Eddie wollte eben an seinem Wein nippen, als ihm etwas einfiel. Er setzte das Glas wieder ab und fragte seinen Schwager: »Wie viele Zeitungen haben wir eigentlich in Amador?«
»Na, drei«, antwortete Naveiro. Er drehte sich herum und funkelte Capitan Torres an. »Aber die meine ist die einzige, die wenigstens versucht, die Wahrheit zu sagen.« Er hob sein Glas noch einmal. »Auf die Freiheit der Presse!«
Eddie hob seinerseits das Glas erneut: »Auf die Freiheit der Presse!«
Naveiro beobachtete gespannt, wie Eddie sein Glas erneut an die Lippen führte - bis ihm noch ein Gedanke kam und er das verdammte Glas zum zweiten Mal absetzte und sich Capitan Torres zuwandte.
»Wissen Sie«, sagte er, »ich verstehe nicht so recht, warum die Zeitungen nicht schreiben dürfen, was sie wollen.«
»Es würde das Volk nur verwirren«, erklärte Capitan Torres. »Die Zeitungen sollen mit einer Stimme sprechen, und diese eine Stimme steht nur Colonel Bolivar zu.« Und er korrigierte sich wieder schleunigst. »Ihnen, wollte ich natürlich sagen!«
Naveiro war schon ganz verzweifelt. Bolivar sollte endlich den Wein trinken, zum Teufel! Also prostete er ihm noch einmal zu: »Auf das Volk!«
Eddie hob auch richtig wieder sein Glas und pflichtete ihm bei: »Auf das Volk!«
Naveiro beugte sich vor und wandte kein Auge von Eddie. Er versuchte ihn geradezu zu hypnotisieren, sein Glas endlich auszutrinken. Er ertrug es kaum, als Eddie das Glas doch tatsächlich wieder abstellte, bevor er noch daran genippt hatte, und zu überlegen begann: »Zensur ist nicht gut, finde ich. Die Zeitungen sollten schreiben können, was sie wollen, und die Leute lesen, was sie wollen.« Er winkte einem der Butler. »Bringen Sie mir Schreibzeug und Papier!«
»Wozu wollen Sie denn jetzt Schreibzeug und Papier haben?«
»Weil ich einiges ändern werde«, erklärte Eddie. »Ab sofort sollen die Zeitungen die Wahrheit drucken können.«
»Aber das können Sie doch nicht tun!« rief Torres, dem aber auch sogleich klar war, daß er nicht aussprechen konnte, was er dachte. »Ich meine, Colonel, halten Sie es für eine weise Entscheidung, das ausgerechnet jetzt zu ändern? Warum warten wir damit nicht wenigstens noch eine oder zwei Wochen?«
»Nein«, sagte Eddie. »Das wird jetzt gleich gemacht.«
Der Butler reichte ihm Schreibzeug und Papier. »Hier, bitte sehr.«
»Danke«, sagte Eddie und begann zu schreiben. Als er fertig war, las er es laut vor. »An die Zeitungen in Amador. Ab sofort ist jede Zensur abgeschafft. Sie können ohne jede Strafandrohung unbehindert drucken, was Sie wollen.«
Capitan Torres war blaß geworden. »Sie . das können Sie doch nicht .« Aber mehr brachte er nicht mehr heraus.
Naveiro saß wie vor den Kopf geschlagen da. »Ist das ernst gemeint, Ramon?«
»Absolut. Ab sofort gibt es keine Zensur mehr.«
Capitan Torres hatte es auch noch den Rest seiner Sprache verschlagen. Dafür jagten sich die Gedanken in seinem Kopf. Colonel Bolivar, dachte er, bringt mich um, wenn er aus der Klinik kommt und das erfährt. Dabei konnte er überhaupt nichts unternehmen und etwas daran ändern, ohne zuzugeben, daß Eddie gar nicht Colonel Bolivar war. Er saß in seiner eigenen Falle.
»Ab sofort«, verkündete Eddie, »werden die Leute die Wahrheit zu lesen bekommen.« Und er hob sein Glas. »Auf die Wahrheit!«
Naveiro sah, nun völlig entsetzt, zu, wie Eddie das Glas zum Mund führte. Er schlug es ihm mit einer schnellen Bewegung aus der Hand und sprang auf.
