Montags fuhr ich nach Büroschluß mit dem Dieskau zu Beate.
Ich war so guter Laune, daß ich nicht allein zu Hause hocken wollte und ganz gegen meine früheren Gewohnheiten einem plötzlichen Bedürfnis nach Gesellschaft nachgab.
Beate fixierte mich mit großen Augen.
»Du siehst ja völlig anders aus mit dem Lockenkopf, so frisch und luftig! Nicht schlecht!«
Sie begutachtete mich von allen Seiten.
»Du, gleich wird aber Jürgen kommen (das war ihr neuer Freund, der Handelsvertreter), er war ja am Wochenende bei seiner Familie. Wir wollen essen gehen, kommt ihr vielleicht mit?«, und sie wandte sich bei dem »ihr« höflich nach unten an den Dieskau. Früher hätte ich sofort abgelehnt, hätte mich als fünftes Rad am Wagen empfunden. Aber in meiner Glücksstimmung ging ich mit. Jürgen war ein Rheinländer und erzählte gern fremde und eigene Witze. Offensichtlich brauchte er Publikum, und als solches war ich willkommen. Er war kein Schuft, vor dem ich Beate hätte warnen müssen, sondern eine ehrliche Haut; er machte ihr nichts vor. Er wollte unter der Woche etwas Vergnügen und Gesellschaft beim Essen und im Bett; Beate schien da mit ihm einig zu sein. Sie lachte herzlich über seine Witze und steckte mich schließlich an. Nur der Dieskau war unzufrieden. Zwar hatte er diskret ein Hammelknöchelchen unter den Tisch bekommen, aber er mochte keine Männer und war sie auch nicht gewohnt. Der Hund geiferte und belferte bedrohlich und ausdauernd unter dem Tisch, so daß ich schließlich mit ihm abzog und das Pärchen allein ließ. Ich beneidete Beate um ihre lockere Art, mit einem Mann umzugehen, ich konnte das einfach nicht. Bei mir und Witold sollte die Freundschaft anders werden, nicht so oberflächlich; aber trotzdem heiter.
Eine Woche später, an einem sonnigen Sonntagvormittag, wartete ich mit dem aufgeregten Dieskau an der Leine auf Witold. Der Waldparkplatz war ganz verlassen und leer, kein Auto war auch nur von ferne zu hören. Schon nach kurzer Wartezeit wurde ich kleinmütig, meine Hochstimmung klang ab. Vielleicht kam er überhaupt nicht! Aus diesen trüben Gedanken riß mich seine Stimme heraus, hinter mir tönte es:
»Guten Morgen, geheimnisvolle Unbekannte!«
Witold war mit dem Fahrrad gekommen und ein wenig außer Puste, da er nicht die Straße, sondern einen Waldweg benutzt hatte.
Ich strahlte ihn an. Er schien sich aber gerade meine Autonummer einzuprägen. Als er sah, daß ich das sofort bemerkt hatte, grinste er ein wenig.
»Heute werden Sie ja, wie ve rsprochen, Ihr Inkognito lüften.
Also: Wie heißen Sie? Ich muß Sie schließlich anreden können.«
»Rosemarie«, sagte ich ein wenig verlegen; der Name paßte nicht zu mir, und wie die meisten Frauen war auch ich stets unzufrieden damit gewesen. Er schien diesen Namen auch nicht für geeignet zu halten.
»Weiter«, sagte er.
»Luise«, fuhr ich fort.
Er war erheitert. »Noch weiter«, forderte er amüsiert.
»Thyra«, sagte ich leise.
Witold lachte lauthals auf. Ich wußte, was nun kommen mußte, schließlich war er Deutschlehrer.
»Thyra«, wiederholte er unter herzlichem Lachen, »ich wollte ja eigentlich nur Ihren Nachnamen hören. Aber das ist ja stark«, und natürlich zitierte er jetzt Fontane:
»Und die Jarls kamen zum Feste des Jul,
Gorm Grymme sitzt im Saal,
Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl,
Thyra Danebod, sein Gemahl.«
Er lachte immer noch. »Ich werde Sie Frau Thyra nennen, denn ich habe noch nie jemanden getroffen, der so heißt. Sicher nennt man Sie Rose oder so ähnlich, das paßt aber überhaupt nicht zu Ihrem unsentimentalen Typ. Aber, Spaß beiseite, sagen Sie mir bitte Ihren vollen Namen, auch Ihre Adresse, sonst komme ich mir irgendwie geleimt vor.«
Ich strahlte ihn wieder an, das klappte schon automatisch, dann sagte ich ihm alles, was er wissen wollte.
»Übrigens hatte ich eine dänische Großmutter, von der stammt die Thyra. Nennen Sie mich ruhig so, ohne Frau. Ich finde es herrlich, wenn ich mal nicht Rosi heiße.«
»Einverstanden, Thyra. Ich bin Rainer.«
»Wenn Sie Thyra sagen, sag ich aber Witold«, erklärte ich.
»Wo haben Sie das denn ausgegraben?« rief er belustigt. »So nennt mich wiederum niemand. Ach so — ich habe diesen Namen auf meinem Buch angegeben, weil es interessanter klingt. Als Kind habe ich mich sehr geschämt für diesen Zweitnamen.«
Wir machten allerhand Scherze mit unseren neuen Namen, blieben aber im übrigen beim »Sie«. Inzwischen waren wir schon eine gute halbe Stunde gewandert, und der Dieskau freute sich.
