26 Erwägungen

Es gefällt mir nicht, an der Seite dieser Seanchaner kämpfen zu müssen«, sagte Gawyn leise und begab sich an Egwenes Seite.

Ihr gefiel das genauso wenig, und sie wusste, dass er es in ihr fühlte. Was sollte sie sagen? Sie konnte die Seanchaner nicht fortschicken. Der Schatten hatte die Sharaner geholt, damit sie unter seinem Banner kämpften. Also würde Egwene aufbieten müssen, was ihr zur Verfügung stand. Alles, was ihr zur Verfügung stand.

Ihr Nacken juckte, als sie das Feld zu dem Treffpunkt etwa eine Meile östlich von der Furt nach Arafel überquerte. Bryne hatte schon den größten Teil ihrer Streitkräfte dort aufgestellt. Aes Sedai waren bereits auf den Hügeln direkt südlich davon zu sehen, und zahlenmäßig starke Schwadronen Bogenschützen und Pikenmänner besetzten die Hänge darunter. Die Truppen waren ausgeruht. Die Tage des Rückzugs hatten etwas von der zermürbenden Belastung des ständigen Kampfes genommen, obwohl der Feind immer wieder versucht hatte, sie in Kämpfe zu verwickeln.

Für Egwene hing alles davon ab, dass sich die Seanchaner an der Schlacht beteiligten und die Machtlenker der Sharaner angriffen. Ihr drehte sich der Magen um. Sie hatte einmal gehört, dass in Caemlyn skrupellose Männer halb verhungerte Hunde in Gruben warfen und dann darauf wetteten, wer den Kampf überleben würde. Das hier kam ihr genauso vor. Die seanchanischen Damane waren keine freien Frauen; sie konnten sich nicht aussuchen, ob sie kämpfen wollten. Und was die Machtlenker der Sharaner anging, diese Männer waren ihr fast schon wie Tiere vorgekommen.

Sie hätte mit jedem Atemzug gegen die Seanchaner kämpfen sollen und sich nicht mit ihnen verbünden. Jeder ihrer Instinkte begehrte dagegen auf, als sie sich der Versammlung der Seanchaner näherte. Ihre Anführerin verlangte eine Audienz mit Egwene. Mochte das Licht dafür sorgen, dass es schnell vorüber war.

Egwene hatte Berichte über diese Fortuona erhalten, also wusste sie, was zu erwarten war. Die zierliche Kaiserin von Seanchan stand auf einer wenige Fuß hohen Plattform und betrachtete die Schlachtvorbereitungen. Sie trug ein funkelndes Gewand, dessen lächerlich lange Schleppe von acht Da’covale getragen wurde, diesen Dienern in dieser schrecklich unanständigen Kleidung. Verschiedene Angehörige des Blutes standen in Gruppen beisammen und warteten in sorgfältigen Posen. Totenwächter in ihrer beinahe schwarzen Rüstung standen wie Felsblöcke um die Kaiserin aufgereiht.

Egwene trat näher, bewacht von ihren eigenen Soldaten und dem größten Teil des Saales der Burg. Natürlich hatte Fortuona zuerst darauf bestanden, dass Egwene sie in ihrem Lager besuchte. Und genauso selbstverständlich hatte Egwene das abgelehnt. Es hatte Stunden gedauert, eine Einigung zu erzielen. Beide würden an diesen Ort in Arafel kommen, und beide würden eher stehen als sitzen, damit keine den Eindruck erwecken konnte, die andere zu überragen. Trotzdem ärgerte es Egwene, dass die Frau bereits auf sie wartete. Sie hatte dieses Treffen so arrangieren wollen, dass sie beide gleichzeitig eintrafen.

Fortuona wandte sich von dem Schauspiel der Soldaten ab und blickte Egwene entgegen. Es hatte den Anschein, als wären viele von Siuans Berichten falsch. Sicherlich wirkte Fortuona mit dieser zierlichen Gestalt und den zarten Gesichtszügen kindlich. Aber damit hörten die Ähnlichkeiten auch schon auf. Kein Kind auf der Welt hatte einen so scharfen und berechnenden Blick. Egwene erkannte, dass ihre Erwartungen sie getäuscht hatten. Sie hatte sich Fortuona als verwöhnte Heranwachsende vorgestellt, das Ergebnis eines behüteten Lebens.

»Ich habe darüber nachgedacht«, ergriff Fortuona das Wort, »ob es wohl angebracht ist, persönlich mit Euch zu sprechen, mit meiner eigenen Stimme.«

Einige Angehörige des seanchanischen Blutes – diese Leute mit den bemalten Fingernägeln und teilweise rasierten Schädeln – keuchten auf. Egwene ignorierte sie. In unmittelbarer Nähe der Adligen standen mehrere Pärchen Sul’dam und Damane. Auf keinen Fall durfte sie sich von ihnen ablenken lassen, sonst gewann womöglich ihr Temperament die Oberhand.

»Ich habe selbst darüber nachgedacht, ob es wohl angebracht ist, mit einer wie Euch zu sprechen«, sagte Egwene, »die so schreckliche Gräueltaten angerichtet hat.«

»Ich habe entschieden, dass ich mit Euch spreche«, fuhr Fortuona fort und ignorierte die Bemerkung. »Ich glaube, dass es für den Augenblick besser sein dürfte, Euch nicht als Marath’Damane zu betrachten, sondern als Königin der Bevölkerung dieses Landes.«

»Nein«, widersprach Egwene. »Ihr werdet mich als das ansehen, was ich bin, Frau. Das verlange ich.«

Fortuona schürzte die Lippen. »Also gut«, sagte sie dann. »Ich habe schon zuvor mit Damane gesprochen; sie auszubilden war eines meiner Steckenpferde. Euch so zu betrachten verstößt nicht gegen das Protokoll, denn die Kaiserin darf zu ihren Lieblingsschoßtieren sprechen.«