»Oh, das tut mir furchtbar leid«, sagte er, »wie ungeschickt von mir!« Er versuchte, Eddies Uniform abzuputzen, auf die der Wein gespritzt war.
»Ach, das macht nichts«, sagte Eddie. »Ist ja nichts weiter passiert.«
Naveiro dachte nach. Da habe ich den Mann fast umgebracht, wo er uns gerade die Freiheit zurückgegeben hat. Wie sich mein Schwager verändert hat!
»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung«, sagte er.
»Aber ich bitte dich«, sagte Eddie. »Ist doch keine Affäre. Solche Sachen passieren nun mal gelegentlich.«
Capitan Torres beobachtete sie alle beide. Er dachte bei sich: Also wie ein Mißgeschick hat das ja nun nicht ausgesehen. Was geht da vor? Er konnte natürlich nicht wissen, daß Gift in dem Wein gewesen war und daß Naveiro deshalb Eddie gerade das Leben gerettet hatte.
Als das Essen vorbei war, sagte Naveiro zu dem Mann, den er für Colonel Bolivar hielt: »Ich kann dir gar nicht genug danken, Ramon. Du hast heute eine wirklich gute Tat getan. Das ist eine hervorragende Sache für unser Land.«
»Ach, das ist nicht weiter der Rede wert«, sagte Eddie bescheiden.
Naveiro nahm die Verfügung, die Eddie geschrieben und mit Colonel Ramon Bolivar unterzeichnet hatte, an sich und sagte: »Ich veranlasse, daß alle Zeitungen dies gleich auf ihrer ersten Seite abdrucken.«
Capitan Torres saß dabei und kochte innerlich. Er konnte nichts machen!
Als sie wieder allein waren, hätte der Capitan Eddie am liebsten umgebracht, so wütend war er auf ihn. Aber das kann ich nicht, dachte er bei sich. Noch nicht. Aber wenn Colonel Bolivar aus der Klinik entlassen wird und in den Palast zurückgekehrt ist, dann bringe ich diesen Schauspieler um. Und es wird mir ein Vergnügen sein. Ganz langsam mache ich es, damit er richtig leiden muß.
Eddie sagte: »Ich bin sicher, der Colonel wird sehr zufrieden damit sein, wenn er von der Geschäftsreise kommt. Wissen Sie, ich glaube, er weiß gar nicht, was hier alles vorgeht. Er ist so ein gutmütiger Mensch. Er würde es doch niemals zulassen, daß man die Zeitungen so behandelt, nicht?«
Capitan Torres hatte Mühe, sich zu beherrschen. »Ja, ja, ich bin auch sicher«, sagte er, »daß sich Colonel Bolivar sehr darüber freuen wird.« Aber er erstickte fast an diesen Worten, so schwer fielen sie ihm. Gut, dachte er, noch ist ja kein wirklicher Schaden angerichtet. Sobald der Colonel aus dem Krankenhaus heraus ist, schreibt er eben eine neue Verfügung und setzt diese hier einfach wieder außer Kraft. Kein Problem. In einer Diktatur wird den Leuten nun einmal gesagt, was sie zu tun haben.
»Was steht für heute sonst noch auf dem Plan?« fragte Eddie.
»Nichts«, sagte der Capitan schroff. »Ich meine, wir wollen Sie ja auch nicht überanstrengen. Sie sollten sich jetzt ein wenig ausruhen.«
»Keine schlechte Idee«, sagte Eddie.
»Ich muß für eine oder zwei Stunden weg«, sagte Capitan Torres. »Würden Sie mir den Gefallen tun und in dieser Zeit in Ihrer Suite bleiben? Und reden Sie bitte mit niemandem. Und ich meine wirklich, mit nie-man-dem!«
Das klang bedrohlich genug, daß Eddie sich denken konnte, es sei gar nicht auszudenken, in welche Schwierigkeiten er andernfalls geraten könne.
»In Ordnung«, sagte er also.
Und Capitan Torres ging und begab sich in das Krankenhaus.
Sobald Capitan Torres weg war, griff Eddie zum Telefon und rief Mary zu Hause an. Es tat ihm leid, daß er sie allein gelassen hatte, jetzt, wo sie jeden Tag das Baby bekommen konnte. Er fühlte sich wie ein Deserteur.
Mary antwortete nach dem ersten Klingeln.
