6. Kapitel


Eddie Davis wollte eben starten, was ihn zusammen mit der Senora in der Tat in tausend Stücke zerrissen hätte, als ein Offizier gerannt kam und ihm zurief: »Colonel! Rasch, kommen Sie!«

Eddies Hand schwebte unschlüssig über dem Zündschlüssel. »Was ist denn?« fragte er ungehalten.

»Auf der anderen Palastseite ist ein Aufruhr im Gange! Sie kommen besser, schnell!«

Eddie sah die Frau von Colonel Bolivar an. »Ach, herrje. Weißt du was, fahr doch allein zum Essen, irgendwo in der Stadt. Ich lasse dir den Chauffeur kommen.« Er wollte sicherstellen, daß sie auf keinen Fall allein war.

Sie stiegen wieder aus.

Aus der Ferne beobachteten es Juan und der Fahrer mit Verzweiflung.

»Wir hatten ihn schon so gut wie tot diesmal!« rief der Fahrer enttäuscht.

»Die Bombe muß schleunigst aus dem Wagen«, sagte Juan.

Eddie folgte dem Offizier zurück in den Palast. Eine große Menge war davor versammelt und rief Sprechchöre: »Wir wollen Colonel Bolivar sehen! Wir wollen Colonel Bolivar sehen!«

Eddie trat vor sie hin. »Da bin ich«, sagte er. »Wo fehlt’s denn?«

Capitan Torres kam an seine Seite geeilt. »Sie müssen nicht hiersein«, sagte er. »Ich mache das schon.«

»Was machen?« fragte Eddie. »Was geht hier vor? Was wollen diese Leute?«

»Nichts weiter von Bedeutung«, versuchte Capitan Torres zu versichern. »Das sind nur die üblichen Unruhestifter. Die haben immer etwas zu jammern!« »Worüber denn?« wollte Eddie wissen.

»Es ist wirklich nichts«, wiederholte Capitan Torres ungeduldig. »Ich lasse das gleich von den Soldaten bereinigen.«

»Na gut«, sagte Eddie und wandte sich zum Gehen.

Da rief einer aus der Menge: »Wir haben es satt, auf der Straße schlafen zu müssen! Wir wollen ein Dach über dem Kopf!«

Eddie blieb stehen. »Was denn, die Leute wissen nicht mal, wo sie schlafen sollen?« fragte er. »Sind das Obdachlose?«

»Glauben Sie mir«, beschwichtigte ihn Capitan Torres, »diese Leute sind durchaus daran gewöhnt, auf der Straße zu schlafen. Das Wetter bei uns in Amador ist immer schön. Die Leute können unter dem Sternenzelt schlafen. Was will man mehr?«

Eddie starrte ihn verständnislos an. »Was? Alle diese Leute hier sind obdachlos?«

»Das ist doch nicht Ihr Problem«, sagte Capitan Torres schon etwas scharf.

»Moment mal«, sagte Eddie. »Solange ich Colonel Bolivar bin, ist das sehr wohl mein Problem.« Er wandte sich an die Leute. »Hat irgend jemand von Ihnen ein Zuhause?«

»Nein!« schrien sie ihm alle zusammen entgegen. »Wir können uns keine Wohnung leisten.«

»Aber das ist ja schrecklich!« sagte Eddie. »Da muß man etwas unternehmen.«

Capitan Torres wurde blaß. »Ich flehe Sie an«, flüsterte er Eddie zu, »tun Sie diesmal nichts, überhaupt nichts. Sie richten noch das ganze Land zugrunde!«

»Also für mich«, sagte Eddie, »sieht das so aus, als wären Sie derjenige, der das Land zugrunde richtet.«

»Ich werde Ihre Eigenmächtigkeiten nicht länger zulassen«, zischte Capitan Torres zwischen den Zähnen hervor. »Sie vergessen wohl, daß Sie nicht wirklich Colonel Bolivar sind. Sie sind nur ein Schauspieler.« »Ach ja?« sagte Eddie. »Na schön.« Er wandte sich an die Leute. »Capitan Torres hat Ihnen etwas zu sagen. Na los, Capitan, sagen Sie den Leuten, was Sie mir soeben sagten!«

Capitan Torres kochte vor Wut. Er konnte es natürlich nicht wagen, den Leuten zu sagen, daß ein Imitator vor ihnen stand und daß der echte Colonel Bolivar im Krankenhaus lag und womöglich starb. Das hätte mit Sicherheit eine sofortige Revolution und den Sturz der Regierung zur Folge gehabt. Und er wäre der erste gewesen, den die Menge in der Luft zerrissen hätte.

