25 Fragmente

Als die Amyrlin mit funkelnden Augen und in Begleitung von Doesine, Saerin und mehreren anderen Sitzenden aus dem Wegetor in ihr Lager trat, stieß Siuan einen langen Seufzer der Erleichterung aus.

Bryne kam hinter ihnen aus dem Tor und eilte an Siuans Seite. »Was ist entschieden worden?«, fragte sie sofort.

»Im Augenblick halten wir unsere Position«, erklärte Bryne. »Elaynes Befehl, und die Amyrlin stimmt ihr zu.«

»Wir sind in der Unterzahl!«

»Genau wie alle anderen auch«, erwiderte er und blickte nach Westen.

Die letzten Tage hatten die Sharaner damit verbracht, ihre Streitkräfte zu sammeln und ein oder zwei Meilen von Egwenes Heer entfernt Aufstellung zu nehmen, die nun mit dem Rücken zu dem breiten Fluss stand, der die Grenze zwischen Kandor und Arafel bildete.

Der Schatten hatte sich noch nicht zu einem Angriff entschlossen, sondern stattdessen hin und wieder Stoßtrupps durch Wegetore geschickt, während man darauf wartete, dass das langsamere Trolloc-Heer zu ihnen stieß. Leider waren die Tiermenschen nun eingetroffen. Egwenes Streitkräfte hätten sich wieder durch Wegetore zurückziehen können, aber Siuan musste zugeben, dass das wenig gebracht hätte. Irgendwann mussten sie dieser Streitmacht entgegentreten.

Diesen Ort an der südöstlichen Spitze Kandors hatte Bryne ausgewählt, weil ihnen das Terrain einen Vorteil bot, wenn auch nur einen kleinen. Der Fluss, der von Norden nach Süden an der östlichen Grenzseite vorbeiführte, war tief, aber weniger als eine Viertelmeile von den Hügeln entfernt, die sich von Osten nach Westen an der Südgrenze Kandors erhoben, befand sich eine Furt. Die Horden des Schattens würden zu dieser Furt ziehen, um Arafel zu betreten. Indem seine Truppen an der Furt und auf den sie überblickenden Hügeln Aufstellung nahmen, konnte er das Invasionsheer von zwei Seiten angreifen. Falls der Druck zu stark wurde, konnte er sich durch die Furt nach Arafel zurückziehen, und die Fluten würden ein Nachteil für die Trollocs sein. Es war nur ein winziger Vorteil, aber in der Schlacht waren auch winzige Dinge manchmal von großer Bedeutung.

Auf den Ebenen westlich des Flusses formierte der Schatten die Heere der Trollocs und Sharaner. Beide bewegten sich auf die belagerten Aes Sedai und die Truppen unter Brynes Kommando zu.

In der Nähe musterte Egwene das Lager. Beim Licht, es war eine große Erleichterung, dass die Amyrlin überlebt hatte. Siuan hatte es vorhergesagt, trotzdem … Licht. Es tat gut, Egwene zu sehen.

Falls es tatsächlich Egwene war. Das war das erste Mal, dass die Amyrlin nach ihrer Tortur wieder einen Fuß in das Lager setzte, aber an geheimen Orten hatte sie sich mehrere Male mit den Sitzenden aus dem Saal der Burg beraten. Siuan hatte noch keine Gelegenheit gehabt, unter vier Augen mit Egwene zu sprechen.

»Egwene al’Vere«, rief sie der Amyrlin zu. »Sagt mir, wo wir uns das erste Mal begegnet sind!«

Die anderen Schwestern sahen Siuan an und runzelten über ihre Unverschämtheit die Stirn. Egwene schien sie jedoch zu verstehen. »Fal Dara«, antwortete sie. »Auf unserer Reise flussabwärts habt Ihr mich mit Luft gefesselt, ein Teil einer Lektion in der Macht, die ich nie vergaß.«

Siuan stieß einen zweiten, noch tieferen Seufzer der Erleichterung aus. Außer Egwene und Nynaeve war niemand bei dieser Lektion auf dem Schiff dabei gewesen. Unglücklicherweise hatte Siuan es Sheriam erzählt, der damaligen Herrin der Novizinnen und Schwarze Ajah. Nun, trotzdem war sie davon überzeugt, dass das tatsächlich Egwene war. Die Gesichtszüge einer Frau zu imitieren war nicht schwer, aber an ihre Erinnerungen zu kommen war eine andere Sache.

Siuan achtete darauf, der Frau in die Augen zu blicken. Es hatte Gerede über die Geschehnisse in der Schwarzen Burg gegeben. Myrelle hatte davon erzählt, ihre neuen Behüter hatten es ihr berichtet. Etwas Finsteres.

Angeblich konnte man es sehen. Siuan würde die Veränderung in Egwene erkennen, falls es sie gab, oder etwa nicht?

Wenn nicht, dann sind wir bereits verloren. Sie würde der Amyrlin vertrauen müssen, so wie sie es viele Male zuvor getan hatte.

»Versammelt die Aes Sedai«, sagte Egwene. »Kommandant Bryne, Ihr habt Eure Befehle. Wir halten die Stellung an diesem Fluss, es sei denn, die Verluste werden so unerträglich, dass …« Sie verstummte. »Wie lange sind die da hier?«

Siuan schaute auf und sah die Raken mit ihren Kundschaftern über ihren Köpfen vorbeifliegen. »Schon den ganzen Morgen. Ihr habt seinen Brief bekommen.«

»Verfluchter Mann«, sagte Egwene. Die Botschaft des Wiedergeborenen Drachen, die Min Farshaw überbracht hatte, war kurz gewesen.

Die Seanchaner kämpfen gegen den Schatten.

Er hatte ihnen Min geschickt, allerdings aus Gründen, mit denen die Frau nicht so recht rausrücken wollte. Bryne hatte ihr sofort eine Aufgabe zugeteilt: sie arbeitete als Schreiberin für die Nachschubmeister.

»Vertraut Ihr dem Wort des Wiedergeborenen Drachen hinsichtlich der Seanchaner, Mutter?«, fragte Saerin.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte Egwene. »Stellt trotzdem unsere Schlachtlinien auf, aber behaltet die Dinger dort oben im Auge, nur für den Fall, dass sie angreifen.«


Als Rand die Höhle betrat, veränderte sich etwas in der Luft. Der Dunkle König schien seine Ankunft erst jetzt zu spüren und war überrascht. Der Dolch hatte sein Werk getan. Rand ging voraus, Nynaeve an der linken Seite, Moiraine an der rechten. Der Weg führte abwärts, und so verließen sie wieder die Höhe, die sie erreicht hatten. Rand kam alles bekannt vor, durch die Erinnerung eines anderen Menschen aus einem alten Zeitalter.

