivar hatte eine Sperrstunde über Amador verhängt. Nach zehn Uhr abends durfte niemand mehr auf den Straßen sein. Das Militär hatte Anweisung, auf Zuwiderhandelnde zu schießen. Doch die Leute, die sich in diesem Haus versammelten, waren mutig. Sie haßten den rücksichtslosen Colonel und waren entschlossen, ihn zu beseitigen. Die einzige Möglichkeit, die sie dazu hatten, war ein Attentat auf ihn. Weil der Colonel aber so schwer bewacht wurde, wußten sie, daß dies ein Himmelfahrtskommando war. Wer ihn umbrachte, der mußte sein eigenes Leben opfern. Dafür aber würde das Volk von Amador befreit werden, und das war es wert.

Der Anführer der Gruppe war ein Mann namens Juan.

»Ich eröffne dieses Treffen«, sagte Juan und sah sich in der Runde um. »Wir wissen alle, warum wir hier sind. Wir ertragen die Tyrannei unseres Diktators nicht mehr. Wir müssen ihn loswerden und eine Regierung einsetzen, die die Menschen nicht wie Tiere behandelt.«

Es gab zustimmende Rufe, und eine Frau meldete sich zu Wort. »Letzte Woche haben die Soldaten meinen Mann abgeholt. Man sagt mir nicht, wo er gefangengehalten wird. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt oder schon tot ist.«

Ein Mann ergänzte: »Colonel Bolivar hat meinen Bruder allein deshalb verhaften lassen, weil er sagte, daß es nicht genug zu essen gibt.«

Eine dritte Stimme erklärte: »Es wird von Tag zu Tag noch schlimmer. Wir werden immer noch ärmer und Colonel Boli-var immer reicher. In seinem Palast sind die wertvollsten Antiquitäten angehäuft, während wir hungern.«

»Alles, was hier gesagt wurde«, erklärte Juan, »stimmt. Eben deshalb muß es getan werden. Es gibt keinen anderen Weg.«

»Und wer«, fragte einer, »soll es tun?«

»Wir ziehen Strohhalme«, sagte Juan. »Wer den kürzesten hat, muß der Attentäter sein.« Er griff in eine Schachtel und holte eine Handvoll Strohhalme heraus, die er so hielt, daß niemand sehen konnte, welcher der kürzeste war. Von oben und vorne sahen sie alle gleich aus.

»Wer zieht zuerst?«

Ein Mann trat vor, holte tief Luft und zog einen der Strohhalme. Es war ein langer. »Schade«, sagte er. »Ich hätte es gerne getan.«

Dann zog eine Frau. Auch ihr Strohhalm war ein langer.

Nacheinander zogen sie alle, bis nur noch einer übrig war. Diesen zog Juan selbst, und es war der Kurze.

»Du hast Glück«, sagte ein Mann. »Du bist derjenige, der den Colonel töten darf.«

»Ich bin froh darüber«, erklärte Juan. »Ich gebe mein Leben gern für mein Volk hin. Es ist ehrenvoll, so zu sterben.«

Was alle nicht wußten, war, daß Juan es selbst so arrangiert hatte, daß der kürzeste Strohhalm für ihn übrigblieb. Er war ein sehr tapferer Mann und bereit, sein Leben für seine Landsleute hinzugeben.

»Er ist schwer bewacht«, sagte eine Frau. »Wie willst du es machen?«

»Hinter seinem Schlafzimmer ist ein Park, in dem geht er jeden Abend spazieren. Um den Park herum ist eine hohe Mauer, aber über die kann ich klettern. Ich habe ein Gewehr. Ich passe ihn ab, und sobald er herauskommt, schieße ich.«

»Und wann hast du es vor?«

»Schon heute abend«, sagte Juan. »Heute abend erschieße ich ihn.«

Die anderen gaben ihm reihum die Hand.

»Gott sei mit dir.«

»Sei vorsichtig.«

»Versuche zu entkommen, wenn es möglich ist.«

Aber Juan wußte, daß es kein Entkommen geben würde. Die Soldaten des Colonel Bolivar waren hart und ohne Erbarmen. Sie töteten gnadenlos jeden, der sich dem Diktator zu nähern versuchte, um ihm etwas anzutun.