»Dann werde ich Euch ebenfalls direkt ansprechen«, sagte Egwene, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. »Denn die Amyrlin hält bei vielen Gerichtsverfahren den Vorsitz als Richterin. Sie muss in der Lage sein, mit Mördern und Vergewaltigern zu sprechen, um das Urteil über sie zu fällen. Ich schätze, Ihr würdet Euch in ihrer Gesellschaft wohlfühlen, obwohl ich vermute, dass sie Euch für widerwärtig halten würden.«

»Ich sehe, das wird eine schwierige Allianz.«

»Habt Ihr etwas anderes erwartet?«, fragte Egwene. »Ihr haltet meine Schwestern gefangen. Was die Seanchaner ihnen angetan haben, ist schlimmer als Mord. Ihr habt sie gefoltert, ihren Willen gebrochen. Ich wünschte beim Licht, ihr hättet sie stattdessen einfach umgebracht.«

»Ich kann nicht erwarten, dass eine wie Ihr die Notwendigkeit dessen versteht, was getan werden muss«, sagte Fortuona und schaute wieder auf das Schlachtfeld hinaus. »Ihr seid Marath’Damane. Für Euch ist es ganz … natürlich, Eure eigenen Ziele zu verfolgen, so wie Ihr sie versteht.«

»In der Tat ist es natürlich«, sagte Egwene leise. »Darum bestehe ich auch darauf, dass Ihr mich seht, wie ich bin, denn ich repräsentiere den unumstößlichen Beweis, dass Eure Gesellschaft und das Kaiserreich auf Lügen aufgebaut sind. Hier stehe ich, eine Frau, bei der Ihr darauf beharrt, dass man sie für das Allgemeinwohl an die Leine legen muss. Und doch zeige ich keine der wilden oder gefährlichen Neigungen, die ich Euch zufolge angeblich habe. Solange ich frei von Eurem Kragen bin, beweise ich jedem Mann und jeder Frau, dass Ihr eine Lügnerin seid.«

Die Seanchaner murmelten. Fortuona behielt ihre kühle Miene bei.

»Ihr wärt bei uns so viel glücklicher«, sagte sie dann.

»Ach, wäre ich das?«

»Ja. Ihr sprecht davon, dass der Kragen hassenswert ist, aber würdet Ihr ihn tragen, würdet Ihr das Leben viel friedlicher finden. Wir foltern unsere Damane nicht. Wir sorgen für sie und erlauben ihnen ein Leben voller Privilegien.«

»Ihr wisst es nicht, oder?«

»Ich bin die Kaiserin«, sagte Fortuona. »Meine Herrschaft erstreckt sich über die Ozeane, und die Reiche, die unter meinem Schutz stehen, umfassen alles, was die Menschheit weiß und denkt. Falls es Dinge gibt, die ich nicht weiß, dann wissen sie die Untertanen meines Kaiserreichs, denn ich bin das Kaiserreich.«

»Wie schön«, erwiderte Egwene. »Und ist Eurem Kaiserreich klar, dass ich einen Eurer Kragen trug? Dass ich einst von Euren Sul’dam ausgebildet wurde?«

Fortuona erstarrte, dann betrachtete sie Egwene entsetzt. Allerdings hatte sie sich augenblicklich wieder in der Gewalt.

»Ich war in Falme«, fuhr Egwene fort. »Eine Damane, die von Renna ausgebildet wurde. Ja, ich trug Euren Kragen, Frau. Ich fand damit keinen Frieden. Ich fand nur Qualen, Demütigungen und Entsetzen.«

»Warum weiß ich davon nichts?«, fragte Fortuona laut und drehte sich um. »Warum hat mir keiner von Euch das gesagt?«

Egwene warf einen Blick auf den versammelten seanchanischen Adel. Fortuona schien vor allem einen Mann anzusprechen, einen Mann in kostbarer schwarzer und goldener Kleidung, die mit weißem Spitzenbesatz abgesetzt war. Auf einem Auge trug er eine passende schwarze Augenklappe, und die Fingernägel beider Hände waren dunkel lackiert und …

»Mat?«, stotterte Egwene.

Er winkte halbherzig und sah peinlich berührt aus.

O beim Licht. Worauf hat er sich denn da schon wieder eingelassen? Fieberhaft ging sie in Gedanken verschiedene Möglichkeiten durch. Mat spielte die Rolle eines seanchanischen Adligen. Also durften sie nicht wissen, wer er wirklich war. Konnte sie etwas anbieten, um ihn im Gegenzug zu retten?

»Tretet näher«, sagte Fortuona.

»Dieser Mann ist nicht …«, setzte Egwene an, aber Fortuona übertönte sie.

»Knotai«, sagte sie, »wusstet Ihr, dass diese Frau eine geflohene Damane ist? Ich glaube, Ihr kanntet sie als Kind.«

»Ihr wisst, wer das ist?«, fragte Egwene.

»Natürlich«, erwiderte die Kaiserin. »Er heißt Knotai, aber einst nannte man ihn Matrim Cauthon. Glaubt nicht, dass er Euch dient, Marath’Damane, auch wenn Ihr zusammen aufgewachsen seid. Er ist jetzt der Prinz der Raben, eine Stellung, die er seiner Heirat mit mir verdankt. Er dient den Seanchanern, dem Kristallthron und der Kaiserin.«

»Möge sie ewig leben«, bemerkte Mat. »Hallo, Egwene. Schön zu hören, dass du diesen Sharanern entkommen bist. Was macht die Weiße Burg? Ich nehme an, sie ist immer noch … weiß?«

Egwene sah von Mat zu der Kaiserin von Seanchan, dann wieder zurück zu ihm. Schließlich konnte sie nicht anders und fing an zu lachen. »Ihr habt Matrim Cauthon geheiratet?«

»Die Omen haben es vorherbestimmt«, sagte Fortuona steif.

»Ihr habt zugelassen, einem Ta’veren zu nahezukommen«, sagte Egwene, »und darum hat Euch das Muster an ihn gebunden.«

»Dummer Aberglaube«, behauptete Fortuona.

Egwene sah Mat an.

