11. Kapitel

Der Tag der großen Flucht war angebrochen. Heute geht es also nach Hause, dachte Eddie. Amador muß ohne mich zurechtkommen.

Er griff zum Telefon und rief den Flughafen-Tower an.

»Tower.«

»Hier ist Colonel Bolivar.«

»Jawohl, Colonel.«

Er hörte direkt, wie selbst die Stimme des Mannes Haltung annahm.

»Geben Sie mir meinen Chefpiloten.«

Dieser meldete sich im nächsten Augenblick.

»Jawohl, Colonel.«

»Ich fliege heute nach New York. Bereiten Sie mein Flugzeug entsprechend vor. Daß es ausreichend Treibstoff hat.«

»Geht in Ordnung, Colonel. Um welche Zeit wollen Sie starten?«

Eddie sah auf seine Armbanduhr. Es war sechs Uhr morgens. Im Palast schliefen mit Sicherheit alle noch.

»Jetzt gleich«, sagte er. »Ich bin schon auf dem Weg zum Flughafen.«

»Geht in Ordnung, Colonel.«

Eddie legte den Hörer auf und sah sich ein letztes Mal um. Das alles hier wird mir fehlen, dachte er. Das schöne Zimmer, Frühstück im Bett, Massagen, Sauna. Doch er tröstete sich: Aber wenn mein Stück erst ein Welterfolg ist, kann ich mir das alles auch in New York leisten.

Er ging zur Tür und öffnete sie leise. Niemand war in der Nähe. Er ging hinaus auf den Korridor und lautlos bis zum Portal. Er ging fast auf Zehenspitzen, um ja niemanden zu wecken.

Er war schon fast am Tor, als Capitan Torres erschien.

»Wohin wollen Sie denn, sagen Sie mal?«

Eddie schreckte hoch. »W-was?«

»Wo Sie hinwollen?«

»Nirgends«, sagte Eddie. »Nur ein kleiner Spaziergang.«

»Um diese Zeit?«

»Ich gehe gerne ganz früh morgens spazieren.«

»Los, los, zurück in Ihre Suite!« Capitan Torres hatte keinerlei Absicht, den Schauspieler auch nur für kurze Zeit aus den Augen zu lassen.

»Ich will doch nur -«

»Zurück auf Ihr Zimmer!«

»Na, wenn Sie unbedingt darauf bestehen«, sagte Eddie. Er drehte sich um und ging zurück in seine Suite.

Capitan Torres blieb stehen und sah ihm nach, bevor er zu den Palastwachen ging.

»Ein Spezialauftrag!« sagte er zu ihnen. »Es steht zu befürchten, daß jemand ein Attentat auf den Colonel vorhat. Zwei Mann werden ab sofort die Tür zu seinem Schlafzimmer strikt bewachen und ihn auf Schritt und Tritt begleiten, wohin er auch geht. Der Colonel darf nicht eine Sekunde allein gelassen werden. Verstanden?«

»Jawohl, Capitan. Es wird sofort veranlaßt.«

»Gut.«

Eddie hatte nicht die geringste Chance mehr zu entfliehen. Und es war der Tag, an dem er sterben sollte.

Als Eddie in sein Schlafzimmer zurückkam, dachte er sich: Ich warte ein paar Minuten, dann probiere ich es noch einmal. Er wollte dem Capitan Zeit lassen, wieder zurück ins Bett zu gehen.

Nach einer Viertelstunde öffnete er leise erneut die Tür seines Schlafzimmers. Aber da standen nun zwei Wachtposten mit Maschinenpistolen.

»Was macht ihr denn hier?« fragte Eddie.

»Wir haben Befehl zu einer Sonderbewachung für Sie, Colonel. Wir haben an Ihrer Seite zu bleiben, wohin Sie auch gehen.«

»So«, sagte Eddie, dem im Augenblick kein Argument einfiel, sie fortzuschicken. »Aha. Na gut. Danke.«

Er schloß die Tür.

Da schleiche ich mich einfach zum Park hinaus, dachte er.

Aber als er die Tür zum Park hinaus aufmachte, standen auch da zwei schwerbewaffnete Wachtposten.

»Guten Morgen, Colonel.«

»Guten Morgen«, sagte Eddie.