Einzeln nacheinander verließen die Verschwörer das Treffen und schlichen heimlich nach Hause. Sie selbst waren zwar in Sicherheit, aber sie dachten alle an den armen Juan, der sicherlich in Stücke gerissen werden würde, nachdem er den Diktator beseitigt hatte.

Juan verließ das Haus als letzter. Er trat hinaus auf die Straße und achtete darauf, daß ihn kein Wachsoldat, der gerade vorbeikommen konnte, sah. Er hielt sich, um nicht bemerkt zu werden, im Schatten der Dunkelheit. Er sah auf die Uhr. Es war elf Uhr. Üblicherweise machte der Colonel seinen Parkspaziergang um Mitternacht. Noch eine Stunde, dachte Juan. In einer Stunde ist der Diktator tot.

Die Suite Colonel Bolivars war das Prächtigste, was Eddie Davis jemals gesehen hatte. Sie bestand aus einem halben Dutzend Räumen, von denen ein jeder größer war als der andere, und sie waren mit den kostbarsten Antiquitäten möbliert. An den Wänden hingen berühmte Gemälde französischer Impressionisten. Wenn das nur Mary sehen könnte, dachte er. Und er beschloß, sie anzurufen.

Doch gerade, als er zum Telefon ging, kam Capitan Torres herein und war ein weiteres Mal verblüfft über die frappante Ähnlichkeit zwischen diesem dummen Schauspieler und dem brillanten Colonel Bolivar.

»Guten Abend«, sagte Capitan Torres.

»Guten Abend.«

»Wie fühlen Sie sich?«

»Ein wenig nervös«, sagte Eddie.

»Kein Grund, nervös zu sein. Ich bin stets an Ihrer Seite.

Reden Sie lediglich möglichst wenig, und niemand wird Verdacht schöpfen.«

»Nicht einmal seine engsten Freunde?«

Der Capitan sagte ihm nicht, daß der große Diktator keine engsten Freunde hatte. »Ich verspreche Ihnen, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«

Eddie sah auf eines der Gemälde an der Wand. »Ist das da ein echter Rembrandt?«

»Aber natürlich. Es gibt ein ganzes Dutzend echter Rem-brandts hier im Palast.«

Eddie war beeindruckt. »Ihr Land muß sehr reich sein.«

»O ja, das ist es«, versicherte ihm Capitan Torres. »Die Einwohner von Amador haben viel Geld und sind alle sehr glücklich.«

Daß es viel Geld in Amador gab, stimmte zwar. Nur gehörte das meiste davon Colonel Bolivar. Das hatte er alles aus der Staatskasse geplündert und den Leuten gestohlen. Ein großer Teil der Menschen im Lande hungerte und war obdachlos.

»Ich lasse Sie jetzt allein«, sagte Capitan Torres. »Wir sehen uns morgen früh wieder. Schlafen Sie gut, Colonel Bolivar.« Und damit verließ er ihn.

Colonel Bolivar. Wie das klang. Eddie gefiel es. Wie er in seiner nagelneuen Uniform so dastand, fühlte er sich tatsächlich bereits als Colonel Ramon Bolivar. Es war die beste Rolle, die er jemals gespielt hatte.

Dann werde ich jetzt Mary anrufen, dachte er. Er hob den Hörer ab und wählte ihre Nummer.

»Eddie!« rief Mary freudig überrascht, von ihm zu hören. »Wie läuft es mit dem Stück?«

Das Stück hatte er tatsächlich schon ganz vergessen. »Das Stück? Ach so, ja ... das läuft prima.« Er fragte sich im stillen, wie es eigentlich tatsächlich wohl lief mit dem Stück und ob sie ihn dort vermißten.

»Findet das Publikum, daß du großartig bist?« »Ja, ja . sicher.«

»Das freut mich. Du bist so ein wundervoller Schauspieler, Eddie.«

Wenn sie nur wüßte, dachte Eddie, wie groß wirklich. Wenn sie ihn nur sehen könnte, hier in seiner Uniform in seiner Rolle als der große Diktator von Amador!

