Direktor Brausewetter besänftigt das Publikum / ,Der große Dieb und der Kleine Mann‘, eine verfrühte Premiere / Der dicke Herr Mager und Doktor Hornbostel werden ausgeraubt / Braune und schwarze Schnürsenkel / Mäxchen winkt zweitausend Menschen zu.
Herr Direktor Brausewetter hielt sein Wort. Kaum daß die ,Wirbelwinds‘, zwei berühmte Rollschuhläufer, unter großem Applaus in der Zeltgasse verschwunden waren, zog er seine weißen Glacehandschuhe an und gab dem Kapellmeister ein Zeichen. Das Orchester spielte einen Tusch.
Der Direktor schritt würdig zum Mikrophon. Im Zirkus wurde es still. „Verehrtes Publikum“, sagte Herr Brausewetter. „Wie Sie aus Ihrem Programmheft ersehen haben, tritt jetzt Professor Jokus von Pokus auf. Er ist, wenn ich mich so ausdrücken darf, der Großmeister unter den lebenden Zauberkünstlern. Wenn ich ihn loben wollte, müßte ich Eulen nach Athen tragen. Und so viel Zeit hat kein Zirkusdirektor.“
„Das ist aber schade!“ rief ein Flegel aus den oberen Reihen. Doch die anderen zischten ihn nieder, und es wurde wieder still. Nur in den Ställen, ganz in der Ferne, wieherte ein Pferd. Wahrscheinlich war es Nero, den Galoppinski beim Absatteln auszankte.
„Infolge eines rätselhaften Mißgeschicks“, fuhr Herr Brausewetter in seiner Ansprache fort, „griff Maestro Galoppinski vorhin zum Zauberstab statt zur Reitpeitsche. Dabei mußte er feststellen, daß Zaubern und Reiten so wenig zusammenpassen wie ... wie Rollmops und Schokoladensoße oder wie der Kölner Dom und der Hauptbahnhof.“
Ein Teil des Publikums lachte.
„Das Resultat“, erklärte der Direktor, „ist doppelt betrüblich. Denn unser Großmagier weigert sich aufs entschiedenste, nunmehr zum Zauberstab zu greifen. Ich bin vor ihm niedergekniet. Ich wollte ihm mein Briefmarkenalbum schenken. Es war alles vergeblich. Er will nicht.“
Die Menge wurde unruhig. Man pfiff und schrie „Buh“. Einer rief: „Dann verlang ich mein Eintrittsgeld zurück!“ Direktor Brausewetter winkte ab. „Er wird nicht zaubern, liebe Freunde - aber er wird auftreten!“
Die Leute klatschten.
„Was er heute zeigen wird, hat er noch nie vorher gezeigt. Sogar ich selber, der Chef des Hauses, kenne die Darbietung noch nicht! Was Sie und mich und uns alle erwartet, ist eine Weltpremiere!“
Die Leute klatschten noch länger.
„Ich kenne nur den Titel der Nummer!“ Direktor Brausewetter warf die Arme samt den weißen Glacehandschuhen hoch und rief, so laut er konnte: „Die Darbietung heißt: ,Der große Dieb und der Kleine Mann’!“
Dann verbeugte er sich schwungvoll und ging. Die Kapelle spielte wieder einen Tusch. Alles wartete. Und es wurde mäuschenstill.
„Es ist soweit“, sagte der Professor.
„Jawohl“, flüsterte Mäxchen in der Brusttasche. „Hals- und Beinbruch, lieber Jokus!“
„Toi, toi, toi und dreimal schwarzer Kater!“ murmelte der
Zauberkünstler und betrat langsam die Manege. In der Mitte blieb er stehen, verneigte sich und sagte lächelnd: „Heute wird nicht gezaubert, meine Herrschaften. Heute wird nur gestohlen. Halten Sie Ihre Taschen zu! Vor mir und meinem jugendlichen Mitarbeiter ist nichts und niemand sicher.“
„Wo bleibt er denn, Ihr Mitarbeiter?“ rief ein dicker Mann in der zweiten Reihe.
„Er ist schon hier“, erwiderte der Professor.
„Ich sehe ihn aber nicht“, rief der Dicke.