Er ging zurück in sein Schlafzimmer und schloß auch die Tür zum Park hinaus wieder. Mist, dachte er. Jetzt wird es problematisch.

Er griff zum Telefon und rief beim Flughafen-Tower an.

»Tower.«

»Hier spricht Colonel Bolivar. Geben Sie mir noch einmal meinen Piloten.«

Der Pilot kam. »Ja, Colonel.«

»Es gibt eine kleine Verzögerung«, sagte Eddie. »Aber halten Sie das Flugzeug trotzdem startbereit. Ich komme bald.«

»Jawohl, Colonel.«

Eddie legte auf. Wie komme ich bloß hier heraus? fragte er sich.

In der Klinik sprach Capitan Torres mit Colonel Bolivar, der sehr guter Laune war.

»Der Arzt sagt, ich kann heute nach Hause«, erklärte er ihm.

»Das ist großartig.«

»Sie machen nur noch ein paar Tests, aber dann kann ich am späten Nachmittag heraus.«

Capitan Torres sagte mit gefurchter Stirn: »Es ist allerdings dringend notwendig, daß Sie schon heute mittag in den Palast zurückkehren.«

Der Colonel blickte auf. »Wieso denn das?« »Erinnern Sie sich nicht, Colonel? Heute ist doch der nationale Tag der Armee. Da halten Sie doch immer mittags eine große Rede.«

Colonel Bolivar sagte, nun ebenfalls stirnrunzelnd: »Natürlich, richtig, das stimmt.«

Er klingelte nach dem Arzt.

Als er da war, erklärte ihm der Colonel: »Ich muß noch heute vormittag die Klinik verlassen.«

Der Doktor aber schüttelte entschieden den Kopf.

»Ausgeschlossen, Colonel. Sie können nicht weg, bevor wir nicht alle Tests abgeschlossen haben. Aus deren Ergebnis erfahren wir doch erst, was für Medikamente wir Ihnen verschreiben müssen, damit Sie nicht womöglich einen schweren Rückfall erleiden.«

Der Colonel und der Capitan sahen einander an.

Colonel Bolivar sagte: »Gibt es denn keine Möglichkeit, daß ich -«

»Tut mir leid«, unterbrach ihn der Arzt. »Die Tests dauern vier Stunden, da ist nichts zu machen. Sie können erst heute nachmittag in Ihren Palast zurückkehren.«

»Na gut«, sagte Colonel Bolivar. »Danke Ihnen, Doktor.«

Der Arzt ging.

»Wo ist der Schauspieler im Augenblick?« fragte der Colonel.

»Ich habe ihn unter strikter Bewachung. Er entkommt nicht.«

»Gut. Heute abend will ich ihn im Kerker haben.«

»Und was ist mit der Rede?« erkundigte sich Capitan Torres.

»Haben Sie sie geschrieben?«

»Gewiß.«

»Gut, dann geben Sie sie ihm, daß er sie liest und vorträgt. Sobald er damit zu Ende ist, lassen Sie ihn zurück in den Palast schaffen und sofort in den Kerker werfen. Lassen Sie ihn keinen Moment aus den Augen.«

»Ganz bestimmt nicht«, versicherte der Capitan.

Eddie saß noch immer in seinem Schlafzimmer und zerbrach sich den Kopf, wie er fliehen könne, als Capitan Torres wieder bei ihm eintrat.

»Wie geht es Colonel Bolivar?« fragte Eddie.

Capitan Torres schüttelte betrübt den Kopf. »Der bedauernswerte Mann ist in keiner guten Verfassung«, log er. »Sieht so aus, als blieben Sie noch eine Weile Diktator.«

Eddie tat so, als freue ihn diese Eröffnung. »Großartig«, sagte er. »Weil mir das wirklich gut gefällt.«

»Sie haben wohl nicht mit dem Gedanken gespielt, heimzukehren, wie?« fragte der Capitan.

»Ich? Nein«, erklärte Eddie im Brustton der Überzeugung. »Nein, nein. Dazu macht mir das hier doch viel zuviel Spaß.«

»So, so«, sagte der Capitan. »Na gut. Da können Sie heute gleich noch mehr Spaß haben. Am Mittag gibt es eine große Kundgebung. Der Platz wird voller Menschen sein. Vor denen halten Sie eine Rede.«

»Im Redenhalten bin ich nicht so gut«, sagte Eddie.

