5. Ein Schloss im Nebel

Ismaels Segelboot tauchte pünktlich aus dem Dunstschleier auf, der die Oberfläche der Bucht liebkoste. Irene und ihre Mutter, die still auf der Veranda saßen und eine Tasse Milchkaffee tranken, wechselten einen Blick.

»Ich muss dir ja nicht sagen…«, begann Simone.

»Nein, musst du nicht«, antwortete Irene.

»Wann haben wir beide uns zum letzten Mal über Männer unterhalten?«, fragte ihre Mutter.

»Als ich sieben wurde und unser Nachbarsjunge Claude mich überredet hat, meinen Rock gegen seine Hose zu tauschen.«

»So ein Ferkel.«

»Er war erst fünf, Mama.«

»Wenn sie mit fünf schon so sind, dann stell sie dir mit fünfzehn vor.«

»Sechzehn.«

Simone seufzte. Sechzehn Jahre, mein Gott. Ihre Tochter hatte vor, mit einem alten Seebären durchzubrennen.

»Dann sprechen wir von einem Erwachsenen.«

»Er ist nur ein gutes Jahr älter als ich. Was bin ich dann?«

»Du bist noch ein Kind.«

Irene lächelte ihrer Mutter nachsichtig zu. Als Feldwebel hatte Simone Sauvelle keine Zukunft.

»Nur die Ruhe, Mama. Ich weiß, was ich tue.«

»Das ist es ja, was mir Angst macht.«

Das Segelboot fuhr in die kleine Bucht ein. Ismael winkte vom Boot aus. Simone musterte den Jungen mit wachsam hochgezogener Augenbraue.

»Warum kommt er nicht rauf und du stellst ihn mir vor?«

»Mama…«

Simone nickte. Sie hatte sowieso nicht daran geglaubt, dass dieser Trick ziehen würde.

»Gibt es etwas, das ich dir mit auf den Weg geben sollte?«, schlug sie, klein beigebend, vor.

Irene gab ihr einen Kuss auf die Wange.

»Wünsch mir einfach einen schönen Tag.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, lief Irene zum Anlegeplatz. Simone beobachtete, wie ihre Tochter die Hand dieses Fremden ergriff (der in ihren argwöhnischen Augen nicht mehr viel von einem Jungen hatte) und an Bord seines Segelbootes sprang. Als Irene sich umdrehte, um ihr zuzuwinken, lächelte ihre Mutter gezwungen und winkte zurück. Dann sah sie zu, wie sie im friedlichen, strahlenden Sonnenschein in die Bucht hinaussegelten. Auf dem Geländer der Veranda saß eine Möwe, vielleicht auch sie eine besorgte Mutter, und betrachtete sie resigniert.

»Es ist nicht fair«, sagte sie zu der Möwe. »Wenn sie auf die Welt kommen, sagt einem keiner, dass sie irgendwann das Gleiche machen werden wie man selbst in ihrem Alter.«

Der Vogel, dem solche Überlegungen fremd waren, folgte Irenes Beispiel und segelte davon. Simone musste über sich selbst lächeln und machte sich auf den Weg nach Cravenmoore. Arbeit hilft immer, sagte sie sich.


Irgendwann verwandelte sich das ferne Ufer in eine weiße Linie, die sich zwischen Himmel und Erde dahinzog. Der Ostwind blähte die Segel der Kyaneos, und der Bug des Bootes glitt über die kristallklare, smaragdblau schimmernde Fläche, durch die man bis auf den Grund schauen konnte. Irene, deren einzige bisherige Erfahrung an Bord eines Schiffes die kurze Überfahrt vor einigen Tagen gewesen war, betrachtete mit offenem Mund, wie hinreißend schön die Bucht aus dieser neuen Perspektive war. Das Haus am Kap war zu einem weißen Einschnitt zwischen den Felsen geworden, und die leuchtend bunten Fassaden der Häuser im Dorf spiegelten sich glitzernd im Wasser. In der Ferne zogen die Ausläufer eines Gewitters zum Horizont. Irene schloss die Augen und hörte das Rauschen des Meeres ringsum. Als sie sie wieder öffnete, war alles immer noch da. Es war Realität.

Nachdem er das Boot auf Kurs gebracht hatte, blieb Ismael nicht viel anderes zu tun, als Irene zu betrachten, die unter dem Eindruck eines Meereszaubers zu stehen schien. Mit wissenschaftlicher Gründlichkeit begann er seine Beobachtungen bei ihren blassen Knöcheln, um dann langsam und gewissenhaft hinaufzuwandern bis zu der Stelle, wo der Rock mit ungewöhnlicher Keckheit die obere Hälfte der Oberschenkel des Mädchens verbarg. Dann fuhr er damit fort, die gelungene Gestaltung ihres schlanken Oberkörpers in Augenschein zu nehmen. Dieser Vorgang zog sich eine unbestimmte Zeit hin, bis seine Augen unvermutet jenen von Irene begegneten und Ismael feststellte, dass seine Musterung nicht unbemerkt geblieben war.