»Ein Ta’veren zu sein hat mir nie viel eingebracht«, sagte Mat mürrisch. »Ich sollte mich wohl glücklich schätzen, dass mich das Muster nicht bei den Stiefeln zum Shayol Ghul gezerrt hat. Immerhin ein kleiner Segen.«

»Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Knotai«, sagte die Kaiserin. »Wusstet Ihr, dass diese Frau eine geflohene Damane ist? Und wenn dem so ist, warum habt Ihr mir das nicht gesagt?«

»Ich habe nicht weiter darüber nachgedacht«, erwiderte Mat. »Sie war es nicht sehr lange, Tuon.«

»Darüber sprechen wir noch bei anderer Gelegenheit«, sagte Fortuona sehr leise. »Das wird nicht erfreulich werden.« Sie wandte sich wieder Egwene zu. »Mit einer ehemaligen Damane zu sprechen ist nicht das Gleiche, als mit einer kürzlich gefangen genommenen zu sprechen. Oder einer, die immer frei war. Die Nachricht über diesen Vorfall wird sich verbreiten. Ihr habt mir … Unannehmlichkeiten bereitet.«

Egwene musterte die Frau verblüfft. Licht! Diese Leute waren völlig verrückt. »Warum habt Ihr überhaupt auf diesem Treffen bestanden? Der Wiedergeborene Drache sagt, Ihr unterstützt uns in unserem Kampf. Dann helft uns.«

»Ich musste Euch treffen«, sagte Fortuona. »Ihr seid mein Gegenstück. Ich habe eingewilligt, mich dem vom Drachen angebotenen Frieden anzuschließen, aber es gibt Bedingungen.«

O Licht, Rand. Was hast du ihnen nur versprochen? Sie wappnete sich.

»Zusammen mit der Einwilligung zu kämpfen erkenne ich die unabhängigen Grenzen der Nationen an, wie sie zurzeit auf der Karte stehen. Wir werden von keiner Marath’Damane den Gehorsam erzwingen, abgesehen von denen, die unsere Grenzen verletzen.«

»Und wie sehen diese Grenzen aus?«, fragte Egwene.

»Wie sie zurzeit bestehen, da ich …«

»Seid genauer«, sagte Egwene. »Sagt es mir mit Euren eigenen Worten, Frau. Welche Grenzen?«

Fortuona verzog die Lippen zu einem Strich. Offensichtlich war sie es nicht gewohnt, unterbrochen zu werden. »Wir beherrschen Altara, Amadicia, Tarabon und die Ebene von Almoth.«

»Tremalking«, sagte Egwene. »Ihr gebt Tremalking und die anderen Inseln des Meervolkes frei?«

»Ich habe sie nicht aufgelistet, weil sie nicht zu Eurem Land gehören, sondern dem Meer. Sie gehen Euch nichts an. Davon abgesehen waren sie kein Teil der Übereinkunft mit dem Wiedergeborenen Drachen. Er hat sie nicht erwähnt.«

»Er muss an so vieles denken. Tremalking wird Teil der Übereinkunft mit mir sein.«

»Ich war mir nicht bewusst, dass wir so eine Übereinkunft treffen«, sagte Fortuona ruhig. »Ihr erbittet unseren Beistand. Sollte ich es befehlen, können wir noch in diesem Augenblick abrücken. Wie würdet Ihr ohne unsere Hilfe gegen diese Armee bestehen, Hilfe, um die Ihr mich eben noch angefleht habt?«

Angefleht?, dachte Egwene. »Ist Euch eigentlich klar, was geschieht, wenn wir die Letzte Schlacht verlieren? Der Dunkle König zerbricht das Rad, erschlägt die Große Schlange, und alle Dinge enden. Falls wir Glück haben. Haben wir das nicht, wird der Dunkle König die Welt nach seiner eigenen verzerrten Vorstellung neu gestalten. Alle Menschen werden auf Ewigkeit an ihn gebunden, in Leid, Unterjochung und Folter.«

»Ich bin mir dessen bewusst«, erwiderte Fortuona. »Ihr tut so, als würde dieser besondere Kampf hier auf diesem Schlachtfeld die Entscheidung bringen.«

»Sollte mein Heer vernichtet werden«, sagte Egwene, »bringt das unsere sämtlichen Anstrengungen in Gefahr. In der Tat könnte alles von dem abhängen, was hier geschieht.«

»Ich bin anderer Meinung«, sagte Fortuona. »Eure Truppen sind nicht entscheidend. Sie bestehen aus den Kindern von Eidbrechern. Ihr kämpft gegen den Schatten, und dafür gestehe ich Euch Ehre zu. Solltet Ihr verlieren, würde ich nach Seanchan zurückkehren, die volle Macht des Immer Siegreichen Heeres aufbieten und sie gegen diesen … Schrecken führen. Wir würden die Letzte Schlacht trotzdem gewinnen. Ohne Euch wäre es schwieriger, und ich würde ungern nützliche Leben oder zukünftige Damane verschwenden, aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch allein gegen den Schatten bestehen.«

Sie erwiderte Egwenes Blick.

So kalt, dachte Egwene. Sie blufft. Das kann nicht anders sein. Berichte von Siuans Augen-und-Ohren besagten, dass die Heimat der Seanchaner im Chaos versank. Ein Erbfolgestreit.

Aber vielleicht glaubte Fortuona wirklich, dass das Kaiserreich allein gegen den Schatten bestehen konnte. Falls dem so war, irrte sie sich.

»Ihr werdet an unserer Seite kämpfen«, sagte Egwene streng. »Ihr habt mit Rand diesen Vertrag abgeschlossen, ihm Euren Eid geleistet, wie ich vermute.«

»Tremalking gehört uns.«

»Tatsächlich? Und habt Ihr dort einen Herrscher eingesetzt? Einen vom Meervolk, der Eure Herrschaft akzeptiert?«

Fortuona sagte nichts.