„Kommen Sie doch bitte etwas näher!“ sagte der Jokus freundlich. „Vielleicht sehen Sie ihn dann!“
Der dicke Mann erhob sich ächzend, kam in die Manege gestapft, gab dem Professor die Hand und sagte: „Mein Name ist Mager.“
Das freute das Publikum.
Der dicke Herr Mager schaute sich gründlich um. „Ich sehe ihn noch immer nicht!“
Der Professor trat dicht an den Dicken heran, blickte ihm gründlich in die Pupillen, klopfte ihm auf die Schulter und meinte: „An Ihren Augen kann’s nicht liegen, Herr Mager. Die sind in Ordnung. Trotzdem ist mein Gehilfe hier. Ich gebe Ihnen mein großes Ehrenwort.“
Ein Herr in der ersten Reihe rief: „Ist ja völlig ausgeschlossen! Wette mit Ihnen um zwanzig Mark, daß Sie allein sind!“
„Nur zwanzig Mark?“
„Fünfzig Mark!“
„Einverstanden“, sagte der Jokus vergnügt. „Treten auch Sie ruhig näher! Hier ist noch eine Menge Platz. Und vergessen Sie nicht, das Geld mitzubringen!“ Er hakte sich bei Herrn Mager unter und wartete lächelnd auf den Herrn aus der ersten
Reihe, der fünfzig Mark gewettet hatte. Auch Herr Mager lächelte, obwohl er gar nicht wußte, warum.
Der Herr marschierte auf sie zu und stellte sich vor. „Doktor Hornbostel“, schnarrte er zackig. „Das Geld habe ich bei mir.“ Sie schüttelten einander die Hände.
„Nun, wie steht’s?“ fragte der Professor. „Wo steckt mein Gehilfe?“
„Ist ja Unsinn“, erklärte Doktor Hornbostel. „Gibt’s gar nicht, den Kerl. Bin schließlich nicht blind. Hätte Lust, die Wette zu verdoppeln. Hundert Mark?“
Der Professor nickte. „Hundert Mark. Ganz wie Sie wünschen.“ Er klopfte ihm auf die Brust. „Die Brieftasche ist ja dick genug. Ich spüre sie durchs Jackett hindurch.“ Dann prüfte er den Stoff zwischen den Fingern, öffnete Doktor Hornbostels mittleren Jackettknopf und sagte: „Prima Kammgarn, kein Gramm Zellwolle, keine Knitterfalten, erstklassiger Sitz, teurer Schneider.“
„Stimmt“, bemerkte der Doktor stolz und drehte sich um die eigne Achse.
„Fabelhaft!“ meinte der Jokus. „Moment, bitte! Hier hängt ein weißes Fädchen.“ Er zupfte den Faden fort und strich das Jackett sorgfältig glatt.
Da hüstelte der dicke Herr Mager und sagte ein bißchen ungehalten: „Das ist ja alles schön und gut, Professor. Prima Kammgarn, teurer Schneider und so. Aber wann wird nun eigentlich gestohlen?“
„In zwei Minuten fangen wir an, verehrter Herr Mager. Keine Sekunde später. Schauen Sie bitte zur Kontrolle auf Ihre Armbanduhr!“
Der dicke Herr Mager blickte auf die Uhr und machte ein verblüfftes Gesicht. „Sie ist weg“, erklärte er.
Der Jokus half ihm beim Suchen. Aber die Uhr fand sich in keiner Tasche und nicht am anderen Handgelenk. Sie lag auch nicht am Boden. „Das ist ja sehr, sehr merkwürdig“, meinte der Zauberkünstler gedehnt. „Wir zwei wollten Sie zwei erst in zwei Minuten ausrauben, und schon ist eine Uhr verschwunden!“
Jetzt faßte er den anderen Herrn ins Auge: „Herr Doktor Hornbostel“, sagte er mißtrauisch, „ich möchte Sie nicht verdächtigen, das ist ja selbstverständlich, aber - haben vielleicht Sie, aus Versehen, Herrn Magers Armbanduhr an sich genommen?“
„Dummes Zeug!“ rief Doktor Hornbostel empört. „Stehle weder aus Versehen noch zum Spaß! Angesehener Rechtsanwalt wie ich kann sich das gar nicht leisten!“
Die Zuschauer lachten herzlich.