»Woran denkst du?«, fragte sie.

»An den Wind«, log Ismael glatt heraus. »Er schlägt um und dreht auf Süd. Das ist häufig so, wenn Sturm aufkommt. Ich habe mir gedacht, du würdest vielleicht gerne zuerst das Kap umsegeln. Die Aussicht ist einzigartig.«

»Welche Aussicht?«, fragte Irene unschuldig.

Diesmal bestand kein Zweifel; das Mädchen machte sich über ihn lustig. Ohne auf die ironische Bemerkung seiner Passagierin zu achten, lenkte Ismael das Boot zum Scheitelpunkt der Strömung, die eine Meile vom Kap entfernt am Riff entlang verlief. Sobald sie über diesen Punkt hinweg waren, konnten sie die Endlosigkeit des menschenleeren, wilden Strandes betrachten, der sich bis zu den Dunstschwaden dahinzog, die den Mont-Saint-Michel umgaben, ein Schloss, das aus dem Nebel emporragte.

»Das ist die Schwarze Bucht«, erklärte Ismael. »Sie wird so genannt, weil ihre Gewässer tiefer sind als die der Blauen Bucht, bei der es sich im Grunde um eine Sandbank knapp sieben oder acht Meter unter Wasser handelt. Eine Untiefe.«

Für Irene klang dieses Seglerlatein wie Chinesisch, aber die spröde Schönheit, die diese Landschaft ausstrahlte, stellte ihr die Nackenhärchen auf. Ihr Blick fiel auf etwas, das wie eine Lücke im Felsen aussah, ein zum Meer sich öffnender Schlund.

»Dahinter liegt die Lagune«, sagte Ismael. »Sie ist nur durch diesen schmalen Durchlass mit dem offenen Meer verbunden. Auf der anderen Seite der Lagune liegt die Fledermausgrotte. Dieser Tunnel, der dort in den Fels hineinführt, siehst du? Angeblich wurde im Jahr 1746 während eines Sturms eine Piratengaleone dort hineingetrieben. Die Überreste des Schiffes– und der Piraten– liegen noch immer dort.«

Irene warf ihm einen skeptischen Blick zu. Ismael mochte ein guter Kapitän sein, aber was dieses Seemannsgarn anging, war er ein einfacher Schiffsjunge.

»Das ist die Wahrheit«, beteuerte Ismael. »Ich tauche manchmal dort. Die Grotte führt tief in den Fels hinein und nimmt gar kein Ende.«

»Nimmst du mich mal mit hin?«, fragte Irene, während sie vorgab, die absurde Geschichte von einem spukenden Korsaren zu glauben.

Ismael errötete ein wenig. Das klang nach Fortsetzung. Nach Verbindlichkeit. Mit einem Wort, nach Gefahr.

»Aber es gibt Fledermäuse dort. Daher der Name…«, gab der Junge zu bedenken, außerstande, ein überzeugenderes Argument zu finden.

»Ich mag diese fliegenden Ratten«, behauptete sie gutgelaunt, bemüht, ihn weiter auf den Arm zu nehmen.

»Gut, wann du willst«, lenkte Ismael ein.

Irene schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das ihn völlig aus der Fassung brachte. Für einige Sekunden wusste er nicht mehr, ob der Wind von Nord wehte oder ob ein Kiel ein besonders leckeres Gebäck war. Und das Schlimmste war, dass das Mädchen es zu bemerken schien. Zeit für eine Kursänderung. Ismael riss das Ruder herum und machte eine vollständige Wende, so dass das Großsegel auf die andere Seite schlug. Das Boot neigte sich so stark zur Seite, dass das Meer mit seiner kalten Zunge an Irenes Haut leckte. Das Mädchen schrie lachend auf. Ismael lächelte ihr zu. Er wusste immer noch nicht genau, was er in ihr sah, aber in einem war er sich sicher: Er konnte den Blick nicht von ihr lassen.

»Auf zum Leuchtturm«, verkündete er.

Sekunden später schoss die Kyaneos, die unsichtbare Hand des Windes im Rücken, wie ein Pfeil durch die Brandung am Riff. Ismael spürte, wie Irene seine Hand umklammerte. Das Segelboot glitt dahin, als ob es kaum das Wasser berührte. Im Kielwasser malte die Gischt weiße Wirbel ins Wasser. Irene sah Ismael an und bemerkte, dass er sie ebenfalls betrachtete. Für einen Moment versanken seine Augen in den ihren, und Irene spürte, wie der Junge sanft ihre Hand drückte. Noch nie war die Welt so weit weg gewesen.