»Hallo, Schatz!«
»Eddie! Ich bin so froh, daß ich deine Stimme höre! Geht es mit dem Stück immer noch so gut?«
Sie hat überhaupt keine Ahnung, wie gut, dachte Eddie. Nur, daß er eben inzwischen ein ganz anderes Stück spielte. Statt My Fair Lady hieß das Stück jetzt My Fair Colonel, und er war der Star darin.
»Es geht prächtig«, sagte er. »Die Leute lieben mich!«
»Ich bin so stolz auf dich, Darling!«
Wenn sie erfährt, was ich wirklich gespielt habe, wird sie noch viel stolzer sein, dachte Eddie.
Das Zimmermädchen streichelte sein Bein.
»Lassen Sie das!« zischte Eddie.
»Wer soll was lassen?« fragte Mary.
»Ich habe nicht mit dir gesprochen«, sagte Eddie.
»Mit wem denn?«
Das Zimmermädchen fuhr ihm inzwischen mit den Fingern durch die Haare.
»Ach, mit einem der Butler.«
»Mit was denn für einem Butler? Eddie, wo bist du?«
»Ich wollte sagen, mit einem der Butler aus dem Stück. Wir proben gerade.«
Jetzt huschte das Zimmermädchen bereits mit den Lippen über sein Gesicht. »Sie sollen das lassen!« zischte Eddie wieder.
»Seid ihr gerade mitten in einer Probe?«
»Ja«, sagte Eddie.
»Oh, Darling. Du hast eigens unterbrochen, um mich anzurufen? Das ist lieb von dir! Du bist so ein wundervoller Ehemann!«
Das Mädchen hatte jetzt die Arme um ihn gelegt.
»Ich muß aufhören«, sagte Eddie.
»Schon gut, Darling. Schöne Probe noch!«
»Ja, ja«, sagte Eddie. Er legte auf und wandte sich dem Zimmermädchen zu. »Was tun Sie denn hier, sagen Sie mal?«
»Colonel mir gesagt, ich soll kommen und Nachmittag wieder mit Ihnen verbringen.«
Eddie fiel erst jetzt wieder ein, wer er war, oder vielmehr, wer er nicht war. »Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er mit der strengsten Stimme des Colonels. »Ich habe eine Menge zu tun.«
»Morgen dann?« erkundigte sich das Mädchen.
»Nein«, sagte Eddie. »Morgen habe ich auch zu tun. Ich lasse es Sie schon wissen.«
»Bitte sehr.« Sie sah ihn an und machte eine kleine Schnute. »Sie lieben mich nicht mehr, glaube ich.«
Eddie dachte: Wie viele Frauen hat dieser Colonel eigentlich? Er sah dem Mädchen nach, wie es sich entfernte. Die Versuchung war schon groß. Überall rund um ihn herum waren Frauen, die mit ihm ins Bett gehen wollten. Aber ich tue das nicht. Nein. Ich bleibe meiner Frau treu. Er hatte es noch nicht fertig gedacht, als seine Frau ins Zimmer kam. Nein, natürlich nicht seine Frau, sondern die Frau von Colonel Bolivar. Sie hatte ein dünnes Neglige an.
»Schatz«, sagte sie, »mein Bruder hat mich gerade angerufen. Er hat mir erzählt, was du getan hast! Das ist wunderbar! Daß du wirklich allen Zeitungen die Pressefreiheit gegeben hast! Und es gibt keine Zensur mehr!«
»Das war nicht weiter der Rede wert«, sagte Eddie wieder ganz bescheiden.
»Nicht der Rede wert?« rief sie aus. »Aber das Volk wird begeistert sein! Was du da getan hast, war etwas ganz Großartiges!« Sie kam näher an ihn heran. »Ich habe dich offensichtlich ganz falsch eingeschätzt, Ramon. Ich dachte, du wärst wirklich an nichts weiter interessiert als an deiner Macht. Aber jetzt sehe ich, daß dir auch andere Menschen am Herzen liegen.« Sie legte ihre Hände auf seine Schultern. »Hast du immer noch ein wenig für mich übrig, Schatz?«
»Aber ja«, sagte Eddie nervös, »natürlich.«
Sie seufzte. »Oh, Ramon, du hast mir so sehr gefehlt. Kommst du heute abend zu mir?«
Ihr Parfüm machte ihn ganz schwindlig, und sie war ihm sehr nahe. Er wußte, er mußte sie aus seinem Schlafzimmer kriegen, bevor es zu spät war.