»Mir ging noch viel im Kopf herum«, begann Witold, »wo haben Sie eigentlich den Revolver gelassen?«
»Ich habe ihn bei mir zu Hause gut versteckt, dort wird ihn niemand suchen. Aber ich werde ihn demnächst beseitigen.«
Witold war das gar nicht geheuer. Was ich damit vorhätte?
Ich wollte ihn in den Rhein schmeißen, bei Nacht und Nebel und von einer Brücke aus.
»Sie müssen das aber unverzüglich tun«, sagte er unfroh, »möglichst noch heute nacht, auch ohne Nebel! Ich dachte, er wäre längst verschwunden. Meine Frau hat ihn von einem Onkel geerbt, eventuell läßt sich diese Spur zurückverfolgen.
Woher können Sie übrigens schießen?«
Ich versprach ihm, den Revolver noch heute zu ertränken.
»Schießen kann ich eigentlich nicht. Aber in jungen Jahren hatte ich einen Freund, der sonntags mit seinem Vater immer auf einen Schießstand zum Üben ging. Ich war öfters dabei und habe auch gelegentlich mal geschossen. Im Prinzip weiß ich, wie man mit einer Waffe umgeht, aber das ist unendlich lange her, und ich war auch damals alles andere als ein As im Schießen.«
»Bei Freund fällt mir ein«, sagte Witold, »wartet zu Hause Gorm Grymme auf Sie und eventuell noch Jung Harald?«
Ich war geschmeichelt, daß er sich für mein Privatleben interessierte und überschlug mich in Versicherungen, daß niemand auf mich warte.
»Ich habe einige schwere Enttäuschungen erlebt«, deutete ich an. Witold sah mir forschend in die Augen, war aber zu taktvoll, um weiter nachzuhaken.
Später fragte ich: »War Ihre Ehe eigentlich gut?«
Er schwieg ziemlich lange.
»Wissen Sie, eine solche Frage können die wenigsten mit einem simplen Ja oder Nein beantworten. Wir wären im Herbst dreiundzwanzig Jahre verheiratet gewesen. Wäre die Ehe hoffnungslos verkorkst gewesen, hätte sie bestimmt nicht so lange gehalten.«
Mit dieser Antwort war ich ganz zufrieden. Wir wanderten fröhlich fürbaß, riefen uns zuweilen unter ironischer Betonung bei unseren Namen und lachten oft. Als wir einen Bach überqueren mußten, reichte mir Witold die Hand und hielt sie um einige Sekunden zu lang in der seinen, so wie sich auch unsere Blicke häufig eine Spur zu lang trafen.
Nach zwei Stunden Wandern war mir heiß, meine hübschen neuen Sandalen hatten mir mehrere Blasen beschert, ich hatte Durst, und auch der Dieskau suchte in jeder Bodenvertiefung nach Wasser. Bei allen Brombeersträuchern blieb ich stehen und pflückte mir Beeren. Aber Witold hatte als altgedienter Lehrer nicht nur einen Zeitplan im Kopf, sondern auch eine Wanderkarte in der Tasche. Wir würden bald rasten, versprach er. In einem Dörfchen kannte er eine Wirtschaft, wo man hinterm Haus im Garten sitzen konnte. Die anderen Gäste hockten alle in der muffigen Stube. Witold organisierte ein Tablett und holte von drinnen eine Kanne Apfelwein und zwei Portionen Handkäse.
»Ich hab’ Sie gar nicht erst nach Ihren Wünschen gefragt«, sagte er, »aber hier gibt es bestimmt nichts, was besser schmecken könnte.« Er hatte recht.
Ein Brunnen erquickte den müden Dieskau. Nach zwei Gläsern Most, die ich gierig heruntergestürzt hatte, schien mir die Welt golden oder rosarot, und ich hatte große Lust, meinen Witold einfach zu küssen. Aber so sehr hatte ich mich doch nicht verändert; ich traute mich nicht.
Witold trank ebenfalls mehrere Gläser und redete viel.
Währenddessen streichelte er ununterbrochen den Hund zu meinen Füßen, bis es mir schließlich dämmerte, daß eigentlich meine Beine gemeint waren. Ich sah ihn an mit windheißen Augen.
»Eigentlich schade«, sagte Witold in heiterer Stimmung, »daß wir beiden Komplizen uns nicht ganz normal treffen können. Oder sollen wir nächsten Sonntag wieder so eine Expedition ins Unbekannte machen?«
Da hatte ich zwar nichts dagegen, aber ich hatte mir schon während der langweiligen Bürostunden einen Plan zurechtgelegt.
»Wir könnten uns doch — meinetwegen vor Zeugen — ganz neu kennenlernen! Dann wird kein Kommissar auf die Idee kommen, daß wir uns schon früher kannten und ich irgend etwas mit der Sache zu tun habe.«
Witold verstand mich gleich. Er überlegte hin und her.
»In der nächsten Zeit sind überall an der Bergstraße Weinfeste, Kirmes, Altstadtrummel. Dort könnten wir uns zufällig an einem langen Tisch mit vielen, vielen Menschen begegnen.«
Die Idee machte mir Vergnügen. Wir besprachen alles genau. Ich sollte mit einer Freundin (wie gut, daß ich wenigstens Beate hatte!) in einer bestimmten Weinheimer Straußwirtschaft an einem Tisch sitzen, möglichst zeitig, damit noch kein unübersichtliches Gedränge herrsche. Witold wollte mit einem Freund (jenem Doktor Schröder, von dem er das Wochenendhäuschen hatte) vorbeischlendern und sich zu uns an den langen Tisch setzen, rein zufällig. Und dann würden unsere Freunde Zeuge werden, wie wir uns kennenlernten. Daß Beate den Witold vom Sehen her kannte, spielte keine große Rolle, würde sogar alles erleichtern, dachte ich.