Er rang sich also mühsam ein Lächeln ab und sprach: »Meine Damen und Herren, ich wollte lediglich zum Ausdruck bringen, daß wir selbstverständlich alles tun werden, was möglich ist, um uns Ihrer anzunehmen.«

Das meinte er sogar so. Nämlich, daß er als erstes den Befehl an das Militär ausgeben wollte, sämtliche Unruhestifter über den Haufen zu schießen.

Eddie wandte sich an ihn. »Wie viele Häuser und Wohnungen besitzt der Colonel in Amador?«

»Zwölf«, sagte Capitan Torres. »Warum?«

»Geben Sie sie diesen Leuten da.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage«, sagte Capitan Torres. »Ich weigere mich.«

»So? Na gut.« Eddie wandte sich erneut an die Leute. »Meine Herrschaften«, rief er, »ich habe etwas anzukündigen. In diesem Augenblick ist Colonel Bolivar -«

»Oh nein!« zischte Capitan Torres. »Hören Sie auf. Ich mache es ja.«

»Gut«, sagte Eddie und sprach weiter zu den Leuten. »- in diesem Augenblick ist Colonel Bolivar erfreut, Ihnen mitzuteilen, daß wir noch vor Einbruch der Nacht heute Unterkünfte für Sie alle finden werden.«

Die Leute jubelten.

»So«, sagte Eddie zu dem Capitan. »Und jetzt bringen Sie mich zu den diversen Villen des Colonel.«

Wenn Blicke töten könnten, dann wäre Eddie auf der Stelle tot umgefallen, so finster waren die Blicke des Capitan. »Bitte sehr«, malmte er durch die Zähne. »Gehen wir.«

»Sogleich, nur noch einen Augenblick. Ich muß zuvor noch etwas erledigen.« Eddie ging in den Palast zurück und sprach mit dem Sicherheitschef. »Ich mache mir Sorgen um meine Frau«, sagte er. »Veranlassen Sie, daß sie rund um die Uhr bewacht wird.«

»Jawohl, Colonel. Wie Sie befehlen.«

Nach ein paar Minuten waren Eddie und Capitan Torres unterwegs zu den verschiedenen Villen des Diktators.

Die erste Villa lag versteckt abgelegen hoch in den Bergen hinter Bäumen, so daß sie von Passanten nicht zu sehen war. Bewaffnete Wachtposten patrouillierten vor dem Eingang und salutierten, als Colonel Bolivars Limousine angefahren kam. Die Villa hatte dreißig Zimmer und sechzig Bediente. Sie war mit kostbaren, alten französischen Möbeln und unbezahlbaren Antiquitäten eingerichtet.

»Sind alle Villen so wie diese?« erkundigte sich Eddie.

»Noch größer«, antwortete Capitan Torres knapp und verdrossen.

Die nächste Villa, zu der sie kamen, lag am Meer, war aber von hohen Mauern umgeben, so daß niemand auch nur wußte, daß es sie gab.

»Wie viele Zimmer gibt es hier?« fragte Eddie.

»Vierzig.«

Eddie notierte es sich.

Sie fuhren weiter zur dritten Villa und dann zu allen anderen, bis Eddie sie alle besichtigt hatte.

»Wir bringen die Obdachlosen darin unter«, erklärte er.

»Das können Sie doch nicht machen!« protestierte Capitan Torres noch einmal. »Colonel Bolivar würde das nie und nimmer zulassen.«

»Sie vergessen eines«, erklärte ihm Eddie kühl. »Ich bin Colonel Bolivar!«

Capitan Torres war so wütend, daß er sich fast verschluckte. »Aber nur vorübergehend«, sagte er. »Nur vorübergehend! Colonel Bolivar wird bald wieder zurück sein, und dann können Sie Ihr blödes Geld nehmen und wieder hingehen, wo Sie hergekommen sind.« Tatsächlich hatte er natürlich nicht die leiseste Absicht, Eddie wirklich das Geld mitnehmen und ihn wieder aus Amador hinauszulassen. Es wird mir das größte Vergnügen sein, dachte er statt dessen, dich mit eigenen Händen umzubringen, du Unglücksmensch!

