Gott ist eine Beleidigung für den Menschen

Als Sekito die Regeln empfangen hatte, fragte ihn Seigen, sein

Meister: »Nun, da du die Regeln empfangen hast, möchtest du

sicher die Vinaya studieren, nicht wahr?«

Sekito antwortete: »Es ist nicht notwendig, die Vinaya zu

studieren.«

Seigen fragte: »Möchtest du dann das Buch von Sheela

lesen?«


Sekito antwortete: »Es ist nicht notwendig, das Buch von

Sheela zu lesen.«

Seigen fragte daraufhin: »Könntest du Nangaku Osho einen

Brief überbringen?«

Sekito erwiderte: »Natürlich.«

Seigen sagte also: »Dann geh jetzt und komm bald wieder

zurück. Wenn du auch nur ein bisschen zu spät kommst, wirst du

mich nicht mehr antreffen. Und wenn du mich nicht antriffst,

wirst du das große Beil unter meinem Stuhl nicht bekommen.«

Bald darauf kam Sekito bei Nangaku an. Bevor er ihm den

Brief übergab, verneigte sich Sekito und fragte: »Osho, was ist zu

tun, wenn man weder den alten Weisen folgt noch seine eigene

innerste Seele zum Ausdruck bringt?«

Nangaku antwortete: »Deine Frage ist zu arrogant. Warum

stellst du sie nicht etwas bescheidener?« Worauf Sekito erwiderte:

»Da wäre es besser, auf ewig in der Hölle zu versinken und nicht

mehr auf die Befreiung zu hoffen, die die alten Weisen erfahren

haben.«

Nachdem Sekito so festgestellt hatte, dass Nangaku und er

nicht auf einer Wellenlänge waren, ging er zurück zu Seigen,

ohne Nangaku den Brief zu übergeben.

Bei seiner Ankunft fragte ihn Seigen: »Hat man dir etwas

anvertraut?«

Sekito antwortete: »Man hat mir nichts anvertraut.«

Seigen meinte: »Aber es muss doch eine Antwort geben.«

Worauf Sekito erwiderte: »Wenn einem nichts anvertraut wird,

gibt es auch keine Antwort.« Dann fügte er hinzu: »Als ich

aufbrach, sagtest du, dass ich bald zurückkommen solle, um das

große Beil unter deinem Stuhl zu bekommen. Nun bin ich zurück,

gib mir also bitte das große Beil.«

Seigen schwieg. Sekito verneigte sich und zog sich zurück.

Die erste Frage:

Gott ist tot, doch das wirft die Frage auf, wer dieses Universum

in Gang gesetzt hat.

Niemand brauchte es in Gang zu setzen, weil dieses Universum keinen Anfang und kein Ende hat.

Diese Frage wurde von allen Religionen ausgenutzt, weil jeder wissen möchte, von wem das Universum in Gang gesetzt wurde.

Euer Verstand ist so klein, dass er sich ein Universum ohne Anfang nicht vorstellen kann, ein endloses Universum, einfach nur von Ewigkeit zu Ewigkeit. Weil ihr euch diese Weite nicht vorstellen könnt, entsteht diese Frage:

»Wer hat das Universum erschaffen? Wer hat das alles in Gang gesetzt? « Doch wenn es jemanden gab, der es in Gang setzte, muss es bereits ein Universum gegeben haben. Könnt ihr diese einfache Arithmetik nachvollziehen? Wenn jemand da war, um es in Gang zu setzen, dann könnt ihr das nicht »den Anfang« nennen, weil bereits jemand da war.

Wenn ihr glaubt, dass ein Gott dafür notwendig ist ... es gibt euch Trost, dass Gott die Welt erschaffen hat, damit ihr einen Anfang habt. Doch wer hat Gott erschaffen? Hier taucht gleich wieder dasselbe Problem auf.

Alle Religionen behaupten, dass Gott ewig sei; dass Gott nicht erschaffen wurde. Wenn das für Gott gelten kann, warum kann es dann nicht für das Leben selbst gelten? Es ist autonom, es existiert aus sich selbst heraus. Es braucht keinen Schöpfer, denn dieser Schöpfer braucht nur wieder einen anderen Schöpfer, und damit fallt ihr in eine absurde Endlosschleife. Ihr könnt von A bis Z gehen. Doch wer hat dann Z erschaffen? Die Frage bleibt bestehen, auch wenn ihr euch noch so lange dagegenstemmt. Das Problem kann so nicht gelöst werden, weil ihr die falsche Frage gestellt habt.