Wir waren leicht beschwipst, blieben lange im schattigen Garten sitzen, hörten das Brünnchen plätschern und sahen die Wespen an den Weingläsern herumturnen. Schließlich mußten wir doch zurück. Am Parkplatz trennten wir uns wie Verschwörer.
»Bis Samstag!«
»Denken Sie an den Revolver!«
Mehr konnte ich eigentlich von einem schönen Sonntag im späten August nicht erwarten: Ich glaub«, noch nie einen besseren erlebt zu haben und auch keinen besseren mehr erwarten zu können. Womit ich recht hatte.
Zu Hause riß ich als erstes die zierlichen Sandalen von meinen großen Füßen. Ich mußte an Andersens »Kle ine Seejungfrau« denken, die einem Mann zuliebe ihren Fischschwanz durch zwei hübsche Beine ersetzt hatte, aber bei jedem Schritt Schmerzen erleiden mußte, als trete sie auf ein zweischneidiges Schwert.
Am Montag rief ich, immer noch in euphorischer Stimmung, vom Büro aus bei Beate an, um sie für den Ausflug zur Weinkerwe zu begeistern. Schließlich mußte ich mich frühzeitig darum kümmern, sonst hatte sie am Ende andere Pläne.
Beate war platt. »Jahrelang habe ich versucht, dich Gott weiß wohin mitzuschleppen, und fast nie ist es mir gelungen.
Und jetzt auf deine alten Tage willst du auf die Kirmes gehen und machst dir einen Lockenkopf! Sag, bist du am Ende verliebt?«
»Na klar«, scherzte ich, »seit ich mit einem männlichen Wesen zusammenlebe, sieht die Welt ganz anders aus.«
»Was sagst du da?«
»Na ja, der Dieskau teilt mit mir Tisch und Bett.«
»O Gott«, seufzte Beate, »ich hab’ zwar schon gehört, daß man einem Hund zuliebe viel spazierengeht, aber noch nie, daß man für ihn zum Frisör rennt.«
Aber sie erklärte sich bereit, am Samstag mitzukommen.
»Gut, daß du nicht am Sonntag wolltest, da kommen alle drei Kinder zum Essen. Es könnte übrigens sein, daß sie schon am Samstag da sind, dann geht es eben nicht.«
Beate war während der Woche mit ihrem Job und ihrem Jürgen voll beschäftigt, am Wochenende fielen dagegen mit schöner Regelmäßigkeit ihre drei erwachsenen Kinder wie die Heuschrecken ein, warfen schmutzige Wäsche ab und aßen die Vorräte leer. Ich war froh, von dieser Plage verschont geblieben zu sein.
Die Woche verging schnell. Ich konzentrierte mich auf die Arbeit in der Versicherung, schrieb einen langen Brief an Frau Römer, ging täglich mit dem Dieskau in den Park und wusch meine Gardinen. Am Freitag rief Witold an; er hatte in Bickelbach kein Telefon, so daß ich ihn sowieso nicht erreichen konnte. »Na, Thyra, ist alles klar? Klappt es morgen?« fragte er verschwörerisch. »Mein Freund Ernst Schröder kommt jedenfalls mit, er war angetan von der Idee, denn er ist momentan Strohwitwer.«
Beate und ich schlenderten am bewußten Samstag nachmittag gegen fünf Uhr durch die Weinheimer Altstadt. Um sechs wollte ich sie unauffällig in einer bestimmten Gasse an einen Tisch lotsen. So einfach war das aber gar nicht. Beate animierte die starken Männer, den Lukas zu hauen.
Pünktlich waren wir nicht, es war bereits Viertel nach sechs, als es mir glückte, sie zum Sitzen zu bringen. Außerdem war kaum mehr Platz an diesem Tisch, wohin sollte sich Witold dann noch zwängen? Ich sah ihn um halb sieben von weitem mit einem klobigen, bärtigen Mann und anscheinend schon angeheitert dahertrudeln. Ich war erhitzt von Vorfreude und Angst und paßte überhaupt nicht auf, was mir Beate berichtet hatte.
Schon waren die beiden Männer an unserem Tisch.
»Entschuldigung, können Sie noch etwas rutschen?« fragte Witold listig das Ehepaar, das uns bisher gegenübergesessen hatte.
Beate meinte: »Hier ist es schon eng genug, gehen Sie doch mal hinten an einen Tisch, da sieht es bestimmt besser aus.«
Aber das Ehepaar erhob sich. Der Mann sagte, sie hätten sowieso gerade gehen wollen, er werde an der Theke zahlen.
Prompt saß Dr. Schröder mir und Witold Beate gegenüber.
»Ach«, rief Beate, »ich weiß, wer Sie sind! Sie sind doch Rainer Engstern, der jedes Jahr in der Heppenheimer Volkshochschule einen Vortrag hält!«
Witold bestätigte das.
»Ich bin Beate Sperber«, sagte sie, »und das ist meine Freundin Rosi Hirte.«
Nun stellte sich auch Dr. Schröder vor.
