Vorwort

Der skeptische Verstand ist eins der wunderbarsten Dinge in dieser Welt.

Er wurde von den Religionen immer verdammt, weil sie nicht fähig waren, seine kritischen Fragen zu beantworten; sie wünschten sich nur Gläubige. Und der skeptische Verstand ist das genaue Gegenteil eines Gläubigen.

Ich bin absolut für den skeptischen Verstand. Glaubt nichts, wenn ihr es nicht selbst erfahren habt. Glaubt nichts – sucht und fragt immer weiter, solange es auch dauert.

Die Wahrheit ist nicht billig. Dem Gläubigen steht sie nicht zur Verfügung; nur für den Skeptiker ist sie verfügbar.

Und denkt daran: Seid nicht nur mit halbem Herzen Skeptiker.

Seid vollkommene Skeptiker. Wenn ich sage, seid vollkommene Skeptiker, meine ich damit, dass ihr eure eigenen skeptischen Vorstellungen ebenso einer Prüfung unterziehen sollt wie die Glaubensvorstellungen der anderen. Vollkommener Skeptizismus führt sich selbst ad absurdum, denn er hinterfragt sich selbst ebenfalls. Man kann seinen Skeptizismus nicht einfach ohne Zweifel hinnehmen, denn das wäre der Standpunkt eines Gläubigen.

Wenn du an dem Skeptiker in dir zweifeln kannst, ist der Mystiker nicht mehr weit entfernt.

Was ist ein Mystiker? – Jemand, der keine Antworten weiß, jemand, der alle nur möglichen Fragen gestellt hat und herausgefunden hat, dass sich keine dieser Fragen beantworten lässt. Nachdem er das festgestellt hat, hat er das Fragen aufgegeben.

Nicht dass er die Antwort gefunden hätte – er hat einfach nur festgestellt, dass es keine Antworten gibt.

Das Leben ist ein Mysterium, keine Frage. Es ist kein Rätsel, das es zu lösen gilt, keine Frage, die es zu beantworten gilt, sondern ein Mysterium, das es zu leben gilt, das es zu lieben gilt, das es zu tanzen gilt.

Ein vollkommen skeptischer Verstand muss irgendwann zu einem Mystiker werden; daher sind meine Türen für alle offen. Ich akzeptiere den Skeptiker, denn ich weiß, wie ich einen Mystiker aus ihm machen kann. Ich lade den Theisten ein, weil ich weiß, wie ich seinen Theismus zerstören kann. Ich lade den Atheisten ein, weil ich weiß, wie ich ihm seinen Atheismus nehmen kann. Meine Türen halten niemanden ab, weil ich euch keinen Glauben gebe. Ich gebe euch nur eine Methode, eine Meditation, damit ihr für euch selbst herausfinden könnt, was die Wahrheit ist.

Ich habe festgestellt, dass es keine Antworten gibt. Alle Fragen sind sinnlos, und alle Antworten sind noch sinnloser. Dumme Menschen haben Fragen gestellt, und aus diesen Fragen sind großartige Philosophien entstanden. Die Schlauen und die Scharfsinnigen haben diese Philosophien entwickelt. Doch wenn ihr im Einklang mit der Wirklichkeit sein wollt, dürft ihr weder dumm noch schlau sein. Ihr müsst unschuldig sein.

Mit was immer ihr also ankommt – Skeptizismus, Atheismus, Theismus, Kommunismus, Faschismus, mit jeder möglichen Art von Unsinn könnt ihr hier ankommen –, meine Medizin ist immer dieselbe.

Es spielt keine Rolle, mit welcher Art von Unsinn euer Kopf gefüllt ist, wenn ihr hierher kommt. Ich schlage euch allen den Kopf ab, ohne Unterschied. Wer in eurem Kopf sitzt, spielt keine Rolle – mir geht es nur ums Abschlagen!

Ich bin einfach nur ein Holzfäller.

Kannst du etwas über Zweifel und Negativität sagen? Was ist der Unterschied?

Zwischen Zweifel und Negativität besteht ein großer Unterschied. Beides sieht gleich aus; an der Oberfläche haben beide dieselbe Farbe, doch tief darunter ist der Unterschied unüberbrückbar.

Erstens handelt es sich bei Zweifel nicht um Negativität; genauso wenig ist er Positivität. Zweifel bedeutet einen offenen Geist, ohne Vorurteile. Er bedeutet ein forschendes Herangehen.

Zweifel bedeutet, nichts zu sagen, sondern einfach nur eine Frage zu stellen. Der Sinn dieser Frage ist, zu erkennen und herauszufinden, was die Wahrheit ist.

Zweifel ist eine Pilgerschaft. Zweifel ist einer der heiligsten Werte des Menschen. Zweifel bedeutet kein Nein. Er sagt einfach:

»Ich weiß es nicht, und ich bin bereit, es zu wissen. Ich bin bereit, so weit wie möglich zu gehen, doch wie kann ich ja sagen, solange ich es nicht weiß?«

Negativität hat bereits nein gesagt. Sie ist keine Suche. Sie ist zu einer Schlussfolgerung gekommen, so wie jemand anderer zu der Schlussfolgerung gekommen ist, ja zu sagen. Der eine sagt, es gibt einen Gott; seine Aussage ist positiv. Der andere sagt, es gibt keinen Gott; seine Aussage ist negativ. Doch beide sitzen im selben Boot, sie unterscheiden sich nicht. Sie haben nicht wirklich geforscht. Weder der Theist noch der Atheist haben wirklich gezweifelt; beide haben geborgtes Wissen übernommen. Der Zweifel sagt: »Ich möchte gern wissen, doch solange ich es nicht selbst weiß, ist es kein Wissen. Nur meine eigene Erfahrung kann den Ausschlag geben.« Er ist nicht arrogant, er leugnet nichts. Er ist einfach nur bereit zu forschen.

Zweifel ist nicht dasselbe wie Unglauben – damit haben die Religionen die Menschen verwirrt. Sie haben Zweifel mit Unglauben verwechselt. Tatsächlich sind Glauben und Unglauben genau dasselbe. Beide übernehmen Wissen von anderen, aus Büchern, von Meistern. Und denkt daran, immer wenn ihr etwas nicht wisst, doch angefangen habt, an es zu glauben oder nicht an es zu glauben ... dann habt ihr eine große Chance vertan, zu forschen.

Ihr habt die Tür bereits verschlossen, durch ein Ja oder ein Nein. Ihr seid nicht gereist. Es ist leichter, ja zu sagen, es ist leichter, nein zu sage n, denn dafür muss man nichts tun. Um zu zweifeln, braucht es Mut.

Um zu zweifeln, braucht es den Mut, im Zustand des Nichtwissens zu bleiben und immer weiter alles in Frage zu stellen, bis zu dem Augenblick, in dem man selbst bei der Wirklichkeit angekommen ist. Wenn man bei der Wirklichkeit ankommt, gibt es keine Negativität und auch keine Positivität. Man weiß einfach – es ist eine eigene Erfahrung. Ich sage nicht, dass es sich um Positivität handelt, weil Positivität immer einen Gegenpol hat, die Negativität.

Die Erfahrung geht über beides hinaus; die Welt der Polaritäten wird dabei transzendiert. Das ist wahre Weisheit.

Zweifel ist der Weg zur Wahrheit. Ja oder Nein sind keine Wege zur Wahrheit; sie halten einen vielmehr davon ab. Es scheint vielleicht seltsam, wenn man sagt, dass ein Ja dasselbe bewirkt wie ein Nein. Im Wörterbuch sind sie Gegensätze, doch in Wirklichkeit sind sie das nicht. Sie sehen nur gegensätzlich aus. Doch beide haben keine Fragen gestellt. Beide haben nicht versucht herauszufinden, was wirklich wahr ist.

Der Kommunist ist genauso ein Gläubiger wie der Katholik. Der Kommunist glaubt, dass es keinen Gott gibt. Man kann das als Unglauben bezeichnen, doch es handelt sich dabei um einen Glauben. Er hat nicht nachgeforscht, er hat nicht meditiert; er hat nichts getan, um herauszufinden, ob es wirklich keinen Gott gibt.

Der Theist sagt, dass es einen Gott gibt. Auch er hat nichts dafür getan. Beide haben eine Entscheidung getroffen, ohne sich auch nur einen Zentimeter in Richtung Wahrheit zu bewegen. Das ist der Grund für ein sehr seltsames Phänomen: Ein Gläubiger, ein Theist, kann in einem einzigen Augenblick zu einem Ungläubigen, einem Atheisten werden, und umgekehrt.