Das Universum hat keinen Anfang. Es wurde nicht von irgendjemandem erschaff en. Es hat auch kein Ende. Und denkt daran, wenn es einen Anfang hätte, hätte es sicher auch ein Ende.

Jeder Anfang ist der Anfang von einem Ende; jede Geburt ist der Anfang des Todes. Und so ist es gut! Macht euch also frei von Gott, denn wenn er die Welt erschaffen hat, kann er sie auch wieder zerstören, und jede Welt, die erschaffen wurde, wird früher oder später zerstört. Wenn es eine Geburt gibt, gibt es auch einen Tod.

Nur ein Universum ohne Anfang kann auch ohne Ende sein.

Dein Problem besteht also nur, weil die Fähigkeiten des Verstandes so begrenzt sind. Das ist der Grund, warum ich möchte, dass ihr über den Verstand hinausgeht. Nur No-Mind, ein Bewusstsein jenseits des Verstandes, kann sich etwas ohne Anfang und ohne Ende vorstellen. Das Unfassbare wird dann vollkommen klar; da gibt es überhaupt kein Problem. Jene, die sich über den Verstand erhoben haben, haben sich gleichzeitig auch über Gott erhoben. Gott ist ein Bedürfnis des Verstandes, weil der Verstand sich keine unendlichen, ewigen Dinge vorstellen kann. Er kann sich nur sehr begrenzte Dinge vorstellen. Diese Frage entsteht nur aus dem Unvermögen, aus der Unfähigkeit des Verstandes.

Du fragst: »Gott ist tot, doch daraus ergibt sich die Frage, wer dieses Universum in Gang gesetzt hat.« Doch hast du jemals darüber nachgedacht, dass die Existenz Gottes diese Frage nicht auflöst? Die Frage wird dadurch einfach nur um einen Schritt verlagert: Wer hat Gott erschaffen? Jede Hypothese, die die Frage nicht auflöst, ist vollkommen nutzlos. Und jede Antwort, die die Frage immer nur ein Stück weiter verlagert, ohne sie auch nur im geringsten zu berühren, kann nicht die Antwort sein.

Die einzige Antwort, die man finden kann, liegt in der eigenen Erfahrung von Ewigkeit. Dann wirst du wissen, dass niemand es erschaffen hat. Es hat keinen Anfang und kein Ende. Du hast keinen Anfang und kein Ende. Wenn du das in dir selbst erfahren hast, weißt du, dass die Existenz autonom ist, dass sie nicht erschaffen wurde.

Etwas Erschaffenes kann nicht mehr als ein künstlicher Mechanismus sein; es kann keine organische Realität sein. Das Auto wurde erschaffen, doch der Mensch wurde nicht erschaffen.

Wenn der Mensch ebenfalls erschaffen worden wäre, wäre er ein Mechanismus, ein Roboter. Man kann ein Auto auseinander nehmen, alle Teile auseinander nehmen, die Räder und alles, und dann kann man alles wieder zusammensetzen und das Auto ist vollkommen in Ordnung. Doch schneide einmal einen Menschen in einzelne Teile und setze sie dann wieder zusammen – dadurch wird der Mensch nicht wieder lebendig.

Ein organisches Phänomen lässt sich nicht auseinander nehmen.

In dem Augenblick, in dem man es auseinander nimmt, verschwindet sein Geheimnis. Dann kann man die Teile wieder zusammensetzen, doch man wird trotzdem nur einen Leichnam vor sich haben und kein lebendiges Wesen. Darin liegt die Würde des Lebens, dass es nicht erschaffen wurde. Darin liegt die Würde des Menschen, dass er nicht erschaffen wurde. Gott ist eine Beleidigung für das Leben, für den Menschen, für das Bewusstsein, für alles. Gott ist eine Demütigung. Gott ist keine Lösung für irgendein Problem; tatsächlich erzeugt er nur noch mehr Probleme in der Welt. Er löst nichts. Es gibt dreihundert Religionen in dieser Welt, und sie alle bekämpfen sich gegenseitig. Sie alle sind durch ein Konzept von Gott entstanden, weil sie alle ihre eigenen Konzepte erfunden haben.