Als sie in den Palast zurückkamen, schrieb Eddie sofort ein Dekret aus, in dem er anordnete, daß die Obdachlosen in die Villen Colonel Bolivars eingewiesen wurden und daß sofort mit dem Wohnungsbau für Arme begonnen werden sollte. Und unterschrieb es mit: Colonel Ramon Bolivar.

Capitan Torres traf sich mit Teniente Gomez.

»Noch mehr ertrage ich jetzt nicht!« sagte er. »Der Schauspieler dreht durch. Der tut, als wäre er wirklich der Colonel! Er hält sich tatsächlich selbst für den Diktator von Amador! Na, der wird sich wundern. Der Vorhang von seinem kleinen Stück fällt sehr schnell, das kann ich ihm schwören!«

»Wie schnell?« wollte Teniente Gomez wissen. »Ist Colonel Bolivar bald wieder gesund?«

»Keine Ahnung«, sagte Capitan Torres. »Jedenfalls fahre ich jetzt noch einmal in die Klinik und stelle es fest. Behalten Sie inzwischen den Schauspieler im Auge. Passen Sie auf, daß er uns nicht noch das ganze Land ausverkauft!«

Capitan Torres war im Krankenhaus und sprach erneut mit dem Arzt, der Colonel Bolivar operiert hatte.

»Wie steht es?« begehrte er ungehalten zu wissen. »Hat es irgendwelche Veränderungen gegeben?«

»Gar keine bisher«, konnte der Arzt nur sagen.

»Wird der Colonel nun wieder gesund oder nicht?«

»Ich weiß es nicht«, entfuhr es dem Arzt hilflos. »Ich habe Ihnen doch schon erklärt, das läßt sich überhaupt nicht voraussagen.«

»Ich will ihn sehen«, sagte Capitan Torres.

»Wenn er aber doch immer noch im Koma liegt!«

»Ist mir egal, bringen Sie mich zu ihm!«

Der Arzt führte Capitan Torres in das Sonderzimmer, das ganz am hintersten Ende des Flurs lag. Dort lag Colonel Bolivar in seinem Bett mit geschlossenen Augen und völlig regungslos. Sein Gesicht war fahl.

Capitan Torres ging ganz zu ihm hin. »Colonel, hören Sie mich?«

Aber weder ein Laut noch eine Bewegung kamen von dem Mann in dem Bett.

»Colonel, hören Sie mich?«

Nichts.

Der Capitan wandte sich an den Arzt. »Er könnte also sterben, wie?«

Der Arzt überlegte sich seine Antwort gut. »Ja, Capitan, die Möglichkeit besteht natürlich.«

Da wußte Capitan Torres, was er zu tun hatte. »Gut. Ich kehre jetzt in den Palast zurück. Aber Sie verständigen mich auf der Stelle, wenn sich auch nur die kleinste Veränderung ergibt.«

»Jawohl, Capitan.«

Torres kam zu Eddie. »Wir müssen miteinander reden«, sagte er.

Eddie blickte auf. »Ja?«

»Was würden Sie davon halten, auf immer Colonel Bolivar zu bleiben?«

»Wie bitte?« fragte Eddie verdutzt.

»Ich meine ... wenn Sie Ihre ... Rolle auf Dauer spielen würden ... also ganz wirklich das Land regierten?«

»Sie meinen ... hier leben und so weitermachen?«

»Ganz genau. Sie hätten soviel Geld, wie Sie nur wollten, so viele Frauen, wie Sie wollten, und wären ein echter, richtiger Diktator.«

»Was ist mit Colonel Bolivar geschehen?« fragte Eddie.

»Nichts«, sagte Capitan Torres zögernd. »Jedenfalls noch nicht. Aber . also gut: Es besteht die Möglichkeit, daß er stirbt. Sollte das eintreten, dann möchten wir, daß Sie seinen Platz für immer einnehmen, auf Dauer. Natürlich, ohne daß irgend jemand erfährt, was geschehen ist.«

In Eddies Kopf rasten die Gedanken. »Sie meinen, ich müßte dann auch für ewig hier in Amador leben?«

»Ja.«

Da schüttelte Eddie den Kopf. »Nein, vielen Dank, aber das möchte ich dann doch nicht. Sehen Sie, ich bin nun mal in New York zu Hause und -«

»Sie müssen das anders sehen«, sagte Capitan Torres. »Sie sind doch Schauspieler. Und ein großartiger dazu. Ich war wirklich sehr beeindruckt, als ich Sie auf der Bühne sah. Aber Ihre Rolle in diesem Stück war doch nur sehr winzig, nicht? Und hier haben Sie nun die Chance, die größte Rolle Ihrer Karriere zu spielen, ein Star zu sein! Sie regieren ein ganzes Land, und das in der Wirklichkeit! Welcher Schauspieler könnte denn einer solchen Gelegenheit widerstehen?«