»Wir werden sehen«, sagte er.
Sie lächelte. »Oh, Schatz!« und küßte ihn auf den Mund. »Ich warte auf dich.«
Er sah ihr nach, wie sie in ihr Schlafzimmer zurückging. Was mache ich nur? dachte er.
Er beschloß, ein wenig Luft zu schnappen. Er ging durch den langen Korridor und zu einer der Seitentüren hinaus. Dieser Palast erschien ihm als das größte Gebäude, das er je erlebt hatte. Er schien überhaupt nicht mehr aufzuhören. Draußen, auf dem Weg an der Seite des Gebäudes entlang, kam er an eine eiserne Tür, vor der ein Wachtposten stand. Sobald ihn dieser erblickte, nahm er stramme Haltung an.
»Guten Tag«, sagte Eddie.
Der Posten schaute ihn völlig perplex an. Noch nie hatte Colonel Bolivar auch nur Kenntnis von ihm genommen.
»Guten Tag, Colonel«, stammelte er schließlich.
»Was ist denn da hinter dieser Tür!« fragte Eddie.
Der Posten fragte ganz dumm: »Was hinter dieser Tür ist?«
»Ja.«
»Na, der Zoo. Ihr Zoo.«
»Machen Sie mal auf«, sagte Eddie. »Den möchte ich mir anschauen.«
»Selbstverständlich, Colonel.« Der Posten holte einen großen Schlüssel hervor, steckte ihn ein und drehte ihn herum. Die Tür öffnete sich.
Das wird sicher lustig, dachte Eddie. Bin gespannt, was sie da für Tiere haben. Er trat ein und sah sich vor einigen Stufen. Wieso halten sie die Tiere da unten? überlegte er. Er ging die Stufen hinunter. Ein ziemlicher Gestank drang ihm entgegen. Er blieb überrascht stehen. Der »Zoo« bestand aus zwanzig Zellen voller Menschen, von denen die meisten nur noch Lumpen anhatten.
Eddie war total schockiert. Von den vier bewaffneten Wächtern, die anwesend waren und aufpaßten, kam einer zu ihm geeilt.
»Colonel ... Colonel Bolivar ... Man hat mir nicht gesagt, daß Sie kommen werden.«
»Schon gut«, sagte Eddie und ging auf die erste Zelle zu. »Weswegen sind diese Leute hier?«
Der Wächter sah ihn verwirrt an. Schließlich war er, Colonel Bolivar, es doch selbst gewesen, der sie hierher bringen ließ. »Nun, Sie wissen ja, Colonel ... Gefährliche Verbrecher, alle. Die meisten warten darauf, erschossen oder gehängt zu werden, nicht?« Er grinste. »Manchmal lassen wir sie selbst wählen.«
Eddie war entsetzt. »Was denn, Sie meinen, das sind alles Todeskandidaten?«
»Ja, sicher, Colonel. Auf Ihren Befehl hin.«
In der ersten Zelle waren zwei Mann. Der eine war noch ein Junge, ein Teenager, der andere ein älterer Mann.
»Weshalb bist du hier?« fragte Eddie den Jungen.
Der Junge sah zu ihm auf und erwiderte: »Weil ich gesagt habe, daß Sie das Land zugrunde richten. Das ist die Wahrheit. Und deshalb soll ich sterben.«
Eddie starrte ihn eine Weile an, dann wandte er sich an den älteren Mann. »Und weshalb sind Sie hier?«
»Ach, erinnern Sie sich nicht? Weil ich Ihr Auto angespuckt habe, als Sie vorbeifuhren.«
»Was denn, und dafür will man Sie jetzt umbringen?« sagte Eddie.
»Ja, deswegen.«
Eddie konnte nicht glauben, was er da hörte. Was für einen Mann vertrat er hier eigentlich? Er ging an allen Zellen vorüber und fragte jeden einzelnen Gefangenen aus. Ihre Geschichten waren buchstäblich alle dieselben. Alle hatten sie den Fehler begangen, den großen Diktator zu kritisieren. Und dafür waren Sie nun dem Tod geweiht.
»Ich sagte, wir bekommen nicht einmal genug zu essen .«
»Ich trat nach einem Soldaten, als sie meinen Sohn fortschleppten .«
»Ich stahl Brot für meine hungernden Kinder ...«
»Ich verweigerte den Kriegsdienst in der Armee ...«
Und für all das, dachte Eddie erschüttert, hat man sie gleich zum Tod verurteilt? Nicht einmal ein einziger wirklicher Verbrecher war unter ihnen.