Der Hindu-Gott besitzt drei Köpfe. Stellt euch nur einmal den armen Kerl vor! Stellt euch vor, ihr hättet drei Köpfe; ich glaube nicht, dass ihr in der Lage wärt, aufrecht zu stehen. Ein Kopf würde zur einen Seite fallen, der andere zur anderen Seite, und der dritte wieder zu einer anderen Seite – allein schon das Gewicht ... Ich habe Statuen und Bilder dieses Hindu-Gottes gesehen. Sein Körper wirkt wie der Körper eines Menschen, doch ein menschlicher Körper kann mit drei Köpfen nicht funktionieren.

Ich habe Kinder im Zirkus gesehen, die als Fehlbildungen zur Welt kamen. Ich habe Kinder mit zwei Köpfen gesehen, doch sie können nicht einmal sitzen; sie liegen einfach nur herum. Der Zirkus nutzt ihre Tragödie aus, er verdient Geld damit. Man muss sie in einem Leiterwagen herumfahren.

Der Hindu -Gott muss wohl in einem Leiterwagen leben. Ein Kopf wird dabei immer ins Kissen gedrückt, so dass ihm das Atmen schwer fällt. Aufrechtes Gehen ist für ihn eine Unmöglichkeit. Und alle drei Köpfe, die nur einen Körper besitzen, haben Frauen. Was für eine Tragödie! Jeder Kopf ist mit zwei anderen Köpfen verbunden, und jeder hat eine andere Frau. Drei Frauen für einen einzigen Mann – weil es ja nur ein Geschlechtsteil gibt. Ich habe nie etwas davon gehört, dass dieser indische Gott auch drei Geschlechtsteile hätte. Also, ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll! ... Durch solche Fiktionen entstanden dreihundert Religionen, weil sich ja jeder seine eigene Fiktion ausdenken kann. Warum sollte man die Fiktion eines anderen übernehmen? Es gibt Religionen, die glauben, dass Gott tausend Hände hat. Eintausend Hände? Sie müssen an seinem ganzen Körper wachsen, so wie Zweige an einem Baum. Ich glaube nicht, dass er damit irgendetwas anfangen kann. Eintausend Hände?

Am Rücken werden sie nach hinten wachsen, an der Vorderseite nach vorn ... da bleibt kein Platz mehr für irgendetwas anderes!

Es gibt Götter, die tausend Augen besitzen – auch das kann ich mir nicht vorstellen. Nicht einmal im Zustand des No-Mind kann ich mir das vorstellen! Tausend Augen in einem Kopf? Da bleibt kein Platz mehr für Ohren, für eine Nase, für einen Mund, für irgendetwas anderes – nicht einmal für Haare. Er muss kahl sein, mit Augen am ganzen Kopf. Und selbst dann kann ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Wie kann er sich bewegen?

Mit welchem Auge soll er wahrnehmen? Welches Auge verwendet er, wenn er einer Frau zuzwinkern möchte? Tausend Augen, die einer Frau zuzwinkern? Das wäre wirklich sehr romantisch!

Die Existenz Gottes hat kein einziges Problem gelöst. Im Gegenteil, Gott hat Tausende von Problemen geschaffen. Und jede Religion hat ihre eigene Vorstellung, weil es sich nur um eine Fiktion handelt. Die Menschen haben keine unterschiedlichen Vorstellungen von der Sonne. Sie haben keine unterschiedlichen Vorstellungen von einer Rose. Doch von einer Fiktion muss man einfach unterschiedliche Vorstellungen haben. Denn es hängt von einem selbst ab, was man sich vorstellen möchte.

Die Bibel sagt, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild erschaffen habe. In Wahrheit ist es genau umgekehrt: Der Mensch hat Gott nach seinem Ebenbild erschaffen. Und er hat versucht, das Bild von Gott zu verfeinern und für alle möglichen Absurditäten Erklärungen zu finden. Er braucht tausend Hände, weil er sich um fünf Milliarden Menschen kümmern muss. Doch wenn man sich um fünf Milliarden Menschen kümmern muss, braucht man fünf Milliarden Hände. Eintausend Hände reichen dafür nicht aus.

Zumindest, wenn man allen Menschen die Hand schütteln möchte, braucht man fünf Milliarden Hände. Nur Hände, Hände, und sonst gar nichts! Dann schüttelt man Gott die Hand, doch niemand ist da!