Während er telefonierte, blickte er in den Spiegel und sah sich aufrecht und groß in seiner wunderschönen Uniform dastehen. Er sah wirklich großartig aus, fand er. Großartig genug, um alle Freunde des Colonel an der Nase herumzuführen.

»Eddie«, sagte Mary, »es ist mir ja unangenehm, dich damit zu behelligen, aber der Hausherr war heute wieder da. Er hat gesagt, wenn er jetzt nicht bald die Miete bekommt, dann setzt er uns auf die Straße. Und der Filialleiter im Supermarkt hat auch angerufen und gefragt, wann wir endlich unsere Rechnung bezahlen wollten. Sag mal, Eddie ... könntest du mir vielleicht ein wenig Geld schicken?«

Ein wenig Geld? Warum nicht ein großes Vermögen?

»Mach dir darüber mal keine Sorgen«, sagte Eddie. »Ich kümmere mich darum. Überlasse alles einfach mir.«

Er wollte Mary eigentlich schon von den hunderttausend Dollar erzählen und von dem Haus, das er für sie kaufen wollte, und von dem neuen großen Auto, das er anschaffen würde. Aber er hatte schließlich Geheimhaltung geschworen. Ich überrasche sie damit, wenn ich heimkomme.

Mary fragte: »Wann kommst du heim?«

»Weiß ich noch nicht«, sagte Eddie. »Das Stück ist ein solcher Erfolg, daß wir vermutlich länger in Amador spielen werden als vorgesehen.«

»Das ist wundervoll, Darling!«

Sie hatte ja keine Ahnung, wie wundervoll es war.

»Du fehlst mir.«

»Du mir auch.« »Ich rufe dich morgen wieder an.«

»Gut, Eddie. Gute Nacht, Darling.«

»Gute Nacht.«

Eddie legte den Hörer auf, und es wurde ihm warm ums Herz. Von nun an erwartete sie ein großartiges Leben. Und nicht nur wegen des Geldes. Wenn er nach New York zurückkam, erzählte er erst mal Johnson, was in Amador alles passiert war. Wie er die Rolle des Diktators gespielt und alle damit getäuscht hatte.

Er hörte dieses Gespräch bereits in seinem Kopf.

»Sie meinen, Sie haben sich als Colonel Bolivar, den Diktator von Amador, ausgegeben und niemand hat einen Unterschied bemerkt?«

»Genau.«

»Sie sind ein Genie! Da müssen Sie ja einer der größten Schauspieler der Welt sein!«

»Ach, das war gar nichts. Schließlich ist man Schauspieler.«

»Warten Sie, bis ich die New York Times anrufe«, würde Johnson dann sagen, »und die Zeitschrift People. Solche Schlagzeilen macht das. Es geht um die ganze Welt. Sie werden berühmt.«

Genau, dachte Eddie und freute sich, ich werde berühmt. Vielleicht drehen sie sogar einen Film über mich, und ich spiele mich darin selbst.

Er sah auf die Uhr. Es war Mitternacht. Es war ein langer Tag gewesen, und er war müde, aber er war zu aufgeregt, um schlafen zu gehen. Es passierte einfach viel zuviel. Ich glaube, ich gehe noch ein wenig frische Luft schnappen, dachte er.

Durch die Glastüren konnte er hinaus in den Park vor dem Schlafzimmer sehen. Er stieß die hohe Fensterdoppeltür auf und trat hinaus auf die Terrasse.

In der dunklen Straße vor dem Park des Diktators sah sich Juan sorgsam um, ob auch keine Wachsoldaten in der Nähe waren. Die Straße war leer. Er hob vorsichtig sein Gewehr, das er dabei hatte, hoch und kletterte auf die Mauer um den Park. Von oben hatte er einen freien Blick in das Schlafzimmer des Diktators. Er konnte sein Glück kaum fassen. Gerade eben kam Colonel Ramon Bolivar nach draußen ins Freie.

Eddie blickte über den wunderschönen und gepflegten Park hin. Er war voller Hibiskus, Jasmin, Bougainvillea, Gardenien und Rosen. Noch nie hatte er so viele Blumen auf einem Fleck gesehen.

Juan hatte inzwischen angelegt. Er zielte auf Eddies Kopf und drückte ab.

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