Es war, als würde die Höhle sie verschlucken und in das Feuer in der Tiefe befördern. Die mit reißzahnähnlichen Stalaktiten bewehrte Decke schien sich auf dem Weg abzusenken, kam mit jedem Schritt einen Zoll näher. Sie bewegte sich nicht, und die Höhle wurde auch keineswegs schmaler. Sie veränderte sich einfach, war im einen Moment hoch und im nächsten niedriger.

Die Höhle war ein Rachen, der sich langsam um seine Beute schloss. Rands Kopf berührte die Spitze eines Stalaktiten, und Nynaeve duckte sich, blickte nach oben und fluchte leise.

»Nein«, sagte Rand und blieb stehen. »Ich komme nicht auf den Knien zu dir, Shai’tan.«

Die Höhle grollte. Die dunklen Abgründe schienen emporzugreifen und sich gegen Rand zu stemmen. Er stand reglos da. Als wäre er ein blockiertes Zahnrad und der Rest der Mechanik bemühte sich mit aller Kraft, die Zeiger der Uhr weiterzubewegen. Er hielt stand.

Die Felsen erbebten, dann zogen sie sich zurück. Rand trat vor und atmete aus, als der Druck nachließ. Die Sache, die er begonnen hatte, konnte er jetzt nicht mehr abbrechen. Langsamer zu werden, strengte sowohl ihn wie auch den Dunklen König an; sein Gegenspieler war genauso in der Unvermeidlichkeit des Ganzen gefangen wie er. Der Dunkle König existierte nicht im Muster, aber das Muster beeinflusste ihn trotzdem.

Hinter Rand blieb eine kleine Blutpfütze zurück, wo er stehen geblieben war.

Ich muss das schnell erledigen, dachte er. Ich darf nicht verbluten, bevor der Kampf beendet ist.

Wieder bebte der Boden.

»Das ist richtig«, flüsterte Rand. »Ich komme und hole dich. Ich bin kein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird, Shai’tan. Heute bin ich der Jäger.«

Das Beben des Bodens erschien beinahe wie Gelächter. Schreckliches Gelächter. Rand ignorierte Moiraines besorgten Blick, als sie sich an seine Seite setzte.

Es ging weiter in die Tiefe. Eine seltsame Empfindung drängte sich in Rands Bewusstsein. Eine der Frauen steckte in Schwierigkeiten. War es Elayne? Aviendha? Er vermochte es nicht zu sagen. Die Verzerrung, die dieser Ort verbreitete, beeinflusste den Bund. Rand bewegte sich nun anders durch die Zeit als die anderen, und er verlor sein Gefühl dafür, wo sie sich aufhielten. Er fühlte lediglich, dass eine von ihnen Qualen erlitt.

Rand knurrte und schritt schneller aus. Wenn der Dunkle König sie verletzt hatte … Müsste es hier drin nicht heller werden? Sie mussten sich auf das Glühen Callandors verlassen, durch das er Saidin zog. »Wo ist das Feuer?«, fragte er, und seine Stimme hallte. »Der geschmolzene Stein am Ende des Pfades?«

»Das Feuer ist verschlungen worden, Lews Therin«, sagte eine Stimme aus den Schatten vor ihnen.

Rand blieb stehen, dann trat er mit dem ausgestreckten Callandor vor, um die Gestalt zu beleuchten, die an der Grenze des Lichtscheins mit gesenktem Kopf auf einem Bein kniete und ein Schwert hielt, dessen Spitze auf dem Felsboden ruhte.

Hinter der Gestalt war … gar nichts. Nur Finsternis.

»Rand.« Moiraine legte ihm die Hand auf den Arm. »Der Dunkle König stemmt sich gegen seine Fesseln. Berührt nicht diese Dunkelheit.«

Die Gestalt stand auf und drehte sich um. Callandors Schein enthüllte Moridins mittlerweile vertrautes Gesicht. Neben ihm lag eine leere Hülle auf dem Boden. Rand fand kein anderes Wort dafür. Sie erinnerte an die Kokons, die manche Insekten zurückließen, wenn sie wuchsen, nur dass dieser Kokon hier die Umrisse eines Mannes aufwies. Eines Mannes ohne Augen. Ein Myrddraal?

Moridin folgte Rands Blick und betrachtete die verlassene Hülle. »Ein Gefäß, das mein Meister nicht länger braucht«, sagte Moridin. Saa trieb durch das Weiß seiner Augäpfel, erzitterte und erbebte mit verrückter Vitalität. »Es gebar das, was hinter mir ist.«

»Hinter dir ist doch nichts.«

Moridin hob das Schwert zum Salut vors Gesicht. »Genau!« Diese Augen waren jetzt beinahe ganz schwarz.

Rand bedeutete Moiraine und Nynaeve, ein paar Schritte zurückzubleiben, während er näher trat. »Du forderst ein Duell? Hier? Jetzt? Elan, du weißt, dass das, was ich tue, unausweichlich ist. Mich zu behindern ist zwecklos.«

»Zwecklos, Lews Therin?« Moridin lachte. »Wenn ich dich geringfügig schwäche, wird das die Aufgabe meines Herrn nicht erleichtern? Nein, ich glaube, ich sollte dir auf jeden Fall den Weg versperren. Und wenn ich siege, was dann? Dein Sieg ist nicht sicher. Das war er nie.«

Ich gewinne wieder, Lews Therin …

»Du könntest zur Seite treten«, sagte Rand und hob Callandor; sein Lichtschein ließ Moridins schwarze Stahlklinge funkeln. »Wenn mein Sieg nicht sicher ist, dann ist es dein Fall auch nicht. Lass mich vorbei. Triff einmal die Entscheidung, von der du weißt, dass du sie treffen solltest.«

Moridin lachte. »Jetzt? Jetzt bittest du mich, ins Licht zurückzukehren? Mir wurde das große Vergessen versprochen. Endlich das Nichts, die Vernichtung meines ganzen Wesens. Ein Ende. Das wirst du mir nicht wegnehmen, Lews Therin! Bei meinem Grab, das wirst du nicht!«

Moridin schwang das Schwert und kam heran.


Lan schlug ›Kirschblüten küssen den Teich‹ – gar nicht so leicht vom Pferderücken, denn die Schwertfigur war nicht für den Sattel ausgelegt. Seine Klinge schnitt in den Hals eines Trollocs, nur einen Zoll in die Haut der Kreatur. Es reichte, damit stinkendes Blut spritzte. Der Tiermensch mit dem Antlitz eines Stiers ließ den Haken fallen, griff sich an den Hals und stieß eine gurgelnde Mischung aus Schrei und Stöhnen aus.