»Ihr habt die Loyalität der meisten von Euch eroberten Länder«, fuhr Egwene fort. »Altaraner und Amadicianer folgen Euch, egal, wie man das bewerten will. Die Taraboner scheinen es auch zu tun. Aber das Meervolk … Mir liegen keine Berichte vor, dass auch nur ein Einziger von ihnen Euch unterstützt oder friedlich unter Eurem Daumen lebt.«

»Grenzen …«

»Die Grenzen, die Ihr gerade erwähnt habt, so wie sie auf den Karten stehen, weisen Tremalking als das Land des Meervolks auf. Es gehört nicht den Seanchanern. Wenn Euer Vertrag die derzeitigen Grenzen so betrachtet, wie sie im Moment sind, würdet Ihr einen Herrscher in Tremalking brauchen, der Euch anerkennt.«

Es schien ein schwaches Argument zu sein. Die Seanchaner waren Eroberer. Was kümmerte es sie, ob sie irgendeine Art Legitimität vorweisen konnten. Aber Fortuona schien ihre Worte abzuwägen. Nachdenklich runzelte sie die Stirn.

»Das … ist ein gutes Argument«, sagte sie schließlich. »Sie haben uns nicht akzeptiert. Es ist dumm von ihnen, den von uns angebotenen Frieden abzulehnen, aber das haben sie in der Tat getan. Also gut, wir verlassen Tremalking, aber ich füge unserer Abmachung eine Bedingung zu, so wie Ihr es getan habt.«

»Was für eine Bedingung?«

»Ihr verkündet durch Eure Burg in allen Euren Ländern«, sagte Fortuona. »Jede Marath’Damane, die nach Ebou Dar kommen und sich an die Leine legen lassen will, wie es sich gehört, darf das ungehindert tun.«

»Ihr glaubt, Frauen wollen an die Leine gelegt werden?« Sie war verrückt. Das konnte nicht anders sein.

»Aber natürlich wollen sie das. In Seanchan kommt es gelegentlich vor, dass eine potenzielle Machtlenkerin bei der Suche übersehen wird. Wenn sie dann entdecken, was sie sind, kommen sie zu uns und verlangen, den Kragen umgelegt zu bekommen, so wie es sich gehört. Ihr werdet keine von ihnen zwingen, von uns fernzubleiben, und ihr lasst sie kommen.«

»Das wird keine wollen, das kann ich Euch versprechen.«

»Dann sollte es Euch ja auch nicht schwerfallen, diese Proklamation zu verbreiten«, sagte Fortuona. »Wir werden Botschafter ausschicken, die Euer Volk über die Vorteile der Damane aufklären – unsere Lehrer werden friedlich kommen, denn wir werden uns an den Vertrag halten. Ich glaube, Ihr werdet eine Überraschung erleben. Einige werden einsehen, was das Richtige ist.«

»Macht, was Ihr wollt«, sagte Egwene amüsiert. »Brecht keine Gesetze, und ich vermute, dass die meisten Euren Botschaftern Zugang gewähren. Ich kann nicht für jeden Herrscher sprechen.«

»Was ist mit den Ländern, die Ihr kontrolliert? Tar Valon? Werdet Ihr unseren Botschaftern den Zugang gewähren?«

»Wenn sie keine Gesetze brechen«, sagte Egwene. »Ich werde sie nicht zum Schweigen bringen. Ich würde sogar den Weißmänteln Zugang gewähren, wenn sie ihr Anliegen vorbringen könnten, ohne einen Aufruhr zu verursachen. Aber beim Licht, Frau. Ihr könnt doch nicht allen Ernstes glauben …«

Sie verstummte und musterte die Kaiserin. Sie glaubte es. Soweit es Egwene sagen konnte, glaubte sie es tatsächlich.

Wenigstens ist sie ehrlich, dachte Egwene. Verrückt. Verrückt, aber ehrlich.

»Und was ist mit den Damane, die Ihr jetzt festhaltet?«, fragte Egwene. »Ihr lasst sie gehen, falls sie freigelassen werden wollen?«

»Das würde keine wünschen, die richtig ausgebildet ist.«

»Das muss auf beiden Seiten gleich sein. Was ist mit einem Mädchen, bei dem man die Fähigkeit zum Machtlenken entdeckt? Falls sie nicht zur Damane gemacht werden will, lasst Ihr sie Eure Länder verlassen und zu uns kommen?«

»Da könnte man auch gleich einen wütenden Grolm auf einem Marktplatz von der Kette lassen.«

»Ihr habt behauptet, dass die Menschen die Wahrheit erkennen werden. Falls Eure Lebensweise stark und Eure Ideale wahrhaftig sind, dann werden die Menschen sie als das erkennen, was sie sind. Falls nicht, solltet Ihr sie nicht dazu zwingen. Lasst jeden gehen, der frei sein will, und ich lasse Eure Leute in Tar Valon sprechen. Licht! Ich gewähre ihnen freie Unterkunft und drei Mahlzeiten, und ich werde in jeder Stadt dafür sorgen!«

Fortuona musterte Egwene. »Viele unserer Sul’dam sind mit der Erwartung in diesen Krieg gezogen, neue Damane unter denen gefangen zu nehmen, die dem Schatten dienen. Vielleicht wie diese Sharaner. Ihr verlangt von uns, sie oder Eure Schattenschwestern unbehelligt ziehen zu lassen? Um zu zerstören und zu morden?«

»Um unter dem Licht verurteilt und hingerichtet zu werden.«

»Warum sollen sie sich nicht nützlich machen? Warum ihr Leben verschwenden?«

»Weil das, was Ihr tut, abscheulich ist!«, sagte Egwene verzweifelt. »Das verdienen nicht einmal die Schwarzen Ajah.«

»Ressourcen sollten nicht so leichtfertig verschwendet werden.«

»Tatsächlich?« Egwene schürzte die Lippen. »Euch ist klar, dass jede Eurer Sul’dam, Eure kostbaren Ausbilder, selbst eine Marath’Damane ist?«

»Verbreitet nicht solche Lügen!«, fauchte Fortuona.

»Ach? Sollen wir das überprüfen, Fortuona? Ihr sagt, Ihr habt sie selbst ausgebildet. Ich nehme an, Ihr seid eine Sul’dam? Legt Euch den A’dam um den Hals. Ich fordere Euch dazu heraus. Irre ich mich, wird Euch das nicht berühren. Habe ich recht, werdet Ihr seiner Macht unterworfen und Euch als Marath’Damane erweisen.«

Fortuona riss wütend die Augen auf. Sie hatte sämtliche Sticheleien ignoriert, dass Egwene sie als Verbrecherin bezeichnet hatte, aber diese Anschuldigung schien sie tief zu verletzen … also sorgte Egwene dafür, das Messer noch ein Stück tiefer zu rammen.