»Das spielt keine Rolle. Die Rede habe ich Ihnen schon geschrieben.«

Er reichte Eddie das Manuskript. »Lesen Sie es durch, lernen Sie es auswendig, und ich hole Sie kurz vor Mittag ab.« Er musterte Eddie eindringlich und sagte: »Wenn Sie einen Spaziergang machen wollen ... Die Wachen werden Sie überallhin begleiten.«

Eddie lächelte schwach. »Sehr aufmerksam von Ihnen, Capitan!«

»Ach, keine Ursache«, sagte Torres. »Aber lernen Sie jetzt die Rede.«

Eddie sah zum Parkfenster hinaus. Die beiden Wachtposten standen nach wie vor da. Daß auch vor der Tür zum Flur Wachen standen, wußte er bereits. Es fiel ihm nichts ein, wie er von hier hinauskommen sollte. Er saß in der Falle. Wenn ich nur einen Autor hätte, dachte er, der mich hier hinausschriebe ...

Er griff nach dem Redemanuskript, das ihm Capitan Torres gegeben hatte, und begann zu lesen.

»Mein geliebtes Volk, wir sind heute hier versammelt, um unserer großen Armee zu gratulieren. Viele Jahre beschützen uns diese tapferen Männer nun schon vor unseren Feinden.«

Eddie dachte: Was denn für Feinde?

Er las weiter. »Da gibt es diejenigen, die unser großes Land vernichten wollen. Aber die Soldaten Amadors haben unsere Grenzen in der Vergangenheit immer gut bewacht, so wie sie es auch in der Zukunft tun werden!«

Eddie fragte sich wieder: Wovon redet der denn da? Der einzige, der versucht, Amador zu vernichten, ist er selbst, Colonel Bolivar!

Er las den Rest der bombastischen Rede, die bis zum Ende im gleichen Ton weiterging.

Die Leute haben vielleicht Nerven, dachte Eddie. Die versuchen tatsächlich, jeden für dumm zu verkaufen. Wo doch der wirkliche Zweck dieser Armee eindeutig darin besteht, das eigene Volk unter der Knute zu halten.

Er verspürte nicht die geringste Lust, diese Rede zu halten. Aber es war ihm auch klar, daß er keine andere Wahl hatte.

Ein paar Minuten vor Mittag ging die Tür seines Schlafzimmers auf, und Capitan Torres trat ein.

»Wir sind soweit«, sagte er. »Haben Sie die Rede gelernt?«

Eddie nickte. »Ja.«

»Gut.« Das wird die letzte Rede sein, dachte Capitan Torres im stillen, die dieser Schauspieler hält. Nein, das stimmt nicht. Eine wird er noch halten. Nämlich die, mit der er bei Colonel Bolivar um sein Leben bettelt.

Sie gingen den Korridor entlang, flankiert von den bewaffneten Wachtposten. Eddie war der Panik nahe. Wie komme ich bloß zum Flugzeug? überlegte er fieberhaft.

Da stand es startbereit auf dem Flughafen, vollgetankt für den Flug nach New York, und er war hier eingekreist von diesen Wachtposten! Es muß einfach einen Weg geben, dachte er. Aber so angestrengt er auch nachdachte, es fiel ihm keiner ein.

In einem Keller am Stadtrand gab Juan zu dieser Zeit automatische Waffen an seine Mitverschwörer aus.

»Heute«, sagte er, »werden wir Erfolg haben. Bolivar hält eine Rede auf einem Podium mitten auf dem Platz. Das Podium ist von kugelsicherem Glas umgeben.«

»Und wie sollen wir ihn da treffen?« fragte einer.

Juan lächelte. »Vergangene Nacht haben einige unserer Männer das kugelsichere Glas gegen normales ausgetauscht. Damit ist er auf seinem Podium völlig schutzlos.«

»Das ist großartig!«

»Dieses Mal wird es klappen!«

»Aber denkt daran«, mahnte Juan, »ihr müßt, wenn ich das Zeichen gebe, alle gleichzeitig schießen. Ihr steht über den ganzen Platz verteilt in seiner Nähe. Wenn also einer vorbeischießen sollte, treffen ihn auf jeden Fall die anderen.«

»Was ist das Signal?« fragte einer.