Und so gibt es weitere Erklärungen: Er hat eintausend Augen, weil er sich um das ganze Universum kümmern muss. Kann er denn seinen Kopf nicht bewegen, so wie ich ihn bewege? Ich kann ganz problemlos zehntausend Leute sehen, mit nur zwei Augen. Dreht er sich nicht um, wenn er nach hinten geht? Er hat Augen am ganzen Kopf – wenn er rückwärts gehen will, braucht er also nur die hinteren Augen zu öffnen, während die vorderen geschlossen bleiben. Wenn er zur Seite gehen möchte, schließt er die Augen auf drei Seiten, und nur die Augen auf einer Seite sind geöffnet. Ist das ein Gott, oder ist das ein Spielzeug für Kinder?

Die Vorstellung von Gott ist nur entstanden, weil unser Verstand die Ewigkeit nicht fassen kann. Sobald man sich über den begrenzten Verstand zum unbegrenzten No-Mind erhoben hat, kann man sich alles vorstellen, was vorher unvorstellbar war. Kein Gott ist dann notwendig.

Die zweite Frage:


Wenn es keinen Gott gibt, ist dann in der Religion noch Platz

für Gebet?

Es ist kein Platz mehr für Gebet, denn Gebet ist auf Gott orientiert. Wenn es keinen Gott gibt, zu wem sollte man dann noch beten? Alle Gebete sind falsch, denn es gibt niemanden, der sie beantworten könnte, niemanden, der sie hören könnte. Alle Gebete sind eine Demütigung, eine Beleidigung, eine Erniedrigung. Alle Gebete sind widerwärtig! Ihr kniet vor einer Fiktion nieder, die nicht existiert.

Und was macht ihr in euren Gebeten? Ihr bettelt. »Gib mir dies, gib mir jenes« – absolut armselig – »Gib uns unser tägliches Brot!«

Könnt ihr nicht ein für alle Mal darum bitten? Warum müsst ihr jeden Tag darum bitten? Und fünf Milliarden Menschen bitten, während nur einer zuhört – glaubt ihr, dass er geistig gesund bleiben kann? »Gib uns unser tägliches Brot!« Warum nicht einmal fürs ganze Leben darum bitten und dann damit aufhören? Ein einziges Gebet sollte genügen.

Doch jeden Tag belästigt ihr ihn, nörgelt ihr herum wie eine zänkische Ehefrau, morgens und abends. Und die Mohammedaner beten sogar fünfmal am Tag. Sie sind die größten Nörgler.

Ich pflegte immer in Udaipur Meditationscamps abzuhalten. Es war ein weiter Weg bis dorthin von dem Ort, wo ich wohnte, in Jabalpur. Es dauerte sechsunddreißig Stunden dorthin, weil es damals zwischen diesen beiden Orten noch keine Flugverbindung gab. Es gab zwar einen Flughafen in Jabalpur, doch das war ein Militärflughafen, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war.

Also musste ich mit dem Zug fahren und an vielen Stellen umsteigen. Erst musste ich in Katni umsteigen, dann in Bina und dann noch einmal in Agra. Dann musste ich zum letzten Mal in Chittaurgarh den Zug wechseln, und danach kam ich schließlich in Udaipur an. Es war immer Abend, wenn der Zug in Chittaurgarh ankam, und ganz in der Nähe von Chittaurgarh liegt Ajmer. Ajmer ist eine der Hochburgen der Mohammedaner, so dass sich immer viele Mohammedaner im Zug befanden. Und der Zug musste immer eine Stunde lang im Bahnhof auf einen anderen Zug warten, mit dem weitere Reisende nach Udaipur ankommen sollten.

Eine Stunde lang ging ich also auf dem Bahnsteig spazieren. Die Mohammedaner, die den ganzen Bahnsteig entlang da saßen, befanden sich im Gebet, und ich machte mir einen Spaß daraus, zu jemandem hinzugehen und zu sagen: »Der Zug fährt ab«, worauf derjenige aufsprang und dann ärgerlich wurde: »Du hast mein Gebet gestört!«

Darauf antwortete ich: »Ich habe niemandes Gebet gestört. Ich verrichte einfach nur mein eigenes Gebet. Es ist mein innigster Wunsch, dass der Zug endlich abfährt. Ich habe nicht mit dir gesprochen; ich kenne doch nicht einmal deinen Namen.«

Worauf der andere meinte: »Das ist doch merkwürdig ... mitten in meinem Gebet? «

Doch ich sagte zu ihm: »Es war kein wirkliches Gebet, denn ich habe dich beobachtet – wieder und wieder hast du nach dem Zug Ausschau gehalten.« Darauf musste der andere zugeben: »Nun ja, das stimmt.«