Der Jokus blieb ernst. „Darf ich einmal nachsehen?“ fragte er höflich. „Es ist eine reine Formsache.“
„Meinetwegen!“ schnarrte Rechtsanwalt Doktor Hornbostel und streckte beide Arme in die Luft.
Er sah aus wie bei einem Gangsterüberfall.
Der Jokus durchsuchte geschwind sämtliche Taschen. Plötzlich stutzte er. Dann zog er etwas heraus und hielt es hoch: eine Armbanduhr!
„Das ist sie!“ rief der dicke Herr Mager, sprang danach wie ein Mops nach der Wurst, band sie sich wieder ums Gelenk und sagte mit einem schiefen Blick zu Hornbostel: „Na, hören Sie mal, Doktor! Das ist ja allerhand!“
„Schwöre Ihnen, daß ich’s nicht war!“ erklärte der Rechtsanwalt gekränkt. „Habe eigne Uhr!“ Er streckte das Handgelenk weit aus der Manschette, machte ein dummes Gesicht und rief: „Sie ist weg!“
Das Publikum lachte und klatschte heftig.
„Goldne Uhr! Läuft auf acht Rubinen! Echt Schweizer Fabrikat!“
Der Jokus drohte Herrn Mager lächelnd mit dem Finger und durchsuchte nun dessen sämtliche Taschen. Schließlich holte er ihm eine goldne Uhr aus der rechten Innentasche.
„Das ist sie!“ rief Hornbostel. „Das ist sie! Her damit!“ Der Jokus half ihm beim Umbinden der goldnen Uhr, die auf acht Steinen lief, und sagte zwinkernd zum Publikum: „Da habe ich mir ja zwei feine Herren angelacht.“
Dann wendete er sich an die zwei feinen Herren selber. „Ärgern Sie sich nicht über einander! Vertragen Sie sich wieder! Reichen Sie sich die Hand zur Versöhnung! So ist’s recht. Danke sehr.“ Er blickte auf die eigne Uhr. „In einer Minute gehe ich mit meinem Lehrling an die Arbeit. Wir werden Sie ausräubern, daß Ihnen angst und bange wird. Aber vielleicht geben wir Ihnen später einige der Wertsachen zurück. Unrecht Gut gedeiht bekanntlich nicht.“
„Sie mit Ihrem Zauberlehrling, den’s nicht gibt!“ rief Doktor Hornbostel. „Freue mich schon auf Ihre hundert Mark!“
„Immer hübsch eins nach dem andern, Herr Doktor“, erklärte der Jokus. „In einer Minute beginnt die Plünderung. Schauen Sie bitte beide auf die Uhr! Es ist sieben Minuten nach neun. Vergleichen Sie die Uhrzeit!“
Hornbostel und der dicke Herr Mager wollten also auf ihre Uhren blicken und riefen gleichzeitig: „Wieder weg! Beide Uhren!“ Tatsächlich, alle zwei Uhren waren verschwunden!
Die Zuschauer waren begeistert.
Da hob der Jokus einen Arm hoch und wollte um Ruhe bitten. Doch in diesem Moment rief ein kleines Mädchen: „Guck mal, Mutti! Der Zauberer hat drei Uhren umgebunden!“
Alle starrten den Professor an. Sogar er selber betrachtete sein Handgelenk und tat verwundert. Drei Armbanduhren glänzten an seinem linken Handgelenk! Die Leute lachten und johlten und klatschten und trampelten vor Wonne mit den Füßen.
Nachdem sich der Jubel gelegt hatte, gab der Jokus höflich die zwei Uhren zurück und sagte: „So, meine Damen und Herren, jetzt wollte ich eigentlich noch einen dritten Zuschauer aus Ihrer Mitte zu mir bitten. Sozusagen als Aufpasser. Doch das Aufpassen hätte außerdem nicht viel genützt. Wissen Sie warum?“
„Weil Sie trotzdem wie eine Elster geklaut hätten!“ rief eine spindeldürre Frau lachend.