Das brachte Eddie nun tatsächlich zum Nachdenken. Und er gab zu: »Es hat mir schon viel Spaß gemacht, das leugne ich nicht.«

»Selbstverständlich!« sagte Capitan Torres. »Und es wird Ihnen in der Zukunft noch sehr viel mehr Spaß machen!«

»Könnte ich auch meine Frau und unser Baby hierherholen?«

Capitan Torres lächelte. »Aber selbstverständlich, auch dies. Im Gegenteil, ich würde sogar darauf bestehen.« Sie wären ideale Geiseln, dachte er. Wenn Eddie nicht genau tat, was man ihm sagte, konnte man ihm seine Frau und sein Kind wegnehmen und töten.

»Ich muß darüber nachdenken«, sagte Eddie. »Es hört sich interessant an.«

»Na, sehen Sie. Sie überlegen es sich, und dann reden wir weiter, ja?«

An diesem Nachmittag kam einer von Colonel Bolivars Adjutanten zu Eddie.

»Entschuldigen Sie, Colonel, aber es ist Zeit zum Aufbrechen.«

Eddie starrte ihn an. »Aufbrechen? Wohin denn?«

»Haben Sie es denn vergessen, Colonel? Heute ist doch die große Flugschau. Auf die freuen Sie sich doch immer ganz besonders.«

»Tatsächlich? Ich meine ... Ja, natürlich.« Kein Mensch hatte ihm bisher auch nur ein Sterbenswörtchen von einer Flugschau gesagt.

»Man erwartet Sie bereits, Colonel.«

»Schön.« Das einzige, was Eddie von Flugzeugen wußte, war, daß in ihnen miserables Essen serviert wurde. Er haßte es zu fliegen. Auf dem Flug von New York nach Amador war ihm die meiste Zeit schlecht gewesen. Allerdings, eine Flugschau anzusehen, dachte er sich, konnte ganz nett sein. »Also gut, fahren wir hin.«

Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Als sie am Flughafen angekommen waren, wunderte Eddie sich sehr. Eine riesige Menschenmenge war versammelt, und es standen Dutzende Flugzeuge da, die meisten Düsenjäger, mit aufgemalter Flagge von Amador an der Seite. Seine Limousine fuhr direkt bis auf das Flugfeld, wo die Flugzeuge aufgestellt waren.

»Da sind wir, Colonel«, sagte sein Begleitoffizier. Er deutete auf einen schnittigen Jet. »Das hier ist Ihre Maschine, die Sie heute fliegen werden.«

Eddie starrte ihn an. »Was denn, ich fliege?«

»Ja, aber sicher doch. Sie fliegen doch jedes Jahr Ihre eigene Maschine bei der Flugschau, Colonel! Und Sie freuen sich doch sehr darauf, nicht?«

Eddie freute sich natürlich keineswegs.

»Sind Sie bereit?«

Nicht nur war Eddie nicht bereit, er geriet sogar in helle Panik. Jetzt hatte er den Salat. »Ach, wissen Sie«, sagte er schnell, »ich fühle mich heute gar nicht gut. Ich glaube, ich lasse das Fliegen heute lieber sein. Morgen vielleicht.«

»Das wird aber schlecht gehen, Colonel. Die Leute warten doch nur darauf, daß Sie aufsteigen.« Dem Adjutanten schien etwas einzufallen. »Aber wenn Sie sich nicht in Form fühlen, um selbst zu fliegen, kann einer Ihrer Piloten mitfliegen. Und Sie sitzen dann nur als Passagier mit in der Maschine. Ich weiß ja, wie sehr Sie sich auf den Flug gefreut haben.«

In einem Düsenjäger zu fliegen, war nun wirklich das allerletzte, auf das Eddie sich gefreut hätte. »Nein, ich denke doch, ich sollte es ganz sein lassen heute«, sagte er noch einmal. »Vielleicht ein anderes Mal.«

»Aber Colonel, Sie enttäuschen doch damit alle die vielen Leute, die extra deswegen gekommen sind! Es ist in einer Viertelstunde alles vorbei.«

Na ja, das müßte auszuhalten sein, dachte Eddie. Eine Viertelstunde, das war tatsächlich nicht lange.