Lan ließ Mandarb zurücktänzeln, als sich ein zweiter Trolloc auf seine Seite stürzte. Er hieb ihm den Arm ab. Das Ungeheuer taumelte durch den Schlag, und Andere durchbohrte ihn von hinten.

Andere lenkte sein Pferd an Mandarbs Seite; trotz des Schlachtenlärms konnte Lan das Keuchen seines Freundes hören. Wie lange kämpften sie nun schon an der Front? Seine Arme fühlten sich wie Blei an.

Im Blutschnee war es nicht so schlimm gewesen.

»Lan!«, rief Andere. »Sie nehmen kein Ende!«

Lan nickte, dann lenkte er Mandarb weiter zurück, als sich zwei Tiermenschen einen Weg durch die Leichen bahnten, um anzugreifen. Sie trugen ebenfalls Haken. Das war keineswegs ungewöhnlich; den Bestien war klar, dass Männer am Boden wesentlich weniger gefährlich waren als Männer auf Pferden. Trotzdem fragte sich Lan, ob sie ihn gefangen nehmen wollten.

Er und Andere ließen die Trollocs durchkommen und angreifen, während zwei Angehörige der Hohen Garde von den Seiten heranritten, um sie abzulenken. Die Trollocs stürzten sich auf Lan, und er ließ Mandarb einen Satz machen, schwang die Klinge und zertrennte beide Hakenschäfte.

Die Bestien ließen sich nicht davon aufhalten, grobe Finger versuchten, ihn aus dem Sattel zu zerren. Stinkender Atem hüllte ihn ein, als er der einen das Schwert in die Kehle rammte. Wie langsam sich seine Muskeln bewegten! Andere war hoffentlich auf seiner Position.

Anderes Pferd galoppierte heran, rammte die gepanzerte Flanke in den zweiten Trolloc und stieß ihn zur Seite. Er taumelte, und die beiden berittenen Gardisten erschlugen ihn mit langschäftigen Äxten.

Die Männer waren blutverschmiert, genau wie Andere. Genau wie Lan. Nur verschwommen konnte er sich daran erinnern, wann er diese Verletzung am Oberschenkel davongetragen hatte. Er wurde so müde. Er war nicht in der Verfassung zu kämpfen.

»Wir ziehen uns zurück«, verkündete er zögernd. »Soll jemand anders die Spitze übernehmen.« Lan und seine Männer führten die schwere Kavallerie als Angriffsspitze, bedrängten die Trollocs als dreieckige Formation, um sie auseinanderzusprengen und zu den Seiten zu drängen, wo die flankierenden Angriffe sie vernichten sollten.

Die Männer nickten, und er konnte ihre Erleichterung fühlen, als er sich mit seinen ungefähr fünfzig Hohen Gardisten zurückzog. Eine Gruppe Shienarer übernahm ihre Stellung. Lan reinigte das Schwert, dann schob er es in die Scheide. Am Himmel grollte Donner. Ja, heute schienen diese Wolken tatsächlich tiefer zu hängen. Sie waren wie eine Hand, die sich langsam auf die Männer herabsenkte, während sie starben.

In der Nähe schlugen nacheinander mehrere Blitze ein. Lan wendete Mandarb scharf. Heute hatte es viele Blitze gegeben, aber die hatten einfach zu nahe beieinandergelegen. Rauch lag in der Luft.

»Schattenlords?«, fragte Andere.

Lan nickte und hielt nach den Angreifern Ausschau. Aber da waren nur die Reihen der kämpfenden Männer und die Trolloc-Horden, die in einer Welle nach der anderen angestürmt kamen. Er brauchte dringend höheres Gelände.

Auf einen Hügel zeigend, trieb er Mandarb an. Mitglieder der Nachhut sahen ihn vorbeireiten und salutierten mit einer gehobenen Hand und einem »Dai Shan«. Ihre Rüstungen waren blutverschmiert. Während des ganzen Tages waren die Reserven nach vorn an die Front befohlen und dann wieder ausgetauscht worden.

Mandarb mühte sich den Hügel hoch. Lan tätschelte den Hengst, dann stieg er ab und ging neben ihm her. Oben blieb er stehen und betrachtete die Schlacht. In einem Meer aus Trollocs bildeten Heere der verschiedenen Grenzländer stachelige silberne und bunte Ausbuchtungen.

So viele. Die Schattenlords waren wieder auf ihrer großen Plattform unterwegs; Dutzende Tiermenschen zogen das Gefährt über das Feld. Sie brauchten einen Überblick, um zu sehen, wo sie angreifen mussten. Lan biss die Zähne zusammen, als er sah, wie Blitze in die Kandori einschlugen, Körper durch die Luft flogen und Lücken in ihre Linien rissen.

Lans Machtlenker schlugen zurück und schleuderten Blitze und Feuer auf die vorrückenden Kreaturen, damit sie nicht durch die Lücke in der Linie der Grenzländer strömten. Das würde aber nicht lange vorhalten. Ihm standen viel weniger Aes Sedai und Asha’man zur Verfügung als dem Schatten seine Lords.

»Beim Licht«, sagte Prinz Kaisel und zügelte neben ihm das Pferd. »Dai Shan, falls sie genügend Breschen in unsere Linien schlagen können …«

»Reserven kommen. Dort.« Andere zeigte in die Richtung. Er saß noch immer im Sattel, und Lan musste einen Schritt nach vorn machen, um zu sehen, was er meinte. Eine Gruppe shienarischer Reiter hielt auf die Linien zu, auf die die Blitze niederfuhren.

»Dort auch«, verkündete Kaisel und zeigte nach Osten. Eine Gruppe Arafeler hielt auf dieselbe Stelle zu. Die beiden Gruppen kamen einander in die Quere, als sie gleichzeitig versuchten, die Lücke zu stopfen.

Wieder regneten Blitze vom Himmel und trafen die Plattform der Schattenlords. Gut. Narishma und Merise hatten den Befehl gehabt, nach den feindlichen Machtlenkern Ausschau zu halten und sie falls möglich zu töten. Vielleicht würde das den Feind ja ablenken. Lan richtete seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes.

Warum hatte man zwei Gruppen Reservisten losgeschickt, um diese Lücke zu schließen? Beide Einheiten wären groß genug für die Aufgabe gewesen; bei so vielen Männern mussten sie sich gegenseitig im Weg stehen. Ein Fehler?

Er schwang sich in Mandarbs Sattel, obwohl er dem Pferd eine längere Ruhepause hatte gönnen wollen. Diesen Fehler würde er sich näher ansehen.