Vor der Revolution war Russland eines der gläubigsten und religiösesten Länder der Welt. Millionen von Menschen in Russland hätten ihr Leben für Gott hingegeben. Nach der Revolution, nachdem die Herrschaft gewechselt hatte, nachdem die Priester gewechselt hatten, nachdem die Heilige Schrift durch das heilige Das Kapital ersetzt worden war, wurde das ganze Land innerhalb von nur zehn Jahren atheistisch.

Ist das nicht erstaunlich? Menschen, die ihr ganzes Leben lang an Gott geglaubt hatten, glaubten plötzlich nicht mehr.

Selbst die Kommunisten konnten nicht verstehen, wie das passiert war, dass dies dieselben Leute waren, die einmal für Gott gestorben wären – und nun waren sie bereit, für den Atheismus zu sterben?

Niemand hat diese Situation bisher wirklich analysiert, das, was dabei geschah. Hier ist die Analyse: Negativität und Positivität sind beides Glaubenssysteme.

Der Zweifel richtet sich gegen beides. Zweifel bedeute , dass der Einzelne darauf besteht, dass er selbst die Wahrheit kosten möchte, dass er selbst die Wahrheit erfahren möchte. Er ist nicht bereit, sie von jemand anderem zu übernehmen, so oder so.

Es gibt nur sehr, sehr wenige Menschen, die zweifeln. Doch lasst mich euch sagen: Selig sind jene, die zweifeln, denn sie werden die Wahrheit erlangen. Es ist anstrengend, zu zweifeln, es ist riskant, es ist gefährlich. Man begibt sich ins Unbekannte, ohne Vorbereitung, ohne vorgefasste Urteile. Man betritt ein dunkles Loch und weiß nicht einmal, ob es ein Ende des Tunnels geben wird, ob man jemals wieder aus dem Dunkel heraustreten wird. Es gibt keinen Glauben; man nimmt einfach nur die Herausforderung an. Es gibt nur eine Suche, eine Frage. Man selbst wird zu einer Frage.


Es ist sehr tröstlich, eine Antwort zu haben, und wenn sie kostenlos verfügbar ist, wie es der Fall ist ... Jesus sagt: »Glaubt an mich, und ihr braucht euch nicht zu sorgen: Ich werde für euch sorgen. Ich werde euch am Tag des Jüngsten Gerichts erwählen. Ich werde euch Gott anempfehlen: >Dies sind meine Anhänger – sie sollten ins Paradies eingelassen werden.< Alles, was ihr tun müsst, ist, an mich zu glauben.« Eine echte Abkürzung – einfach nur glauben. Das ist der Grund, warum Tausende von Menschen in der ganzen Welt immer geglaubt haben und Tausende anderer nicht geglaubt haben. Sie berufen sich auf Unterschiedliches, doch ihre grundsätzliche Herangehensweise ist dieselbe.

In Indien gibt es eine uralte Philosophie namens Charvaka.

Diese Philosophie besagt, dass es keinen Gott gibt, keine Hölle, keine Bestrafung für die schlechten Taten und keine Belohnung für die guten Taten. Tausende haben dar an geglaubt. Sie ist negativ, vollkommen negativ, doch sehr praktisch. Man kann stehlen, man kann morden, man kann alles tun, was man möchte; nach dem Tod bleibt nichts übrig. Der Westen ist in vieler Hinsicht dem Osten hinterhergehinkt, vor allem im Hinblick auf Religion, Philosophie und Kultur. Charvaka ist eine 5000 Jahre alte Ideologie; Karl Marx sagte erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts, dass es keinen Gott gebe. Er wusste nichts von Charvaka, er dachte, er hätte eine große Entdeckung gemacht. Seit 5000 Jahren hat Charvaka genau dasselbe gesagt; doch sie haben es nicht erforscht.

Der Mann, der die Philosophie entwickelte, hieß Brihaspati – er muss ein Mann mit einer charismatischen Persönlichkeit gewesen sein. Er überzeugte die Menschen davon, dass man alles tun kann, was man möchte, weil der Dieb, der Mörder und der Heilige alle gleichermaßen sterben: Staub zu Staub. Und nach dem Tod bleibt nichts übrig; der Heilige verschwindet ebenso wie der Sünder.

Sorgt euch also nicht um ein Leben nach dem Tod, denn das gibt es nicht. Das ist kein Erforschen, denn die Charvaka -Anhänger und ihr Meister Brihaspati sind niemals über den Tod hinausgegangen.

Nach ihrer Philosophie wären sie nicht zurückgekommen, wenn sie das getan hätten. Auf welcher Basis können sie also behaupten, dass es nach dem Tod nichts gibt? Niemand hat das Land der Toten jemals betreten. Doch es ist leicht, einfach etwas zu glauben.

Es lohnt sich, eine berühmte Aussage von Brihaspati zu zitieren.

Brihaspati sagte: Rinam kritva ghritam pivet – »Selbst wenn du dir Geld dafür borgen musst, trinke so viel Ghee wie möglich.« Denn nach dem Tod wird keiner dir Fragen stellen, wird keiner dich bestrafen. Der Mensch, der dir das Geld geliehen hat, kann dich nicht vor das Gericht Gottes zerren, denn das gibt es nicht. Seine ganze Philosophie ist sehr einfach: »Esst, trinkt und seid fröhlich.«

Ihr könnt daran glauben – und die Theisten werden das dann als Unglauben bezeichnen.

Dasselbe hat Karl Marx für die Kommunisten getan. Er sagte, dass es keine Seele gebe, kein Bewusstsein; dass es sich dabei nur um ein Nebenprodukt der Materie handle. Wenn der Körper zerfällt, bleibt nichts übrig. Das wurde zu einer sehr gefährlichen Einstellung, denn die Kommunisten konnten andere Menschen töten, ohne auch nur einmal darüber nachzudenken. Sie glaubten, dass man keine Sünde damit begeht, wenn man andere tötet. Es gibt keine Seele in einem Körper; es gibt nichts Inneres. Der Mensch besteht nur aus Chemie, Biologie, Physiologie – und es gibt keine Seele. Josef Stalin konnte nach der Revolution fast eine Million Menschen töten lassen, ohne auch nur den geringsten Zweifel an dem zu verspüren, was er da tat.

In der Sowjetunion wurde der Mensch auf einen Mechanismus reduziert. Man kann ihn töten, ohne dass dabei etwas getötet wird, weil von Anfang an nichts da war. Der Mensch ist nur eine funktionierende Uhr. Sie bewegt sich, sie zeigt die Zeit an, doch das bedeutet nicht, dass sich jemand in ihr befindet. Man kann die Uhr auseinander nehmen und wird nichts darin finden. Das ist es, was Karl Marx den Kommunisten predigte: dass der Mensch nur eine Uhr sei. Und schon bald glaubte fast die halbe Welt an Karl Marx.

Seltsam — dieselben Leute hatten vorher an Gott geglaubt. Russen, Chinesen, Inder, Mohammedaner — alle möglichen Leute wechselten vom Ja zum Nein. Aus einem Ja ein Nein zu machen ist so einfach, weil zwischen beiden kein wirklicher Unterschied besteht. Im Grunde vermitteln beide Trost, ohne dass man die schwierige Reise zur Wahrheit unternehmen muss.

Ich habe viele Kommunisten gefragt, alte Kommunisten ... In Indien gab es zum Beispiel S. A. Dange, der zusammen mit Lenin, Trotzki und Stalin Mitglied der Kommunistischen Internationale gewesen war. Er war ein Augenzeuge der russischen Revolution gewesen. Ich fragte ihn: »Hast du jemals meditiert?«


Er antwortete: »Meditiert — wozu? Warum sollte ich meditieren? «

Ich erwiderte: »Wenn du niemals meditiert hast, dann kannst du auch nicht behaupten, dass es keine Seele gibt, keinen Gott, kein Bewusstsein. Wenn du niemals in dein Inneres gegangen bist, wie kannst du dann behaupten, dass dort niemand ist? Und sieh dir doch nur die Absurdität des Ganzen an: Wer sagt, dass dort niemand ist?

Um es zu leugnen, musst du doch erst einmal annehmen, dass es jemanden gibt. Allein um zu sagen, dass dort niemand sei, musst du jemanden annehmen.«

Dasselbe gilt auch für die Religionen.

Niemand ist jemals Gott begegnet — kein Christ, kein Hindu, kein Mohammedaner —, doch sie alle sagen ja, weil die Gemeinschaft, in die sie geboren wurden, eine Gemeinschaft von Theisten ist. Würden sie innerhalb dieser Gemeinschaft nein sagen, würden sie in Schwierigkeiten geraten. Ja ist einfach die allgemein akzeptierte Spielregel. Sie beten also zu einem Gott, und sie wissen nicht, warum sie es tun. Doch alle anderen tun es auch, also muss es richtig sein.