»Rosemarie paßt aber gar nicht zu Ihnen«, sagte Witold unverfroren, »haben Sie nicht noch einen anderen Namen?«
»Thyra«, hauchte ich.
Beate zog ein Gesicht.
»Nein, Rosi, das kann doch nicht wahr sein! Davon hast du mir ja noch nie was gesagt!«
Kühn blickte ich Witold ins Gesicht und sagte: »Rainer paßt aber auch nicht besonders gut zu Ihnen!«
Um es kurz zu machen, binnen weniger Minuten hießen wir wieder beim Zweitnamen und duzten uns alle vier, was Beate angestiftet hatte. Allerdings hatte Ernst Schröder auf Befragen gar keinen Zweitnamen, wurde aber von Witold gelegentlich Hakim genannt, denn er hatte zuerst Medizin studiert, bevor er Apotheker geworden war. Beates Zweitnamen war Edeltraud, und sie verbat es sich energisch, ihn anzuwenden.
Witolds Freund Ernst, oder El Hakim, erzählte mir lang und breit, daß seine Frau in Amerika sei, daß sein Sohn gerade sitzengeblieben war und daß er Witold bei der SPD kennengelernt habe. Er hatte eine beginnende Glatze, war gemütlich und nett, aber eigentlich wollte ich ja nur mit Witold reden, ihn ansehen und anlächeln. Beate schien sich aufs beste mit ihm zu verstehen. Sie geriet sofort in Fahrt, wenn Männer auftauchten, die ihr gefielen. Zuerst hörte ich mit halbem Ohr, daß die beiden seriöse Konversation über das Volkshochschulprogramm machten. Dann frozzelten und klatschten sie über ein Original unter den älteren Dozenten, und schließlich sah ich, wie sie Tränen lachten. Ein wenig kränkte mich das, ich wollte teilnehmen an diesem herzerfrischenden Gelächter. Aber ich konnte den freundlichen Schröder nicht gut vor den Kopf stoßen, mußte ihm antworten und nett sein. Meine gute Laune verflog immer mehr, je fröhlicher Beate an meiner Seite wurde.
An unserem langen Tisch wurde es im übrigen bei zunehmendem Alkoholkonsum immer lauter, so daß ich inzwischen fast gar nichts mehr verstehen konnte. Auf einmal drehte sich Beate zu mir um. »Hast du Kopfschmerzen oder was, du machst so ein bewölktes Gesicht?«
Ich beteuerte, mir ginge es gut, aber man könnte ja noch ein bißchen woanders sitzen, wo vielleicht bessere Luft sei, und diesen Platz hier verlassen. Ich hoffte, daß ich dann neben oder meinetwegen auch gegenüber von Witold zu sitzen käme. Die anderen waren einverstanden. Witold zwinkerte mir sogar heimlich zu, da wurde mir etwas leichter ums Herz.
Wir schlenderten durch die engen Gassen, die mit vielen bunten Lämpchen liebevoll herausgeputzt waren. Ernst Schröder strebte zum Schießstand.
»Jetzt werden wir den Damen eine edle Blume erringen!«
Mir gefiel das Schießen nicht, denn Witold und ich hatten dabei ungute Gedanken. Ernst Schröder schoß so lange, bis er wirklich eine scheußliche lila Plastikorchidee ergatterte, die er mir galant überreichte. Witold sagte, er wolle und könne nicht schießen.
Beate aber sprudelte hervor: »Ich schieße für dich!«
Sie traf ausgezeichnet, denn Beate war an Geschicklichkeit stets ein Naturtalent. Sie bekam eine rote Rose, steckte sie umständlich an Witolds Hemd und fummelte für meine Begriffe viel zu lange an ihm herum. Dann wurde sie übermütig und verlangte nach der Schiffsschaukel.
»Da muß ich aber passen«, sagte der rundliche Ernst, »mir wird schon beim Zuschauen schwindlig.«
Auch mir war nicht danach zumute, das versammelte Publikum unter meine schwingenden Röcke schauen zu lassen.
Aber ich wurde gar nicht erst gefragt. Beate hatte Witold einfach an die Hand genommen, und beide schwangen sich, eng gegenüberstehend, unter juchzendem Lachen in die Höhe.
Ich fand das absolut geschmacklos.
Schließlich landeten sie wieder auf der Erde. Witold war käsig und lachte nicht mehr.
»Du siehst ja aus, als würdest du gleich zum Wiederkäuer werden, bist halt auch nicht mehr zwanzig«, meinte der freundliche Hakim. Beate nahm die Gelegenheit wahr, so zu tun, als ob sie durchaus noch zwanzig sei (dabei war sie genau drei Monate älter als ich); sie gab mächtig an mit ihrer Schwindelfreiheit und behauptete, für sie wäre der Beruf des Dachdeckers oder Schornsteinfegers die ideale Lösung gewesen.
Witold beachtete sie nicht und steuerte eine Bank an.
»Mensch«, sagte Ernst Schörder, »mach keinen Scheiß. Ist dir schlecht, oder was hat dir auf einmal die Petersilie verhagelt?«
Witold schluckte.