Im Wolfstraum blieben Perrin und Gaul unweit eines Felskamms stehen, der ein Tal überblickte, an dessen Ende ein Berg in den Himmel ragte. Über diesem Berg wirbelte ein schrecklicher Mahlstrom aus schwarzen Wolken, der die Gipfelspitze nicht ganz berührte.

Sturmwinde verheerten das Tal, und Perrin war gezwungen, eine Kuppel der Stille um sich und Gaul herum zu erschaffen, um fliegende Trümmer abzuwehren. Tief unter ihnen blitzten Fragmente einer gewaltigen Schlacht auf. Aus Rauchwolken und Staub formten sich für kurze Augenblicke Aiel, Trollocs und Männer in Rüstungen im Wolfstraum, nur um sich mitten im Hieb wieder aufzulösen. Tausende von ihnen.

Überall befanden sich auch Wölfe im Traum. Sie warteten auf … etwas. Etwas, das sich Perrin nicht erklären konnte. Sie hatten einen Namen für Rand. Schattentöter. Vielleicht waren sie gekommen, um Zeuge alles dessen zu werden, was er tun würde.

»Perrin?«, fragte Gaul.

»Er ist endlich hier«, sagte Perrin leise. »Er hat den Krater des Verderbens betreten.«

Irgendwann während dieses Kampfes würde Rand ihn brauchen. Unglücklicherweise konnte Perrin hier nicht einfach herumstehen und warten; er musste eine Aufgabe erledigen. Mithilfe der Wölfe hatten er und Gaul Graendal in der Nähe von Cairhien aufgespürt. Sie hatte mit einigen Leuten in deren Träumen gesprochen. Möglicherweise Schattenfreunde in den Heeren?

Davor hat sie sich Basheres Träume angesehen, dachte Perrin. Zumindest hat Lanfear das behauptet. Er vertraute ihr keinen Augenblick lang.

Auf jeden Fall hatte er Graendal früher am Tag gefunden und wollte gerade zuschlagen, als sie plötzlich verschwand. Er wusste, wie man jemanden im Wolfstraum verfolgen musste, wenn sie sich versetzten, und er war ihr hierher nach Thakan’dar gefolgt. Unvermittelt verschwand ihr Geruch in der Mitte des Tales unter ihnen. Sie war zurück in die reale Welt Gereist. Perrin war sich nicht sicher, wie viel Zeit im Wolfstraum verstrichen war; er und Gaul hatten noch immer etwas zu essen, aber es fühlte sich an, als wären sie schon seit Tagen hier. Lanfear hatte behauptet, dass sich die Zeit immer stärker verzerren würde, je näher Perrin Rand kam. Zumindest diese Behauptung konnte er womöglich überprüfen.

Er ist hier, Junger Bulle! Die Botschaft kam unvermittelt und drängend von einem Wolf namens Sonnenaufgang hier im Tal. Der Schlächter wandelt unter uns! Beeile dich!

Perrin knurrte, packte Gaul wortlos bei der Schulter und versetzte sie. Sie erschienen auf dem felsigen Pfad, der zu dem klaffenden Loch in der Felswand über ihnen führte. Der Weg zum Krater des Verderbens!

Vor ihnen lag ein Wolf mit einem Pfeil in der Seite und roch nach Tod. In der Nähe heulten andere. Ein schrecklicher Wind peitschte auf sie ein; Perrin senkte den Kopf und stürmte mit Gaul an der Seite in den Eingang. Drinnen, Junger Bulle, rief ein Wolf. Im Rachen der Dunkelheit.

Ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was er da eigentlich tat, rannte Perrin in einen langen, schmalen Korridor, aus dessen Boden und Decke spitze Felsnadeln stachen. Voraus pulsierte etwas Helles. Schützend hob Perrin eine Hand gegen das Licht und machte am anderen Ende des Raumes mühsam die Umrisse von Gestalten aus.

Zwei Männer, in einen verbissenen Kampf verstrickt.

Zwei Frauen, die wie erstarrt dort standen.

Und nur ein paar Schritte von ihm entfernt der Schlächter, der seinen Bogen spannte.

Perrin brüllte auf; mit dem Hammer in der Hand versetzte er sich zwischen den Schlächter und Rand. Den Bruchteil einer Sekunde nach dem Abschuss des Pfeils schlug er das Geschoss aus seiner Bahn. Der Schlächter riss die Augen auf und verschwand.

Perrin versetzte sich zu Gaul, nahm den Mann am Arm, versetzte sich dorthin zurück, wo der Schlächter gestanden hatte, und witterte den Geruch seines Standorts. »Sei auf der Hut«, mahnte er und versetzte sie beide hinter dem Mann her.

Sie erschienen inmitten einer Gruppe Männer. Es waren Aiel, aber statt der normalen Shoufa trugen sie seltsame rote Schleier.

Der Sprung hatte Perrin und Gaul nicht weit weg befördert; sie befanden sich in einer Art Dorf, das nahe genug lag, um in der Ferne den Gipfel des Shayol Ghul sehen zu können.

Die Rotschleier griffen sofort an. Es überraschte Perrin nicht besonders, Aiel auf der Seite des Schattens zu finden. Unter allen Völkern befanden sich Schattenfreunde. Aber warum identifizierten sie sich mit der Farbe ihrer Schleier?

Er schwang den Hammer im weiten Kreis und hielt eine Gruppe von ihnen auf Abstand, dann versetzte er sich hinter sie und zerschmetterte einem rücklings den Schädel. Gaul verwandelte sich in einen Schemen aus Speeren und brauner Kleidung, wich Rotschleiern aus, stach zu, verschwand. Erschien wieder und stach erneut zu. Ja, er hatte schnell gelernt, anscheinend sogar schneller als diese Rotschleier, denn sie konnten nicht mit ihm mithalten. Perrin zertrümmerte einem die Kniescheibe, dann hielt er nach dem Schlächter Ausschau.

Dort. Er stand auf einem kleinen Hügel in der Nähe und sah zu. Perrin warf Gaul einen Blick zu, der ihm zwischen zwei Sprüngen kurz zunickte. Es waren noch acht Rotschleier übrig, aber …

Mitten im Sprung bäumte sich unversehens die Erde unter Gaul auf und explodierte. Es gelang Perrin, seinen Freund zu beschützen, indem er eine Stahlplatte unter ihm erschuf, um die Explosion abzuwehren, aber es war knapp. Gaul landete sichtlich erschüttert, und Perrin war gezwungen, sich zu ihm zu versetzen und den Rotschleier anzugreifen, der sich von hinten auf ihn stürzte.