Wenn sich die Gruppe verändert – so wie in Russland –, dann werden dieselben Leute, die sich in Bezug auf Gott so sicher waren, plötzlich unsicher. Es brauchte zehn Jahre, bis sie von einer Sicherheit zur nächsten gewechselt hatten ... ein Intervall der Unsicherheit, doch Unsicherheit ist nicht Zweifel.

Zweifel ist einfach eine Frage, und der Zweifel sagt: »Ich möchte wissen.« Zweifel kennt keine Ideologie. Zweifel ist vollkommen reines Suchen.

Du hast gefragt: »Was ist der Unterschied zwischen Zweifel und Negativität? «

Negativität und Positivität sind im Grunde dasselbe. Zweifel unterscheidet sich von beiden. Er macht dich nicht zum Theisten, und er macht dich nicht zum Atheisten. Positivität macht dich zu einem religiös Gläubigen, zu einem Theisten; Negativität macht dich zu einem Ungläubigen, zu einem Atheisten, religionslos.

Zweifel macht dich zu gar nichts. Er macht dich einfach zu einem Suchenden. Und darin besteht die Würde des Menschen.

Ich lehre euch Zweifel, denn ich weiß, wenn ihr bis zum Ende zweifeln könnt, dann werdet ihr die Wahrheit eures eigenen Seins erkennen und damit gleichzeitig die Wahrheit der gesamten Existenz. Und das bedeutet Befreiung, das bedeutet Freiheit.

Zweifel ist weder christlich noch hinduistisch, weder amerikanisch noch deutsch. Ein Ja kann hinduistisch oder mohammedanisch oder christlich sein; ein Nein kann kommunistisch oder faschistisch sein – doch Zweifel ist einfach nur eine Suche, eine individuelle Suche.

Ja und Nein gehören beide zur Masse. Erst der Zweifel sorgt dafür, dass du deine Individualität findest. Du beginnst, deinen eigenen Weg zu finden. Du übernimmst nicht mehr die Landkarten der anderen.

Glauben ist billig, und nicht zu glauben ist ebenfalls billig. Doch die Reise zum Wissen ist wahrhaft gefährlich. Ich möchte, dass ihr weder negativ noch positiv seid, sondern offen, mit einer Frage, mit einem Fragezeichen und immer auf der Suche. Viele Male wird euer Verstand sagen, es sei besser zu glauben — denn die Reise ist anstrengend, und man weiß niemals, wohin sie führt, ob man etwas finden wird oder nicht. Doch hört nicht auf euren Verstand. Der Verstand hat all diese » Ja «und »Nein«-Philosophien erschaffen.

Der Zweifel hat niemals eine Philosophie erschaffen; der Zweifel hat die Wissenschaft erschaffen. Und der Zweifel wird die wahre Religion erschaffen. Beides ist im Grunde dasselbe — die Anwendung des Zweifels, nur auf unterschiedlichen Gebieten. Der Zweifel hat uns innerhalb von nur 300 Jahren enorme Erkenntnisse über die Dinge geschenkt, über die äußere Welt, die sich bis zu Millionen von Sternen erstreckt. Auch in euch selbst befindet sich solch eine Welt, die in keinster Weise kleiner ist als die äußere Welt; vielleicht ist sie sogar noch größer. Warum sage ich, dass sie vielleicht noch größer ist? Ich nehme das Wort »vielleicht« mit dazu, damit ihr es nicht einfach nur glaubt. Ich weiß, dass sie größer ist, aus dem einfachen Grund, weil ihr um die Sterne wisst, um die Sonne, um den Mond — doch der Mond weiß nicht um euch, die Sonne weiß nicht um euch. Die Sterne sind riesig, das Universum ist riesig, doch ihr seid die einzigen Wissenden. Ihr besitzt mehr als das ganze Universum. Das ist der Grund, warum ich sage, dass ihr in eurem Inneren etwas besitzt, was größer ist als das Universum, mehr als das Universum. Forscht danach.

Einer der großartigsten Männer des 20. Jahrhunderts war Maharishi Raman. Er war ein einfacher Mann, ungebildet, doch er akzeptierte die Ideologie und die Religion nicht, in die er geboren worden war. Als er erst siebzehn Jahre alt war, verließ er seine Heimat auf der Suche nach der Wahrheit. Er meditierte viele Jahre lang in den Hügeln von Arunachal im Süden Indiens und er kannte sich schließlich selbst. Danach bestand seine ganze Lehre aus nur drei Worten, denn diese drei Worte hatten ihm das gesamte Mysterium der Existenz enthüllt. Seine Philosophie ist die kürzeste und bündigste. Wie lauten diese drei Worte? Allen, die zu ihm kamen — denn als er bekannt wurde, kamen Menschen aus der ganzen Welt zu ihm —, gab er die einzige Anweisung, still zu sitzen und sich nur eine einzige Frage zu stellen: »Wer bin ich?«, und immer weiter diese Frage zu stellen.

Eines Tages wird die Frage verschwinden, und nur du wirst noch übrig sein. Das ist die Antwort.

Nicht, dass man irgendwo eine Antwort finden würde; man findet sich selbst. Man gräbt einfach immer tiefer mit dieser Frage — diese Frage ist wie ein Graben — doch seht ihr, worum es sich bei dieser Frage handelt? Sie ist ein Zweifel: »Wer bin ich?« Sie glaubt nicht dem Spiritualisten, der sagt, dass du eine Seele bist. Sie glaubt nicht dem Materialisten, der behauptet, dass da niemand sei, also verschwende nicht deine Zeit, iss, trink und sei fröhlich. Sie zweifelt. Diese drei Worte enden mit einem Fragezeichen: »Wer bin ich?«

Und das ist genug. Wenn du geduldig damit weitermachen kannst, wird die Frage eines Tages plötzlich verschwinden, und was übrig bleibt, ist deine Realität. Das ist die Antwort. Und in dem Augenblick, in dem du dich selbst erkennst, hast du alles erkannt, was es wert ist, erkannt zu werden.

Bist du sowohl gegen Gott als auch gegen Jesus?

Ich bin nicht gegen Gott.

Ich habe überall nach ihm gesucht und geforscht, und dabei habe ich festgestellt: Er ist nirgendwo zu finden. Ich habe nach innen geschaut, ich habe nach außen geschaut, ich habe alles nur Mögliche versucht. Es gibt keinen Gott. Das ist die einfache Feststellung einer Tatsache, ohne Zorn, ohne Feindseligkeit. Was kann ich denn machen, wenn er nicht existiert? Es ist nicht mein Fehler.

Doch der menschliche Verstand nimmt gern eine extreme Position ein. Es lohnt sich, das zu verstehen.


Warum nimmt der menschliche Verstand gern eine extreme Position ein? Man muss entweder ein Theist sein oder ein Atheist; man muss entweder dafür sein oder dagegen. Der Verstand erlaubt keine dritte Alternative. Der Grund dafür ist einfach: Die dritte Alternative wäre der Tod des Verstandes. Der Verstand lebt von den Extremen; sie sind seine Nahrung.

Genau in der Mitte, dort, wo die beiden Polaritäten sich auflösen und die Gegensätze sich begegnen, hört der Verstand auf zu funktionieren. Der Verstand kann sich nicht vorstellen, wie Gegensätze sich begegnen können, wie Polaritäten eins sein können. Doch tatsächlich begegnen sie sich, tatsächlich sind sie eins. Habt ihr jemals Leben und Tod getrennt gesehen? Es ist euer Verstand, der sie in Kategorien einteilt und verschiedene Worte verwendet. Doch seht euch die Existenz an — da gibt es nur Leben, das sich in Tod verwandelt, und Tod, der sich in Leben verwandelt.

Es gibt keine Trennung, beide sind Teil eines einzigen Ganzen.

Es ist der Verstand, der die Vorstellung von schön und hässlich hervorgebracht hat. Doch im Leben ... glaubst du, dass noch irgendetwas schön wäre und irgendetwas hässlich wäre, wenn jeder menschliche Verstand für einen Augenblick von der Erde verschwinden würde? Wäre die Rose immer noch schön? Nein, denn wenn der Verstand nicht mehr da ist, gibt es niemanden mehr, der urteilen könnte, und schön und hässlich sind mentale Urteile.

Die Rose ist noch da, ebenso wie die Dornen, doch es gibt keine Bewertung mehr, weil der Bewerter nicht mehr da ist. Beides steht dann ohne irgendeine Rangfolge nebeneinander. Die Rose steht nicht mehr höher als die Dornen. Die Ringelblume ist keine armselige Blume mehr, und die Rose ist nicht mehr prächtig; beide stehen auf derselben Ebene.