„Irrtum!“ erwiderte der Jokus. „Er hätte deshalb nicht aufpassen können, weil es nichts mehr zu stehlen gibt. Ich habe nämlich schon alles.“
Er klopfte sich auf die Taschen und winkte zwei livrierten Angestellten.
Sie brachten einen Tisch herbei und setzten ihn vor dem Professor nieder.
„So“, sagte er zu den Herren Hornbostel und Mager. „Jetzt spielen wir Weihnachten. Sie drehen sich um, damit Sie mir nicht zusehen können. Und ich lege die Geschenke auf den Gabentisch. Es wird eine schöne Bescherung werden, das verspreche ich Ihnen. Neue Geschenke kriegen Sie allerdings nicht. Es gibt nur ein paar praktische Dinge, die Ihnen längst gehören. Ich beschere Ihnen nicht, was Sie sich wünschen, sondern was Sie sich zurückwünschen.“
„Schade“, meinte der dicke Herr Mager. „Ich hätte gern eine neue Schreibmaschine gehabt.“
Der Professor schüttelte den Kopf. „Tut mir leid“, sagte er. „Damit wollen wir gar nicht erst anfangen. Sonst wünscht sich Doktor Hornbostel womöglich einen Bechsteinflügel oder eine Wurlitzer Orgel. Nein, Sie drehen sich jetzt brav um und machen die Augen fest zu!“
Die beiden Männer wollten keine Spielverderber sein. Sie kehrten dem Tisch den Rücken und kniffen die Augen zu. Der Professor überzeugte sich persönlich, daß keiner von ihnen zu blinzeln versuchte.
Dann ging er zum Tisch zurück und fing an, seine Taschen umzuwenden und auszuleeren. Es nahm kein Ende, und dem Publikum blieb minutenlang die Luft weg. Das Orchester spielte währenddem ein altes, halbvergessenes Konzertstück. Es hatte den Titel ,Heinzelmännchens Wachtparade‘ und eignete sich schon deshalb vorzüglich.
Nun, ihr erinnert euch ja, wie der Jokus, seinerzeit in Berlin, den Hoteldirektor Hinkeldey ausgeraubt hatte, und so werdet ihr euch bei weitem nicht so wundern wie die zweitausend Menschen im Zirkus. Sie machten „Ah“ und „Oh“ und riefen „Das ist ja toll!“ und „Nun schlägt’s dreizehn!“, und einer schrie sogar: „Ich werde verrückt!“
Das einfachste wird sein, ich zähle die Gegenstände, die er auspackte, in einer Liste auf. Also, er holte aus seinen Taschen:
1 Notizbuch, rotes Leder 1 Kalender, blaues Leinen 1 Drehbleistift, Silber 1 Kugelschreiber, schwarz 1 Füllfederhalter, schwarz 1 Brieftasche, Schlangenleder 1 Scheckbuch, Commerzbank, blau 1 Portemonnaie, braun, Juchtenleder 1 Schlüsselbund 1 Autoschlüssel 1 Tüte Hustenbonbons 1 Krawattennadel, Gold mit Perle 1 Hornbrille mit Futteral, Wildleder, grau 1 Reisepaß, deutsch 1 Taschentuch, sauber, weiß 1 Zigarettenetui, Silber oder Nickel 1 Zigarettenpackung, Filter 1 Kohlenrechnung, noch nicht bezahlt 1 Feuerzeug, emailliert 1 Schachtel Streichhölzer, halbvoll 1 Paar Manschettenknöpfe, Mondsteine 1 Trauring, mattgold 1 Ring, Platinfassung, Lapislazuli 7 Münzen, Gesamtwert 8 Mark zehn
Das Publikum jubilierte, und die zwei Herren mit den zugekniffenen Augen zuckten bei jedem Jubelschrei und jeder Lachsalve zusammen, als erhielten sie elektrische Schläge. Sie fingerten immer aufgeregter an und in sämtlichen Taschen herum und konnten es kaum noch aushalten. Denn alle ihre Taschen waren so leer wie die Wüste Gobi.
Endlich trat der Professor zwischen sie, legte seine Hände auf ihre Schultern und sagte onkelhaft: „Liebe Kinder, es ist beschert!“
Da drehten sie sich auch schon um, stürzten auf den Tisch los, fielen über ihr Eigentum her und stopften es, unterm Gelächter und Applaus der zweitausend, hastig in ihre Hosen und Jacketts.