»Ich steh’ da oben auf der Schaukel und grunze wie ein Affe, da seh’ ich dort unten zwei Ladenburger Schüler stehen.«
»So what?« rief Beate arglos, »Lehrer sind doch auch Menschen!«
Aber Ernst belehrte sie: »Rainer ist krankgeschrieben, und die Schüler denken, er liegt im Bett. Dann sieht das auf der Schaukel wirklich nicht besonders seriös aus, und sie werden ihn erpressen, wenn sie selber schwänzen wollen.«
»Halt mal«, warf jetzt Witold ein, »ich bin zwar krankgeschrieben, aber die Diagnose lautet ›schwerer psychischer Erschöpfungszustand mit Depressionen‹ Der Arzt hat ausdrücklich verboten, daß ich viel im Bett liege und grüble. Ich soll lange Spaziergänge machen, hat er geraten.«
Trotzdem war Witold nicht mehr in Stimmung und wollte plötzlich heim, dabei bemerkte er, daß er in Anbetracht des Weinkonsums mit dem Fahrrad gekommen war. Ich bot ihm an, ihn mitsamt seinem Rad heimzufahren. Aber er war mürrisch und sagte, er wolle mich nicht inkommodieren. Ernst könne ihn im Auto nach Ladenburg mitnehmen, er wolle heute in seinem eigenen Bett zu Hause schlafen.
Also trennten wir uns. Ich hatte Beate abgeholt und mußte sie jetzt auch zurückbringen. Als wir zusammen im Wagen saßen, fing Beate an: »Rosi, du hast aber auf diesen Ernst Schröder großen Eindruck gemacht. Mein Kompliment!«
Ich schwieg. Das stimmte nämlich nicht, Beate redete nur so, damit ich ihr meinerseits zu ihren Erfolgen gratulieren sollte, und den Gefallen wollte ich ihr wirklich nicht tun. Ich hätte sie sowieso am liebsten irgendwo auf dunkler Straße ausgesetzt, aber ich konnte ihr meine Wut und Enttäuschung ja noch nicht einmal andeuten. Eigentumsrechte auf Witold hatte ich nicht, darüberhinaus sollte sie ja glauben, wir hätten uns alle vier gerade erst kennengelernt.
Beate begann sich nun selbst zu loben, wo ich es nicht tat.
»Ich war aber auch nicht schlecht heute«, begann sie. Es war zum Heulen.
»Dieser Engstern und ich haben viele gemeinsame Bekannte, außerdem kennen sich unsere Kinder. Da gab es gleich eine Menge Anknüpfungspunkte.«
Ich schwieg weiter. Beate hörte schließlich auf zu plappern, und wir fuhren wortlos die dunkle Bergstraße entlang.
Kurz vor ihrer Wohnung fragte ich bang: »Seht ihr euch wieder?«
Beate lachte. »Wo denkst du hin. Dieser Mann hat Charisma, der ist ’ne Nummer zu groß für mich. Für einen solchen Abend — gut. Aber noch mehr — nee. Das würde nur Ärger für mich bringen. Weißt du, wenn so ein faszinierender Mann plötzlich frei wird, dann sucht er sich garantiert ’ne Neue aus, die mindestens zehn Jahre jünger ist. Glaub mir, ich hab’ Erfahrung!«
Auch das hörte ich nicht gerade gern.
»Dein Jürgen ist ja noch viel jünger«, warf ich ein.
»Klar«, sagte Beate trocken, »aber du siehst doch selbst den Qualitätsunterschied.«
Nun hatte ich doch wieder etwas für sie übrig und verabschiedete mich nicht so frostig, wie ich vorgehabt hatte.
Die Tage nach diesem Samstag krochen dahin. Wir hatten nichts verabredet, ich konnte mich auf kein Treffen freuen, wann würde ich Witold wiedersehen? Anrufen konnte ich ihn in Bickelbach nicht, schreiben wollte ich auch nicht, das nahm unserer Beziehung das Schwebende. Außerdem fürchtete ich den Rotstift des Lehrers, denn Aufsatz war nicht gerade meine Stärke gewesen.
Statt des erhofften Anrufs kam einer von Beate.
»Hallo Rosi, wie hast du die ungewohnte Kirmes-Orgie überstanden?« fragte sie spöttisch. »Übrigens waren unsere beiden Eroberungen am Sonntag darauf bei mir.«
Ich wollte etwas ganz Beiläufiges dazu sagen, aber dumpfe Verzweiflung kroch mir wie ein Wurm in der Kehle hoch, und meine Stimme knurrte nur.
»Der Dieskau meckert«, fuhr Beate fort, »sicher warst du heute noch nicht mit ihm weg. Also, ich wollte dir doch erzählen: Sonntag gegen sechs Uhr nachmittags schellte es, und ich war nicht gerade erbaut darüber, weil ja die Kinder da waren und ich gerade das Essen fertig hatte. Na, es waren also der Rainer Engstern (zum Glück sagte Beate ›Rainer‹ und nicht ›Witold‹) und der Ernst Schröder. Sie waren auf dem Weg in den Odenwald, denn Rainer war ja am Samstag mit nach Ladenburg gefahren. Nun brachte ihn der gute Ernst mitsamt seinem Fahrrad wieder nach Bickelbach zurück. Nett war ja die Idee, mal auf einen Sprung bei mir reinzuschauen. Ich liege ja quasi auf dem Weg.«
Ich gab ein »Hm« von mir. Leider lag ich wirklich nicht auf dem Wege, das mußte man zugeben. Beate erzählte weiter:
»Die beiden waren nicht abgeneigt, mit uns zu essen. Ich hatte auch zufällig eine Lammkeule mit Knoblauch und grünen Bohnen, das hat diesen frauenlosen Burschen natürlich geschmeckt.«
Ich wußte, wie gut Beate kochte. Klar, damit fing sie die Männer ein. Jürgens Anhänglichkeit konnte auch nur solche Gründe haben.