»Ich ziehe dieses rote Taschentuch heraus«, sagte Juan und zeigte es, »und wische mir damit über die Stirn. In dem Augenblick, in dem es meine Stirn berührt, zieht ihr und schießt. Alles klar?«

»Alles klar.«

»Gut. Also seht immer auf mich. Ich warte auf den genau richtigen Augenblick. So. Und jetzt gehen wir einer nach dem anderen los. Wir sehen uns auf dem Platz wieder.«

Er sah ihnen nach und dachte: Der große Tag ist nun endlich gekommen. Nicht mehr lange, und Colonel Bolivar ist tot.

Eddie und Capitan Torres stiegen in einen Wagen und fuhren zum großen Stadtplatz. Sie waren noch nicht da, als Eddie bereits den Lärm der Menge vernahm. Der Platz war schwarz von Menschen, es waren Tausende, Arbeiter, Schulkinder, normale Bürger. Alle standen sie in der heißen Sonne und warteten darauf, ihren Diktator sprechen zu hören.

»Sehen Sie mal, wieviel Publikum wir haben«, sagte Capitan Torres. »So sehr liebt das Volk Colonel Bolivar.«

Eddie mußte ja nicht unbedingt wissen, daß alle diese Leute nur deshalb da waren, weil sie bei Gefahr der Todesstrafe herbefohlen worden waren.

Mitten auf dem Platz war ein Podium für den Diktator errichtet worden.

»Gehen Sie hinauf«, sagte Capitan Torres zu Eddie.

Eddie stieg die Stufen zu dem Podium hinauf. Es war ringsum verglast.

»Das ist kugelsicheres Glas«, versicherte ihm Capitan Torres. »Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.«

Eddie machte sich aber Sorgen, wenn auch nicht wegen des Glases. Seine Sorgen bestanden darin, wie er zum Flugzeug kommen könnte.

Die Rede sollte eine Stunde dauern. Er hatte natürlich keine Ahnung, daß er unmittelbar danach in den Kerker geworfen werden sollte. Allerdings hatte er ein, wenn auch unbestimmtes, so doch um so deutlicheres ungutes Gefühl ganz allgemein. Capitan Torres tat ihm auf einmal viel zu freundlich. Eddie traute ihm nicht mehr.

Capitan Torres trat vor das Mikrophon, und in der Menge wurde es still. »Mitbürger, Landsleute!« rief der Capitan. »Mein Herz ist voller Freude, wenn ich sehe, in welcher großen Zahl ihr euch heute hier eingefunden habt, nicht nur zu Ehren unserer tapferen Armee, sondern auch unseres geliebten, großen Diktators, Colonel Ramon Bolivar!«

Die Soldaten in der Menge applaudierten, sonst aber niemand.

»Wir Bürger von Amador können uns glücklich schätzen, einen so großen Führer zu besitzen, einen Mann, der sich als Beschützer seines Volks versteht!«

Wieder applaudierten nur die Soldaten.

»Und jetzt, meine Damen und Herren, habe ich die große Ehre und Freude, unseren großen Diktator anzukündigen, Colonel Ramon Bolivar!«

Er trat zur Seite und winkte Eddie ans Mikrophon.

Eddie hielt das Redemanuskript in der Hand. Aber er kannte die Rede zum größten Teil auswendig.

»Bürger von Amador!« begann er. »Wir sind heute hier versammelt, um unserer großen Armee zu gratulieren. Viele Jahre beschützen uns deren tapfere Männer nun schon vor unseren Feinden. Da gibt es diejenigen, die unser großes Land vernichten wollen. Aber die Soldaten Amadors haben unsere Grenzen in der Vergangenheit immer gut bewacht, so wie sie es auch in der Zukunft tun werden!«

Eddie zögerte etwas, bevor er weiterlas.