Weil das Publikum mit Lachen nicht aufhören wollte, hob der Jokus schließlich die Hand, und nun wurde es still. Auch die Kapelle brach ab. „Ich freue mich, daß Sie lachen“, sagte er. „Doch hoffentlich handelt sich’s nicht um Schadenfreude. Bedenken Sie bitte, daß mein kleiner Gehilfe und ich jeden von Ihnen ganz genauso bestehlen könnten wie die zwei netten Herren an meiner Seite.“
„Kleiner Gehilfe!“ meinte Herr Hornbostel spöttisch. „Wenn ich das schon höre! Vergessen Sie nicht, daß wir gewettet haben!“
„Darüber sprechen wir noch“, antwortete der Professor. „Jedenfalls danke ich Ihnen beiden für Ihre tatkräftige Unterstützung.“ Er schüttelte ihnen die Hand, klopfte ihnen auf die Schultern und sagte: „Auf Wiedersehen, und alles Gute auf Ihrem ferneren Lebensweg!“
Die zwei wendeten sich zum Gehen. Doch schon nach dem zweiten Schritt stolperte Doktor Hornbostel und blickte erstaunt auf seine Füße. Er hatte einen Halbschuh verloren und bückte sich, um ihn aufzuheben. Der Jokus kam ihm zu Hilfe und fragte freundlich: „Haben Sie sich weh getan?“
„Nein“, knurrte der Doktor und musterte den Schuh in seiner Hand, „aber der Schnürsenkel ist nicht mehr da.“ Er beugte sich über den Schuh, den er noch am Fuß hatte. „Der andre Schnürsenkel auch nicht!“
„Passiert Ihnen das häufig?“ fragte der Jokus teilnahmsvoll. „Gehen Sie oft ohne Schnürsenkel aus?“
Die Leute begannen wieder zu kichern.
„Ist ja Unsinn“, schnarrte Hornbostel. „Bin doch nicht plemplem!“
„Glücklicherweise kann ich Ihnen aushelfen“, sagte der Jokus. „Ich habe immer Reserveschnürsenkel bei mir.“ Er fischte ein Paar Schnürsenkel aus der Tasche. „Bitte sehr.“
„Nützen mir leider nichts. Brauche keine braunen, sondern schwarze.“
„Hab ich auch“, meinte der Jokus und griff in eine andre Tasche. „Hier bitte. Was ist los? Sind sie Ihnen nicht schwarz genug? Schwärzere hab ich nicht.“
„Sie Obergauner!“ rief Doktor Hornbostel. „Sind ja meine eignen!“
„Immer noch besser als gar keine“, erklärte der Professor. „Und was mach ich mit den braunen? Vielleicht hat der Herr Mager dafür Verwendung?“
„Ich?“ fragte dieser. „Wozu? Ich trage zwar braune Schuhe, aber ...“ Er schielte vorsichtshalber an seinem Bauch vorbei zu seinen braunen Schuhen, Größe 48, hinunter und zuckte zusammen. „Hallo, hallo!“ rief er amüsiert. „Meine Schnürsenkel sind auch weg! Nun geben Sie die Dinger schon her! Sonst kippe ich auf dem Nachhauseweg aus den Pantinen! Danke vielmals, Meister Langfinger! Warum werden Sie nicht Taschendieb? In einem Monat wären Sie Millionär.“
„Aber ich könnte nachts nicht ruhig schlafen“, erwiderte der Professor. „Schlaf ist sehr wichtig.“
„Da bin ich anders“, erklärte der Dicke gemütlich. „Ich könnte überhaupt erst ruhig schlafen, wenn ich die Million hätte!“
Bevor er in der Beschreibung seiner schwarzen Seele fortfahren konnte, wurde er von dem kleinen fixen Mädchen unterbrochen, das wir schon kennen. „Guck mal, Mutti“, rief das Kind zapplig, „der andre Mann hat plötzlich keinen Schlips um!“ Zweitausend Menschen starrten Herrn Rechtsanwalt Doktor Hornbostel an, der mit der Hand ruckartig an seinen Hemdkragen griff. Tatsächlich, die schöne Krawatte aus Foulardseide war verschwunden! Und weil der ganze Zirkus lachte, wurde Hornbostel unwirsch. „Genug gescherzt!“ sagte er düster. „Ersuche dringend um Rückgabe meiner Krawatte!“
„Sie steckt in Ihrer linken Brusttasche, sehr geehrter Herr Doktor“, meinte der Jokus. Dann gab er beiden die Hand und bedankte sich herzlich für ihre Mitwirkung.