Am späten Vormittag jenes Tages betrat Simone Sauvelle Lazarus Janns persönliche Bibliothek, die sich in einem großen ovalen Saal im Herzen von Cravenmoore befand. Ein unendliches Universum aus Büchern wand sich in einer babylonischen Spirale nach oben, einer Kuppel aus bunt gefärbtem Glas entgegen. Tausende unbekannter, geheimnisvoller Welten gaben sich in dieser Kathedrale der Bücher ein Stelldichein. Sekundenlang stand Simone mit offenem Mund da, den Blick auf einen sich auflösenden Dunstschleier geheftet, der zur Kuppel aufstieg. Es dauerte fast zwei Minuten, bis sie bemerkte, dass sie nicht alleine war.

In einem Lichtstrahl, der senkrecht von der Kuppel herabfiel, saß eine sorgfältig gekleidete Gestalt an einem Schreibpult. Als er ihre Schritte hörte, wandte sich Lazarus um, schlug das Buch zu, in dem er gerade gelesen hatte, einen alten, in schwarzes Leder gebundenen Band, der aus vergangenen Jahrhunderten zu stammen schien, und lächelte liebenswürdig. Es war ein warmes, ansteckendes Lächeln.

»Ah, Madame Sauvelle. Willkommen in meinem kleinen Refugium«, sagte er, während er aufstand.

»Ich wollte Sie nicht stören…«

»Aber nicht doch, ich freue mich, dass Sie es getan haben«, sagte Lazarus. »Ich wollte mit Ihnen über eine Buchbestellung sprechen, die ich bei Arthur Francher tätigen möchte…«

»Arthur Francher in London?«

Lazarus’ Gesicht begann zu strahlen.

»Sie kennen ihn?«

»Mein Mann hat häufig Bücher dort gekauft, wenn er auf Reisen war. Burlington Arcade.«

»Ich wusste, ich hätte keine geeignetere Person für diese Stelle finden können«, sagte er. Simone errötete.

»Wie wäre es, wenn wir bei einer Tasse Kaffee darüber sprächen?«, lud er sie ein.

Simone willigte schüchtern ein. Lazarus lächelte erneut und stellte das dicke Buch, das er in Händen hielt, an seinen Platz zwischen Hunderten ähnlicher Bände zurück. Simone beobachtete ihn dabei, und ihr Blick fiel zwangsläufig auf den Titel, der von Hand auf den Buchrücken geprägt war. Ein einziges unbekanntes, unverständliches Wort:


Doppelgänger


Kurz vor Mittag sah Irene die Leuchtturminsel vor dem Bug auftauchen. Ismael beschloss, sie zu umrunden, um dort in einer kleinen Bucht vor der zerklüfteten, felsigen Insel zu ankern. Dank Ismaels Erklärungen war Irene mittlerweile bereits um einiges beschlagener in der Kunst des Navigierens und der elementaren Physik des Windes. So gelang es ihnen gemeinsam, sich nach seinen Anweisungen die Strömung zunutze zu machen und in die schmale Passage zwischen den Klippen zu gleiten, die zu dem alten Anleger am Leuchtturm führte.

Die Insel war kaum mehr als ein trostloses Stück Fels, das in der Bucht emporragte. Eine beachtliche Möwenkolonie nistete dort. Einige von ihnen musterten die Eindringlinge mit einer gewissen Neugier. Die Übrigen flogen auf. Im Vorbeifahren sah Irene morsche, über Jahrzehnte sich selbst überlassene Holzschuppen.

Der Leuchtturm war ein schlanker, von einer Prismenlaterne bekrönter Turm, der ein kleines, knapp einstöckiges Haus überragte, die ehemalige Wohnung des Leuchtturmwärters.

»Außer mir, den Möwen und dem einen oder anderen Krebs war seit Jahren niemand mehr hier«, sagte Ismael.

»Den Wiedergänger von dem Piratenschiff nicht zu vergessen«, scherzte Irene.

Der Junge steuerte das Boot zum Anleger und sprang an Land, um das Bugtau festzumachen. Irene folgte seinem Beispiel. Sobald die Kyaneos ordentlich vertäut war, nahm Ismael einen Picknickkorb heraus, den ihm seine Tante in der Überzeugung zurechtgemacht hatte, dass sich eine junge Dame nicht mit leerem Magen erobern lasse und man bei der Befriedigung der Instinkte Prioritäten setzen müsse.

»Komm. Wenn du Geistergeschichten magst, wird dich das interessieren…«

Ismael stieß die Tür des Leuchtturmhauses auf und bedeutete Irene, voranzugehen. Beim Betreten des alten Hauses hatte das Mädchen das Gefühl, einen Schritt zwei Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit gemacht zu haben. Alles war von einer Schimmelschicht überzogen, die durch die jahrelange Feuchtigkeit entstanden war. Dutzende von Büchern, Gegenständen und Möbeln waren zurückgeblieben und unversehrt, als hätte ein Geist den Leuchtturmwärter in der Nacht mitgenommen. Irene sah Ismael fasziniert an.