»Ja«, sagte sie. »Lasst uns das tun und das wahre Ausmaß Eurer Hingabe auf die Probe stellen. Falls Ihr erwiesenermaßen die Fähigkeit zum Machtlenken habt, werdet Ihr dann das tun, was andere Eurer Meinung nach tun sollten? Werdet Ihr einen Kragen nehmen und ihn Euch um den Hals legen, Fortuona? Werdet Ihr Euren eigenen Gesetzen gehorchen?«

»Ich habe ihnen gehorcht«, erwiderte Fortuona kalt. »Ihr seid sehr unwissend. Vielleicht stimmt ja, dass Sul’dam lernen können, die Macht zu lenken. Aber das ist nicht das Gleiche, wie eine Marath’Damane zu sein – genauso wenig wie man einen Mann, der eines Tages zum Mörder werden könnte, als solchen betrachten kann.«

»Wir werden ja sehen«, sagte Egwene, »sobald mehr Eurer Untertanen begreifen, welche Lügen man ihnen erzählt hat.«

»Ich werde Euch höchstpersönlich brechen«, sagte Fortuona leise. »Eines Tages werden Eure Leute Euch mir ausliefern. Ihr werdet Euch vergessen, und Eure Arroganz wird Euch an unsere Grenzen führen. Ich werde warten.«

»Ich beabsichtige, Jahrhunderte zu leben«, zischte Egwene. »Ich werde zusehen, wie Euer Kaiserreich zerfällt, Fortuona. Ich werde es freudig verfolgen.« Sie hob einen Finger, um die Frau gegen die Brust zu stupsen, aber Fortuona bewegte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit und packte Egwenes Handgelenk. Für eine so kleine Person war sie wirklich schnell.

Reflexartig umarmte Egwene die Quelle. Damane keuchten auf, und das Licht der Einen Macht flammte um sie herum auf.

Mat drängte sich zwischen Egwene und Fortuona und stieß sie auseinander, legte jeder Frau eine Hand auf die Brust. Instinktiv webte Egwene und wollte die Hand mit einem Strang Luft entfernen. Natürlich löste er sich auf.

Blut und Asche, das kommt ungelegen! Sie hatte ihn ganz vergessen.

»Wollen wir höflich bleiben, meine Damen«, sagte Mat und schaute erst die eine und dann die andere an. »Bringt mich nicht dazu, euch nacheinander übers Knie zu legen!«

Egwene starrte ihn böse an, und Mat erwiderte ihren Blick. Er versuchte ihre Wut von der Kaiserin auf sich zu lenken.

Egwene starrte auf seine Hand, die in unbehaglicher Nähe zu ihren Brüsten lag. Fortuona musterte diese Hand ebenfalls.

Mat nahm beide Hände fort, ließ sich dabei aber durchaus Zeit, als würde ihn das überhaupt nicht stören. »Die Menschen dieser Welt brauchen euch beide, und sie brauchen euch mit kühlem Kopf, habt ihr verstanden? Das ist größer als jeder Einzelne von uns. Wenn ihr euch bekriegt, gewinnt der Dunkle König, und das ist es dann. Also hört auf, euch wie Kinder zu benehmen.«

»Heute Abend werden wir viel über diese Angelegenheit zu besprechen haben, Knotai«, verkündete Fortuona.

»Ich liebe Unterhaltungen«, erwiderte Mat. »Es gibt so viele wunderschöne Worte. ›Lächeln.‹ Das fand ich eigentlich immer ein hübsches Wort. Findet Ihr nicht? Oder vielleicht die Worte ›Ich verspreche, Egwene nicht auf der Stelle zu töten, weil sie mich, die Kaiserin, möge ich ewig leben, berühren wollte, weil wir sie für die nächsten paar Wochen oder länger wirklich verdammt noch mal brauchen.‹« Er blickte Fortuona aufmunternd an.

»Ihr habt ihn wirklich geheiratet?«, fragte Egwene die Kaiserin. »Im Ernst?«

»Es war ein … ungewöhnlicher Vorfall«, erwiderte Fortuona. Sie schüttelte sich, dann starrte sie Egwene finster an. »Er gehört mir, und ich beabsichtige nicht, ihn gehen zu lassen.«

»Ihr scheint nicht zu der Sorte zu gehören, die überhaupt etwas gehen lässt, sobald Ihr es in den Händen habt«, meinte Egwene. »Matrim interessiert mich im Augenblick nicht; Eure Armee aber schon. Kämpft Ihr nun oder nicht?«

»Ich werde kämpfen«, sagte Fortuona. »Aber meine Armee untersteht Euch nicht. Euer General soll uns Vorschläge schicken. Wir ziehen sie in Betracht. Aber ich kann sehen, dass es Euch schwerfallen wird, die Furt ohne eine größere Zahl Eurer Marath’Damane gegen die Invasoren zu verteidigen. Ich schicke Euch einige meiner Sul’dam und Damane, um Euer Heer zu schützen. Das ist alles, das ich im Augenblick zu tun beabsichtige.« Sie wandte sich ab, um zurück zu ihren Untertanen zu gehen. »Kommt, Knotai.«

»Ich weiß nicht, wie du da hineingeraten bist«, flüsterte Egwene Mat zu. »Ich will es auch gar nicht wissen. Nach dem Ende der Kämpfe tue ich, was in meiner Macht steht, um dich zu befreien.«

»Egwene, das ist nett von dir«, erwiderte Mat. »Aber ich schaffe das schon selbst.« Er eilte hinter Fortuona her.

Das sagte er immer. Sie würde eine Möglichkeit finden, ihm zu helfen. Sie schüttelte den Kopf und kehrte zu Gawyn zurück, der auf sie wartete. Leilwin hatte nicht mitkommen wollen, obwohl Egwene geglaubt hatte, sie würde gern ein paar ihrer Landsleute wiedersehen.