»Und die Kinder?« fragte ich matt.
»Oh, die sind ja manchmal sehr charmant. Sie haben sich prächtig mit Rainer verstanden. Die Lessi kannte ihn ja schon durch Eva und seinen Sohn Max. Aber auch Vivian und Richard hatten Freunde, die mal bei ihm in die Schule gegangen sind. Er hat sich sehr lustig mit den Kindern unterhalten und sich besonders für Vivians Kunststudium interessiert.«
Was konnte ich dagegen anbieten? Bestimmt keine Lammkeule und drei Kinder, die frischen Wind in den Laden bringen. Beate fuhr fort: »Den Ernst finde ich übrigens besonders nett, aber der Rainer ist noch eine Prise besser. Rosi, das verdanke ich eigentlich dir, daß ich diese duften Typen kennengelernt habe, ohne dich wäre ich gar nicht dorthin geraten.«
Ich weinte, aber das konnte sie nicht sehen. Wie gemein sie sich ausdrückte!
Beate quasselte immer noch weiter: »Der Rainer bleibt übrigens nur noch diese Woche in seinem Refugium im Odenwald. Er will am Montag wieder Unterricht geben, obgleich er sich sicher noch länger krank schreiben lassen könnte. Na, er will wieder in sein Haus, sagte auch, dort gebe es einiges zu erledigen.«
Ich konnte in dieser bleiernen Nacht wenig schlafen. Es saß mir von meiner Erziehung her tief in den Knochen, daß eigentlich der Mann die Werbung übernehmen sollte. Aber wenn er es nicht tat? Und überhaupt, waren das nicht längst überholte Vorstellungen, die ich von meiner nonnenhaften Mutter übernommen hatte? Beate verhielt sich da viel zupackender. Sollte ich einfach wie sie die Initiative ergreifen, wieder mal hinfahren? Oder war das aufdringlich? Ich wußte es nicht.
Am Freitagabend hielt ich es nicht mehr aus. Ein verlorenes Wochenende stand mir bevor, wenn ich nichts unternahm. Ich rief versuchsweise in Ladenburg an, Witold meldete sich sofort, was ich nicht erwartet hatte.
»Rosemarie Hirte«, stotterte ich, wie ich mich eben meistens melde.
»Wer? Kenn ich nicht, Sie haben sich verwählt«, sagte er kühl. »Ich bin’s doch«, piepste ich wie ein weinerliches Kind.
»Ach Thyra«, lachte er auf einmal, »na klar, entschuldigen Sie, ich habe nicht gleich geschaltet.«
Er sagte nicht »du«, sondern »Sie«. Was sollte ich eigentlich vorbringen? Ich fragte nach seinem Befinden und ob er Bickelbach schon lange verlassen habe.
»Ich bin heute morgen erst wieder hier eingetroffen«, erklärte Witold ganz eifrig. »Wissen Sie, ich unterrichte eine zwölfte Klasse im Leistungskurs, da geht es einfach nicht an, daß ich noch länger fehle. Ich weiß genau, daß es mit der Vertretung vorn und hinten nicht klappt, schließlich sollen meine Schüler nicht darunter leiden, daß ich depressiv bin.«
Eigentlich hatte ich bei unseren Treffen nichts von einer Depression gemerkt.
»Also müssen Sie sich jetzt auf den Unterricht vorbereiten?« fragte ich zaghaft.
»Das natürlich auch. Aber der Garten ist in traurigem Zustand, die Schnecken haben fast alles weggefressen. Ab Montag kommt eine jugoslawische Putzfrau, die mir Freunde vermittelt haben. Aber bevor die überhaupt anfangen kann, muß ich gründlich aufräumen und mich auch mit der Waschmaschine auseinandersetzen.«
Beate würde jetzt spontan ihre Hilfe anbieten. Ich mußte meine Verklemmtheit überwinden und etwas in diesem Sinne sagen. Ich vermied es, ihn mit »du« oder »Sie« anzusprechen.
»Am Wochenende habe ich ausnahmsweise nichts vor, ich könnte kommen und helfen. Waschen und bügeln kann ich schließlich auch, im Garten könnte ich fürs Grobe angestellt werden, und zwischendurch kann ich Kaffee kochen und Kuchen holen.«
Von Kochen sagte ich vorsichtshalber nichts.
»Ein liebenswürdiges Angebot. Aber beim Aufräumen kann mir eigentlich niemand helfen, das muß man schon selber machen. Die Waschmaschine kann ich auch allein füllen, Montag wird die Jugoslawin bügeln. Außerdem erwarte ich am Sonntag Besuch, da bin ich voll ausgebucht. Also herzlichen Dank, Thyra, das war eine liebe Idee. Vielleicht komme ich ein andermal darauf zurück.«
Ich bat ihn, sich zu melden, sobald er mich brauchen könne.
Unter belanglos freundlicher Konversation verabschiedeten wir uns, ohne irgendein Treffen vereinbart zu haben.