»Warte erst mal, bis du den Leuchtturm siehst«, sagte er.

Der Junge nahm ihre Hand und zog sie zu der Wendeltreppe, die in den Leuchtturm hinaufführte. Irene fühlte sich wie ein Eindringling, als sie diesen aus der Zeit gefallenen Ort betrat, und zugleich wie eine Abenteurerin, die kurz davor war, ein seltsames Geheimnis zu enthüllen.

»Was ist mit dem Leuchtturmwärter passiert?«

Ismael ließ sich Zeit mit der Antwort.

»Eines Nachts stieg er in sein Boot und verließ die Insel. Er hat sich nicht einmal damit aufgehalten, seine Sachen zu packen.«

»Weshalb mag er so etwas getan haben?«

»Er hat es nie erzählt«, antwortete Ismael.

»Weshalb, glaubst du, hat er es getan?«

»Aus Angst.«

Irene schluckte und blickte über ihre Schulter, als erwartete sie jeden Moment, den Geist der ertrunkenen Frau wie einen Dämon hinter sich auf der Wendeltreppe zu sehen, die langen Krallen nach ihr ausgestreckt, das Gesicht porzellanweiß, dunkle Ringe um die geröteten Augen.

»Hier ist niemand, Irene. Nur du und ich.«

Das Mädchen nickte, nicht sehr überzeugt.

»Nur Möwen und Krebse, ja?«

»Genau.«

Die Treppe führte zur Plattform des Leuchtturms, einem Ausguck hoch über der Insel, von wo aus man die ganze Blaue Bucht überblicken konnte. Die beiden traten nach draußen. Die frische Brise und das gleißende Licht vertrieben alles Unheimliche, das vom Inneren des Leuchtturms ausging. Irene atmete tief durch und ließ sich von der Aussicht verzaubern, die man nur von dort aus hatte.

»Danke, dass du mich hierhergeführt hast«, flüsterte sie.

Ismael nickte und wandte nervös den Blick ab.

»Würdest du gern etwas essen? Ich sterbe vor Hunger«, erklärte er.

Also setzten sich die beiden an den Rand der Plattform, ließen die Füße ins Leere baumeln und machten sich über die Leckereien her, die sich in dem Korb verbargen. Keiner von ihnen hatte großen Appetit, aber beim Essen waren Hände und Geist beschäftigt.

In der Ferne dämmerte die Blaue Bucht in der Nachmittagssonne, unbeeindruckt von dem, was auf dieser abgelegenen Insel geschah.


Drei Tassen Kaffee und eine Ewigkeit später saß Simone immer noch in Gesellschaft von Lazarus da. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Was als nette Plauderei begonnen hatte, hatte sich zu einem langen, tiefsinnigen Gespräch über Bücher, Reisen und alte Erinnerungen entwickelt. Nach wenigen Stunden schon hatte sie das Gefühl, Lazarus ein Leben lang zu kennen. Zum ersten Mal seit Monaten und mit einem Gefühl der Erleichterung beobachtete sie sich dabei, wie sie schmerzliche Erinnerungen an die letzten Lebenstage von Armand zulassen konnte. Lazarus hörte aufmerksam und respektvoll schweigend zu. Er wusste, wann er das Gespräch in eine andere Richtung lenken musste und wann er den Erinnerungen freien Lauf lassen konnte.

Es fiel ihr schwer, in Lazarus nur ihren Arbeitgeber zu sehen. In ihren Augen war der Spielzeugfabrikant eher ein Freund, ein guter Freund. Im Laufe des Nachmittag gestand sich Simone mit einer Mischung aus schlechtem Gewissen und beinahe kindlicher Scham ein, dass dieses seltsame Einvernehmen zwischen ihnen beiden unter anderen Umständen, in einem anderen Leben, der Grundstein zu mehr hätte sein können. Der Schatten ihrer Witwenschaft und die Erinnerungen lasteten auf ihrer Seele wie die Spuren eines Sturms, so wie auch die unsichtbare Gegenwart von Lazarus’ kranker Frau die Atmosphäre auf Cravenmoore durchtränkte. Unsichtbare Zeugen in der Dunkelheit.

Einige Stunden schlichter Konversation genügten ihr, um aus dem Blick des Spielzeugfabrikanten lesen zu können, dass ihm ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen. Aber sie las auch darin, dass er seiner Frau auf ewig verpflichtet sein würde und die Zukunft für sie beide nicht mehr bereithielt als eine Freundschaft. Eine tiefe Freundschaft. Eine unsichtbare Brücke zwischen zwei Welten, getrennt durch Ozeane voller Erinnerungen.

Goldenes Licht kündigte die Abenddämmerung an und fiel wie ein Gespinst aus leuchtenden Fäden in Lazarus’ Arbeitszimmer. Lazarus und Simone sahen sich schweigend an.

»Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen, Lazarus?«

»Natürlich.«

»Aus welchem Grund sind Sie Spielzeugfabrikant geworden? Mein verstorbener Mann war Ingenieur, und ein recht begabter. Aber Ihre Arbeit lässt ein wirklich bahnbrechendes Talent erkennen. Und ich übertreibe nicht, Sie wissen das genauso gut wie ich. Weshalb Spielzeug?«

Lazarus lächelte stumm.

»Sie müssen mir nicht antworten«, setzte Simone hinzu.

Der Mann erhob sich und trat langsam ans Fenster. Seine Gestalt wurde in Gold getaucht.

»Das ist eine lange Geschichte«, begann er. »Als ich noch ein Kind war, lebte meine Familie im alten Distrikt Les Gobelins in Paris. Vielleicht kennen Sie die Gegend, ein Armeleuteviertel mit düsteren, ungesunden alten Häusern. Eine gespenstische graue Zitadelle mit engen, elenden Gassen. Zu jener Zeit war die Situation noch viel schlimmer, als Sie das in Erinnerung haben mögen– falls das überhaupt möglich ist. Wir hausten in einer winzigen Bleibe in einem alten Mietshaus in der Rue des Gobelins. Ein Teil der Fassade war abgestützt, weil sie einzustürzen drohte, doch keine der Familien, die dort wohnten, konnte es sich leisten, in eine bessere Gegend des Viertels zu ziehen. Wie wir dort alle zusammen wohnen konnten, meine drei Brüder und ich, meine Eltern und Onkel Luc, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Aber ich schweife ab…

Ich war ein einsamer Junge. Immer schon. Die meisten Jungen aus der Straße schienen sich für Dinge zu interessieren, die mich langweilten, die Dinge hingegen, die mich interessierten, lockten niemanden, den ich kannte, hinterm Ofen hervor. Ich hatte lesen gelernt– ein Wunder–, und meine Freunde waren überwiegend Bücher. Das wäre durchaus ein Grund zur Sorge für meine Mutter gewesen, hätte es nicht drängendere Probleme zu Hause gegeben. Meine Mutter glaubte immer, eine gute Kindheit bestehe darin, durch die Straßen zu stromern und sich durch Nachahmen das Verhalten und die Ansichten seiner Umgebung anzueignen.

Mein Vater wartete nur darauf, dass meine Brüder und ich alt genug waren, um zum Unterhalt der Familie beizutragen.

Andere Kinder hatten weniger Glück. In unserem Haus wohnte damals ein Junge in meinem Alter namens Jean Neville. Jean und seine Mutter, eine Witwe, hausten in einer winzigen Wohnung im Parterre, gleich neben dem Eingang. Der Vater des Jungen war Jahre zuvor an einer Nervenerkrankung gestorben, die er sich in der Fliesenfabrik zugezogen hatte, in der er sein Leben lang gearbeitet hatte. Eine häufige Sache, wie es scheint. Ich erfuhr das alles, weil ich der einzige Freund war, den der kleine Jean im Viertel hatte. Anne, seine Mutter, ließ ihn nicht aus dem Haus und dem Hinterhof. Sein Zuhause war ein Gefängnis.

Acht Jahre zuvor hatte Anne Neville im alten Hospital Saint Christian in Montparnasse Zwillinge zur Welt gebracht. Jean und Joseph. Joseph kam tot zur Welt. In den darauffolgenden acht Jahren seines Lebens lernte Jean, mit der finsteren Schuld aufzuwachsen, seinen Bruder bei der Geburt umgebracht zu haben. Zumindest glaubte er das. Anne erinnerte ihn an jedem Tag seines Lebens daran, dass sein Bruder durch seine Schuld leblos zur Welt gekommen sei; wäre er nicht gewesen, nähme nun ein wunderbarer Junge seinen Platz ein. Nichts, was er tat oder sagte, fand die Zustimmung seiner Mutter.

Nach außen hin ließ Anne Neville ihrem Sohn natürlich die übliche Zuwendung angedeihen. Doch die Wirklichkeit in der Einsamkeit der Wohnung sah anders aus. Anne machte Jean Tag für Tag Vorwürfe: Er sei ein Faulpelz. Ein Nichtsnutz. Seine Schulleistungen seien ein Trauerspiel. Seine Fähigkeiten mehr als fraglich. Seine Bewegungen tölpelhaft. Kurzum, sein Leben sei ein einziger Fluch. Sein Bruder Joseph hingegen wäre ein bewundernswerter, fleißiger, liebevoller Junge geworden… alles, was er niemals sein werde.

Der kleine Jean begriff bald, dass er es war, der vor acht Jahren in jenem dunklen Krankenhauszimmer hätte sterben sollen. Er nahm den Platz eines anderen ein… Sämtliche Spielsachen, die Anne über Jahre für ihr zukünftiges Kind beiseitegelegt hatte, landeten in der Woche, nachdem sie aus dem Krankenhaus kam, im Herdfeuer. Jean hat niemals Spielzeug besessen. Es war ihm verboten. Er hatte keines verdient.