Er befahl einer der Wachen: »Besorgen Sie mir Papier und Schreibzeug.«
»Jawohl.«
Als er beides hatte, begann er zu schreiben. »Hiermit werden alle Gefangenen, die sich gegenwärtig in den Zellen unter dem Palast befinden, sofort freigesetzt und entlassen und können in ihre Häuser und zu ihren Familien zurückkehren. Es wird in Zukunft in Amador keine Hinrichtungen mehr ohne ordentliches Gerichtsverfahren geben.« Und er unterzeichnete es mit Colonel Ramon Bolivar.
Der Wächter las es, und es fielen ihm fast die Augen heraus. »Ist das Ihr Ernst, Colonel?«
»Sieht es vielleicht nicht danach aus?« fuhr ihn Eddie mit seiner besten Colonel-Stimme an. »Oder wagen Sie etwa meine Befehle zu kritisieren?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Wann befehlen Sie die Entlassung der Leute?«
»Sofort natürlich, jetzt gleich. Und Sie kümmern sich darum, daß sie alle nach Hause gebracht werden.«
»Jawohl.«
Eddie drehte sich um und wandte sich an die Gefangenen in den Zellen. »Ihnen allen«, sagte er, »ist schreckliches Unrecht widerfahren. Ich werde versuchen, dafür zu sorgen, daß sich dies niemals mehr wiederholt. Sie sind alle frei und können heimkehren.«
Die Gefangenen trauten ihren Augen und Ohren nicht. Dann begannen sie zu jubeln und zu weinen.
Eddie stand da und sah zu, wie die Wachen die Zellen aufschlossen und die Männer freiließen. Ich bin sicher, dachte er, Colonel Bolivar wird sehr zufrieden darüber sein.
Im Krankenhaus war inzwischen Capitan Torres beim Colonel und erkundigte sich: »Wann soll die Operation nun stattfinden?«
»In ein paar Stunden«, sagte Colonel Bolivar. »Erzählen Sie, was sich im Palast so tut. Was macht der närrische Schauspieler so?«
»Ach«, sagte Capitan Torres, »alles geht bestens.« Er würde sich schön hüten, dachte er, dem Colonel zu erzählen, was sich wirklich getan hatte. Er hatte inzwischen auch erfahren, was Eddie mit den Kindern und mit den Bauern gemacht hatte, und war deshalb ziemlich wütend auf ihn. Aber er konnte ja nichts dagegen unternehmen, solange der Colonel noch in der Klinik war und nicht wieder zurück im Palast. Also sagte er ihm nichts von alledem. »Er spielt seine Rolle sehr gut. Alle glauben, daß er Sie ist.«
»Gut«, sagte Colonel Bolivar. »Sagen Sie ihm, er soll so weitermachen.«
Der Arzt kam herein. »Wir bereiten Sie jetzt für die Operation vor, Colonel.«
»Ich bin bereit.« Der Colonel wandte sich noch einmal an Capitan Torres. »Machen Sie sich keine Sorgen, es wird alles gutgehen, und wenn ich wieder herauskomme, ist alles wie immer.«
Capitan Torres sah ihn nachdenklich an und dachte: Wenn das mal stimmt.
Als Eddie von den Kerkerzellen unten zurückkam, wartete »seine« Frau schon auf ihn. Sie umarmte ihn und sagte: »Schatz, ich habe eben gehört, was du für diese Gefangenen getan hast! Du bist so wundervoll! Großartig ist das! Du wirst von Minute zu Minute ein größerer Mann! Es tut mir leid, daß ich dich so falsch beurteilt habe.«
»Es war nicht der Rede wert«, sagte Eddie.