Jede Rangfolge wird durch den Verstand hervorgebracht: niedrig, hoch, dafür, dagegen.

Stell dir nun noch etwas anderes vor: Lass den Verstand da sein, doch lass einen Augenblick lang jedes Urteil los – das ist schon etwas schwieriger. Du kannst dir einen Zustand vorstellen, in dem jeder Verstand verschwunden ist, und sicher kannst du erkennen, dass dann nichts mehr hässlich oder schön ist. Die Dinge sind dann einfach da als das, was sie sind, ohne Vergleich, ohne Urteil, ohne Bewertung.


Jetzt versuch das andere, was etwas schwieriger ist. Lass den Verstand da sein – so dass der Verstand der Menschen vorhanden ist, aber ohne dass jemand urteilt – eine Stunde lang keine Urteile.

Kann dann etwas schön oder hässlich sein? Kann etwas moralisch oder unmoralisch sein? Kann es einen Sünder und einen Heiligen geben? Diese eine Stunde lang werden all diese Kategorien verschwinden, und zum ersten Mal werdet ihr wirklich in Kontakt sein mit der Realität, wie sie ist, und nicht wie sie von euch projiziert wird, wie sie von eurem Verstand erschaffen wird. Der Verstand erschafft ständig Realität; wer wäre ansonsten ein Heiliger und wer ein Sünder?

Der menschliche Verstand ist für jedes Extrem zu haben, denn die Extreme sind sein Lebenselixier. Doch wenn sich zwei Extreme treffen, löschen sie sich gegenseitig aus und hinterlassen ein Vakuum. Das ist die Bedeutung des mittleren Wegs: Lass die Extreme an einen Punkt kommen, an dem sie sich gegenseitig auslöschen, und plötzlich bist du weder Atheist noch Theist. Die ganze Frage wird irrelevant. Doch der Verstand ist nicht bereit loszulassen – weder in der Religion noch in der Philosophie, noch in der Wissenschaft. Kürzlich sah ich einen Dokumentarfilm über die Geschichte der Mathematik. Die gesamte Geschichte der Mathematik lässt sich als Problem des menschlichen Verstandes begreifen. Zweitausend Jahre lang oder noch etwas länger im Westen und fünftausend bis zehntausend Jahre lang im Osten haben Mathematiker versucht, die ultimative Wissenschaft zu finden.

Eines ist in ihren Augen sicher, nämlich, dass nur die Mathematik die ultimative Wissenschaft sein kann, aus dem einfachen Grund, weil es keine mathematischen Dinge in dieser Welt gibt. Es handelt sich um eine reine Wissenschaft. Es gibt keine mathematischen Objekte: kein en mathematischen Stuhl und kein mathematisches Haus. Die Mathematik ist nur ein rein begriffliches Spiel. Sie besteht aus nichts als Ideen und Vorstellungen. Und weil Vorstellungen Eigenschaften eures Verstandes sind, könnt ihr sie zu vollkommener Reinheit veredeln. Also wurde allgemein angenommen, dass die Mathematik zur reinstmöglichen Wissenschaft werden kann. Doch es gab Probleme dabei. Den Mathematikern war nicht bewusst, dass der Verstand selbst das Problem ist, und dann versucht der Verstand, eine Wissenschaft ohne Probleme, ohne Widersprüche, ohne Paradoxa zu erschaffen.


Ihr könnt dieses Spiel spielen. Ihr könnt ein großes Gebäude errichten , doch wenn ihr euch die Grundlage anschaut, werdet ihr erkennen, dass das letztendliche Problem im Grunde ungelöst bleibt. Nehmt zum Beispiel die euklidische Geometrie ... es war mir immer unmöglich, mich tiefer damit zu beschäftigen, aus dem einfachen Grund, weil ich den grundlegenden Hypothesen nicht zustimmen konnte. Mein Geometrielehrer sagte zu mir: »Dein Problem hat nichts mit mir zu tun. Geh zu Euklid – verlasse die Klasse und finde Euklid und kläre diese Dinge mit ihm! Ich bin nur ein armer Lehrer, ich verdiene hier einfach nur mein Geld; ich habe nichts mit seinen grundlegenden Axiomen zu tun. Ich bringe euch einfach nur das bei, was in diesem Buch steht. Ich bin überhaupt nicht daran interessiert, ob seine fundamentalen Hypothesen richtig oder falsch sind. Also raus mit dir!«

Und er ließ mich nicht mehr in die Klasse kommen.

Ich fragte ihn: »Aber wie können Sie das Jahr für Jahr lehren, wenn Sie doch wissen, dass die grundlegenden Hypothesen vollkommen absurd sind? «

Er erwiderte: »Das war mir nie aufgefallen; du bist derjenige, der mir dauernd einhämmert, dass sie absurd sind. Ich habe mich nie darum gekümmert; ich bin weder ein Wissenschaftler noch ein Mathematiker, ich bin nur ein armer Lehrer. Und ich wollte noch nicht einmal Lehrer werden. Ich habe mich für andere Stellen beworben, doch nirgendwo gab es eine freie Stelle. Ich bin nur notgedrungen ein Lehrer geworden. Quäle mich also nicht. Du hast ein Problem mit Euklid – halte mich da raus. Wenn du lesen möchtest, was in seinem Buch steht, kannst du das gern tun. Doch wenn du mir sagst, dass die Grundlagen falsch sind ...«

Ich sagte zu ihm: »Ich kann damit nicht weitermachen, wenn die Grundlagen nicht sicher sind, denn das wäre gefährlich. Das Fundament fehlt, und Sie sagen mir, ich soll diesen Wolkenkratzer besteigen? Ich werde mich keinen Zentimeter bewegen. Zuerst muss ich sicher sein, dass es ein Fundament gibt, das diesen Wolkenkratzer trägt. Sie werden abstürzen – das ist Ihre Sache –, aber ich bin nicht bereit, mit Ihnen abzustürzen. Wenn Sie Selbstmord begehen wollen, nur zu.«

Er antwortete: »Das ist seltsam. Mit Euklid begeht doch niemand Selbstmord. Wovon sprichst du eigentlich?«


Ich sagte: »Ich spreche über genau das, was ich gesagt habe. Es ist Selbstmord. Keine einzige von Euklids Hypothesen ist erklärbar.«

Und doch ist Euklid seit zweitausend Jahren die Grundlage nicht nur der Geometrie, sondern aller anderen Wissenschaften, denn seine Hypothesen gelten auch in anderen Wissenschaften. Zum Beispiel sagt er von einer Linie, dass sie nur Länge hat – nur Länge, keine Breite.

Ich forderte also meinen Lehrer auf: »Ziehen Sie doch einmal eine Linie, die nur Länge hat. In dem Augenblick, in dem Sie eine Linie ziehen, wird sie auch eine gewisse Breite haben, wie gering diese auch sein mag.« Und ein Punkt hat nach Euklid weder Länge noch Breite. Ich sagte also: »Malen Sie doch einmal einen Punkt auf, der weder Länge noch Breite hat. Und derselbe Euklid sagt, dass eine Linie aus Punkten besteht – ein Punkt nach dem anderen, in einer Reihe. Wenn ein Punkt weder Länge noch Breite hat – wie kann die Linie da eine Länge haben? Denn sie besteht doch nur aus Punkten, die in einer Reihe liegen. Woher taucht da plötzlich die Länge auf?«

Da rang er nur noch die Hände und sagte: »Lass mich in Ruhe.

Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nur ein armer Lehrer bin und dass du mich überforderst.«

Ich erwiderte: »Das ist keine Antwort. Sie könnten einfach akzeptieren, dass diese Axiome nicht erklärbar sind.«

Aber der Verstand hat ein Problem damit zu akzeptieren, dass es etwas gibt, was nicht erklärbar ist. Der Verstand hat einen irrsinnigen Drang, alles zu erklären ... und wenn schon nicht zu erklären, dann wenigstens wegzuerklären. Alles, was ein Rätsel bleibt, ein Paradox, beunruhigt den Verstand.

Die ganze Geschichte der Philosophie, der Religion, der Wissenschaft und der Mathematik geht auf dieselbe Wurzel zurück, auf denselben Verstand – denselben Juckreiz. Man kann sich auf die eine Art kratzen, und jemand anderer tut es vielleicht auf eine andere Art, doch es ist der Juckreiz, den man verstehen muss. Der Juckreiz ist der Glaube, dass die Existenz kein Mysterium ist: Der Verstand fühlt sich nur wohl, wenn die Existenz irgendwie entmystifiziert wird.