Eines Nachts, als der Junge schreiend aus dem Schlaf hochfuhr, kam seine Mutter zu ihm ans Bett und fragte ihn, was los sei. Verängstigt erzählte Jean, er habe geträumt, ein Schatten, ein böser Geist verfolge ihn durch einen endlosen Tunnel. Annes Antwort war unmissverständlich. Dieser Traum sei ein Zeichen. Der Schatten, von dem er geträumt habe, sei der Geist seines toten Bruders, der nach Rache schreie. Er müsse sich ein weiteres Mal bemühen, ein besserer Sohn zu sein, seiner Mutter in allem zu gehorchen, keines ihrer Worte und keine ihrer Taten in Frage zu stellen. Sonst werde der Schatten zum Leben erwachen und kommen, um ihn in die Hölle zu schleppen. Mit diesen Worten packte Anne ihren Sohn und brachte ihn in den Keller des Hauses, wo sie ihn zwölf Stunden im Dunkeln allein ließ, damit er über das nachdenken konnte, was sie ihm gesagt hatte. Das war das erste Mal, dass er eingesperrt wurde.

Als der kleine Jean mir das alles eines Nachmittags, ein Jahr später, erzählte, war ich entsetzt. Ich wollte dem Jungen helfen, ihn trösten und irgendwie das Elend ausgleichen, in dem er lebte. Das Einzige, was mir einfiel, war, die Münzen zusammenzukratzen, die ich über Monate in meiner Sparbüchse verwahrt hatte, und in Monsieur Giradots Spielwarengeschäft zu gehen. Meine Ersparnisse reichten nicht weit, und ich bekam nur eine alte Marionette, einen Engel aus Pappmaché, den man mit Schnüren bewegen konnte. Ich wickelte ihn in Glanzpapier und wartete am nächsten Tag, bis Anne Neville zum Einkaufen gegangen war. Dann klopfte ich an der Wohnungstür und sagte, dass ich es sei, Lazarus. Jean öffnete, und ich gab ihm das Päckchen. Es sei ein Geschenk, sagte ich, und ging.

Drei Wochen sah ich ihn nicht. Ich ging davon aus, dass Jean sich an meinem Geschenk erfreute, wenn ich schon nichts mehr von meinen Ersparnissen hatte. Später erfuhr ich, dass der Engel aus Stoffresten und Pappmaché nur einen Tag überlebte. Anne fand ihn und verbrannte ihn. Auf ihre Frage, woher er ihn habe, antwortete Jean, der mich nicht in die Sache hineinziehen wollte, er habe ihn selbst gebastelt.

Und eines Tages fiel die Strafe noch viel grausamer aus. Anne zerrte ihren Sohn völlig außer sich in den Keller, sperrte ihn ein und drohte ihm, diesmal werde ihn der Schatten im Dunkeln holen kommen und für immer mitnehmen.

Jean Neville verbrachte eine ganze Woche dort unten. Seine Mutter war derweil in einen Streit auf dem Markt in Les Halles verwickelt und wurde zusammen mit mehreren anderen von der Polizei in eine Gemeinschaftszelle gesperrt. Nach ihrer Entlassung irrte sie tagelang durch die Straßen.

Bei ihrer Rückkehr fand sie die Wohnung verlassen und die Kellertür verriegelt vor. Nachbarn halfen ihr, sie aufzubrechen. Der Keller war leer. Von Jean keine Spur.«

Lazarus machte eine Pause. Simone wartete schweigend darauf, dass er den Ausgang der Geschichte erzählte.

»Jean wurde nie wieder im Viertel gesehen. Die meisten, die die Geschichte kannten, gingen davon aus, dass der Junge durch ein Kellerloch geflohen war, so weit weg von seiner Mutter wie möglich. Ich vermute, genauso war es auch. Wenn Sie allerdings seine Mutter gefragt hätten, die den Verlust des Jungen wochen- und monatelang untröstlich beweinte, dann hätte sie mit Sicherheit behauptet, der Schatten habe ihn mitgenommen… Ich sagte Ihnen vorhin, ich sei wahrscheinlich der einzige Freund von Jean Neville gewesen. Ehrlich gesagt war es wohl eher umgekehrt. Er war mein einziger Freund. Jahre später schwor ich mir, alles in meiner Macht Stehende zu tun, damit nie wieder ein Kind ohne Spielzeug sein müsse. Kein Kind sollte noch einmal den Alptraum durchleben, der die Kindheit meines Freundes Jean überschattet hatte. Noch heute frage ich mich, wo er wohl sein mag, falls er noch lebt. Vermutlich finden Sie meine Erklärung ein wenig sonderbar…«

»Ganz und gar nicht«, antwortete sie, das Gesicht in der Dunkelheit verborgen.