Und so war es auf dem ganzen Bahnsteig. Ich ging weiter und näherte mich ein paar anderen Leuten und flüsterte einfach nur:

»Der Zug fährt ab.« Und schon sprang jemand anderer auf und wurde daraufhin sehr zornig: »Was bist du nur für ein Mensch? Du wirkst religiös, doch du störst die Menschen in ihrem Gebet! «

Worauf ich immer erwiderte: »Ich störe niemanden. Ich bete einfach nur zu Gott, dass der Zug jetzt endlich abfährt.«

Woraus bestehen eure Gebete? Ihr bittet um dieses, ihr bittet um jenes. Eure Gebete machen euch zu Bettlern. Meditation dagegen macht euch zu Kaisern.

Es gibt niemanden, der eure Gebete hört; es gibt niemanden, der auf sie antwortet. Alle Religionen sorgen dafür, dass ihr immer nur außenorientiert seid, dass ihr euch nicht nach innen richtet. Gebete sind außenorientiert: Dort ist Gott, und ihr ruft zu diesem Gott.

Doch das führt euch weg von euch selbst.

Alle Gebete sind irreligiös. Ich habe euch schon oft eine wunderbare Geschichte erzählt, die von Leo Tolstoi stammt.

Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche – diese Geschichte spielt vor der Revolution – begann sich große Sorgen zu machen, als viele Mitglieder seiner Gemeinde anfingen, zu einem See zu pilgern, wo drei Einsiedler lebten. Sie lebten auf einer kleinen Insel im See, und sie saßen unter einem Baum, zusammen mit Tausenden von Menschen, die sie für Heilige hielten.

Nun ist es im Christentum nicht möglich, von sich aus ein Heiliger zu werden. Zuerst muss von der Kirche bestätigt werden, dass man ein Heiliger ist; es braucht eine Art Zeugnis.


Das ist eine ziemlich hässliche Vorstellung, dass die Kirche einem ein Zeugnis ausstellen kann, dass man ein Heiliger ist. Selbst ein Mann wie Franz von Assisi, ein wunderbarer Mensch, wurde vor den Papst zitiert: »Die Menschen haben angefangen, dich wie einen Heiligen zu verehren, aber du bist noch nicht heilig gesprochen worden.«

Hier finde ich, dass Franziskus einen Fehler gemacht hat. Er hätte sich dem Ganzen entziehen sollen, doch er kniete sich wie ein guter Christ nieder und bat den Papst: »Dann gib mir die Anerkennung.« Abgesehen davon war er ein netter Mensch, ein wunderbarer Mann, doch ich erwähne ihn nie, weil er sich sehr dumm verhalten hat. Das ist nicht die Art eines Heiligen.

Aber die ganze Vorstellung von Heiligkeit, die die Kirche hat, ist vollkommen falsch.

Der russische Patriarch war also sehr zornig: »Wer sind diese Heiligen? Wir haben hier seit Jahren schon niemanden mehr heilig gesprochen. Woher sind diese sogenannten Heiligen plötzlich gekommen?« Doch die Menschen strömten zu ihnen hin, und die Kirche wurde täglich leerer.

Schließlich beschloss der Patriarch, ebenfalls hinzugehen und sich diese Leute einmal anzusehen. Er nahm ein Boot und setzte zu der Insel über. Diese drei Männer ... sie waren ungebildete, einfache Leute, vollkommen unschuldige Menschen. Und der Patriarch war ein mächtiger Mann; nach dem Zaren war er der mächtigste Mann Russlands. Er war sehr zornig auf diese drei Männer und fragte sie: »Wer hat euch zu Heiligen gemacht? «

Sie schauten sich gegenseitig an und sagten: »Niemand. Und wir glauben auch nicht, dass wir Heilige sind. Wir sind arme Leute.«

»Aber warum kommen dann so viele Menschen zu euch? « Sie antworteten: »Diese Frage müsst Ihr ihnen selber stellen.«

Der Patriarch wollte daraufhin wissen: »Kennt ihr das orthodoxe Gebet der Kirche? «

Sie antworteten: »Wir sind ungebildet, und dieses Gebet ist zu lang; wir können es uns nicht merken.«

»Welches Gebet sprecht ihr denn dann?«

Sie schauten sich wieder gegenseitig an. »Sag du es ihm«, meinte einer von ihnen. »Nein, sag du es«, sagte ein anderer. Sie waren sehr verlegen. Doch der Patriarch wurde immer arroganter, als er sah, dass diese Männer vollkommene Einfaltspinsel waren: Sie kannten nicht einmal das Gebet. Wie konnten sie da Heilige sein?