„Gern geschehen“, antwortete der dicke Herr Mager. „Aber lassen Sie meine Hand los, ja? Sonst klauen Sie mir die auch noch!“ Er stapfte seinem Platz zu und machte behutsame Schritte, damit er die Schuhe nicht verlöre. Auf halbem Wege blieb er unvermittelt stehen und sagte: „Wieso rutschen eigentlich meine Hosen?“ Er schlug das Jackett zurück und rief entsetzt: „Meine Hosenträger! Wo sind meine Hosenträger?“ „Nanu!“ sagte der Jokus. „Sollte ich versehentlich .?“ Er befühlte seine Taschen und stutzte. „Hier scheint etwas ... Einen Moment, lieber Herr Mager, ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß ich . Andrerseits . bei meiner Zerstreutheit . “ Und schon hielt er ein Paar Hosenträger hoch. „Da sind sie ja!“
Das Publikum bog sich. Und als der Doktor Hornbostel, der sich seine Seidenkrawatte umband, nervös das Jackett aufschlug und seine Hosenträger suchte, lachten die Leute noch viel mehr. Aber er hatte sie noch, atmete auf und wischte sich die Stirn. Er schwitzte vor Angst. Dann hob er den Schuh auf, aus dem er herausgekippt war, und humpelte zu seinem Platz in der ersten Reihe.
Die Kapelle spielte einen Tusch. Die Trompeter bliesen vor Lachen falsch. Der dicke Herr Mager nahm seine Hosenträger in Empfang. Und der Professor Jokus von Pokus verneigte sich elegant. „Der Kleine Mann und meine eigne Wenigkeit“, sagte er lächelnd, „bedanken sich beim Publikum für die geradezu vorbildliche Aufmerksamkeit.“
Da klatschten alle und schrien „Bravo!“ und „Wundervoll!“ und „Großartig!“
Doktor Hornbostel aber sprang, kaum daß er saß, wieder in die Höhe, gestikulierte wild und rief: „Was wird aus der Wette? Sie schulden mir hundert Mark!“
Der Professor gab dem Herrn Direktor Brausewetter, der strahlend am Manegenrand stand, ein Zeichen. Der Direktor gab das Zeichen weiter. Und langsam stieg das Rundgitter aus der Versenkung empor, das sonst nur während der Raubtierdressuren die Manege vom Publikum trennte.
„Ich zeige Ihnen jetzt meinen Zauberlehrling, den Kleinen Mann! Sie können sich überzeugen, daß es ihn gibt! Das Gitter soll nur verhüten, daß Sie ihn und mich vor lauter Verwunderung zerquetschen.“
Dann wandte sich der Professor an Herrn Hornbostel: „Damit haben Sie die Wette verloren! Den Hundertmarkschein brauchen Sie mir nicht zu überreichen. Ich habe ihn mir schon aus Ihrer Brieftasche herausgenommen! Zählen Sie bitte nach!“
Doktor Hornbostel zählte sein Geld, flüsterte: „Tatsächlich!“ und sank auf seinen Stuhl.
Der Jokus holte Mäxchen aus der Brusttasche, hielt ihn hoch und rief: „Darf ich Sie mit dem Kleinen Mann bekannt machen? Hier ist er!“
Die Zuschauer sprangen auf, polterten die Stufen hinunter, stießen sich, quetschten einander und preßten die Gesichter ans Gitter. „Da ist er ja!“ riefen sie. „Ich seh ihn nicht!“
„Doch, doch!“
„Wo denn bloß?“
„Auf dem Handteller des Professors!“
„Oje, ist der klein! Wie ein Streichholz!“
„Man hält’s doch nicht für möglich!“
Der Kleine Mann lachte und winkte ihnen zu.