Ich warf vor Wut ein Sofakissen auf den Boden. Der Dieskau fühlte sich angesprochen, kroch herbei und bat um Verzeihung, als sei er an allem schuld. Ich streichelte ihn ein wenig und redete auf ihn ein: »Ach Dieskau, einmal im Leben will ich etwas haben! Koste es, was es wolle, ich will diesen Mann! Aber es ist so schwer, ich weiß nicht, wie man so etwas anstellt.«
Ich heulte, der Hund legte seine Schnauze auf mein Knie und sah mich unendlich melancholisch an. Er war ein Wunder an Empathie.
Wer mochte nur Witolds Besuch am Sonntag sein, etwa Beate?
Der Sonntag verging sehr trist. Ich stellte mir vor, wie Beate in ihrer flinken Art bei Witold Gemütlichkeit herbeizauberte, kochte und lachte. Die beiden passen zueinander, dämmerte es mir; Kunst, Literatur, Musik — davon hatte Beate viel Ahnung, ich dagegen gar nicht. Sie werden den ganzen Tag zusammen Spaß haben… Und am Abend? Ob sie dann Sekt tranken und ins Bett gingen? Ich wurde fast verrückt bei diesen Vorstellungen und rief am späten Nachmittag bei Beate an.
Lessi meldete sich. »Meine Mutter ist nicht da«, teilte sie mir lakonisch mit.
Wo sie denn sei, wollte ich wissen.
»Vivian und Richard sind gestern für ein paar Tage nach London gefahren, da hat sie heute kein Familienessen gekocht, denn ich zähle anscheinend nicht«, klagte die infantile Lenore.
»Ich weiß übrigens nicht, wo sie ist, vielleicht ist sie in ein Konzert gegangen.«
Ich legte auf. Die Sache war bitter, aber klar: Beate lag jetzt mit Witold im Bett, dabei hatte sie doch schon morgen wieder den Jürgen. Warum bekamen andere Frauen alles und ich nichts? Sollte ich sie zur Rede stellen?
Um elf Uhr abends ging das Telefon. Beate sagte: »Lessi hat mir gesagt, daß du angerufen hast. Die dumme Gans, ich hatte ihr genau erklärt, wo ich hingehe. Wie so oft, hat sie gar nicht hingehört.«
»Na, und wo warst du?«
»In Frankfurt, hab’ mir eine tolle Kandinsky-Ausstellung angesehen und bin dann mit einer Freundin türkisch essen gegangen. Es war richtig schön.«
Ob sie so routiniert log? Aber warum sollte sie überhaupt?
Sie hatte gar keinen Grund, mir irgend etwas über ihre Beziehung zu Witold vorzuenthalten, denn sie ahnte ja gar nicht, daß er mir gehörte. Vielleicht hatte sie jedoch ein schlechtes Gewissen, daß sie ihren Jürgen betrog; aber das brauchte sie bei einem verheirateten Liebhaber wiederum nicht zu haben. Voller Zweifel legte ich mich ins Bett.
An einem der nächsten Abende schlich ich mich wieder im Dunkeln durch Witolds Garten. Es war jetzt bereits um neun Uhr finster, und ich hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, daß er mich nicht entdecken konnte — schwarze Einbrecherkleidung.
Er saß wie damals, als ich ihn zum ersten Mal beobachtet hatte, am Schreibtisch und schrieb. Ich liebte ihn so sehr, diesen schönen und klugen Mann, der so einsam und konzentriert arbeitete. Mindestens eine Stunde lang stand ich im nächtlichen Garten, bis ich mich leise wieder davonmachte.
Der Zaun war noch genauso lose wie damals, Witold hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu reparieren.
Es war wie eine Sucht. Ich fuhr jetzt fast jeden Tag wieder nach Ladenburg, obgleich es sicher nicht ungefährlich war und die Nachbarn alle wieder vom Urlaub zurück waren. Witold war immer allein. So gern wäre ich durch die Balkontür getreten oder hätte vorn an der Haustür geschellt. Aber wir hatten verabredet, daß er sich melden sollte.
Eines Abends sah ich einen zweiten Wagen vor seinem Haus stehen. Es war der von Beate. Also doch! Mir wurde ganz übel.
Ich hatte alles falsch gemacht, ich hätte ihn anrufen sollen, ihn besuchen, ihm schreiben — was hätte ich schon dabei riskiert! Jetzt schnappte sich Beate meine Beute, weil ich zu lange gewartet hatte.
Ich kroch in den Garten. Im Wohnzimmer war niemand.
Lange wartete ich. Küche oder Bett, war jetzt nur noch die Frage. Schließlich wurde es mir zu kalt, zitternd und durchgefroren fuhr ich heim, genauso wie an jenem Abend, als Witolds Frau starb.
Nach deprimierten Tagen beschloß ich, nicht aufzugeben, zu kämpfen. Ich rief Witold an und lud ihn einfach zu mir ein. Er könne am Wochenende nicht, bedauerte er. Ich bot ihm andere Termine an, und er versprach endlich, an einem Donnerstag zu kommen.
Jetzt mußte ich aufs Ganze gehen. Ich hatte noch vier Tage Zeit. Ich legte mir eine Liste an: Ich mußte es hinkriegen, an diesem Abend eine zauberhafte, urgemütliche Atmosphäre zu schaffen, ich mußte atemberaubend jung und schön aussehen, charmant und geistreich plaudern und darüber hinaus ein köstliches, aber scheinbar mühelos bereitetes Essen auf den Tisch stellen. Überhaupt mußte alles so wirken, als sei es nicht extra für ihn arrangiert, sondern als sei es bei mir immer wie im Paradies. Ich lief zur Kosmetikerin, kaufte mir einen weinroten Samtrock und eine heraldisch gemusterte Bluse aus Crepe de Chine. Ich besorgte Kerzen, Sekt, eine neue Tischdecke, Parfüm.