»Pass auf«, rief Perrin Gaul zu. »Zumindest einer dieser Kerle lenkt die Macht!«

Beim Licht, als wären Aiel, die für den Schatten kämpften, nicht schon genug. Aiel, die die Macht lenkten. Aiel-Männer, die die Macht lenkten. Beim Licht!

Während Perrin nach dem nächsten hieb, ging der Schlächter mit einem Schwert in der einen und einem langen Jagdmesser in der anderen Hand dazwischen – der Art Messer, mit der ein Mann seine Beute häutete.

Knurrend stürzte sich Perrin in den Kampf, und die beiden begannen einen seltsamen Tanz. Der eine griff den anderen an, der unmittelbar verschwand, um in der Nähe wieder aufzutauchen, bevor er ebenfalls angriff. So umkreisten sie sich, zuerst versetzte sich der eine, dann der andere, und jeder suchte verbissen nach einem Vorteil. Um Haaresbreite verfehlte Perrin den Schlächter mit einem Hieb, dann hätte er beinahe Stahl im Bauch gehabt.

Gaul erwies sich als ausgesprochen nützlich – allein hätte Perrin große Mühe gehabt, sich gleichzeitig gegen den Schlächter und die Rotschleier zu behaupten. Leider konnte der Aiel nur wenig mehr ausrichten, als seine Gegner abzulenken, und schon das kostete ihn große Mühe.

Als ihn um ein Haar die Feuersäule eines Rotschleiers erwischte, traf Perrin eine Entscheidung. Er versetzte sich zu Gaul – und erhielt fast einen Speer in die Schulter. Er verwandelte den Speer in Stoff, und die Spitze verbog sich auf seiner Haut.

Gaul zuckte zusammen, als er Perrin erblickte, dann öffnete er den Mund. Perrin ließ ihm keine Zeit, etwas zu sagen. Er packte seinen Freund am Arm, dann versetzte er sie fort. Sie verschwanden in der Sekunde, in der Flammen um sie herum in die Höhe schossen.

Sie erschienen vor dem Eingang zum Krater des Verderbens. Perrins Umhang qualmte. Gaul blutete an der Hüfte. Wann war das geschehen?

Seid ihr da?, dachte Perrin drängend.

Aberdutzende Wölfe meldeten sich. Wir sind hier, Junger Bulle!

Führst du uns an, Junger Bulle? Die Letzte Jagd!

Pass auf Mondjägerin auf, Junger Bulle. Sie jagt dich wie ein Löwe im hohen Gras.

Ich brauche euch, sagte Perrin zu den Wölfen. Der Schlächter ist hier. Kämpft ihr für mich gegen ihn und die Männer an seiner Seite?

Es ist die Letzte Jagd, antwortete einer, während viele andere einwilligten, ihm zu helfen. Sie erschienen auf den Hängen des Shayol Ghul. Perrin konnte ihr Misstrauen riechen; sie verabscheuten diesen Ort. Es war kein Ort, den die Wölfe besuchten, weder in der wachen Welt noch im Traum.

Der Schlächter kam. Entweder war ihm klar geworden, dass Perrin diesen Ort bewachen würde, oder er wollte seinen Angriff auf Rand vollenden. Was es nun auch war, Perrin gewahrte ihn auf einem Felskamm in der Höhe, wie er ins Tal blickte – eine dunkle Gestalt mit einem Bogen und einem schwarzen Umhang, der im Sturmwind flatterte. Unter ihm tobte noch immer die Schlacht in Staub und Schatten. In der wachen Welt starben und töteten Tausende von Menschen, diesen Ort erreichten nur Phantome.

Perrin verstärkte den Griff um seinen Hammer. »Komm und versuche es«, flüsterte er. »Dieses Mal bin ich ein anderer Feind, du wirst schon sehen.«

Der Schlächter hob den Bogen und schoss. Der Pfeil teilte sich, daraus wurden vier, dann sechzehn und schließlich ein ganzer Geschosshagel, der auf Perrin zuraste.

Perrin knurrte, dann attackierte er die Luftsäule, die der Schlächter erschaffen hatte, um den Wind aufzuhalten. Sie löste sich auf, und der tobende Sturm riss die Pfeile mit sich.

Der Schlächter erschien vor Perrin, hielt Messer und Schwert. Perrin warf sich ihm entgegen, während in der Nähe die Rotschleier auftauchten. Gaul und die Wölfe kümmerten sich um sie. Dieses Mal konnte sich Perrin auf seinen Feind konzentrieren. Aufbrüllend schwang er den Hammer und schlug die Waffen des Schlächters zur Seite, dann zielte er auf seinen Kopf.

Der Schlächter tänzelte zurück und erschuf Steinarme, die in einer Wolke aus Felssplittern aus dem Boden barsten, um seinen Feind zu ergreifen. Perrin konzentrierte sich, und sie zerplatzten und landeten krachend auf dem Boden. Der scharfe Geruch der Überraschung des Schlächters stach in seine Nase.

»Du bist im Fleisch hier«, zischte der Schlächter.

Perrin machte einen Satz auf ihn zu und versetzte sich mitten im Sprung, um den Mann schneller zu erreichen. Der Schlächter wehrte mit einem Schild ab, der auf seinem Arm erschien. Mah’alleinir hinterließ eine tiefe Delle, als er abgewehrt wurde.

Der Schlächter verschwand und erschien fünf Schritte weiter, am Rand des Pfades zur Höhle. »Ich bin so froh, dass du mich gejagt hast, Wolfswelpe! Man hatte mir verboten, dich zu suchen, aber jetzt bist du da. Ich habe den räudigen Alten gehäutet, jetzt kommt der Welpe dran.«

So wie Perrin von Hügel zu Hügel zu springen pflegte, stürzte er sich jetzt auf seinen Gegner, und seine Umrisse verschwammen. Er krachte in den Mann hinein und stieß sie beide von dem Pfad vor dem Eingang zum Krater des Verderbens. Ineinander verkrallt rollten sie Dutzende Schritte in die Tiefe.

Perrins Hammer steckte wieder in seinem Gürtel – er erinnerte sich nicht daran, ihn dort verstaut zu haben –, aber er wollte diesen Mann nicht mit dem Hammer schlagen. Er wollte ihn fühlen, wenn er ihm die Faust ins Gesicht rammte. Der Schlag traf, während sie stürzten, aber plötzlich war das Gesicht des Schlächters so hart wie Stein.

In diesem Augenblick verwandelte sich der Kampf aus Fleisch gegen Fleisch in Willenskraft gegen Willenskraft. Während sie sich überschlugen, stellte sich Perrin vor, wie die Haut des Schlächters weich wurde und unter seinem Hieb nachgab, als die brüchigen Knochen splitterten. Der Schlächter reagierte darauf, indem er sich seine Haut als Stein vorstellte.