»Wir müssen zugeben, daß es bedauerlicherweise in unserer Mitte einige wenige gibt, ein paar Unruhestifter, die es nicht zu schätzen wissen, daß sie in einem so großen Land wie dem unseren leben. Aus diesem Grund war es leider unumgänglich, daß ich einige der Freiheiten, die unser Volk besitzt, einschränken mußte. Zuviel Freiheit kann auch gefährlich sein, weil es den Fanatikern erlaubt, ihre Stimme zu erheben und gegen Dinge zu protestieren, gegen die nicht protestiert werden sollte!«

Ein solcher Haufen von Lügen, dachte Eddie grimmig. Einfach widerlich.

Unten auf dem Platz sah Juan sich inzwischen um, ob auch alle seine Leute auf ihrem Platz waren. Alle standen bereit. Juan zog sein rotes Taschentuch heraus.

Eddie sprach weiter.

»Es ist weitaus besser, einen Mann zu haben, der sich seines Volkes so annimmt wie ich, als einen Kongreß voller Leute, die dauernd nur darüber streiten, welche Gesetze für das Volk gut seien oder schlecht. Ich entscheide, welche Gesetze gut sind, und ich habe bei allen meinen Entscheidungen immer nur euch im Sinn!«

Juan hob sein rotes Taschentuch und führte es auf seine Stirn zu. Seine in der Menge verteilten Leute beobachteten ihn genau und hatten schon die Hand an ihrer Tasche, um die Waffe zu ziehen.

Das ist doch schrecklich, dachte Eddie oben auf dem Podium. Das kann ich doch den Leuten nicht zumuten.

Und er warf sein Redemanuskript weg.

»Andererseits«, sprach er nun frei weiter, »glaube ich gar nicht wirklich, daß es gut ist, wenn ein einziger Mann allein einem ganzen Volk sagt, was gut für es ist.«

Juans Taschentuch hatte fast schon seine Stirn erreicht. Seine Leute waren daran zu ziehen.

»Und deshalb glaube ich«, sagte Eddie auf dem Podium, »daß das Volk Gelegenheit haben sollte, selbst über sein Schicksal zu bestimmen.«

Juans Taschentuch blieb eine Handbreit vor seiner Stirn stehen, als er diese Worte hörte, die er nicht glauben konnte.

»Von jetzt an wird es also keine Diktatur mehr im Lande geben. Wir werden freie Wahlen abhalten.«

Juan konnte es noch immer nicht glauben. Seine Hand mit dem Taschentuch sank wie von selbst nach unten.

Auch Capitan Torres starrte Eddie ungläubig an, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

Die Menge aber begann zu jubeln.

»Freie Wahlen!« wiederholte Eddie. »Und Wahlrecht für alle!«

Der Jubel schwoll an.

»In diesem Augenblick«, verkündete Eddie, »trete ich als Diktator von Amador zurück und übergebe das Land dem Volk selbst!«

Capitan Torres befürchtete, er werde gleich in Ohnmacht fallen.

Die versammelte Menge aber begann, in Bewegung zu geraten und in einen Freudentaumel zu verfallen. Die Menschen drängten auf das Podium zu, griffen sich Eddie und trugen ihn auf ihren Schultern in einem Triumphzug um den ganzen Platz herum.

»Ich hätte ihn schon längst umbringen sollen«, murmelte Capitan Torres erschüttert. »Er hat uns ruiniert.«

Eddie wurde weiter um den Platz getragen, Capitan Torres verlor ihn aus den Augen. Er sagte zu den Wachtposten: »Folgt ihm! Laßt ihn nicht entkommen!«

Aber die Menge war so dichtgedrängt, daß die Soldaten nicht durchkamen.

Am Ende des Platzes sagte Eddie: »Ihr könnt mich jetzt herunterlassen.«

Er kletterte von ihren Schultern und sah sich um. Capitan Torres war nirgends zu erblicken.

Eddie sagte zu einem Mann in der Menge: »Können Sie mich vielleicht zum Flughafen fahren? Ich habe da eine wichtige Verabredung.«

Capitan Torres glaubte, verrückt zu werden. Mit seinen Wachen hatte er überall nach Eddie gesucht, aber er war nicht zu entdecken. Die Menge war völlig außer Rand und Band. Sie warf Schildermasten um und riß die Bilder des Diktators ab.