Aber am meisten grübelte ich in langen Bürostunden über das Essen. Beate konnte ich nicht gut um Rat fragen; die hätte sofort einen idiotensicheren Vorschlag parat gehabt. Ich beschloß, ein Lachssteak zu braten — das ging schnell und mußte mir gelingen. Dazu grüne Nudeln, eine Butter-Estragon-Sauce und Salat. Die Soße bereitete ich versuchsweise schon zwei Tage vorher, und es klappte auch. Mein Gott, war ich aufgeregt.
Donnerstag kurz vor acht, ein letzter Blick in den Spiegel.
Viel zu fein! dachte ich plötzlich. Es soll doch alles lässig, locker wirken. Er wird im Pullover kommen, und ich stehe da wie eine aufgeputzte Provinzlerin. Ich riß mir Bluse und Rock wieder vom Leibe und stand in Unterrock und Panik vorm Kleiderschrank. Beate hätte das gemeistert, egal wie. Ich zog Hosen an und wieder aus, Blusen, Röcke, alles flog zu Boden.
Nein, es war einfach zu spät, in fünf Minuten konnte er kommen. Ich raffte die feinen Sachen vom Teppich und fuhr hektisch hinein, Hitze schwappte mir ins gepuderte Gesicht, sicher würde bald die Schminke auf den hellen Kragen tropfen.
Die vielen ungeeigneten Klamotten warf ich in den Schrank, schloß ab, eilte ans Fenster und spähte nach seinem Auto.
Dazwischen hetzte ich in die Küche: Alles vorbereitet, aber bevor er da war, konnte ich ja nicht gut den Fisch braten.
Witold kam pünktlich aufs akademische Viertel, in der Hand einen unpersönlichen Nelkenstrauß mit Asparagus, wo er doch in seinem Garten wirklich etwas Originelleres hätte pflücken können.
»Ich hoffe, ich bin nicht zu spät. Kommt Ihre reizende Freundin auch? Ein paar Näglein zum Besteck…«, und er überreichte mir etwas steif seine fünf gelben Nelken und behielt das zerknüllte Papier in der Hand. Zu diesem Strauß hätte meinerseits ein »aber das wäre doch nicht nötig gewesen« gepaßt. Ich unterließ es, bedankte mich und bemerkte maliziös, daß Beate einen Freund hätte, der sie unter der Woche völlig in Beschlag lege. Witold lächelte dazu: Entweder wußte er das bereits, oder es war ihm egal, oder er konnte sich vorzüglich beherrschen.
Ich goß Sherry ein, sauste in die Küche, setzte Nudelwasser auf. Eigentlich war ich nicht overdressed, fand ich.
Witold war sehr neutral angezogen, ohne Schlips, aber mit einem sommerlich hellen Jackett zu Edeljeans. Wir waren ein wenig befangen.
»Liegt die Waffe im Vater Rhein?« wollte er plötzlich wissen.
Nein, das tat sie nicht, aber ich antwortete: »Ja, natürlich, schon seit Wochen!«
Er sollte sich bloß nicht über mich aufregen, ich hatte den Revolver zwar nicht vergessen, aber den Auftrag noch nicht ausgeführt, weiß der Himmel, warum.
Das Essen war mir sogar gelungen. Witold lobte es mit beleidigender Höflichkeit, aß allerdings wenig und trank auch nicht viel. Die zauberische Stimmung damals bei Handkäs und Apfelwein kam nicht wieder auf, es war alles ein wenig künstlich.
Ich versuchte, Charme zu produzieren, berührte ihn beim Sprechen einmal am Arm, so wie ich das bei anderen Frauen beobachtet hatte, war aber sehr verkrampft. Nach dem Essen saßen wir auf meinen zugegebenermaßen ungemütlichen Sesseln, und ich wollte Sekt aufmachen. Witold wehrte ab. Er habe zum Essen ja schon Wein getrunken und vorher den Sherry, schließlich müsse er noch heimfahren. Außerdem sei morgen erst Freitag und für ihn fast der härteste Tag.
»Seien Sie mir nicht böse, wenn ich aus diesem Grund nicht allzu lange bleiben kann.«
»Auf der Kirmes haben wir ›du‹ zueinander gesagt«, entfuhr es mir, zu meinem Leidwesen in einem gekränkten Unterton.
»Richtig!« rief Witold mit unaufrichtiger Fröhlichkeit, »gut, daß du mich daran erinnerst! Also, trinken wir ein zweites Mal Bruderschaft!«
Er hob sein Glas mit dem Rest Weißwein, das er vom Eßtisch mitgenommen hatte, und sagte: »Thyra!«
Todesmutig hielt ich ihm das Gesicht entgegen. Ich spürte eine flüchtige Berührung auf der Wange, das war’s dann auch.
Witold plauderte noch eine Viertelstunde, erzählte von seinen Söhnen und der Schule; um halb elf war er weg, nicht ohne das »exquisite und deliziöse Mahl« abermals gelobt zu haben, ohne neue Verabredung, ohne mir die Möglichkeit gegeben zu haben, ihm etwas näherzukommen. Von Verführung ganz zu schweigen.