»Also gut«, sagte er schließlich, »wenn es denn soviel bedeutet und die Leute sonst enttäuscht sind -«

»Sie wären sogar sehr enttäuscht.«

»- dann machen wir es eben in Gottes Namen.«

Der Adjutant war sichtlich erleichtert. »Vielen Dank, Colonel. Dann lasse ich jetzt das Flugzeug startfertig machen.«

Er eilte zum Hangar, wo eine Gruppe Männer bereits wartete. »Also, wir sind soweit«, sagte er.

»Gut«, sagte Juan, der sich in der Gruppe befand. »Dieses Mal entgeht er uns bestimmt nicht mehr.«

Der Adjutant wandte sich an einen der Männer. »Du bist der Pilot. Colonel Bolivar fliegt heute nicht selbst, sondern nur mit.« Und zu einem Mechaniker sagte er: »Richte das Flugzeug so her, daß der Motor nach zehn Minuten ausfällt.« Und einen dritten Mann wies er an: »Und du sorgst dafür, daß der Fallschirm von Colonel Bolivar sich nicht öffnet.«

Der Mann grinste. »Kannst dich darauf verlassen.«

Juan wandte sich an die ganze Gruppe. »So, Leute. Das Land wird sehr stolz auf uns sein. Wir befreien es von dem Diktator.«

Der Adjutant kam zusammen mit dem ausgewählten Piloten zurück zu Eddie.

»Wir sind startbereit, Colonel.«

Eddie betrachtete sich noch einmal den schnittigen Jet. Der Gedanke, in dieser Maschine in die Luft aufzusteigen, verursachte ihm eine Gänsehaut. Schlimm genug, in einer der großen Verkehrsmaschinen zu fliegen. Aber in so einer Rakete angeschnallt zu sein und darin mit Überschallgeschwindigkeit am Himmel herumzusausen, ängstigte ihn kolossal.

»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte er. »Ich möchte wirklich nicht fliegen.«

Der Pilot wurde ganz aufgeregt. »Colonel Bolivar! Mit allem Respekt, aber es wird doch jeden Moment angesagt, daß Sie gleich fliegen! Ich sitze am Steuer, aber das müssen die Leute ja nicht wissen. Sie glauben, daß Sie selbst die Kunstflugfiguren fliegen.«

Eddie zwinkerte mit den Augen. »Kunstflugfiguren?«

»Ja, Sie wissen doch, die Loopings und die Rollen und das Trudeln.«

Eddie drehte sich bei der bloßen Erwähnung schon der Magen um. »Loopings ... Rollen ... Trudeln?«

»Ja, sicher, wie Sie es jedes Jahr machen!«

Eddie bekam weiche Knie. »Ich glaube nicht, daß ich das heute schaffe.«

Da kam aber auch schon die Ansage über die Lautsprecher. »Meine Damen und Herren, unser großer und geliebter Diktator, Colonel Ramon Bolivar, besteigt jetzt sein Flugzeug und wird uns einen Beweis seiner außergewöhnlichen Flugkünste liefern! Spenden wir ihm einen rauschenden Applaus!«

Sofort brauste auch schon der geforderte Applaus auf und der Jubel der Menge. »Da sehen Sie es!« sagte der Pilot. »Alle warten auf Sie!«

Eddie konnte natürlich nicht ahnen, daß die Leute alle deshalb so applaudierten und jubelten, weil sie sehen wollten, wie er aufstieg und abstürzte.

Er schluckte. »Na also gut.« Wird ja wohl sicher sein, dachte er im stillen. Mit dem Flugzeug von Colonel Bolivar gehen sie bestimmt besonders sorgsam um, damit nichts passiert.

Der Pilot reichte ihm den Fallschirm.

»Was ist das denn?« fragte Eddie.

»Na, Ihr Fallschirm, Colonel!« sagte der Pilot. »Der ist Vorschrift, nicht?«

»Ja, ja«, sagte Eddie. Und er ließ ihn sich, wenn auch widerwillig, auf den Rücken schnallen und mit den Gurten vorne festmachen. Der Pilot hatte bereits dafür gesorgt, daß sich der Fallschirm auf keinen Fall öffnen würde.

Er sah Eddie zufrieden an. »So, jetzt ist alles klar.«

Der Diktator war schon so gut wie tot.

Eddie stieg in den engen hinteren Sitz ein.