»Demokratie!« riefen sie außer sich. »Wir haben eine Demokratie!«

Wir sind ruiniert, dachte Capitan Torres. Dieser verfluchte Schauspieler hat uns eigenhändig und allein das ganze Land ruiniert.

Und dann durchfuhr ihn erst der schrecklichste Gedanke von allen. Wie soll ich denn das nur Colonel Bolivar beibringen?

Als Eddie am Flughafen ankam, wartete der Pilot auf ihn.

»Wir sind jederzeit startbereit, Colonel«, sagte er.

»Gut«, sagte Eddie.

Ein Jeep fuhr ihn hinaus zu dem Flugzeug, einer großen 727. Eddie stieg hinein. Die Maschine war innen luxuriös ausgestattet und hatte nur dreißig oder vierzig Sitzplätze. Jetzt war Eddie natürlich der einzige Passagier.

»Wann wollen Sie starten, Colonel?«

»Sofort«, sagte Eddie.

Er wollte unbedingt in der Luft sein, bevor Capitan Torres und Colonel Bolivar herausfanden, wo er war.

In eben diesem Augenblick sprach Capitan Torres mit einem der Soldaten aus der versammelten Menge auf dem Platz. Der Soldat deutete auf den Mann, der mit Eddie weggefahren war. Capitan Torres ging zu ihm hin.

»Haben Sie Colonel Bolivar von hier weggefahren?«

Der Mann strahlte. »Jawohl, Capitan! Es war mir eine besondere Ehre. Er ist so ein großer Mann!«

»Wohin haben Sie ihn gefahren?«

»Zum Flughafen.«

»Zum Flughafen?«

Da begriff Capitan Torres, was Eddie vorhatte. Er hatte die Absicht, mit Colonel Bolivars Flugzeug heimzufliegen!

»Das wird ihm nicht gelingen«, murmelte er.

Eddie schnallte sich an und ließ sich in den weichen, bequemen Sessel zurücksinken. Noch nie hatte er so ein Flugzeug wie dieses gesehen. Es hatte einen großen Fernsehapparat an Bord, eine Filmleinwand, und Dutzende Zeitschriften und Videospiele waren vorrätig.

Der Pilot meldete ihm über den Bordlautsprecher:

»Wir sind abflugbereit, Colonel. Möchten Sie herkomm en und selbst den Start fliegen?«

Eddie dachte darüber nach. »Ach nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Machen Sie das ruhig.«

Im nächsten Moment rollte das Flugzeug auf der Startbahn los, hob dann steil nach oben in die Luft ab und nahm Kurs auf New York.

Nur noch ein paar Stunden, dachte Eddie, und ich bin wieder zu Hause bei Mary und unserem neuen Baby und bei meinem neuen Stück »Der Diktator«.

Er sah es bereits im Geiste vor sich, wie die Menge ihm zujubelte und dann der Schlußvorhang fiel.

Ja, dachte er, die Geschichte hat ein Happy-End, und das ist gut so. Ein einfacher Schauspieler hat ein Land, das von einem Tyrannen regiert wurde, übernommen und das Volk befreit. Und jetzt bekomme ich die Belohnung dafür.

In diesem Moment klingelte vorne im Cockpit der Maschine das Telefon. Der Pilot hob ab und meldete sich. »Luftwaffe Eins.«

»Hören Sie mir gut zu, ganz genau. Sie haben Colonel Boli-var an Bord?«

»Jawohl.«

»Wohin fliegen Sie?«

»Nach New York.«

»Der Mann, den Sie an Bord haben, ist ein Hochstapler und Schwindler. Hier spricht Colonel Bolivar. Kehren Sie sofort um, und fliegen Sie zurück zum Flughafen. Haben Sie das verstanden?«

»Jawohl.«

»Gut.«

Der Pilot saß einen Moment reglos da und ging dann nach hinten in die Kabine.

»Alles in Ordnung?« fragte Eddie.

Der Flugkapitän lächelte. »Ja, ja, alles in Ordnung. Es ist nur eben etwas ganz Komisches passiert. Irgendein Verrückter hat über Radiofunk angerufen und erklärt, er sei Colonel Bolivar, und Sie wären ein Schwindler und Hochstapler. Was den Leuten so alles einfällt, was?«

»Ja, wirklich«, sagte Eddie.

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