Dann beugte sich Simone ins Licht und schenkte Lazarus ein strahlendes Lächeln.

»Es ist spät geworden«, sagte der Spielzeugfabrikant leise. »Ich muss zu meiner Frau.«

Simone nickte.

»Danke für Ihre Gesellschaft, Madame Sauvelle«, sagte Lazarus und verließ dann schweigend den Raum.

Sie sah ihm hinterher und seufzte tief. Die Einsamkeit erschuf seltsame Labyrinthe.


Die Sonne ging über der Bucht unter, und die Linse des Leuchtturms warf bernsteingelbe und scharlachrote Lichtblitze auf das Meer. Der Wind war aufgefrischt, und der Himmel nahm ein helles Blau an, durchzogen von einigen Wolken, die wie Zeppeline aus weißer Watte dahinschwebten. Irene saß schweigend da, leicht gegen Ismaels Schulter gelehnt.

Der Junge legte langsam den Arm um sie. Sie sah zu ihm auf. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und bebten kaum merklich. Ismael spürte ein Kribbeln im Bauch und hörte ein seltsames Klopfen in seinen Ohren. Es war sein eigenes Herz, das wie verrückt hämmerte. Vorsichtig näherten sich ihre Lippen einander. Irene schloss die Augen. Jetzt oder nie, schien eine innere Stimme Ismael zuzuflüstern. Der Junge entschied sich für das »Jetzt« und berührte Irenes Lippen mit den seinen. Die nächsten zehn Sekunden dauerten zehn Jahre.

Später, als beide das Gefühl hatten, dass es keine Grenze mehr zwischen ihnen gab, dass jeder Blick, jede Geste ein Wort in einer Sprache war, die nur sie verstanden, saßen sie schweigend und eng umschlungen dort oben auf dem Leuchtturm. Wäre es nach ihnen gegangen, sie hätten noch am Jüngsten Tag so dagesessen.


»Wo wärst du gerne in zehn Jahren?«, fragte Irene plötzlich.

Ismael dachte über eine Antwort nach. Gar nicht so einfach.

»Was für eine Frage. Ich weiß es nicht.«

»Was würdest du gerne machen? In die Fußstapfen deines Onkels treten?«

»Ich glaube, das wäre keine gute Idee.«

»Was dann?«, beharrte sie.

»Ich weiß nicht. Es ist vermutlich eine Spinnerei…«

»Was ist eine Spinnerei?«

Ismael hüllte sich in ein langes Schweigen. Irene wartete geduldig.

»Hörspiele fürs Radio. Ich würde gerne Hörspiele fürs Radio schreiben«, erklärte er schließlich.

Jetzt war es heraus.

Irene lächelte ihm zu. Wieder dieses unbestimmbare, geheimnisvolle Lächeln.

»Was für Hörspiele?«

Ismael sah sie aufmerksam an. Er hatte noch nie mit jemandem über dieses Thema gesprochen und fühlte sich nicht auf sicherem Terrain. Vielleicht war es besser, die Segel zu streichen und zurückzurudern.

»Spukgeschichten«, antwortete er schließlich zögernd.

»Ich dachte, du glaubst nicht an Geister.«

»Man muss nicht an Geister glauben, um über sie zu schreiben«, entgegnete Ismael. »Ich sammle schon seit geraumer Zeit Artikel über einen Typen, der Hörspiele macht. Er heißt Orson Welles. Vielleicht könnte ich versuchen, mit ihm zusammenzuarbeiten…«

»Orson Welles? Ich habe noch nie von ihm gehört, aber vermutlich kommt man nicht so leicht an ihn heran. Hast du schon eine Idee?«

Ismael nickte vage.

»Du musst mir versprechen, keinem davon zu erzählen.«

Das Mädchen hob feierlich die Hand. Sie fand Ismaels Gebaren ein wenig kindisch, aber die Sache machte sie neugierig.

»Komm mit.«

Ismael führte sie wieder in die Wohnung des Leuchtturmwärters. Dort ging er zu einer Truhe, die in einer Ecke stand, und öffnete sie. Seine Augen leuchteten vor Aufregung.

»Als ich zum ersten Mal hierherkam, bin ich getaucht und habe das Wrack des Bootes gefunden, in dem vermutlich vor zwanzig Jahren diese Frau ertrunken ist«, sagte er in geheimnisvollem Ton. »Du erinnerst dich an die Geschichte, die ich dir erzählt habe?«

»Die Septemberlichter. Die mysteriöse Dame, die im Sturm verschwunden ist…«, erklärte Irene.

»Genau. Rate mal, was ich in dem Wrack gefunden habe.«

»Was?«

Ismael griff in die Truhe und holte ein kleines, ledergebundenes Buch hervor, das in einer Art Metallhülse steckte, kaum größer als eine Zigarettenschachtel.