Die christliche Religion hat das getan, indem sie Gott Vater, Gott Sohn und den Heiligen Geist hervorgebracht hat; andere Religionen haben andere Dinge hervorgebracht. Das ist ihr Versuch, ein Loch abzudecken, das sich nicht abdecken lässt; was immer man tut, das Loch bleibt vorhanden. Tatsächlich ist das Loch umso deutlicher vorhanden, je mehr man versucht, es abzudecken.

Je mehr du dich bemühst, es abzudecken, desto mehr zeigt das deine Angst, dass jemand das Loch entdecken könnte.

In meiner Kindheit passierte es mir jeden Tag, weil ich so gern auf Bäume kletterte: Je höher der Baum, desto mehr Spaß machte es mir. Und natürlich fiel ich oft herunter; ich trage immer noch die Narben davon an meinen Beinen und Knien und am ganzen Körper.

Weil ich dauernd auf Bäume stieg und herunterfiel, waren meine Kleider ständig zerrissen, und meine Mutter sagte dann immer:

»Geh nicht mit diesem Loch in deinem Hemd weg. Lass es mich vorher flicken.«

Ich erwiderte: »Nein, kein Flickwerk.«

Sie meinte: »Aber die Leute werden sagen, dass du als Sohn des besten Stoffhändlers der Stadt immer mit zerrissenen Kleidern herumläufst und niemand sich darum kümmert. «

Ich antwortete: »Wenn du es flickst, machst du es hässlich. Im Moment kann jeder sehen, dass es frisch ist. Ich bin nicht mit diesem Loch von zu Hause weggegangen. Es ist frisch, ich bin eben erst von einem Baum gefallen. Doch wenn du es flickst ... dann ist es etwas Altes, was ich zu verstecken versuche. Wenn du es flickst, wirke ich ärmlich, während ich mit einem zerrissenen Hemd einfach nur mutig wirke. Mach dir also keine Gedanken deswegen.«

Doch in der ganzen Geschichte des Verstandes, in den unterschiedlichsten Bereichen, wurde geflickt – und vor allem in der Mathematik, weil die Mathematik ein reines Gedankenspiel ist.

Es gibt Mathematiker, die sie für etwas anderes halten, so wie es Theologen gibt, die Gott für real halten. Aber Gott ist nur eine Vorstellung. Wenn Pferde Vorstellungen hätten, wäre ihr Gott ein Pferd. Ihr könnt absolut sicher sein, dass ihr Gott kein Mensch wäre, denn die Menschen waren so grausam zu Pferden, dass sie bei ihnen nur als Teufel gelten könnten, niemals als Götter. Doch jedes Tier hat dann seine eigene Vorstellung von Gott, so wie jede menschliche Rasse ihre eigene Vorstellung von Gott hat.

Vorstellungen sind ein Ersatz für die Punkte, an denen das Leben geheimnisvoll ist und Löcher auftauchen, die sich mit der Realität nicht füllen lassen. Ihr füllt diese Löcher mit Vorstellungen; dann könnt ihr wenigstens das Gefühl haben, dass ihr das Leben versteht.

Habt ihr jemals über das Wort »verstehen« nachgedacht? Ihr fühlt euch als Meister über alles, was unter euch steht, unter eurem Daumen, unter eurer Macht, unter eurem Fuß. Die Menschen haben versucht, das Leben auf diese Weise zu verstehen, indem sie ihren Fuß darauf gestellt und er klärt haben: »Wir sind die Meister. Jetzt gibt es nichts mehr, was wir nicht verstanden haben.«

Doch das ist nicht möglich. Was immer ihr tut, das Leben ist ein Mysterium, und es wird ein Mysterium bleiben. Selbst wenn ihr das ganze Leben verstehen könntet, würde ein neues Problem auftauchen: »Wer ist dieser Mensch, dieser Verstand, dieses Bewusstsein, das alles verstanden hat? Woher kommt es? «

In jenem Dokumentarfilm ging es also um einen Mathematiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts – einen sehr berühmten Mathematiker, einen der größten in der Geschichte der Mathematik.

Sein Name war Frege, und er hatte sich sein ganzes Leben lang damit beschäftigt, ein mathematisches System zu entwerfen, das alle Paradoxa, alle Geheimnisse, alle Rätsel lösen sollte – die ultimative Lösung. Er war eben dabei, es zu veröffentlichen – in der Zwischenzeit ist es veröffentlicht, und es ist wirklich ein gewaltiges Werk. Doch Bertrand Russell – damals noch ein junger Mann und nicht sehr berühmt, nur einigen wenigen Leuten als Philosoph bekannt – war ebenfalls an Mathematik interessiert. Später schrieb Russell selbst ein monumentales Werk über Mathematik die Principia Mathematica, in dem dreihundertzweiundsechzig Seiten ausschließlich dem Beweis gewidmet sind, dass eins und eins zwei ist. Das Buch ist einfach unmöglich –der Versuch, es zu lesen, kann einen wirklich in den Wahn sinn treiben! Bertrand Russell gab selbst zu: »Nachdem ich dieses Buch geschrieben hatte, war mein Verstand nie mehr so scharf wie zuvor; mein ganzer Scharfsinn ging verloren.« Ganz sicher hat er zu viel Energie in dieses Buch gesteckt, und zwar eine seltsame Art von Energie, denn kein Mensch liest dieses Buch.

Bertrand Russell war also an Mathematik interessiert. Er wusste, dass Frege dabei war, ein Buch zu veröffentlichen, das alle Paradoxa, Rätsel und mathematischen Probleme lösen sollte, und schickte Frege ein Paradoxon – ein ganz einfaches Paradoxon. Als Frege es erhielt, war er am Boden zerstört, und sein ganzer Enthusiasmus war verschwunden. Sein Buch war vollendet – zwei Bände, sein Lebenswerk –, und dieser Mann schickt ihm einen kurzen Brief mit einem kleinen Paradoxon und sagt: »Bevor Sie Ihr Buch veröffentlichen, sollten Sie über dieses Paradoxon nachdenken.« Es wurde als Russells Paradox bekannt.

Es ist ganz einfach, doch Frege hatte keine Antwort darauf. Er veröffentlichte seine Bücher daraufhin nicht; sie wurden erst nach seinem Tod publiziert. Sie sind monumental, doch es gelang ihm nicht, alle Paradoxa darin zu lösen. Das Paradoxon, das Russell ihm geschickt hatte, konnte er nicht auflösen.

Das Paradoxon ist ganz einfach: Alle Bibliothekare des Landes wurden aufgefordert, einen Katalog mit allen Büchern ihrer Bibliothek zu erstellen und diesen Katalog an die Nationalbibliothek zu schicken. Einer der Bibliothekare stellte also seinen Katalog fertig, und als er eben dabei war, ihn zu verpacken und an die Nationalbibliothek zu schicken, tauchte eine Frage in ihm auf: »Soll ich diesen Katalog ebenfalls aufnehmen oder nicht?

Denn er ist ja nun ebenfalls ein Buch in meiner Bibliothek. Und die Anordnung ist klar, nämlich dass alle Bücher der Bibliothek katalogisiert werden sollen. Was soll ich also damit machen? Das ist ein Buch in meiner Bibliothek, also ist es laut Anordnung richtig, es in den Katalog aufzunehmen.«

Dieses Problem war offensichtlich vielen Bibliothekaren in den Sinn gekommen. Also kamen zwei Arten von Katalogen in der Nationalbibliothek an. Der Nationalbibliothekar machte zwei Stapel: einen mit Katalogen, die den Katalog selbst ebenfalls enthielten, und einen mit denen, die ihn nicht enthielten. Ihm wurde nun aufgetragen, einen Katalog aller Kataloge zu erstellen, die den Katalog selbst nicht enthielten. Doch als er zum Ende kam, fragte er sich, was er mit seinem eigenen Katalog machen sollte. Wenn er ihn nicht aufnahm, dann fehlte in seinem Katalog ein Katalog, der sich selbst nicht enthielt. Wenn er ihn aber aufnahm, dann enthielt der Katalog nicht mehr nur solche Kataloge, die sich selbst nicht enthielten.

Russell schickte ihm also dieses einfache Paradoxon: »Was soll dieser Bibliothekar tun? Bevor Sie sich an die Lösung anderer, größerer Rätsel machen, lösen Sie doch bitte erst einmal dieses Problem! Dieser Bibliothekar steckt in Schwierigkeiten. «


Was immer man in dieser Situation nun tut, ist falsch. Wenn man den Katalog nicht aufnimmt, fehlt ein Katalog, der sich selbst nicht enthält: Es sind nicht alle Kataloge darin enthalten, die sich selbst nicht enthalten. Wenn man ihn aber aufnimmt, dann enthält der Katalog nicht nur Kataloge, die sich selbst nicht enthalten ...