Also meinte er: »Irgendeiner von euch soll es mir sagen – sagt es einfach nur!«

Sie erwiderten: »Es ist uns sehr peinlich, denn wir haben unser eigenes Gebet erfunden, weil wir doch das von der Kirche autorisierte Gebet nicht kennen. Wir haben unser eigenes Gebet erfunden, und es ist sehr einfach. Wir bitten um Vergebung, dass wir nicht um Erlaubnis gefragt haben, es zu verwenden, doch es war uns so peinlich, dass wir es nicht gewagt haben, zu Euch zu kommen und zu fragen.«

Sie sagten: »Gott ist dreifaltig und wir sind ebenfalls drei, also haben wir uns ein Gebet ausgedacht, das folgendermaßen lautet:

>Du bist drei und wir sind drei, erbarme dich unser.< Das ist unser Gebet.« Da wurde der Patriarch wirklich zornig: »Das ist doch kein Gebet! So etwas habe ich ja noch nie gehört!« Dann begann er zu lachen.

Die armen Kerle sagten darauf zu ihm: »Dann bringt uns doch das richtige Gebet bei. Wir dachten immer, es sei vollkommen in Ordnung: Gott ist drei, und wir sind drei, und was braucht es mehr?

Einfach nur sein Erbarmen.«

Der Patriarch rezitierte also das orthodoxe Gebet, das sehr lang war. Als er beim Ende angekommen war, sagten sie: »Jetzt haben wir den Anfang wieder vergessen.« Also sagte er den Anfang noch einmal auf. Darauf sagten sie:

»Nun haben wir den Schluss wieder vergessen.«

Da wurde der Patriarch langsam ärgerlich. Er meinte:

»Was für Leute seid ihr nur? Könnt ihr euch nicht einmal ein einfaches Gebet merken? «

Sie antworteten: »Es ist so lang, und wir sind vollkommen ungebildet, und das sind so große Worte. Das können wir nicht ...

bitte habt einfach nur ein bisschen Geduld mit uns. Wenn Ihr es noch ein paarmal wiederholt, können wir es uns vielleicht merken.«

Also wiederholte er es noch dreimal. Dann sagten sie: »In Ordnung, wir werden es versuchen, aber vielleicht werden wir das Gebet nicht ganz hinbekommen, vielleicht werden einzelne Teile fehlen ...

aber wir werden es versuchen.«

Der arrogante Patriarch war sehr zufrieden, dass er diese drei Heiligen zur Räson gebracht hatte und den Mitgliedern seiner Gemeinde sagen konnte: »Das sind doch Idioten. Warum geht ihr zu denen? « Er ging also wieder zu seinem Boot und setzte ab.

Doch plötzlich bemerkte er, dass die drei Männer auf dem Wasser hinter seinem Boot herrannten und sich ihm näherten. Er traute kaum seinen Augen! Er rieb sich die Augen ... doch inzwischen hatten sie das Boot erreicht und standen neben ihm auf dem Wasser. Sie sagten: »Wiederholt es nur noch einmal, wir haben es schon wieder vergessen.« Doch angesichts dieser Situation – »diese Männer gehen auf dem Wasser, während ich mit dem Boot fahre« – kam dem Patriarchen die Einsicht, und er sagte:

»Sprecht einfach weiter euer eigenes Gebet. Bemüht euch nicht, das aufzusagen, was ich euch gesagt habe. Vergebt mir, ich war zu arrogant. Eure Einfachheit, eure Unschuld ist euer Gebet. Geht einfach wieder zurück. Ihr braucht nichts weiter.«

Doch die drei Männer bestanden darauf: »Ihr seid von so weit her zu uns gekommen. Sagt es nur noch ein einziges Mal auf.