»Wir müssen sie auf Armlänge halten«, sagte Gawyn leise.

»Einverstanden.«

»Du willst immer noch an der Seite der Seanchaner kämpfen, trotz allem, was sie getan haben?«

»Solange sie die sharanischen Machtlenker beschäftigen, ja.« Egwene schaute zum Horizont – in Richtung Rand und dem mächtigen Kampf, in den er verwickelt sein musste. »Unsere Möglichkeiten sind begrenzt, und unsere Verbündeten werden immer weniger, Gawyn. Im Augenblick ist jeder ein Freund, der bereit ist, Trollocs töten. So ist das.«


Die andoranische Linie gab nach, und Trollocs brachen durch, grollende Bestien mit stinkendem Atem, der in der kühlen Luft zu Nebel erstarrte. Elaynes Hellebardenmänner stolperten übereinander, als sie zu entkommen versuchten. Die ersten Tiermenschen ignorierten sie heulend und sprangen über sie hinweg, um Platz für die nächsten zu machen, die wie dunkles Blut aus einer Fleischwunde durch die Lücke strömten.

Elayne versuchte den letzten Rest Kraft zu sammeln, den sie noch hatte. Sie hatte das Gefühl, als würde Saidar ihr jeden Augenblick entgleiten, aber mittlerweile würden die kämpfenden und sterbenden Männer auch nicht mehr Kraft als sie haben. Sie alle hatten fast den ganzen Tag lang gekämpft.

Irgendwie fand sie die Kraft zu weben und röstete die ersten paar Trollocs mit Feuerbällen, dämmte den Strom durch die Wunde in den menschlichen Linien. Weiße Schemen folgten, Pfeile von Birgittes Bogen. Blökend griffen sich Trollocs an den Hals, wo die Geschosse einschlugen.

Elayne teilte einen Schlag nach dem anderen vom Pferderücken aus, klammerte sich mit müden Händen am Sattel fest, während sie unentwegt blinzelte. Ihre Lider waren schwer wie Blei. Tote Tiermenschen stürzten, als bildeten sie Schorf auf einer Wunde, hinderten die anderen am Durchbruch. Reservetruppen stolperten herbei, nahmen das Gelände in Besitz und stießen die Angreifer zurück.

Elayne atmete aus und schwankte. Licht! Sie fühlte sich, als hätte man sie gezwungen, um Caemlyn herumzulaufen und dabei Bleigewichte hinter sich herzuziehen. Sie konnte kaum aufrecht sitzen, geschweige denn die Eine Macht halten. Ihre Sicht verschwamm, wurde noch dunkler. Ihre Ohren rauschten. Dann … Dunkelheit.

Zuerst kehrte das Hörvermögen zurück. Fernes Gebrüll, Klirren. In der Ferne ertönte ein Horn. Das Heulen des Schattengezüchts. Gelegentlicher Donner der Drachen. Sie feuern nicht mehr so oft, dachte sie. Aludra hatte ihr Feuer zu einem anderen Rhythmus verändert. Bashere würde einen Teil der Truppen zurückziehen und sie ausruhen lassen. Die Trollocs würden kommen, und die Drachen würden sie kurze Zeit bombardieren. Wenn die Kreaturen dann angekrochen kamen und die Drachen zu zerstören versuchten, würde die Kavallerie kommen und sie von den Flanken her zerschmettern.

Das tötete eine Menge Trollocs. Das war ihre Aufgabe … Trollocs töten …

Zu langsam, dachte sie. Zu langsam …

Elayne fand sich auf dem Boden liegend wieder, Birgittes besorgtes Gesicht über ihr.

»O Licht?«, murmelte Elayne. »Bin ich vom Sattel gefallen?«

»Wir haben dich rechtzeitig aufgefangen«, murmelte Birgitte. »Du bist in unseren Armen zusammengesackt. Komm schon, wir ziehen uns zurück.«

»Ich …«

Birgitte sah sie bloß mit hochgezogener Braue an, wartete auf den Streit.

Es fiel schwer, ihn mutwillig zu beginnen, wenn man nur wenige Schritte von der Frontlinie entfernt auf dem Boden lag. Saidar war ihr entglitten, und vermutlich hätte sie es nicht einmal mehr halten können, wenn ihr Leben davon abgehangen hätte. »Ja«, sagte sie. »Ich sollte … nach Bashere sehen.«

»Sehr klug«, erwiderte Birgitte und bedeutete den Gardistinnen, Elayne aufs Pferd zu helfen. Dann zögerte sie. »Das hast du gut gemacht, Elayne. Sie wissen, wie sehr du gekämpft hast. Es war gut, dass sie es gesehen haben.«

Sie eilten durch die hinteren Linien zurück. Die waren nicht sehr groß; die meisten Soldaten standen im Kampf. Sie mussten siegen, bevor das zweite Trolloc-Heer eintraf, und das bedeutete, dass sie dieser Streitmacht alles entgegenwerfen mussten, was sie hatten.

Trotzdem überraschten Elayne die erschöpften Reserven, die kleine Zahl, die erübrigt werden konnte, sich von der Front zurückzuziehen und auszuruhen. Wie lange ging das jetzt?

Die Wolken hatten den offenen Himmel bedeckt, der sie oft begleitete. Das schien ein schlimmes Zeichen zu sein. »Verflucht sollen diese Wolken sein«, murmelte sie. »Welche Tageszeit haben wir?«

»Vielleicht zwei Stunden bis Sonnenuntergang«, sagte Birgitte.

»Licht! Du hättest mich schon vor Stunden dazu bringen sollen, ins Lager zurückzukehren, Birgitte!«

Die Frau warf ihr einen bösen Blick zu, und Elayne erinnerte sich vage an Versuche, genau das zu tun. Nun, sinnlos, sich jetzt deswegen zu streiten. Elayne gewann etwas neue Kraft und zwang sich, kerzengerade im Sattel zu sitzen, als sie in das kleine Tal zwischen den Hügeln in der Nähe von Cairhien kamen, wo Bashere Befehle für die Schlacht gab.