»Schnallen Sie sich bitte an, Colonel«, sagte der Pilot. »Wir starten sofort.«

Wird schon nicht so schlimm werden, dachte Eddie bei sich. Und dann kann ich, wenn ich heimkomme, immerhin Mary allerhand erzählen. Wie viele Leute haben schon Gelegenheit, in einem richtigen Düsenjäger zu fliegen?

Capitan Torres kam gerade noch rechtzeitig auf dem Flugfeld an, um Eddie in den Jet klettern zu sehen.

»Fahren Sie mich zu meinem Flugzeug, schnell!« befahl er und saß schon ein paar Minuten darauf startbereit in der Maschine.

Da fegte Eddies Flugzeug bereits über die Startbahn und zog hoch in den Himmel. Eddie hatte das Gefühl, als lasteten zehn Tonnen Gewicht auf seiner Brust, so ein Druck war das. Schon in fünfzehn Sekunden war der Jäger zehntausend Meter hoch in der Luft. Sein Herz klopfte heftig. Also so war das, wenn man in einem Jet flog.

»Alles in Ordnung?« fragte ihn der Pilot über das Bordtelefon.

»Ja, ja«, sagte Eddie, und tatsächlich fühlte er sich wirklich auf einmal ganz großartig. Seine anfängliche Panik war völlig verschwunden. Es war vielmehr ein tolles und aufregendes Gefühl, so hoch zu fliegen und dabei auch noch so schnell. Die Sache fing an, ihm zu gefallen. Vielleicht, dachte er, spiele ich ja auch einmal die Rolle eines Jagdfliegers, und da weiß ich dann bereits genau, was das für ein Gefühl ist. Für einen Schauspieler ist es nur gut, wenn er viele verschiedene Erfahrungen sammelt.

In diesem Moment hörte er, wie der Pilot sagte: »Achtung, Colonel!« Und gleich danach fiel ihm das Herz in die Hose. Das Flugzeug begann, gewaltige Loopings am Himmel zu fliegen.

Eddie sah nach unten und sagte: »Großer Gott, wir fliegen ja mit dem Kopf nach unten!«

Der Pilot vollendete den Luftkreis des Loopings und begann zu trudeln. Sie wackelten wie verrückt durch die Luft und sausten nach unten auf die Köpfe der Zuschauer zu.

»Noch immer alles in Ordnung, Colonel?«

Eddie wartete mit der Antwort, bis sein Magen wieder am richtigen Platz war. »Ja, ja«, sagte er dann, »alles bestens.«

Aber sein Magen war wie ein einziger Knoten. »Wann landen wir?«

»Gleich, Colonel, nur noch ein paar Minuten.«

Capitan Torres war mit seiner Maschine hinter ihnen.

Sie waren auf dreizehntausend Meter Höhe. Der Pilot zog einen Hebel, und der Motor begann zu stottern.

»Was ist das für ein Geräusch?« fragte Eddie.

»Da scheint etwas nicht zu stimmen«, sagte der Pilot.

»Was soll das heißen, es scheint etwas nicht zu stimmen?«

Aus der Triebwerksturbine kam Rauch.

»Scheint Feuer gefangen zu haben!« rief der Pilot. »Wir steigen lieber aus!«

»Was soll das heißen«, schrie Eddie erneut, »wir steigen aus? Ich kann doch gar nicht!«

»Sie müssen aber, Colonel!«

Eddie sah, wie der Pilot vorne sein Kanzeldach öffnete und von seinem Sitz aufstand.

»Ich springe jetzt ab, Colonel! Folgen Sie mir nach!« Und er sprang aus dem Flugzeug. Nach drei Sekunden ging sein Fallschirm auf, und er begann langsam nach unten zu schweben.

Eddies Herz klopfte so heftig, daß er befürchtete, es falle ihm direkt aus der Brust. »Kommen Sie zurück!« schrie er dem Piloten nach. »Sie können mich doch hier nicht allein lassen! Hilfe! Hilfe!«

Aber natürlich konnte ihn kein Mensch hören.

Der Rauch wurde inzwischen immer dicker.

Na gut, sagte sich Eddie. Immerhin habe ich ja wenigstens einen Fallschirm. Er schob sein Kanzeldach zurück, stellte sich auf seinen Sitz und sprang aus dem Flugzeug. Vorne am Gurt des Fallschirms hatte er einen kleinen Ring, und an diesem zog er, wie er es im Kino schon oft von Piloten gesehen hatte.

Aber nichts geschah. Der Fallschirm ging nicht auf.

Er begann zu ahnen, daß er direkt in den Tod stürzte.

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