Wahrscheinlich werden wir es wieder vergessen, aber nur noch ein einziges Mal, so dass wir versuchen können, uns daran zu erinnern.«

Worauf der Patriarch antwortete: »Ich habe dieses Gebet mein ganzes Leben lang aufgesagt und bin nicht erhört worden. Ihr dagegen geht auf dem Wasser, und das ist etwas, was wir sonst nur von den Wundern Jesu her kennen. Es ist das erste Mal, dass ich so etwas selbst gesehen habe. Geht also einfach wieder zurück. Euer Gebet ist vollkommen in Ordnung!«

Das Gebet war nicht das Entscheidende, denn es gibt niemanden, der es hören könnte – doch ihre Unschuld und ihr Vertrauen führten dazu, dass sie zu vollkommen neuen Wesen wurden, so frisch, so kindlich, wie Rosenknospen, die sich in ihrer ganzen Schönheit in der frühen Morgensonne öffnen. Nachdem der Patriarch seine Arroganz abgelegt hatte, konnte er nun ihre Gesichter sehen, ihre Unschuld, ihre Anmut, ihre Glückseligkeit.

Sie liefen Hand in Hand über das Wasser zurück und setzten sich wieder unter ihren Baum.

Aufgrund solcher Erzählungen ist Leo Tolstoi der Nobelpreis entgangen. Alle 50 Jahre öffnet das Nobelpreis -Komitee seine Archive. Als sie 1950 geöffnet wurden, kamen Forscher, die überprüfen wollten, wer nominiert und wer abgelehnt worden war, und aus welchen Gründen. Leo Tolstoi war nominiert worden, doch er hatte den Nobelpreis niemals erhalten. Und die Begründung dafür war, dass er kein orthodoxer Christ sei. Er schrieb so wunderbare Erzählungen, so großartige Romane ... Doch obwohl er ein Christ war, war er sehr unorthodox , so dass man ihm den Nobelpreis nicht geben konnte.

Doch es wurde niemals publik gemacht, dass der Nobel preis nur für orthodoxe Christen ist. Leo Tolstoi war ein Mann mit einem einfachen, unschuldigen Herzen, er zählte zu den kreativsten Menschen, die die Welt je gesehen hat. Seine Romane sind von solcher Schönheit. Auch sein Leben war sehr einfach, obwohl er ein Graf war. Seine Vorfahren hatten zur königlichen Familie gehört, und er besaß ein großes Gut und Tausende von Hektar Land und Tausende von Bauern und Leibeigenen.

Seine Frau war sehr wütend auf ihn – das war sein ganzes Leben lang ein Problem für ihn –, weil er wie ein Bauer lebte und wie die Bauern auf den Feldern arbeitete. Er war sehr freundlich zu seinen Bauern. Er schlief in ihren armseligen Hütten und aß mit ihnen. Sie konnten es kaum glauben. Sie sagten zu ihm: »Herr, Ihr seid unser Gebieter.«

Doch er antwortete: »Nein. Wir teilen alles miteinander. Ich arbeite mit euch, ich esse mit euch, ich schlafe bei euch.«

Seine Frau war wirklich sehr zornig darüber. Sie war eine Gräfin; sie selbst gehörte einer sehr reichen Familie an, einer anderen Grafenfamilie, und sie konnte es nicht fassen, dass er solch ein Mensch war. »Er lebt mit diesen schmutzigen Leuten, er isst mit ihnen. Er geht zum Arbeiten auf die Felder. Er bräuchte das nicht zu tun!«

Und solch einem einfachen, unschuldigen, kreativen Mann wurde der Nobelpreis verweigert, weil er kein orthodoxer Christ war, weil er nicht zur orthodoxen Linie der fanatischen Christen zählte. Selbst ich war erstaunt, als ich das hörte. Der Nobelpreis ist also nur für orthodoxe und fanatische Christen, für Politiker, und nicht für kreative Künstler! Du fragst: »Ist dann in der Religion noch Platz für Gebet? « Nein, da ist kein Platz.

In einer authentischen Religion hat zwar die Meditation einen Platz, nicht aber das Gebet . Gebet ist nach außen orientiert, Meditation ist nach innen gerichtet. Meditation macht dich zum Buddha, Gebet macht dich einfach nur zum Bettler. Gebet ist auf eine Fiktion ausgerichtet, Meditation ist auf die Wahrheit ausgerichtet. Meditation ist Zen, Gebet ist nichts anderes als ein Teil der Fiktion, die sich Gott nennt. Vermeidet Gebete. Sie führen euch weg von eurer eigenen existentiellen Realität. Lasst euch tiefer auf Meditation ein. Das ist die einzig mögliche Religiosität.