»Das Wasser hat einige Seiten zerstört, aber einige Passagen sind noch lesbar.«

»Ein Buch?«, fragte Irene neugierig.

»Es ist nicht irgendein Buch«, erklärte er. »Es ist ein Tagebuch. Ihr Tagebuch.«


Kurz vor Sonnenuntergang nahm die Kyaneos wieder Kurs auf das Haus am Kap. Ein Sternenmeer funkelte auf dem blauen Tuch, das die Bucht überspannte, und die Sonne versank blutrot am Horizont wie eine Scheibe aus glühendem Eisen. Irene beobachtete schweigend, wie Ismael das Segelboot steuerte. Der Junge lächelte ihr zu, dann richtete er den Blick wieder auf die Segel, um genau auf die Richtung des Windes zu achten, der von Westen aufkam.

Vor ihm hatte Irene zwei Jungen geküsst. Das erste Mal mit dem Bruder einer Schulfreundin war vor allem ein Experiment gewesen. Sie hatte wissen wollen, was man dabei empfand. Es war keine große Sache gewesen. Der Zweite, Gerard, hatte mehr Angst gehabt als sie, und das Erlebnis hatte ihre Zweifel hinsichtlich des Themas nicht zerstreut. Ismael zu küssen war anders gewesen. Als sich ihre Lippen berührten, war eine Art Stromstoß durch ihren Körper gefahren. Er fühlte sich anders an. Er roch anders. Alles an ihm war anders.

»Woran denkst du?« Diesmal war es Ismael, den ihre abwesende Miene neugierig machte.

Irene zog geheimnisvoll die Augenbraue hoch.

Er zuckte mit den Schultern und hielt weiter auf das Kap zu. Ein Vogelschwarm begleitete sie bis zum Anleger zwischen den Klippen. Die Lichter des Hauses ließen helle Reflexe auf der kleinen Bucht tanzen. Weiter weg glitzerten die Lichter des Dorfes auf dem Wasser wie eine funkelnde Kette aus Sternen.

»Es ist schon dunkel«, stellte Irene ein wenig besorgt fest. »Dir wird doch nichts passieren, oder?«

Ismael lächelte.

»Die Kyaneos findet den Weg von alleine. Mir passiert nichts.«

Das Segelboot schmiegte sich sanft an den Anleger. Das Krächzen der Vögel auf den Klippen bildete ein fernes Echo. Ein dunkelblauer Streifen legte sich nun über die flammend rote Linie des Sonnenuntergangs am Horizont, und der Mond spitzte zwischen den Wolken hervor.

»Also dann… Es ist schon spät«, setzte Irene an.

»Ja…«

Das Mädchen sprang an Land.

»Ich nehme das Tagebuch mit. Ich passe gut darauf auf, versprochen.«

Ismael nickte. Irene rutschte ein kleines, nervöses Lachen heraus.

»Gute Nacht.«

Die beiden sahen sich im Dämmerlicht an.

»Gute Nacht, Irene.«

Ismael machte die Leinen los.

»Ich habe überlegt, morgen zur Lagune zu fahren. Vielleicht willst du ja mitkommen…«

Sie nickte. Die Strömung trug das Boot davon.

»Ich komme dich hier abholen…«

Die Kyaneos verschwand in der Dunkelheit. Irene blieb stehen und sah ihr hinterher, bis die schwarze Nacht die Jolle vollständig verschluckt hatte. Dann schwebte sie zwei Handbreit über dem Boden zum Haus am Kap hinauf. Ihre Mutter saß wartend auf der dunklen Veranda. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass Simone die ganze Szene am Anleger verfolgt hatte.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie.

Irene schluckte. Ihre Mutter lächelte verschmitzt.

»Du kannst es mir ruhig erzählen.«

Irene setzte sich neben ihre Mutter und ließ sich von ihr in den Arm nehmen.

»Und du?«, fragte das Mädchen zurück. »Was hast du so gemacht?«

Simone entfuhr ein Seufzer, als sie an den Nachmittag mit Lazarus dachte.

Schweigend umarmte sie ihre Tochter und lächelte vor sich hin.

»Es war ein merkwürdiger Tag, Irene. Ich glaube, ich werde alt.«

»So ein Unsinn.«

Sie sah ihrer Mutter in die Augen.

»Ist etwas nicht in Ordnung, Mama?«

Simone lächelte schwach und schüttelte stumm den Kopf.

»Ich vermisse deinen Vater«, antwortete sie schließlich, während ihr eine Träne die Wange hinablief.

»Papa ist fort«, sagte Irene. »Du musst ihn gehen lassen.«

»Ich weiß nicht, ob ich ihn gehen lassen will.«

Irene nahm sie in die Arme und hörte, wie Simone in der Dunkelheit ihre Tränen vergoss.

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