Könnt ihr noch folgen?

Ich sehe darin kein Problem. Doch Frege war ratlos; auch Russell hatte keine Antwort auf diese Frage. Und jede Wissenschaft, jede Philosophie, jede Religion kommt irgendwann an diesen Punkt: Irgendwann kommt sie an einen Punkt, an dem man etwas fraglos hinnehmen muss, blind ... das ist es, was die Religion als Glauben bezeichnet.

Doch das ist Flickwerk. Wenn man von euch verlangt, dass ihr glauben sollt, bedeutet das, dass ihr nicht versuchen sollt, den Flicken wegzunehmen, weil darunter ein Loch ist – abgrundtief, bodenlos – deckt es zu! Doch wenn man es abdeckt, ist es damit nicht verschwunden. Nichts ist gelöst. Nichts wird verändert, indem man es abdeckt – außer dass man blind bleibt. Warum es also abdecken? Schließt einfach die Augen.

Das ist der Grund, warum alle Anhänger immer blinde Anhänger sein müssen – denn wenn sie Augen haben, gibt es garantiert Probleme. Dann werden sie Rätsel finden, die nicht gelöst sind, Fragen, die nicht gelöst sind. Wozu wurde Gott erschaffen? – Einfach nur, um die ungelöste Frage zu beantworten, wer das Universum erschaffen hat. Von dieser Frage ausgehend machen alle Religionen einen Sprung in irgendeine Hypothese:

»Gott hat die Welt erschaffen« ... Doch die Frage ist genauso wie Bertrand Russells Paradoxon. Da gibt es keinen Unterschied. Die eine Frage bezieht sich auf Mathematik und die andere auf Religion, doch das Problem ist dasselbe. Das Axiom besteht darin, dass alles, was existiert, von jemandem erschaffen worden sein muss . Wie könnte es von selbst entstehen? Das ist das Problem.

Alles, was ist, wurde erschaffen; wie könnte es sonst entstanden sein? Also bringen sie Gott ins Spiel, um zu erklären, wer das Universum erschaffen hat.

Doch was macht man dann mit Gott? Gibt es einen Gott? Wenn es einen Gott gibt, wer hat ihn dann erschaffen? Und wenn er nicht existiert, wie kann er dann das Universum erschaffen haben? Wenn Gott selbst nicht existiert, wie kann er dann die Existenz erschaffen haben? Und wenn er existiert, was ist dann mit dem grundlegenden Axiom, dass alles, was existiert, von jemandem erschaffen worden sein muss? Nein, diese Frage darf nicht gestellt werden. Das ist es, was alle Religionen sagen – fragt nicht, wer Gott erschaffen hat.

Doch das ist seltsam – warum denn nicht? Wenn die Frage in Bezug auf die Existenz gültig ist, warum sollte sie dann in Bezug auf Gott nicht auch gültig sein?

Doch sobald man fragt, wer Gott erschaffen hat, gerät man in eine absurde Schleife. Dann kann man immer so weitermachen: Gott eins, Gott zwei, Gott drei – man kann immer weiter durchzählen, doch am Ende wird die Frage genau die gleiche sein.

Nach Tausenden von Göttern wird man feststellen, dass die Frage vollkommen unberührt davon geblieben ist. All eure Antworten konnten nicht die kleinste Veränderung der Frage bewirken. Wer hat das Universum, die Existenz, das Leben erschaffen? – Es ist immer noch dieselbe Frage.

Für mich ist das Leben ein Mysterium. Es braucht nicht unter unseren Füßen zu stehen, es braucht nicht verstanden zu werden.

Lebt es, liebt es, genießt es – seid es. Warum versucht ihr, es zu verstehen?

Ich bin nicht gegen Gott, ich bin nur gegen eine dumme Hypothese, die nirgendwo hinführt.

Und du fragst, ob ich auch gegen Jesus Christus bin? Warum sollte ich gegen diesen armen Kerl sein? Ich empfinde Mitleid mit ihm, ich empfinde Trauer um ihn. Ich glaube nicht, dass er es verdient hatte, gekreuzigt zu werden. Ja, er war ein bisschen verrückt – das kann ich nicht leugnen –, doch nur weil jemand ein bisschen verrückt ist, bedeutet das noch lange nicht, dass er gekreuzigt werden muss. Kreuzigung ist kein Heilmittel gegen Verrücktheit.

Tatsächlich haben die Menschen mit der Kreuzigung Jesu das Christentum erschaffen und damit viele Leute verrückt gemacht. Es ist die Kreuzigung, die für diesen ganzen Unsinn verantwortlich ist, der seit zweitausend Jahren vor sich geht und immer noch andauert.

Es ist die Kreuzigung, die aus Christus – ohne sein Wissen – den Begründer des Christentums gemacht hat. Ich bin nicht gegen diesen armen Kerl. Tatsächlich hätte er eine etwas bessere Behandlung verdient gehabt. Er hätte keine Kreuzigung gebraucht; er hätte ein bisschen Therapie gebraucht, um ihn zu heilen, um ihn wieder ins Lot zu bringen. Eine kleine Deprogrammierung: »Du bist nicht der Sohn Gottes – gib diese Vorstellung auf. Sie macht dich unnötigerweise zum Clown. Sie beweist nicht, dass du der Messias ist, sie beweist nur, dass du durchgeknallt bist.«

Wir haben hier schon viele Durchgeknallte geheilt, die dabei waren, sich aufzulösen. Bei manchen Leuten sind eben ein paar Schrauben zu locker, und bei anderen sind ein paar Bolzen zu fest – wir müssen sie nur ein bisschen reparieren. Jesus war nicht gefährlich. Er war ein netter Kerl, doch einfach nur nett zu sein schützt einen nicht davor, durchzudrehen. Er war nett und er war leichtgläubig. Ständig hörte er diese Idee: »Der Messias wird kommen und die ganze Menschheit retten«, und sie stieg ihm zu Kopf. Ein bisschen Therapie, und er wäre wieder in Ordnung gewesen. Ich bin nicht gegen ihn, ich habe Mitleid mit ihm. Es war ein bisschen heftig, ihn gleich ans Kreuz zu nageln; er hatte schließlich kein Verbrechen begangen. Wozu gibt es Redefreiheit – jeder darf sagen: »Ich bin der Sohn Gottes.« Ich glaube nicht, dass das jemandem schadet, dass es die Rechte anderer beschneidet.

Jeder andere kann sagen, dass er ebenfalls der Sohn Gottes ist, das ist kein Problem.

Warum haben sie so viel Trara um ihn gemacht? Das hätte es überhaupt nicht gebraucht. Man hätte ihn einfach nur ignorieren müssen. Hätte niemand ihn beachtet, dann wäre er sogar ohne jede Therapie wieder zu sich gekommen. Doch weil die Leute anfingen, ihn zu beachten und sich über ihn aufzuregen, wurde diese Vorstellung für ihn mehr und mehr zur Obsession.

Das ist eine ganz normale Schlussfolgerung: »Wenn die Leute sich ärgern und aufregen, dann muss etwas dran sein, denn warum sollten sie sich sonst die Mühe machen? Wenn ich nur ein Verrückter wäre, würden sie mich auslachen und weggehen.« Doch ganz Judäa und alle Rabbis waren verstört. Das war Beweis genug für Jesus, dass das, was er sagte, eine gewisse Bedeutung haben musste. Diese alten Narren, diese Rabbis, haben diesen jungen Mann zerstört. Sie haben ihn verdorben, indem sie ihm Aufmerksamkeit schenkten, indem sie ihm Bedeutung gaben.

Tatsächlich hätten sie bestraft werden müssen, doch er wurde bestraft. Er tut mir leid. Ich bin nicht gegen ihn. Ich wäre dafür gewesen, dass er behandelt und geheilt worden wäre und ein langes, gesundes Leben hätte führen könne.


... Ich habe euch immer erklärt, dass ich möchte, dass das Leben als Mysterium akzeptiert wird, denn nur als Mysterium ist es schön, lebenswert, liebenswert, segensreich, ekstatisch.

Es ist gut, dass das Leben nicht entmystifiziert werden kann.