Und so wurde die Wange des Schlächters hart wie ein Felsen, aber Perrin spaltete sie trotzdem. Sie landeten auf dem Talboden und rollten auseinander. Als der Schlächter auf die Füße kam, sah seine rechte Wange wie die einer Statue aus, die von einem Hammerschlag getroffen wurde; überall traten kleine Sprünge zum Vorschein.

Blut quoll aus diesen Sprüngen, und der Schlächter riss entsetzt die Augen auf. Er hob eine Hand zur Wange, ertastete das Blut. Der Stein verwandelte sich zurück in Haut, und wie von einem Meisterfeldscher gesetzte Nähte erschienen. Im Wolfstraum konnte man sich nicht selbst Heilen.

Der Schlächter grinste Perrin hämisch an, dann sprang er. Umgeben von dem aufgewühlten Staub, der die Gesichter und Körper der Menschen formte, die an einem anderen Ort, einer anderen Welt, um ihr Leben kämpften, tänzelten sie hin und her. Perrin krachte durch zwei der Schemen hindurch, und der geschwungene Mah’alleinir hinterließ eine Staubwolke. Der Schlächter wich zurück und erschuf einen Wind, um sie aus dem Weg zu wehen, dann schlug er blitzschnell zu.

Ohne nachzudenken, verwandelte sich Perrin in einen Wolf, und das Schwert des Schlächters verfehlte seinen Kopf. Junger Bulle sprang den Schlächter an und stieß ihn durch die Schemen zweier Aiel, die gegeneinander kämpften. Sie explodierten zu Sand und Staub. An der Seite bildeten sich andere, nur um weggeweht zu werden.

Der tosende Sturm brüllte in den Ohren von Junger Bulle, der Staub bohrte sich in seine Haut und seine Augen. Er rollte über den Schlächter hinweg und schnappte nach seiner Kehle. Wie süß wird das Blut dieses Zweibeiners in meinem Maul schmecken. Der Schlächter versetzte sich fort.

Junger Bulle wurde zu Perrin, der mit bereitgehaltenem Hammer auf der Ebene der Schemen, der kämpfenden, sich verwandelnden Menschen kauerte. Vorsicht, dachte er. Du bist ein Wolf, aber noch mehr bist du ein Mensch. Verblüfft erkannte er, dass einige dieser Schemen nicht völlig menschlich waren. Zwei Gestalten muteten schlangenartig an, aber sie vergingen schnell wieder.

Spiegelt dieser Ort andere Welten wider?, fragte er sich und war sich nicht sicher, was er sonst von den Phantomen halten sollte.

Mit zusammengebissenen Zähnen kam der Schlächter wieder auf ihn zu. Perrins Hammer wurde heiß, und sein Bein pochte wild an der Stelle, an der er beim letzten Kampf mit seinem Feind getroffen und Geheilt worden war. Er brüllte auf, ließ das gegnerische Schwert nahe heran – es traf seine Wange – und hieb dem Mann den Hammer in die Seite.

Der Schlächter verschwand.

Perrin ging mit der Wucht des Schlages mit, und einen Augenblick lang glaubte er den Gegner besiegt zu haben. Aber nein, sein Hammer hatte den Schlächter kaum berührt, bevor dieser verschwunden war. Der Mann war bereit gewesen, hatte nur darauf gewartet, sich zu versetzen. Perrin fühlte, wie Blut durch seine Barthaare zum Kinn floss; der leichte Treffer hatte seiner Wange fast an der gleichen Stelle, an der er den Schlag im Gesicht des Schlächters gelandet hatte, einen Schnitt zugefügt.

Er witterte, drehte sich um die eigene Achse, versuchte den Geruch des Schlächters auszumachen. Wo war er hin? Da war nichts.

Der Schlächter hatte sich nicht an einen anderen Ort des Wolfstraums versetzt. Er wusste, dass Perrin ihm folgen konnte. Stattdessen musste er zurück in die wache Welt gesprungen sein. Als Perrin begriff, dass ihm seine Beute entkommen war, heulte er auf. Der Wolf in ihm wütete gegen die gescheiterte Jagd, und es kostete ihn große Mühe, sich wieder unter Kontrolle zu bringen.

Es war ein Geruch, der ihn zurückholte. Brennendes Fell. Begleitet von schrillem Jaulen.

Perrin versetzte sich zurück nach oben auf den Steilpfad. Sterbende und brennende Wölfe lagen zwischen den Leichen von Rotschleiern. Zwei der Männer waren noch auf den Beinen, standen Rücken an Rücken und hatten unverständlicherweise die Schleier gesenkt. Ihre Zähne waren spitz zugefeilt, und sie lächelten voller Irrsinn, während sie die Macht lenkten. Ein Wolf nach dem anderen verbrannte. Gaul hatte mit qualmender Kleidung neben einem Felsen Deckung suchen müssen. Er roch nach Schmerzen.

Die beiden lächelnden Machtlenker schienen sich nicht daran zu stören, dass ihre Gefährten um sie herum verbluteten. Perrin ging auf sie zu. Einer von ihnen hob die Hand und entließ einen Feuerstrahl. Perrin verwandelte ihn in Rauch, dann ging er einfach durch die Wolke hindurch. Der grauschwarze Qualm hüllte ihn ein und verströmte dann.

Der andere Aiel-Mann lenkte ebenfalls die Macht und versuchte den Boden unter Perrin aufzureißen. Aber Perrin wusste, dass der Felsen nicht brechen würde, dass er den Geweben widerstehen würde. Und so geschah es. Perrin konnte die Gewebe nicht sehen, aber er wusste, dass der plötzlich viel massivere Boden sich weigern würde, wie befohlen zu explodieren.

Knurrend griff der erste Aiel nach einem Speer, aber Perrin packte ihn am Hals.

Er hätte ihm so gern das Genick gebrochen. Wieder einmal hatte er den Schlächter verloren, und diese beiden Männer hatten Wölfe getötet. Er hielt sich zurück. Der Schlächter … Der Schlächter verdiente für seine Taten Schlimmeres als den Tod. Bei diesen Männern vermochte er das nicht zu sagen, und er war sich nicht sicher, ob er sie für alle Ewigkeit ohne Wiedergeburt auslöschen würde, wenn er sie hier tötete.

Seiner Ansicht nach sollte jeder, sogar solche Kreaturen wie die hier, eine zweite Chance bekommen. Der Rotschleier in seiner Hand wehrte sich und wollte Perrin mit einem Gewebe aus Luft fesseln.