»Nicht der Rede wert? Da solltest du mal hören, wie die Leute jetzt über dich reden! Du bist mit einemmal ihr großer Held!« Sie schmiegte sich noch etwas näher an ihn. »Und meiner auch.«
»Danke sehr«, sagte Eddie verlegen und gab ihr die Hand. »Gute Nacht.«
Capitan Torres war in großen Schwierigkeiten. Es war seine Idee gewesen, diesen Schauspieler anzuheuern und ihn Colonel Bolivars Rolle spielen zu lassen. Aber dies begann sich in eine Katastrophe zu verwandeln. Der verdammte Schauspieler benahm sich und handelte, als sei er tatsächlich der Diktator selbst. Und er, Torres, konnte nichts dagegen unternehmen, ohne daß er andere Leute mit in das Geheimnis einweihte. Er hatte keine andere Wahl, als ihn gewähren zu lassen und selbst mitzumachen, bis Colonel Bolivar wieder aus dem Krankenhaus zurückkam. Aber dann, dachte er grimmig, erwürge ich ihn mit meinen bloßen Händen, den verdammten kleinen Idioten. Bis dahin aber muß ich mir unbedingt etwas ausdenken, wie ich ihn von weiteren katastrophalen Eigenmächtigkeiten abhalte.
Und er hatte auch schon eine Idee. Er suchte Eddie.
»Wir werden heute abend ein Bankett zu Ihren Ehren veranstalten«, sagte er zu ihm, als er ihn gefunden hatte. »Wir engagieren Unterhaltungskünstler und Tanzmädchen und sonst noch ein paar Sachen zu Ihrem Vergnügen.«
»Klingt prima«, sagte Eddie.
Das Bankett war sehr schön. Das Essen war hervorragend, und wie Capitan Torres versprochen hatte, gab es Tanzmädchen und verschiedene Unterhaltungsnummern, Jongleure und Feuerschlucker und sogar ein paar Tierdressuren. Es war fast wie eine richtige Zirkusvorstellung.
Eddie amüsierte sich prächtig und Capitan Torres ebenso, weil ihm wenigstens hier und jetzt dieser Schauspieler keinen Kummer machen konnte.
Schließlich war es zu Ende. Es war schon spät geworden und Zeit, den Schauspieler zu Bett zu bringen, wo er ebenfalls nichts anstellen konnte. Alle Künstler und Artisten waren schon fort.
Capitan Torres erhob sich. »Zeit zum Schlafengehen«, sagte er zu Eddie.
»Ja, richtig«, sagte Eddie. »Gute Nacht denn auch.«
»Gute Nacht.«
Capitan Torres sah auf die Uhr. Die Operation sollte inzwischen vorüber sein, dachte er. Alles hing davon ab, daß sie erfolgreich verlaufen war. Sollte Colonel Bolivar auf dem Operationstisch sterben, wäre alles ruiniert. Es gab dann keine Diktatur mehr, und das Volk würde sich gegen sie erheben und sie alle umbringen. Capitan Torres ging in sein Zimmer und rief im Krankenhaus an. Er verlangte den Arzt, der die Operation ausgeführt hatte.
»Ist es schon vorbei?«
»Ja, Capitan.«
Capitan Torres holte tief Luft, ehe er die entscheidende Frage stellte. »Und, ist sie erfolgreich verlaufen?«
»Das wissen wir noch nicht.« »Was soll das heißen?«
»Der Colonel hat die Operation zwar überlebt, aber er hat mittendrin zu atmen aufgehört und liegt seitdem im Koma. Es ist noch zu früh, um zu wissen, ob das Gehirn geschädigt wurde.«
Capitan Torres merkte, wie ihm plötzlich der Schweiß aus allen Poren brach. »Und wann wissen Sie das?«
»Er liegt jetzt auf der Intensivstation. Es kann noch zwei Tage dauern, bis wir die Situation beurteilen können.«
»Aha, verstehe. Halten Sie mich auf dem laufenden.«
»Gewiß, Capitan.«
Zwei Tage lang. Achtundvierzig Stunden, dachte Capitan Torres. Eine halbe Ewigkeit. Und sein Leben hing davon ab, was mit Colonel Bolivar geschah.
Eddie war am nächsten Tag auf dem Weg zu seinem Zimmer, als eine schöne Frau in einem prächtigen Modellkleid auf ihn zukam. Sie sah sich um, ob auch niemand in der Nähe war, und sagte dann: »Weißt du, welcher Tag heute ist?«
Eddie dachte einen Moment lang nach. »Gewiß. Samstag.«
Ihr Ausdruck veränderte sich abrupt. »Laß doch die dummen Scherze.«
»Welche Scherze? Über was?«
Sie beugte sich nahe zu ihm. »Heute ist bekanntlich der Tag, an dem du deine Frau umbringst, damit wir heiraten können.«