Es gibt keine Möglichkeit, es zu entmystifizieren, und ich bin der Letzte, der es entmystifizieren möchte. Meine Absicht ist genau entgegengesetzt. Das ist es, was ich mein ganzes Leben lang gemacht habe – alles zu mystifizieren. Das ist keine schwierige Aufgabe, weil die Menschen die Dinge gewaltsam entmystifiziert haben; ich entferne einfach nur die Abdeckung, den Flicken, und gebe euch das reine Leben, so wie es ist.

Es gibt nirgendwo eine letztgültige Antwort. Und es wird niemals eine Antwort geben, die alle Probleme löst; daher ist Gott eine Unmöglichkeit, weil Gott eine letztgültige Antwort bedeutet.

Und es ist gut, dass es keinen Gott gibt, denn sonst wären wir alle verdammt. Dann gäbe es keine Möglichkeit für Freude, für Freiheit, für Suchen, für Ekstase – Gott hätte alles zerstört. Daher sage ich euch, wenn es Gott geben würde, hätte ich euch beigebracht, ihn umzubringen. Doch glücklicherweise gibt es ihn nicht, sodass es uns erspart bleibt, in irgendeiner Weise gewalttätig zu werden. Diese eine Gewalttat hätte ich zugelassen, auch wenn ich ansonsten für Gewaltlosigkeit bin. Wenn es Gott gäbe, hätte ich zu euch gesagt:

»Macht ihn fertig! Denn mit ihm ist kein Leben möglich.«

Ihr habt nicht an die Folgen gedacht : Nur ohne Gott könnt ihr-frei sein. Dann besitzt euer inneres Wesen Freiheit. Dann hat eure Essenz alle Möglichkeiten zu wachsen. Dann gibt es niemanden, der herrscht, niemanden, der diktiert, niemanden, der manipuliert.

Dann seid ihr niemandem gegenüber verantwortlich außer euch selbst. Niemand kann euch fragen, warum ihr dies oder jenes getan habt; niemand kann euch bestrafen oder belohnen. Es gibt keine Möglichkeit, euch zu einer bestimmten Lebensweise zu manipulieren, denn es gibt keinen Gott.

Und wenn es keinen Gott gibt, wie könnte es dann einen Messias und einen Sohn Gottes geben? Das ist der Grund, warum ich Jesus als verrückt bezeichne. Ich bezeichne ihn einfach nur aus Liebe und Mitgefühl als verrückt, doch ich bin nicht gegen ihn.

Wäre ich dort gewesen, hätte ich zu den Juden und zu Pontius Pilatus gesagt: »Was macht ihr da? Ihr erschafft eine Religion – von Verrückten! Wenn ihr diesen Mann kreuzigt, begeht ihr ein Verbrechen gegen die ganze Menschheit über viele Jahrhunderte hinweg. Lasst ihn einfach nur in Ruhe, lasst ihn reden. Wem schadet es? Es ist pure Unterhaltung. Die Leute genießen es, sie versammeln sich um ihn und hören ihm zu – das schadet niemandem. Und er sagt nichts gegen die Schriften. Lasst ihn also laufen, damit keine Religion daraus entsteht.«

Jesus selbst wäre auf keinen Fall fähig gewesen, das Christentum hervorzubringen, das ist völlig klar. Alles, was er fertig brachte, war, zwölf ungebildete Trottel um sich zu versammeln, die zu seinen Aposteln wurden. Doch es ist sehr schwierig festzustellen, wer der größte Trottel ist – sehr schwierig.

Das waren große Trottel, doch heute gibt es noch größere Trottel.

Es gibt eben solche und solche Trottel. Jesus wäre auf keinen Fall fähig gewesen, das Christentum zu organisieren. Er besaß kein Organisationstalent, er hatte keinen Einfluss auf die oberen Gesellschaftsschichten. Wie hätte er da eine Religion erschaffen sollen? Doch die Kreuzigung hat das alles bewirkt.

In dieser Welt funktionieren die Dinge auf seltsame Weise.

Nachdem er gekreuzigt worden war, verspürten Tausende von Menschen, die sich nie um ihn gekümmert hatten, Sympathie für ihn. Leute, die ihm nicht zugehört hätten, wenn er vorbeigekommen wäre, verspürten plötzlich Sympathie für ihn. Und das ist nur natürlich. Selbst die Juden hatten das Gefühl, dass es zu viel gewesen war. Der Mann war unschuldig ... er hatte vielleicht unverschämte Dinge gesagt, aber es war ja nur Gerede, heiße Luft und nichts dahinter. Dafür hätte man ihn nicht zu kreuzigen brauchen.

Dadurch entstand eine große Welle von Sympathie. Diese Art von Sympathie ist ein ganz natürliches Phänomen. Und die zwölf Trottel stellten fest, dass Leute, die nie auf ihren Meister gehört hatten, nun plötzlich auf sie hörten. Langsam begannen sich die Leute um sie zu sammeln. Sie schrieben die Bibel, sie gründeten die Kirche. Sie erfanden Geschichten und Wunder — und das ist einfacher, wenn die Person nicht mehr da ist. Damals waren es nur Gerüchte. Doch ein Gerücht, das von einem Ohr zum anderen geht, hat die Tendenz, immer größer zu werden, weil jeder etwas hinzufügt, es ein wenig ausschmückt. Im Verlauf von dreihundert Jahren wurde Jesus tausendmal größer, als er jemals gewesen war; inzwischen war er ein Mythos. Der wirkliche Mensch war einfach nur der Sohn eines Zimmermanns gewesen, der irgendetwas daherredete. Doch im Verlauf von dreihundert Jahren hat die Vorstellungskraft der Menschen ganze Arbeit geleistet.

Und dann kamen zweitausend Jahre lang Gelehrte, Professoren, Theologen, Philosophen — sie alle verstärkten den Mythos, sosehr sie konnten, und schrieben Jesus Worte, Bedeutungen, Philosophien und Ideologien zu, die diesem armen Kerl niemals bewusst gewesen waren.

Ich bin nicht gegen Gott oder gegen Jesus Christus – oder gegen sonst irgendjemanden.

Aber ich bin für die Wahrheit. Falls diese sich gegen irgendjemanden richtet, kann ich nichts dagegen tun.

Wenn du sagst, dass es keinen Gott gibt, bedeutet das dann, dass du ein Atheist bist?

Es gibt keinen Gott, doch das bedeutet nicht, dass ich ein Atheist bin. Ganz sicher bin ich kein Theist – ich sage ja, dass es keinen Gott gibt –, doch das bedeutet nicht, dass du zum Gegenteil springen solltest, zum Atheisten. Der Atheist sagt ebenfalls, dass es keinen Gott gibt, doch wenn ich dasselbe sage, besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen meiner Aussage und der Aussage eines Atheisten – denn ich sage im gleichen Augenblick, dass es Göttlichkeit gibt.

Charvaka würde mir in diesem Punkt nicht zustimmen; Epikur, Marx und andere Atheisten würden mir in diesem Punkt nicht zustimmen. Gott zu leugnen bedeutet für sie, das Bewusstsein zu leugnen. Gott zu leugnen bedeutet für sie, dass die Welt nur aus Materie besteht und aus nichts weiter, und was immer an Bewusstsein erkennbar ist, entsteht für sie nur als Nebenprodukt, wenn bestimmte Aspekte der Materie zusammenkommen – es ist nur ein Nebenprodukt. Nimmt man diese Aspekte auseinander, verschwindet das Nebenprodukt.

Das ist wie mit einem Auto: Man kann die Räder wegnehmen, man kann andere Teile wegnehmen, und jedes Mal kann man fragen: »Ist das das Auto? « Wenn man die Räder wegnimmt, wird die Antwort natürlich lauten: »Nein, das ist nicht das Auto.« Kein Teil ist das Ganze. Man kann je des Teil wegnehmen, Stück für Stück, bis man alles auseinander genommen hat, und kein einziges Teil davon ist das Auto. Am Schluss kann man dann die Frage stellen: »Und wo ist nun das Auto? Wir haben es doch nicht entfernt; an keinem Punkt hieß es, dass wir das Auto entfernt hätten.«

Das »Auto« war nur die Kombination. Es besaß keine eigene Existenz, es war ein Nebenprodukt. Das ist es, was Marx meint, wenn er sagt, Bewusstsein sei ein Epiphänomen: Entfernt man den Körper, entfernt man das Gehirn, entfernt man alles, was einen Menschen ausmacht, dann wird man nichts finden, was dem Bewusstsein entspricht. Und sobald man alles entfernt hat, ist es auch nicht so, dass das Bewusstsein zurückbleibt; es war nur eine Kombination. Man hat die Kombination auseinander genommen.

Wenn ich also sage, dass es keinen Gott gibt, dann stimme ich nicht mit Marx oder Epikur überein. Ich stimme sicherlich auch nicht mit Jesus, Krishna, Moses oder Mohammed überein, wenn sie sagen, dass es einen Gott gibt, denn sie sehen Gott als eine Person.