»Du bist ein sabbernder Idiot«, befahl Perrin leise. Dann schaute er den anderen an. »Du auch.«

Beide Aiel blinzelten, dann schauten sie ihn mit Augen an, die schlagartig jeden Ausdruck verloren. Einer fing tatsächlich an zu sabbern. Perrin schüttelte den Kopf. Der Schlächter hatte sie nicht ausgebildet. Selbst Gaul war nur nach kurzer … wie lange war das jetzt her? Egal, selbst Gaul wusste es besser, als sich auf diese Weise erwischen zu lassen, im Griff eines Mannes, der einfach die geistigen Fähigkeiten verändern konnte.

Perrin musste sie sich ständig als Idioten vorstellen, um die Veränderung aufrechtzuerhalten. Er kniete nieder und suchte unter den Wölfen nach Verwundeten, denen er helfen konnte. Er stellte sich vor, wie die Wunden verbunden wurden. An diesem Ort würden sie schnell Heilen. Wölfen schien das zu gelingen. Sie hatten acht Brüder verloren, für die Perrin heulte. Die anderen Tiere stimmten ein, aber in ihrer Botschaft lag kein Bedauern. Sie hatten gekämpft. Deswegen waren sie gekommen.

Danach kümmerte sich Perrin um die Rotschleier. Alle waren tot. Gaul hinkte heran und hielt einen verbrannten Arm. Die Wunde war schlimm, aber im Moment nicht lebensbedrohend.

»Wir müssen dich aus dem Traum schaffen«, sagte Perrin, »dich Heilen lassen. Ich bin mir nicht sicher, welche Zeit es ist, aber ich glaube, wir sollten nach Merrilor gehen und auf das Wegetor nach draußen warten.«

Gaul grinste breit. »Zwei von ihnen habe ich getötet, Perrin Aybara. Einer konnte die Macht lenken. Da glaubte ich, Ehre errungen zu haben, dann gleitest du heran und nimmst zwei von ihnen gefangen.« Er schüttelte den Kopf. »Hätte Bain das gesehen, würde sie den ganzen Rückweg ins Dreifache Land lachen.«

Perrin wandte sich den beiden Gefangenen zu. Sie hier zu töten erschien herzlos und grausam, aber sie loszulassen würde nur den Kampf fortsetzen – möglicherweise verloren sie noch mehr Wölfe, noch mehr Freunde.

»Ich glaube kaum, dass sie dem Ji’e’toh folgen«, meinte Gaul. »Und würdest du einem Mann Gai’shain nehmen, der die Macht lenken kann?« Er erschauderte sichtlich.

»Bringt sie endlich um«, sagte Lanfear.

Perrin musterte sie. Er war nicht zusammengezuckt, als sie gesprochen hatte – irgendwie hatte er sich an die Weise gewöhnt, in der sie unversehens da war. Allerdings ärgerte er sich darüber.

»Wenn ich sie hier töte, wird sie das dann für alle Ewigkeit töten?«

»Nein«, antwortete sie. »So funktioniert das nicht bei Männern.«

Konnte er ihr vertrauen? Aus irgendeinem unerfindlichen Grund ertappte er sich in diesem Augenblick dabei, dass er das tat. Warum sollte sie ihn anlügen? Trotzdem, unbewaffnete Männer zu töten … verglichen mit ihm waren die hier kaum mehr als hilflose Säuglinge.

Nein. Er betrachtete die toten Wölfe. Keine Säuglinge. Sie sind viel gefährlicher.

»Diese beiden sind Umgedreht worden«, sagte die Verlorene, verschränkte die Arme und deutete mit dem Kopf auf die beiden Machtlenker. »In diesen Tagen werden viele von ihnen geboren, aber diese beiden haben zugefeilte Zähne. Sie wurden genommen und Umgedreht.«

Gaul murmelte etwas. Es hörte sich an wie ein Fluch, aber es klang auch andächtig. Es war die Alte Sprache, und Perrin verstand die Bedeutung nicht. Aber danach hob Gaul einen Speer. Er roch nach Bedauern. »Ihr habt ihm ins Auge gespuckt, also benutzt er euch, meine Brüder. Schrecklich …«

Umgedreht, dachte Perrin. Wie diese Männer in der Schwarzen Burg. Er runzelte die Stirn, trat auf einen der Männer zu, die sich in seiner Gewalt befanden, und nahm seinen Kopf zwischen die Hände. Konnte er den Mann mit seinem Willen zurück ins Licht schicken? Wenn er gezwungen werden konnte, sich dem Bösen anzuschließen, konnte er dann auch wieder Geheilt werden?

Als Perrin gegen das Bewusstsein dieser Männer drückte, traf er auf etwas Gewaltiges. Sein Wille glitt ab wie ein Zweig, der ein Eisentor auframmen wollte. Er taumelte zurück.

Kopfschüttelnd blickte er Gaul an. »Ich kann nichts für sie tun.«

»Ich tue es«, erwiderte Gaul. »Sie sind Brüder.«

Zögernd nickte Perrin, als Gaul beiden Männern die Kehle durchschnitt. Es war besser so. Trotzdem zerriss es ihn innerlich, sich das ansehen zu müssen. Er hasste, was der Kampf mit Menschen anstellte, was er mit ihm anstellte. Der Perrin, den es noch vor Monaten gegeben hatte, hätte niemals hier stehen und bei so etwas zusehen können. Licht … hätte Gaul das nicht getan, hätte er es selbst getan. Das war ihm klar.

»Ihr könnt so kindisch sein«, sagte Lanfear, die noch immer die Arme unter den Brüsten verschränkte und ihn beobachtete. Dann seufzte sie und ergriff seinen Arm. Eine Welle eiskalten Heilens durchfuhr ihn. Die Wunde auf seiner Wange schloss sich.

Perrin holte tief Luft, dann wies er mit dem Kopf auf Gaul.

»Ich bin nicht Eure Dienerin, Wolfswelpe«, sagte sie.

»Ihr wollt mich davon überzeugen, dass Ihr keine Feindin seid?«, fragte er. »Das ist eine gute Gelegenheit, um damit anzufangen.«

Sie seufzte, dann winkte sie Gaul ungeduldig heran. Er kam hinkend zu ihr, und sie Heilte ihn.

Ein fernes Grollen erschütterte die Höhle hinter ihnen. Mit zusammengekniffenen Augen schaute sie in ihre Richtung. »Ich kann hier nicht bleiben«, sagte sie. Dann war sie verschwunden.

»Ich weiß nicht, was von ihr zu halten ist«, sagte Gaul und rieb sich den Arm an der Stelle, wo die Kleidung verbrannt, die Haut aber geheilt war. »Ich glaube, sie spielt mit uns, Perrin Aybara. Ich weiß nur nicht, was für ein Spiel das ist.«

Perrin grunzte zustimmend.