Nun zu den Sutren:

Als Sekito die Regeln empfangen hatte, fragte ihn Seigen, sein

Meister: »Nun, da du die Regeln empfangen hast, möchtest du

sicher die Vinaya studieren, nicht wahr?«

Vinaya ist eine der Schriften Gautama Buddhas. Der komplette Name lautet Vinaya Pitak.

Seigen fragte also Sekito: »Nachdem du nun als Sannyasin angenommen bist, möchtest du sicher die Schrift namens Vinaya studieren?« Vinaya bedeutet Demut. Es handelt sich um eine der Schriften Buddhas.

Sekito antwortete: »Es ist nicht notwendig, die Vinaya zu

studieren.«

Es ist nicht notwendig, die Schriften zu studieren, denn die Wahrheit lässt sich niemals in irgendwelchen Schriften finden. Die Wahrheit ist keine Philosophie oder Theologie. Dafür besteht also keine Notwendigkeit.

Sekito war von seinem Meister Eno zu Seigen geschickt worden. Er war schon sehr weit fortgeschritten, doch weil Eno seinen eigenen Tod allzu schnell nahen fühlte – er war schon sehr alt –, so dass er vielleicht nicht mehr in der Lage sein würde, Sekitos Erleuchtung zu erleben, hatte er das Gefühl, dass es besser wäre, ihn zu einem anderen Meister zu schicken, der ihm bei den letzten Stufen seiner Entwicklung behilflich sein könnte. Also schickte er Sekito zu Seigen, der sein ganzes Leben lang sein Konkurrent gewesen war. Doch in ihrem Herzen erkannten sich beide gegenseitig als erleuchtet an.

Sekito war kein Anfänger. Als Seigen ihn daher fragte:

»Möchtest du nun die Schriften studieren?«, da antwortete er:

»Das ist nicht notwendig.«

Daraufhin fragte Seigen: »Möchtest du dann vielleicht das Buch Sheela lesen – das Buch vom Charakter? Wenn du die Schriften über Demut nicht studieren möchtest, möchtest du kann vielleicht die Schriften über Charakter und Moral kennen lernen?«

Sheela bedeutet Charakter.


Sekito antwortete – und das ist die Antwort eines Menschen, der der Erleuchtung bereits sehr nahe ist: »Es ist nicht notwendig, das Buch Sheela zu lesen, denn all diese Dinge folgen auf die Erleuchtung. Sie gehen ihr nicht voraus, sie folgen ihr.«

Die Erleuchtung beinhaltet enorme Schätze. Man wird erleuchtet, und alles andere folgt. Man muss nicht lernen oder studieren, man muss sich nicht disziplinieren, man muss sich nicht anstrengen. Alles fällt einem ganz spontan zu. Man muss einfach nur zuerst zum Buddha werden.

Sekito erwiderte also: »Es ist nicht notwendig, das Buch von Charakter und Moral zu lesen.«

Seigen fragte daraufhin: »Könntest du Nangaku Osho einen

Brief überbringen?«

Nangaku war ein weiterer berühmter Meister, und das war einfach nur eine Strategie Seigens, um herauszufinden, wo Sekito stand. All diese Fragen sollten nicht dazu dienen, bestimmte Antworten zu erhalten, sondern sie sollten es Seigen ermöglichen, diesen neu angekommenen Mann zu ergründen, der bei Eno, einem großen Meister, gelebt hatte –wie weit war er gekommen? Welche Tiefe hatte er erreicht? Er versuchte Sekito von allen Seiten zu ergründen, um sich ein Bild davon zu machen, wie reif Sekito war und wie viel weitere Reifung er noch benötigte. Das war also eine weitere Taktik. Seine Frage zur Schrift Vinaya hatte ihn nicht weitergebracht; Sekito hatte genau so geantwortet, als wäre er bereits erleuchtet. Er hatte ihn zur Schrift Sheela befragt, und Sekito hatte genau so geantwortet, als wäre er bereits erleuchtet.

Nun versuchte er es also auf eine andere Weise. Er fragte:

»Könntest du Nangaku Osho einen Brief überbringen?«

Nangaku lebte in einem Bergkloster ganz in der Nähe.

Sekito erwiderte: »Natürlich.«

Seigen sagte also: »Dann geh jetzt und komm bald wieder

zurück. Wenn du auch nur ein bisschen zu spät kommst, wirst du

mich nicht mehr antreffen. Und wenn du mich nicht antriffst,

wirst du das große Beil unter meinem Stuhl nicht bekommen.«

Bald darauf kam Sekito bei Nangaku an. Bevor er ihm den

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