Sie ritt direkt zum Kommandoposten, denn sie vertraute ihren Beinen nicht, sie zu tragen. Sie blieb im Sattel sitzen, als sie Bashere ansprach. »Funktioniert es?«

Er sah zu ihr hoch. »Ich nehme an, ich kann nicht länger auf Euch an der Front zählen?«

»Im Moment bin ich zu schwach zum Machtlenken. Es tut mir leid.«

»Ihr habt länger durchgehalten, als Ihr solltet.« Er notierte etwas auf seiner Karte. »Gut. Ich glaube fast, Ihr allein habt die östliche Flanke vor dem Zusammenbruch bewahrt. Ich muss mehr Unterstützung dorthin schicken.«

»Funktioniert es?«

»Seht selbst.« Bashere nickte in Richtung Hügel.

Elayne knirschte mit den Zähnen, trieb aber Mondschatten nach oben, wo sie einen Aussichtspunkt finden konnte. Sie hob ihr Fernrohr mit Fingern, die viel mehr zitterten, als ihr gefiel.

Der Gegner hatte ihre gekrümmte Verteidigungslinie getroffen. Dann war die Infanterie zurückgefallen, und die Krümmung hatte sich umgedreht und nach vorn gebogen, als die Ungeheuer vorwärtsdrängten. Das hatte dem Schattengezücht das Gefühl gegeben, einen Vorteil zu erringen, und darum hatte es die Wahrheit nicht erkannt.

Denn während der Feind nach vorn stieß, hatten sich die Infanterielinien um seine Seiten geschoben. Elayne hatte den wichtigsten Augenblick verpasst, als Bashere den Aiel den Angriffsbefehl gegeben hatte. Ihr schnelles Umgehungsmanöver, um die Trollocs von hinten zu treffen, hatte wie gehofft funktioniert.

Elaynes Streitkräfte hatten das Schattengezücht umzingelt. Ein gewaltiger Kreis aus sich wild wehrenden Kreaturen kämpfte gegen das Heer, das sie jetzt umgab und sie immer stärker zusammendrängte, um Manöver und Kampfvermögen des Feindes einzuschränken.

Es funktionierte. Licht, es funktionierte tatsächlich! Die Aiel schlugen auf die hinteren Flanken der Trollocs ein und metzelten sie nieder. Die Schlinge war zugezogen.

Wer von ihnen blies diese Hörner? Das waren doch Trolloc-Hörner.

Elayne suchte das Schattengezücht ab, konnte die Hornbläser aber nicht ausmachen. In der Nähe der Aiel entdeckte sie ein paar tote Myrddraal. Einer von Aludras Drachen – auf seinem Karren befestigt und von zwei Pferden gezogen – war bei den Reitern der Bande. Sie hatten die Karren auf verschiedenen Hügeln aufgestellt, um nach unten in die Trollocs feuern zu können.

»Elayne …«, sagte Birgitte.

»Oh, tut mir leid«, erwiderte Elayne, senkte das Fernrohr und hielt es ihrer Behüterin hin. »Sieh es dir selbst an. Es läuft gut.«

»Elayne!«

Überrascht erkannte sie, wie besorgt die Behüterin war. Elayne fuhr herum und folgte dem Blick der Frau nach Süden jenseits der Stadtmauern. Der Hörnerschall … er hatte so leise geklungen. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass er von hinten kam.

»O nein …« Elayne riss das Fernrohr hoch.

Wie schwarzer Unrat erschien das zweite Trolloc-Heer am Horizont.

»Hat Bashere nicht gesagt, dass sie vor Morgen nicht hier sein können?«, fragte Birgitte. »Frühestens?«

»Das spielt keine Rolle«, erwiderte Elayne. »Sie sind hier, warum auch immer. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Drachen in die andere Richtung zeigen! Überbring Talmanes den Befehl, und finde Lord Tam al’Thor! Ich will die Männer von den Zwei Flüssen bewaffnet und bereit. Licht! Auch die Armbrustmänner. Wir müssen dieses zweite Heer auf jede nur erdenkliche Weise aufhalten.«

Bashere, dachte sie. Ich muss Bashere Bescheid geben.

Sie zog Mondschatten herum und bewegte sich so schnell, dass ihr schwindlig wurde. Sie versuchte die Quelle zu umarmen, aber die wollte nicht kommen. Sie war so müde, dass es ihr schwerfiel, die Zügel zu halten.

Irgendwie schaffte sie es den Hügel hinunter, ohne vom Pferd zu fallen. Birgitte war zurückgeblieben, um ihre Befehle weiterzuleiten. Gute Frau. Elayne ritt ins Lager und platzte in einen Streit hinein.

»… höre ich mir nicht an!«, brüllte Bashere. »Ich lasse mich nicht in meinem eigenen Lager beleidigen, Mann!«

Das Objekt seines Zorns war kein anderer als Tam al’Thor. Der ruhige Mann von den Zwei Flüssen erblickte Elayne und schien überrascht zu sein, sie hier zu sehen.

»Euer Majestät«, sagte er. »Man hat mir gesagt, Ihr wärt noch draußen auf dem Schlachtfeld.« Er sah Bashere an, der rot anlief.

»Ich wollte nicht, dass Ihr mit diesem Unsinn …«

»Genug!« Elayne lenkte Mondschatten zwischen die beiden. Warum stritt sich ausgerechnet Tam vor allen Leuten mit Bashere? »Bashere, das zweite Trolloc-Heer ist fast da.«

»Ja«, sagte Bashere und holte tief Luft. »Ich habe es eben erfahren. Licht, das ist eine Katastrophe, Elayne. Wir müssen uns durch Wegetore zurückziehen.«

»Unser Gewaltmarsch hat die Kusinen erschöpft«, erwiderte Elayne. »Die meisten können gerade noch genug Macht lenken, um eine Tasse Tee warm zu machen, aber kein Wegetor weben.« Licht, und ich könnte nicht einmal diesen Tee erhitzen. Sie zwang sich, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. »Das war Teil des Plans.«

»Ich … das stimmt«, sagte Bashere. Er betrachtete die Karte. »Lasst mich nachdenken. Die Stadt. Wir ziehen uns in die Stadt zurück.«

»Und dem Schattengezücht die Zeit geben, sich auszuruhen, um sich zu sammeln und uns anzugreifen? Vermutlich wollen sie uns doch gerade dazu zwingen.«

»Ich sehe keinen anderen Ausweg«, erwiderte der General. »Die Stadt ist unsere einzige Hoffnung.«

»Die Stadt?«, rief Talmanes aus, der keuchend herbeieilte. »Ihr könnt doch unmöglich davon sprechen, uns in die Stadt zurückzuziehen!«

»Warum nicht?«, wollte Elayne wissen.