Gott als Person ist einfach nur eure Vorstellung. Der Gott der Chinesen hat ein chinesisches Gesicht, der Gott der Afrikaner hat ein afrikanisches Gesicht, und der Gott der Juden muss natürlich eine jüdische Nase haben; es kann gar nicht anders sein. Aber das sind alles nur Projektionen. Gott eine Persönlichkeit zu geben ist eure Projektion.

Wenn ich sage, dass es keinen Gott gibt, dann meine ich damit, dass Gott keine Persönlichkeit hat. Ich sage, dass es keinen Gott gibt, doch eine gewaltige Göttlichkeit. Es ist eine unpersönliche Energie, reine Energie. Ihr eine Form aufzuzwingen ist hässlich. Ihr zwingt euch selbst dieser Energie auf.

Der christliche Gott wird in dem Augenblick verschwinden, in dem das Christentum verschwindet, die Hindu-Götter werden in dem Augenblick verschwinden, in dem der Hinduismus verschwindet. Erkennt ihr, was ich damit sagen will? Es handelt sich um eure Projektionen. Solange ihr weiter projiziert, ist euer Gott vorhanden. Wenn ihr nicht mehr projiziert, wenn der Projektor nicht mehr vorhanden ist, verschwindet euer Gott. Ich bin nicht für solche Götter, die vom winzigen menschlichen Verstand projiziert werden. Und natürlich wird der winzige menschliche Verstand Gott Qualitäten zuschreiben, die eigentlich seine eigenen Qualitäten sind.

Der Gott des Talmuds sagt: »Ich bin ein zorniger Gott. Ich bin nicht nett; ich bin nicht euer Onkel.« Das ist in einem jüdischen Kontext absolut passend, doch für einen Hindu wäre es vollkommen unmöglich, dass Gott sagt: »Ich bin ein zorniger Gott.« Zorn und Gott? – Das passt nicht zusammen. Der jüdische Gott ist zornig; er ist sehr menschlich. Und wenn man ihn nicht verehrt, wenn man sich ihm entgegenstellt, zerstört er einen. Das würde bei einem Hindu keinen Anklang finden, das wäre für ihn vollkommen unmöglich. Es würde auch einen Mohammedaner nicht ansprechen, denn der Mohammedaner betet jeden Tag: »Gott, der Barmherzige ...« Barmherzigkeit ist die essentielle Qualität, die er auf Gott projiziert. Gott kann für ihn nur Barmherzigkeit sein, nichts anderes. Mohammedaner sagen, dass es genügt, wenn man seine Sünden erkennt, denn Gott ist barmherzig. Er wird einem vergeben.

Omar Khayyam, einer der großen Dichter der persischen Literatur, sagt: »Haltet mich nicht davon ab, Wein zu trinken und Frauen zu genießen, denn Gott ist barmherzig. Sagt mir nicht, dass ich damit eine Sünde begehe; lasst mich so viele Sünden wie möglich begehen. Seine Barmherzigkeit ist größer als alle meine Sünden. Etwas aufzugeben aus Angst, dass Gott mich bestrafen könnte, würde bedeuten, nicht an seine Barmherzigkeit zu glauben.« Nun, das ist wieder eine andere Vorstellung – doch das sind alles menschliche Vorstellungen.

Wenn ich also sage, dass es keinen Gott gibt, dann sage ich, dass es keinen persönlichen Gott gibt; alles Persönliche ist menschliche Projektion. Ich möchte, dass ihr das Persönliche weglasst und Gott frei sein lässt, frei von der Sklaverei der Persönlichkeit, die ihr ihm auferlegt habt.

Ich bin kein Atheist. Das ganze Universum ist für mich erfüllt von der Energie Gottes und von nichts anderem.

Ihr müsst eines verstehen, und das ist absolut grundlegend. Die Welt besteht aus Verben, nicht aus Substantiven. Substantive sind eine menschliche Erfindung – sie sind notwendig, aber im Endeffekt nur eine menschliche Erfindung. Doch das Leben besteht aus Verben, nur aus Verben, nicht aus Substantiven und Pronomen.

Seht es euch einmal an. Ihr seht eine Blüte, eine Rose. Sie eine Blüte zu nennen ist eigentlich nicht richtig, weil sie nicht aufgehört hat zu blühen, weil sie immer noch blüht; sie ist ein Verb, sie ist ein Blühen. Wenn man sie als Blüte bezeichnet, hat man ein Substantiv daraus gemacht. Ihr seht einen Fluss. Ihr bezeichnet ihn als Fluss – ihr habt ein Substantiv daraus gemacht. Doch er fließt. Es würde der Realität mehr entsprechen, würde man sagen, dass er ein Fließen ist. Und alles verändert sich, alles fließt. Das Kind wird zu einem jungen Mann, der junge Mann wird alt, Leben verwandelt sich in Tod, Tod verwandelt sich in Leben. Alles ist im Fließen, in ständiger Veränderung; es ist ein Kontinuum. Es gibt niemals ein Ende, niemals einen Punkt. Den gibt es nur in der Sprache. Im Leben gibt es keinen Punkt.

Kannst du dich daran erinnern, wann du aufgehört hast, ein Kind zu sein? Wann, an welchem Punkt hast du aufgehört, ein Kind zu sein, und bist zu einem jungen Mann geworden? Es gibt keinen solchen Punkt, keine Grenze, keine Abgrenzung. Das Kind fließt immer noch in dir. Wenn du die Augen schließt und nach innen schaust, wirst du feststellen, dass alles, was war, immer noch da ist und in dir fließt. Du hast mehr und mehr aufgenommen und absorbiert, doch alles, was war, ist immer noch da. Der Fluss wird immer breiter, Nebenflüsse kommen hinzu, doch der ursprüngliche Fluss ist immer noch da. Wenn ihr einmal den Ganges in Indien gesehen habt, einen der schönsten Flüsse der Welt, werdet ihr das verstehen. An dem Punkt, wo er entspringt, ist er so klein, dass der Kopf einer Kuh – natürlich aus Stein, ein Stein in Form eines Kuhkopfes – genügt. Durch diesen Kuhkopf entspringt der Ganges und beginnt seine Reise ... so klein. Und wenn ihr ihn in der Nähe der Mündung seht, dort, wo er kurz davor ist, sich ins Meer zu ergießen, wirkt er fast wie das Meer selbst ... so groß. Doch dieses kleine Rinnsal in Gangotri, weit weg, Tausende von Meilen entfernt im Himalaja, das aus dem steinernen Kuhmaul entspringt – dieses Rinnsal ist immer noch da. Viele Flüsse kamen hinzu und ergossen sich in ihn und machten ihn breit. Und er ist immer noch lebendig.

Selbst wenn er sich ins Meer ergießt, bleibt er lebendig, bewegt er sich weiter. Vielleicht wird er zu einer Wolke; vielleicht wird er wieder zu Regen. Es geht weiter und weiter. Das Leben geht weiter und weiter; es hört niemals auf. Es gibt keine Ruhepause. Es gibt keinen Punkt, den man irgendwo setzen könnte, um zu markieren , dass etwas zu Ende ist. Nichts geht jemals zu Ende. Es lässt sich kein Anfang finden, es lässt sich kein Ende finden. Es ist ein ewig fließender Prozess.

Wenn ihr »Gott« sagt, benutzt ihr ein Substantiv, etwas Statisches, etwas Totes. Wenn ich »Göttlichkeit« sage, verwende ich dieses Wort für etwas Lebendiges, Fließendes, sich Bewegendes. Diese Punkte müssen euch also klar sein. Ich bin kein Theist wie Jesus oder Mohammed oder Krishna, weil ich mit der Vorstellung von einem toten Gott nicht einverstanden bin.

Ein Gott, der vollkommen, absolut, allmächtig, allwissend, allgegenwärtig ist – das sind die Worte, die von allen Religionen für Gott verwendet werden –, ist tot, kann nicht lebendig sein, kann nicht atmen. Nein, solch einen Gott lehne ich ab, denn mit solch einem toten Gott wäre dieses ganze Universum tot. Göttlichkeit ist eine vollkommen andere Dimension. Das Grün der Bäume, das Blühen der Rose, der Vogel im Flug — all das ist ein Teil davon.

Dann ist Gott nicht getrennt vom Universum. Dann ist er die Seele des Universums. Dann ist das Universum am Schwingen, am Pulsieren, am Atmen ... Göttlichkeit.

Ich bin also kein Atheist, aber ich bin auch kein Theist.

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