»Dieser Schlächter … er kommt wieder.«

»Ich denke da an eine Möglichkeit, etwas deswegen zu unternehmen«, sagte Perrin. Er griff an die Taille, wo er den Traumnagel an den Gürtel gebunden hatte. Er löste ihn. »Pass hier auf«, sagte er zu Gaul, dann betrat er die Höhle.

Perrin ging an den wie Zähne wirkenden Steinen vorbei. Es fiel schwer, sich dem Gefühl zu entziehen, in den Rachen eines Schattenhundes zu kriechen. Das Licht am Ende des Abstiegs blendete, aber Perrin erschuf eine getönte Blase um sich herum. Er konnte Rand und einen anderen ausmachen, die neben einer tiefen Grube mit Schwertern kämpften.

Nein, es war keine Grube. Perrin keuchte. Hier schien die ganze Welt zu enden, die Höhle führte in ein unermessliches Nichts. Eine grenzenlose Weite wie die Finsternis in den Kurzen Wegen, nur schien diese Weite ihn in sich hineinzuziehen. Ihn und alles andere. An den draußen wütenden Sturm hatte er sich gewöhnt, darum war ihm der Wind im Tunnel nicht aufgefallen. Jetzt, da er sich darauf konzentrierte, fühlte er ihn durch die Höhle in dieses Loch strömen.

Als er in diese Lücke blickte, wurde ihm bewusst, dass er nie zuvor begriffen hatte, was Finsternis wirklich bedeutete, jedenfalls nicht richtig. Das hier war Finsternis. Das hier war das Nichts. Das absolute Ende von allem. Normale Dunkelheit flößte Furcht ein, weil keiner wusste, was sich möglicherweise darin verbarg. Diese Dunkelheit war anders; verschlang sie einen, löschte sie für alle Ewigkeit die Existenz aus.

Perrin stolperte zurück, obwohl der Wind, der durch den Tunnel strich, nicht stark war. Einfach nur … regelmäßig, wie ein Fluss, der ins Nichts floss. Perrin hielt den Traumnagel fester, dann zwang er sich, sich von Rand abzuwenden. In der Nähe kniete eine Gestalt mit gesenktem Haupt, als würde sie sich gegen eine Macht stemmen, die aus der Leere kam. Moiraine? Ja, und rechts von ihr kniete Nynaeve.

Hier war der Schleier zwischen den Welten sehr dünn. Wenn er Moiraine und Nynaeve sehen konnte, dann konnten sie ihn vielleicht auch sehen oder hören.

Er trat zu Nynaeve. »Nynaeve? Kannst du mich hören?«

Sie blinzelte, drehte den Kopf. Ja, sie konnte ihn hören! Aber anscheinend konnte sie ihn nicht sehen. Verwirrt blickte sie sich um, während sie sich an den aus dem Boden ragenden Steinzahn klammerte, als ginge es um ihr Leben.

»Nynaeve!«, brüllte Perrin.

»Perrin?«, flüsterte sie und blickte sich um. »Wo bist du?«

»Ich werde etwas tun, Nynaeve«, sagte er. »Ich werde es unmöglich machen, Wegetore an diese Stelle zu weben. Will man diesen Ort mit Reisen erreichen oder ihn verlassen, dann muss man sein Tor draußen vor der Höhle erschaffen. In Ordnung?«

Sie nickte und blickte sich dabei noch immer um. Obwohl sich die reale Welt im Wolfstraum widerspiegelte, galt dies anscheinend nicht andersherum. Perrin rammte den Traumnagel in den Boden, dann aktivierte er ihn, wie Lanfear es ihm gezeigt hatte, erschuf die purpurne Kuppel nur um die Höhle. Er eilte zurück in den Tunnel und schob sich durch den Wall aus purpurnem Glas, um sich zu Gaul und den Wölfen zu gesellen.

»Licht«, sagte Gaul. »Ich wollte gerade nach dir suchen. Was hat so lange gedauert?«

»Lange?«, fragte Perrin.

»Du warst mindestens zwei Stunden weg.«

Perrin schüttelte den Kopf. »Das ist die Bohrung, die mit unserem Zeitgefühl spielt. Nun, da dieser Traumnagel dort steckt, wird es dem Schlächter einige Mühe bereiten, Rand zu erreichen.«

Nachdem der Schlächter den Traumnagel gegen ihn eingesetzt hatte, war es sehr befriedigend, das Ter’angreal gegen den Mann zu benutzen. Perrin hatte die Schutzkuppel gerade groß genug gemacht, um die Höhle auszufüllen und Rand, die Bohrung und seine Begleiter zu umgeben. Der Standort bedeutete, dass sich die Kuppelwand abgesehen von der Stelle am Höhleneingang im Felsen befand.

Der Schlächter würde nicht mitten in die Höhle springen und zuschlagen können; er würde den Eingang benutzen müssen. Entweder das oder eine Möglichkeit finden, sich durch den Felsen zu graben, was im Wolfstraum wohl möglich war, wie Perrin vermutete. Aber es würde ihn viel Zeit kosten, und die brauchte Rand.

»Ich brauche euch, um diesen Ort zu beschützen«, sagte Perrin zu den versammelten Wölfen, von denen viele ihre Wunden leckten. »Dort drinnen kämpft Schattentöter und jagt die gefährlichste Beute, die die Welt je gesehen hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Schlächter ihn erreicht.«

Wir werden diesen Ort bewachen, Junger Bulle, erwiderte einer. Andere sammeln sich. Er kommt nicht an uns vorbei.

»Könnt ihr das hier tun?« Perrin schickte das Bild von Wölfen, die in allen Grenzlanden verteilt einander schnell Botschaften übermittelten. Abertausende von ihnen streiften in dieser Gegend umher.

Perrin war stolz auf seine Übertragung. Er schickte sie nicht als Worte oder Bilder, sondern als ein mit Gerüchen vermengtes Konzept mit einem Hauch Instinkt. Stellten sich die Wölfe so auf, wie er es ihnen gesagt hatte, konnten sie ihm durch dieses Netz beinahe sofort mitteilen, wenn der Schlächter zurückkehrte.

Das können wir, sagten die Wölfe.

Perrin nickte, dann winkte er Gaul zu.

»Wir bleiben nicht?«, fragte der Aiel-Mann.

»Es geschieht zu viel«, sagte Perrin. »Hier vergeht die Zeit zu langsam. Ich will nicht, dass der Krieg an uns vorbeizieht.«

Außerdem stand noch immer die Frage im Raum, was Graendal da eigentlich trieb.

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