»Euer Majestät, es ist unserer Infanterie gerade gelungen, ein Trolloc-Heer einzukesseln! Sie kämpfen mit Klauen und Zähnen! Wir haben keine Reserven mehr, und unsere Kavallerie ist erschöpft. Es wird uns niemals gelingen, uns ohne schwerste Verluste von diesem Kampf zu lösen. Und dann wären unsere Überlebenden in dieser Stadt zwischen zwei Heeren des Schattens gefangen.«

»Licht«, flüsterte Elayne. »Als hätten sie das geplant.«

»Ich glaube, das haben sie«, sagte Tam leise.

»Nicht das schon wieder«, brüllte Bashere. Er schien nicht er selbst zu sein, auch wenn ihr klar war, dass Saldaeaner sehr temperamentvoll sein konnten. Bashere erschien beinahe wie ein anderer Mensch. Seine Frau trat mit verschränkten Armen an seine Seite, und sie sahen beide Tam finster an.

»Sprecht, Tam«, sagte Elayne.

»Ich …«, fing Bashere an, aber Elayne hob die Hand.

»Er wusste es, Euer Majestät«, sagte Tam leise. »Nur so ergibt das einen Sinn. Er hat die Aiel gar nicht als Kundschafter losgeschickt.«

»Was?«, sagte Elayne. »Aber natürlich hat er das. Ich habe doch die Berichte der Kundschafter gelesen.«

»Diese Berichte sind gefälscht oder zumindest unvollständig«, sagte Tam. »Ich sprach mit Bael. Er sagte, dass in den letzten paar Tagen unseres Marsches keine seiner Aiel als Kundschafter ausgeschickt wurden. Er glaubte, meine Männer hätten das erledigt, aber das haben sie nicht. Ich sprach mit Arganda, der glaubte, die Weißmäntel hätten das übernommen, aber Galad behauptete, die Bande hätte es getan.«

»Wir waren das nicht«, sagte Talmanes stirnrunzelnd. »Keiner meiner Männer wurde als Kundschafter losgeschickt.«

Alle Augen wandten sich Bashere zu.

»Wer«, sagte Elayne, »hat unsere Nachhut im Auge behalten, Bashere?«

»Ich …« Er schaute auf, und sein Zorn flammte wieder auf. »Ich habe die Berichte irgendwo. Ich habe sie Euch gezeigt, und Ihr habt sie abgesegnet!«

»Es ist alles zu perfekt«, sagte Elayne. Ein plötzliches Frösteln überfiel sie, direkt zwischen den Schulterblättern. Es breitete sich durch ihren ganzen Körper aus, ein eiskalter Wind, der durch ihre Adern fuhr. Man hatte sie auf bewundernswerte Weise in die Falle gelockt. Die Machtlenker waren erschöpft worden, die Soldaten waren in Nahkämpfe verstrickt, ein zweites Heer traf einen Tag früher ein, als die gefälschten Berichte vorausgesagt hatten …

Davram Bashere war ein Schattenfreund.

»Bashere ist von seinen Pflichten entbunden«, befahl sie.

»Aber …«, stammelte er. Seine Frau legte ihm die Hand auf den Arm und sah Elayne mit Feuer im Blick an. Bashere richtete den Finger auf Tam. »Ich habe die Männer von den Zwei Flüssen geschickt! Tam al’Thor muss der Schuldige sein! Er will Euch verwirren, Euer Majestät!«

»Talmanes«, sagte Elayne. Ihr war kalt bis auf die Knochen. »Fünf Rotwaffen sollen Lord Bashere und seine Frau unter Arrest stellen.«

Bashere stieß eine Reihe von Flüchen aus. Es überraschte Elayne, wie ruhig sie war. Ihre Gefühle waren abgetötet. Sie sah zu, wie man ihn wegzerrte.

Für so etwas hatten sie keine Zeit. »Versammelt die Kommandanten«, sagte sie zu den anderen. »Galad, Arganda … gebt dem Trolloc-Heer im Norden der Stadt den Rest! Sagt es den Männern. Wir müssen alles, was uns zur Verfügung steht, in diese Schlacht werfen! Wenn wir diese Trollocs nicht innerhalb der nächsten Stunde vernichten können, sterben wir hier!

Talmanes, diese Drachen können jetzt nicht mehr viel gegen die Tiermenschen ausrichten, wo sie eingekesselt sind – Ihr riskiert, unsere Leute zu treffen. Aludra soll alle Drachen auf den höchsten Hügel schaffen, um den neuen Feind zu bombardieren, der aus dem Süden anrückt. Sagt den Ogiern, sie sollen einen Kordon um den Hügel mit den Drachen bilden; wir dürfen nicht zulassen, dass man sie zerstört. Tam, bringt Eure Bogenschützen auf die anderen Hügel. Und die Legion des Drachen soll sich als Frontlinie aufstellen, die Armbrustmänner vorn, die schwere Kavallerie dahinter. Wenn es das Licht will, wird uns das genug Zeit erkaufen, um die eingekesselten Trollocs zu erledigen.«

Es würde knapp werden. Licht! Wenn dieses zweite Heer ihre Männer einkreiste …

Elayne holte tief Luft, dann öffnete sie sich Saidar. Die Eine Macht flutete in sie hinein, obwohl sie bloß ein Rinnsal halten konnte. Sie konnte so tun, als wäre sie nicht erschöpft, aber ihr Körper kannte die Wahrheit.

Sie würde sie trotzdem anführen.

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